Kategorie: Mare Più

Von Ravenna nach Pula. Einhand über die Adria. Oder: Das verbaute Meer.

Irgendwie ist es immer dasselbe: Wenn ich nach einem langen Segelschlag einen Hafen erreiche, dann freue ich mich. Doch nach zwei, drei Tagen wird mir das Liegen im Hafen zuviel. Ich will wieder hinaus, koste es, was es wolle, ich scheue keine Mühe, kein Risiko. „Du hast Angst vor Bindungen“, sagte mein Bruder einmal. Aber das traf es nicht. Meine Unrast ist etwas anderes. Es mag an meinem „Beruf“ liegen. Im Grunde genommen gibt es auf der Welt nicht mehr als knapp zwei Handvoll verschiedene Berufe. Keine zehn Berufe: Tätigkeiten, die irgendwann vor einer halben Million Jahre für das Überleben und die Fortexistenz eines umherwandernden Stammes von Bedeutung waren. Jäger. Sammler. Heiler. Lehrer. Händler. Anführer. Hand-Werker. Bauer. Die Acht. Natürlich auch in weiblicher Ausgabe. Mehr brauchte es an Berufen nicht, um die Menschheit, wie sie heute funktioniert, auf die Beine zu stellen. Und mehr Berufe gibt es wohl auch heute nicht. Denn alles andere ist nur Spielart des einen oder des anderen. IT-Expertin? Ist Hand-Werkerin – im Grunde. Journalist? Hat der Welt was zu sagen – Lehrer. Autoverkäufer? Jäger. Teamassistentin? Dahinter kann sich alles verbergen – doch irgendeiner der acht Berufe blitzt auch bei ihr im täglichen Tun durch.

Ich? Bin Händler. Eine Art übers Meer fahrender Sammler dingloser Sachen, die man Geschichten nennt. Bin ich nicht unterwegs, werde ich unleidlich. Ich schrumple innerlich wie eine Karotte, die man vergaß, in einem feuchten Tuch in den Kühlschrank zu packen. Die Welt wird mir zu eng.



Ich kann die Uhr danach stellen. Nach drei Tagen Hafen wird es mir zu eng, selbst die Aussicht, in schlimmes Wetter zu geraten, hält mich nicht fest. Ich muss raus. Ich muss die Leere da draußen sehen, wo nichts mehr ist, nur noch Wasser. Also bin ich heute morgen los. Und fahre hinüber von Ravenna. Nach Pula.

Das ist kein großer Akt. 65 Seemeilen sagt mir die elektronische Seekarte auf meinem Ipad, nicht mehr als 115 Kilometer. Gäbe es eine Autobahn, man bräuchte mit dem Wagen nur eineinhalb Stunden von Ravenna nach Pula. Aber es gibt sie nicht. Also werde ich erst irgendwann heute nach Mitternacht in Pula ankommen. 14 Stunden.

1. Ablegen.

Später, viel später als ich wollte, drehte ich Levjes Zündschlüssel, um den Motor zu starten. Ich liebe den Moment, wenn Levjes Motor anspringt. Ein dumpfes Grollen, wie tief im Inneren eines Berges. Ich liebe es, wenn der Motor mit unendlich langsamer Drehzahl startet, fast kann ich jede Umdrehung der Kurbelwelle mitzählen. Ich höre einen Moment zu. Dann springe ich hinunter auf die Pier. Löse die vier Leinen, die Levje gestern im Gewitterregen fest an der Pier hielten. Es ist immer ein wenig unheimliich, die Leinen seines Schiffes als Einhandsegler vom Land aus zu lösen. Schaffe ich es noch, nach dem Lösen der letzten Leine schnell hinüber auf mein Schiff zu springen? Bevor der Wind es von der Pier wegtreibt? Und der Spalt zu groß wird?

Ein Sprung hinüber. Den kurzen Moment hatte sich das Schiff schon fast einen Meter vom Ufer entfernt. Ein nettes Spiel. Ich stelle mich schnell hinters Steuerrad, und lege den Gashebel nach vorne. Der Motor verändert seine Drehzahl nicht, er klingt immer nach langsam, beruhigend, eine kraftvolles Wummern. Nur die Schraube ist jetzt eingekuppelt. Majestätisch beschleunigt das Schiff, es kostet den Motor keine Anstrengung. „Er spielt nur mit dem Schiff“, sagte mir der Mann, der das Schiff ersonnen hatte, ein eigenwilliger Techniker, der in seinem Leben mehr als 8.000 Schiffe gebaut hat, mit einem Grinsen. 

Langsam gleiten wir aus dem Hafen hinaus. Knurrend treibt der Motor das Schiff behäbig an den anderen Schiffen entlang, ich genieße den Moment. Die müssen hierbleiben. Ich: Darf jetzt raus, in die Weite, alles jubelt in mir, während ich 500 an diesem Tag ungenutzte, vergessene Schiffe im Hafen zurücklasse.

Ich schalte das Funkgerät auf Kanal 16, für alle Fälle. Sollte mich jemand per Funk anpreien, dann kann ich hören. Jetzt ist das Funkgerät still. Italienisches Hafengeplapper, hin und wieder. Sonst nichts.

Ich drehe LEVJE auf einen Kurs zwischen den beiden Molenfingern ein, die spitz zulaufen, und mache mich an die Arbeit. Das Deck nach dem Ablegen klarieren. Aufräumen. Erst die fünf, sechs Leinen, die noch herumliegen, sauber in Schlingen zusammenlegen. „Eine Leine aufschießen“, heißt das im Seglerdeutsch. Dann hole ich die Fender von draußen rein: Fünf große luftgefüllte Plastikwürste, die an der Bordwand hängen und davor sorgen, dass das Boot in den Gewitterböen nicht an die Pier schlägt. Und Schaden nimmt. Während all das geschieht, werfe ich alle zehn, zwanzig Sekunden einen Blick auf LEVJEs Kurs. Sie läuft zwar unter Autopilot. Aber in der engen Gasse zwischen den Molen laufen ständig Tanker, Schlepper, Stückgutfrachter ein und aus – zu blöd, wenn ich unachtsam wäre jetzt. Auf dem Meer fühle ich mich oft als Teil einer großen Gemeinschaft, wo einer auf den anderen achtet, die Ellbogen, die man auf deutschen Autobahnen kennt, gibt es selten. Dafür ist das Meer ein zu ungewisser, unsicherer Ort. Der, den Du heute unnötig verärgerst, könnte der sein, der Dich morgen im Sturm rauszieht. Nein, achtsam bleiben, während ich Leinen und Fender an der Reling festbinde, mein Schiff, während es langsam läuft, seeklar mache.



Dann habe ich die langen Molenfinger hinter mir. Bin draußen. Optisch ist alles frei vor mir, bis auf die zehn Ölplattformen vor mir, auf die ich zuhalte, von AGOSTINO-B im Norden bis CERVIA A-K-CLUSTER. Italien 135 solcher Plattformen im Meer. Hier vor Ravena, aber auch vor der Küste Siziliens. Alles sieht frei aus vor mir, auf der weiten glitzernden Fläche an diesem Morgen. Aber das ist es ganz und gar nicht. Die elektronische Seekarte sagt, dass ich mich mit LEVJE nur in bestimmten Bereichen der Wasserfläche bewegen darf. Hier ein Verkehrs-Trennungsgebiet, das Korridore für die gesamte Schiffahrt definiert, wie Ravenna angelaufen werden darf. Dort Sperrzonen um die zehn Ölplattformen herum, zwischen denen ein Kriegsschiff träge liegt wie ein dösender Wachhund. Weil sonst niemand unterwegs ist, haben die mich längst auf dem Schirm. „Also bau jetzt keinen Mist“, sage ich zu mir selber, während ich jetzt auf der elektronischen Seekarte meinen Kurs abstecke. Er sieht aus wie ein unnatürliches Zickzack nach Nordost, das ich abfahre, um alle Ge-bote und Ver-bote mit LEVJE einzuhalten.



Es kostet Mühe, den auf mich zukommenden Ölplattformen aus dem Weg zu gehen. Nein, natürlich fahre ich auf sie zu. Aber die Strömung, Windhauch, treiben mich immer näher heran, als ich will. Aber irgendwann habe ich AGOSTINO-B, die wie das Nest eines Blesshuhns auf hohen Stelzen aus dem Wasser ragt, seitlich querab. Jene AGOSTINO-B-Plattform, die vor einem Jahr italienische GREENPEACE-Aktivisten besetzten, um auf die schleichende Verseuchung des Meeresbodens mit aromatischen polizyklischen Kohlenwasserstoffen aufmerksam zu machen. Denn AGOSTINO-B arbeitet schon ein Weilchen. Die Plattform wurde 1980 in Betrieb genommen – 47 Jahre …

Irgendwann liegt AGOSTINO-B hinter mir. Zeit, mal nach dem Motor zu sehen. Ich gehe nach unten, wo LEVJE ein großes Badezimmer mit Dusche besitze. Und öffne eine kleine Tür in der Wand. Jetzt habe ich den Motor vor mir. Er arbeitet in einer eigenen kleinen Kammer. Ich schalte das Licht an in dem kleinen Geviert. Schaue, ob der Motor irgendwo Öl verliert. Oder Kühlwasser. Lege die Hand auf die Stopfbuchse, durch die die sich drehende Welle durch den Bootskörper nach draußen geführt ist. Ob sie heiß ist. Aber alles sieht gut aus. Nichts auffälliges. Ich schließe die Wandtür. 


Es ist zwölf geworden. Zeit, die Schleppangel hinten rauszuhängen, vielleicht beißt ja etwas an während der Fahrt. Und mir etwas zu Mittag etwas zu kochen: Eine Tortilla vielleicht, mit gerösteten Zwiebeln und geraspelten Zuccini. Ich lasse LEVJE einfach weiter ins grenzenlose Blau laufen, schalte den Gasherd an, setze Zwiebeln auf, hoble Parmesan und schlage Eier. Und werfe alle zwei Minuten einen Blick oben ringsum. Ob AGOSTINO-B nicht vielleicht doch auf mich zufährt. Oder der dösende Wachhund aufgewacht ist. Oder irgendwas anderes. 

2. Draußen.

Sie ist kein sonderlich tiefes Meer, die Adria. Auf der gedachten Linie, auf der ich jetzt gerade unterwegs bin, 100 Kilometer südlich der Nordküste, ist die Adria gerade mal 45 Meter tief. Das ist wenig, gemesssen am Mittelmeer und seiner tiefsten Stelle mit 5267. Jeder doofe Binnensee schafft da mehr. Der Bodensee 251 Meter. Der Starnberger See 128 Meter. Selbst der lumpige Ammersee ist fast doppelt so tief wie die Aria 100 km weit vom Nordufer entfernt. Im Grunde genommen ist die Adria eine breite, flache Senke. Eine Talsohle, die irgendwann erst spät in der Ausbildung dieses Mittelmeeres langsam voll Wasser lief, als es wärmer wurde und Gletscher und Polkappen zu schmelzen begannen und ihr Wasser die großen Ozeane füllte. Sie bleibt eine vollgelaufene Ebene, die Wassertiefe des Starnberger Sees erreicht sie erst weit im Süden, fast 300 Kilometer weiter südlich, irgendwo zwischen den Marken und der Insel Brac. Das Flache hat sie geprägt: Im Sommer heizt das Wasser der Adria schnell auf. Und im frühen November ist es in Grado in den Lagunen schon wieder so kalt, dass Baden im Meer nur etwas für harte Burschen ist.  


Ich sitze auf LEVJE an meinem Lieblingsschreibtisch, im Niedergang. Ich habe alle Instrumente vor mir: Den Geschwindigkeitsmesser, der mir sagt, wie schnell wir durchs Wasser unterwegs sind. Daneben den Tiefenmesser, der mehrmals in der Sekunden einen Laut nach unten sendet. Und anhand seines Echos errechnet, wie weit der Meeresgrund in diesem Augenblick entfernt ist. „40,3 Meter“, sagt die Anzeige. Rechts daneben der Windmesser, der den gefühlten Wind oben an der Mastspitze misst und nach unten die Windrichtung und Windstärke meldet. Rechts daneben den Radarbildschirm. Er tastet fast 50 Kilometer weit voraus den Horizont ab, ich entdecke sieben kleine gelbe Flecke. Schiffe vermutlich, denn ich bin jetzt weit draußen. 4 Seemeilen, mehr als sieben Kilometer bin ich vom nächsten Schiff entfernt. Wieder ein Stück rechts die elektronische Seekarte mit allen Daten über meinen Kurs, über meine Geschwindigkeit.

3. Die verbaute See.

Ein Kurs ist nicht immer die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Ich hatte mir in der elektronischen Seekarte als Kurs eben diese kürzeste Linie zwischen dem italienischen Ravenna und dem kroatischen Pula eingetragen. Aber der kürzeste Weg war das mitnichten.

Ich hatte vor der Abfahrt vergessen, mit meine Wegstrecke in der elektronischen Seekarte näher heranzuzoomen – ein Fehler, der ja schon veritable VOLVO OCEAN-RACEr unvermutet auf Riffe geführt haben soll.  Mir kam kein Riff in die Quere. Sondern am späten Nachmittag, als endlich Wind aus der richtigen Richtung kam und das Meer besonders frei und grenzenlos aussah, verschiedenes in den Weg:

1. Ein großes Verkehrstrennungsgebiet.
2. Unmittelbar hinter der Grenze: Ein großes kroatische Sperrgebiet mit Ölförderplattformen.
3. Dann noch mal ein großes Verkehrstrennungsgebiet


Nix mit grenzenlos. Der kleine Fehler kostete mich zwei Stunden Umweg – ich wollte nicht riskieren, auf hoher See von einem kroatischen Wachhund zur Rede gestellt zu werden, was ich denn unter Segeln mitten im Sperrgebiet zwischen den Ölförderplattformen herumzukrauchen hätte.


Wohlgemerkt: Es gibt kein Schild, das auf so etwas aufmerksam macht. Keinen Zaun. Die Adria, das Meer sieht frei aus und grenzenlos an dieser Stelle. Sie ist es aber ganz und gar nicht. 

Und wird es auch auf absehbare Zeit nicht sein. Am nächsten Tag sollte in Pula über dieses Schmuckstück stolpern: Die 6.815 Tonnen schwere Ölbohrplattform Labin. 1985 in Pula gebaut. Jetzt seit drei Jahren zur Reparatur in der Werft. Und dann? Wieder hinaus… 

4. Die blaue Stunde.

Und irgendwann hatte ich dann das riesige Sperrgebiet hinter mir. Es war früher Abend. Und für diese Stunden liebe ich Kroatien. Die Abendstunden, in denen ein sanftes Lüftchen weht. Und eine tonnenschwere Yacht einfach nur dahingleiten, dahin schnüren lässt. Als wäre es kein totes Gewicht, sndern ein graziles Wesen, das jeden Lufthauch einfängt. Und in federleichte Bewegung und schwereloses Schweben wie die Falschschirme des Löwenzahns im Mai.

5. Die Nacht.

Sie ist so ganz anders. Plötzlich ist alles in tiefe Dunkelheit gehüllt. Ich höre das Brummen des Motors. Ich sehe auf der elektronischen Seekarte, dass wir unter Motor mit 7 Knoten dahinmarschieren. Sonst: Sehe ich nur die Instrumente. Vor mir: Nur Dunkelheit, bis auf die . Immer noch 40 Meter Wassertiefe, wie den ganzen Tag über schon. Ein leichter Wind von vorn. Der Rest des Abendseglers, alles, was von der Abendsegler-Brise noch übrig ist. Vor mir in der Dunkelheit die Richtungsanzeiger grün/rot.

Sonst sehe ich nichts. Nicht das Wasser, das uns trägt. Nicht die Wellen. Ich höre sie nur, ein großer Organismus, der neben LEVJE atmet. Ich sehe nur die Instrumente des Cockpits im Dämmer. Und sonst nichts.

Als ich eine Stunde später den Kopf nach draußen stecke, sind sie da: Mit einem Mal sind sie da, die Lichter am Horizont. Die Lichter der Brijuni-Inseln.

 6. Der Anleger im Dunkeln.

Es ist kurz vor Mitternacht. Ich schleiche mich langsam zwischen den südlichen Brijuni Inseln hindurch. Die Seekarte gibt zuverlässig einen winkeligen Weg zwischen den Inseln hindurch vor. Hier, in den südlichen Brijuni-Inseln, ist das Ankern verboten. Naturschutzgebiet. Doch ein Stück außerhalb, nach Osten, mündet ein Fluss. Und kurz davor, auf fünf Meter Wassertiefe, liegt man geschützt für Bora und Yugo. Rumpelt fällt der Anker in die Tiefe. Noch einmal kurz daran ziehen und mit Maschine langsam rückwärts. Ob er auch wirklich hält. Dann Motor aus.

Stille.

Was für ein Tag.

Hardfacts:
Was braucht man, um mal eben schnell 
die Adriaseite zu wechseln?

1 seetüchtiges Boot, möglichst mit Motor und ausreichend Sprit.
1 guter Wetterbericht (meteoam.it/Windyty.com/Windguru.cz
1 gute Seekarte.
… und die Lust auf 14 Stunden Einsamkeit auf dem Meer.

… und wem 14 Stunden Einsamkeit zu wenig
und sechs Monate allein auf See immer noch nicht genug ist:

Wer reinschnuppern will: 
Das Buch ist  bei AMAZON und anderen erhältlich. 
Es hat 320 Seiten und etwa 100 Fotos und noch mehr Links. 

Und wer mehr darüber erfahren will: Hier sind alle Links: auf www.millemari.de.
Oder direkt zu AMAZON: Hier.

Von Italien nach Kroatien. Einhand über die Adria. Oder: Das verbaute Meer.

Irgendwie ist es immer dasselbe: Wenn ich nach einem langen Segelschlag einen Hafen erreiche, dann freue ich mich. Doch nach zwei, drei Tagen wird mir das Liegen im Hafen zuviel. Ich will wieder hinaus, koste es, was es wolle, ich scheue keine Mühe, kein Risiko. „Du hast Angst vor Bindungen“, sagte mein Bruder einmal. Aber das traf es nicht. Meine Unrast ist etwas anderes. Es mag an meinem „Beruf“ liegen. Im Grunde genommen gibt es auf der Welt nicht mehr als knapp zwei Handvoll verschiedene Berufe. Keine zehn Berufe: Tätigkeiten, die irgendwann vor einer halben Million Jahre für das Überleben und die Fortexistenz eines umherwandernden Stammes von Bedeutung waren. Jäger. Sammler. Heiler. Lehrer. Händler. Anführer. Hand-Werker. Bauer. Die Acht. Natürlich auch in weiblicher Ausgabe. Mehr brauchte es an Berufen nicht, um die Menschheit, wie sie heute funktioniert, auf die Beine zu stellen. Und mehr Berufe gibt es wohl auch heute nicht. Denn alles andere ist nur Spielart des einen oder des anderen. IT-Expertin? Ist Hand-Werkerin – im Grunde. Journalist? Hat der Welt was zu sagen – Lehrer. Autoverkäufer? Jäger. Teamassistentin? Dahinter kann sich alles verbergen – doch irgendeiner der acht Berufe blitzt auch bei ihr im täglichen Tun durch.

Ich? Bin Händler. Eine Art übers Meer fahrender Sammler dingloser Sachen, die man Geschichten nennt. Bin ich nicht unterwegs, werde ich unleidlich. Ich schrumple innerlich wie eine Karotte, die man vergaß, in einem feuchten Tuch in den Kühlschrank zu packen. Die Welt wird mir zu eng.



Ich kann die Uhr danach stellen. Nach drei Tagen Hafen wird es mir zu eng, selbst die Aussicht, in schlimmes Wetter zu geraten, hält mich nicht fest. Ich muss raus. Ich muss die Leere da draußen sehen, wo nichts mehr ist, nur noch Wasser. Also bin ich heute morgen los. Und fahre hinüber von Ravenna. Nach Pula.

Das ist kein großer Akt. 65 Seemeilen sagt mir die elektronische Seekarte auf meinem Ipad, nicht mehr als 115 Kilometer sind es an dieser Stelle auf direktem Weg von Italien nach Kroatien. Gäbe es eine Autobahn, man bräuchte mit dem Wagen nur eineinhalb Stunden von Ravenna nach Pula. Aber es gibt sie nicht. Also werde ich erst irgendwann heute nach Mitternacht in Pula ankommen. 14 Stunden.

1. Ablegen.

Später, viel später als ich wollte, drehte ich Levjes Zündschlüssel, um den Motor zu starten. Ich liebe den Moment, wenn Levjes Motor anspringt. Ein dumpfes Grollen, wie tief im Inneren eines Berges. Ich liebe es, wenn der Motor mit unendlich langsamer Drehzahl startet, fast kann ich jede Umdrehung der Kurbelwelle mitzählen. Ich höre einen Moment zu. Dann springe ich hinunter auf die Pier. Löse die vier Leinen, die Levje gestern im Gewitterregen fest an der Pier hielten. Es ist immer ein wenig unheimliich, die Leinen seines Schiffes als Einhandsegler vom Land aus zu lösen. Schaffe ich es noch, nach dem Lösen der letzten Leine schnell hinüber auf mein Schiff zu springen? Bevor der Wind es von der Pier wegtreibt? Und der Spalt zu groß wird?

Ein Sprung hinüber. Den kurzen Moment hatte sich das Schiff schon fast einen Meter vom Ufer entfernt. Ein nettes Spiel. Ich stelle mich schnell hinters Steuerrad, und lege den Gashebel nach vorne. Der Motor verändert seine Drehzahl nicht, er klingt immer nach langsam, beruhigend, eine kraftvolles Wummern. Nur die Schraube ist jetzt eingekuppelt. Majestätisch beschleunigt das Schiff, es kostet den Motor keine Anstrengung. „Er spielt nur mit dem Schiff“, sagte mir der Mann, der das Schiff ersonnen hatte, ein eigenwilliger Techniker, der in seinem Leben mehr als 8.000 Schiffe gebaut hat, mit einem Grinsen. 

Langsam gleiten wir aus dem Hafen hinaus. Knurrend treibt der Motor das Schiff behäbig an den anderen Schiffen entlang, ich genieße den Moment. Die müssen hierbleiben. Ich: Darf jetzt raus, in die Weite, alles jubelt in mir, während ich 500 an diesem Tag ungenutzte, vergessene Schiffe im Hafen zurücklasse.

Ich schalte das Funkgerät auf Kanal 16, für alle Fälle. Sollte mich jemand per Funk anpreien, dann kann ich hören. Jetzt ist das Funkgerät still. Italienisches Hafengeplapper, hin und wieder. Sonst nichts.

Ich drehe LEVJE auf einen Kurs zwischen den beiden Molenfingern ein, die spitz zulaufen, und mache mich an die Arbeit. Das Deck nach dem Ablegen klarieren. Aufräumen. Erst die fünf, sechs Leinen, die noch herumliegen, sauber in Schlingen zusammenlegen. „Eine Leine aufschießen“, heißt das im Seglerdeutsch. Dann hole ich die Fender von draußen rein: Fünf große luftgefüllte Plastikwürste, die an der Bordwand hängen und davor sorgen, dass das Boot in den Gewitterböen nicht an die Pier schlägt. Und Schaden nimmt. Während all das geschieht, werfe ich alle zehn, zwanzig Sekunden einen Blick auf LEVJEs Kurs. Sie läuft zwar unter Autopilot. Aber in der engen Gasse zwischen den Molen laufen ständig Tanker, Schlepper, Stückgutfrachter ein und aus – zu blöd, wenn ich unachtsam wäre jetzt. Auf dem Meer fühle ich mich oft als Teil einer großen Gemeinschaft, wo einer auf den anderen achtet, die Ellbogen, die man auf deutschen Autobahnen kennt, gibt es selten. Dafür ist das Meer ein zu ungewisser, unsicherer Ort. Der, den Du heute unnötig verärgerst, könnte der sein, der Dich morgen im Sturm rauszieht. Nein, achtsam bleiben, während ich Leinen und Fender an der Reling festbinde, mein Schiff, während es langsam läuft, seeklar mache.



Dann habe ich die langen Molenfinger hinter mir. Bin draußen. Optisch ist alles frei vor mir, bis auf die zehn Ölplattformen vor mir, auf die ich zuhalte, von AGOSTINO-B im Norden bis CERVIA A-K-CLUSTER. Italien betreibt sage und schreibe 135 solcher Plattformen im Meer. Hier vor Ravena, aber auch vor der Küste Siziliens. Alles sieht frei aus vor mir, auf der weiten glitzernden Fläche an diesem Morgen. Aber das ist es ganz und gar nicht. Die elektronische Seekarte sagt, dass ich mich mit LEVJE nur in bestimmten Bereichen der Wasserfläche bewegen darf. Hier ein Verkehrs-Trennungsgebiet, das Korridore für die gesamte Schiffahrt definiert, wie Ravenna angelaufen werden darf. Dort Sperrzonen um die zehn Ölplattformen herum, zwischen denen ein Kriegsschiff träge liegt wie ein dösender Wachhund. Weil sonst niemand unterwegs ist, haben die mich längst auf dem Schirm. „Also bau jetzt keinen Mist“, sage ich zu mir selber, während ich jetzt auf der elektronischen Seekarte meinen Kurs abstecke. Er sieht aus wie ein unnatürliches Zickzack nach Nordost, das ich abfahre, um alle Ge-bote und Ver-bote mit LEVJE einzuhalten.



Es kostet Mühe, den auf mich zukommenden Ölplattformen aus dem Weg zu gehen. Nein, natürlich fahre ich auf sie zu. Aber die Strömung, Windhauch, treiben mich immer näher heran, als ich will. Doch irgendwann habe ich AGOSTINO-B, die wie das Nest eines Blesshuhns auf hohen Stelzen aus dem Wasser ragt, seitlich querab. Jene AGOSTINO-B-Plattform, die vor einem Jahr italienische GREENPEACE-Aktivisten besetzten, um auf die schleichende Verseuchung des Meeresbodens um die Plattformen mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen aufmerksam zu machen (Hier gehts zum Film der GREENPEACE-Aktion). AGOSTINO-B arbeitet schon ein Weilchen. Die Plattform wurde 1980 in Betrieb genommen – 47 Jahre …

Irgendwann liegt AGOSTINO-B hinter mir. Zeit, mal nach dem Motor zu sehen. Ich gehe nach unten, wo LEVJE ein großes Badezimmer mit Dusche besitze. Und öffne eine kleine Tür in der Wand. Jetzt habe ich den Motor vor mir. Er arbeitet in einer eigenen kleinen Kammer. Ich schalte das Licht an in dem kleinen Geviert. Schaue, ob der Motor irgendwo Öl verliert. Oder Kühlwasser. Lege die Hand auf die Stopfbuchse, durch die die sich drehende Welle durch den Bootskörper nach draußen geführt ist. Ob sie heiß ist. Aber alles sieht gut aus. Nichts auffälliges. Ich schließe die Wandtür. 


Es ist zwölf geworden. Zeit, die Schleppangel hinten rauszuhängen, vielleicht beißt ja etwas an während der Fahrt. Und mir etwas zu Mittag etwas zu kochen: Eine Tortilla vielleicht, mit gerösteten Zwiebeln und geraspelten Zuccini. Ich lasse LEVJE einfach weiter ins grenzenlose Blau laufen, schalte den Gasherd an, setze Zwiebeln auf, hoble Parmesan und schlage Eier. Und werfe alle zwei Minuten einen Blick oben ringsum. Ob AGOSTINO-B nicht vielleicht doch auf mich zufährt. Oder der dösende Wachhund aufgewacht ist. Oder irgendwas anderes. 

2. Draußen.

Sie ist kein sonderlich tiefes Meer, die Adria. Auf der gedachten Linie, auf der ich jetzt gerade unterwegs bin, 100 Kilometer südlich der Nordküste, ist die Adria gerade mal 45 Meter tief. Das ist wenig, gemesssen am Mittelmeer und seiner tiefsten Stelle mit 5.267 Metern. Jeder doofe Binnensee schafft da mehr. Der Bodensee 251 Meter. Der Starnberger See 128 Meter. Selbst der lumpige Ammersee ist fast doppelt so tief wie die Aria 100 km weit vom Nordufer entfernt. Im Grunde genommen ist die Adria eine breite, flache Senke. Eine Talsohle, die irgendwann erst spät in der Ausbildung dieses Mittelmeeres langsam voll Wasser lief, als es wärmer wurde und Gletscher und Polkappen zu schmelzen begannen und ihr Wasser die großen Ozeane füllte. Sie bleibt eine vollgelaufene Ebene, die Wassertiefe des Starnberger Sees erreicht sie erst weit im Süden, fast 300 Kilometer weiter südlich, irgendwo zwischen den Marken und der Insel Brac.  Erst zwischen Albanien und Bari fällt die Adria auf 1.260 Meter Tiefe ab. 

Das Flache hat sie geprägt: Im Sommer heizt das Wasser der Adria schnell auf. Und im frühen November ist es in Grado in den Lagunen schon wieder so kalt, dass Baden im Meer nur etwas für harte Burschen ist.  


Ich sitze auf LEVJE an meinem Lieblingsschreibtisch, im Niedergang. Ich habe alle Instrumente vor mir: Den Geschwindigkeitsmesser, der mir sagt, wie schnell wir durchs Wasser unterwegs sind. Daneben den Tiefenmesser, der mehrmals in der Sekunden einen Laut nach unten sendet. Und anhand seines Echos errechnet, wie weit der Meeresgrund in diesem Augenblick entfernt ist. „40,3 Meter“, sagt die Anzeige. Rechts daneben der Windmesser, der den gefühlten Wind oben an der Mastspitze misst und nach unten die Windrichtung und Windstärke meldet. Rechts daneben den Radarbildschirm. Er tastet fast 50 Kilometer weit voraus den Horizont ab, ich entdecke sieben kleine gelbe Flecke. Schiffe vermutlich, denn ich bin jetzt weit draußen. 4 Seemeilen, mehr als sieben Kilometer bin ich vom nächsten Schiff entfernt. Wieder ein Stück rechts die elektronische Seekarte mit allen Daten über meinen Kurs, über meine Geschwindigkeit.

3. Die verbaute See.

Ein Kurs ist nicht immer die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Ich hatte mir in der elektronischen Seekarte als Kurs eben diese kürzeste Linie zwischen dem italienischen Ravenna und dem kroatischen Pula eingetragen. Aber der kürzeste Weg war das mitnichten.

Ich hatte vor der Abfahrt vergessen, mir meine Wegstrecke in der elektronischen Seekarte näher heranzuzoomen – ein Fehler, der im vergangenen VOLVO OCEAN-RACE eine der Rennyachten auf ein Riff mitten im nirgendwo der Ozeane führte.  Mir kam kein Riff in die Quere. Sondern am späten Nachmittag, als endlich Wind aus der richtigen Richtung kam und das Meer besonders frei und grenzenlos aussah, verschiedenes in den Weg:

1. Ein großes Verkehrstrennungsgebiet.
2. Unmittelbar hinter der Grenze: Ein großes kroatische Sperrgebiet mit weiteren Ölförderplattformen.
3. Dann noch mal ein großes Verkehrstrennungsgebiet


Nix mit grenzenlos. Der kleine Fehler kostete mich zwei Stunden Umweg – ich wollte nicht riskieren, auf hoher See von einem kroatischen Wachhund zur Rede gestellt zu werden, was ich denn unter Segeln mitten im Sperrgebiet zwischen den Ölförderplattformen herumzukrauchen hätte.


Wohlgemerkt: Es gibt kein Schild, das auf so etwas aufmerksam macht. Keinen Zaun. Die Adria, das Meer sieht frei aus und grenzenlos an dieser Stelle. Sie ist es aber ganz und gar nicht. 


Und wird es auch auf absehbare Zeit nicht sein. Am nächsten Tag sollte ich in Pula über dieses Schmuckstück stolpern: Die 6.815 Tonnen schwere Ölbohrplattform Labin. 1985 in Pula gebaut. Jetzt seit drei Jahren zur Reparatur in der Werft. Und dann? Wieder hinaus… 

4. Die blaue Stunde.

Und irgendwann hatte ich dann das riesige Sperrgebiet hinter mir. Es war früher Abend. Und für diese Stunden liebe ich Kroatien. Die Abendstunden, in denen ein sanftes Lüftchen weht. Und eine tonnenschwere Yacht einfach nur dahingleiten, dahin schnüren lässt. Als wäre es kein totes Gewicht, sondern ein graziles Wesen, das jeden Lufthauch einfängt. Und in federleichter Bewegung und schwerelosem Schweben wie die Fallschirme des Löwenzahns im Mai durch die Elemente gleiten lässt.

5. Die Nacht.

Sie ist so ganz anders. Stunden später ist alles in tiefe Dunkelheit gehüllt. Ich höre das Brummen des Motors. Ich sehe auf der elektronischen Seekarte, dass wir unter Motor mit 7 Knoten dahinmarschieren. Sonst: Sehe ich nur die Instrumente. Vor mir: Nur Dunkelheit, bis auf beiden Richtungslichter vorne im Bug. Das rote, das grüne, die anderen Schiffen in der Dunkelheit zeigen, in welche Richtung ich mich bewege. Immer noch 40 Meter Wassertiefe, wie den ganzen Tag über schon. Ein leichter Wind von vorn. Der Rest des Abendseglers, alles, was von der Abendsegler-Brise noch übrig ist. Vor mir in der Dunkelheit die Richtungsanzeiger grün/rot.

Sonst sehe ich nichts. Nicht das Wasser, das uns trägt. Nicht die Wellen. Ich höre sie nur, ein großer Organismus, der neben LEVJE atmet. Ich sehe nur die Instrumente des Cockpits im Dämmer. Und sonst nichts.

Als ich eine Stunde später den Kopf nach draußen stecke, sind sie da: Mit einem Mal sind sie da, die Lichter am Horizont. Die Lichter der Brijuni-Inseln.

 6. Der Anleger im Dunkeln.

Es ist kurz vor Mitternacht. Ich schleiche mich langsam zwischen den südlichen Brijuni Inseln hindurch. Die Seekarte gibt zuverlässig einen winkeligen Weg zwischen den Inseln hindurch vor. Hier, in den südlichen Brijuni-Inseln, ist das Ankern verboten. Naturschutzgebiet. Doch ein Stück außerhalb, nach Osten, mündet ein Fluss. Und kurz davor, auf fünf Meter Wassertiefe, liegt man geschützt für Bora und Yugo. Rumpelt fällt der Anker in die Tiefe. Noch einmal kurz daran ziehen und mit Maschine langsam rückwärts. Ob er auch wirklich hält. Dann Motor aus.

Stille.

Was für ein Tag.

Hardfacts:
Was braucht man, um mal eben schnell 
die Adriaseite zu wechseln?

1 seetüchtiges Boot, möglichst mit Motor und ausreichend Sprit.
1 guter Wetterbericht 
… in dieser Reihenfolge:
Meteomar (Kanal 68) der italienischen Luftwaffe
Seewetteramt Split
Windyty.com/Windguru.cz
1 gute Seekarte.
… und die Lust auf 14 Stunden Einsamkeit auf dem Meer.

… und wem 14 Stunden Einsamkeit zu wenig
und sechs Monate allein auf See immer noch nicht genug ist:

Wer reinschnuppern will: 
Das Buch ist  bei AMAZON und anderen erhältlich. 
Es hat 320 Seiten und etwa 100 Fotos und noch mehr Links. 

Und wer mehr darüber erfahren will: Hier sind alle Links: auf www.millemari.de.
Oder direkt zu AMAZON: Hier.

… und über dem Hafen von Ravenna geht eine lange Kette von Blitzen nieder…


 Mit Gewittern ist es nie so ganz einfach. Sie sind launisch. Unberechenbar. Sie entziehen sich jeder präzisen Ansage. Sie sind größer, viel viel größer, als wir denken. Und and am Ende bleibt nicht viel mehr festzuhalten als: Jedes Gewitter, das man erlebt, ist anders.

Der Tag war schwül gewesen. Keine Quellwolken, keine Wolke „höher als breit“, meine untrügliche Faustregel für Gewitterlagen. Einfach ein Tag, der feuchtwarme Luft herangetragen hatte. Und den Himmel mit schlierigen Wolken durchsetzt hatte. 

„Möglicherweise Gewitter“, orakelte der zuverlässige italienische Kanal 68. Und „Wind Nordost 4 bft. auffrischend“. Auch nichts Wildes. Nur die klugen Leute von WETTERONLINE hatten mich während eines Telefonats gewarnt. „Ravenna? Steht auf der Liste für Gewitterwarnungen“, und: „Ich würde nicht rausgehen. Da kommt mehr“.

Wie recht die Leute von WETTERONLINE hatten. Ich wollte es nicht glauben. Denn weil erst einmal nichts passierte und alles anders war als angesagt: Warf ich abends gegen acht die Leinen los, um draußen vor dem Hafen auf dem Meer zu übernachten. Aber kaum war ich draussen und hatte auf dem Meer vor dem Hafen geankert, frischte der Wind aus Nordost auf. Später als vorhergesagt. Mehr als vorhergesagt. Nach einer halben Stunde wurde mir das Geschaukel zu viel. Die Aussicht, auf eine lange Ankerwache war nichts, was ich jetzt wollte. Also zurück in den Hafen von Ravenna.


Alles friedlich. Nur der Leuchtturm schickt sein Licht in die Nacht. Das tut er eine Sekunde später immer noch. Aber da ist es mit einem Schlag nicht mehr Nacht:


Ein Blitz irgendwo in den Wolken erleuchtet den Hafen taghell. Ich sause unter Deck und schaue schnell auf www.blitzortung.org nach. Und stelle fest, was die WETTERONLINEs mir sagten „Da kommt noch mehr“: Das war nicht nur ein Gewitter. 


Sondern eine Kette von Gewittern, die von Südfrankreich bis nach Ostgriechenland reicht. Gewitter, die aufgereiht wie auf einer Perlenschnur nach Südosten ziehen. Und das dritte davon hatte uns eben erreicht:


Aber nicht bei jedem Blitz und jedem Knall, der unmittelbar darauf folgt, bleibt die Hand beim Fotografieren ruhig:


Es waren viele Blitze. Und ich fürchte, es werden diese Nacht noch viele weitere sein.


… und so sehr es auch aussehen mag: Als schlüge jeder dieser Blitze in irgendeines der Schiffe in der Marina von Ravenna ein. Nein, so ist es nicht. Hier jedenfalls nicht.

Aber wer kann das schon sagen. Bei Gewittern? Weiß man nie…

… und über dem Hafen von Ravenna geht eine lange Kette von Blitzen nieder…


 Mit Gewittern ist es nie so ganz einfach. Sie sind launisch. Unberechenbar. Sie entziehen sich jeder präzisen Ansage. Sie sind größer, viel viel größer, als wir denken. Und and am Ende bleibt nicht viel mehr festzuhalten als: Jedes Gewitter, das man erlebt, ist anders.

Der Tag war schwül gewesen. Keine Quellwolken, keine Wolke „höher als breit“, meine untrügliche Faustregel für Gewitterlagen. Einfach ein Tag, der feuchtwarme Luft herangetragen hatte. Und den Himmel mit schlierigen Wolken durchsetzt hatte. 

„Möglicherweise Gewitter“, orakelte der zuverlässige italienische Kanal 68. Und „Wind Nordost 4 bft. auffrischend“. Auch nichts Wildes. Nur die klugen Leute von WETTERONLINE hatten mich während eines Telefonats gewarnt. „Ravenna? Steht auf der Liste für Gewitterwarnungen“, und: „Ich würde nicht rausgehen. Da kommt mehr“.

Wie recht die Leute von WETTERONLINE hatten. Ich wollte es nicht glauben. Denn weil erst einmal nichts passierte und alles anders war als angesagt: Warf ich abends gegen acht die Leinen los, um draußen vor dem Hafen auf dem Meer zu übernachten. Aber kaum war ich draussen und hatte auf dem Meer vor dem Hafen geankert, frischte der Wind aus Nordost auf. Später als vorhergesagt. Mehr als vorhergesagt. Nach einer halben Stunde wurde mir das Geschaukel zu viel. Die Aussicht, auf eine lange Ankerwache war nichts, was ich jetzt wollte. Also zurück in den Hafen von Ravenna.


Alles friedlich. Nur der Leuchtturm schickt sein Licht in die Nacht. Das tut er eine Sekunde später immer noch. Aber da ist es mit einem Schlag nicht mehr Nacht:


Ein Blitz irgendwo in den Wolken erleuchtet den Hafen taghell. Ich sause unter Deck und schaue schnell auf www.blitzortung.org nach. Und stelle fest, was die WETTERONLINEs mir sagten „Da kommt noch mehr“: Das war nicht nur ein Gewitter. 


Sondern eine Kette von Gewittern, die von Südfrankreich bis nach Ostgriechenland reicht. Gewitter, die aufgereiht wie auf einer Perlenschnur nach Südosten ziehen. Und das dritte davon hatte uns eben erreicht:


Aber nicht bei jedem Blitz und jedem Knall, der unmittelbar darauf folgt, bleibt die Hand beim Fotografieren ruhig:


Es waren viele Blitze. Und ich fürchte, es werden diese Nacht noch viele weitere sein.


… und so sehr es auch aussehen mag: Als schlüge jeder dieser Blitze in irgendeines der Schiffe in der Marina von Ravenna ein. Nein, so ist es nicht. Hier jedenfalls nicht.

Aber wer kann das schon sagen. Bei Gewittern? Weiß man nie…

BIENNALE, Teil II. Unterwegs im Arsenale von Venedig.


Ein paar Schritte weiter hinter dem BIENNALE-Park, den „Giardini“ im Osten Venedigs lockt das Arsenale als zweiter großer Ausstellungsort. Das Arsenale: Geografisch nichts anderes als ein abgesperrtes Binnengewässer in der Osthälfte Venedigs, entstanden in den Sümpfen zwischen zwei Inseln im Osten der Stadt. Man legte die Gegend trocken, und sieben Jahrhunderte füllten sie mit Lagerhallen, Pulvertürmen, Eisengießereien, Seildrehereien, Werften für 1.000 Tonnen schwere Galeazzen, die gegen die Türken zogen. 

Für etwa 700 Jahre war das Arsenale wichtigste Werft und Waffenschmiede für Venedigs Handel und Flotte. Aber was tut man mit seinem solchen Gelände, wenn es nach 700 Jahren keiner mehr braucht? 

Während der BIENNALE jedenfalls ist ein Teil der Hallen im Arsenale auf der Fläche einer Kleinstadt für die Kunstmesse offen. Wie in den „Giardini“ präsentieren auch hier von Nationen ausgewählte Macher die Kunst der Gegenwart. Und machen die Ausstellung zu einem gelebten Happening.

Saudische Künstler zeigen ein überdimensionales Webmuster an der Wand. Eine Art Teppich, der sich über die Länge einer Wand hinzieht.

Und doch aus nichts anderem besteht als aus Tausendundeiner Tonkassette, auf hölzernen Serviertabletts zu einem Wandgemälde angeordnet.

Vielleicht ist es das: Sie ist so viel, die BIENNALE. Ein Spiegel. In dem sich die Welt spiegelt. Politisch. Und phantastisch. Und visionär. Und poetisch – wie das überdimensionale, aus Bambusstäben geflochtene Traumschiff im Pavillon Singapurs:


Ein Spiegel des nicht-organisierten „Anders-Denkens“ und der schillernd bunten Denkanstöße. Irgendwie konsumbefreit – soweit es den Kunstmarkt auf den beiden Ausstellungsparks angeht und nicht das große Anbieten und Feilschen in den Hunderten Gallerien, Vernissagen Venedigs.


In meinem vorigen Post über die BIENNALE schrieb ich bereits darüber, dass ich die größten Trouvaillen auf der BIENNALE abseits am Wegrand fand. In genau jenen Pavillions, wo ich mir sicher war, nicht hingehen zu müssen. Gerade da wartet Überraschendes. Also nahm ich – von Neugier getrieben – den kleinen blauen Vaporetto, der die Besucher über den Binnensee des Arsenale auf die andere Seite zu Füssen des Torre Nuovo hinüberbringt.


Nicht viele finden den Weg hierher auf die andere Seite, weil man sie nur mit dem Vaporetto erreicht. Aber da wartete auf mich, was mich am meisten faszinierte. In der Halle des „Libanesischen Pavillons“ ein abgedunkelter Raum, in den zwei freundliche Damen mit Taschenlampen wie Platzanweiserinnen im Kino den Besucher in eine abgedunkelte Halle führten. Hinein ins Dunkel, an das sich die Augen nur schwer gewöhnen. Eine Säule in der Mitte des abgedunkelten Raums. Getragene Männerbässe und Frauenstimmen aus Lautsprechern, ein Gesang, schwer wie ein Gebet. Licht, das langsam an Helligkeit gewinnt, nur für einen Moment während der elfminütigen Performance, und Zad Moultakas Säule des Sonnengottes für einen Moment in helles Licht taucht. Und die glitzernde Altarwand im Dunkel hinter der Säule. Die Performance im Dunkel: Ein 4.000 Jahre alter Gesang der Huldigung an Samas, den Gott der Sonne und der Gerechtigkeit.

Doch beides ist nicht, was es zu sein scheint. Das eine nicht Altar. Das andere nicht Gebetssäule. Das dritte nicht Huldigung, sondern Mahnung.


Was das Licht enthüllt, ist nicht Andachtssäule, sondern das meterhohe ROLLS-ROYCE-Strahltriebwerk eines Langstreckenbombers.


Und die glitzernde und gleissende Altarwand ist ein Mosaik aus 150.000 Geldmünzen. Der Krieg und das Geld, meint Zad Moultakas, sind unsere Götzen. Kann man dieses Gelände und unsere Gegenwart und Ost und West noch gelungener übereinander bringen? 


Und das Arsenale? Noch Mitte des 17. Jahrhunderts war das Gelände einer der größten vorindustriellen Industriekomplexe in Europa. Als längst portugiesische, spanische, britische und niederländische Rahsegler nicht nur den Atlantik, sondern auch das Mittelmeer vor Venedigs Haustür beherrschten, war das Arsenale immer noch ein perfekt funktionierender Produktionsbetrieb für – Galeeren. Sie lagerten – so wie man es in Jahrhunderten der Welt voraus entwickelt hatte – in Einzelteilen. Fertigkomponenten, die im Kriegsfall von den 10.000 Mitarbeitern des Arsenale innerhalb 24 Stunden zu einer Galeere zusammengebaut; ausgerüstet; bemannt; und seefertig aufs Meer geschickt wurden. Hier lagerten Einzelteile, um über Monate hinweg jeden Tag ein Schiff zu bauen.

Eine Galeere! Wo doch längst andere Meere, andere Schiffstypen für den Fernhandel wichtig geworden waren.

Im 19. Jahrhunderte kam das Arsenale in die Krise. Andere Werften – Triest, Riejeka, Pula – waren besser ausgerüstet. Und zeitgemäßer. Welt ist Wandel.

Trotzdem bauten sie weiter hier Schiffe. Im kleineren Umfang. Im kleineren Maßstab. 

Was sie wohl dächten – sie, die vor 100 Jahren in der Werft Barkassen, Schlepper, kleine Stahlrümpfe bauten. Und auch Kinder für die Arbeit in den Heizkesseln einsetzten.

Was sie wohl dächten, jeder einzelne, der uns über in Jahrhundert hinweg so unendlich und zukunftsgewiss in die Augen schaut? Wenn sie uns sähen?

Wie komm ich mit dem Boot 
zur BIENNALE? 
Die Hardfacts:

Die BIENNALE dauert noch 
bis Ende November 2017

Marinas für die Anreise mit dem Boot 
und in Laufweite zur BIENNALE:

Empfohlen: 
Marina Sant’Elena 
Gleich neben dem BIENNALE-Park. Zu Fuß zehn Minuten. 
Liegepreise: Für 37 Fuß ca. 75 €. 
Nicht billig. Gepflegt. Ruhig. 
tel. +39 041 520 26 75

Ebenfalls gut: 
DIPORTO VELICO VENEZIANO gleich nördlich.
Liegepreise: Für 37 Fuß ca. 52 €. 
Günstig. In Laufweite. Nicht ganz so gepflegt.
tel. +39 041 523 19 27

Ebenfalls möglich, 
doch mit happigen Kosten für Vaporetto zu Zweit verbunden 
(Einzelfahrt ca. 7 €/Tagesticket 20 €/Zweitagesticket 30€ pro Person) 
sind die übrigen Marinas in Venedig:

• MARINA DI LIO GRANDE, ca. 700 Meter von der Vaporetto-Station bei Punta Sabbioni. 
37 Fuß: 42 €
• IZOLA SAN GIORGIO, 1 Vaporetto-Station von San Marco entfernt. 
Spektakulär. Im Zentrum. Klein. Teuer.
• MARINA VENTO DI VENEZIA

Eintrittspreis BIENNALE für zwei Tage Giardini/Arsenale: 25€. 
Was gemessen an sonstigen Museumspreisen in Venedig geschenkt ist.

BIENNALE, Teil II. Unterwegs im Arsenale von Venedig.


Ein paar Schritte weiter hinter dem BIENNALE-Park, den „Giardini“ im Osten Venedigs lockt das Arsenale als zweiter großer Ausstellungsort. Das Arsenale: Geografisch nichts anderes als ein abgesperrtes Binnengewässer in der Osthälfte Venedigs, entstanden in den Sümpfen zwischen zwei Inseln im Osten der Stadt. Man legte die Gegend trocken, und sieben Jahrhunderte füllten sie mit Lagerhallen, Pulvertürmen, Eisengießereien, Seildrehereien, Werften für 1.000 Tonnen schwere Galeazzen, die gegen die Türken zogen. 

Für etwa 700 Jahre war das Arsenale wichtigste Werft und Waffenschmiede für Venedigs Handel und Flotte. Aber was tut man mit seinem solchen Gelände, wenn es nach 700 Jahren keiner mehr braucht? 

Während der BIENNALE jedenfalls ist ein Teil der Hallen im Arsenale auf der Fläche einer Kleinstadt für die Kunstmesse offen. Wie in den „Giardini“ präsentieren auch hier von Nationen ausgewählte Macher die Kunst der Gegenwart. Und machen die Ausstellung zu einem gelebten Happening.

Saudische Künstler zeigen ein überdimensionales Webmuster an der Wand. Eine Art Teppich, der sich über die Länge einer Wand hinzieht.

Und doch aus nichts anderem besteht als aus Tausendundeiner Tonkassette, auf hölzernen Serviertabletts zu einem Wandgemälde angeordnet.

Vielleicht ist es das: Sie ist so viel, die BIENNALE. Ein Spiegel. In dem sich die Welt spiegelt. Politisch. Und phantastisch. Und visionär. Und poetisch – wie das überdimensionale, aus Bambusstäben geflochtene Traumschiff im Pavillon Singapurs:


Ein Spiegel des nicht-organisierten „Anders-Denkens“ und der schillernd bunten Denkanstöße. Irgendwie konsumbefreit – soweit es den Kunstmarkt auf den beiden Ausstellungsparks angeht und nicht das große Anbieten und Feilschen in den Hunderten Gallerien, Vernissagen Venedigs.


In meinem vorigen Post über die BIENNALE schrieb ich bereits darüber, dass ich die größten Trouvaillen auf der BIENNALE abseits am Wegrand fand. In genau jenen Pavillions, wo ich mir sicher war, nicht hingehen zu müssen. Gerade da wartet Überraschendes. Also nahm ich – von Neugier getrieben – den kleinen blauen Vaporetto, der die Besucher über den Binnensee des Arsenale auf die andere Seite zu Füssen des Torre Nuovo hinüberbringt.


Nicht viele finden den Weg hierher auf die andere Seite, weil man sie nur mit dem Vaporetto erreicht. Aber da wartete auf mich, was mich am meisten faszinierte. In der Halle des „Libanesischen Pavillons“ ein abgedunkelter Raum, in den zwei freundliche Damen mit Taschenlampen wie Platzanweiserinnen im Kino den Besucher in eine abgedunkelte Halle führten. Hinein ins Dunkel, an das sich die Augen nur schwer gewöhnen. Eine Säule in der Mitte des abgedunkelten Raums. Getragene Männerbässe und Frauenstimmen aus Lautsprechern, ein Gesang, schwer wie ein Gebet. Licht, das langsam an Helligkeit gewinnt, nur für einen Moment während der elfminütigen Performance, und Zad Moultakas Säule des Sonnengottes für einen Moment in helles Licht taucht. Und die glitzernde Altarwand im Dunkel hinter der Säule. Die Performance im Dunkel: Ein 4.000 Jahre alter Gesang der Huldigung an Samas, den Gott der Sonne und der Gerechtigkeit.

Doch beides ist nicht, was es zu sein scheint. Das eine nicht Altar. Das andere nicht Gebetssäule. Das dritte nicht Huldigung, sondern Mahnung.


Was das Licht enthüllt, ist nicht Andachtssäule, sondern das meterhohe ROLLS-ROYCE-Strahltriebwerk eines Langstreckenbombers.


Und die glitzernde und gleissende Altarwand ist ein Mosaik aus 150.000 Geldmünzen. Der Krieg und das Geld, meint Zad Moultakas, sind unsere Götzen. Kann man dieses Gelände und unsere Gegenwart und Ost und West noch gelungener übereinander bringen? 


Und das Arsenale? Noch Mitte des 17. Jahrhunderts war das Gelände einer der größten vorindustriellen Industriekomplexe in Europa. Als längst portugiesische, spanische, britische und niederländische Rahsegler nicht nur den Atlantik, sondern auch das Mittelmeer vor Venedigs Haustür beherrschten, war das Arsenale immer noch ein perfekt funktionierender Produktionsbetrieb für – Galeeren. Sie lagerten – so wie man es in Jahrhunderten der Welt voraus entwickelt hatte – in Einzelteilen. Fertigkomponenten, die im Kriegsfall von den 10.000 Mitarbeitern des Arsenale innerhalb 24 Stunden zu einer Galeere zusammengebaut; ausgerüstet; bemannt; und seefertig aufs Meer geschickt wurden. Hier lagerten Einzelteile, um über Monate hinweg jeden Tag ein Schiff zu bauen.

Eine Galeere! Wo doch längst andere Meere, andere Schiffstypen für den Fernhandel wichtig geworden waren.

Im 19. Jahrhunderte kam das Arsenale in die Krise. Andere Werften – Triest, Riejeka, Pula – waren besser ausgerüstet. Und zeitgemäßer. Welt ist Wandel.

Trotzdem bauten sie weiter hier Schiffe. Im kleineren Umfang. Im kleineren Maßstab. 

Was sie wohl dächten – sie, die vor 100 Jahren in der Werft Barkassen, Schlepper, kleine Stahlrümpfe bauten. Und auch Kinder für die Arbeit in den Heizkesseln einsetzten.

Was sie wohl dächten, jeder einzelne, der uns über in Jahrhundert hinweg so unendlich und zukunftsgewiss in die Augen schaut? Wenn sie uns sähen?

Wie komm ich mit dem Boot 
zur BIENNALE? 
Die Hardfacts:

Die BIENNALE dauert noch 
bis Ende November 2017

Marinas für die Anreise mit dem Boot 
und in Laufweite zur BIENNALE:

Empfohlen: 
Marina Sant’Elena 
Gleich neben dem BIENNALE-Park. Zu Fuß zehn Minuten. 
Liegepreise: Für 37 Fuß ca. 75 €. 
Nicht billig. Gepflegt. Ruhig. 
tel. +39 041 520 26 75

Ebenfalls gut: 
DIPORTO VELICO VENEZIANO gleich nördlich.
Liegepreise: Für 37 Fuß ca. 52 €. 
Günstig. In Laufweite. Nicht ganz so gepflegt.
tel. +39 041 523 19 27

Ebenfalls möglich, 
doch mit happigen Kosten für Vaporetto zu Zweit verbunden 
(Einzelfahrt ca. 7 €/Tagesticket 20 €/Zweitagesticket 30€ pro Person) 
sind die übrigen Marinas in Venedig:

• MARINA DI LIO GRANDE, ca. 700 Meter von der Vaporetto-Station bei Punta Sabbioni. 
37 Fuß: 42 €
• IZOLA SAN GIORGIO, 1 Vaporetto-Station von San Marco entfernt. 
Spektakulär. Im Zentrum. Klein. Teuer.
• MARINA VENTO DI VENEZIA

Eintrittspreis BIENNALE für zwei Tage Giardini/Arsenale: 25€. 
Was gemessen an sonstigen Museumspreisen in Venedig geschenkt ist.

Mit dem Boot zur Biennale. Oder: Was um Himmels willen hat Kunst mit Segeln zu tun?

Venedig im schönsten Sommer. Das Wasser vor dem Riva degli Sciavoni kocht und brodelt von vorbeischießenden Wassertaxis, Lastkähnen und auch von dem majestätisch die Palazzi überragenden Kreuzfahrtschiff, das langsam hinausgleitet Richtung Meer. Gleich daneben ist es still im Biennale-Park. Ein paar Kinder spielen. Ein paar Wartende vor den Kassenhäuschen. Wasserpflanzen legen ein abstraktes Ornament auf die schillernde Oberfläche des Canale, der den Park zerschneidet. 

Mit dem Boot nach Venedig? 
Um die Biennale zu sehen? Lohnt sich das? Macht Kunst Spaß? 
Und hat Kunst was mit Segeln zu tun? 
Mal sehen. Eins nach dem anderen.

Die Biennale: Man muss sie sich als eine Art Nationen-Olympiade vorstellen. Nationen entsenden die Besten. Künstler statt Sportler. Die meisten Nationen haben einen eigenen Pavillion im Park. Deutschland hat einen. Die Schweiz und Uruguay auch. Wer keinen hat – wie Chinesen, Koreaner, Mexikaner, Kuwaitis, Singapur: Der stellt eben anderswo aus. Meist im Arsenale. Aber darüber schreibe ich morgen. 

Also: Erstmal warmlaufen. Es beginnt verstörend. Gleich hinter dem Eingang ist der russische Pavillion. Nicht gerade das Land, das – dank des verkniffen intrigierenden und Strippen ziehenden Mannes an der Staatsspitze – unsere Sympathien hat. Ich hole tief Luft, und gehe hinein.

Die Biennale ist politisch – jedenfalls in dem, was der russische Pavillion mit Grisha Bruskin zeigt. Der Marsch der Werktätigkeiten, handhohe Gipsfigürchen in einem abgedunkelten Raum, dient jetzt dazu, das russische Staatssymbol, den Doppeladler, über Zahnräder am Laufen zu halten.


Das ist auf nüchternen Magen schon mal ziemlich herbe in der Aussage. Aber doch stimmt hoffnungsfroh, dass das offizielle Russland derlei künstlerische Inhalte in den internationalen Raum sendet.

Bleiern und schwer wie ein Film von Margarethe von Trotta kommt auch der deutsche Beitrag daher. Der Pavillion ist abgeschottet, von Stahlzäunen gesichert. Schilder warnen vor scharfen Hunden. Das Gebäude ist abgeriegelt. Leute in prolligen ADIDAS-Trainingshosen bewachen den Eingang. Der bleibt erstmal zu, selbst eineinhalb Stunden nach Eröffnung der Biennale. Zur Kunst? Erstmal hinten anstellen! Da ist dann die Schlange der Wartenden um das abweisende Gebäude schon 150 Meter lang – immerhin hat die Jury Anne Imhofs Performance als besten BIENNALE-Beitrag ausgezeichnet. Nur 150 Menschen werden für die mehrstündige (!) Performance zugelassen, raunt eine der wartenden Damen. Weil ich weder Lust auf scharfe Hunde noch lange Schlangen habe, sause ich weiter, und kucke mir den deutschen Beitrag im Internet an. Ich besitze nun mal die Geduld einer Ameise. Und habe für Arroganz so gar kein Verständnis.

Also eins weiter. Der japanische Pavillion zeigt im Raum schwebende Holzmodelle:


Wie nett. Das Modell eines schwebenden japanischen Schreins, der sich nach unten spiegelt. Und wie ein Raumschiff schwerelos trotz?/weil? 800jähriger Tradition den Raum durchquerend. Reflection Model (Ship of Theseus) nennt Takahiro Iwasaki sein Werk, der „Beipackzettel“ an der Wand spricht von den Katastrophen vergangener Jahre, denen der abgebildete und sich in sich spiegelnde Itsukushima-Schrein standgehalten hat. Aber auch ohne Beipackzettel ist der schwebende Schrein etwas Besonderes.


Auch bei der nachfolgenden Intsallation muss ich genau hinsehen, um was es sich da handelt. Na klar, Bücher. Sie stehen herum wie Hochhäuser einer Metropole, aus der Baukräne herauswachsen. Aus Büchern wächst was? Immer her damit! Dinge, die aus Büchern erwachsen – wo doch Smartphone, Twitter, Facebook & Co. längst den armen Dingern den Rang streitig machen.


Weiter! Im britischen Pavillion steht der geneigte Betrachter in einem Säulenwald. Und sieht daneben  zwei pittoreske rote Säulen, doppelt mannshoch. Zwei Säulen wie zwei Menschen, rot, vor einem Säulenwald, die eine, eckige, maskuline Gestalt etwas starr und mit strengem Kartonhut bekrönt. Das hat doch was. Und die andere, feminine, sich grazil windend.

Das Runde, das Eckige. Interessant wirds, wenn man der „männlichen“ und „weiblichen“ Figur auf die Pelle rückt. Und sie unter die Lupe nimmt. Da sieht man, dass Männlein & Weiblein aus allereinfachsten Alltagsmaterialien hergestellt sind. Kunst? Kommt von Können. Und in den Dingen – Schläuchen, Dachlatten – etwas anderes sehen zu können, als was alle sehen.

Einfache Schlauchreste, rot gestrichen, für die Dame…

… und kantig-ungehobelte Dachlatten für den Herrn.

Und so stolpere ich nach Phyllida Barlow mit wachsender Begeisterung durch das Museum der Phantasie, das sich da auf der BIENNALE präsentiert. Im Brasilianischen Pavillion ein Bild vom Leben, das sich mir tief einprägt.


Eingesperrt sein. Eingeklemmt sein. Ein Lebensgefühl?

Und immer, wenn ich denke, naja, diesen Pavillion einer kleinen Nation, den muss ich jetzt nicht besuchen, erlebe ich die größten Überraschungen. Im rumänischen Pavillion das anrührende Video der 90jährigen Geta Bratescu, die mit dickem Filzstift und einfachen Linien – je was eigentlich? – Sehenswertes erschafft. So entdecke ich gerade abseits der „gehypten“ Pavillions Überraschendes, Unerwartetes, Anrührendes. Dinge, die Bilder im Kopf entstehen lassen, die mich bewegen, was Menschen leisten.

Zwei scheinbar welke Hände. Ein zu großer Stift. Ein weißes Blatt Papier: Ein unscheinbares Video im Eingangsbereich des rumänischen Pavillions über die konzeptionelle Arbeit der 90jährigen Geta Bratescu.

Es ist Nachmittag, als ich den BIENNALE-Park verlasse. Und am Riva degli Sciavoni entlang Richtung Arsenale schlendere, von dem ich noch nicht weiß, dass mich dort eigentlich noch Phantastischeres erwarten wird. Kunst in einem 800 Jahre alten Militärgelände? Aber darüber werde ich im nächsten Post erzählen. Noch schnell dies, für die speziellen Freunde von Nashorn-Ohren unter uns:


Es ist gegen acht, als ich wieder in der Marina von Sant’Elena zurück bin. Voller Bilder. Aber das schönste liegt vor mir: Der Vollmond, der eben im Hafen über LEVJE am Himmel erscheint:


Und da sind wir dann bei der in der Überschrift gestellten Frage: 
Ja. Besuchenswert, sehenswert ist die BIENNALE allemal. Anregend. Das Gehirn durchpustend. 

Und: Vielleicht ist Kunst ja wirklich näher am Segeln dran, als wir denken. Vielleicht ist es nichts anderes. Vielleicht hat es seinen Wurzeln in ein und demselben Winkel unseres Gehirns, unserer Seele. Vielleicht die Welt nicht nur zu sehen, wie ein Kieselstein eingeklemmt in ein gusseisernes Raster. Sondern das Raster, die Enge, die Gleichförmigkeit immer wieder zu durchbrechen. Und wenigstens für einen Moment: Die Welt mit anderen Augen zu sehen.

Im nächsten Post mehr.

Wie komm ich mit dem Boot 
zur BIENNALE?

Marinas für die Anreise mit dem Boot 
und in Laufweite zur BIENNALE:

Empfohlen: 
Marina Sant’Elena 
Gleich neben dem BIENNALE-Park. Zu Fuß zehn Minuten. 
Liegepreise: Für 37 Fuß ca. 75 €. 
Nicht billig. Gepflegt. Ruhig. 
tel. +39 041 520 26 75

Ebenfalls gut: 
DIPORTO VELICO VENEZIANO gleich nördlich.
Liegepreise: Für 37 Fuß ca. 52 €. 
Günstig. In Laufweite. Nicht ganz so gepflegt.
tel. +39 041 523 19 27

Ebenfalls möglich, 
doch mit Kosten für Vaporetto verbunden 
(Einzelfahrt ca. 7 €/Tagesticket 20 €/Zweitagesticket 30€)) 
sind die übrigen Marinas in Venedig:
• MARINA DI LIO GRANDE, ca. 700 Meter von der Vaporetto-Station bei Punta Sabbioni. 
37 Fuß: 42 €
• IZOLA SAN GIORGIO, 1 Vaporetto-Station von San Marco entfernt. 
Spektakulär. Im Zentrum. Klein. Teuer.
• MARINA VENTO DI VENEZIA

Eintrittspreis BIENNALE für zwei Tage Giardini/Arsenale: 25€.

Mit dem Boot zur Biennale. Oder: Was um Himmels willen hat Kunst mit Segeln zu tun?

Venedig im schönsten Sommer. Das Wasser vor dem Riva degli Sciavoni kocht und brodelt von vorbeischießenden Wassertaxis, Lastkähnen und auch von dem majestätisch die Palazzi überragenden Kreuzfahrtschiff, das langsam hinausgleitet Richtung Meer. Gleich daneben ist es still im BIENNALE-Park. Ein paar Kinder spielen. Ein paar Wartende vor den Kassenhäuschen. Wasserpflanzen legen ein abstraktes Zeichen auf die schillernde Oberfläche des Canale, der den Park hinauf ins Stadtviertel Castelo zerschneidet. 

Mit dem Boot nach Venedig? 
Um die BIENNALE zu sehen? Lohnt sich das? Macht Kunst Spaß? 
Und hat Kunst was mit Segeln zu tun? 
Mal sehen. Eins nach dem anderen.

Die BIENNALE: Man muss sie sich als eine Art Nationen-Olympiade vorstellen. Nationen entsenden die Besten. Künstler statt Sportler. Die meisten Nationen haben einen eigenen Pavillion im Park. Deutschland hat einen. Die Schweiz und Uruguay auch. Wer keinen hat – wie Chinesen, Koreaner, Mexikaner, Kuwaitis, Singapur: Der stellt eben anderswo aus. Meist im Arsenale. Aber darüber schreibe ich morgen. 

Also: Erstmal warmlaufen. Es beginnt verstörend. Gleich hinter dem Eingang ist der russische Pavillion. Nicht gerade das Land, das – dank des verkniffen intrigierenden und Strippen ziehenden Mannes an der Staatsspitze – die Sympathien hat. Ich hole tief Luft, und gehe hinein.

Die BIENNALE ist politisch – jedenfalls in dem, was der russische Pavillion mit Grisha Bruskin zeigt. Der Marsch der Werktätigkeiten, handhohe Gipsfigürchen in einem abgedunkelten Raum, dient jetzt dazu, das russische Staatssymbol, den Doppeladler, über Zahnräder am Laufen zu halten.


Das ist auf nüchternen Magen schon mal ziemlich herbe in der Aussage. Aber doch stimmt hoffnungsfroh, dass das offizielle Russland derlei künstlerische Inhalte in den internationalen Raum sendet.

Bleischwer wie ein Film von Margarethe von Trotta kommt auch der deutsche Beitrag daher. Der Pavillion ist abgeschottet, von Stahlzäunen gesichert. Schilder warnen vor scharfen Hunden. Das Gebäude ist abgeriegelt. Leute in prolligen ADIDAS-Trainingshosen bewachen den Eingang. Der bleibt erstmal zu, selbst eineinhalb Stunden nach Eröffnung der BIENNALE. Zur Kunst? Erstmal hinten anstellen! Da ist dann die Schlange der Wartenden um das abweisende Gebäude schon 150 Meter lang – immerhin hat die Jury Anne Imhofs Performance als besten BIENNALE-Beitrag ausgezeichnet. Nur 150 Menschen werden für die mehrstündige (!) Performance zugelassen, raunt eine der wartenden Damen. Ist Kunst, wenn es Menschen ausschließt? 
Weil ich weder Lust auf scharfe Hunde noch lange Schlangen habe, sause ich weiter, und kucke mir den deutschen Beitrag im Internet an. Ich besitze nun mal die Geduld einer Ameise. Und habe für Arroganz so gar kein Verständnis.

Also eins weiter. Im japanischen Pavillion schweben Holzmodelle im Raum:


Wie nett. Das Modell eines schwebenden japanischen Schreins, der sich wie im Wasser eines Teichs nach unten spiegelt. Und wie ein Raumschiff schwerelos trotz?/weil? 800jähriger Tradition den Raum durchquert. Reflection Model (Ship of Theseus) nennt Takahiro Iwasaki seine Plastik, der „Beipackzettel“ an der Wand spricht von den Katastrophen vergangener Jahre, denen der abgebildete und sich in sich spiegelnde Itsukushima-Schrein standgehalten hat. Aber auch ohne Beipackzettel ist der schwebende Schrein etwas Besonderes.


Auch bei der nachfolgenden Intsallation muss ich genau hinsehen, um was es sich da handelt. Na klar, Bücher. Sie stehen herum wie Hochhäuser einer Metropole, aus der Baukräne herauswachsen. Aus Büchern wächst was? Immer her damit! Dinge, die aus Büchern erwachsen – wo doch Smartphone, Twitter, Facebook & Co. längst den armen Dingern den Rang streitig machen.


Weiter! Im britischen Pavillion steht der geneigte Betrachter in einem braungrauen Säulenwald. Und sieht daneben zwei pittoreske rote Säulen, doppelt mannshoch, die rumstehen, als wären sie Betrachter der Szenerie. Zwei Säulen wie zwei Menschen, rot, vor einem Säulenwald, die eine, eckige, maskuline Gestalt etwas starr und mit strengem Kartonhut bekrönt. Das hat doch was. Und die andere, feminine, sich grazil und schamhaft windend.

Das Runde, das Eckige. Interessant wirds, wenn man der „männlichen“ und „weiblichen“ Figur auf die Pelle rückt. Und sie unter die Lupe nimmt. Da sieht man, dass Männlein & Weiblein aus allereinfachsten Alltagsmaterialien hergestellt sind. Kunst? Kommt von Können. Und in den Dingen – Schläuchen, Dachlatten – etwas anderes sehen zu können, als das, was alle sehen.

Einfache Schlauchreste, rot gestrichen, für die Dame…

… und kantig-ungehobelte Dachlatten für den Herrn.

Auch das ist die BIENNALE: Ein Vexierbild der Wirklichkeit. Wo Dinge, die anscheinend im Leben eine feste Bedeutung haben wie „ein Schlauch“, „eine Holzlatte“, auch etwas ganz anderes sein können. Und so stolpere ich nach Phyllida Barlow mit wachsender Begeisterung durch das Museum der Phantasie, das sich da auf der BIENNALE präsentiert. 

Im Brasilianischen Pavillion ein Bild vom Leben, das sich mir tief einprägt.


Die Fußbodenfläche des Pavillions ausgelegt mit Stahlrosten. Und darin eingeklemmt, eingedroschen einfache weiße Kiesel. Eingesperrt sein. Eingeklemmt sein. Ein Lebensgefühl?

Und immer, wenn ich denke, naja, diesen Pavillion einer kleinen Nation, den muss ich jetzt nicht besuchen, erlebe ich eine Überraschung. Im rumänischen Pavillion das anrührende Video der 90jährigen Geta Bratescu, die mit dickem Filzstift und einfachen Linien – ja was eigentlich? – Sehenswertes erschafft. Es macht großen Spaß, ihr zuzusehen – eine ihrer Grafiken dauert nicht länger als eine Minute, besteht aus nicht mehr als vier, fünf Linien. Und doch ist das meiste in diesem Video angefüllt mit dem Nachdenken der Künstlerin. Ihrem zögernd über einem weißen Blatt verharrenden dicken Filzstift. Den sie mit der Kraft ihrer 90 Jahre ins Papier drückt. Ihr Zögern. Ihr Überlegen. Ihr „Done“, wenn sie nach einer Minute einfach – fertig ist mit einem Blatt

So entdecke ich gerade abseits der „gehypten“ Pavillions Überraschendes, Unerwartetes, Anrührendes. Dinge, die Bilder im Kopf entstehen lassen, die mich bewegen, was Menschen leisten.

Zwei scheinbar welke Hände. Ein zu großer Stift. Ein weißes Blatt Papier: Ein unscheinbares Video im Eingangsbereich des rumänischen Pavillions über die konzeptionelle Arbeit der 90jährigen Geta Bratescu.

Es ist Nachmittag, als ich den BIENNALE-Park verlasse. Und am Riva degli Sciavoni entlang Richtung Arsenale schlendere, von dem ich noch nicht weiß, dass mich dort eigentlich noch Phantastischeres erwarten wird. Kunst in einem 800 Jahre alten Militärgelände? Aber darüber werde ich im nächsten Post erzählen. Noch schnell dies, für die speziellen Freunde von Nashorn-Ohren unter uns:


Es ist gegen acht, als ich wieder in der Marina von Sant’Elena zurück bin. Voller Bilder. Doch das schönste liegt vor mir: Der Vollmond, der eben im Hafen über LEVJE am Himmel erscheint:


Und da sind wir dann bei der in der Überschrift gestellten Frage: 
Ja. Besuchenswert, sehenswert ist die BIENNALE allemal. Anregend. Das Gehirn durchpustend. 

Und: Vielleicht ist Kunst ja wirklich näher am Segeln dran, als wir denken. Vielleicht ist es nichts anderes. Vielleicht hat es seinen Wurzeln in ein und demselben Winkel unseres Gehirns, unserer Seele. Vielleicht die Welt nicht nur zu sehen, wie ein Kieselstein eingeklemmt in ein gusseisernes Raster. Sondern das Raster, die Enge, die Gleichförmigkeit immer wieder zu durchbrechen. Und wenigstens für einen Moment: Die Welt mit anderen Augen zu sehen.

Im nächsten Post mehr.

Wie komm ich mit dem Boot 
zur BIENNALE? 
Die Hardfacts:

Marinas für die Anreise mit dem Boot 
und in Laufweite zur BIENNALE:

Empfohlen: 
Marina Sant’Elena 
Gleich neben dem BIENNALE-Park. Zu Fuß zehn Minuten. 
Liegepreise: Für 37 Fuß ca. 75 €. 
Nicht billig. Gepflegt. Ruhig. 
tel. +39 041 520 26 75

Ebenfalls gut: 
DIPORTO VELICO VENEZIANO gleich nördlich.
Liegepreise: Für 37 Fuß ca. 52 €. 
Günstig. In Laufweite. Nicht ganz so gepflegt.
tel. +39 041 523 19 27

Ebenfalls möglich, 
doch mit happigen Kosten für Vaporetto zu Zweit verbunden 
(Einzelfahrt ca. 7 €/Tagesticket 20 €/Zweitagesticket 30€ pro Person) 
sind die übrigen Marinas in Venedig:

• MARINA DI LIO GRANDE, ca. 700 Meter von der Vaporetto-Station bei Punta Sabbioni. 
37 Fuß: 42 €
• IZOLA SAN GIORGIO, 1 Vaporetto-Station von San Marco entfernt. 
Spektakulär. Im Zentrum. Klein. Teuer.
• MARINA VENTO DI VENEZIA

Eintrittspreis BIENNALE für zwei Tage Giardini/Arsenale: 25€. 
Was gemessen an sonstigen Museumspreisen in Venedig geschenkt ist.

Venedig. Unter Gewittern.


Es war Katrin, meine Frau, die sagte: „Fahr endlich los. Und schreib‘. Du bist schon zu lang im Hafen.“ Vielleicht spürte sie einfach nur meine Unzufriedenheit. Vielleicht kennt sie mich besser als ich mich. Was immer es ist: Sie hatte recht.

Mit Häfen ist es wie im Leben überhaupt: Es gibt tausend gute Gründe, sie nicht zu verlassen. Nicht das zu tun, was man eigentlich für sich als das Richtige erkannte. Nicht loszusegeln. Hinaus aufs Meer nicht. Und nicht ins Abenteuer des Lebens. Scheinbar gute Gründe, sich mit Nebensächlichem aufzuhalten. Statt das eine, Wichtige zu machen. Da wär noch ein Lämpchen anzubringen. Hier wär noch ein Teil zu besorgen. Dort noch ein schadhaftes Scharnier auszutauschen. Gar mancher vergisst darüber, dass er ja eigentlich lossegeln wollte, ins Leben oder hinaus aufs Meer. 

Und manchmal spielt auch einfach das Wetter nicht mit.


Es war ein Wetter, das Unwetter gebiert. Und Wolkenbrüche speit. Tornados über der Lombardei, die Häuser zerstörten. Der Scirocco, der südliche Wind, schickte erst Schwälle saunaheiß-feuchter Luft aus dem Süden über den Hafen. Um im nächsten Moment auf West zu drehen. Und kalte Luft heranzutragen. Um gleich darauf wieder Schwaden des heißen Saunabrodems aus dem Süden.

Am Nachmittag entlud sich der Himmel in heftigen Gewittern. Blitze, die nahe am Hafen krachend über dem Fluss einschlugen. Eine Yacht, die in Regenschauern langsam den Fluss hinauf irrte. Kein Wetter, in dem man einen Hafen grundlos verlässt. Ich schrubbte im Gewitterregen das Deck. Und war nach einer Minute triefnass. Für den folgenden Tag war Bora angekündigt, erst milde mit 4-5 bft. Ab 23 Uhr über Venedig mit 7 bft. Ich wollte den Wind aus Nordost nutzen, um mich davon nach Südwesten, nach Venedig blasen zu lassen.


Dann los. Am nächsten Morgen kam ich halb zehn aus dem Hafen – geplante Ankunftszeit in Venedig mit dem Wind neun Stunden später. 50 Seemeilen. Knapp 90 Kilometer. Kurz vor dem Unwetter. Kaum hatte ich den Fluss hinter mir, war draußen erstmal – gar nichts. Keine Wind. Keine Bora. Flaues Gefusel aus Südost. Und die Schönheit des Meeres, wenn man nach langer Zeit zum ersten Mal wieder draußen ist.

Aber dann war sie da, die Bora. Erst 15 Knoten. Dann 20 Knoten. Dann 23 Knoten. Keine milden 3-4 bft. Ein Spaß, die Genua auszurollen und sich vor dem Wind auf der schaukelnden, wiegenden LEVJE II nach Südwesten treiben zu lassen. Levje’s siebeneinhalb Tonnen geigten mit siebeneinhalb Tonnen sanft durch die Wellen, als wäre ich auf einem dickwandigem gusseisernen Wok  durch die Wellen unterwegs. 

Ein neues Schiff ist wie eine neue Beziehung, die man eingeht. Erst ist man richtig verknallt. Dann ist man endlich glücklich zusammen. Und dann beginnt das „sich zusammenraufen“. Vielleicht entsteht auch Liebe daraus, dies langdauernde, zusammenschweißende „Durch-Dick-und-Dünn“-Gefühl.


Venedig erreichte ich eineinhalb Stunden schneller als geplant. Der Wind blies in die Einfahrt hinein, das Bacino vor San Marco von hin- und her schießenden, preschenden Wassertaxis, Autofähren, Vaporetti und dem Nordost ein schlimmes Gebrodel. An der Tankstelle am Lido flog LEVJE so wild hin und her, dass mein Anleger misslang und LEVJE gegen die Dalben geworfen wurde und mein Kopf einen Post formulierte: „Tanken für ganze Kerle.“

Und wieder irrte der Wetterbericht. Es ging nicht 23 Uhr los, sondern 19 Uhr. Kaum im Hafen von Sant’Elena festgemacht, beschleunigte die Bora auf 28, dann über 30 Knoten. Michele, der Marinaio, hatte mich sicherheitshalber nicht mehr in die Box bugsiert, sondern gleich an der Pier vertäut, auf die nun die Bora drückte. Fünf große Fender auf eineinhalb Meter Bordwand – das musste reichen.

Der Wind legte weiter zu, im Süden ballten sich die Gebirge einer zweiten Gewitterfront und die untergehende Sonne tauchte die Häuser des Lido für einen Moment in tiefes Rot. Und während über LEVJE die Möwen reglos im Starkwind in der Luft standen; während Blitze aus dem Kraftwerk über dem Lido zuckten; während die Italienische Flagge auf der Pier gestreckt knatterte und der Regen prasselte: Kam plötzlich der Vollmond hinter dem Gewitter hervor: Als wäre alles nichts. Und aller Schrecken nichts, was man irgend ernst nehmen müsste.

Lust auf mehr Gewittergeschichten? 



40 Segler berichten ihre Erfahrungen.
In 8 Revieren.
Auf 272 Seiten.
Mit über 100 Fotos.
Mit mehr als 100 Learnings über richtiges Verhalten im Gewitter.

Live-Interview im hessischen Rundfunk ansehen?

 Hier den Mitschnitt sehen.

Weiterlesen über Gewitter hier auf MARE PIU: 
Ist es gefährlich, im Gewitter zu segeln? Hier.

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Venedig. Unter Gewittern.


Es war Katrin, meine Frau, die sagte: „Fahr endlich los. Und schreib‘. Du bist schon zu lang im Hafen.“ Vielleicht spürte sie einfach nur meine Unzufriedenheit. Vielleicht kennt sie mich besser als ich mich. Was immer es ist: Sie hatte recht.

Mit Häfen ist es wie im Leben überhaupt: Es gibt tausend gute Gründe, sie nicht zu verlassen. Nicht das zu tun, was man eigentlich für sich als das Richtige erkannte. Nicht loszusegeln. Hinaus aufs Meer nicht. Und nicht ins Abenteuer des Lebens. Scheinbar gute Gründe, sich mit Nebensächlichem aufzuhalten. Statt das Eine, das wirklich Wichtige zu machen. Da wär noch ein Lämpchen anzubringen. Hier wär noch ein Teil zu besorgen. Dort noch ein schadhaftes Scharnier auszutauschen. Gar mancher vergisst darüber, dass er ja eigentlich lossegeln wollte, aufbrechen wollte ins Leben oder hinaus aufs Meer. 

Und manchmal spielt auch einfach das Wetter nicht mit.


Es war ein Wetter, das Unwetter gebiert. Und Wolkenbrüche speit. Tornados über der Lombardei, die Häuser zerstörten. Der Scirocco, der südliche Wind, schickte erst Schwälle saunaheiß-feuchter Luft aus dem Süden über den Hafen von San Giorgio di Nogaro. Um im nächsten Moment auf West zu drehen. Und kalte Luft heranzutragen. Und gleich darauf wieder Schwaden des heißen Saunabrodems aus dem Süden.

Am Nachmittag entlud sich der Himmel in heftigen Gewittern. Blitze, die nahe am Hafen krachend über dem Fluss einschlugen. Eine Yacht, die in den Regenfahnen langsam den Fluss hinauf irrte. Kein Wetter, in dem man einen Hafen grundlos verlässt. Ich schrubbte im Gewitterregen das Deck. Und war nach einer Minute triefnass. Für den folgenden Tag war Bora angekündigt, erst milde mit 4-5 bft. Ab 23 Uhr über Venedig mit 7 bft. Ich wollte den Wind aus Nordost nutzen, um mich nach Südwesten, nach Venedig blasen zu lassen.


Dann los. Am nächsten Morgen kam ich halb zehn aus dem Hafen – geplante Ankunftszeit in Venedig mit dem Wind neun Stunden später. 50 Seemeilen. Knapp 90 Kilometer. Kurz vor dem Unwetter. Kaum hatte ich den Fluss hinter mir, war draußen erstmal – gar nichts. Keine Wind. Keine Bora. Flaues Gefusel aus Südost. Und die Schönheit des Meeres, wenn man nach langer Zeit zum ersten Mal aus der Enge des Hafens wieder draußen ist, die Weite spürt. Und Platz zum Atmen hat.

Aber dann war sie da, die Bora. Erst 15 Knoten. Dann 20 Knoten. Dann 23 Knoten. Keine milden 3-4 bft. Ein Spaß, die Genua auszurollen und sich vor dem Wind auf der schaukelnden, wiegenden LEVJE II nach Südwesten treiben zu lassen. LEVJEs siebeneinhalb Tonnen geigten sanft durch die Wellen, als wäre ich auf einem dickbauchig-gusseisernen Wok durch die Wellen unterwegs. 

Ein neues Schiff ist wie eine neue Beziehung, die man eingeht. Erst ist man richtig verknallt. Dann ist man endlich glücklich zusammen. Und dann wirds ernst – es beginnt das „sich zusammenraufen“. Vielleicht entsteht irgendwann auch Liebe daraus, dies langdauernde, zusammenschweißende „Wir-durch-Dick-und-Dünn“-Gefühl.


Venedig erreichte ich eineinhalb Stunden schneller als geplant. Der Wind blies in die Einfahrt hinein, das Bacino vor San Marco ein schlimmes Gebrodel von hin- und her schießenden, preschenden Wassertaxis, Autofähren, Vaporetti und dem Nordost, der an die Tankpier schlug. LEVJE, mein gußeiserner Wok, flog so wild hin und her, dass mein Anleger misslang und LEVJE gegen die Dalben geworfen wurde und mein Kopf einen Post formulierte: „Tanken für ganze Kerle.“

Und wieder irrte der Wetterbericht. Es ging nicht 23 Uhr los, sondern 19 Uhr. Kaum in Marina Sant’Elena festgemacht, beschleunigte die Bora auf 28, dann über 30 Knoten. Michele, der Marinaio, hatte mich sicherheitshalber nicht mehr in die Box bugsiert, sondern gleich an der Pier vertäut, auf die nun die Bora drückte. Fünf große Fender auf eineinhalb Meter Bordwand, drei Springs  – das musste reichen.

Der Wind legte weiter zu, im Süden ballten sich die Gebirge einer zweiten Gewitterfront und die untergehende Sonne tauchte die Häuser des Lido für einen Moment in tiefes Rot. Und während über LEVJE die Möwen reglos im Starkwind in der Luft standen; während Blitze aus dem Kraftwerk über dem Lido zuckten; während die Italienische Flagge auf der Pier gestreckt knatterte und der Regen prasselte: Kam plötzlich der Vollmond hinter dem Gewitter hervor: Als wäre alles nichts. Und aller Schrecken der Welt nichts, was man irgend ernst nehmen müsste.

Lust auf mehr Gewittergeschichten? 



40 Segler berichten ihre Erfahrungen.
In 8 Revieren.
Auf 272 Seiten.
Mit über 100 Fotos.
Mit mehr als 100 Learnings über richtiges Verhalten im Gewitter.

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Levje. Ein Abschied. Von einem kreuzbraven Schiff.

Weil mein Schiff am Kiel undicht ist, bin ich anders als geplant nicht losgesegelt. 
Und werde ich auch die nächsten vier Wochen nicht segeln. 
Stattdessen werde ich Geschichten erzählen, die zu erzählen ich 
den Winter über keine Zeit fand. Geschichten aus den Häfen. 
In und um San Giorgio di Nogaro im Friaul.

Es ist heiß am Pfingstsamstag in San Giorgio di Nogaro. Ein Boot ins Wasser zu lassen ist kein Pappenstiel, auch nicht für Maurizio, der sein Leben lang nichts anderes tut als tonnenschwere Boote zu Wasser zu lassen. Jeden Tag. Tagein – tagaus. Jeden Tag zwischen fünf und sechs Schiffe. Aber nicht bloß deswegen ist Maurizio mein Held – ich schrieb über ihn und das blaue Ungetüm weiter unten.

Am heutigen Tag ist meine LEVJE dran. Ein halbes Jahr stand sie jetzt im Hafen. Trotzte den Winterstürmen. Den Minusgraden. Und regenschwerem Scirocco. Als es wärmer wurde, bekam sie ihr Unterwasserschiff runter, sogar zwei Schichten Glas. Und jetzt: Ist sie hübscher, als sie je vorher war. Es ist zwei, als Maurizio seinen 140-Tonnen-Kran um die Ecke rollt, um mein 3,5-Tonnen leichtes Schiff abzuholen. Um es schwebend wie ein Luftschiff, vorbei an Werkshallen und anderen am Land stehenden Yachten langsam auf riesigen Rädern Richtung Flußhafen am Oberlauf des Corno zu rollen. LEVJE geht nun ins Wasser. Und in andere Hände über, denn ich habe sie verkauft.


Von alledem weiß Maurizio, der Kranführer, natürlich herzlich wenig. Sein Job ist es, Schiffe zu kranen. Von Februar bis Juli krant Maurizio Schiffe ins Wasser. Ich habe nachgerechnet: Es müssten so um die 500 sein. Jeden Tag zwischen fünf, sechs? Das Ganze fünf Monate mal 20 Arbeitstage lang. Und dreißig Jahre. Mit Tonnen jonglieren. Tag für Tag.

Eine Sache beginnen, wie das mit dem Anfang ist, darüber wissen wir recht gut Bescheid. „… und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, hat uns Hermann Hesse eingebläut. Aber wie ist das mit dem Abschied? Welchen Stellenwert hat er in unserem Leben? Mir fällt der Abschied von etwas Liebgewonnenem echt schwer. Überhaupt fällt mir etwas weggeben, aus meinem Leben eliminieren sehr schwer. Dabei bin ich doch ein typischer Westeuropäer. Nenne 100.000 Dinge mein Eigen, so hat das jedenfalls Frank Trentmann ausgerechnet, und er sagt uns auch, dass es vor 500 Jahren nur 5 Sachen waren, die ein durchschnittlicher Mensch besaß. Bei 100.000 Sachen sollte es doch leichtfallen, etwas wegzugeben?

Aber nichts da. LEVJE, die wir „Liebchen“ nannten, ist in meinem Leben etwas Besonderes. Nicht bloß ein Ding. Sondern etwas, das mich in einen neuen Lebensabschnitt trug, als ein großer Abschnitt endete. Ich verdanke meinen Schiff Schritte in ein neues Leben.

Ich gebe zu: Ich bin traurig. Irgendwo auf diesen Seiten schrieb ich einmal, ein Gefährt würde zum Gefährten, wenn man damit neue Schritte ins Leben macht. Sein Leben ändert. Etwas neues unternimmt. Vielleicht steckt dahinter ja das Kalkül der Nachkriegs-Geneneration, die wir nun einmal  sind. Der Glaube, dass sich mit „etwas besitzen“, ein Fahrzeug „HABEN“, schon die rechte Unabhängigkeit sich im Leben einstellen wird. Das erste Fahrrad, mit dem ich Fahrrad fahren lernte. Das dritte Fahrrad, mit dem ich meinen Radius in die Welt vergrößerte: Meist träumend.

Und jetzt? 

Maurizio, der so alt ist wie ich?
Vielleicht war er zu Pfingsten mit seiner kleinen Tochter an seinem Lieblingsstrand von Bibione – da, wo es einsam ist. Und der Strand nicht touristisch überlaufen ist. Vielleicht hat er ein Picknick gemacht. Bis Juli wird er wird er weiter Schiffe ins Wasser kranen. Große. Und Kleine. Jeden Tag zwischen sechs und zehn.

LEVJE? 
Sie wird mit Susanne und Wolfgang diesen Sommer wohl an den Häfen der Nordadria unterwegs sein. Irgendwo zwischen Triest und Venedig. LEVJE I hat hat einiges gesehen in der Welt: Hooksiel/D. Ijsselmeer/NL. Dann Izola/SLO. Von dort durch die Ägäis nach Antalya/TR. Kreta/GR. Sizilien/I. Sie hat viel gesehen. 
Leb wohl, mein Liebchen. Gib auf Dich acht.

Ich?
Werde mich in den nächsten Tagen auf den Weg machen. Auf LEVJE II. Gen Süden. 
Zu gern würde ich diesen Post enden lassen wie Rollo Gebhard jedes seiner sieben Bücher: „Und dann ziehe ich weiter. Unter weißen Segeln neuen Abenteuern entgegen.“

Levje. Ein Abschied. Von einem kreuzbraven Schiff.

Weil mein Schiff am Kiel undicht ist, bin ich anders als geplant nicht losgesegelt. 
Und werde ich auch die nächsten vier Wochen nicht segeln. 
Stattdessen werde ich Geschichten erzählen, die zu erzählen ich 
den Winter über keine Zeit fand. Geschichten aus den Häfen. 
In und um San Giorgio di Nogaro im Friaul.

Es ist heiß am Pfingstsamstag in San Giorgio di Nogaro. Ein Boot ins Wasser zu lassen ist kein Pappenstiel, auch nicht für Maurizio, der sein Leben lang nichts anderes tut als tonnenschwere Boote zu Wasser zu lassen. Jeden Tag. Tagein – tagaus. Jeden Tag zwischen fünf und sechs Schiffe. Aber nicht bloß deswegen ist Maurizio mein Held – ich schrieb über ihn und das blaue Ungetüm weiter unten.

Am heutigen Tag ist meine LEVJE dran. Ein halbes Jahr stand sie jetzt im Hafen. Trotzte den Winterstürmen. Den Minusgraden. Und regenschwerem Scirocco. Als es wärmer wurde, bekam sie ihr Unterwasserschiff runter, sogar zwei Schichten Glas. Und jetzt: Ist sie hübscher, als sie je vorher war. Es ist zwei, als Maurizio seinen 140-Tonnen-Kran um die Ecke rollt, um mein 3,5-Tonnen leichtes Schiff abzuholen. Um es schwebend wie ein Luftschiff, vorbei an Werkshallen und anderen am Land stehenden Yachten langsam auf riesigen Rädern Richtung Flußhafen am Oberlauf des Corno zu rollen. LEVJE geht nun ins Wasser. Und in andere Hände über, denn ich habe sie verkauft.


Von alledem weiß Maurizio, der Kranführer, natürlich herzlich wenig. Sein Job ist es, Schiffe zu kranen. Von Februar bis Juli krant Maurizio Schiffe ins Wasser. Ich habe nachgerechnet: Es müssten so um die 500 sein. Jeden Tag zwischen fünf, sechs? Das Ganze fünf Monate mal 20 Arbeitstage lang. Und dreißig Jahre. Mit Tonnen jonglieren. Tag für Tag.

Eine Sache beginnen, wie das mit dem Anfang ist, darüber wissen wir recht gut Bescheid. „… und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, hat uns Hermann Hesse eingebläut. Aber wie ist das mit dem Abschied? Welchen Stellenwert hat er in unserem Leben? Mir fällt der Abschied von etwas Liebgewonnenem echt schwer. Überhaupt fällt mir etwas weggeben, aus meinem Leben eliminieren sehr schwer. Dabei bin ich doch ein typischer Westeuropäer. Nenne 100.000 Dinge mein Eigen, so hat das jedenfalls Frank Trentmann ausgerechnet, und er sagt uns auch, dass es vor 500 Jahren nur 5 Sachen waren, die ein durchschnittlicher Mensch besaß. Bei 100.000 Sachen sollte es doch leichtfallen, etwas wegzugeben?

Aber nichts da. LEVJE, die wir „Liebchen“ nannten, ist in meinem Leben etwas Besonderes. Nicht bloß ein Ding. Sondern etwas, das mich in einen neuen Lebensabschnitt trug, als ein großer Abschnitt endete. Ich verdanke meinen Schiff Schritte in ein neues Leben.

Ich gebe zu: Ich bin traurig. Irgendwo auf diesen Seiten schrieb ich einmal, ein Gefährt würde zum Gefährten, wenn man damit neue Schritte ins Leben macht. Sein Leben ändert. Etwas neues unternimmt. Vielleicht steckt dahinter ja das Kalkül der Nachkriegs-Geneneration, die wir nun einmal  sind. Der Glaube, dass sich mit „etwas besitzen“, ein Fahrzeug „HABEN“, schon die rechte Unabhängigkeit sich im Leben einstellen wird. Das erste Fahrrad, mit dem ich Fahrrad fahren lernte. Das dritte Fahrrad, mit dem ich meinen Radius in die Welt vergrößerte: Meist träumend.

Und jetzt? 

Maurizio, der so alt ist wie ich?
Vielleicht war er zu Pfingsten mit seiner kleinen Tochter an seinem Lieblingsstrand von Bibione – da, wo es einsam ist. Und der Strand nicht touristisch überlaufen ist. Vielleicht hat er ein Picknick gemacht. Bis Juli wird er wird er weiter Schiffe ins Wasser kranen. Große. Und Kleine. Jeden Tag zwischen sechs und zehn.

LEVJE? 
Sie wird mit Susanne und Wolfgang diesen Sommer wohl an den Häfen der Nordadria unterwegs sein. Irgendwo zwischen Triest und Venedig. LEVJE I hat hat einiges gesehen in der Welt: Hooksiel/D. Ijsselmeer/NL. Dann Izola/SLO. Von dort durch die Ägäis nach Antalya/TR. Kreta/GR. Sizilien/I. Sie hat viel gesehen. 
Leb wohl, mein Liebchen. Gib auf Dich acht.

Ich?
Werde mich in den nächsten Tagen auf den Weg machen. Auf LEVJE II. Gen Süden. 
Zu gern würde ich diesen Post enden lassen wie Rollo Gebhard jedes seiner sieben Bücher: „Und dann ziehe ich weiter. Unter weißen Segeln neuen Abenteuern entgegen.“