Boltenhagen – Halbzeit an der deutschen Ostseeküste
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Ich befinde mich ja aktuell auf einer Konzerttour mit meinem Segelboot entlang der deutschen Ostseeküste. Am 23.7. bin ich in Flensburg losgesegelt und habe mich in Eckernförde mit Andreas und seiner Frau Steffi von meiner Plattenfirma getroffen. Seitdem segeln wir mit zwei Booten im Verband.
Am 28.7. verlassen wir nun nach zwei Konzerten Laboe. Für zwei Tage ist auch meine Frau an Bord. Es ist 2230h, das Konzert im Skippers Place ist vorbei und es wird langsam dunkel. Unsere Boote gleiten aus dem Schutz des Laboer Hafens hinaus auf die Kieler Förde. Es weht ein stetiger Wind mit vier Beaufort aus Südwest, der die Nacht über anhalten soll. Ideale Bedingungen also für unsere Nachtfahrt nach Heiligenhafen. Am 30.7. müssen wir nachmittags in Travemünde sein, um dort auf der Travemünder Woche aufzutreten. Segeln mit Termindruck funktioniert selten gut, also habe ich die Idee dieses Nachttörns entworfen um zeitlich etwas flexibler zu sein. Bis Heiligenhafen sind es heute Nacht 38 Meilen, von dort bis Travemünde ungefähr noch einmal die gleiche Strecke.
Wir drehen unsere Nasen kurz Richtung Kiel um die Großsegel zu hissen und laufen dann beinahe vor dem Wind mit fünf Knoten im Fahrwasser Richtung Kiel Leuchtturm. So kann es weitergehen! Hinter der roten Tonne 4 biegen wir nach Steuerbord ab und nehmen Kurs auf die südliche Tonne des Sperrgebietes hinter der Marina Wendtorf. Wir loten zwar teilweise nur drei Meter Wassertiefe und es sind Steine in der Seekarte verzeichnet. Ich kenne das Revier aber mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sie uns nicht zu nahe kommen werden. Mit nun raumen Wind beginnt meine Fock einzufallen, und der Speed lässt nach. Ich ändere Segelstellung und Kurs aber hier in der Abdeckung des Landes schwächelt der Wind und ich erreiche nur noch um die 3,2 Knoten. Andreas überholt mich nur unter Groß. Sein Schiff, eine Vindö 40, ist länger und schmaler und setzt den schwachen Wind besser in Speed um. Meine dicke Dufour 2800 kommt einfach nicht voran. Ich überlege den Diesel zur Unterstützung zuzuschalten, kann mich aber ob der Nachtstimmung, der vielen Sterne am Himmel, der laufenden, leisen Musik und der kuscheligen Atmosphäre mit meiner Frau nicht dazu durchringen. Ich habe beim Segeln auch gelernt, dass man immer mal wieder langsame, windarme Passagen einfach aussitzen muss. Sonst macht man sich nur verrückt.
Und so genießen wir das gigantisch anmutende Firmament, den sichelförmigen Mond und das Schauspiel einiger dunkler Wolken vor dem Nachthimmel. Aber es soll sowieso alles ganz anders kommen. Plötzlich verlöscht das Hecklicht von Andreas und sein Schiff ist in der mittlerweile großen Dunkelheit und kurze Zeit später ruft er uns schon über Kanal 16 an. Auf Kanal 69 dann die Information „Wir haben eine Battery Low Warnung und erst einmal alle Lichter ausgeschaltet. Außerdem läuft der Diesel um die Akkus wieder aufzuladen. Behaltet uns mal im Auge“. So fahren wir dann südlich des Sperrgebietes bis querab Schönberg, wo langsam wieder der Wind anfängt zu wehen. Andreas Boot ist in der Dunkelheit schwer zu erkennen und wir versuchen in seiner Nähe zu bleiben. Hin und wieder geben wir uns Lichtsignale. Mit nun genügend Wind beginnt meine „La Mer“ zu laufen und wir loggen gute sechs Knoten. Die bekommt jetzt allerdings Andreas nicht aus seinem Schiff. Die haben da drüben nun auch ganz andere Sorgen. Ohne Laternen durch die Nacht? Was wenn die Navigation ausfällt? Was wenn auch die Starterbatterie leer ist und der Diesel nachher nicht mehr anspringt? Es sind wohl zwei Batterien an Bord, aber deren Schaltung ist unklar und ein yachttypischer Umschalter nicht an Bord. Von daher könnte die Sorge berechtigt sein. Ich mache den Traveller auf und rolle etwas Fock ein. Dahin ist das schöne Tempo und wir sind nur noch mit rund fünf Knoten unterwegs. Die Ankunftszeit für Heiligenhafen verschiebt sich immer weiter nach hinten. Dazu setzt nun bei weitere Einfahrt in die Hohwachter Bucht eine stärkere Dünung ein. Ich vermute den Wind nun bei rund fünf Beaufort aus Süd. Eigentlich ideal, aber ich muss mein Boot bremsen. Und meine Frau umtüdeln. Denn bei ihr als Gast hält sich die Begeisterung einer nun extrem langen, windigen und unruhigen Nachtfahrt doch sehr in Grenzen. Langsam hüllt sie sich Schicht um Schicht mehr in Decken und Jacken. Ich suche ihr das windstillste Plätzchen hinter der Sprayhood auf der Luvseite. Setze mich samt Gitarre auf den Cockpitboden und wir singen erst einmal eine Stunde in der Nacht. Mir gefällt’s, aber ihr Blick wandert immer wieder zum GPS mit der Entfernungsangabe, die nur langsam kleiner wird.
Nachttörns – Dicht an der Natur
Neuer Funkspruch von Andreas: Sie haben die Segel eingeholt und laufen nun unter Diesel. Wenn dieser erst einmal läuft, gäbe es später keine Probleme beim Starten. Mittlerweile ist auch klar, dass die Lichtmaschine nicht lädt und er nur den Reststrom in seinen Akkus hat. Der Autopilot muss aus und nur das iPad hängt noch am Akku. Ich möchte wirklich nicht mit den beiden tauschen. Leider läuft sein Boot nun unter Diesel gerade noch einmal 4,3 Knoten. Ich nehme die Fock fast ganz weg und trimme mein Groß so, dass ich diese Fahrt halten kann. Die Ankunftszeit verschiebt sich so immer weiter nach hinten. Ich koche mir Kaffee und Tee für meine Frau, die nun langsam immer müder und verfrorener wirkt. Ich hatte ihr im Vorfelde erklärt was vor uns liegt, und sie wollte trotzdem gerne mitfahren, aber die Realität sieht dann doch immer etwas anders aus. Es ist nun stockfinster und auch merke den langen Tag samt Konzert in den Knochen. Mein Trick dabei ist es die Müdigkeit einfach nicht zuzulassen. Sie ist einfach keine Option. Ich beschäftige mich mit tausend Dingen, bloß um nicht zur Ruhe zu kommen. So geht es langsam und schweigend durch die Nacht. Es gibt einige unbeleuchtete Tonne auf unserem Kurs durch das Schiessgebiet Richtung Heiligenhafen. Wenigstens herrscht hier Sommerpause, die Tonnen muss ich aber umfahren und sichten, damit ich beruhigt weitersegeln kann. Nur im starken Strahl meines Handscheinwerfers leuchten ihre Reflexionsstreifen und ich kann dann aufatmen. Ich bitte Andreas zusätzlich ein Segel zu setzen um sein Boot zu stabilisieren und etwas mehr Speed zu bekommen, denn er fällt immer weiter zurück. Merih hat sich mittlerweile unten schlafen gelegt. Was für eine treue Seele, so lange hier oben bei mir geblieben zu sein. Es beginnt nun zu dämmern, Andreas schließt langsam auf und die Fehmarnsundbrücke kommt deutlich näher.
Sonnenaufgang vor Heiligenhafen
Hier müssen wir noch zwei Kardinaltonnen (eine auch wieder unbeleuchtet) finden um in die Ansteuerung von Heiligenhafen zu kommen. Andreas zieht vorbei. Er will in den Werfthafen, den er gut kennt um sich dort morgen Rat zu holen. Ich will meinen Außenborder starten und habe plötzlich den Chokehebel in der Hand. Abgerissen. Also nehme ich die Abdeckung ab und bediene den Choke mit der Hand am Vergaser. Endlich springt der Motor an und ich kann die Segel herunternehmen. Der Weg nach Heiligenhafen zieht sich endlos dahin und am Ende muss ich dort auch noch drei Stegreihen abfahren, bis ich endlich ein grünes Schild entdecke. Es ist 0630h als wir endlich ins Vorschiff gehen um unsere Augen zu schließen. Das große Problem: Ausschlafen ist nicht, denn wir müssen morgen weiter.
Der Grund für all die Mühen
So stehen wir dann auch um 1100h auf und suchen erst einmal ein Café um die Müdigkeit mit Koffein zu vertreiben. Andreas meldet, dass ein Techniker um 1400h käme. Notdienst, denn wir haben Samstag. Wir laufen ein wenig durch Heiligenhafen und überlegen unsere Optionen für heute. Ideal wäre Grömitz. Nicht zu weit für heute und morgen bis Travemünde auch ideal. Ich rufe also dort an. Ernüchternd. Heute sei Hafenfest und alles knackevoll, ab 1600h bräuchten wir nicht mehr zu kommen. Na gut, also Neustadt. Andreas kann als MVO Mitglied dort reservieren, was ihm auch gelingt. Das Problem ist, das wieder über 30 Meilen werden und wer weiß, wann wir loskommen? Die Laune meiner Frau verfinstert sich. Ich male ihr die Marina Neustadt als Luxustempel aus, samt Duschen und Restaurant als Belohnung für unsere Ankunft. Es hilft, kurz. Wir schlagen uns vorsichtshalber den Bauch voll, in Heiligenhafen natürlich mit Fisch, und fahren dann rüber in die Werft. Der Techniker war schon eher dort, und diagnostizierte eine defekte Lichtmaschine bzw. Regler. Die Akkus waren aber mit Landstrom wieder voll geladen. Eine Fahrt wäre erst einmal möglich, jedoch besser nicht in der Dunkelheit. Für diesen Service wollte er trotz Anfahrt übrigens nichts haben. Sehr nett. Übrigens, auch unser Hafenmeister kassierte für die kurze Nacht nur €2,50.-
Durch die Fehmarnsundbrücke
Zügig laufen wir aus. Natürlich kachelt es wie verrückt, aber achterlich, so dass wir nur unter Fock Kurs auf den Sund nehmen können. Aber das ist natürlich nicht das versprochene Sommersegeln. Vor Orth ist eine Yacht havariert und ein Rettungskreuzer läuft an uns vorbei. Über Funk verfolgen wir die gelungene Bergung. Das trägt aber mit den starken Böen nicht gerade zu guten Laune bei. Ich hoffe, dass der Spuk hinter der Brücke zu Ende ist. Fehmarn ist ja ein beliebtes Surfrevier, weil sich hier eben der Wind staut. Und so ist es zunächst auch. Hinter der Brücke ziehe ich das Groß nach oben und wir bleiben solange im Fahrwasser, bis zwischen zwei grünen Tonnen hinter der Abdeckung von Großenbrode der Kurswechsel nach Süden ansteht. Es wartet eine Überraschung auf uns. Allerdings der unangenehmen Art. Eine starke Welle kommt direkt von vorn und der Wind ist dafür zu schwach. Schnell geht die Fahrt aus dem Boot und wir fallen wieder etwas ab. Sehr zäh dümpeln wir voran. An den Kurs nach Neustadt ist nicht mal zu denken. Jedoch kommen wir immer weiter aus der Abdeckung und der Wind passt sich der Welle an. Wir können also immer weiter anluven, aber ein klarer Südkurs ist nicht machbar. Und nach Neustadt müssten wir hinter Dahmeshöved genau gegenan. Travemünde ist weit und die Aussicht auf einen Liegeplatz zur Travemünder Woche bei Ankunft nach 2000h sehr fraglich. Dann hat Steffi die richtige Idee: wir fahren nach Boltenhagen. Der Blick auf die Karte verrät in der Tat, das Boltenhagen, nach Grömitz, unserer Position am nächsten ist. Und wir können die Ansteuerung Offentief anlegen. Im Schnitt laufen wir nun 4,8 Knoten, haben aber schon viel Zeit verloren. Egal wie ich rechne, wir werden im Dunkeln ankommen. Die Laune meiner Frau ist im Keller. Genauso übermüdet wie ich es bin, hilft es auch nicht ihr nun die Marina Boltenhagen schönzureden. Außerdem bekommt ihr der Kurs hart am Wind gegen die ein Meter Welle nicht. Wir liegen ordentlich auf der Backe. Wir sind so froh, dass wir vorhin reichlich gegessen haben. Die Meilen werden ganz langsam weniger, manchmal haben wir das Gefühl, als würde die Anzeige stillstehen. Und dann lässt auch noch die Fahrt nach, denn der Wind schläft ein.
Dafür kommt nun die Sonne unter den Wolken hervor und schafft mit der abschwächenden Welle eine schöne sommerliche Atmosphäre. Nur die Ankunftszeit verschiebt sich immer weiter nach hinten. Ich kalkuliere nun mal ernsthaft mit 2300h. Meine Frau verzieht sich nun ernsthaft erbost unter Deck und ward nicht mehr gesehen. Angesichts der Situation starte ich den Außenborder und wir beginnen die Einfahrt in die mir bisher unbekannte Wismarer Bucht. Hier liegt doch einiges an Tonnen und es gibt ein paar Untiefen zu beachten, aber das größte Problem ist die nun einsetzende Dunkelheit. Andreas zieht wieder an mir vorbei, schwarz wie die Nacht ohne Laternen. Es zieht sich.
Und wieder motoren wir in die Nacht
Auf der Karte sieht die Bucht recht übersichtlich aus, aber sie ist es nicht. Meile um Meile nähern wir uns der Einfahrt von Boltenhagen. Merih hat herausgefunden, dass alle Restaurants im Hafen schon geschlossen haben und sucht verbissen nach einem Pizzaservice. In Boltenhagen ist alles voll. Knackevoll. Mit Handstrahlern irren wir durch den Hafen auf der Suche nach einem Liegeplatz. Am Ende macht Andreas am Boot des ihm gut bekannten Hafenmeisters fest und ich lege mich auch noch davor. Was für ein Ritt. Aus der der Hotelbar dröhnt noch Musik und wir schauen, ob wir dort etwas zu essen bekommen. Pizza soll es wohl doch nicht sein. Am Ende wird es dann, mangels Speisen, eine Bloody Mary für Merih. Tomatensoße ohne Nudeln quasi. Sie erörtert mir dann noch genau, warum das Segeln nie ihr Hobby werden wird, aber ich kenne die Argumente alle schon. Normalerweise würde ich ihr solche Törns nicht mehr antun, aber wir haben Termine und sie war freiwillig dabei. Wir sind beide todmüde und engumschlungen schlafen wir endlich ein und auch einmal aus.
Hafenbüro Boltenhagen – Schön meine CD auf dem Tresen zu sehen :-)
Der nächste Morgen beginnt kurz friedlich. Die Sonne scheint, wir wollen alle gemeinsam zum Frühstückbuffet. Und müssen hier erst um 1400h los nach Travemünde zum Auftritt. Ich schalte mein Handy ein. Eine Nachricht von Dara, unserem Sänger. Er ist krank. Atemweginfektion mit Notarzt. Mindestens drei Tage Bettruhe. Neben einem Sänger fehlt uns nun auch die Technik. Denn die steht im Transporter vor seiner Tür. Und er sollte damit nach Travemünde kommen. Wir gehen frühstücken, aber ohne Ruhe. Jeder hat ein Handy am Ohr. Ich stelle das komplette Programm um, und bitte unseren Trommler Basti zwei Songs von Dara zu übernehmen.
Basti als „Vertreter“ – ganz groß
Der Auftritt sollte gemeinsam mit meiner Rockabilly Band BiggsBSonic stattfinden. Dann spielen wir halt länger um die Zeit aufzuholen, die nun durch den Verlust von Dara fehlt. Nach einer Stunde hat Andreas auch einen Fahrer aufgetan, der den Transporter abholt und nach Travemünde fährt. Ruhiges frühstücken geht aber anders. Nun müssen wir noch Liegeplätze für unsere Boote organisieren. Es weht wieder sehr stark und wir liegen längsseits und sehr ungünstig mit dem vollen Wind von der Seite. Mein Liegeplatz ist die 101. Der sollte frei sein, falls nicht bitte noch einmal anrufen. Hm. Das Ablegen ist zwar mühsam gelingt aber gut, der Platz 101 ist aber besetzt. Ich dampfe gegen den Wind und rufe den Hafenmeister an. „Sie rufen außerhalb unserer Bürozeiten an…“. Platz 109 ist grün und damit meiner! Es fängt an wie aus Eimern zu schütten während wir unsere Boote verschließen. Ich beschließe für ein paar Tage nach Hamburg zu fahren. Ich brauche dringend etwas Erholung und Merih mag ich auch nicht so wegfahren lassen. Am Ende ist alles vertäut und verstaut und wir sitzen im Auto nach Travemünde. Boltenhagen ist Andreas Heimathafen, daher das Auto vor Ort. In Travemünde erwartet uns dann endlich einmal strahlender Sonnenschein und eine Riesenbühne. Ein Backstage Bereich mit Essen und Trinken, moderne Tontechnik, das volle Programm. Das tröstet über einiges hinweg. Es wird dann auch ein ganz toller Auftritt vor großem Publikum, mit tollem Sound, viel Applaus, einem Heiratsantrag auf der Bühne und einem Basti, der als Sänger glänzt! Dazu der Blick direkt auf die Traveeinfahrt. Immer wieder ziehen Segelboote vorbei. Ich sehe Badehosen, Bikinis, freie Oberkörper. Man könnte beinahe denken Segeln wäre Wellness pur. Doch wir wissen es besser.
Unser Publikum