Kategorie: Atanga

Nachruf

Mo., 05.Okt.20, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2318, 21.218 sm von HH

Mein Vater ist gestorben. Gert lebt nicht mehr. Trotz einiger altersbedingter Krankheiten kam sein Tod überraschend. Sein Leben lang wird man darauf vorbereitet, dass die Eltern vor einem sterben und dann ist es doch ein Schock. Gerne hätte ich meinen Vater im Mai noch einmal gesehen, aber der Corona-Wahnsinn hat das vereitelt.  Mein Leben lang habe ich meinen Vater Gert genannt, wie das gekommen ist, weiß ich gar nicht. Und jetzt kann ich ihn nicht mehr fragen. Er nannte mich ‚Schietbüdel‘ – auch noch als erwachsene Frau. Woher das stammt, kann man ahnen.

Seebär und Brummbär. Als junger Mann, vor meiner Geburt, ist Gert zur See gefahren als Schiffszimmermann. Ich habe als Kind an seinen Lippen gehangen und gelauscht. Seinen Geschichten gelauscht von haushohen Wellen, von Abenteuern, Freiheit und Fernweh und wurde infiziert. Ich habe von Sydney und Westafrika gehört, bevor ich zur Schule kam. Und an Heiligabend lief bei uns immer ‚Gruß an Bord‘, eine Radiosendung, die Matrosen tränenfeuchte Grüße von Mutti übermittelt hat. „Das Schiff kenn ich noch, den Käpt’n auch“, hieß es in den ersten Jahren. Diese Sendung lief auch noch, nachdem Gert niemanden mehr erkannte. Er war Äquator getauft, seefest und standsicher – ein echter Seebär. Dem Meer verbunden und mit Bergen nichts am Hut.

Brummbär und Seebär. Was konnte Gert brummig sein – warum vererben Väter eigentlich nicht nur ihre guten Seiten weiter? Laut in der Stimme war er in der Lage die ganze Elbe zu beschallen. Laut auch sein herzliches Lachen. Laut seine Freude, wenn er auf Feiern das Leben als ‚tau schön, tau schön‘ beschrie. Brummig, aber niemals bösartig. Brummig, aber immer den Schalk im Nacken – oder warum wettet ein erwachsener Mann, dass er fünfzig Eier essen kann?
Stets hilfsbereit und mit handwerklichem Geschick gesegnet. Nichts, was Gert nicht aus Holz bauen konnte. Er hat ein Haus gebaut und er hat für sich einen alten Schiffskutter ausgebaut, Möbel gezimmert, alte Sachen repariert und neue Dinge erfunden. Er hat uns beim Deck-Refit für Atanga geholfen und Schwalben-Nester und andere Spielereien fürs Schiff entworfen.
Und er war mit der richtigen Prise zivilen Ungehorsams ausgezeichnet: „Meine Haare wachsen während der Freizeit und während der Arbeit – also gehe ich jedes zweite Mal während der Arbeitszeit zum Friseur“.

Seine Asche wird in der Elbmündung verstreut. Das ist schön, er folgt dann unserem Kielwasser und braucht sich bei der ersten Tide nur etwas zu beeilen und kann uns bald eingeholt haben. Gemeinsam können wir dann weiterschippern. Zusammen mit Gert, der sich über unsere Reise mehr als alle anderen gefreut hat.

Brummbär und Seebär. Seebär und Brummbär.
In Liebe, Deine Tochter.

Gert am Tag unser Abreise mit Atanga

Und manchmal mache ich einfach die Augen zu, damit ich Dich sehen kann.

Die ganze Wahrheit – Teil 2

So., 04.Okt.20, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2317, 21.218 sm von HH

Natürlich hatten die anderen Recht. Natürlich stimmt die Aussage „hast du eine an Bord – wächst unter den Bodenbrettern garantiert eine Klon-Armee heran“. Die Rede ist von ‚Periplaneta americana‘ – der Amerikanischen Großschabe. wie alles begann
Im Januar hatten Achim und ich unter Einsatz von List und Tücke das vermeintlich letzte Exemplar an Bord weg gefangen. Wir wähnten uns bis zur Ankunft auf Gambier sicher.  Keine Amerikanischen Freunde mehr zu sehen.
Ungefähr vier Wochen später sah ich ein klitzekleines Insekt über die Kühlschrank-Klappe laufen. Zack, und Matsch! Drei Tage später wieder eines dieser Krabbelviecher. Eine genaue Untersuchung ergab keinen Zweifel:  eine Amerikanische Großschabe in Miniatur-Format. Auf Gambier gibt es keine Mittel gegen Kakerlaken zu kaufen, also blieb uns nichts anderes übrig als unsere letzten – seit 2017 abgelaufenen – Kakerlaken-Hotel-Fallen aufzustellen.  Erfolglos, unsere Kakerlaken lachten sich über das alte Gift kaputt und zeigten sich unbeeindruckt. Also konnten wir die sechs Monate auf Gambier prima den Entwicklungsfortschritt von Periplaneta verfolgen. Wie schnell die wachsen. Gru-se-lig! Hin und wieder konnte Achim eine erlegen und er wurde nicht müde zu betonen, dass ‚dies aber nun wirklich die letzte gewesen sei!‘ :mrgreen:
Natürlich hatten die anderen Recht. Natürlich war es nicht ‚die Letzte‘. Natürlich fand ich weiterhin Reste von ihren Panzern, mal einen Fühler oder ein Bein und natürlich ihren Dreck. Sechs Monate mussten wir uns in ungewollter Koexistenz Atangas Pantry teilen.

Damit ist nun Schluss. Natürlich hatten die anderen Recht, ‚das einzige, was hilft, was wirklich hilft, ist Borsäure‘! Das kann man in Papeete in der Apotheke in großen Mengen kaufen. Das Pulver mixe ich seit fünf Wochen mit Milchpulver (oder auch mal mit Kartoffel-Stampf) zu einem lecker Brei. Ein Schuss Zucker dazu, denn spätestens seit Edgar, der Schabe aus MIB, weiß man Bescheid – Kakerlaken lieben Zucker.
Damit unsere Amerikaner sich auch eingeladen fühlen von meinem Mix, habe ich ihnen aus Klopapier-Rollen kleine Hotels gebaut. Man möchte ja nicht unfreundlich erscheinen.

Ein Hotel für unsere Amerikanischen Freunde

Und was soll ich sagen? Hehehe, es wirkt. Vorzüglich! Nach vier Wochen tauchten die ersten Leichen auf. Mausetot auf dem Rücken liegend. Mal hier eine, mal dort eine. Inzwischen fast so groß herangewachsen wie ihre Eltern. Bäh! Es graust mich. Inzwischen habe ich alle Schränke auf den Kopf gedreht. Noch mehr Leichen. Hehehe. Über die Anzahl möchte ich kein Wort verlieren, natürlich hatten die anderen Recht, natürlich ist es eine Klon-Armee.
Noch etwas Geduld und noch mehr Brei für die Hotels und dann werden wir wohl hoffentlich bald komplett Kakerlaken frei sein.

Das Rätsel um den verschwundenen Wasserfall

Fr., 25.Sep.20, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2308, 21.218 sm von HH

Vor einem Jahr sind wir zum Kopf vom Wasserfall von Fautaua gewandert (Atanga berichtete). Diesmal soll es der Fuß des Wasserfalls sein. Zunächst sind beide Wanderwege identisch, nach der bekannten Gabelung zum Kopf vom Wasserfall *** folgen wir diesmal dem Flusslauf des Fautaua. Ein kleiner Trampelpfad führt parallel zum Fluss durch dichten Dschungel. Viele wohlbekannte Freunde wuchern hier im XXL-Format: Efeutute, Tradescantia oder Zebrakraut, diverse Korb-Maranten und Papyrusgras, Fleißiges Lieschen und natürlich Philodendron, der sich meterhoch an den Bäumen empor rankt. Es sieht aus wie in einer Zimmerpflanzen-Gärtnerei. Wir laufen recht ebenerdig, aber rechts und links werden die Berge steiler, die Schlucht enger.
Zunächst ist der Weg gut erkennbar. Steinmännchen oder mal ein Fetzten Stoff an einem Ast weisen den Weg. Dann führt der Pfad aus dem Wald hinaus zum Ufer vom Fautaua und wir werden mehrmals auf die andere Fluss-Seite geleitet. Achim in Wanderschuhen versucht es trockenen Fußes über Steine. Ich wähle den Weg des geringsten Widerstandes und der kleinsten Rutschgefahr und wate direkt durchs Wasser. Erfrischend, aber stellenweise doch tiefer als erwartet. Es dauert nicht lange, da habe ich einen nassen Hintern.

Achim versucht es trockenen Fußes

Stellenweise ist es so tief

dass es auch mal einen nassen Hintern gibt

aber angenehm erfrischend

Der Weg ist immer schwieriger zu finden. Auf den Steinen kann man ihn kaum noch entdecken. Ist das dort ein Steinmännchen oder liegt nur zufällig der kleine Stein auf dem Dicken? Wir arbeiten uns vorwärts. Nein, hier sind wir falsch, dort muss es weitergehen. Sieh mal, da hängt ein Zeichen! Wir krabbeln Steine hoch und Steine wieder runter und queren noch mehrmals den Fluss.
Und dann hört man ihn schon rauschen, den Wasserfall. Noch ein paar dicke Felsen liegen im Weg, dann haben wir ihn erreicht. Aber halt! Was ist das? Das kann doch unmöglich unser Wasserfall vom letzten Jahr sein. Wir gucken doof aus der Wäsche. Hat der Wasserfall sich verändert, können wir nur den unteren Teil von unserem Standort sehen? Sind wir gar am falschen Wasserfall?

Der große Fautaua Wasserfall

Niemals ist dieser kleine Wasserfall identisch mit dem im oberen Bild

Aus einer Rast und einem gemütlichen Picknick wird leider nichts. Es wimmelt vor kleinen Fliegen und sobald wir es uns gemütlich machen, fallen Zebra-Mücken über uns her. Und, Achim bemerkt es zuerst, der Himmel hat sich deutlich zugezogen. Wenn es jetzt zu regnen anfängt, dürfte der Wasserstand im Fluss schnell steigen. Er hat Recht, wir sollten zurück, ich möchte nicht durch brusttiefes Wasser zurück laufen müssen.

Also gibt es nur ein paar schnelle Fotos und wir treten den Rückweg an. Im letzten Drittes des Rückweges finden wir uns plötzlich auf einem steilen Pfad wieder, der in den Wald hineinführt. Der Trampelweg ist deutlich zu erkennen, aber wir kommen nur noch mit Hilfe der Hände vorwärts. Hier sind wir doch nicht gekommen, oder? Hm, ich bin mir sicher und bleibe wo ich bin, Achim quält sich noch ein Stück vorwärts bis zum Ende des Grats. „Hier oben geht es auf der anderen Seite mal richtig steil runter“, ruft er mir zu. „Senkrecht! Und du wirst es nicht glauben, da ist noch ein zweiter Fluss! Aber hier geht es definitiv nicht weiter.“
Sind wir falsch abgebogen und der Fluss auf der anderen Seite des Berghanges wäre der richtige gewesen? Wir drehen um und gehen zur Stelle zurück an der wir falsch abgebogen sind. Da, endlich, ein Steinmännchen und da, die Stein-Formation erkennen wir wieder, hier sind wir gekommen. Ab jetzt bleibt es einfach, wir finden sogar eine Lichtung ohne Mücken und dann gibt es auch endlich eine Brotzeit.

Gerettet, ein Steinmännchen zeigt uns den Weg

 

Auf kaum zu erkennenden Pfaden durch den Wald

oder am Fluss entlang

durch urige Landschaft

Das war eine tolle, abenteuerliche Wanderung (mit gutem Muskelkater zum Lohn), jedoch waren wir definitiv am falschen Wasserfall. Aber wir sind nicht die einzigen. In der Marina rätseln wir zusammen mit Doris und Wolf, wo sich der große Wasserfall verstecken könnte. Die beiden sind ein paar Tage vor uns genauso in die Irre gelaufen. Der Witz ist, dass sie vor fünfzehn Jahren schon einmal am richtige Wasserfall gewesen sind. Es gibt ein Beweisfoto davon.
Aber wo ist der Wasserfall heute? So ein hundert Meter Fall verschwindet doch nicht so einfach. Fragen über Fragen, ein Teufelskreis.

Das wilde und unberührte Innere von Tahiti

Vorbereitungen für die Weiterreise

Do., 24.Sep.20, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2307, 21.218 sm von HH

Da Neuseeland uns ja nun einen Strich durch die Rechnung macht, bleiben wir halt in Französisch Polynesien. Auch gut, die Marquesas kennen wir noch nicht und erscheinen uns als ein attraktives Ziel.

Der Beschaffungs-Marathon für die versorgungsarmen Inseln hat begonnen. Vor allem Ersatzteile für Atanga sind uns wichtig, um unser schwimmendes Haus am Laufen zu halten. Als erstes soll noch ein Paket mit einer neuen Membran für den Wassermacher zu uns. Die Membran liegt zu Hause bereits seit Monaten und ich wollte sie im Mai aus Deutschland mitgebracht haben. Da ein Paket unserer englischen Nachbarn per DHL innerhalb von einer Woche hier war, geht Achim frohgemut auf die Internetseite von DHL Deutschland und dort erscheint Französisch Polynesien in rot: ‚keine Lieferung möglich‘. Abgelegene Atolle, die kaum jemand kennt, wie Guam und Heard leuchten ‚grün‘. Achim glaubt an einen Programmfehler. Aber nein, die liebe Ulla, die in Deutschland mit unserem Paket zur Post geht, bekommt die gleiche Info: ‚keine Lieferung möglich – hat mit Corona zu tun‘. Aha! Viren kommen jetzt schon mit der Post? Nein, der Grund gibt mir prima die Gelegenheit noch etwas Neuseeland Bashing zu betreiben. ;-) DHL Deutschland schickt seine Pakete (grundsätzlich) über Neuseeland nach Tahiti. Die Kiwis haben aber jeden Flugverkehr hierher eingestellt – auch Frachtmaschinen. Warum DHL Deutschland sich nicht der Lieferkette über England oder Paris nach Los Angeles bedienen kann? Man mag nicht darüber nachdenken.

DHL Versand nicht möglich nach Französisch Polynesien – was Teil der EU ist

Die Membran soll aber hierher. Die ist uns für den Aufenthalt in den kleinen Atollen wichtig. Also besucht Achim einen Agenten, der für Ausländer die Verzollung von einkommenden Paketen übernimmt. Der Mann sieht kein Problem. Wir sollen das Paket nach Paris schicken lassen in sein ‚Büro‘ und von dort aus übernimmt seine Agentur den weiteren Versand. Voila, so einfach. Man muss auch mal bereit sein, die Spendierhosen auszuziehen, dann bekommt man auch sein Paket. Ohne den Versandt nach Paris kostet uns der Spaß ca. 350 USD. Aber nur, weil wir unter fünf Kilo bleiben. Sonst würde es teuer werden. :lol: Danke, Neuseeland.

Die Geschichten über Beschaffungen ziehen sich. Man bekommt auf Tahiti wirklich viel, aber die Puff-Preise schrecken ab. Achim ist auf der Suche nach Motor-Öl zum Ölwechsel, stinknormales 15-W40. Er bekommt fast einen Herzkasper vom Preis:  80 Dollar für fünf Liter Volvo-Öl.  Aber der gute Mann hat ja ein Fahrrad. Zehn Kilometer später und weit entfernt von jedem Schiffausrüster hält er schlichtes Hauruck-Öl für 33 Dollar in der Hand. Super!

Beim Schiffsausrüster schießen einem die Tränen in die Augen, man denkt das Geschäft ist pleite. Wer Tampen oder Fallen braucht, wird bitter enttäuscht. Fast alles ausverkauft. Zündkerzen? Fehlanzeige. Hier muss der Skipper wieder eine Radtour unternehmen, um fündig zu werden.
Auch in dem Geschäft in dem wir letztes Jahr noch unsere Ankerkette gekauft haben, steht man vor leeren Tonnen. Die Segelboote, die hier jetzt festhängen, rüsten auf. Die Boote, die nicht in Tahiti bleiben wollen, haben viele Meilen vor dem Bug. Alle Käufe und Ersatzbeschaffungen, die in Neuseeland erledigt werden sollten, finden jetzt vor Ort statt. Viele klagen über ihr schrumpfendes Budget – so war das nicht geplant. Das alles hättest du dir verdienen können, Neuseeland.

Neuseeland – eine Segler-Nation

Sa., 19.Sep.20, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2302, 21.218 sm von HH

Vorbei. Ende. Ausgeträumt.
Wir haben unsere Entscheidung getroffen und Neuseeland (für dieses Jahr?) von unserer Reiseliste gestrichen. Die vermutlich größte Segler-Nation der Welt hat kein Herz für Segler. Wir werden von der Regierung hingehalten und es werden immer neue Fußangeln nach uns ausgeworfen. Frau Premierministerin Jacinda Ardern und ihr Gesundheitsminister erkennen im Prinzip ‚Humanitäre Gründe‘ als Begründung für eine Einreise in ihr Land an. Nur leider hat bisher noch niemand herausgefunden, was als ‚humanitär‘ gelten könnte. Die herannahende Zyklon-Saison im Südpazifik ist es jedenfalls nicht! „Sollte ein Zyklon im Anmarsch sein, wo sich ein Schiff befindet, so bin ich bereit von Fall zu Fall zu entscheiden, ob ich eine Einreise genehmige“.  Der Gesundheitsminister übertrifft in seiner Plattheit durchaus noch unseren Bundes-Spahn. „Suchen Sie doch rechtzeitig Schutz in einem sicheren Hafen – zum Beispiel in ihrem Heimatland „.
Ein Schaden am Schiff, der hier nicht zu reparieren ist und dadurch bedingte finanzielle Einbußen oder gar der Verlust des Schiffes sind ebenfalls nicht humanitär. Und Frau Ardern sieht nicht, dass für die meisten Segler ihr Boot das zu Hause ist, sondern sie hält Segler für ‚privilegierte Reiche‘, denen sie kein Hintertürchen öffnen möchte, um ins Land zu schlüpfen. Es ist halt Wahlkampf.

Herr Minister, das sind die Flugbahnen von Zyklonen über einen Zeitraum von 25 Jahren im Südpazifik – nur mal so

Die Neuseeländische Regierung hatte aber trotz aller Bedenken kurzfristig die Dollar-Zeichen in den Augen und signalisierte, dass Schiffe, die einen finanziellen Vorteil von mindesten 30.000 Euro ins Land spülen, einen Antrag auf Einreise stellen können. Humanitäre Gründe zählen nicht – aber Geld ist willkommen. Pfui, schämt euch. Wir haben an einem Pilot-Programm teilgenommen und den Antrag gestellt, da wir in größerem Umfang Arbeiten am Schiff zu erledigen hätten.
Wir sind unter dem verlangten Betrag geblieben, aber das ist nicht der Grund, warum wir seitdem hingehalten werden. Das Konzept für die Quarantäne sei auf einmal nicht mehr ausreichend. Der ursprüngliche Ort könne die Auflagen nicht erfüllen, der Quarantäne-Steg an dem neu gewählten Ort sei jedoch zu kurz. Dabei ist die Quarantäne für Segler denkbar einfach, bringen wir unsere Quarantäne-Behausung praktischer Weise doch gleich mit. Außerdem wären wir ohnehin ungefähr drei Wochen auf See. Und müssten vor Abreise einen negativen Corona-Test vorweisen. Die neuen Argumente sind Ausreden, wie wir glauben. Solange noch Wahlkampf herrscht (bis Ende Oktober), wird hier keine Entscheidung getroffen werden. Und danach ist es für uns zu spät.

Die Seglergemeinde, die nach Neuseeland möchte, ist sauer. Ein britischer Kommentar hat die Premierministerin als ‚AdolfArdern‘ beschimpft. Wir finden die Entscheidungen der Kiwis schlicht unanständig. Zumal der Start für den berühmten ‚Americas Cup‘, der Mutter aller Segel-Regatten, planmäßig im Dezember in Auckland stattfinden soll. Das lässt sich die große Segler-Nation nicht nehmen. Dafür werden 110 (in Worten einhundertzehn) Team-Mitarbeiter mit Familie, Anhang, Tross und Kegel erwartet. Für uns ist das zweierlei Maß. Dann könnte man doch auch die ca. 250 Boote rein lassen, die jährlich im November nach Neuseeland möchten.

Ihren eigenen Landleuten gegenüber verhält sich die Regierung übrigens auch recht schäbig. Nach wie vor kommen die Kiwis nur häppchenweise ins Land zurück. Man muss nach der Ankunft in eine überwachte vierzehntägige Quarantäne und dafür gibt es nicht genug Plätze. Paare sind seit Monaten getrennt, ein Ende ist nicht in Sicht.
Eine Familie in Südafrika, der Vater mit einem Arbeitsvertrag in der Hand, hat ihr Haus und Hof verkauft, Hab und Gut in einem Container verpackt, der auf dem Weg nach Neuseeland war. Da kam Corona. Der Flug nach Neuseeland gestrichen und die Familie nur noch mit ihrem Handgepäck und den Klamotten am Leibe bekommt zu hören : „Ihr kommt hier nicht rein“.

Neuseeland erscheint uns als das ängstlichste Land im weltweiten Corona-Vergleich. Drei positive Tests in der Millionenstadt Auckland: Lockdown! Ein Infizierter im Supermarkt: Desinfektion des gesamten Geschäfts!  Die Maßnahmen werden in halbe Stufen eingeteilt: Level 2, Level 2,5, Level 3. Die Nachrichten überschlagen sich im Panik-Modus. Frau Ardern will die beiden Inseln partout Covid-19 frei bekommen. Koste es was es wolle. Leben mit dem Virus ist für sie keine Option. Ihr Volk kommentiert dies eher positiv. Aber es gibt auch spöttische Meinungen zu den Maßnahmen: „Wo bleibt eigentlich Level 2,49?“
Und der Inhaber eines Werftbetriebes in Neuseeland beteuert uns Seglern gegenüber sein Bedauern über die Entscheidungen. Gerne hätte er für die Yachties seine Tore geöffnet, so wird er wohl ein Jahr ohne Einnahmen bleiben. Hoffentlich kann er bis nächstes Jahr überleben.

Wir haben jetzt genug davon. Wir fühlen uns unwillkommen. Das gibt uns eine Ahnung, wie die Menschen auf Lesbos sich fühlen müssen. Wir haben vom Schwebezustand die Nase voll. Keine Entscheidung, ob wir am Boot noch in Tahiti etwas reparieren; ob wir Essen und Trinken für mehrere Monate bunkern müssen; ob Achim sich neue Schuhe kauft, die er eigentlich gar nicht mag; keine Entscheidung kann getroffen werden. Damit ist jetzt Schluss und das fühlt sich richtig gut an.
Neuseeland, du enttäuscht und kannst uns mal den Buckel runter rutschen.

Wer ein Gesetz bricht …

Mo., 14.Sep.20, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2297, 21.218 sm von HH

… darf sich nicht über eine Strafe wundern. Unser Gesetzesbruch besteht im Beschreien, dass  die ‚tu-was-Liste‘ so prima schnell kürzer wird. Soll man nicht tun. Nie. Niemals. Unter keinen Umständen. Prompt kommt Murphy um die Ecke in Gestalt von Achim. Einen kurzen Moment mit dem Fahrrad an Deck nicht aufgepasst, gegen die Sprayhood geschlagen und schon baumelt die Kunststoffscheibe lose in den Angeln. :roll: Okay, über kurz oder lang wäre es sowieso passiert: einsetzt stellen wir fest, dass die Nähte an den Fenstern morsch sind. Ich schaffe es locker mit dem kleinen Finger die andere Seite ebenfalls raus zu drücken. Der Stoff ist tip-top, nur die Nähte hat es mit den Jahren aufgelöst.

Und nun? Nach unseren letzten Erfahrungen mit dem Rigger soll die Sprayhood auf keinen Fall zum Segelmacher hier in Tahiti. Unsere Sprayhood ist ein Wunderwerk deutscher Handwerks-Kunst (Segel-Raap in Hamburg-Harburg war der Schöpfer). Keine Falte, keine Fehlnaht trübt die Optik. Das Ding passt auf den Millimeter genau und so soll das bleiben.
Daher wollen wir die Kunststoff-Scheiben nicht tauschen (lassen), sondern wieder einnähen. Dafür die Nähmaschine zu nutzen, ist uns zu riskant. Wir würden den Kunststoff so perforieren, dass er reißt wie Toiletten-Papier. Daher möchten wir die alten Löcher, sowohl in Stoff als auch im Kunststoff, wieder benutzen.

Das alleine zu nähen ist fast unmöglich. Wohin man zielen muss, erkennt man nur von der Seite auf der man sich befindet. Um sich die andere Seite der Naht in Sicht zu drehen, fehlt schlicht der Platz. Ein Einzelkämpfer müsste also nach jedem Nadelstich ums Cockpit herum laufen auf die andere Seite.
Wir wagen daher ein Ehegatten-Experiment. Wir wollen gemeinsam nähen. :mrgreen:
Gemeinsam an einem Werkstück arbeiten, auf engstem Raum, das muss nicht gut ausgehen. In diesem Fall hilft, dass wir durch die Scheibe getrennt sind.
Drei Tage, sechs krumme Nadeln und tausend Anweisungen später ‚mehr rechts – nein – das andere rechts; tiefer – tiiiefer einstechen; halt die Nadel senkrechter – weißt du, was senkrecht ist?; das kann doch nicht sein, dass du nicht triffst – hallo! – nicht da; Aaaachtung, du stichst daneben, mehr links‘,  ist es vollbracht. Wir sind zufrieden wie Bolle, haben uns nicht mal die Augen ausgestochen und haben eine Sprayhood, die so gut aussieht wie zuvor. Das war mal echtes Teamwork auf Atanga.

Achim sticht von außen

Wir wechseln häufiger mal die Position – alle Plätze sind aber gleich unbequem

Worked like machines – unsere Nähte

Von Ärzten, Experten und Stümpern

Fr., 11.Sep.20, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2294, 21.218 sm von HH

Tief in unserem Inneren haben wir Neuseeland eigentlich schon aufgeben. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber nun soll doch eine neue Brille her und die ersten Ärztebesuche seit zwei Jahren stehen an.  Wegen der Sprachbarrieren wollte ich das lieber bei den Neuseeländern abarbeiten, aber alle Befürchtungen waren unbegründet. Die jungen französischen Ärzte auf die ich treffe, sprechen ausgezeichnet Englisch. Die Praxen wirken modern, sauber und aufgeräumt. Wartezeiten gleich null. Innerhalb weniger Tage bekomme ich überall Termine. Auch ein Besuch in einer ambulanten Klinik verläuft ebenso leichtgängig. Blutabnahme, Röntgen und einen Arzt finden, der die Diagnose stellt, alles ist innerhalb einer Stunde erledigt. Das Ergebnis ist erfreulich: die Patientin ist gesund, lediglich alt geworden. :mrgreen:

Den richtigen Optiker zu finden, ist schon schwieriger. Es gibt in der Innenstadt zwar vier, fünf Geschäfte, aber nicht alle Gespräche verlaufen erfreulich. In einem Laden erkennt der ‚Optiker‘ trotz Einsatz eines ‚Lesegerätes‘ nicht, dass ich Gleitsichtgläser trage. Aber dann werden wir doch fündig und geraten an eine kompetente Dame. Die neuen Gläser sollen in ca. drei Wochen aus Frankreichreich eingeschickt werden.

Und dann ist da noch unser Rigger. Achim konnte ihn am Ende doch überzeugen, dass der Tausch des Vorstags prima hier in der Marina erfolgen kann. Da unsere Fock von einer unüblichen Rollanlage (Reckmann – Technik vom Feinsten, aber recht selten auf Schiffen zu finden) aufgerollt wird,  hat der junge Mann bereits vor drei Wochen die Gebrauchsanweisung dafür erhalten. Statt einer Pressung oben im Masttop, so wie wir es jetzt haben, hat Achim bei ihm eine Starlock-Verbindung bestellt. So weit, so gut.

Pünktlich erscheinen Rigger Jonathan und sein Gehilfe Tetuanui. Als erstes gehen die beiden ans Werk, um durch Lösen aller Wanten Spannung vom Vorstag zu nehmen. „Halt, stopp, nicht nötig!“, kann Achim helfend einschreiten, „Die Rollanlage hat eine Spannschraube, damit wird das Vorstag gelockert“, hilft er den beiden. „Der Spaken hat sich doch gar nicht die Gebrauchsanweisung angeguckt“, raunt Achim mir böse zu.
Jonathan entert sich behände den Mast empor und löst das Vorstag an seiner Verbindung. An einem Tampen wird das sechszehn Meter lange Drahtteil herunter gelassen. Das Stag darf nicht geknickt werden. Ein Profil aus Aluminium, das zur Aufnahme des Segels dient, ummantelt das Stag und dieses Profil mag keine Knicke.

Das Vorstag wird von Jonathan am Mast gelöst

Möglichst ohne Knick das Vorstag transportieren

Wohlbehalten landet das Vorstag auf dem Steg. Jonathan schreitet zur Tat und will die Rollanlage öffnen. Ganz wohl ist ihm anscheinend selber nicht dabei. Die Gebrauchsanweisung liegt aufgeschlagen neben ihm. Er holt schon mal vorsorglich eine Decke zum Auffangen der Kugeln aus dem Kugellager in der Rolle.
Achim springt von seinem Beobachtungsposten auf dem Vorschiff schnell dazu. „Nein, stopp, aufhören! Man muss die Rollanlage nicht öffnen. Wollt ihr die Kugeln hier im Wasser versenken? Ihr braucht nur den Draht durch die Anlage schieben, mit einer Mutter sichern und zurück holen.“ Mit geblähten Nasenflügeln und rollenden Augen kommt Achim zu mir zurück. „Der weiß nix, gar nix“. Aus ‚Spaken‘, wird ‚Trottel‘. Achim bleibt jetzt als Aufpasser bei den beiden Experten stehen: „Ist besser so“.

Schließlich rückt Jonathan damit heraus, dass er gar kein Starlock-Teil bestellt hat und das Vorstag wieder mit einer Pressung versehen werden muss. Achim lässt ihn erst mal stehen. „Warum habe ich mit dem Idioten überhaupt was besprochen?“ Was für eine Karriere – vom Spaken zum Idioten innerhalb von drei Stunden. Achims Nasenflügel hören gar nicht mehr auf sich zu blähen, da ist mal jemand richtig sauer.

Nun ist es nicht mehr zu ändern. Das Vorstag liegt auf dem Steg und soll auch wieder ran. Wer weiß, wann der Experten-Rigger jemals das richtige Teil heranschaffen kann. Also muss der lange Eimer zum Werkstattwagen von Jonathan getragen werden, in dem sich die Presse befindet. Der Wagen steht gegenüber von Atanga – getrennt von einem breiten Graben. Aber mit fünf Leuten bekommen wir das Stag knickfrei hin und her balanciert.

Über diesen Graben soll das Stag

Ende gut, Stag gut? Wollen wir mal hoffen. Der Draht soll aus Frankreich stammen und keine China-Ware sein. Immer positiv denken. Jonathan ist um eine Reckmann-Erfahrung reicher, Achim um ein paar graue Harre und wir um tausend Euro ärmer – und haben wieder eine Pressung. So schließt sich der Kreis.

Wahrscheinlich hätten wir damit noch ewig weiter segeln können – aber das ist so eine Sache mit Wahrscheinlichkeiten

Fenua

Sa., 05.Sep.20, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2288, 21.218 sm von HH

‚Fenua‘ bedeutet Heimat und alles, was in Französisch Polynesien hergestellt wird, trägt dieses Gütesiegel. Viel wird hier nicht produziert, aber auf das scheint man stolz zu sein: das berühmte Hinano ist Fenua-Bier. Schönheitsprodukte aus Kokos-Öl sind ‚Fenua‘, im Supermarkt hat man die Wahl zwischen Kartoffeln ‚USA‘ und Kartoffeln ‚Fenua‘.

Und dann gibt es noch das Fenua-Muster. Ein Hawaii-Hemd-Muster in Reinkultur. Das wiederkehrende Thema sind großformatige Philodendron-Blätter und Hibiskus-Blüten. Rucksäcke, Tassen, Taschen, Mouse-Pads und Servietten. Kein Gegenstand, der nicht mit Fenua bedruckt wird. Von Schüler bis Greis, jeder trägt Fenua: Fenua-Hemden, Fenua-Hosen, Kleider, Mützen und Flip-Flops. Und natürlich Maske im Fenua-Style. Für den normalen Mitteleuropäer ist Fenua ein Kulturschock. Es werden Farben kombiniert, die dem Auge Schmerzen bereiten.
Farbharmonie – drauf gepfiffen!
Farbenlehre – nie gehört!
Pastell-Töne – für Feiglinge!
Bunt, bunter, Fenua. Normale Klamotten in den Shops zu finden, fast unmöglich. Ein einfarbiges T-Shirt hat zumindest Fenua-Applikationen an den Ärmeln oder Brusttasche. Für Menschen wie mich, die eher Ton-in-Ton-Kombinationen bevorzugen und einen Mix von Komplementärfarben meiden, ist Fenua eine echte Herausforderung.

Typischer Klamottenladen – Hardcore Fenua

Bunt, bunter, Fenua

Der allgegenwärtige Philodendron im XXL Format dient als Mustervorlage

Aber man gewöhnt sich an alles. Nach anderthalb Jahren im Land bin ich weich gekocht. Wenn die Netzhaut täglich mit einem Feuerwerk an Farben beschossen wird, erscheint einem nach kurzer Zeit die eigene graue Bettwäsche bedauernswert trostlos. Abhilfe muss her.
Es gibt in Papeete Stoffläden wie Tannennadeln im Wald. Und die Läden sind gut besucht. Kein Wunder, kostet ein Fenua-Hemd doch schnell hundert Dollar. Da näht Frau oder Mann doch lieber selber ein Kleidchen. Tonnenweise gehen täglich die Stoffe über den Tresen. Ich habe einen Jungen gesehen, der für Mutti mit dem Handy das neue Sortiment Stoffballen abgefilmt hat. „Wieder zurück, weiter links“, schallen Muttis Kommandos aus seinem Handy.
Die Stoffe kommen aus Taiwan, Japan und China, nur die Muster sind Fenua.

Kunterbunte Stoffläden – große Auswahl, kleine Preise – 5 bis 12 Dollar der Meter (1,20 bis 1,50 Breite)

Da wir endlich im Besitz neuer Kopfkissen sind und die alten Stinker auf den Sondermüll gelandet sind, fehlt es nur noch an neuen Kissenbezügen. Nach einiger Sucherei werde ich fündig. Es gibt Fenua auch in dezenter Art und bald hat die Atanga-Crew neue Kissenbezüge zu grauen Laken. Fenua für Anfänger sozusagen.

Fenua light für Anfänger – die Kissen gehören übrigens alle Achim – Prinz Erbse mag es komfortabel

Uns gefällt es gut mit den Kissen und wir haben Blut geleckt. Da trifft es sich gut, dass unsere beige Laken-Garnitur sich in so einem fleckigen Zustand befindet, dass man sie nur noch im Dunkeln zum Trocknen raus hängen mag. Also soll ein neuer Satz Laken her. Unsere drei Matratzen haben unmögliche Formen, es sollen aber trotzdem Spannbettlaken sein, daher ist das nicht meine Lieblings-Näherei. Aber voila! Hier soll man wohl heiße Südseeträume bekommen.

Wir geraten in einen Fenua-Blutrausch. Aus den Stoffresten nähe ich eine neue Einlage fürs Brotkörbchen und etliche Mund-Nase-Masken. Und so schnell ist kein Ende in Sicht. Der Skipper ruft nach Fenua-Schlafanzughosen und der Plan steht, die grauen Laken sollen ebenfalls ersetzt werden. Warum nicht ins übelste Fenua-Regal greifen? Grüne Blätter auf türkisen Grund mit pinken Hibiskus und gelben Tiare-Blüten? :shock:
Wenn wir hier schon heimisch werden (müssen), dann auch farblich.

Fenua für Fortgeschrittene für feuchte Südseeträume

 

Tahiti Life

So., 30.Aug.20, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2282, 21.218 sm von HH

Wie schnell man sich an Dinge gewöhnt, sogar an die unangenehmen. In der ersten Woche hieß es noch: „Hast du die Masken?“, und wieder musste einer zum Schiff zurück, die unsäglichen Teile holen. Heute haben wir immer eine am ‚Mann‘ und für jeden Rucksack und jede Tasche eine dabei. Eine neue Normalität, die uns nicht behagt.
Die Masken-Träger in Tahiti stammen zum Teil aus Absurdistan: Ein Pärchen sitzt in einem Lokal. Er sitz ohne Maske auf, sie hat eine auf (keine Pflicht), aber jedes Mal, wenn sie mit ihm spricht, zieht sie die Maske unter das Kinn. Warum sie die Maske überhaupt trägt? Sie weiß es wahrscheinlich selber schon nicht mehr.

Das Leben in Tahiti ist hektisch und von Autoverkehr geprägt. Diese Hetze ist ansteckend: eben noch schnell über die Straße sprinten, eilig mit dem Rad eine Abkürzung nehmen. Die Anpassung nach acht Monaten Ruhe in der Insel-Idylle erfolgt nahtlos. Das einmal gelernte Leben in Dauer-Geschäftigkeit aus Hamburg legt man nicht so einfach ab. Gefallen hat uns die Behäbigkeit von Gambier aber besser. Und die Menschen dort sind auch deutlich entspannter und freundlicher.

Dafür schaffen wir richtig was weg. Baumarkt, Yacht-Ausrüster und Technik-Laden. Ein Bermuda-Dreieck, was einem die Dollar aus der Tasche zieht. Die letzten beiden Wochen haben wir mehr Projekte erledigt als die Monate davor. Der Cockpit-Tisch, der auseinander zu brechen drohte, ist Dank Verfügbarkeit von Holzleim und -Dübeln endlich repariert. Der Außenborder hat einen neuen Vergaser. Ich weiß nicht, wie oft Achim den originalen Vergaser in den letzten zwei Jahren auseinander genommen und gereinigt hat. Geschichte! Die Ankerkette hat neue Markierungen und, und, und. Unsere Arbeitslisten werden angenehm kürzer. Nur der Rigger. Eine harte Nuss. Der steht aber kurz davor weich gekocht zu werden, seine Arbeit doch hier in der Marina auszuführen. ;-)

Und endlich mal wieder Essen gehen. Unsere Liegenachbarn, Clare und Andy, sind angenehme Engländer, die mit uns zum Roulotte – zum Straßen-Food – gehen. Durch die fehlenden Touristen und dadurch, dass die Einheimischen weniger verdienen, ist der Platz nicht mehr so gut besucht, wie im letzten Jahr. Hoffentlich ändert sich das bald wieder. Der Trubel zwischen den rollenden Imbiss-Wagen sorgte für eine tolle Atmosphäre. Über alles betrachtet, gefällt uns Tahiti Life ganz gut im Augenblick.

Neuseeland Update: still ruht das Land – keine Neuigkeiten.

Essen gehen mit unseren neuen Segel-Nachbarn – wunderbar

 

Schweben in der Warteschleife

So., 23.Aug.20, Franz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2275, 21.218 sm von HH

‚Soll ich mir hier in Papeete eine neue Brille bestellen – Lieferzeit mindestens sechs Wochen?‘ Kommt darauf an, ob Neuseeland uns rein lässt.
‚Sollen wir Roggenkörner als Vorrat für das nächste Jahr kaufen?‘ Kommt darauf an, ob uns Neuseeland rein lässt.
‚Soll ich auch hier in Papeete zum Zahnarzt gehen?‘ Kommt darauf an, ob …
Sollen wir dieses jetzt kaufen, sollen wir jenes hier reparieren? Bei jedem Gespräch drehen wir uns mit unseren Entscheidungen im Kreis. Angenommen ich bestelle mir eine Brille, dann kommt plötzlich das go. Kaufen wir Körner, dürfen sie nicht nach Neuseeland eingeführt werden. Mich macht dieser Schwebezustand ganz ruschelig. Sag mir, dass ich in Französisch Polynesien noch zwei Jahre gefangen bin, da kann ich mit umgehen, aber nicht zu wissen, was kommt, macht mich bekloppt.
Achim ist da tiefenentspannter: „Alles ist gut. Geduld! Es wird sich schon etwas entscheiden.“ Er kommt mir wie dieser Hummer vor, der gemütlich im Kochtopf sitzt, der auf der heißen Herdplatte steht und sich am warmen Wasser erfreut. :mrgreen:

Achim hat was von dem Hummer

Faktisch geht es uns super. Wir haben einen Platz in der Marina direkt an der Promenade erwischt. Unser Lieblings-Steg. Die neuen sanitären Einrichtungen, die bereits im Dezember eingeweiht werden sollten, sind immer noch nicht fertig. Das bedeutet zwar keine Duschen und Toiletten, aber auch nur den halben Preis für die Liegegebühren.
Und wir schwelgen im Luxus der gut sortieren Supermärkte. Ich könnte alles auf einmal kaufen, kochen und essen. Erstaunlich, wie gierig man auf Gurken, Tomaten und Salat nach acht Monaten Verzicht sein kann. Die ‚tu-was-Liste‘ wird überraschend schnell kleiner, das Portemonnaie auch. Nur der Rigger zickt noch etwas herum und will unser Vorstag nicht in Papeete tauschen, sondern lieber in der außerhalb gelegenen Taina-Marina am Reparatur-Steg.  Das wollen wir nicht. So einen guten Platz – fünf Minuten zum Markt – bekommen wir nie wieder. Die Marina ist rappelvoll. Die außerhalb gelegenen Ankerplätze ebenfalls. Kaum ein Schiff verlässt Französisch Polynesien, aber es kommen ständig neue dazu. Aus Südamerika reisen neue Segelboote an – man braucht nur um eine Erlaubnis bitten, dann kommt man rein.

Dagegen ist es in der Stadt total ruhig im Vergleich zum Vorjahr. Es ist nur eine magere Anzahl an Touristen zu sehen. Das trifft die Einheimischen hart. Viele Souvenir-Shops haben zu. Jalousien sind an Geschäften runter gelassen. Und wir haben das Gefühl, dass es mehr Obdachlose in den Straßen gibt.  Seit Öffnung der Grenzen Mitte Juli ist die Anzahl der neuen Covid-19-Fälle von Null auf über zweihundert angestiegen. Todesopfer gab es zum Glück bislang noch keine.
In Papeete ist die Maske Pflicht in Supermärkten, auf dem Markt und wo es eng wird. Die Polynesier sind sehr diszipliniert und tragen fast zu 100 Prozent Maske, im Park und auf der Promenade vielleicht noch 10 Prozent. Menschen, die sich kennen, begrüßen sich wie immer mit Küsschen rechts und links und auf dem Ausflugs-Katamaran tragen morgens alle Gäste eine Maske und kommt der Kahn abends rein, hat keiner mehr eine Maske mehr auf. Es menschelt und Angst vor dem Virus scheint nicht vor zu herrschen. Man befolgt halt eine Vorschrift die Maske zu tragen und fertig.

Ab hier bitte Maske und Blume hinter dem Ohrt tragen

Wie die Regierung mit dem Anstieg umgeht, ist in Schwebe. Einen erneuten Lockdown können sich das Land und vor allem die Menschen nicht leisten. In Rikitea wurden bereits vor zwei Monaten Lebensmittel-Pakete verteilt an Leute, die ihren Job verloren haben. Es wird für Morgen eine Presse-Konferenz erwartet. Natürlich würden wir uns freuen, gäbe es keinen erneuten Lockdown, aber auch wenn die Grenzen offen blieben.
Wie die Welt, so sind auch die Segler gespalten. Es gibt es eine Fraktion, die nach Schließung der polynesischen Grenzen ruft. Selber vielleicht gesundheitlich angeschlagen und hoch im Alter wähnten sie sich sicher in dieser Corona freien Inselwelt. Jetzt geht es nur noch um sie: „Lasst keine Amerikaner rein, Grenzen zu, lasst überhaupt niemanden rein, Tore dicht.“ Die ach so freundlichen Polynesier, die sie so nett empfangen haben, was mit denen passiert, ist doch egal, Hauptsache es kommt keiner mehr rein. Dabei sind sie selber nur Gast in diesem Land.
Pandemie oder Panik? Beide Meinungen haben ihre Existenzberechtigung und im Kern sind sie so unterschiedlich nicht: Bei beiden Meinungen geht es um Angst, um Schutz der Familie, um eine lebenswerte Zukunft mit Gesundheit und einem Auskommen. Welche Meinung man auch vertreten mag, was vor Ort an Kommentaren abgeht, zeigt die hässliche Seite unserer Gesellschaft.

Check-Liste

Mi., 19.Aug.20, PFranz.Polynesien/Tahiti/Papeete, Tag 2271, 21.218 sm von HH

Kreditkarten endlich erfolgreich aktiviert ==> check
Kühlschrank voll Quark, Frischkäse und Joghurt ==> check
Tomaten zum Frühstück ==> check
Neue Flip Flops ==> check
Neue Spülbürste ==> noch auf der Suche
Vollkornmehl ==> check – und Roggenkörner gibt es auch noch.
Schokolade ==> check – und sie macht definitiv glücklich.
Internet ==> schwierig! Trotz 90-Dollar-Vini-Spot-super-Karte kein Netz an Bord. War letztes Jahr noch problemlos möglich.
Termin beim Zahnarzt vereinbart ==> check
Neue Füllung im Zahn ==> nein! Autsch und urks, Zahn unrettbar, der liegt jetzt im Mülleimer – leichter Eingriff, keine große Sache für Zahnarzt und Patient.
Implantat ==> check – in zwei Monaten möglich. Wo? Das wissen die Götter
Atanga ==> check mit Schreck! Vorstag (der laaange Draht, der den Mast nach vorne hält und gleichzeitig als Aufwicklung für das Vorsegel dient) angebrochen (drei Kardeele).
Termin mit Rigger ==> check – Kostenvoranschlag ist in Arbeit, neues Stag kommt Anfang nächster Woche.
Kakerlake ==> check – die erste war schon am zweiten Abend an Bord. Die liegt jetzt beim Zahn.
Neuseeland ==> kotz! Keine Neuigkeiten!

P.S. Noch ein paar Bilder von unterwegs eingefügt ==> check

 Die wenig bewohnte Seite von Tahiti mit Drama-Bergen

Ankunft in Tahiti

Sa., 15.Aug.20, Pazifik, Tag 2267, 21.085 sm von HH
Captain Cook ==> Endeavour – Captain Bligh ==>Bounty – Captain Willner ==> Atanga. Alle Grossen beieinander. :-) Wer im beruehmte-Seefahrer-der-Welt-Unterricht aufgepasst hat, der weiss wo wir vor Anker liegen. Richtig! In der beruehmten Bucht ‚Point Venus‘. Hier haben sich die Seefahrer der Welt bereits die Klinke in die Hand gegeben. Die weitlaeufige Bucht ist auch im Dunkeln ohne Schwierigkeiten anzufahren und somit verbringen wir die letzte Nacht dieses Toerns vor Anker. Hinter einem halbkreisfoermigen Riff faellt der Anker vor dem schwarzen Strand des ‚Point Venus‘. Ein Ankommen-Bier und wir schlafen tief und sorgenfrei acht Stunden durch wie die Steine.
Am Morgen koennen wir uns nur der Meinung von 1792 von Georg Forster, dem botanischen Begleiter von Captain Cook anschliessen: „… es kostet uns keine Schwierigkeiten denen, die bereits vor uns hier gewesen waren, auf ihr Wort zu glauben, dass dies der schoenste Teil der Insel sei. […] Die Ebenen schienen von betraechtlichem Umfang zu sein. Das Ufer, das mit schoenstem Rasen bewachsen und bis an den Strand herab von Palmen beschattet war, wimmelte es von Menschen, die ein lautes Freudengeschrei erhoben, als wir aus dem Boot stiegen.“
Okay, es bricht am Morgen keiner in Jubel aus, als wir an Deck erscheinen. Aber aehnlich wie damals, als hunderte Kanus, beladen mit Fruechten, Schweinen und Brotfruechten; und Maedchen, die nichts weiter trugen als einen Rock und ihr wunderbares Haar; auf die Neuankoemmlinge zu paddelten, so haben auch wir unser Begruessungs-Komitee. Bestimmt hundert und mehr kleine Motorboote, Angelboote und Jet-Skis kommen durch die Bucht direkt auf uns zugerast. Die vielen Boote fabrizieren derart viele Wellen und bringen die ruhige Bucht zum Kochen, dass kleinere Boote durch den Wellenschlag regelrecht aus dem Ruder geraten. Der Katamaran, der vor uns liegt, wackelt wie ein Einruempfer. Ein nie gesehenes Bild. Unvorbereitet und sorglos, wie die Kat-Leute so auf ihren Booten leben, sind bei dem heute Morgen bestimmt die Teller vom Tisch geflogen.
Zu schade, dass diese Bucht so arg weit ausserhalb von Papeete liegt und keine Infrastruktur zu bieten hat, gerne wuerden wir hier vor Anker bleiben. Aber nachdem die Invasion der Motorboote durch ist (heute ist Feiertag, wie wir spaeter erfahren und wahrscheinlich handelt es sich um einen Angelwettbewerb), gehen wir Anker auf und motoren Richtung Marina. Viel Hoffnung auf einen freien Platz machen wir uns nicht, aber Gott ist mit den Dummen und wir finden tatsaechlich einen Parkplatz fuer Atanga. Yeepie! So hatten wir uns das gewuenscht. Nur das Internet funktioniert noch nicht, aber der Chef arbeitet dran.
Weniger erfreulich sind die neuesten Geruechte, die wir am Marina-Office erfahren: Neuseeland soll auf Grund der ueber siebzig neuen Faelle vor Ort, die Einreise fuer Boote aus Franzoesisch Polynesien komplett untersagt haben. Vielleicht nur Geruechte. Daumen Druecken und Finger kreuzen.