Kategorie: Atanga

Das Weiße muss auch runter

Fr.,11.Jan.22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2813, 24.688 sm von HH

„Wie? Das Weiße muss auch runter?“ Ich schaue Peter ungläubig an. Wir haben ihn zur Begutachtung des Decks und Zwischenbesprechung an Bord gebeten. „Down to zero“, nickt er zustimmend. Zero Mitleid in der Stimme. Hatte ich mir etwas Lob über das blitzweiße Deck erhofft, so werde ich bitter enttäuscht. Ich bin für Lob empfänglich, ist Achim doch schon sparsam, um nicht zu sagen knickerig, damit. Für Peter scheint Lob ein ganz unbekanntes Wesen zu sein.
So können wir keine Freunde bleiben, lieber Peter. ;-)

Das schneeweiße Deck lässt Peter nicht jubeln

Bei ‚dem Weißen‘ handelt es sich um Gelcoat. Unschleifbar das Zeug. Zumindest mit unserem Schwingschleifer. Normalerweise würde man das mit der Flex und einer 36er Scheibe brutal runter hobel. Eine Flex dürfen wir allerdings nur in der Halle mit Absaug-Anlage benutzen. Draußen ist Schleifen nur mit Staubsauger am Schwingschleifer erlaubt (und der Einsatz vom Staubsauger wird vom Werft-Chef auch kontrolliert, wie ich bereits feststellen durfte).

„Umso glatter das Deck ist, desto weniger Arbeit haben wir, wenn wir das Deck wieder aufbauen. Und ihr spart dadurch Geld.“  Da war es wieder. Schieb dem Kunden die Arbeit zu. Mach sie ihm schmackhaft und wedle mit der Geld-Möhre vor dessen Nase herum. Die Philosophie der Werft ist einmalig.

Hier dachte ich noch, dass ich bald fertig bin

Gefrustet widme ich mich zunächst unseren Fenstern. Dort klebt noch Zentimeter dick Kleber an den Umrandungen. Freiwillig kommt der nicht runter. Ich versuche es sanft. Ohne Erfolg. Also die harte Tour: mit einem Plastikschaber die dicke Schicht runter, dann mit 40er Sandpapier den Rest vom Gummikleber weg rubbeln. Schleifen kann man es nicht nennen. Die dabei entstehenden Rillen schmirgel ich erst mit 100er, dann mit 180er nach. Der Rest ist Schönheit: 280er und mit 400er nass. Die werden wie neu. Aber erst, wenn sie wieder abgedichtet sind, so denke ich.

Fenster – das Schwarze muss runter

Apropos abgedichtet. Es regnet jetzt häufiger. Da die Fenster nun ihrer Dichtungen beraubt sind, tropft es natürlich rein. In der Nacht vom Montag hat es solche Mengen geregnet, dass diese es als eine Meldung in die Nachrichten schaffen.  Örtlich über 450 mm. Bei uns „nur“ 150 mm. Tropf, tropf, tropf. Ins Vorschiff, ins Bett. Achim dichtet alles ab so gut, wie es eben geht. Es fehlen jetzt auch schon diverse Klampen und Lüftungs-Hutzen an Deck. Die Anzahl an Löchern nimmt täglich zu. Überall kommt Tape rüber.

Am Heck ein zaghafter Versuch das ‚Weiße‘ runter zu schleifen

Dann zeige ich Peter noch die angerichteten Gelcoat Verletzungen und einige weitere Risse an den Fensterrahmen. „Das musst Du machen, bevor der neue Belag rauf kommt. Es sei denn, du rufst gleich nach Ärger.“ Dieser Peter.
Und wieso muss ich das eigentlich machen? Ich kann das gar nicht! „Kein Problem. Wenn du alle Stellen sauber gemacht hast und sie vorbereitet sind, dann komme ich, zeige dir an einem Platzer, wie es geht. Und den Rest machst du. Und ihr spart Geld.“ Er grinst und erklärt mir dann noch kurz, was er mit „vorbereitet“ meint und zieht von dannen.  Ich google noch mal nach, was von mir erwartet wird. Und widme mich vorläufig lieber dem ‚Weißen‘.

P.S. Unsere neuen Nachbarn – die Venture Lady – die wir bereits aus Tahiti kennen, bekommen ein neues Teakdeck. Das Alte wollen sie ebenfalls selber abreißen. Andy und Alison sind gerade dabei Muster zu erstellen für die neuen Holzleisten. „Alles, was ihr selber machen könnt, spart euch Geld“, lautete die Ansage. :mrgreen:

P.S. 2 Abends haben wir Körper. Aber abends haben wir auch Gin and Tonic. Es hat sechs Wochen gedauert, bis wir auf die Idee gekommen sind, den Weft eigenen Gefrierschrank sinnbringend zu nutzen. Wir haben uns einen Eiswürfelbehälter gekauft und ab sofort Zugang zu Eiswürfeln. Wann hatten wir das zuletzt? Das Leben kann so einfach und so herrlich sein.

Work hard – play hard Freitags jetzt immer after-work-party auf Atanga


9

Grüße von der Baustelle

Mo.,31.Jan.22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2802, 24.688 sm von HH

Das Vorschiff ist frei von Holz – an den gut zugänglichen Stellen. Reste gibt es nur noch dort, wo irgendetwas auf Deck montiert ist. Der Mast zum Beispiel. Oder tragende Teile, wie die Wanten. Der Mast soll zwar demnächst runter, aber so recht findet sich auf der Werft kein vernünftiger Platz dafür. Eine Schwachstelle von Norsand, dass sie kein gutes Masten-Lager haben.

Das Deck ist Holz frei – nur hinterm Cockpit gibt es noch ein wenig Fläche

Die Relings-Füße stehen auch noch auf dem Teak. Da bin ich ganz froh drüber. Mit Reling ringsherum arbeitet und wohnt es sich in über drei Meter Höhe noch mal so sicher.
Klampen und Genua-Schienen haben wir zunächst auch ausgespart. Das macht uns zwar mehr Arbeit darum herum zu arbeiten, aber die Demontage dieser Teile hinterlässt dicke Löcher im Deck. Diese dürfen wir nicht schließen, weil wir sie später wieder verwenden wollen. Außerdem müssen dafür im Schiffsinneren die Deckenverkleidung abgeschraubt werden. Dafür müssen Schränke und Kojen leer geräumt werden. Und deshalb bin ich dafür, dieses Chaos noch etwas hinaus zu zögern. :mrgreen:

Jetzt wo das Vorschiff Holz frei ist, hat Achim die A-Karte gezogen. Er klopft das Holz an den Seiten weg. Unmöglich sich dort anständig zu bewegen. Im Stehen gegen den Strich hämmern – nein, die Kraft habe ich nicht. Wir machen das zur Chef-Sache. Ich bekomme  im Gegenzug „ehrenvolle“ Aufgaben: die Umrandungen weg zu klopfen. Möglichst so, ohne Schäden am Gel-Coat und den Fensterrahmen zu hinterlassen.

An den Seiten ist es Quälkram

in jeder Position – es ist einfach zu wenig Platz vorhanden

Das Stecheisen ist inzwischen eine Art Freund geworden. Ein tolles Werkzeug. Aber auch brandgefährlich. Der Winkel in dem man es hält, entscheidet zwischen Sieg und Niederlage. Richtig angesetzt, rutsch es unter den Kleber und malt glückliche Gesichter. Stimmt der Winkel nicht, gibt es hässliche Löcher im Deck. Die sind nicht so tragisch, weil sowieso noch geschliffen und gespachtelt wird.  Aber ein (unnötiger) Arbeitsgang mehr. Es gibt Löcher von uns beiden – nur mal so. Fürs Protokoll.

Das Stecheisen – Freund und Feind in einem Werkzeug – hier Freund

Schwerer wiegen da Verletzungen am Gelcoat. Gelcoat ist ein Polyester-Harz, was zur Versiegelung eines GFK-Rumpfes oberhalb der Wasserlinie dient. Auch unser Cockpit hat einen Gelcoat-Überzug. Solche Schäden auszubessern, dazu braucht man viel Erfahrung und Geschick. Einfach mit Lack überpinseln geht leider nicht. Bei der Atanga-Crew ist diese Erfahrung nicht ausgebildet. Für die zwei peinlichen Abplatzer am Cockpit (beide von mir – jaaaa – auch fürs Protokoll) müssen wir nun Jemanden finden, der das beseitigen kann. Aber das ist Schönheit. Das kommt ganz zum Schluss.

Ärgerlicher Gelcoat-Abplatzer – Shit happens – das Stecheisen – dein Feind

Die zweite „ehrenvolle“ Aufgabe ist das Abschleifen der schwarzen Kleber-Reste. Ein ganz guter Job. Man sieht, was man schafft. Ich komme ganz gut voran. Da dürfte ich bald Achim hinten am Holz eingeholt haben.

So sieht es geschliffen aus – der schwarze Kleber ist runter


16

Wir werden House Sitter

Mi.,19.Jan.22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2790, 24.688 sm von HH

„Macht doch House Sitting“, rät uns unsere Nachbarin Carla als wir mit ihr über eine Unterkunft außerhalb vom Schiff sprechen. Spätestens wenn wir in der Halle sind, dürfen wir nicht mehr an Bord wohnen und brauchen eine Ausweichunterkunft. Da bringt Carla das House Sitting ins Spiel.
Vielleicht ist es auch ganz angenehm schon früher das Boot zu verlassen. Im Augenblick hält sich das Chaos an Bord zwar noch in Grenzen, weil wir nur an Deck arbeiten und das halbe Cockpit als Lagerraum für unser Werkzeug nutzen können, dank dauerhaft aufgebauter Kuchenbude. Vom Wetter her wäre das eigentlich nicht nötig, im Gegenteil – häufig ist es viel zu heiß in der Bude, aber das gibt Entspannung unter Deck.

House Sitting, hm, wir wissen nichts darüber. Ich mache mich schlau und werde Mitglied (52 Euro Jahresgebühr) auf der größten House Sitting Seite in Neuseeland. Was mir dort an Angeboten entgegen prasselt, beeindruckt mich. Whangarei ist mit 50.000 Einwohnern ja eher eine Kleinstadt, trotzdem finde ich sofort zehn verschiedene Angebote im Umkreis von dreißig Kilometern.  Zum Vergleich: eine entsprechende Seite für Deutschland bietet 32 Annoncen für die gesamte Republik. Ich hatte nicht gewusst, dass es solche Angebote zu Hause überhaupt gibt. Aber im Kiwi-Land scheint House-Sitting sehr beliebt zu sein.

Das Prinzip ist einfach. Menschen, die in den Urlaub fahren, brauchen jemanden der sich um Hund, Katze und die Hühner kümmert. Manchmal wird auch Rasen mähen und Unkraut puhlen erwartet. Dafür darf man kostenlos in deren Haus wohnen. Voila.
Ich melde mich bei einem Paar mit zwei Hunden und einem zu gießenden Kräuter-Beet. Prompt trudelt eine Antwort rein, wir sollen übermorgen vorbei kommen.

Wir haben keine Idee, was uns erwartet. Geschniegelt und mit sauberen Fingernägeln fahren wir vor. Ein großes Haus in steiler Hanglage. Sechs Lämmer grasen auf der dazu gehörigen Wiese. Ruhige Lage mit tollem Blick in die Berge.

Unser Heim für zwei Wochen mit Auto nur für den HUndetransport

Der Blick von einer (!) der Terrassen

Ich bin innerlich auf eine peinliche Befragung eingestellt, ähnlich wie bei einem Vorstellungs-Gespräch. Auf das unerträgliche „Warum wollen Sie ausgerechnet in unserem Unternehmen arbeiten?“, bereite ich mich vor mit „weil Hunde meine Lieblingstiere sind.“ Hoffentlich wächst mir keine Pinocchio-Nase – bin ich doch Team Katze.
Graham und Julie sind nett und unbefangen. Auf der Terrasse gibt es ein kaltes Getränk und wir lernen die Hunde kennen.  Der Liebling der Hausherrin ist Marley. Ein Cockerspaniel. Zwölf Jahre alt und auf einem Auge blind. Sally ist ein Mischling, 14 Jahre alt und von Geburt an taub. Und beide haben Arthrose. Was für ein Gespann. ;-)
Morgens  (früh, sehr früh – am liebsten schon um 6:00 Uhr) werden die beiden zum nahe gelegenen Park gefahren. Im eigens dafür zur Verfügung stehenden Hundeauto. Die Hunde sind nach zwanzig Minuten erschöpft und wollen dann wieder heim. Das war’s.  Mehr müssen wir nicht machen mit den Tieren. Allerdings sind sie ständig Graham um sich gewöhnt, so dass wir sie nur vier Stunden am Tag alleine lassen dürfen.
Okay, das klingt machbar.

Ich staune. Nach einer Stunde Plauderei ist alles klar. Keine Bedenkzeit seitens unserer Gastgeber. Kein Zögern. Keine Geheimabsprachen oder Zeichen. Ich hatte erwartet, dass wir auf Herz und Nieren geprüft würden. Schließlich überlässt man total Unbekannten das eigene Haus und die geliebten Hunde. Dass wir unsere Zuverlässigkeit irgendwie beweisen, mit Geschichten vergangener House Sittings aufwarten müssten. Nö, nichts dergleichen. Handschlag: „Wir sehen uns am 13. Februar. Dann bekommt Ihr eine Einweisung ins Haus, eins unserer Lämmer hat es bis in die Gefriertruhe geschafft, wir braten eine Keule und am nächsten Morgen zeigen wir euch die Parkrunde mit den Hunden und dann fahren wir in den Urlaub. Einverstanden?“
Ja, einverstanden. Das wird spannend.


34

Gleichzeitig Zyklon und Tsunami

So., 16.Jan.22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2787, 24.688 sm von HH

Dass Zyklone im Westpazifik auch Neuseeland treffen können, war uns bekannt. Dass jetzt schon der zweite seit unserem Aufenthalt vorbei schrammt, überrascht dann doch. Die Vorhersage des ersten Zyklons im Dezember hat keine  Aktivitäten auf dem Yard hervorgerufen. Diesmal kommt ein Mitarbeiter der Werft vorbei, der die Keile unter den Schiffen festklopft. Ob mich das jetzt beruhigen soll? Ich weiß es nicht.

Diese Keile werden nachgeklopft – Sie halten den Balken, der unseren Bug stützt

Dann am nächsten Morgen die Entspannung und Entwarnung: Zyklon Cody geht in gutem Abstand an uns vorbei. Es werden allerdings „gefährliche Bedingungen an den exponierten Ostküsten der Nordinsel, mit hohen Wellen und Küstenüberschwemmungen erwartet“.

Vergangene Laufbahnen der Zyklone in Neuseeland ( Fotocredit: Wikipedia)

Zyklon Cody in Anmarsch

Zeitgleich mit der Wellenwarnung kommt eine Tsunami-Warnung rein. Die Explosion des Vulkans auf Tonga ist dafür verantwortlich. Der Tsunami kann Atanga auf ihrem Standort nicht gefährlich werden. Zu weit stehen wir im Landesinneren. Unsere Segelfreunde, die in der Bay of Islands ankern, berichten uns dann auch nur von ein paar ungewöhnlichen Strömungen, die heftig am Anker gezogen haben.

Am schlimmsten trifft es die kleine Marina in Tutukaka, die wir noch vor zwei Wochen besucht haben. Das geschützte, natürliche Hafenbecken wird vom Tsunami quasi leer gesogen. Dann kommt das Wasser mit aller Kraft zurück. Angeheizt von der Brandung durch den Zyklon. Etliche Boote reißen sich los, einige sinken.
Fünf Tage später wird ein Katamaran zur Norsand Werft geschleppt. Er ist manövrierunfähig. Als er aus dem Wasser gehoben wird, werden die Schäden sichtbar. Aus einem Rumpf läuft das Wasser. Der Kiel ist komplett aufgerissen. Das Dinghy am Heck ist wie ein Spielzeug zerquetscht worden. Die Aufhängung dafür, die Davids, sind eingedrückt. Der Katamaran soll von den Wellen auf ein Angelboot gehoben worden sein. Zumindest hat man entsprechende Spuren vom Antifouling auf dem Motorboot gefunden.
Fünf kleinere Boote werden in Tutukaka noch vermisst. Liegen irgendwo am Meeresgrund.
Zum Glück sind dies die größten Schäden, die Neuseeland zu beklagen hat. Der Zufall von Zyklon und Tsunami ist vor Ort glimpflich abgelaufen.

Der kleine Hafen von Tutukaka – zwei Wochen vor der Tsunami-Zerstörung

Wir fahren am nächsten Tag zum nahe gelegenen Strand an den Whangarei Heads, um uns die hohen Wellen anzuschauen. Hundert Meilen vor der Küste werden sechs Meter gemeldet. Wir finden noch ein aufgepeitschtes Meer, aber die anrollenden Brecher haben an der flachen Küste Neuseelands ihre Schärfe verloren.

Aufgewühltes Meer an den Whangarei Heads

Ein Surfer versucht sein Glück – vergeblich – gegen drei Meter Wellen kommt er nicht gegen an

Im windgeschützten Fluss ist davon nichts zu merken


31

Die Schrauben müssen raus

Sa., 15.Jan.22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2786, 24.688 sm von HH

Vielen Dank für all die guten Tipps, die Ihr uns gesendet und kommentiert habt. Viele bezogen sich auf unser Schrauben-Problem, daher ein paar erläuternde Details: Üblicherweise wird ein Teakdeck geschraubt und geklebt. Dabei wird das Deck vollflächig mit Kleber bestrichen und die Leisten mit Schrauben zusätzlich ans Deck geschraubt. In der Mitte der Leisten. Über die Schrauben werden Holz-Stopfen eingeklebt, die dann bündig mit der Teakoberfläche abgeschliffen werden.
Solche Schrauben haben wir auch, allerdings nur an den Scheuerleisten und in Umrandungen an Luken und ähnlichem. Bei allen anderen Flächen hat man bei Atanga Schrauben ins Holz in den Fugen gedreht und mit Fugenmasse den Mantel der Unsichtbarkeit darüber gelegt.
Diese Schrauben sind erstmals bei unserem eigenen Refit der Fugen im Winter 2010 aufgetaucht. Teakdeck Refit | Atanga  Bis dahin dachten wir, dass unser Deck nur geklebt sei. Bei der damaligen Vertiefung der Fugen haben die Schrauben zum größten Teil ihren Kopf verloren. Darüber haben dann auch wir mit Fugenmasse den Mantel der Unsichtbarkeit gelegt. :mrgreen:

Jedes X ist eine sichtbare Schraube – daneben gibt es noch die im Verborgenen

Da Achim einfach mehr Fläche schafft als ich, haben wir unser System geändert. Er macht Masse. Ich breche zunächst auch Holz vom Deck, aber sobald Achim einen gewissen Vorsprung herausgearbeitet hat, fange ich mit dem Ausputzen unserer Flächen an. Ich befreie die stehen gelassenen Schrauben komplett vom Holz. Dann biege ich die krummen Hunde grade und sie bekommen einen Hammerschlag an die Seite und einen auf den Kopf. Das bricht ihren Halt und sie lassen sich dann ganz passabel mit der Kombizange herausdrehen. Ungefähr jede zehnte Schraube zeigt Widerstand. Ursprünglich zu schräg eingeschraubt, wehren diese Gesellen sich mit jeder Gewindeumdrehung.
Die vielen Schrauben sind der Grund dafür, warum wir kein „schweres Gerät“ benutzen. Pressluft-Spachtel, Multi-Tools oder ähnliches. Wir würden alle Schrauben abscheren. Das passiert sogar mit Stecheisen und Hammer noch häufig genug. Diese Schrauben müssen wir alle ausbohren …

Stehen gebliebene Schrauben zum Ausputzen fertig

Die Schrauben sind Werkzeug-Killer

Die Schrauben freie Fläche ist jetzt noch mit Kleber voll geschmiert. Der ist auch nach über dreißig Jahren noch elastisch und macht was er machen soll: er klebt wie Teufel am Deck. Von alleine kommt das Zeug nicht runter. Es muss aber runter, da das Deck am Ende noch geschliffen wird und sich der Kleber sich nicht schleifen lässt.

Der Kleber muss ebenfalls runter

In Streifen verklebt – Pfusch am Bau

Wo die Schrauben saßen haben wir offene Löcher. Die müssen noch am gleichen Tag zu, damit es dort nicht rein regnen kann. Allerdings kommt vor „zu“ erstmal größer bohren, damit wir die Löcher anständig füllen können. Nach dem Bohren folgt das Aussaugen der Löcher und mit Aceton ausreiben, damit das Epoxid gut haftet. Epoxid ist ein Zwei-Komponenten-Füller, der möglichst exakt gemischt werden muss, damit er weder zu schnell oder zu langsam aushärtet.
Das kann man recht ungenau von Hand mischen oder man benutzt ein Pumpen-Misch-System. Diese sind leider aasig teuer. Jetzt kommt Glück ins Spiel. Auf dem Werft-Bauhof gibt es drei dieser Pumpensysteme. Von dort können wir uns im Joghurt-Becher unseren täglichen Hub abholen den wir benötigen. Gleich perfekt gemischt – wie wir es wollen, slow, very slow oder normal aushärtend. Wir nehmen slow, unserem Arbeitstempo angemessen. :mrgreen:
Der Bauhof-Meister notiert die Anzahl unserer Hübe (Epoxid ist ebenfalls aasig teuer) und wir bekommen nur das Material in Rechnung gestellt.

Mit einer Art Holz-Eis-Stil füllen wir dann die Löcher. Bitte nicht überkleckern, das Epoxid wird eisenhart und  ist schwer zu schleifen. Ungefähr hundert Löcher legen wir am Tag frei. Ein Viertel unserer Arbeitszeit geht nur für die Löcher drauf.

Epoxid kommt in die aufgebohrten Löcher

Das Herz blutet. Wir schleppen Holz im Wert von tausenden von Euros von Deck. Denn die Dicke der Leisten ist noch gar nicht so schlecht. So betrachtet hätte das Deck sicher noch fünf, sechs Jahre gehalten.  Vielleicht sogar länger. Aber die Leisten haben angefangen längs zu reißen, dicht neben den Fugen. Es ist möglich, dass die Schrauben daran nicht unschuldig sind.
Außerdem wurde das Deck nicht vollflächig geklebt, wie man schön an den schwarzen Kleber-Spuren sehen kann. Ausgerechnet unter den Fugen fehlt der Kleber. Schöne Kanäle, in denen das Wasser seinen Weg finden konnte. An einigen Stellen stoßen wir tatsächlich auf unterwärts angerottetes Teak. Sehr, sehr ärgerlich.

Aber wir kommen voran. :-)

Schmale Risse gut zuerkennen neben den Fugen – die gehen durch bis nach unten

Arbeit im Liegen hat mein Vater immer gesagt – kann ja so schwer nicht sein

Das Rätsel der Falten um den Mund ist geklärt – es sitzt sich nicht überall so gemütlich wie beim Chef

 


7

Das Teakdeck muss runter

Di., 11.Jan.22, Neuseeland/Whangarei, Tag 2782, 24.688 sm von HH

Wir hätten gleich stutzig werden sollen, dass dies keine Ponyhof-Arbeit sein könnte.  Alle Werftjungs, die für diese Arbeit eingesetzt werden könnten, reagieren so: „Arbeitet ruhig so viel selber, wie ihr wollt. Alles, was ihr macht, spart euch ordentlich Geld.“  Hallo?
Achim holt sich bei Terry, dem Holzexperten in Norsand, ein paar Ratschläge – welches Werkzeug ist am besten, wie geht ihr normalerweise vor? Diese Tipps gibt er an mich weiter und wir kaufen das empfohlene Brecheisen. Ich beginne zunächst alleine mit den Arbeiten (der Skipper hat leichte Arbeit im kühlen Schiff – der Thermostat vom Kühlschrank macht Ärger).

Ich fange mit dem Deckel vom Ankerkasten an. Den kann ich abschrauben. Vielleicht hilft diese Möglichkeit ihn drehen zu können, um eine Idee zu bekommen, wie das Holz am besten runter kommt. Auf dem Deckel sind die Holzleisten nur geklebt, nicht geschraubt. Das macht es einfacher. Dass der Deckel schwingt, macht es schwieriger. Nach vier Stunden bin ich fix und fertig, aber der Deckel ist sauber. Am Nachmittag noch die Scharniere und den Deckelheber polieren. Abgearbeitet.

Da geht er hin – der Hanseat-Wal auf der Ankerkasten-Klappe

Und nachmittags werden die Scharniere poliert

Am nächsten Morgen kloppe ich irgendwo an Deck ein Loch ins Holz. Dort wo man mit dem Hammer gut ausholen kann. Die Teakleisten sind geklebt und geschraubt. Allerdings sitzen die Schrauben in den alten Fugen, nicht im Holz. Häufig schon ohne Kopf und unsichtbar. Einmal mit dem Stecheisen dagegen gedongelt, sofort ist der Hobel stumpf. Sie stehen auch nicht in einer geraden Reihe, so dass man sich ausrechnen könnte, wo die nächste kommt.
Ich klopfe und hämmere, hämmere und klopfe. Es ist schwer zwischen Gummikleber und Holz zu kommen. In Streichholzgröße fällt mir das Teak entgegen.

Terry kommt an Atanga vorbei und fragt freundlich, ob er mal schauen darf, was ich so mache. „Klar gerne, komm hoch!“ Er schaut auf mein schmales Stecheisen und das unbenutzte Brecheisen. Terry  möchte mir zeigen, wie ich es besser machen kann. Aber er hat die Rechnung ohne unsere Schrauben gemacht. Das Brecheisen bleibt stecken, damit kommt auch er nicht voran. Er greift zu meinem Stecheisen. „Wenn das so blöd bei euch ist, musst du das Holz brechen. Vielleicht auch mal quer zur Maserung schlagen.“ Er macht ein paar Probeschläge. In Streichholzgröße fällt ihm das Teak entgegen.

Das traurige Ergebnis nach Tag zwei – nur noch 48 Mal schlafen

Terry lässt mich wieder allein und macht seitdem einen großen Bogen um Atanga. Er duckt sich weg, nicht, dass wir doch noch auf die Idee kämen, die Arbeit an die Werft zu vergeben.
Ich klopfe und hämmere, hämmere und klopfe. Nach vier Stunden bin ich erneut fix und fertig. Jeder Körperteil tut mir weh. Ich spüre Muskelstränge, die ich an meinem Körper gar nicht kenne. Ein Viertelquadratmeter ist geschafft. Vierundzwanzig Quadratmeter haben wir. Bedeutet in 48 Tagen hätte ich das Teakdeck runter geklopft. Aber nur bei einem 8-Stunden-Tag. :mrgreen:

Hilfe naht an Tag drei in Form von Achim heran. Nun klopfen und hämmern wir Seite an Seite. Achim schafft eine größere Fläche als ich. War ja zu erwarten. Außerdem haut er sich auch nicht auf den Daumen, während meiner bereits zwei, drei Schläge abbekommen hat. Warum passiert ihm das nicht? Das muss was genetisches sein. Der Schmerz ist groß, aber für einen gelben Zettel reicht es nicht.

Mühsam kommen wir voran

Unsere Techniken werden besser an Tag vier. Das Stecheisen ist etwas schmaler als die Teakleisten. Wenn man es mittig an der Leiste anlegt mit der flachen (!) Seite nach unten, kommt man sowohl an den albernen Schrauben vorbei und wenn man Glück hat, schafft man auch mal ein Stück Leiste, die länger als zehn Zentimeter ist. Ab sofort wird das ‚piece of the day‘ – das längste Stück des Tages gekürt.

Mein Stück des Tages

Der Gewinner steht fest

Achim möchte „Strecke“ machen. „Damit man erstmal was sieht“. Das heißt, wir klopfen zunächst die bequemen, großen Flächen frei. Die Umrandungen an den Fenstern und die Kanten bleiben stehen. Ich würde es anders machen. Einfach und schwierig mixen, freue mich aber, dass man an Tag fünf schon „richtig“ was sehen kann.

Ergebnis nach Tag 5

Und was macht der Rumpf? Der trocknet vor sich hin. Dank des warmen, trockenen Wetters mit gutem Fortschritt. Peter, unser Rumpf-Schäler, kommt vorbei und misst die Feuchte. Hohe Werte sind zwar auch noch dabei, aber die 30er Alarmausschläge im roten Bereich sind verschwunden. Die gemessenen Werte werden mit Kreide am Rumpf notiert und ab sofort regelmäßig überprüft. Von 12 bis 27 Prozent Feuchte ist alles dabei. Das Ziel heißt 14 Prozent – Peter meint, dass es Ende Februar, vielleicht Mitte März soweit sein könnte. Bis dahin muss auch das Deck fertig sein :lol:, weil Rumpf und Deckaufbau zeitgleich in der Halle erfolgen sollen.

Feuchtigkeit im Rumpf


18

Ein Camping-Fazit

Di., 04.Jan.22, Neuseeland/Tutukaka, Tag 2775, 24.688 sm von HH

Unser letzter Campingplatz liegt wieder an der Ostküste – keine dreißig Kilometer von Atanga entfernt. Die Campingplatzdichte im Osten ist enorm, alle zehn Kilometer findet sich einer. Der Grund ist schnell ersichtlich: die Küste ist traumhaft schön. Halbmondförmige Buchten schmiegen sich zwischen schroffe Felsen. Die sind bewachsen mit Südsee-Myrte, gebogenen Kiefern und Buschwerk. Hinter jeder Ecke taucht eine neue Bucht auf – eine lieblicher als die nächste.

Eine Bucht

zwei Buchten weiter

Wanderweg die Küste entlang

Wohnen an der Küste – nur drei Nachbarn auf Kilometer

Kuh- oder Schafsweide

Ein Urlaubsparadies der ersten Güte. Das wissen auch die Kiwis. Es ist „voll“ in der Woche nach Neujahr. Der Campingplatz in Tutukaka ist sogar ausgebucht. Wir bekommen nur noch einen Platz beim Bauern auf der Wiese gleich nebenan zugewiesen. Aus „nur noch“ wird „besser geht’s nicht“! Kühe schauen uns beim Morgenkaffee tief in die Augen. Enten watscheln am offenen Zelt vorbei. Ein Perlhuhn-Pärchen streunt über die Wiese. Dann kommen auch noch zwei Laufenten vorbei. Zelten im Zoo. Wir teilen uns die Wiese mit vier, fünf weiteren Campern. Neue Duschen und Toiletten im Container extra aufgestellt für die abgeschobenen Bauern-Camper machen den Zeltplatz perfekt. Der Weg in die Gemeinschaftsküche ist etwas weiter, aber das nehmen wir gerne in Kauf.

Camping auf dem Bauernhof

Und dann kommt auch noch ein Pukeko vorbei – ein australisches Sumpfhuhn

Zwei Wochen waren wir campen. Und es war super. Okay, wir hatten die gesamte Zeit keinen Regen, das hilft, Camping mit Zelt schön zu finden. Das hat unser Zelt von einem ernsthaften Dichtigkeitstest bewahrt. Bereits beim ersten Aufbau habe ich ein Loch im Überzelt entdeckt. Kein mechanischer Schaden, sondern ein Webfehler. Anstandslos hat man mir das reklamierte Zelt umgetauscht. Ich hätte auch das Geld wiederbekommen, aber uns gefällt das Zelt, das wollten wir gerne behalten. Leider wissen nun noch immer nicht, ob es regendicht ist.
Unsere Campingstühle waren Mist. Bei den Armlehnen war der Stoff so knapp genäht, dass die erste Lehne an Tag drei abgerissen ist. Das Geld für diesen China-Schrott habe ich bereits zurück (anderes Geschäft).
Das Schlafen auf der Erde ging besser als erwartet. Die selbst aufblasenden Luftmatratzen waren ein guter Kauf für Oma und Opa Atanga. Warm und bequem – 5 Zentimeter dürfen es aber schon sein.

Schlafsäcke bis Null Grad – für den Chef eine extra Wolldecke und Kissen von Zuhause – die Luftmatratzen kann man auch aneinander knüpfen, wenn man möchte. Wir wollen nicht … ;-)

Als Fazit ist zu sagen, dass Camping im Prinzip wie Langstrecken-Segeln ist.
Statt Salz überall kleben zu haben, ist in kürzester Zeit alles mit Rasenschnitt übersät. Das Klappern von Dosen im Schrank bei Wellengang funktioniert auch mit Tellern und Wackeltisch im Kofferraum. Nach drei Tagen findet sich auch nichts mehr wieder trotz vorher generalstabmäßigen Planung, was wohin gehört. Bei Wind mussten wir unseren Wackeltisch am Baum festbinden, sonst wäre er abgehoben. Und kulinarisch erinnert die Kocherei auf der Erde an Woche drei auf Langstrecke. Wir müssen sehr den Hang zum Unbequemen haben. :mrgreen:
Entgegen des schlechten Rufs, dass man von den Mücken gefressen wird, wurden wir in Ruhe gelassen. Auf drei von fünf Campingplatzen haben wir Kakerlaken gesehen. Eine wollte es sich auch schon im Überzelt gemütlich machen. Aber hey, nur mittelgroße Schaben und nicht die Monster aus Südamerika und Tahiti.
Machen wir es wieder? Unbedingt! Aber bitte auch beim nächsten Mal wieder bei gutem Wetter. Dann braucht man auch keinen Campervan.

Kochen auf der Erde – hier mit Silvester Sekt

 


17

Rund um den Hokianga Harbour

So., 02.Jan.22, Neuseeland/Rawene, Tag 2773, 24.688 sm von HH

Unser nächster Campingplatz führt uns ins Inland. Weg von diesen ewigen Stränden. :mrgreen: Aber so einfach ist das nicht, denn der Hokianga „Fjord“ an dem wir in Rawene unser Zelt aufbauen, hat ebenfalls Strand. Bei Ebbe werden dort sogenannte Boulders freigelegt. Mannshohe Stein-Kugeln zusammengebacken aus Lehm und feinem Schlamm über einen geschätzten Zeitraum von fünf Millionen Jahren. Die fast perfekte Kugelform erscheint Menschen gemacht. Konkretion nennt sich diese Art des Zusammenklebens von Sedimenten, die über die ganze Welt verteilt zu finden sind. Allerdings selten in dieser Größe.

Piknik-Pause am Ufer vom Hokianga

Koutu Boulders

Ich musste mir einen Stein unterlegen und auf Zehnspitzen stehen

Der Hokianga ist mit 32 Kilometern Länge der größte Naturhafen Neuseelands. Er ist weit verzweigt und verästelt. Am Ausgang zum Meer ist er – wie in Neuseeland üblich – überreich mit Sandstränden gesegnet. Wir haben Glück, es ist zur richtigen Zeit Ebbe, so dass wir die Klippen hinunter kraxeln und die Landzunge am freigelegten Strand umrunden können. Was für eine Naturschönheit. Diese Farben. Wunderschön.
Die steife Brise aus Süden (brrr … Südwind ist immer kalt hier und verlangt nach langer Hose und Pulli), die uns seit gestern um die Ohren pfeift, peitsch das Meer ordentlich auf.

Mal wieder ein Traumstrand

Eingang Hokianga Hafen von oben

Einmal die Klippen runter

Der Eingang vom Hokianga Hafen

Die Windabgewandte Seite der Klippen

Die letzte Wanderung von Rawene aus führt uns in den Wald. Mal wieder Kauris. Einschließlich Schuhwasch-Schleuse am Eingang vom Wanderweg. Eine erstklassige Wanderung. Steil die Berghänge hoch und runter. Die Arbeiter vom DOC haben Tolles geleistet. Auf gut gebauten Stufen kämpfen wir uns die Treppen hoch. Es ist mehr ein Treppen-Hochhaus-Steigen als Wanderung. Über 600 Höhenmeter müssten wir überwinden. Einmal in die Spitze des One  World Trade Centers in New York – ohne Fahrstuhl – bitte. Das gibt Muckis in die Beine. Da der Weg so steil ist und die Kauri-Dichte hoch, kann man hier den Kauris in die Kronen schauen.

Der Anstieg erfolgt überwiegend über Holzstufen im Wald

Die Kauri-Dichte ist enorm

Baum-Liebe ;-)

Kauri-Krone

Wanderschuh-Waschanlage

Rawene selber ist ein kleines Cowboy-Nest mit Charme. Früher gab es hier mächtige Kauri-Sägewerke, die dem Ort einen gewissen Status verliehen haben. Heute ist man stolz, dass In Rawene Häuser von über einhundert Jahren stehen. Eine Seltenheit in Neuseeland. Daher wird alles, was nur den Hauch von Historik haben könnte, werbewirksam verarbeitet.

Aus dem Umland kommt man mit Trecker zum Einkaufen

Schöne Häuser in Rawene

Die historische Altstadt von Rawene ;-)


36

Die Freuden einer Gemeinschafts-Küche

Do., 30.Dez.21, Neuseeland/Ahipara, Tag 2770, 24.688 sm von HH

Nach zehn Tagen unterwegs als Camper sind aus uns Eis-Profis geworden. Statt dass wir uns Eiswürfel im Supermarkt kaufen, legen wir über Nacht Wasserflaschen in die Gefrierschränke in den Gemeinschaftsküchen. Die kommen morgens in unsere billige Kühlkiste und abends genießen wir ein kaltes Bier. Nicht immer sind die Wasserflaschen morgens durchgefroren. Das liegt an den Handy-Profis:  Solche, die den Stecker der Gefrierschränke herausziehen, um ihr Handy laden zu können. :roll:
Wurst und Käse legen wir in die Kühlschränke. Die Kühlschränke bekommen nur drei bis fünf von zehn möglichen Ekel-Punkten.  Das liegt daran, dass meistens von der Campingplatz-Leitung Nahrungsmittel einmal täglich entfernt werden, die kein Abreisedatum und Namen tragen. Und daran, dass die meisten Nahrungsmittel-Profis ihre Einkäufe in blickdichten Stofftaschen lagern. Da läuft nur selten was aus und alten Gammel gibt es auch keinen. Der Einsatz eines Lappens wäre mal schön. :mrgreen:

Geselligkeit in der Gemeinschaftsküche

Die Herde in den Küchen benutzen wir nicht. Auch nicht die Gasgrills, die zur freien Verfügung stehen. Wir haben unseren Colemen, der gute Dienste direkt am Zelt leistet. Da erspare ich mir den Arbeitsplatz mit ambitionierten Veganer-Köchen teilen zu müssen und in eine Diskussion über unser Fleisch zu geraten. Wenn die gesamten Grillplatten voll Mais und Auberginen liegt, bin ich mit meinen Hähnchenschnitzeln falsch.
Zudem ist es sehr hektisch zu den Hauptkochzeiten. Junge Mütter, kleine Kinder, genervte Väter – alle wuseln durcheinander. Da schnippel ich den Porree lieber an unserem Wackeltisch. Schon beim Kauf war klar, dass das Billigste nicht immer das Beste sein muss. :mrgreen: Der Tisch wackel wie ein Kuhschwanz. Wenn einer von uns Brot schneidet, muss der andere die Gläser anheben. Die Gläser halbvoll zu halten, ist die Kunst.

Den Abwasch machen wir dann wieder in der Gemeinschaftsküche. Für die meisten Lappen, Bürsten und Geschirrhandtücher verteile ich zehn von zehn Ekel-Punkten. Manchmal auch elf. Wir bringen unseren eigenen Kram mit. Dann braucht man nur noch die Essensreste der Vor-Abwäscher aus dem Abfluss puhlen und los geht’s. Auf den Edelstahlflächen findet sich meistens eine Stelle auf der man gefahrlos seine Sachen abstellen kann ohne dass sie festkleben. Alles in allem sind die Gemeinschaftsküchen kein Quell der Freude, aber überlebbar. :-)

Stilleben in der Küche elf von zehn möglichen Punkten

Den letzten Tag in Ahipara verbringen wir am Ende vom Ninety Mile Beach. Dort endet der Strand an ein paar Klippen, die wiederum in Sanddünen übergehen. Ewige Kilometer kann man dort um die Landzunge herum gehen. Allerdings nur bei Ebbe. Wir folgen den unvermeidlichen 4×4-Wagen, die an den Klippen entlangfahren. Wir haben die Tidenzeiten nicht im Kopf, aber solange die Autos uns noch überholen, wird es sicher sein.
Jetzt merken wir deutlich, dass die Urlaubszeit richtig begonnen hat. Wagen über Wagen fährt an uns vorbei. Zu Fuß geht außer uns nur zwei weitere Pärchen. Ein wenig nerven die Karren ja doch am Strand stellen wir fest. Ein wenig aus Neid natürlich auch. ;-)
Ein schöner Strand, diesmal durchwachsen mit Felsen. Über einen Mangel an Strand darüber brauchen sich die Neuseeländer nicht zu beklagen. Hier hat der liebe Gott sein Füllhorn großzügig ausgeschüttet.

Das südliche Ende vom Ninety Mile Beach in Ahipara

Bei Niedrigwasser kann man die Klippen umrunden

Am Ende warten erneut große Dünenfelder – über Sandmangel braucht hier keiner jammern

Urlaubsfreuden auf neuseeländisch

oder so

in jedem Fall am Wasser und mit dem Auto


21

Gumdiggers-Park

Mo., 27.Dez.21, Neuseeland/Ahipara, Tag 2767, 24.688 sm von HH

Ebenfalls gut von Ahipara ist der Gummdiggers-Park zu erreichen. Als Gum wird in Neuseeland das Harz der Kauri-Bäume bezeichnet. Am lebenden Baum fließt es gummiartig aus dem Stamm heraus. Die Maori haben es tatsächlich als Kaugummi benutzt. Sie wussten ebenfalls, dass es leicht entzündlich und gut zum Feuermachen zu gebrauchen ist.
Das Harz von im Sumpf versunkenen Kauris wird hart und ist dann im Grunde ein Bernstein. Allerdings nicht ein paar Millionen Jahre alt, sondern nur wenige 10-tausende. Die Werbung für den Park und auch der Name erzeugen den Eindruck einer Disney-Vergnügungs-Veranstaltung. Wir lassen uns nicht abschrecken. Und werden nicht enttäuscht.

Wie beim Bernstein bleibt auch schon mal jemand stecken im Harz

Logo vom Gumdiggers-Park

Der Gumdiggers-Park befindet sich auf einem Sumpfgelände in dem bis in die 40er Jahre nach dem Harz gesucht wurde. In den Wurzeln umgekippter Kauris hat man nach den wertvollen Brocken gebuddelt. Dabei wurde der gesamte Wald durchlöchert und umgewühlt. Bereits Anfang des neunzehnten Jahrhunderts  hat man erkannt, dass das Harz wunderbar zur Lack-Herstellung und für die Linoleum-Produktion zu verwenden war. 1814 gab es die erste Gum Verschiffung nach Australien. 1850 waren fast alle Klumpen, die an der Erdoberfläche lagen, eingesammelt und man musste mit dem Graben beginnen.

Der Park liegt mitten im Sumpfgelände – auch wenn der Bewuchs wie trockenes Buschland wirkt

Kauristämme - 150 Tausend Jahre alt. Noch immer lebendes Holz - keine Fossilien

Glückritter, gleich dem Gold-Rausch-Klondike in Nordamerika, kamen aus allen Herrenländern nach Neuseeland und schaufelten die halbe Nordinsel um. An Hängen fand man das Harz in einem Meter Tiefe, im Sumpf musste man bis zu vier Meter tief graben. Unter schwierigen Bedingungen lebten die Gumdiggers in winzigen Hütten, jahrelang von der Familie getrennt. Nicht selten wurden zweite Ehen mit Maori-Frauen eingegangen. Das Leben eines Gumdiggers ist elend und mit das Letzte, was sich ein Mensch aussuchen würde. – Zitat aus dem Bericht eines Gum-Aufkäufers 1898

In solchen Hütten haben die Gumdiggers gewohnt

In solchen Hütten haben die Gumdiggers gewohnt – diesmal als Foto

Hier kann man gut verstehen, warum die Arbeit als schwer beschrieben wurde

Gummdiggers beim Waschen der Chips

Der größte Brocken Fund, der bestätigt wurde, wog 25 Kilogramm. Im Sumpf fand man im Wesentlichen nur kleine Nuggets, die sogenannten Chips. Die Chips wurden zu Beginn mit der Hand aus dem Boden gewaschen. Anfang des 21. Jahrhunderts geschah das automatisiert.
Ende der 30er Jahre versiegte der Rausch. Das Gum wurde nicht länger in der Chemischen Industrie benötigt. Zurück geblieben sind Löcher und zerstörte Sümpfe auf der Nordinsel Neuseelands.

Kauri Gum unbehandelt

Der Gumdiggers-Park zeigt das Leben der Sucher und ist nebenbei noch ein Lehrpfad über die Fauna und Flora der Sumpfregion. Alte Kauri-Stämme, die man hier gefunden hat, liegen übereinander begraben. Riesige Kauri-Stämme, freigelegt von den Diggern. Die unteren Kauristämme sind bereits vor über 150.000 Jahren umgestürzt. Darüber liegen jüngere Kauris – erst vor 10.000 Jahren entwurzelt. Die Stämme liegen exakt in die gleiche Richtung ausgerichtet – allerdings liegen die Baumkronen der oberen Bäume an den Wurzeln der unteren Lage. Warum das so ist, ist noch nicht geklärt. Die Theorien reichen von Tsunami, Zyklonen, Kometen-Einschlägen oder Vulkan-Explosionen. Unglaubliche Energien müssen die Bäume umgerissen haben.

Die Beschreibungen und Beschriftungen im Museum sind toll – Daumen hoch für den Gumdiggers-Park (7,50 EUR pro Person). Ein paar junge Kauris, die dort stehen, geben endlich den Blick auf die Zapfen und Blätter frei, die sonst immer himmelhoch verborgen bleiben. Ein Kauri trägt sowohl weibliche als auch männliche Zapfen am gleichen Baum. Der Beschreibung nach dürfte der Zapfen auf dem Foto weiblich sein. Bis zur Vermehrungsreife benötigt der Zapfen fast zwei Jahre. Nach der Bestäubung dauert es weitere 20 Monate bis die Samen vom Wind davon getragen werden.

Fast kugelrunder weiblicher Zapfen eines Kauri


12

Hoch in den Norden nach Cape Reinga

Mo., 27.Dez.21, Neuseeland/Ahipara, Tag 2767, 24.688 sm von HH

Ahipara ist der ideale Ausgangsort, um an den nördlichsten Punkt Neuseelands zu fahren. Das Cape Reinga hat für die Maori eine besondere Bedeutung. Steht hier doch ein 800 Jahre alter Pohutukawa-Baum durch dessen Wurzeln die Seelen der Toten in den Ozean gelangen und sich dann auf den Weg ins Land ihrer Urahnen machen: nach Hawaiki-A-Nui. Der alte Baum steht windgebeugt auf einer kleinen Felsennase und soll angeblich noch niemals geblüht haben. Dabei ist gerade Hauptblütezeit dieser hübschen Bäume. Daher wird der Pohutukawa auch Christmas Tree in Neuseeland genannt. Ein schöner Anblick. Örtlich sind ganze Hügel-Hänge in rote Blüten getaucht. Oder die Fußwege und Straßen sind rot gefärbt von verwelkten Blütenblättern.

Auf dem kleinen Felsen steht der Pohutukawa

Blüten vom Pohutukawa

Am Kap merken wir das erste Mal, dass Weihnachtsferien sind. Ich würde es nicht Besucherströme nennen, aber doch ist was los auf dem Weg zum Leuchtturm. Im Norden der Nordinsel wohnen die meisten Maori, deren Anteil ungefähr sechzehn Prozent  an der Bevölkerung Neuseelands ausmacht. Somit treffen wir an diesem heiligen Ort überwiegend auf Nachkommen der Ur-Bevölkerung. Viele Frauen tragen ein Tā Moko. Das ist eine traditionelle Gesichts-Tätowierung. Bei den Frauen verläuft sie über die Unterlippe und das Kinn – häufig in Spiralformen. Für uns etwas ungewohnt. Von weitem sieht es aus wie ein dunkles Kinnbärtchen. Seit Jahren gibt es eine Wiederbelebung alter Traditionen der Maori mit zunehmender Tendenz. Der Kopf gilt als der spirituelle Mittelpunkt des Körpers, daher kommt den Gesichts-Tätowierungen eine besondere Bedeutung zu. Sogar die Außenministerin Neuseelands trägt ein Tā Moko. Nanaia Mahuta – Wikipedia

Über Strandmangel kann Neuseeland sich nicht beklagen – Bucht kurz vor dem Cape Reinga

Am Kap Reinga treffen die Tasmanische See und der Pazifik aufeinander, was  sich eindrücklich am kappeligen Wasser unterhalb der Steilküste feststellen lässt. Für die Maori ist dieser Ort die Zusammenkunft von Mann und Frau und die Schaffung des Lebens. Ein schöner Ort, gesäumt von kleinen Buchten und Stränden rechts und links. Dazu steht der aus dem Jahre 1940 stammende Leuchtturm attraktiv auf der Klippe. Bis 1987 wohnte hier noch ein Leuchtturm-Wärter. Heute läuft alles automatisch und mit LED.

Der Leuchtturm vom Cape Reinga

London ist der einzige europäische Entfernungsweiser – über 18000 Kilometer – wir sind ganz schön weit weg von zu Hause

Ein paar Kilometer hinter dem Kap beginnt der 90 Mile Beach. Ein Zugang zum Strand führt an riesigen Dünen entlang. Diese sind zum Teil über 150 Meter hoch und dehnen sich sechs Kilometer ins Inland aus. Vom alten James Cook bereits als „Desert Coast“ bezeichnet, sind auch wir beeindruckt, wie sich die Sandberge das Land erobern.
Aus einem Truck heraus kann man sich Surfbretter mieten und sich die steilen Dünen herunter stürzen. Das will ich unbedingt! Aber dann sehe ich, wie sich die Surfer Kilo weise den Sand aus der Unterhose schütten und verzweifelt in einem kleinen Bach versuchen den Sand aus der Kimme zu waschen. Oh, dann doch lieber nicht. :mrgreen: Wir begnügen uns damit das staubige Treiben zu bestaunen.

Die Dünen breiten sich aus und werden bald den kleinen Bach unter sich begraben haben

Die Giant Dunes – hier muss man 150 Meter hoch kraxeln

Endloses Dünenmeer

Ein schöner Spaß – bis man mit Sand zwischen den Zähnen und in der Hose unten angekommen ist

Nicht nur sehr steil – der Sand ist glühend heiß – der Surfbrettverleih hat auch Socken im Angebot

Üblicherweise fahren die Cape-Besucher dann am Strand in den Süden zurück. Fiedl kann das nicht. Er käme nicht mal durch den Bach. Und überall sieht man wieder Warnungen und Fotos von stecken gebliebenen Autos. Wir fahren also brav auf der Straße die hundert Kilometer zurück. Eine abwechslungsreiche Landschaft. Mal Buschland, dann Weideland oder wir können einen Blick auf die zerklüftete Ostküste werfen. Das mit Sand so gesegnete Neuseeland hat angeblich auch den reinsten ‚Silica Sand‘ der Welt. Dieser wird für die Glasherstellung in Auckland verwendet und leuchtet weit – wie ein Schnee bedeckter Strand.

Im Hintergrund leuchtet der Kieselerde-Sand


4

Strandvergnügen

So., 26.Dez.21, Neuseeland/Ahipara, Tag 2766, 24.688 sm von HH

Unser dritter Campingplatz (in Ahipara) liegt weit im Nord-Westen – am Anfang vom längsten Strand in Neuseeland. Wieder habe ich reserviert und wieder wäre es nicht nötig gewesen. Der Platz ist höchstens zur Hälfte belegt. Für unseren Geschmack mit über einhundert Plätzen ist er etwas zu groß, aber ganz nett in einem Misch-Kiefernwald gelegen. Wir haben Glück, es gibt sehr enge, dunkle Plätze ohne einen Sonnenstrahl, unser ist prima offen und doch mit Schatten. Es gibt auch ganz furchtbare Parzellen: in einem Bambus versammelt sich abends ein großer Schwarm Spatzen. Die Guano-Produktion riecht man noch dreißig Meter weiter. Dort könnte ich nicht campen, aber es finden sich auch hierfür Liebhaber.

Sonniges Plätzchen für unser Abendbrot

Die Kiwis lieben BBQ – bei unseren Nachbarn ist der Grill am Heck vom Wohnmobil größer als unser Zelt

Das Publikum in Ahipara ist komplett anders als in Baylyn. Hier kommen nicht die gediegenen Rentner-Ehepaare her, sondern hier tobt das Leben. Hier wird sich amüsiert. Gebucht von jüngeren Leuten. Alle wollen zum 90 Mile Beach – zum Baden (brrrr … 20 Grad) und zum Surfen, aber in erster Linie, um motorisiert am Strand entlang zu rasen. Während in Deutschland die Kinder mit dem Lastenfahrrad durch die Städte gefahren werden, lag bei den Kiwi-Kindern ein Mini-Crossbike oder ein Quad unterm Weihnachtsbaum. Vater fährt vorweg und die Lütten Vollspeed hinterher.

Die Kinder düsen mit Enduros oder Quads am Strand entlang – der Sand ist aufgewühlt von Spuren – eine Flut später ist alles wieder weg

Die Geländemaschine ist immer mit dabei – der Transport eigenwillig – in Neuseeland ist viel verboten – aber merkwürdige Dinge sind erlaubt

Wichtig in Ahipara für alle 4×4 angetriebenen Fahrzeuge

Schilder weisen drauf hin: am Strand gelten die Verkehrsregeln der Straße. Speedlimit 100 km/h. Um Rücksicht auf Spaziergänger und spielende Kinder wird gebeten. Was nach Chaos klingt, verläuft sich dann aber. Der Strand ist bei Niedrigwasser breit, und lang ist er sowieso. Genug Platz für alle da.

Genug Strand für alle da

Etwas abseits von der Zufahrt vom Strand hat man seine Ruhe

Ein wenig wie Nordsee

Ein weiteres Schild warnt davor mit normalen Pkws an den Strand zu fahren. Wir würden wohl auch gerne über den Strand donnern, aber Fiedl hat bereits etwas abgenutzte Reifen. 195er Slicks sozusagen. Fiedl ist für die Landstraße gut, auf den Highways macht er eine gute Figur. Da zieht er gut, läuft gut. Für ihn wäre auch German Autobahn das richtige. Aber durch den Mullersand durch den man an den Strand fahren kann, trauen wir uns nicht.
Wir genießen, ganz gediegenes Rentnerpaar, den Strand zu Fuß.

Richtig gut ist der Strand nur für 4×4 angetriebene Autos geeignet