Karibiksegeln im Juli – 4. Domenica, der absolute Höhepunkt!
Ankerbucht vor Roseau
Auf nach Domenica! Unter Motor geht es frühmorgens das kurze Stückhoch zum Nordkap von Martinique. Da wir bisher noch nirgendwo Landstrom bekommen haben, sind wir ja immer wieder auf Motorfahrten angewiesen, um die Spannung in den Akkus zu halten. Die Alternative wäre es, am Liegeplatz den Motor laufen zu lassen. Das müssen wir später auch noch machen, aber ich probiere es eben möglichst zu vermeiden und fahre Schwachwindsektionen dann eben unter Diesel. Am Nordkap angekommen, brist der Wind wie auch im Törnführer beschrieben stark auf. Klar. Düseneffekt und Kapeffekt kommen hier zusammen. Das erste Reff hatte ich schon vor dem Auslaufen eingebunden, also können die Segel direkt nach oben gehen und der wilde Ritt beginnt. Bis zu 8 Knoten stehen auf meinem GPS, die Logge ist, wie so einiges andere an diesem Boot, defekt. Die Sun Odyssey legt sich weit über wird dann aber schnell stabil und schnell. Noch etwas mit Fockgröße, Traveller und Trimm experimentiert, dann passt alles und der Autopilot (dessen Anzeige auch defekt ist) verrichtet seinen Dienst. Wir bekommen den Wind genau von der Seite, samt kräftiger Welle. Aber mit diesem Speed segelt es sich ganz hervorragend und schnell wird Domenica vor dem Bug immer größer, während Martinique im Kielwasser verschwindet. Die Seekarten (die an Bord sind die übrigens noch von 2006!!) und die Plotter (ich habe sicherheitshalber auch mein Tablet samt Navionics Software mitgebracht) berichten vom ominösen 7 Feet Rock, dessen Position nicht ganz eindeutig ist. Ich halte also lieber genug Abstand von Scotts Head, der Untiefe am Südkap von Domenica.
Land in Sicht
Zwischen den Inseln
Und auch hier brist es wieder ganz gewaltig auf und eine Böe legt uns eine Zeit heftig auf die Seite. Alle Augen ruhen auf mir. Jetzt bloß ganz gleichgültig tun. Alles an diesem Boot ist so groß, dass man nicht mal eben die Großschot fieren kann. Dazu kommt das German Cuppersystem auf einer gemeinsamen Winsch für Fock und Groß. Da muss dann erst einmal die Großschot um eine Winsch gelegt, eine Klemme geöffnet und langsam gefiert werden, und das dauert eben. Aber die vor Schreck geweiteten Augen der Crew bleiben größer als die eigentliche Krängung. Alles im grünen Bereich. Der Wind dreht nun mit dem Kap mit und kommt eine Zeit lang raum, bis er dann langsam schwächelt. Also gehen wir wieder in den stromerzeugenden Dieselmodus. Mir wurde vorab geraten möglichst nur in Portsmouth zu ankern, da der Rest von Domenica nicht ganz ungefährlich wäre. Soweit in den Norden wollen wir aber nicht, und ich denke die Hauptstadt Roseau geht auch in Ordnung. Der Törnführer beschreibt ein paar mögliche Plätze samt diversen Telefonnummern und UKW Anrufkanälen von möglichen Liegeplätzen, aber niemand antwortet. Eigentlich wollte ich schon mit gutem Abstand zur Küste einen der empfohlenen Plätze reservieren, bevor wir von Boat-Boys umlagert werden. Besonders erwähnt wird im Törnführer von Chris Doyle ein Marcus, der sich um die Security in der gesamten Ankerbucht kümmern soll. Aber auch er antwortet nicht. Und da löst sich auch schon ein kleines, knallbuntes Boot mit Außenborder vom Land und hält auf uns zu. Das hat etwas von den Piratenbildern, die man aus Somalia kennt, aber es wird wohl Zeit Vorurteile über Bord zu werfen und sich dem Neuen zu stellen. Das farbenfrohe Boot samt farbenfrohem Lenker im Rasta-Style und leicht verkifften Augen geht längsseits. Auf Domenica spricht man zum Glück englisch, was die Kommunikation doch sehr erleichtert. Eigentlich möchte ich an eine Mooringtonne vor dem Domenica Marine Center, aber er zeigt auf eine Tonne ein gutes Stück weit davon entfernt. Ich frage ihn nach Marcus. Ja, den kenne er. Wenn ich möchte, würde er ihn holen, sobald wir an der Tonne liegen. Wir willigen etwas zögernd ein und folgen dem Boot. Nachdem die Leine fest ist, verhandeln wir auch schnell noch den Preis. 40 karibische Dollar, also ca. 13 Euro die Nacht. Inklusive Security. Angesichts der verfallenen Gebäude direkt vor uns, sowie schwelender Feuer am Strand und der offensichtlichen Armut sind wir hin- und hergerissen. Wir liegen in Schwimmweite des Strandes und die Küste wirkt leicht bedrohlich. Das ist hier dann doch ganz anders als auf Martinique.
In meinem Buch befindet sich jedenfalls ein Foto von Marcus, und der Mann, der nun mit unserem Boat-Boy angefahren kommt, sieht ihm in der Tat sehr ähnlich. Freier Oberkörper, einige Zähne fehlen, am Gürtel ein martialisch aussehendes Messer sowie eine Handfunke. Und er redet gleich drauflos: “Hi, I am Marcus, I am the Security here in this bay”. Ich zeige ihm das Foto und er lacht. Ja, das wäre er. Er würde nun aber nicht mehr für das Marine Center arbeiten, sondern auf eigene Rechnung, und dieses hier wäre seine private Mooringtonne. Irgendwie wirkt er extrem von der Rolle und auch nicht ganz nüchtern. Ich setze mich aufs Vordeck um ein wenig mit ihm zu plaudern und einen Eindruck zu gewinnen. Er erzählt mir, dass sein nagelneuer Außenborder grade abgesoffen wäre (it went fucking dong, man), und mit ihm sein Handy. Daher hätten wir ihn nicht erreicht, aber er würde sich nun um alles kümmern. Zoll, Ausflüge, er könnte uns überall behilflich sein. Wenn auch nicht ganz nüchtern, erscheint er mir aber doch sympathisch und vertrauenswürdig. Die anderen stimmen zu, und wir bezahlen für zwei Nächte plus einem Trinkgeld von 20 EC für den Service. Und sagen ihm zunächst, dass wir uns später wieder melden würden. Danach sitzen wir erst einmal im Cockpit gewöhnen uns ein und schwimmen, während vom Strand immer lautere Musik herüberweht. Ich würde es Carribean Gangsta Rap nennen, mit viel Waffen- und Schussgeräuschen. „No, I am not a nice guy!”. Boom Boom Boom. Naja, so ganz wohl fühlen wir uns hier dann noch nicht. Zwei Stunden später habe ich dann Marcus am UKW und er will uns für Zoll und Stadtbesichtigung abholen. Das Dinghi bleibt besser angeschlossen an Bord. Marcus erscheint mit dem Boot seines Kollegen und sagt: „Hi I am Marcus, I am the security here in this bay“.
So als sähe er uns gerade zum ersten Mal. Strange, aber nun müssen wir da wohl durch. Am Zoll verlassen wir das Boot und mangels eigenem Hand UKW (denn das hatte ich zuhause vergessen) verabreden wir uns direkt am Strand vor unserem Boot für den Rücktransport. Und hoffen, dass wir den Platz und unser Boot überhaupt wiederfinden. Die Dame beim Zoll winkt ab. Heute am Sonntag käme wohl keiner mehr, und wir sollen doch bitte morgen früh wiederkommen. Also laufen wir etwas unmotiviert durch die Straßen. Alles ist geschlossen und leer, die Menschen erscheinen uns feindselig und wir uns, als offensichtliche Touristen, sehr fehl am Platze. Dazu kommt der Hang zum Gangsta-Look bei vielen Einheimischen plus deren Autos mit rundum getönten Scheiben aus denen fette Bässe dringen. Plus der leicht desolate Zustand der Stadt. Wir wissen nicht so recht wohin und landen am Ende im Innenhof eines recht noblen Hotels. Hier lässt es sich gut aushalten und von der Dachterrasse kann man dann auch unser Boot friedlich vor dem Strand dümpeln sehen. Es ist ziemlich weit weg und wir sollten den Fußweg dorthin rechtzeitig antreten, damit wir nicht im Dunkeln nach der richtigen Strandhütte suchen müssen, in der Marcus auf uns wartet. Samt Messer. Hoffentlich! Mich nervt nun aber auch mein Misstrauen, ob der vielen Klischees und wir beschließen dann statt mit dem Taxi zur Strandhütte zu fahren, doch einfach zu Fuß zu gehen. Sonst werden wir uns nie akklimatisieren. Und in er Tat, mit offeneren Augen und geänderter Haltung ist alles plötzlich sehr aufregend, neu und spannend.
Bunte Häuser, kleine Geschäfte, ein Fußballplatz und jede Menge Menschen säumen die Küstenstraße. Alle grüßen und sind freundlich, bis auf einen Mann der direkt fünf Dollar von uns verlangt, aber nicht bekommt. Und wir erwischen dann auch den richtigen Abzweig zum Strand und finden dort Marcus und seine rund 10-köpfige Crew vor. Jetzt begrüßen wir uns auch irgendwie das erste Mal richtig. Und machen für den nächsten Tag eine Inseltour ab. Sie würden auf das Boot aufpassen und wir könnten in Ruhe durch heiße Quellen und Wasserfälle streifen. Abgemacht. Die Runde ist karibisch friedlich, der Geruch von Gras hängt in der Luft. Ein Typ aus Florida hängt auch hier ab. Frau und Kind irgendwo draußen an Bord. Auf Langfahrt. 5 Jahre sind geplant. Umgestiegen auf Katamaran, da sie die Krängung stört. Wir werden noch eingeladen mitzufeiern, gehen aber dann doch lieber auf unser Boot. Mit unseren zwei Mädels wollen wir unser Glück nicht herausfordern. Alle 30 Minuten streift der Strahl einer Taschenlampe über unser Boot. Wir werden offenbar gut behütet. Als dann irgendwann die aggressive Musik ruhigeren Raggaeklängen weicht, fühlen wir uns sehr, sehr wohl hier in dieser rauen Stimmung. Und alle sind alle froh den Sprung nach Domenica gewagt zu haben. Wir genießen noch etwas von unserem karibischen Rum und trinken einen Schluck mit Rasmus, bevor wir wie immer sehr früh in die Kojen klettern. Von innen abgeschlossen, haben wir aber trotz dem wachsenden Vertrauen dann doch wieder von innen.
Unsere Ankerbucht
Wunderbar ausgeschlafen geht es am nächsten Tag auf einen sehr beeindruckenden Ausflug über die Insel. „Unsere“ Jungs haben uns mit „Armstrong“ einen ganz hervorragenden Guide besorgt. Kaum sitzen wir in seinem Taxibus sprudeln Infos auf uns ein. Jedes Gebäude und der Gemüsemarkt wird kommentiert (alleine 40 Sorten Mangos gibt es auf der Insel). Doch wir müssen nun erst einmal einklarieren. Anders als auf Martinique, wo man selber die Infos in einen PC eingibt, ein Formular ausdruckt und abstempeln lässt, herrscht hier ein ganz anderer Ton. Ich muss diverse Angaben handschriftlich festhalten und werde ausgiebig nach Törndauer und Abfahrtszeiten befragt. Es gilt wohl festzustellen, ob unsere Angaben plausibel sind. Am Ende muss sich dann die ganze Crew in einem Raum versammeln und es gilt noch viele weitere Fragen zu beantworten. Wenigstens ist beim Einklarieren das Ausklarieren innerhalb von 14 Tagen inklusive, und so verlassen wir dann eine Stunde später das Zollgebäude, froh nicht wiederkommen zu müssen. Armstrong wartet bereits auf uns und es geht quer über die Insel. Eine Grotte zum Schwimmen (bekannt aus Fluch der Karibik), Wasserfälle, heiße Quellen, ein botanischer Garten und weitere Ziele lagen vor uns. Interessant ist es, das viele Pflanzen, deren Früchte wir nur getrocknet kennen, direkt am Straßenrand standen. Zimt, Muskatnuss, Cashew, Eukalyptus, alles kann einfach so gepflückt werden. Faszinierend. Die Klettertour über die glitschigen Felsen zu den dampfenden Quellen der Trafalgar Falls ist besonders fordernd. Die Mädels geben recht früh auf, und auch ich frage mich, ob es richtig sei unsere Knochen und damit den Törn für ein wenig warmes Wasser zu riskieren? Am Ende ist es zwar ganz nett, ich würde es aber nicht wiederholen. Zu groß ist das Risiko auf den Felsen ganz gefährlich auszurutschen und damit den ganzen Törn zu riskieren. Als Skipper hätte ich wohl besser Nein gesagt, aber damit tue ich mich bei jeder Art von Mutprobe und Herausforderung leider immer sehr schwer.
Am Ende des Tages kommen wir zwar völlig erledigt, aber absolut begeistert auf unser Boot zurück, das gut bewacht an seiner Mooringtonne liegt. Mich haben die Boat-Boys und meine anfänglichen Vorurteile lange beschäftigt, denn letztendlich sind sie es ja, die mir zwar zuerst das Gefühl der Unsicherheit gaben, um sich dann später als diejenigen herauszustellen, die so sehr um unsere Sicherheit besorgt sind. Schon Paradox. Armstrong erzählt mir dann auch davon, dass Marcus nagelneuer Außenborder ungesichert bei 200 Fuß Wassertiefe über Bord gegangen wäre. Das war auch der Grund weshalb wir von seinem Kollegen Desmond in Empfang genommen wurden. Nun muss er wieder lange auf einen neuen Motor für sein Boot sparen. Ich entscheide mich spontan dafür, ihm dabei finanziell unter die Arme zu greifen, denn ich habe großen Respekt vor ihrer Arbeit und ihrem so eigenen Kampf gegen die Kriminalität. Ohne sie und ihre nächtlichen Patrouillen hätte ich mich auf der Insel wahrscheinlich nicht sehr sicher gefühlt. Marcus zeigte mir dann noch seine „Operation“, bestehend aus viel Tauwerk, Ketten, Mooringtonnen und jeder Menge Gerödel. Was bei uns als Schrott in der Garage durchgeht, ist hier der Start seines Geschäftes! Wer also Roseau auf Domenica als Ankerziel wählen möchte, ruft am besten Marcus aus UKW Kanal 16 an, der dann auf 14 gewechselt wird. Man wird dann ruhig schlafen und das Boot auch einmal alleine lassen können. Und auch in dieser Nacht gibt uns das ständige Flackern der Taschenlampen wieder das Gefühl von absoluter Sicherheit. Und ich vergesse es nun auch die Luken zu schließen. Denn ich habe auf der Seekarte eine Info gefunden, die mich nun beschäftigt. Sinngemäß steht dort das viele Yachties es sich unnötig schwer machen, da sie die Tide und die damit verbundene Strömung zwischen den Inseln nicht beachten würden. Und so würde aus einem leichten Halb- bis Amwindkurs, dann ein hartes Gegenan. Grundsätzlich würde in der Karibik immer ein leichter Weststrom setzen, der je nach Tide dann stärker wird oder sich aufhebt. Mangels Internet hole ich per SMS von Mike von www.klassisch-am-wind.dedie aktuellen Tidenzeiten ab. Jetzt gilt es nur noch herauszufinden, in welche Richtung nun Ebbe oder Flut setzen. Aber auch dazu finde ich auf der Seekarte einen Eintrag und verschiebe die für morgens geplante Abfahrt, auf 1230h. Denn um 1430h soll die Tide kippen und wir müssen ja erst noch ums Kap motoren. Außerdem möchte ich wegen der hier recht früh einsetzenden Dunkelheit noch etwas Reserven haben.