Kategorie: Atanga

Heiva auf Gambier

Fr.,03.Jul.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2224, 20.254 sm von HH

Heiva nennt sich das jährlich stattfindende Festival was im Juli auf allen Inseln in unterschiedlicher Form stattfindet. Auf Grund von Corona fällt dieses Jahr auf Tahiti die größte und kommerziellste Heiva. Gambier, weit weg von Tahiti und Corona frei, will sich dem nicht anschließen und komplett auf eine Feierlichkeit verzichten (Hao übrigens auch nicht, wie wir erfahren haben). Allerdings gibt es wenig Musik und Tanz, sondern das Programm der Heiva klingt eher wie Bundesjungendspiele: Volleyball, Kanu fahren und ein Tischtennis-Turnier stehen an. Und die Kleinsten werden mit Sackhüpfen und Tauziehen beglückt. Nur der Eröffnungstag wartet mit etwas Tanz und traditionellen Spielen auf.

Uns gefällt, dass wir nach der langen Zeit auf der Insel die Hälfte der Teilnehmer bereits kennen. Mit Thomas ist Achim schon auf Bäume geklettert, Nicolas besorgt uns Bananen und eine der Tänzerinnen ist uns doch bereits letztes Jahr aufgefallen.  Irgendwie gehören wir dazu, so kommt es uns vor, na, zumindest nicht ganz fremd. :-)

Wie die Bast-Röcke entstehen haben wir beim Wandern im Wald gesehen: Von jungen Schößlingen wird noch vor Ort die Rinde abgezogen und dann auf einer Leine zum Trocknen gehängt

Zwischen Tanz und Bananen-Wettrennen gibt es ein Fingerfood-Buffet. Ganz kann man sich nicht dem Eindruck verwehren, dass die meisten Zuschauer nur deswegen gekommen sind. Wie Kokosnüsse geschlachtet werden, kennen sie. Aber kleine Köstlichkeiten scheint es seltener zu geben. Und es gibt reichlich zu essen! Platten über Platten werden über einen Tresen gereicht. Süße Küchelchen und Zucker-Pasteten liegen neben Mini-Würstchen im Schlafrock, Sushi-Rollen und Speck-Törtchen.
Die Geschwindigkeit in der die Mengen verschlungen werden, ist beeindruckend. Ich sehe Jungs, die sich von zwei Platten gleichzeitig bedienen. Ungeniert werden sich auf mitgebrachte Pappteller die Teilchen gehäuft. Zehn Stück und mehr, kein Problem, es wir so lange zugelangt bis ein Berg auf dem Teller entstanden ist.  Die Mädchen, die mit den Platten umhergehen, sind unbeeindruckt: ‚wenn der junge Mann Hunger hat, soll er nur reinhauen‘, verraten ihre Mienen.

Fingerfood in rauen Mengen

Besonders spektakulär sind die Spiele und Vorstellungen auch für uns nicht, aber da ansonsten jeder Abend an Bord dem anderen gleicht und wir wenig Abwechslung geboten bekommen, fühlen wir uns gut unterhalten. :-)

Auf einer in den Boden gerammten Spitzhacke wird der Bast von den Nüssen gepuhlt

Mit Hilfe einer Raspel wird das Kokosfleisch aus den Hälften geschabt – man achte auf die Dame rechts ;-) mit den Socken in den FlipFlops

 

Durch ein Tuch wird die Kokosmilch aus dem Fleisch gepresst.

Wer noch immer denkt, ich mache Witze über die Kälte hier. Südsee … hahahaha!

 

 

 

 

Abfahrt verschoben

Fr.,03.Jul.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2224, 20.254 sm von HH

Die Insel lässt uns nicht los.
So einfach ist es dann nicht, nach so langer Zeit los zu kommen. Alle Vorbereitungen sind getroffen. Wir haben beim alten Fritz (dem Trans-Ocean-Stützpunktleiter-Urgestein) Tschüss gesagt und uns bei Philip verabschiedet. Achim hat Kette und Unterwasserschiff sauber getaucht. Wir haben alles verstaut und weg gerödelt und dann am Morgen der Abfahrt ein letzter Blick ins Wetter.
Heijeijeijei. Das Wetterfenster ist gut – keine Frage – für unsere geplante Ankunft am Montag. Aber ab Dienstag werden 30 Knoten Wind auf Hao vorhergesagt. Nicht schlimm, oder? Dann sind wir ja längst da. Aber was, wenn wir länger brauchen oder der starke Wind zeitgleich mit uns am Montag anreist? Dann sind wir die Doofen. Der Wind käme uns im Pass genau auf die Nase. Wir vermuten, dass wir dann dort nicht hinein fahren könnten. Acht, neun, zehn oder mehr Knoten Strömung würden uns entgegen blasen. Wir haben schon mit eigenen Augen gesehen, was dieser Pass kann. Er kann physikalische Gesetze außer Kraft setzen. Es gibt Geschichten, dass der Pass, wenn er richtig böse ist, zwanzig Knoten Strömung entstehen lassen kann. Die Abfahrt riskieren oder nicht? Zwei Stunden tagt der Crew-Rat, dann fällt die Entscheidung: wir haben es nicht eilig (die Zahnärztin kommt sowieso erst im August nach Hao zurück) und es kommen bessere Gelegenheiten.
Im Chor singen wir: „Wer weiß, wofür es gut ist …“.

Der Pass in Hao kann stehende Wellen von zwei Metern und mehr erzeugen

Au revoir, Gambier!

Mo.,29.Jun.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2220, 20.254 sm von HH

Nach fünf Monaten Dauer-Camping auf Gambier geht es nun weiter. Am Donnerstag bietet sich auf der Rückseite von Starkwind ein gutes Wetterfenster, um nach Hao zu kommen. Fünf Monate Gambier plus zwei Monate aus dem letzten Jahr – damit ist Gambier unser absoluter Spitzenreiter in Sachen Daueraufenthalt.
Inzwischen ist es ‚bitterkalt‘ geworden. Zumindest an Bord. Doppel-Fleecejacken-Pflicht ab Dämmerung, mehrere Decken beim Schlafen, Socken, heißer Tee. Und mein Duft-Kokosöl (dem Schönheits-Geheimnis der Polynesier für zarte Haut) ist hart gefroren. Dies macht es erst ab 20 Grad oder weniger. Diese Kälte bringt der Wind aus Süd-Osten, der ungebremst aus der Antarktis kommt.

An Land merkt man nicht ganz so viel davon. Unsere Wanderungen sind schön wie eh und je. Beim Abschieds-Gang gestern haben wir festgestellt, dass Gambier nur ein i-Tüpfelchen vom Paradies entfernt ist. Dieses Tüpfelchen ist das garstige Französisch. Es wäre so viel netter und einfacher, wenn hier Englisch oder zumindest Spanisch gesprochen würde. Und die Versorgungslage könnte etwas abwechslungsreicher sein.
Sieben Monate Gambier. Keine Weg, den wir nicht gelaufen wären. Mehrfach. Wir dürften hier so um die 300 Kilometer zu Fuß zurück gelegt haben. Das merken auch die Schuhe. Achims Sohlen haben Löcher. Meine Sandalen hat Achim mit der Hand-‚Nähmaschine‘ für die Segel genäht. Ersatz für kaputte Schuhe: Fehlanzeige.Unsere Versuche etwas, was uns fehlt zu bestellen, sind ins Leere gelaufen.

So kann der Shop schon mal aussehen, wenn das nächste Versorgungsschiff überfällig ist

Normaler Anblick in der Frischetheke – Butter, ein, zwei Sorten Käse – viel mehr ist nicht zu holen

Tränen in den Augen bei den Süßigkeiten – gut für die Figur – schlecht für die Laune ;-)

Hao also. In zwei Tagen geht es los. Dort waren wir zwar auch schon zweimal, aber der Zahnarztbesuch geht vor. Wir werden drei, vier Tage brauchen und von unterwegs berichten.

Auf Wiedersehen Gambier, au revoir, goodbye, nana! Der Abschied fällt nicht leicht.Mit ein paar Bildern unser schönen Zeit vor Ort sagen wir ‚Tschüß‘.

Mount Duff, der höchste Berg in Gambier 450 Meter hoch – von See aus gesehen

Der Mount Duff von der anderen Seite

Achim lächelt seine Höhenangst weg – erfolglos!

Der Grat hat es schon in sich – steil geht es rechts und links runter auf einem drei Meter breiten Pfad

Immer wieder gab es was Neues zu entdecken

Blätter so groß wie eine Tischtennisplatte

Junge Krieger im Wald

Nette Bekanntschaften unterwegs – leider hapert es immer wieder an einer gemeinsamen Sprache für Informations-Austausch

Idylle: Thomas und seine Hunde im Einklang mit der Natur

Kindertransport zur Kirche am Sonntag – die jungen Damen haben uns unter großem Gekicher mit der Ghetto-Faust begrüßt.

 

 

Planungs-Pannen auf allen Fronten

Mo.,22.Jun.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2213, 20.254 sm von HH

Die Kreditkarten sind angekommen. So weit, so gut. Diese fortschrittlichen Karten verlangen einen Pin bei der Bezahlung. Nun stellt uns solche Sicherheits-Maßnahme ein Bein: „Vor der ersten Nutzung Ihrer Kreditkarte, aktivieren Sie bitte Ihren Pin an einem Geldautomaten“. :mrgreen: Ja, wissen die von Visa und MasterCard nicht, dass der nächste Automat ungefähr 1300 Kilometer entfernt von hier steht? Und ob der so fortschrittlich ist, dass er Pins auslesen kann, ist nicht verbürgt.
Unsere neuen Karten sind somit nur halb brauchbar. Beim Bezahlen in den Läden vor Ort gibt es unterschiedliche Aufforderungen des elektronischen Systems. Mal geht der Vorgang ohne Pin-Eingabe durch, mal wird einer verlangt, der dann natürlich nicht funktioniert, weil er nicht aktiviert wurde. Also nutzen wir gleich die alten Karten so lange sie noch gültig sind. :roll:

Über die Zahnärztin auf Hao haben wir mit Hilfe von Philip, dem Internet-Mann vor Ort und Elsässer, der Deutsch und Französisch spricht, ebenfalls Neuigkeiten erfahren. Sie sei bis Ende Juni auf Hao, macht dann einen Monat Urlaub und kehrt im August nach Hao zurück.
Mit den Infos beladen, sitzen wir auf dem Schiff und planen unsere Abfahrt. Wir müssen Richtung Nord-Westen und der Wind, der hier eigentlich immer aus Osten weht, kommt aus Nord-Westen. Das wird knapp rechtzeitig anzukommen. Und Spaß bedeutet es schon gar nicht.
Und was bedeutet eigentlich bis Ende des Monats? Ein Blick in den Kalender zeigt, dass ‚Ende Juni‘ auf einen Montag und Dienstag fällt. Bedeutet Ende Juni nun die letzte volle Woche oder inklusive der beiden Tage? Wir kontaktieren erneut Philip. „Könnt ihr vergessen, Montag ist ein Feiertag und Dienstag wird auch nicht gearbeitet. Ende Juni ist somit der 26.igste!“ Da ist sie hin, die Lücke, um die Zahnärztin noch rechtzeitig auf Hao zu erreichen.

Yves, der zweite Elsässer auf der Insel, der häufig bei Philip sitzt, belehrt uns: „Du musst die Polynesier präzise fragen, sonst bekommst du nur eine schwammige Antwort. Jede Information muss man einzeln abfragen. Frag hier mal am Schalter von ‚Air Tahiti‘, wann der nächste Flieger geht – keine Chance auf eine korrekte Antwort. Da buche ich gleich in Tahiti und sage hier am Schalter nur noch Bescheid“ Er ist so nett und ruft für uns in der Medizin-Station an, wann in Gambier wohl der nächste Zahnarzt-Besuch erwartet wird. Keine Ahnung, lautet die Antwort, trotz präziser Frage. :roll:
Achim trifft die Entscheidung, wir warten jetzt im Juli auf ein gutes Wetterfenster, um nach Hao zu kommen, warten dort auf August und auf die Ärztin. Die Alternative hieße zehn Tage nach Tahiti segeln. Oder hin fliegen. Leider gibt es nur einen Flug in der Woche, bedeutet somit zusätzlich eine Woche in Tahiti im Hotel zu wohnen. Achim entscheidet, er stopft sich jetzt gut durchgekautes Kaugummi in das Loch – ein Tipp von einem Zahnarzt (danke, Richard). Zum Glück tut es noch immer nicht weh.

Und noch eine Planung ist geplatzt. Der beste Ehemann von allen hatte sich zum Hochzeitstag richtig ins Zeug gelegt. Einmal im Leben sollte ich wie eine Südsee-Schönheit aussehen, einmal im Leben sollte ich einen Blumenkranz tragen. Die Idee hat er mit Maya, der polynesischen Freundin von Philip, ausgeheckt. Selbst ihr Verweis darauf, dass auch Männer zu diesem Anlass einen Kranz tragen müssen, hat ihn nicht abgeschreckt. Er hat die zwei Kränze in Auftrag gegeben.
Am Morgen des Jubel-Tages stand Achim pünktlich im Garten von Philip. Nur keine Maya zu sehen – am Abend zuvor hatte sich das Paar getrennt und Philip hat Maya in ihr eigenes Haus zurück gebracht. Ein paar hastig gepflückte Blumen gaben den Kranz-Ersatz.

Einen Tag später treffen wir Maya zufällig im Ort. „Pardon, pardon“, Maya ist untröstlich. Nicht so schlimm versichern wir ihr. Alles ist in Ordnung. „Ich habe einen Ersatz für euch“, kramt sie in ihrer Tasche. Ein Beutel mit Perlen kommt zum Vorschein. Diesen drückt sie uns in die Hand. Die Perle mit dem Delphin als Gravur ist der männliche Part und für Achim, meine Perle ist die mit der gravierten Rose. Wir sind gerührt. Die Polynesier mögen ja nicht präzise sein, aber sie machen dies mit Herzlichkeit dreimal wett.

Perlen von Maya zum Hochzeitstag – Gravuren sind sowohl auf den Perlmutt-Schalen der Austern als auch auf Perlen üblich

Der 20.te Hochzeitstag

Di.,16.Jun.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2207, 20.254 sm von HH

Hochzeitstag in der Südsee. Na, wenn das nicht ein romantischer Traum-Ort ist für so ein rundes Jubiläum, dann weiß ich auch nicht. Ohne Corona würden wir jetzt zwischen den Gesellschaftsinseln kreuzen. In meiner Phantasie sah ich uns beim Abendessen auf Bora Bora in einem der Luxus-Hotels: Fackeln am Strand, ein weißes Tischtuch flattert leicht im Abendwind. Kerzen funkeln in den Champagner-Kelchen, es gibt gegrillte Languste und auserlesene Weine. Früher in Hamburg haben wir zum Hochzeitstag die besten Restaurants der Stadt abgeklappert. Kulinarische Feste gefeiert – zumindest meistens.
Nun, man kann nicht alles haben. Es ist die Südsee, der Punkt stimmt. Mangels Restaurant auf Mangareva muss ich selber kochen. Die örtliche Pizzeria hat nur am Wochenende geöffnet. Die Languste fällt etwas kleiner aus, es gibt tief gefrorene Shrimps – immerhin Pacific-Prawns. Dazu der gehütete Metternich Rosé, der über die Jahre nicht gewonnen hat und billigen Wein aus der Plastik-Flasche. Unbezahlbar – unvergessen. Ein schöner Abend.

Heute auf den Tag genau vor 21 Jahren haben Achim und ich das erste Mal telefoniert. Zwei Tage später gab es das erste Treffen. Kennen gelernt haben wir uns durch eine Kontaktanzeige im Stadtmagazin von Hamburg (Internet gab es schon, aber es steckte noch in den Kinderschuhen). Ich war vom Dorf nach Hamburg gezogen und kannte niemanden mit dem ich hätte ausgehen wollen.
Bei unserem ersten Treffen haben wir von abends um acht bis morgens um vier gequatscht, ohne einen Schluck Alkohol zu trinken. Das erste Lokal hat uns rausgeschmissen also mussten wir uns noch ein neues suchen. Ich konnte Achim gleich gut leiden und habe ihm gebannt gelauscht, obwohl er viel Zeug gequatscht hat, was mich nicht wirklich interessiert. Von Schrödingers Katze zum Beispiel. :roll:
Am nächsten Mittag stand Achim direkt wieder vor meiner Tür. Unangemeldet. Ich war gerade dabei in Radlerhosen (jaaa, das war damals so) mit Margeriten-Muster, schlapprigem T-Shirt und ungekämmt den Küchenboden zu wischen. Peinlich bis zum Umfallen. Auch unvergessen. Angeblich war er gerade auf einer Spritztour mit seinem Motorrad und ist zufällig bei mir vorbei gekommen. Klar, Hamburg Wandsbek/Eilbek ist bekannt als gute Motorrad-Stecke. Die Ausrede war so platt, dass ich wusste: „Hey, der kann dich auch gut leiden.“

Der Rest ging schnell: am 16. Oktober kam der Heiratsantrag, am 16. Dezember haben wir unseren ersten Mietvertrag unterschrieben und am 16. Juni 2000 geheiratet. Dann muss es wohl Liebe sein.
Gerne hätte ich ein Foto vom Brautpaar gezeigt. Aber das einzige Foto, was an Bord existiert, darauf ist der Bräutigam leider abgeschnitten. Ich habe das Foto seit ewigen Jahren im Portemonnaie, um beim Friseur besser zeigen zu können, wie ich mir meinen Haarschnitt in etwa vorstelle. Der Gatte wurde kurzerhand entfernt. Dieser Frevel hat unserer Ehe nicht geschadet, die ihre Tücken, ihre Tiefen und Höhen hat, wie jede Beziehung. Achim quatscht noch immer gerne von dieser Katze und ähnlichen Phänomenen und ich höre ihm noch immer gerne zu.

Die glückliche Braut

 

Falls einer unser Hochzeitsgäste zufällig noch ein Bild liegen hat, ein Handy-Foto davon wäre sehr willkommen.

Aufbruch, aber wohin?

Sa.,13.Jun.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2204, 20.254 sm von HH

Unsere Kreditkarten sind da. Kaum verschickt man etwas mit ‚DHL-Dokumenten-Express‘ und blättert 83 Euro für ein 43 Gramm Paket auf den Tisch, klappt es auch mit der Lieferung. :mrgreen: Genau fünf Wochen hat der Versandt gedauert – in Corona-Zeiten keine schlechte Bilanz. Namentlich wurde Achim am Versorgungs-Schiff aufgerufen und bekam den Umschlag (ohne sich auszuweisen) problemlos ausgehändigt. Geht doch.

Ein Problem gelöst, schon kommt das nächste. Achim hat eine Plombe verloren. Genau aus dem Zahn, der letztes Jahr schon Ärger machte. Zum Glück tut es nicht weh, reagiert nicht auf heiß und kalt, ist aber kein Dauerzustand. Im Medizin-Zentrum hier auf der Insel kann der Arzt nicht helfen. Er hat weder ein Plomben-Notfall-Kitt (wir auch nicht), noch kann er eins in Tahiti besorgen. Nicht lieferbar in Französisch Polynesien. Achim tröstet, dass die Bewertungen über solchen Not-Kitt nicht besonders positiv ausfallen: ‚hält nicht, bröckelt nach kurzer Zeit wieder raus‘. Übrigens, bei echten Zahnschmerzen kann der Arzt auch nichts machen, er verabreicht dann einfach Antibiotika.

Ein „Wander“-Zahnarzt, der die Inseln in den Tuamotu abklappert, soll zur Zeit auf Hao sein. Ein Anruf im Krankenhaus auf Hao bestätigt diese Info. Aber ob der Arzt noch da sein wird, bevor wir Hao erreichen können, ist noch unbekannt. Unter vier Tagen ist die Anreise kaum zu schaffen. Am Montag sollen wir uns noch einmal melden, dann will man uns mehr erzählen.

So wie es aussieht, sind unsere Tage in Gambier gezählt. Aber wollen wir das überhaupt? Nein, wir sind uns einig, wir wollen nicht! Wohin sollen segeln, wenn wir den Zahnarzt auf Hao getroffen haben? Okay, Inseln in den Tuamotu gibt es viele, es liegt nicht an mangelnder Auswahl. Aber nach unserem Rampler mit dem Korallen-Bobbel haben wir ganz schön die Lust an den flachen Sandhaufen verloren. Die Atolle sind gefährliche Mausefallen. Grade letzte Woche sind bei Starkwind in Fakarava wohl zwei Schiffe auf ein Riff gelaufen und gelten als verloren. Die Risiko-Nutzen-Abwägung geht sich aus unserer Sicht nicht aus. Wir würden lieber Richtung Westen segeln, würden Französisch Polynesien gerne verlassen, aber Richtung Westen, da sind noch immer alle Grenzen geschlossen.

Wir sind nicht die einzigen, die es nicht weg zieht hier. Das Atoll leert sich nur zögerlich, vier Schiffe fahren ab, ein neues kommt vom Kontinent wieder dazu.
Abgesehen von der erhöhten Regen-Gefahr und den Starkwind-Phasen gefällt es uns im Winter sehr gut hier. Die Sonne steht tief und verbreitet die ganze Zeit ein traumhaftes Licht – vorbei ist die gleißende Mittagshitze bei der man nicht die Berge hochkraxeln mag. Die Gärten füllen sich mit Gurken und Tomaten. Ich muss meine Ansicht, dass die Einheimischen kein Interesse am Gemüseanbau haben, korrigieren. Sie warten auf den kühlen Herbst und Winter und dann wird angebaut, was die Scholle hergibt. Unsere Wanderungen sind sehr ertragreich. ;-) Ich entdecke fast reife Granatäpfel, Avocados reifen voran und die Mangobäume setzten bereits kleine Früchte an. Das wird in Kürze der Garten Eden hier sein.
Und das sollen wir verlassen? Wir werden sehen, Montag erhalten wir eine Antwort wohin der Zahnarzt weiter ziehen wird.

Unser Ankerplatz – unsere Insel – unsere Wanderstrecken

Gipfelstürmer

Die riesigen Pampelmusen werden wir vermissen

 

 

Faustgroße Schnecken unterwegs

Vier Gurgen und Salat geschenkt bekommen – den Rest haben wir gefunden. Allerdings muss man dafür auch 10 Kilometer laufen

 

Der Winter ist da

So.,07.Jun.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2198, 20.254 sm von HH

Grad liegen wir im Bett, da geht es los: es heult in den Wanten, Wellen klatschen an den Rumpf, irgendwas flappt an Deck. Es heult lauter. Also wieder raus aus der Kiste. Wir hocken im Cockpit und beobachten den Windmesser. Dreißig Knoten Wind, fünfunddreißig, dann achtunddreißig Knoten. Normalerweise ist im Drehbuch bei solchem Wind noch peitschender Regen und stockfinstere Nacht vorgesehen. Diese Requisiten wurden heute zum Glück vergessen. Der (fast) Vollmond beleuchtet durch die Wolkendecke das Ankerfeld. Auch auf anderen Schiffen gehen Lampen an, wir sehen Gestalten an Deck laufen. Vierzig Knoten Wind jetzt … einundvierzig. Atanga legt sich auf die Seite, wir haben Schräglage am Anker. Stehen gebliebene Gläser vom Abend rutschen durch die Pantry. Schauerlich!
Der Ankergrund ist super hier, Achim hat vor ein paar Tagen mal nach dem Anker im Schlamm gesucht. Der war so tief weg, dass er nicht mal den Schaft gefunden hat. Aber man weiß ja nie, es könnte ja auch was brechen und dann whrumm. Viel Zeit zum Reagieren haben wir nicht. Vielleicht eine Minute, vielleicht weniger, direkt hinter uns lauert das Riff. Viele unserer Mitsegler sind draußen im Atoll, Gott sei Dank, das Ankerfeld ist also recht leer. Wir haben kein anderes Boot vor uns, was beim Rutschen Atanga treffen oder ihren Anker mit rausreißen könnte. Aber heute Nacht rutscht keiner, alle Schiffe bleiben an ihrem Platz. Eine Stunde hält der Wind zwischen 35 und 41 Knoten an – Windstärke 8 bis 9. Dann geht er runter auf 30 Knoten. Das fühlt sich an wie Flaute. Wir halten noch drei weitere Stunden Wache, dann können wir um halb vier Uhr morgens endlich wieder ins Bett.

Das war die erste Nacht einer Kette an schauerlichen Tagen und Nächten. Mal regnet es sintflutartig, mal haben wir fünfundzwanzig Knoten Wind ohne Regen. Gefolgt von Flaute mit Regen und dann drückt jemand den Knopf der Windmaschine – wieder dreißig Knoten. Luken auf, Luken zu. Es wird stickig und muffig unter Deck. Nasse Geschirrhandtücher und Schuhe dampfen vor sich hin. Die Luftfeuchtigkeit steht bei 85 Prozent bei 24 Grad Raumtemperatur. Zu kalt für uns. Socken werden her gesucht und Achim schläft mittlerweile unter zwei Wolldecken.

Eben noch Flaute, dann faucht es von einer Minute zur nächsten stundenlang mit über 30 Knoten

Es ist Winter in Gambier. Das Meer hat nur noch 23 Grad. Im Prinzip ist das eine badefähig Temperatur – nach wie vor ist das Meer unsere Dusche. Rein springen, zurück auf die Badeplattform klettern und einen Schups Süßwasser auf die Haare, damit das Shampoo schäumt. Waschen, wieder rein springen und zum Schluss mit Süßwasser abduschen. Die beste Methode, um Wasser zu sparen. Wäre da nicht der Wind-Chill. Brrr. Fünfundzwanzig Knoten Wind auf dem Körper fühlen sich wie Eiswasser an. Wir Weicheier haben jetzt schon angewärmtes Wasser im Bottich. Unter Deck zu Duschen kommt nicht in Frage. Ich will auf keinen Fall diese Feuchtigkeit im Schiff, der Schimmel lauert doch schon in den Ecken, um in Kürze wieder aufzutauchen. Noch zwei Tage soll das furchtbare Wetter anhalten und in zwei Wochen ist Winteranfang. Aber wir wollen nicht meckern. Wir hatten vier Monate am Stück (bis auf eine Woche) traumhaftes Wetter.

Gewartet wird bis zur Flaute mit der Dusche – zur Not auch mal zwei Tage :-)

6 Jahre – 2 Fazits

Mo.,01.Jun.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2192, 20.254 sm von HH

Wie jedes Jahr getrennt von einander geschrieben.

Joachim
Es war ein gemischtes Jahr. Es begann mit einem leichten Rempler, der unsere Zeit in den Tuamotu verkürzte und einem anschließend viel zu langen Aufenthalt auf Tahiti, der im wesentlichen mit Reparaturen und sonstigen Anschaffungen gefüllt war. Fairerweise muss ich noch unsere Zeit in Moorea erwähnen, die durch die Begegnung mit den Buckelwalen unvergesslich wurde.

Als wir wieder unterwegs waren und die Zeit auf den Gambier Inseln genossen, kam Corona, um uns einen Strich durch die 2020er Planung zu machen. Das Ganze erinnert ein wenig an Panama, als der Blitz unsere Pläne änderte. Belohnt wurden wir damals mit einer sehr schönen Zeit in Ecuador, die wir ohne den Blitzeinschlag nicht gehabt hätten. Welche positiven Dinge sich für uns noch aus dem Corona-Überfall ergeben, wird sich zeigen. Wir sind gespannt.

Als Langfahrer sollte man Geduld mitbringen und Zeit. Ereignisse, auf die man keinen Einfluss hat, ändern Pläne ohne Ansage. Es ist also alles normal und prima an Bord. Das Leben geht seinen Gang und wir sind dort Zuhause, wo wir gerade ist. Schön ist es fast überall. Oft gerade dort, wo wir es am wenigsten vermuten. Wir haben uns ja sogar schon ein paar Bauplätze auf Mangareva angesehen …

Sabine
Wir leben in einer verrückten Zeit. Nichts ist mehr so, wie vor ein paar Monaten. Noch immer hat die Corona-Krise die Gesellschaft im Griff. „Alle bekloppt geworden“, hört man ringsumher, „ausschließlich Covidioten und Verschwörungs-Schwurbler unterwegs“. Die Menschheit bestehe nur aus Egoisten, Konsum-Boomern, Faschisten und ätzenden weißen, alten Männern. Besonders die Online-Medien und ihre kommentierenden Anhänger streuen diese Botschaft.

Dabei stimmt das gar nicht. Die Welt ist nach wie vor wunderbar. Nicht ganz so heile und weichgespült wie in ‚unserer kleinen Farm‘. Eher eine Mischung aus ‚desperate housewives‘ und ‚Lindenstraße‘ – schräge Typen gehören zum Leben halt auch dazu. Auf unserer Reise sind uns so viele sympathische Menschen begegnet, dass die paar echten Trottel darunter nicht ins Gewicht fallen. Da ist es an der Zeit mal ‚Danke‘ zu sagen.

Danke an all die Bus- und Taxifahrer, die uns trotz (oder wegen) ihrer Bekreuzigung vor Fahrtantritt sicher ans Ziel gebracht haben. Mit einem unerschütterlichen Glauben an die eigene Fähigkeit. Busse sind für uns Umwege gefahren, beim Trampen hat man uns bis vor die Haustür gebracht. Mitreisende Passagiere haben uns die richtige Stelle zum Austeigen gezeigt. Unser Gepäck wurde uns stets abgenommen und über ganze Busbahnhöfe geschleppt.

Danke an die vielen Passanten, die ihre Arbeit unterbrochen, ihr Ladengeschäft verlassen haben, nur um uns den richtigen Weg aus ihrem Städtelabyrinth zu zeigen. Die Menschen, die uns etliche Häuserblocks begleitet haben, nur damit wir den richtigen Abzweiger nicht verpassen. Auch an diejenigen ein Dank, die uns in die Irre geführt haben. Ihr habt es zumindest versucht.

Die Gerüchte über Behördenwillkür, Amtsmissbrauch, Korruption und Schikane durch Offizielle, alles Gerüchte. Wir wurden stets mit Freundlichkeit und korrekt behandelt. Erst zweimal hatten wir überraschend Besuch auf Atanga für eine Überprüfung. Beide Erlebnisse sind uns in positiver Erinnerung. Ein Dankeschön an die Beamten dieser Welt. Nur an der Erreichbarkeit eurer Büros könnt ihr noch arbeiten. Unvergessen ist der stundenlange Staffellauf auf Curacao durch die halbe Stadt.

Wir sind von wildfremden Menschen bewirtet worden, haben Geschenke bekommen und wurden ins Haus gebeten. Neugierig sind die meisten Menschen auf uns. Ohne Berührungsängste wegen Hautfarbe, Herkunft oder Stand.  Woher, wie lange, das erste Mal im Land, Name, Anzahl der Kinder … der typische Fragenkatalog. Ein Dankeschön für euer Interesse an uns, dass wir so willkommen sind.

Danke an Atanga – du tapferes kleines Schiff. Dem Blitz haben wir dich ausgesetzt und an der Koralle entlang geschrappt. Sorry dafür. Du bist trotzdem unser zuverlässiges Zuhause.
Danke an den Skipper an Bord, den Wasser-Schlepper und den Eier-Koch. Danke, dass ich die Reise mit Dir unternehmen darf. Danke an das Leben. Danke für sechs herrliche Jahre.

Atanga am Tag der Abreise – geschmückt unter typisch grauem Hamburg-Himmel

Atanga sechs Jahre später auf der anderen Seite der Welt

Stell dir vor, man darf wieder segeln und keiner fährt los

Do.,28.Mai.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2188, 20.254 sm von HH

So in etwa muss man sich die Situation in Gambier vorstellen. Seit einer Woche ist der ‚Inter-Island-Travel‘ wieder erlaubt. Zwischen den Archipel-Gruppen darf uneingeschränkt gesegelt werden, hat die polynesische Regierung beschlossen. Halt, uneingeschränkt? Nein, ganz so einfach ist es nicht. Es heißt, dass man in den Tuamotu vor der Ankunft in einem Atoll beim Bürgermeister melden soll, ob man seine Insel anfahren darf.
Ein großer Teil der Segler in Gambier hat keine Lust 450, 500 oder 600 Seemeilen zu segeln, um dann vor verschlossener Tür zu stehen: „du kommst hier nicht rein!“ Dieser Teil lehnt sich zurück und lässt erst mal die ‚Pioniere‘ lossegeln und wartet auf deren Berichte. Ein Drittel der Crews vor Ort gehört zur Gruppe ‚der nicht offiziell Einklarierten‘, die Boote, die nach dem Lockdown noch hier angekommen sind. Für die heißt es immer noch behördlich angeordnet, dass sie direkt nach Tahiti müssen, gehe nicht über die Tuamotu. Viele dieser Segler haben bei der Einreise Reparaturen genannt, die sie an der Weiterreise nach Tahiti hindern, da wäre es nun unglaubwürdig, wenn diese Schiffe in den Tuamotu kreuzen würden. Eine Zwickmühle.
Für eine kleine Gruppe von fünf, sechs Schiffen ergibt sich Morgen oder Übermorgen ein Wetterfenster, so dass diese Gruppe als die ersten Pioniere los segeln wird.

Und was ist mit uns? Wir waren mal wieder besonders schlau. In Angesicht der Tatsache, dass wir ab September nur noch eine gültige Kreditkarte haben werden, dachten wir, wir lassen uns die zwei Karten zuschicken, die zu Hause auf dem Schreibtisch liegen, während wir sowieso nicht weiter dürfen. Die Karten sind seit drei Wochen als Dokumentenversand in der Welt unterwegs: Hamburg => Leipzig => USA => Australien => Neuseeland. Gestern sind sie in Papeete angekommen. Leider erlaubt ‚unser‘ Bürgermeister noch keine Flüge nach Gambier, somit wird die Post mit dem Versorgungs-Schiff hierher transportiert … das Mädchen in der Post hat gleich gesagt, es dauert drei Monate bis unser Brief hier sein wird. :mrgreen:

Es ist voll geworden in Gambier. Es stauen sich die Schiffe. Seit Monaten durfte kein Segler die Inselgruppe verlassen, aber aus Südamerika kamen fast täglich noch Schiffe eingetrudelt. Somit sind wir fast vierzig Boote in Gambier. An Tagen mit ruhigem Wetter verteilen sich die Boote auf verschiedene Ankerplätze an den Inselchen – den Motus – am Außenriff. Dann ist alles gut und friedlich. Bei schlechtem Wetter kommen fast alle Schiffe zum Hauptankerplatz nach Rikitea, weil es auf den Motus keinen richtigen Schutz vor dem berüchtigten Süd-Ostwind gibt. Rikitea bietet nicht genug Platz für so viel Schiffe. Das Wasser ist tief – im Mittel 17 Meter – so dass alle viel Kette gesteckt haben. Siebzig Meter sind die Regel.
Unser Nachbar schwoit anders als wir, weil er mit dreißig Meter Kette (viel zu wenig) und siebzig Meter Leine ankert. Die ganze Nacht sitzt er mit seinem Pickhacken an Deck und stupst Atanga bei Berührungsgefahr zur Seite. Achim kriegt ebenfalls kein Auge zu, obwohl der Nachbar tapfer die ganze Nacht Wache geht.
Bei jedem Windwechsel wird umgeankert, weil Schiffe aufs Riff zu schwoien drohen. Jedes Boot versucht sich noch irgendwo dazwischen zu quetschen. Ein kleiner Alptraum. Die brenzligen Situationen häufen sich. Eine große Motoryacht kommt einem Franzosen zu nahe. Das Motorboot ist unbemannt und droht den Segler beim nächsten Winddreher wegzufegen. Schnell kommen von anderen Booten die Schlauchboote zur Hilfe und versuchen das Segelschiff zu schützen bis der Eigner wieder an Bord ist und seinen großen Kahn umankern kann.

Dicht gepacktes Ankerfeld – zu dicht

Wenn das Versorgungs-Schiff kommt, folgt der nächste Alptraum. Wie die Heuschrecken stürzen sich fast alle Crews in die Läden. Sie kaufen, hamstern, bunkern und lassen die Kreditkarte krachen. Die nicht so zahlungskräftigen Einheimischen können da nicht mithalten. Sie bekommen nur einmal in der Woche ihren Lohn. Vom letzten Versorgungs-Schiff soll subventioniertes Mehl verkauft worden sein. Fünfundzwanzig Kilo für sensationelle sechs Dollar. Und günstiges Bier soll es gegeben haben, statt siebzig nur fünfzig Dollar für die Palette. Normalerweise soll ein Gendarm bei solchen Verkäufen Wache stehen, der hat aber wohl durch Abwesenheit geglänzt. Ich glaube, dass weder Mehl noch Bier bei den Einheimischen angekommen sind. Zu schnell ist die Seglergemeinde. Über Funk werden die Nachrichten blitzschnell verteilt und schon düsen die ersten Dinghies an Land. Es sind definitiv zu viele Segler hier, die die Läden leer kaufen. Ein hässlicher Nebeneffekt der Corona-Krise. Es ist an der Zeit, dass sich der Segelboote-Stau auflöst und sich die Segler auf weitere Atolle verteilen.

Speiseplan-Erweiterung

Sa.,23.Mai.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2183, 20.254 sm von HH

Das Versorgungs-Schiff kommt alle drei Wochen und bringt Möhren und Kohl. Kohl und Möhren. Kartoffeln (übrigens 250 USD der Zentner :lol: – das erzähl mal den Deutschen Bauern) sind dabei, Zwiebeln und Knoblauch. Das war’s an frischem Gemüse. Das Schiff bringt Äpfel (2 USD/Stück) und manchmal Birnen oder Orangen. Das war’s an frischem Obst.
Das mit dem Obst ist nicht so schlimm. Die Pampelmusen-Bäume haben Saison und die Bäume hängen bis zum Überfluss voll. Ein kleiner Spaziergang und man findet garantiert einen Baum, der niemandem gehört. Verfaulte Früchte unterm Baum sind das sichere Zeichen. Bananen gehören immer jemandem, aber wir können ganze Stauden kaufen. Für zehn Dollar bekommen wir eine „kleine“ Staude, mit 80 bis 100 Bananen. Natürlich sind alle zur gleichen Zeit reif, so dass nur eine Woche bleibt zum Vertilgen. Unmöglich zu schaffen, also teilen wir uns neuerdings immer eine Staude mit anderen Schiffen.

Das fehlende Gemüse ist schön etwas blöder. Die Einheimischen legen nicht viel Wert auf Grünkram. Nur in wenigen Gärten sieht man, dass überhaupt Gemüse angebaut wird – mal ein wenig Salat oder auch ein paar Kohlköppe. Wir ziehen also unsere Kreise über die Insel auf der Suche nach Essbarem. Keinen Weg, den wir noch nicht gegangen sind. Und wir werden fündig: Kürbis, Chili, Papaya und Sternfrüchte wandern in die Pantry. Außerhalb vom Dorf braucht man sich nur bücken und einsammeln.

Selten hängen Papayas in Pflück-Höhe

Da wusste Achim nicht, dass Kammerad Tausendfüßler auf ihn wartet- er dürfte so 15 Zentimeter lang sein

Unsere Kreise werden größer. Je weiter wir uns vom Dorf entfernen, desto freundlicher werden die Menschen. Wir treffen auf die legendäre polynesische Gastfreundschaft. „Hallo“, werden wir angerufen, „kommt mal her. Wollt ihr Zitronen?“ Klar wollen wir – sehr gerne. Während der älteste Sohn vom Papa zum Pflücken abgeordert wird, reicht uns die Hausfrau einen kalten Saft zur Erfrischung. Wir werden gebeten auf der Terrasse hinter dem Haus Platz zu nehmen. Woher wir kommen, wer wir sind, möchte man von uns wissen. Ach, irgendwie klappt es doch immer mit der Verständigung. Mit Zitronen und Gurken (sabber – die ersten Gurken seit fünf Monaten) beladen, ziehen wir weiter. Für so viel Freundlichkeit wollen wir uns revanchieren. Wir bringen ein paar Tage später einen selbstgebackenen Kuchen zur Familie. Man freut sich, posiert gerne fürs Foto und eine weitere Gurke wandert in unseren Rucksack.

 

Großzügige Gastgeber

Auf jeder Wanderung fällt uns etwas zu: Ein Opa schenkt uns Spinat, eine Mutter Passionsfrüchte. Manchmal finden wir selber einen herrenlosen Zitronenbaum. Dutzende Früchte liegen duftend unter dem Baum. Ein Typ, der uns Picknick machen sieht, verschwindet im Wald und erscheint mit einer langen Stange mit der wir Papaya vom Baum stoßen dürfen. „Bedient euch“!

Zum Teil schwer beladen kommen wir von unseren Streifzügen heim. Okay, manchmal verbrauchen wir wahrscheinlich mehr Kalorien auf zehn Kilometer Wanderung als wir nach Hause tragen. Die besten Sachen wachsen nicht eben um die Ecke, meistens müssen wir die Berge hoch und wieder runter auf die andere Seite der Insel. Aber für die Abwechslung in der Küche ist es allemal gut. Das sind die wirklich schönen Momente auf unserer Insel.

Oh, süße Südsee

Tag 1 – Passionsfrucht Minze Sternfrucht Zitronen Papaya

 

Tag 2: Kürbis, Gurken und Chili

Der Goldene Käfig

So.,17.Mai.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2177, 20.254 sm von HH

Die Nachrichten häufen sich in unseren Info-Boxen, dass viele Länder in Europa im Frühsommer ihre Grenzen wieder öffnen wollen. Hoffnungsvoll blicken auch wir auf Informationen über Länder, die auf unserem weiteren Weg liegen. Hier herrscht allerdings Schweigen. Neuseeland philosophiert über eine ‚Bubble‘ mit Australien und den pazifischen Inselstaaten. Alles nicht spruchreif, alles (noch) ohne Konzept und Lösungen. Für Segler ist da kein Platz, eine Einreise wird weiterhin verweigert.

Auch unser Gastgeber, Französisch Polynesien, eiert um Lösungsansätze herum. In Tahiti gibt es noch einen letzten Corona-Infizierten, der inzwischen das Krankenhaus verlassen konnte. Neue Fälle sind seit etlichen Tagen nicht mehr aufgetreten. Dementsprechend wurden fast alle Einschränkungen für die Bevölkerung aufgehoben. Und nun? Natürlich möchte das Land ’sauber‘ bleiben. Aber da sind die 1500 bis 1700 Beamte, die hier im Sommer aus Frankreich erwartet werden. Für Lehrer, Gendarmen und sonstige Angestellte läuft der zweijähriger Arbeitsvertrag aus – neue Leute aus Übersee rücken an. Es erscheint nahezu unmöglich dabei sicherzustellen, dass keine Neuinfizierten darunter sind. Außerdem warten tausend Polynesier in Frankreich auf eine Rückkehr in ihre Heimat.
Man möchte die Grenzen für den Tourismus öffnen, das Haushaltsdefizit wird bereits mit einer Milliarde USD beziffert. Die polynesische Regierung hat genug mit ihren eigenen Problemen zu tun, da werden wir Segler schon mal vergessen. Noch immer ist das Reisen von Atoll zu Atoll verboten. Nur die kleinen Inseln im ‚eigenen‘ Atoll dürfen besucht werden. Für uns bedeutet es, alle Inseln im Gambier stehen uns frei, in die Tuamotus oder auf die Marquesas zu segeln, ist nicht erlaubt. In Anbetracht der geplanten Anreisewelle von Franzosen sieht es fragwürdig aus, ob diese Art des Segeln wieder erlaubt werden kann. Gefangen im Goldenen Käfig.

Wir haben nichts auszustehen. Absolut gar nichts. Seit wir uns wieder frei bewegen dürfen, nutzen wir das reichlich. Jeden zweiten Tag gehen wir auf eine Wanderung, sind zwischen zwei und fünf Stunden unterwegs, nehmen häufig ein Picknick mit. Es könnte schlechter laufen. Das Wetter ist auf unserer Seite. Sonnig, nicht zu heiß, wenig Wind, manchmal ein Schauer, damit der üppig grüne Überfluss an Land nicht zum Erliegen kommt.

Trauminsel Mangareva – hinter dem Horizont liegt die Freiheit

Gefangen im Goldenen Käfig mit seinem Südsee-Charme. Bevorzugt vom Schicksal und doch gefangen. Die Gespräche unter uns Seglern drehen sich Im Kreis: wohin können wir? – wie lange wird es noch dauern? – was habt ihr für Pläne? Jeder weiß etwas anderes, jede Crew verfolgt ihr eigenes Konzept. Die Unruhe wächst. Wo werden wir in drei Monaten sein? Wo in einem Jahr? Ungewissheit nagt an einigen Segler-Nerven.
Wenn wir auf der schönen Insel unterwegs sind, geht es uns super gut. Wir schreiten Grundstücke mit Meerblick ab und malen uns ein Leben ‚für immer‘ auf Mangareva aus. Ich hätte einen Garten mit Gemüse und bunten Blumen und Achim würde abends gespeerte Fische nach Hause bringen. Sozial-Romantik vom Feinsten. Abends hält dieser Traum nicht immer an – wir sind hin und her gerissen. Bedeutet dieses Virus das Ende unserer Reise? Wer lässt uns auf dem weiten Weg nach Deutschland noch rein? Ohne Antikörper, ohne Impfung, ohne Impfausweis? Diese Gespräche zeigen uns, dass wir gefangen sind. Der Käfig mag zwar golden sein, aber er bleibt ein Käfig. Und nicht alle Räume sind aus Edelmetall. Die Pantry mit der etwas eintönigen Versorgungs-Lage dürfte aus Weißblech sein und der Weinkeller besteht eindeutig aus rostigem Eisen. ;-)

 

Der Claim ist abgestochen – Achim mit unserem vermeintlich neuen Grundstück ;-)

Die ganze Wahrheit

Di., 12.Mai.20, Franz.Polyn./Gambier/Insel Mangareva, Tag 2172, 20.254 sm von HH

Wein haben wir ja schon seit Wochen nicht mehr. Der letzte Schnaps von den Kanaren hat zu Unrecht die letzten fünf Jahre unter den Bodenbrettern gelegen. Ich weiß nicht, wer ihn mal als untrinkbar bezeichnet hat. Das war ein Irrtum. Das war ein lecker Likörchen mit 30 Umdrehungen, der durch die vielen Jahre wahrscheinlich gewonnen hat. Der ist nun leider Geschichte. Die letzte Buddel Rum ebenfalls. Es gibt noch eine Flasche Metternich, gehütet und beschützt für unseren 20. Hochzeitstag im Juni (hoffentlich ist der edle Tropfen nicht schon längst verdorben – aber das ist eine andere Geschichte).
Ansonsten sind wir abgebrannt, pleite, trocken gelegt!

Vor Ort kann man Bier kaufen (harte Sachen stehen weiterhin unter behördlichem Lockdown-Verschluss). Allerdings treiben einem die Bierpreise die Tränen in die Augen. Eine Halbliter-Dose kostet 3,60 USD. Das schmerzt. Zumal ich Bier jetzt nicht soooo toll finde. Beim Kochen soll Wein in den Koch – kein Bier. Wein kann man ebenfalls vor Ort kaufen. Der billigste Fusel hat 10% Alkohol – ein echtes Gütezeichen :lol: – und kostet 15 USD. Wir haben ihn probiert. Nun ja, er ist sein Geld nicht wert!

Und jetzt kommt Tola (Name von der Red. geändert) ins Spiel. Tola habe ich schon vor dem Lockdown im Shop kennengelernt. Er fragte mich, woher ich komme. Als er Deutschland hört, streckt er mir seine Ghetto-Faust entgegen und strahlt mich in bestem Hochdeutsch an: „Moin, Moin.“ Tola ist mal in Deutschland gewesen, in Berlin, Mönchengladbach und Mölln – mit einer Tanztruppe, wenn ich es richtig verstehe. Er folgt eine Unterhaltung über die ‚german Bundesliga‘, wobei ich nur an den richtige Stellen nicken muss, den Rest macht Tola. Klappt gut, er kann ein paar Brocken Englisch und ich packe meine Brocken Französisch dazu. Ein sympathischer Kerl, ungefähr in meinem Alter, der in Gambier nur zu Besuch ist, eigentlich aus den Tuamotu stammt und nun nicht nach Hause zurück kann.

Zu der Zeit als der Alkohol-Verkauf komplett verboten war, treffe ich Tola wieder. „Kein Bier“, mault er mich an und guckt unglücklich. Ich nicke zustimmend und zucke mit den Schultern. „Das kann noch dauern“, deutet Tola an und tippt auf seine nicht vorhandene Armbaduhr. „Willst du was zum Rauchen?“, fragt er mich unvermittelt. „Nein, ich rauche schon dreizehn Jahre lang nicht.“ Ich komme vom Dorf und verstehe nicht gleich, was er meint und gebe ihm tatsächlich diese selten dämliche Antwort. Er guckt mich entsprechend ungläubig an, fängt mit den Hüften an zu wiegen, rollt mit den Augen und singt: „Bob Marley … lala lalala … „. Oh! Ohh, ohhhhh, jetzt verstehe ich. Ich schüttel trotzdem den Kopf: „Nein, danke.“

Ein paar Tage später treffe ich erneut auf Tola als ich grade aus dem Laden zum Dinghy gehen will. „Pssst! Pfff.“ Tola steht an einer Hauswand in eine Nische gedrückt. „Pffffft.“ Er pfeift total auffällig unauffällig durch seine Zähne und deutet mir mit dem Kopf zu ihm zu kommen. „Moin, Moin“, sagt er. Dann schaut er sich konspirativ um. Niemand zu sehen. Er nimmt meine Hand und drückt mir ein Stück Küchenpapier in die Hand. „Bob Marley“, lacht er und fängt wieder mit den Hüften an zu wackeln. Schnell lasse ich das kleine Päckchen in der Hosentasche verschwinden. Er grinst.

Jetzt sitzen wir also auf dem Schiff. Der halbe ‚Stein des Anstoßes‘ liegt vor uns. Rauchen oder nicht rauchen, das ist die Frage? Die im Internet verbreitete Floskel ‚ich frage für einen Freund‘, kann ich mir wohl schenken. :mrgreen:

Das Corpus delicti