Kategorie: Mare Più

Jetzt neu im Verlag von MARE PIU: Rollo Gebhards SEEFIEBER in komplettneuer Überarbeitung.

Zu den herausragenden Texten der deutschsprachigen Meeres-Reiseliteratur gehören zweifellos die Bücher von Rollo Gebhard. Dies hat weniger damit zu tun, dass sich Rollo Gebhard selbst als Schriftsteller begriffen hätte (Hat er nicht, wie uns seine Frau Angelika Gebhard bei einer unserer vielen Begegnungen verriet), sondern weil er Millionen Menschen mit seinen Reisegeschichten erreichte. Und bewegte. Er war ein bescheidener Chronist seiner heute immer noch einzigartigen Reisen, und diese Reisen waren es, die die Menschen bewegten.

SEEFIEBER war nicht Rollo Gebhards erstes Buch. Wohl aber beschreibt er darin die Anfänge seines Segeltraumes und seiner allerersten Segelreisen, die er unternahm, als er schon 40 war. Zuerst auf einer 5-Meter-Holzjolle die nördliche Adria entlang von Chioggia nach Triest und zurück. Nicht aus Rekordsucht, sondern Hunger nach Leben. Als er das drei Mal gemacht hatte, wurde ihm langweilig, wie er im Interview als 91jähriger gestand. Er beschloss, auf eben jenem Boot von Italien aus Richtung Indien zu segeln. Das war 1960, und weder die Welt noch sein 5-Meter-Boot waren geschaffen für solch eine Reise. Rollo Gebhard schaffte es trotzdem quer übers Mittelmeer nach Nordafrika, schlug sich auf seiner offenen Nussschale lenzend durch Stürme, durch ägyptische Revolutionen und somalische Unruhen. Er schaffte es einhand bis in den Jemen auf einem Boot, bei dem die meisten von uns bei Windstärke 4 es bevorzugen, auf dem Ammersee den sicheren Hafen nicht zu verlassen. Mit einer Ausrüstung, die aus wenig mehr als einem einzigen Satz Segel und etlichen Dosen mit Konserven bestand.

Auch ich habe Rollo Gebhards SEEFIEBER gelesen, als ich mit Ende Dreissig zu Segeln anfing. Seine Abenteuer berührten mich damals, und sie berührten mich noch mehr, als ich mich im vergangenen Jahr daran machte, Rollo Gebhards Text anhand des maschinengeschriebenen Original-Manuskriptes zu rekonstruieren und zu entstauben. Eine Freude war es mir, dass Angelika Gebhard immer wieder mit weiteren Materialien im Verlag millemari. erschien und uns bei unserem Vorhaben tatkräftig unterstütze: Mit zwei großen Kisten mit Rollo Gebhards Originalfotos (unser Coverfoto fanden wir bei dieser Gelegenheit). Mit einem Taschenkalender mit Gedanken über seine Zeit in Aden, die für ihn keine leichte war. Und kurz vor Weihnachten noch mit seinem Tagebuch über den ersten Teil der Reise, das uns so faszinierte, dass wir einige besonders dramatische Seiten als handschriftliche Faksimile in unserer Ausgabe drucken.

Nach einiger Arbeit am Text haben uns die Abenteuer dieses Mannes so bewegt, dass wir beschlossen, SEEFIEBER zum Band Eins unserer neueröffneten BIBLIOTHEK DER EXTREME zu machen. Und weil wir mit unserer Begeisterung nicht allein waren, steuerte der Journalist und Filmemacher Marko Rösseler noch ein Interview zum Buch bei – kein gewöhnliches Interview, sondern das letzte Interview, das der 91jährige Rollo Gebhard gab. Und in dem er seltene Einblicke in sein Leben gab, die er sich als einfacher Chronist, der er war, niemals vorher erlaubt hatte.

SEEFIEBER erscheint in den kommenden Tagen bei millemari. als Print und wie gewohnt als eBook. Wer möchte, kann die Print-Ausgabe bestellen, die seit heute Nachmittag bei AMAZON für 24,95 € erhältlich ist.

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Alle weiteren 7 Bücher von Rollo Gebhard werden im Lauf des Jahres ebenfalls bei millemari. erscheinen – nach gründlicher Neubearbeitung.

Der Mensch und seine Sachen: Der Leuchtturm im Winter: Formentor auf Mallorca.

Der Leuchtturm von Kap Formentor auf Mallorca.

Bei meinen Reisen kehre ich oft an dieselben Orte zurück. Schließlich ist es ja nicht so, dass es viele Orte gäbe, die man einfach aufsucht: Und schon ist man glücklich mit sich und der Welt. In Formentor ist das aber so. Es ist ein abgelegener Ort in der nördlichsten Ecke Mallorcas, aber das ist noch nicht präzise genug: Man muss der äußersten gebirgigen Verlängerung der Serra Tramuntana, des langen nördlichen Gebirgszugs Mallorcas, bis an ihr alleräußerstes Ende folgen, dahin, wo nur noch Gestrüpp und dürre Gräser sich zwischen die Felsbrocken klammern.

Formentor ist ein abgelegener Ort, auch wenn dort heute – quer durchs Gebirge, über Heide, durch Kiefernwälder und Schafweiden – eine gut ausgebaute Straße hinführt, auf der sich selbst im frühen Januar tagsüber die Autos drängeln. Der Leuchtturm liegt da, wo die Welt endet: Auf einer Klippe zwischen anderen Klippen, ein Fels mitten in der Unendlichkeit. Nur noch ein Ziegeldach über einem weißen Gemäuer – und dann nichts mehr, aber auch gar nichts mehr als Blau und duftige Wolken jetzt im frühen Januar.

Kein Ort, wo man denn gerne wäre, im Sturm. Wie oft haben wohl Segler und Seeleute hinaufgeschaut zum 210 Meter hoch gelegenen Leuchtfeuer mit der inbrünstigen Bitte „Lass mich jetzt nur schnell herumkommen um diese Huk, in den Frieden und das ruhige Wasser auf der anderen Seite.“ Oder wie wir, nach 20stündiger Überfahrt herüber von Barcelona mit den Segelrebellen im März letzten Jahres – aber das ist eine andere lesenswerte Geschichte.

Weiterlesen bei: KEIN GANZ NORMALER TÖRN: Von Barcelona nach Mallorca. Hier.

Er hat auch schon einige Jahre auf dem Buckel, der Leuchtturm. Wahrscheinlich hatten schon die Römer hier in der Nähe ein Leuchtfeuer, schließlich lag die wichtigere ihrer beiden großen Städte nur noch ein paar Seemeilen entfernt, Pollentia, die Mächtige, als die zweite Stadt Palma Palmensis wirklich noch die zweite und nicht wie heute die erste Geige auf Mallorca spielte. Spätestens als die Vandalen über die Insel kamen, sie ausplünderten und ihre kurzlebige Thalassokratie, ihr Seereich von Nordafrika aus errichteten, war Schluss mit Licht und Leuchtzeichen. Für lange Zeit. Erst um 1857, als die industrielle Schiffahrt einsetzte und das Mittelmeer dank Dampfschifffahrt einen neuen Aufschwung nahm, begann man mit dem Bau eines neuen Leuchtturmes. Das neue Feuer wurde am 30. April 1863 entzündet und mit Olivenöl betrieben. Der Bau war dermaßen schwierig, das Terrain derart abgelegen, dass es unerhörte Anstrengungen kostete, das Leuchtfeuer zu bauen. Weswegen dann auch der Bischof von Mallorca ausnahmsweise auch der Samstags- und Sonntagsarbeit zustimmte, allerdings den bischöflichen Dispens unter der Bedingung erteilte, dass die Arbeiter jeden Morgen an einem provisorischen Altar die Messe hören konnten

.

Auch die Versorgung des Leuchtturms blieb schwierig. Die ersten Arbeiter hatten einen 17 Kilometer langen Saumpfad von der Bucht Cala Muerta heraufgelegt. War das Wetter gut, was es in dieser sturmreichen Ecke offensichtlich nicht oft war, konnte man im nahegelegenen Moll dell Patronet anlegen, nicht mehr als einer Lücke in den Felsen, von der die Arbeiter 272 Stufen herauf in den harten Fels geschlagen hatten.

Die Sache mit dem Olivenöl entpuppte sich auch nicht als der wahre Jakob, so dass man bald auf Paraffin umstellte. Und kaum war das Benzin in der Welt, stellte man darauf um, bis der Fortschritt 1962 in Gestalt einer Stromleitung auf die Insel und vor allem nach Formentor kam. Neue Linsen gabs dann 1971, und so sendet der Leuchtturm heute Nacht, wie jede andere Nacht seine Blitze über 40 Kilometer weit in die Nacht hinaus: vier weiße Blitze alle 20 Sekunden. Und weist denjenigen den Weg, die in die Häfen von Pollenca und Alcudia wollen – dorthin, wo schon die Römer hinwollten vor 2.000 Jahren: Zu ihrer Hauptstadt Pollentia, die heute unter dem alten Alcudia liegt.

Weiterlesen bei weiteren Geschichten über Mallorca: Hier!

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Lust auf noch mehr Geschichten vom Meer?

Vom Autor von MARE PIU: 


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Unter Segeln von Korfu nach Sizilien, Tag 7: Ankommen unterm Ätna. Und:Abenteuer in der Hafenbar.

Auch wenn ich mich angesichts der Ereignisse in Frankreich frage, welchen Sinn es hat, heute einfach so weiterzuposten und einfach von meiner Reise von Korfu nach Sizilien weiter zu erzählen: so glaube ich, dass gerade dies wichtig ist. Sich nicht beeindrucken zu lassen von der Monstrosität des Grauens. Sich nicht abbringen zu lassen von dem, woran wir glauben: Dies ist meine Verbeugung vor all denen, die unschuldig tiefes Leid erfahren haben.
Fahren wir also fort, wo wir endeten: Dies ist der Bericht meiner Reise in der zweiten Oktoberhälfte von Korfu nach Sizilien. 

                                      Was bisher geschah: Hier lesen: Tag 6 – Weit weit draußen, zwei Nächte und einen Tag.

In der Straße von Messina waren Wind und Welle endlich ruhiger geworden. Was vorher zwei Nächte und einen Tag böig von achtern das Meer aufgewühlt hatte hinter uns, war nun ein netter Segelwind. Auch der Himmel hatte aufgeklart. Am Horizont über Messina erhellten Blitze den Himmel, deren zuckendes Licht Levje’s Großsegel wie eine Kinoleinwand zurückwarf. Am klaren Nachthimmel Sternschnuppen über Sternschnuppen, die einfach über den Nachthimmel zischten, kreuz und quer und so lange, bis ich nicht mehr wußte, was ich mir noch wünschen sollte. Ich hatte ja alles.

Weil Sven und sein Sohn Tino übermüdet waren vom langen Wachen nachts und tagsüber, blieb ich wach bis weit nach eins. Dann weckte ich Sven, schälte mich aus meinen Klamotten, wusch mir das Salz aus Gesicht und legte mich in meine Koje. Das „dümmliche Grinsen“ in meinem Gesicht, das sich noch bei jedem einstellte, der die Schönheit des Meeres und des Segelns erfahren durfte, war das letzte, was ich registrierte. Dann: Tiefer, tiefer Schlaf.

Gegen sechs wachte ich auf. Die Sonne schien hell, Tino war wach. Und hatte die beiden Schleppangeln ausgebracht. Und zum ersten Mal seit fast eineinhalb Jahren ging uns wieder ein Fisch an den Haken: Ein Bonito mittlerer Größe biss an, der kleine Bruder des Thunfischs, ein schneller Jäger, der zu dem blinkenden Köder nicht Nein sagen konnte, als der mit der Geschwindigkeit eines Marathonläufers an ihm vorbeizog. Ein schönes Tier, groß und schnell und stark, mit kleinen Finnen im hinteren Drittel seines Körpers. Und ich? Verstand die Welt nicht mehr. Meine letzte Makrele hatte vor über eineinhalb Jahren in Italien angebissen. In Griechenland, der Ägäis, der Türkei zog ich wochenlang meine Schleppangel hinter Levje her. Nichts mehr. Nicht ein Fisch war mir seit Italien an den Haken gegangen. Und kaum sind wir wieder in italienischen Gewässern, beißt ein Bonito an. Ist der Schutz der Fischbestände in Italien effizienter? Haben Griechen zuviel mit Dynamit gefischt und ihre Gewässer leergefischt? Oder gibt es die schnellen Jäger, Makrelen, Bonitos, die, die meiner Schleppangel erliegen, einfach nur in den italienischen Gewässern? Ein Rätsel.

Sizilien war nah. Wie angekündigt, hatte der Wind gedreht auf den letzten Seemeilen. Von 5-6 bft von „genau achtern“ auf 5-6 genau von da, wo wir hinwollten: Catania, unterm Ätna. Es machte nichts. Die Handvoll Seemeilen von der Küste baute der Wind keine Welle mehr auf, wir glitten dahin im Morgenlicht, und endlich lag der Hafen vor uns. Catania.

Der Ätna versteckte sich hinter einer dichten weißen Wolkenbank, der Südwest fegte mit Macht ins weite Hafenbecken. Italien ist – anders als Kroatien oder Frankreich – nur mit einer einfachen Yacht-Infrastruktur ausgestattet: Marinas in privater Hand sind selten, wenn man eine Marina findet, sind die überwiegend von den beiden großen Clubs CIRCOLO NAUTICO oder LEGA NAVALE vereinsmäßig betrieben. Oft gibt es gar keine Marina. Dafür besitzt Catania gleich deren vier – die Qual der Wahl. Um ruhig zu liegen, machten wir in der westlichsten fest, dem CLUB ETNEO. Leider eine teure Entscheidung, mit 45 Euro für Levje’s 31 Fuß, ohne Toilette, ohne Dusche, aber was machts – wir waren angekommen und lagen fest!

Und dann die ersten wackeligen Schritte an Land, ins Caffé del porto, mitten rein ins Leben eines italienischen Hafens. Eine italienische Hafenbar ist kein strahlender Ort, wohl aber ein Ort, an dem das pralle Leben stattfindet. Zwei Fischer, zwei Hafenarbeiter in blauen Overalls mit den orangen Neonstreifen. die an der Theke vor Espresso und Cornetto stehen und kurz palavern. Der Barista hinter der Bar, Wärme, Kaffeeduft, das Geduddel eines Radiosenders, „farbiger Krach“, ohne den in Italien nichts geht. Eine wunderbar gemütliche Mollige hinter der Kasse, die die Schwester des Barista sein könnte. Ihr Lächeln, und klar ist: sie ist der Magnet und das Unikum des Etablissements, das die beiden von ihren Eltern übernommen haben. Familie, die ihr Auskommen am Hafen findet. Die Hafenarbeiter bezahlen bei ihr an der Kasse, nicht ohne einen Scherz. Zu gern würde ich eintauchen jetzt gleich, gleich, ganz tief in dieses einzigartige Biotop an Beziehungen, in dieses jahrzehntelange Geflecht der Menschen an diesem Ort untereinander, das man „sich kennen“ nennt. Und das diesen verlassenen Ort am Hafen trägt durch die Zeit. Weil ich wie sie vom Meer komme, bin irgendwie ein Teil dieses Biotops, es ist keine Einbildung. Ein Scherzen, ein kurzes Hin- und Her, dann ziehen die Hafenarbeiter ihrer Wege. Eine ältere Dame, gut gekleidet, die auf dem Weg ins Büro hier ihren Cafe nimmt. Ich bestelle mir einen Espresso. Und eines dieser lecker aussehenden Schokoladen-Croissants, „un brioche“ heißen sie hier, darauf habe ich jetzt Lust nach all dem Salzwasser. Es kommt lauwarm über die Theke, prall unter dem Puderzucker lächelt es mich an, der Duft nach frisch Gebackenem ist unwiderstehlich. Als ich hineinbeiße, explodiert eine Woge an Nutella im Inneren des Brioche, tropft warm über die Theke, die ich, um mein Werk nur ja zu vervollständigen, mit Puderzucker und Brioche-Krümmeln eindecke. Mit einem derart üppigen Genuß hatte ich an diesem Ort nicht gerechnet, nur weil dies äußerlich ein ranziges Hafencafe ist, heißt das ja nicht, dass hier keiner was von gutem Essen verstünde. Der Barista reicht mir drei Servietten, die Kassiererin lächelt mir verständnisinnig zu, wir haben uns durchschaut, dass wir beide nur zu gerne, allzugerne gut essen und gern sinnlich sind. Und ich: Nutella-verschmiert, 54jährig, eben angekommen: Ich liebe Italien. Wie eh und je.

Im nächsten Post lesen Sie: Ganz weit oben: Auf dem Ätna.

Wenn Fischerboote reden könnten. Ein Spaziergang durch den Hafen von Catania.

Es ist halb neun Uhr morgens im Hafen von Catania. Einer nach dem anderen kommen die Fischer herein, die die Nacht über draußen waren. Und laden aus, was sie über Nacht gefangen haben. Auf dem Achterdeck eines Fischers stapeln sich Kisten an Kisten: Obststeigen voller Heuschreckenkrebse. Styroporkisten mit Rotbarben, Drachenköpfen, Meeräschen, Meeraalen, alles bunt durcheinander. Blaue Bottiche voller Meerwasser, in denen Seespinnen die Fühler ausstrecken. Es riecht nach Tang und frischem Seegras, zwei Männer in knallorangen Latzhosen spülen mit  dickbauchigem Schlauch immer wieder den Inhalt der Kisten kräftig durch. Männer auf der Pier, die den Fang der Nacht …

kritisch beäugen, fachmännische Kommentare abgeben. Einer, der das Kommando hat auf der Pier, vielleicht der Großhändler, der mit dicken Bündeln Scheinen wedelt und dabei ständig „Luigi“, „Pepe“ ruft und die Männer hin und verscheucht, bis Steigen, Kisten und Bottiche endlich verladen sind auf ein kleines Dreirad, eine APE. So vollgepackt ist sie, dass ihre Hecktüren sich nicht schließen lassen. Zwei Männer bändseln endlich die Türen zu mit einem abgerissenen Strick, bis sich die APE qualmend, ruckelnd, spuckend aus dem Hafen bewegt, Richtung Kochtöpfe.

Die Fischer stecken sich eine Zigarette in den Mundwinkel, die wievielte dies Nacht. Die Männer auf der Pier verlaufen sich, die Arbeit ist getan. Zurück bleiben an diesem Morgen die Boote der Fischer, die im Schwippschwapp des Hafens behäbig schaukeln. Und darauf warten, dass die Fischer wiederkommen in ein, zwei Tagen, irgendwann am Abend, und in der Dämmerung wieder rausfahren, mit gespannten Mienen. Ohne die Männer an Deck und auf sich selbst gestellt, sind sie nun kleine Persönlichkeiten. Gesichter, die mir im Hafen begegnen.

Nehmen wir einmal PAOLA und NUNZIELLA. Wie Schwestern schaukeln die beiden einträchtig nebeneinander. Als kennten sie sich schon ein Leben lang. PAOLA jedenfalls, die ihr Besitzer wie die meisten hier in leidenschaftlichem Rot innen gestrichen hat, hat schon einiges erlebt, das sieht man den Kisten und Verschlägen auf dem Verdeck an. Aber sei es, um nur ja nicht zuviel preiszugeben; sei es, um die kostbare Inneneinrichtung zu schonen, hat PAOLA’s Eigentümer die Vorhänge hinter den beiden Fenstern geschlossen, über die er mit ungelenker Hand und dickem Faserstift die fünf Buchstaben mittig hingepinselt hat.

Etwas einladender geht es auf dem nächsten Fischkutter zu. Die Tür zum Inneren steht einladend offen. Ein Stuhl vom Campingplatz kündet davon, dass der Fischer auch noch Andres kennt als „Giro d’Affari“, das italienische Wort für Umsatz. Er scheint ein Freund der Gemächlichkeit zu sein, körperliche Arbeit? Die kann man doch im Sitzen erledigen. Während sein Schiff etwas verkniffen aus drei verhangenen Augen in die Welt schaut. Irgendeine Unzufriedenheit, die darüber lagert. Den Luftfilter im Motor zulange nicht ausgeklopft? Die Bilge länger nicht leergepumpt? Jedenfalls sagt das Gesicht mit verdrießlicher Miene: Es liegt was quer.

Setzen wir unseren Spaziergang auf der Mole an diesem Morgen weiter fort. Die Kleine da, mit dem hellblauen Hut. Sieht sie nicht gleichmütig aus, mit dem zusammengekniffenen Mund? Natürlich sind auch bei ihr die Vorhänge rammeldicht zugezogen, mit etwas Wehmut denke ich mich nach Holland, wo anders als in katholischen Gefilden immer alles offen steht an Fenstern. Wo jedermann sehen darf, dass es in diesem Haus rechtschaffen und gottesfürchtig zugeht. Aber dies ist nun mal Sizilien, Italien überhaupt: Ich kenne kein Land, in dem das private Leben so abgeschottet hinter den eigenen vier Wänden stattfindet wie Italien.

Endlich offenherzig zeigt sich dieses Fischerboot. Und siehe da: Im Inneren gibt es nichts Spektakuläres zu sehen. Ein Gashebel, ein Steuerrad, ein wenig Elektronik, die man so braucht. Funke, GPS, ein paar Schalter für die Lichter. Eine Gefriertruhe mit rostigem Deckel an Deck. Der Laderaum dürftig verschalkt, von einer Kette zusammengehalten. Vielleicht stimmt ja der Satz: „Reich ist nicht, alles zu haben. Reich ist, wer weiß, was er alles nicht braucht.“

Weiter links wieder ein Geschwisterpaar. Der Besitzer scheint die Farbe rot zu mögen, selbst ins Blau des Deckshauses ist kräftig Rot gemischt. Etwas streng sieht es mich an, das blaurote Gefährt, als ich so vor ihm stehe und versuche, ihm tief in die weit auseinandersetzenden, rotverhangenen Augen zu sehen. Nicht unser Tag heute. Man kann nicht jeden Tag ein Lächeln im Gesicht tragen. Warum eigentlich nicht?

Ach ja. ROSARIA. Da ist nun jemand wirklich stolz auf sein Schiff. Nein, schiere Größe zählt gar nicht. Nur das Glück. Und so prangt nicht nur der schöne Name auffällig über allem, nein: Sogar mit Sternchen versehen ist er, eins links, eins rechts. So, als wollte der Besitzer sagen: „Das ist nun die siebzehnte – aber so glücklich wie mit ROSARIA war ich mit keiner zuvor!“ Es bleibt nun uns überlassen, darüber zum mutmaßen, ob nicht noch andere Liebe im Spiel ist als nur die zu einem Boot. Und bei er Namensgebung nicht noch ein Jubel im Spiel war, endlich, endlich das richtige Du gefunden zu haben.

SANTA LUCIA hingegen blickt in verschiedenen Richtungen in die Welt: Nach links. Nach vorn. Nach rechts. Verhangen ist auch ihr Blick aus dem etwas breiten Gesicht, das ihr einen Hauch Würde verleiht. Da ist natürlich der Name nicht unschuldig. Santa Lucia, die Patronin aus dem wenige Seemeilen entfernten Siracusa: Ein eifersüchtiger Bräutigam, ein ungnädiger Richter, der sie während der diokletianischen Christenverfolgung in Siracusa ob ihrer christlichen Tugend und Standhaftigkeit zur öffentlichen Schändung ins Bordell verurteilte. Weder tausend Männer noch ein Ochsengespann (sic!!) waren in der Lage, so fortzuschaffen, sie blieb im Gerichtssaal wie angewurzelt. Nicht Pech, nicht Schwefel, nicht Feuer konnte ihr etwas anhaben. Bis sich einer erbarmte. Und ihr endlich ein Schwert in den Hals stieß. Dass derlei Geschichten bei der Namenswahl des Bootes eine Rolle spielten, darf bezweifelt werden. Santa Lucia ist einfach die Lokalheilige, und ihr Fest wird jetzt im Dezember in Siracusa ganz sicher gebührend gefeiert. Wie auch im bayerischen Fürstenfeldbruck die Kinder an diesem Tag das Lucienfest feiern. Und kleine selbstgebastelte Häuschen mit einer Kerze in der Dämmerung auf der Amper aussetzen. So weit ist Siracusa ja nun auch nicht weg.

Vo anderer Denkungsart ist der Besitzer dieses Fischkutters: Der freie Geist! Da ist jemand mal von der Ethik-Seite gekommen, hat sich freigeschwommen und hat das jahrtausendealte Handwerk des Fischers ergriffen. SPIRITO? Ja sicher, Geist immer! Aber nicht SPIRITO SANTO, den heiligen Geist. Sondern SPIRITO LIBERO, den freien Geist, der über allem thront. Zu so einem Namen gehört Mut. Und Ausdauer. Und die Überzeugung, dass man das auch ein Leben lang durchhalten kann, mit dem freien Geist. Nicht verknöchert, nicht verspießert, zwar immer ordentlich die Holzkisten links aufs gewienerte Vordeck sortiert, aber doch ein freier Kopf bleibt, bis ans Ende seiner Tage.

Beenden wir nun unseren morgendlichen Spaziergang durch den Hafen von Catania. Noch schnell ab in die BAR DEL PORTO, über die ich im letzten Post schrieb, wo nun der eine oder andere Fischer zusammen mit den Hafenarbeitern am Tresen steht, für einen kurzen Moment, eine Espresso-Länge. Verabschieden wir uns von der molligen Schwester des Barbesitzers und verlassen wir diesen schönen Ort. Und bewahren wir uns zumindest für den heutigen Tag den Blick für die netten kleinen Geschichten, die am Wegrand liegen.

Im nächsten Post: Wie ist das eigentlich, in Sizilien und seinen Häfen: Warum Siracusa nicht nur eine Reise wert ist.

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Der Mensch und seine Sachen: Der Leuchtturm im Winter: Formentor auf Mallorca.

Der Leuchtturm von Kap Formentor auf Mallorca.

Bei meinen Reisen kehre ich oft an dieselben Orte zurück. Schließlich ist es ja nicht so, dass es viele Orte gäbe, die man einfach aufsucht: Und schon ist man glücklich mit sich und der Welt. In Formentor ist das aber so. Es ist ein abgelegener Ort in der nördlichsten Ecke Mallorcas, aber das ist noch nicht präzise genug: Man muss der äußersten gebirgigen Verlängerung der Serra Tramuntana, des langen nördlichen Gebirgszugs Mallorcas, bis an ihr alleräußerstes Ende folgen, dahin, wo nur noch Gestrüpp und dürre Gräser sich zwischen die Felsbrocken klammern.

Formentor ist ein abgelegener Ort, auch wenn dort heute – quer durchs Gebirge, über Heide, durch Kiefernwälder und Schafweiden – eine gut ausgebaute Straße hinführt, auf der sich selbst im frühen Januar tagsüber die Autos drängeln. Der Leuchtturm liegt da, wo die Welt endet: Auf einer Klippe zwischen anderen Klippen, ein Fels mitten in der Unendlichkeit. Nur noch ein Ziegeldach über einem weißen Gemäuer – und dann nichts mehr, aber auch gar nichts mehr als Blau und duftige Wolken jetzt im frühen Januar.

Kein Ort, wo man denn gerne wäre, im Sturm. Wie oft haben wohl Segler und Seeleute hinaufgeschaut zum 210 Meter hoch gelegenen Leuchtfeuer mit der inbrünstigen Bitte „Lass mich jetzt nur schnell herumkommen um diese Huk, in den Frieden und das ruhige Wasser auf der anderen Seite.“ Oder wie wir, nach 20stündiger Überfahrt herüber von Barcelona mit den Segelrebellen im März letzten Jahres – aber das ist eine andere lesenswerte Geschichte.

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Er hat auch schon einige Jahre auf dem Buckel, der Leuchtturm. Wahrscheinlich hatten schon die Römer hier in der Nähe ein Leuchtfeuer, schließlich lag die wichtigere ihrer beiden großen Städte nur noch ein paar Seemeilen entfernt, Pollentia, die Mächtige, als die zweite Stadt Palma Palmensis wirklich noch die zweite und nicht wie heute die erste Geige auf Mallorca spielte. Spätestens als die Vandalen über die Insel kamen, sie ausplünderten und ihre kurzlebige Thalassokratie, ihr Seereich von Nordafrika aus errichteten, war Schluss mit Licht und Leuchtzeichen. Für lange Zeit. Erst um 1857, als die industrielle Schiffahrt einsetzte und das Mittelmeer dank Dampfschifffahrt einen neuen Aufschwung nahm, begann man mit dem Bau eines neuen Leuchtturmes. Das neue Feuer wurde am 30. April 1863 entzündet und mit Olivenöl betrieben. Der Bau war dermaßen schwierig, das Terrain derart abgelegen, dass es unerhörte Anstrengungen kostete, das Leuchtfeuer zu bauen. Weswegen dann auch der Bischof von Mallorca ausnahmsweise auch der Samstags- und Sonntagsarbeit zustimmte, allerdings den bischöflichen Dispens unter der Bedingung erteilte, dass die Arbeiter jeden Morgen an einem provisorischen Altar die Messe hören konnten

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Auch die Versorgung des Leuchtturms blieb schwierig. Die ersten Arbeiter hatten einen 17 Kilometer langen Saumpfad von der Bucht Cala Muerta heraufgelegt. War das Wetter gut, was es in dieser sturmreichen Ecke offensichtlich nicht oft war, konnte man im nahegelegenen Moll dell Patronet anlegen, nicht mehr als einer Lücke in den Felsen, von der die Arbeiter 272 Stufen herauf in den harten Fels geschlagen hatten.

Die Sache mit dem Olivenöl entpuppte sich auch nicht als der wahre Jakob, so dass man bald auf Paraffin umstellte. Und kaum war das Benzin in der Welt, stellte man darauf um, bis der Fortschritt 1962 in Gestalt einer Stromleitung auf die Insel und vor allem nach Formentor kam. Neue Linsen gabs dann 1971, und so sendet der Leuchtturm heute Nacht, wie jede andere Nacht seine Blitze über 40 Kilometer weit in die Nacht hinaus: vier weiße Blitze alle 20 Sekunden. Und weist denjenigen den Weg, die in die Häfen von Pollenca und Alcudia wollen – dorthin, wo schon die Römer hinwollten vor 2.000 Jahren: Zu ihrer Hauptstadt Pollentia, die heute unter dem alten Alcudia liegt.

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Im Winter: Am Meer (IV). Von Sizilien und Mallorca. Oder: Kommen und Gehen.

Es ist Weihnachten geworden, und ich bin nun etwa 550 Seemeilen, 1.000 Kilometer, weiter nordwestlich: Der Hafen heißt Port de Pollença, und er liegt auf Mallorca. Von Sizilien, der größten Insel des Mittelmeers, auf die siebtgrößte. Von 5 Millionen Einwohnern auf eine Insel mit knapp 850.000. Auch hier hat es jetzt an Weihnachten tagsüber freundliche 18, 19 Grad. Und manches arglose Bleichgesicht, das nicht aufpasst mit der Sonne, zeigt sich tags darauf in schmerzhaftem Krebsrot. Statt in Sizilien pünktlich um fünf vor fünf geht die Sonne hier eine Dreiviertelstunde später unter. Fürs Queren der Insel mit dem Auto braucht man auf Siziliens buckligen Landstraßen mehr als sechs Stunden, in Mallorca ist man dank properer Autobahn in 45 Minuten einmal quer durch. Um Mallorca herumzusegeln, für die 150 Seemeilen, ist man drei bis vier Tage unterwegs, mindestens. Die gleiche Distanz ist gerade mal die Länge der Südküste Siziliens, die Nordküste ist genauso lang, Verlockungen wie Ägadische oder Äolische Inseln nicht eingerechnet. Aber darüber berichte ich dann im Frühsommer 2016, wie sich das anfühlt, einmal um Sizilien herum. Über die „halbe Umrundung Mallorcas“ schrieb ich im vergangenen Frühjahr, vom Törn mit den SEGELREBELLEN“ – hier weiterlesen.

Und sonst? Gibts natürlich noch mehr Unterschiede – Insel ist ja nicht gleich Insel. Die unterschiedlichen „Nationalitäten“ fallen dabei noch am wenigsten ins Gewicht. Nein, Sizilien ist fast schon irgendwie eine Insel wie ein eigenes Festland. Es lebt irgendwie aus sich selber („Nüsse vom Ätna!!“ „Orangen vom Ätna!!“), zumindest scheint das so, wo Mallorca ganz offensichtlich sehr vom und von anderen lebt und seine liebe Not hat, zwischen all dem „anderen“ das „eigene“ irgendwie zu bewahren. Zu schnell boomen Orte wie Port de Pollença, und dies „Boomen“ besteht mehr aus dem Auf- und Abschwellen dieses kleinstädtischen Organismus mit den Jahreszeiten. Kommt der Sommer, wächst die Einwohnerzahl von Port de Pollenca mal eben aufs fünf- bis siebenfache, grob geschätzt. Kommt der Winter, reduziert sich das alles dann wieder auf die 8.000 tatsächlichen Einwohner. 

Es sind hauptsächlich Briten und Festlandsspanier, die hier ihre Ferienwohnungen haben oder Hotels buchen, die jetzt im Winter geschlossen, stillgelegt sind. So wie auch die Strandpromenade von Port de Pollença, wo nicht nur SUPERSPAR und HIMALAYAN SOUVENIR verrammelt sind. Sondern fast der ganze Ort. Nur bei den Immobilienmaklern in Port de Pollença geht abends das Licht nicht aus. Zu viele von ihnen am selben Ort sind untrügliches Zeichen, was auf dieser Insel für heftiges Kommen und Gehen herrscht. Und mancher unter ihnen brüstet sich gern damit, dass er diese oder jene Wohnung „nun schon zum fünften Mal verkaufe“. Und so bleiben sie merkwürdig unter sich, die Mallorquiner, wo Sizilien an vielen Orten „großstädtischer“ und gelegentlich auch echter „melting pot“ ist und der sizilianisch aussehende Kellner sich schnell als waschechter Albaner entpuppt.

Ja, das mit dem „verrammelt“, es hat dann aber auch wieder seine eigenen Reize. Das Meer gehört einem nun wirklich ganz allein. Liveaboards, Leute die hier den Winter auf dem Boot verbringen, gibt es in Port de Pollença kaum, auch im nahen Alcudia nicht, das nun wirklich mit einer großen Marina punkten könnte. Wer kommt, der bleibt nicht, anders als in Marina di Ragusa, jedenfalls nicht über den Winter. Der Hafenmeister in Port de Pollença blickt sehnend hinaus auf die Mole, auch die Strände hat man für sich allein, gerade mal ein Mensch mit Weitwinkel-Objektiv, der sich wie wir am Strand in der Dämmerung herumtreibt, auf der Suche nach eben jenen 15 Minuten, in der sich die Welt am Meer – Sommer wie Winter – in ganz besonderen Licht zeigt.

Restaurants haben meistens zu, im ein paar Kilometer entfernten Cala San Vicenc jedenfalls alle, der Ort ist nun wirklich verlassen. Und doch ein Traum in den purpur-, violett-, sowieso blau-Tönen, die sich alle, alle jetzt zeigen, wo die Sonne weit in unserem Rücken schon im Meer versunken ist.

In diesem Licht besehen versteht man manchen abstrakten Maler besser, dem die Welt nur noch als Aufeinandertreffen zweier Farbflächen erschien, aber das ist ja nun nicht nur im Winter so am Meer. Und das haben sie nun wirklich alle gemeinsam, die Orte am Mittelmeer, die ich im Winter bereist habe:  Die duftigen Wolken in der Luft. Die weichen Blautöne. Und mit ein wenig Glück auf der weiten Leinwand des Himmels einen zartrosa Strich, der sie trennt, die Farbflächen.
All das allein in der Stunde, wenn die Sonne sinkt, ist schon das Kommen wert. Und sie, die unzähligen weichen Blautöne: sie machen mir das wieder-Weggehen vom Meer schon heute schwer – egal ob Sizilien oder Mallorca.

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Im Winter: Am Meer (IV). Von Sizilien und Mallorca. Oder: Kommen und Gehen.

Es ist Weihnachten geworden, und ich bin nun etwa 550 Seemeilen, 1.000 Kilometer, weiter nordwestlich: Der Hafen heißt Port de Pollença, und er liegt auf Mallorca. Von Sizilien, der größten Insel des Mittelmeers, auf die siebtgrößte. Von 5 Millionen Einwohnern auf eine Insel mit knapp 850.000. Auch hier hat es jetzt an Weihnachten tagsüber freundliche 18, 19 Grad. Und manches arglose Bleichgesicht, das nicht aufpasst mit der Sonne, zeigt sich tags darauf in schmerzhaftem Krebsrot. Statt in Sizilien pünktlich um fünf vor fünf geht die Sonne hier eine Dreiviertelstunde später unter. Fürs Queren der Insel mit dem Auto braucht man auf Siziliens buckligen Landstraßen mehr als sechs Stunden, in Mallorca ist man dank properer Autobahn in 45 Minuten einmal quer durch. Um Mallorca herumzusegeln, für die 150 Seemeilen, ist man drei bis vier Tage unterwegs, mindestens. Die gleiche Distanz ist gerade mal die Länge der Südküste Siziliens, die Nordküste ist genauso lang, Verlockungen wie Ägadische oder Äolische Inseln nicht eingerechnet. Aber darüber berichte ich dann im Frühsommer 2016, wie sich das anfühlt, einmal um Sizilien herum. Über die „halbe Umrundung Mallorcas“ schrieb ich im vergangenen Frühjahr, vom Törn mit den SEGELREBELLEN“ – hier weiterlesen.

Und sonst? Gibts natürlich noch mehr Unterschiede – Insel ist ja nicht gleich Insel. Die unterschiedlichen „Nationalitäten“ fallen dabei noch am wenigsten ins Gewicht. Nein, Sizilien ist fast schon irgendwie eine Insel wie ein eigenes Festland. Es lebt irgendwie aus sich selber („Nüsse vom Ätna!!“ „Orangen vom Ätna!!“), zumindest scheint das so, wo Mallorca ganz offensichtlich sehr vom und von anderen lebt und seine liebe Not hat, zwischen all dem „anderen“ das „eigene“ irgendwie zu bewahren. Zu schnell boomen Orte wie Port de Pollença, und dies „Boomen“ besteht mehr aus dem Auf- und Abschwellen dieses kleinstädtischen Organismus mit den Jahreszeiten. Kommt der Sommer, wächst die Einwohnerzahl von Port de Pollenca mal eben aufs fünf- bis siebenfache, grob geschätzt. Kommt der Winter, reduziert sich das alles dann wieder auf die 8.000 tatsächlichen Einwohner. 

Es sind hauptsächlich Briten und Festlandsspanier, die hier ihre Ferienwohnungen haben oder Hotels buchen, die jetzt im Winter geschlossen, stillgelegt sind. So wie auch die Strandpromenade von Port de Pollença, wo nicht nur SUPERSPAR und HIMALAYAN SOUVENIR verrammelt sind. Sondern fast der ganze Ort. Nur bei den Immobilienmaklern in Port de Pollença geht abends das Licht nicht aus. Zu viele von ihnen am selben Ort sind untrügliches Zeichen, was auf dieser Insel für heftiges Kommen und Gehen herrscht. Und mancher unter ihnen brüstet sich gern damit, dass er diese oder jene Wohnung „nun schon zum fünften Mal verkaufe“. Und so bleiben sie merkwürdig unter sich, die Mallorquiner, wo Sizilien an vielen Orten „großstädtischer“ und gelegentlich auch echter „melting pot“ ist und der sizilianisch aussehende Kellner sich schnell als waschechter Albaner entpuppt.

Ja, das mit dem „verrammelt“, es hat dann aber auch wieder seine eigenen Reize. Das Meer gehört einem nun wirklich ganz allein. Liveaboards, Leute die hier den Winter auf dem Boot verbringen, gibt es in Port de Pollença kaum, auch im nahen Alcudia nicht, das nun wirklich mit einer großen Marina punkten könnte. Wer kommt, der bleibt nicht, anders als in Marina di Ragusa, jedenfalls nicht über den Winter. Der Hafenmeister in Port de Pollença blickt sehnend hinaus auf die Mole, auch die Strände hat man für sich allein, gerade mal ein Mensch mit Weitwinkel-Objektiv, der sich wie wir am Strand in der Dämmerung herumtreibt, auf der Suche nach eben jenen 15 Minuten, in der sich die Welt am Meer – Sommer wie Winter – in ganz besonderen Licht zeigt.

Restaurants haben meistens zu, im ein paar Kilometer entfernten Cala San Vicenc jedenfalls alle, der Ort ist nun wirklich verlassen. Und doch ein Traum in den purpur-, violett-, sowieso blau-Tönen, die sich alle, alle jetzt zeigen, wo die Sonne weit in unserem Rücken schon im Meer versunken ist.

In diesem Licht besehen versteht man manchen abstrakten Maler besser, dem die Welt nur noch als Aufeinandertreffen zweier Farbflächen erschien, aber das ist ja nun nicht nur im Winter so am Meer. Und das haben sie nun wirklich alle gemeinsam, die Orte am Mittelmeer, die ich im Winter bereist habe:  Die duftigen Wolken in der Luft. Die weichen Blautöne. Und mit ein wenig Glück auf der weiten Leinwand des Himmels einen zartrosa Strich, der sie trennt, die Farbflächen.
All das allein in der Stunde, wenn die Sonne sinkt, ist schon das Kommen wert. Und sie, die unzähligen weichen Blautöne: sie machen mir das wieder-Weggehen vom Meer schon heute schwer – egal ob Sizilien oder Mallorca.

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1:05 Stunden echte Ferien vom Alltag mit diesem Film: 


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Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
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Menschen am Meer:

Was nun folgt, mag möglicherweise für den ein oder anderen trostlos sein. Aber wie vieles im Leben ist das nur eine Frage der Perspektive.

Nehmen wir mal das Bild oben: Ich habe es aufgenommen heute Nachmittag, als gegen Viertel vor fünf die Sonne unterging, in Punta Secca, wohin ich nun fast jeden Abend streune, weil sich da die Südküste Siziliens nach Westen weitet. Und sich plötzlich der Blick auf die untergehende Sonne bietet. Punta Secca im Winter also, …

am heutigen 17. Dezember, bei Sonnenuntergang. Vier verlassene Häuser irgendwo in Südsizilien, verrammelt vor den Südstürmen, die in den kommenden Wochen unweigerlich hier fegen werden. Vier Häuser, die sich wie vier Alte in ihrer Einsamkeit aneinanderschmiegen, als wollten Sie sich Trost zusprechen. Der Winter am Meer, auf dem Boot, er kann schon ganz schön trostlos sein. Oder?

Derselbe Ort, derselbe Augenblick: Ich habe mich lediglich einmal im Halbkreis um mich selber gedreht, und schaue jetzt nach Westen, aufs Meer, statt auf die einsamen Häuser. Punta Secca, wie 

ich es nie vergessen werde. Und damit sind wir auch schon beim Thema: Warum ich im Winter so gerne am Meer bin? Warum ich im Winter gerne auf dem Boot lebe?

Aber lassen wir erst einmal ein paar andere Menschen zu Wort kommen. Menschen, die ich hier getroffen und kennengelernt habe, und die jetzt im Winter genauso wie ich auf dem Boot leben. 

1. Julia, aus Kanada, 52.
Im Hafen von Marina di Ragusa überwintern derzeit etwa 50 Langfahrtsegler. Schweden, Holländer, Kanadier, Briten. Meist Paare. Man trifft sich ein-, zweimal die Woche. Zum Beispiel vergangenen Sonntag, wo die Schweden das Lucienfest feierten. Und alle anderen einluden zu Punsch und Selbstgebackenem. Oder gestern Abend, als das Marina-Restaurant für die Segler italienische Schweinshaxe offerierte. Dabei lernte ich Julia* (Name geändert) kennen. Und über der italienischen Schweinshaxe, die im Kartoffelbett geschmort auf den Teller kam und eine Offenbarung war, ging das Gespräch zwischen Julia und mir um das Thema „Jetzt auf dem Boot“. Julia ist mit ihrem Mann Peter erst seit kurzem hier in Marina di Ragusa. Sie ist Kanadierin aus Montreal, 52. Und bis letztes Jahr hat sie dort im Management einer kanadischen Bankengruppe gearbeitet. Alles war ok – doch irgendwas fehlte im Leben. Also begann sie vor einigen Jahren, zu segeln. Machte wilde Sachen: Von Nordkanada zusammen mit Peter die Westküste hinunter nach Californien – kein Spaß in der Kälte und den Stürmen Nordkanadas. Aber es war ihrer beider Ding. 
Irgendwann hat sie im vergangenen Jahr gekündigt. Das verstand ihr Boß so gar nicht. Und ging mit Peter auf die Suche nach einem Boot. Sie hatten ein Bestimmtes im Sinn, eines, das weltweit nur 28 mal gebaut wurde – und hier in Marina di Ragusa fanden sie es. Und nun sind beide hier. Auch wenn sie noch nicht wissen, wohin ihre Reise gehen wird, wie weit. „Es ist so phantastisch schön hier“, sagt Julia, „und eigentlich genieße ich jeden Tag, bevor wir in einigen Wochen für einige Zeit zurück nach Kanada gehen“. Warum Sie längere Zeit von dort weggehen will? Julia meint, dass sie ihren Job schon sehr geliebt hat. „Ich habe viel gearbeitet. Und gerne. Aber zuhause ist das irgendwie, als wäre etwas in Dich eingraviert. ‚Sei ehrgeizig‘. ‚Sei erfolgreich‘. ‚Arbeite hart‘. Es ist wie eine Gravur, die wir nicht loswerden. Aber hier am Meer auf dem Boot: Da werde ich sie los.“

2. Juran, aus Schweden, 74. 
Mein Nachbar Juran ist Schwede. Juran ist 74 und lebt mit der quirligen Eileen hier in Marina di Ragusa auf dem Boot neben Levje. Am Samstag wird Juran zusammen mit Eileen nach Schweden reisen, für ein paar Wochen, vor allem um seine Enkel zu sehen. Warum er denn nicht in Schweden bliebe, bei Kindern und Enkeln, habe ich ihn vor ein paar Tagen gefragt. Und er erzählt mit sanfter Stimme: „Ich bin jetzt seit 22 Jahren unterwegs auf diesem Boot. Ich habe Elektronik-Entwicklung gemacht und Beratung für die Industrie, es wurde immer mehr und immer mehr. Irgendwann hatte ich genug davon, nur immer getrieben zu sein. Da bin ich mit 52 los.“ Und warum er heute mit 74 nicht nach Schweden zurückkehre, zu seinen Kindern und Enkeln? Juran denkt einen Moment nach. „Es ist gut, meine Enkel zu sehen. Aber es tut mir einfach sehr weh, zu beobachten, wie sehr meine Kinder und Enkel einfach im Rattenkäfig des Daily Life stecken und leiden. Auch wenn Schweden meine Heimat ist: Ich kann da nicht mehr zurück.“

3. Angelika Gebhard aus Deutschland.
Angelika Gebhard ist die Frau des 2013 verstorbenen Weltumseglers Rollo Gebhard, dessen acht Bücher demnächst bei millemari. in neuer Überarbeitung erscheinen werden. Mit ihrem Mann segelte Angelika Gebhard sechs Jahre um die Welt – es war ihr erster Törn überhaupt, und die Route hatte es in sich. Von Deutschland nach USA – aber nicht über die Kanaren, sondern über Island und Grönland nach New York. Von der Südsee mal einfach nach Alaska. Zurück von der Südsee nonstop nach Emden. 
Bei unserem zweiten Gespräch erzählt Angelika Gebhard über diese Jahre und zieht folgendes Resumee: „Wissen Sie: Es ist ja nicht so, dass Segeln einen Menschen wirklich verändern würde. Man bleibt doch derselbe. Was sich aber ändert, ist: Wie man manche Dinge sieht. Zum Beispiel ‚Reichtum‘. Reichtum ist nicht, was man besitzt. Reichtum ist, zu wissen, was man nicht braucht.“ 

4. Die Kartenspieler von Punta Secca.

In der Zwischenzeit ist es dunkel geworden in Punta Secca. Der Leuchtturm, den ich schon im vorigen Post beschrieb, wirft sein Licht in die Nacht. Die Bar LA PICCOLA OASI darunter ist schon dunkel. Zwei, drei Grüppchen von Männern, Fischer augenscheinlich, stehen auf der Piazza herum, palavern im Dunkel. Und auch die Kartenspieler, über die ich schrieb, sitzen am selben Platz. Ich getraue mich nicht, die vier, auch sie wohl Fischer, anzusprechen, so vertieft sind sie in ihr Spiel. Aber wenn ich sie fragen würde, was um Himmels willen sie denn in einer Dezembernacht am Meer in Wollmützen draussen sein und ausgerechnet in der Kälte Kartenspielen lässt: Dann bin ich mir fast sicher, dass ihre Antwort in dürren Worten nicht so verschieden wäre von dem, was Angelika Gebhard über die Sicht auf die Welt sagte.

Belassen wir es zunächst bei diesen Antworten. Und während ich jetzt in meine Segeljacke gehüllt die nächtliche Hafenpromenade von Marina di Ragusa entlangschlendere und nur die Wellen höre, die von Malta und Afrika heranrauschen, denke ich mir: Schon gut so, wie die Welt gerade ist.
                                 __________________________________________________

Soeben bei millemari. erschienen:


Sehenswerte Bilder und Texte aus diesem Buch haben wir 
auf unserer millemari.-Bestellseite für Sie zusammengestellt. 
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Menschen am Meer: Warum manche Menschen im Winter gerne auf dem Boot und am Meer leben. Vier Antworten.

Was nun folgt, mag möglicherweise für den ein oder anderen trostlos sein. Aber wie vieles im Leben ist das nur eine Frage der Perspektive.

Nehmen wir mal das Bild oben: Ich habe es aufgenommen heute Nachmittag, als gegen Viertel vor fünf die Sonne unterging, in Punta Secca, wohin ich nun fast jeden Abend streune, weil sich da die Südküste Siziliens nach Westen weitet. Und sich plötzlich der Blick auf die untergehende Sonne bietet. Punta Secca im Winter also, am heutigen 17. Dezember, bei Sonnenuntergang. Vier verlassene Häuser irgendwo in Südsizilien, verrammelt vor den Südstürmen, die in den kommenden Wochen unweigerlich hier fegen werden. Vier Häuser, die sich wie vier Alte in ihrer Einsamkeit aneinanderschmiegen, als wollten Sie sich Trost zusprechen. Der Winter am Meer, auf dem Boot, er kann schon ganz schön trostlos sein. Oder?

Derselbe Ort, derselbe Augenblick: Ich habe mich lediglich einmal im Halbkreis um mich selber gedreht, und schaue jetzt nach Westen, aufs Meer, statt auf die einsamen Häuser. Punta Secca, wie 

ich es nie vergessen werde. Und damit sind wir auch schon beim Thema: Warum ich im Winter so gerne am Meer bin? Warum ich im Winter gerne auf dem Boot lebe?

Aber lassen wir erst einmal ein paar andere Menschen zu Wort kommen. Menschen, die ich hier getroffen und kennengelernt habe, und die jetzt im Winter genauso wie ich auf dem Boot leben. 

1. Julia, aus Kanada, 52.
Im Hafen von Marina di Ragusa überwintern derzeit etwa 50 Langfahrtsegler. Schweden, Holländer, Kanadier, Briten. Meist Paare. Man trifft sich ein-, zweimal die Woche. Zum Beispiel vergangenen Sonntag, wo die Schweden das Lucienfest feierten. Und alle anderen einluden zu Punsch und Selbstgebackenem. Oder gestern Abend, als das Marina-Restaurant für die Segler italienische Schweinshaxe offerierte. Dabei lernte ich Julia* (Name geändert) kennen. Und über der italienischen Schweinshaxe, die im Kartoffelbett geschmort auf den Teller kam und eine Offenbarung war, ging das Gespräch zwischen Julia und mir um das Thema „Jetzt auf dem Boot“. Julia ist mit ihrem Mann Peter erst seit kurzem hier in Marina di Ragusa. Sie ist Kanadierin aus Montreal, 52. Und bis letztes Jahr hat sie dort im Management einer kanadischen Bankengruppe gearbeitet. Alles war ok – doch irgendwas fehlte im Leben. Also begann sie vor einigen Jahren, zu segeln. Machte wilde Sachen: Von Nordkanada zusammen mit Peter die Westküste hinunter nach Californien – kein Spaß in der Kälte und den Stürmen Nordkanadas. Aber es war ihrer beider Ding. 
Irgendwann hat sie im vergangenen Jahr gekündigt. Das verstand ihr Boß so gar nicht. Und ging mit Peter auf die Suche nach einem Boot. Sie hatten ein Bestimmtes im Sinn, eines, das weltweit nur 28 mal gebaut wurde – und hier in Marina di Ragusa fanden sie es. Und nun sind beide hier. Auch wenn sie noch nicht wissen, wohin ihre Reise gehen wird, wie weit. „Es ist so phantastisch schön hier“, sagt Julia, „und eigentlich genieße ich jeden Tag, bevor wir in einigen Wochen für einige Zeit zurück nach Kanada gehen“. Warum Sie längere Zeit von dort weggehen will? Julia meint, dass sie ihren Job schon sehr geliebt hat. „Ich habe viel gearbeitet. Und gerne. Aber zuhause ist das irgendwie, als wäre etwas in Dich eingraviert. ‚Sei ehrgeizig‘. ‚Sei erfolgreich‘. ‚Arbeite hart‘. Es ist wie eine Gravur, die wir nicht loswerden. Aber hier am Meer auf dem Boot: Da werde ich sie los.“

2. Juran, aus Schweden, 74. 
Mein Nachbar Juran ist Schwede. Juran ist 74 und lebt mit der quirligen Eileen hier in Marina di Ragusa auf dem Boot neben Levje. Am Samstag wird Juran zusammen mit Eileen nach Schweden reisen, für ein paar Wochen, vor allem um seine Enkel zu sehen. Warum er denn nicht in Schweden bliebe, bei Kindern und Enkeln, habe ich ihn vor ein paar Tagen gefragt. Und er erzählt mit sanfter Stimme: „Ich bin jetzt seit 22 Jahren unterwegs auf diesem Boot. Ich habe Elektronik-Entwicklung gemacht und Beratung für die Industrie, es wurde immer mehr und immer mehr. Irgendwann hatte ich genug davon, nur immer getrieben zu sein. Da bin ich mit 52 los.“ Und warum er heute mit 74 nicht nach Schweden zurückkehre, zu seinen Kindern und Enkeln? Juran denkt einen Moment nach. „Es ist gut, meine Enkel zu sehen. Aber es tut mir einfach sehr weh, zu beobachten, wie sehr meine Kinder und Enkel einfach im Rattenkäfig des Daily Life stecken und leiden. Auch wenn Schweden meine Heimat ist: Ich kann da nicht mehr zurück.“

3. Angelika Gebhard aus Deutschland.
Angelika Gebhard ist die Frau des 2013 verstorbenen Weltumseglers Rollo Gebhard, dessen acht Bücher demnächst bei millemari. in neuer Überarbeitung erscheinen werden. Mit ihrem Mann segelte Angelika Gebhard sechs Jahre um die Welt – es war ihr erster Törn überhaupt, und die Route hatte es in sich. Von Deutschland nach USA – aber nicht über die Kanaren, sondern über Island und Grönland nach New York. Von der Südsee mal einfach nach Alaska. Zurück von der Südsee nonstop nach Emden. 
Bei unserem zweiten Gespräch erzählt Angelika Gebhard über diese Jahre und zieht folgendes Resumee: „Wissen Sie: Es ist ja nicht so, dass Segeln einen Menschen wirklich verändern würde. Man bleibt doch derselbe. Was sich aber ändert, ist: Wie man manche Dinge sieht. Zum Beispiel ‚Reichtum‘. Reichtum ist nicht, was man besitzt. Reichtum ist, zu wissen, was man nicht braucht.“ 

4. Die Kartenspieler von Punta Secca.

In der Zwischenzeit ist es dunkel geworden in Punta Secca. Der Leuchtturm, den ich schon im vorigen Post beschrieb, wirft sein Licht in die Nacht. Die Bar LA PICCOLA OASI darunter ist schon dunkel. Zwei, drei Grüppchen von Männern, Fischer augenscheinlich, stehen auf der Piazza herum, palavern im Dunkel. Und auch die Kartenspieler, über die ich schrieb, sitzen am selben Platz. Ich getraue mich nicht, die vier, auch sie wohl Fischer, anzusprechen, so vertieft sind sie in ihr Spiel. Aber wenn ich sie fragen würde, was um Himmels willen sie denn in einer Dezembernacht am Meer in Wollmützen draussen sein und ausgerechnet in der Kälte Kartenspielen lässt: Dann bin ich mir fast sicher, dass ihre Antwort in dürren Worten nicht so verschieden wäre von dem, was Angelika Gebhard über die Sicht auf die Welt sagte.

Belassen wir es zunächst bei diesen Antworten. Und während ich jetzt in meine Segeljacke gehüllt die nächtliche Hafenpromenade von Marina di Ragusa entlangschlendere und nur die Wellen höre, die von Malta und Afrika heranrauschen, denke ich mir: Schon gut so, wie die Welt gerade ist.
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Sehenswerte Bilder und Texte aus diesem Buch haben wir 
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Wie ist es eigentlich, den Winter auf dem Boot zu verbringen? Ein Themafür mich. Und für BILD.

Es ist immer wieder dasselbe. Und eigentlich werd‘ ich es wohl nie lernen:
Vor zwei Tagen bin ich hierher nach Sizilien, an die Südküste, nach Marina di Ragusa, wo LEVJE jetzt im Hafen liegt. Es ist Samstag, der 12. Dezember. Und mir fiel es wieder einmal unglaublich schwer, mein Zuhause zu verlassen. Es ist Weihnachtszeit: Der Schreibtisch ist voller Projekte und Arbeit, alles, alles, soll fertig werden noch vor Weihnachten. Zuhause riecht es nach frisch gebackenen Plätzchen. Es ist muckelig warm im Haus. Und einen Fuß vor die Tür zu setzen in die klammkalte Nachtlandschaft Oberbayerns kostet Überwindung. Kein Wetter, um sein Zuhause zu verlassen.

Und doch: Meine innere Stimme murmelt seit einigen Wochen, mich endlich aufzumachen. Um mich ein bisschen in der Welt herumzutreiben. Ans Meer zu fahren. Um nach LEVJE, aber auch nach dem Meer zu schauen. Wären nicht die Bilder gewesen, wie es jetzt sein könnte, am Meer, die in mir auftauchten: Nie und nimmer wäre ich losgefahren.

Und tatsächlich: Die Bilder vom Meer, sie logen nicht. Winter am Meer. Das ist wie eine Verlängerung eines langen Sommerabends. Das Licht, das sich tagsüber nie in voller Grelle entfaltet. Die Wärme, in die man morgens aus dem kalten Boot hinauskriecht, ins Sonnenlicht, wie ein endlich endlich ausgebrüteter Maikäfer. Das sich in der Sonne räkeln, bis in der Mitte des Nachmittags das Licht fahler und fahler wird. Und plötzlich die Kälte wieder da ist, wo es eben noch warm war.

Marina di Ragusa ist ein Badeort an der Südostküste Siziliens. Es ist die reichere, die wohlhabendere Ecke eines Sizilien, das für mich immer noch zwei Gesichter hat: Eben dieses wohlhabende, wo man den gepflegten Sommersitzen am Lunghomare, der Küstenstraße, einfach ruhigen Gewissens ihren Winterschlaf gönnt, sie einfach im Abendlicht vor sich hin träumen lässt. Es ist das schöne Sizilien, das gepflegte, das immer Geld hatte oder wieder zu Geld kam. Aber nur etwa 50 Kilometer von hier sieht es anders aus: Im Städtchen Piazza Armerina, eine Autostunde von hier, stehen die Menschen um eben diese Zeit mit Plastikkanistern in einer kleinen Schlange an der öffentlichen Wasserstelle. Und warten geduldig, um sich hier am Dorfbrunnen Wasser zu holen. Offensichtlich, weil viele Wohnungen dort noch ohne Anschluss sind. Es ist das Sizilien der Siebziger Jahre, der Armut, der Hoffnungslosigkeit, wo wie im pittoresken Noto an jedem zweiten Haus ein SE VENDE-Schild, „Zu verkaufen“, klebt. Doch davon an anderer Stelle mehr.

In Marina di Ragusa jedenfalls ist am späten Samstag-Nachmittag die Passegiata angesagt. Aber weil der Winter die Einwohnerzahl auf 10% seiner Sommer-Bewohner herunterschrumpft, ist nicht viel los. Einheimische, die sich bei 17 Grad Außentemperatur in ihre Anoraks kuscheln, die mich mit schreckgeweiteten Augen ansehen, wenn ich erzähle, dass der deutsche Winter oft wochenlang mit Minusgraden daherkommt. Trotzdem haben auf der Piazza die beiden Gelaterie weit geöffnet, die eine prunkt jetzt im Dezember mit 25 verschiedenen Sorten verschiedenen Eises und ist rappelvoll, also, „per favore, in conno, due gusti“, „zwei Geschmäcker in der Waffel, bitte“.

Zum winterlichen Italien gehört aber auch die kleine Bar, im Nachbarort, in Punta Secca. Sie liegt genau zu Füßen des Leuchtturms, an der dem Meer zugewandten Seite. Sie heißt BAR PICCOLA OASI, Bar der kleinen Oase. Wie das nun gemeint ist? Ein Ort, wo der Dürstende zu trinken bekommt in der Kargheit des Sommerfrische-Dörfchens Punta Secca, zu Deutsch „trockener Punkt“? Oder ein Ort, wo man einfach fünf Minuten seine Ruhe hat über einem Espresso, einem Cornett, und Telefonläuten für einen Moment Telefonläuten sein lässt. 
Als der Leuchtturm in der Abenddämmerung beginnt, oben sein Licht auszusenden für die Schiffe, die von Malta herüberkommen, geht auch unten in der Bar das Licht an. Vielleicht ist es ja ein Signal an die Männer auf der Piazza davor, der Piazza del Faro, dem Platz des Leuchtturms, die sich um den Tisch mit den vier Kartenspielern drängen und ihnen zusehen in der heraufziehenden Kühle der Abenddämmerung, als ginge es hier im kleinen Nest Punta Secca gerade um den ganz großen Preis. Ein Signal an sie, das große Kartenspiel von der Piazza nun endgültig ins Innere der Bar zu verlegen. Aber so etwas tun Süditaliener nicht. Man geht nicht in die Bar zum Zocken. Dafür ist eine Bar dann doch zu sehr Oase – ein Ort, irgendwie abseits der Leidenschaften des Alltags.

Nein. Die Bilder in mir: Sie trogen nicht. Und während ich den Wellen zusehe, wie sie im Dämmer leise heranrauschen, denke ich mir: Warum ist das nur so, dass es für mich nicht nur einen Ort gibt, an dem das Leben behaglich ist? Sondern deren viele. 

                                 __________________________________________________

Soeben bei millemari. erschienen:


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PS: Soeben hat mir Holger Peterson geschrieben, dass 
BILD Bremen in der heutigen Ausgabe über ihn und das Buch berichtet:

Zum BILD-Artikel: Hier klicken.

Wie ist es eigentlich, den Winter auf dem Boot zu verbringen? Ein Thema für mich. Und für BILD.

Es ist immer wieder dasselbe. Und eigentlich werd‘ ich es wohl nie lernen:
Vor zwei Tagen bin ich hierher nach Sizilien, an die Südküste, nach Marina di Ragusa, wo LEVJE jetzt im Hafen liegt. Es ist Samstag, der 12. Dezember. Und mir fiel es wieder einmal unglaublich schwer, mein Zuhause zu verlassen. Es ist Weihnachtszeit: Der Schreibtisch ist voller Projekte und Arbeit, alles, alles, soll fertig werden noch vor Weihnachten. Zuhause riecht es nach frisch gebackenen Plätzchen. Es ist muckelig warm im Haus Und einen Fuß vor die Tür zu setzen in die klammkalte Nachtlandschaft Oberbayerns kostet Überwindung. Kein Wetter, um sein Zuhause zu verlassen.

Und doch: Meine innere Stimme murmelt seit einigen Wochen, mich endlich aufzumachen. Um mich ein bisschen in der Welt herumzutreiben. Ans Meer zu fahren. Um nach LEVJE, aber auch nach dem Meer zu schauen. Wären nicht die Bilder gewesen, wie es jetzt sein könnte, am Meer, die in mir auftauchten: Nie und nimmer wäre ich losgefahren.

Und tatsächlich: Die Bilder vom Meer, sie logen nicht. Winter am Meer. Das ist wie eine Verlängerung eines langen Sommerabends. Das Licht, das tagsüber sich tagsüber nie in voller Grelle entfaltet. Die Wärme, in die man morgens aus dem kalten Boot hinauskriecht, ins Sonnenlicht, wie ein endlich endlich ausgebrüteter Maikäfer. Das sich in der Sonne räkeln, bis in der Mitte des Nachmittags das Licht fahler und fahler wird. Und plötzlich die Kälte wieder da ist, wo es eben noch warm war.

Marina di Ragusa ist ein Badeort an der Südostküste Siziliens. Es ist die reichere, die wohlhabendere Ecke eines Sizilien, das für mich immer noch zwei Gesichter hat: Eben dieses wohlhabende, wo man den gepflegten Sommersitzen am Lunghomare, der Küstenstraße, einfach ruhigen Gewissens ihren Winterschlaf gönnt, sie einfach im Abendlicht vor sich hin träumen lässt. Es ist das schöne Sizilien, das gepflegte, das immer Geld hatte oder wieder zu Geld kam. Aber nur etwa 50 Kilometer von hier sieht es anders aus: Im Städtchen Piazza Armerina, eine Autostunde von hier, stehen die Menschen um eben diese Zeit mit Plastikkanistern in einer kleinen Schlange an der öffentlichen Wasserstelle. Und warten geduldig, um sich hier am Dorfbrunnen Wasser zu holen. Offensichtlich, weil viele Wohnungen dort noch ohne Anschluss sind. Es ist das Sizilien der Siebziger Jahre, der Armut, der Hoffnungslosigkeit, wo wie im pittoresken Noto an jedem zweiten Haus ein SE VENDE-Schild, „Zu verkaufen“, klebt. Doch davon an anderer Stelle mehr.

In Marina di Ragusa jedenfalls ist am späten Samstag-Nachmittag die Passegiata angesagt. Aber weil der Winter die Einwohnerzahl auf 10% seiner Sommer-Bewohner herunterschrumpft, ist nicht viel los. Einheimische, die sich bei 17 Grad Außentemperatur in ihre Anoraks kuscheln, die mich mit schreckgeweiteten Augen ansehen, wenn ich erzähle, dass der deutsche Winter oft wochenlang mit Minusgraden daherkommt. Trotzdem haben auf der Piazza die beiden Gelaterie weit geöffnet, die eine prunkt jetzt im Dezember mit 25 verschiedenen Sorten verschiedenen Eises und ist rappelvoll, also, „per favore, in conno, due gusti“, „zwei Geschmäcker in der Waffel, bitte“.

Zum winterlichen Italien gehört aber auch die kleine Bar, im Nachbarort, in Punta Secca. Sie liegt genau zu Füßen des Leuchtturms, an der dem Meer zugewandten Seite. Sie heißt BAR PICCOLA OASI, Bar der kleinen Oase. Wie das nun gemeint ist? Ein Ort, wo der Dürstende zu trinken bekommt in der Kargheit des Sommerfrische-Dörfchens Punta Secca, zu Deutsch „trockener Punkt“? Oder ein Ort, wo man einfach fünf Minuten seine Ruhe hat über einem Espresso, einem Cornett, und Telefonläuten für einen Moment Telefonläuten sein lässt. 
Als der Leuchtturm in der Abenddämmerung beginnt, oben sein Licht auszusenden für die Schiffe, die von Malta herüberkommen, geht auch unten in der Bar das Licht an. Vielleicht ist es ja ein Signal an die Männer auf der Piazza davor, der Piazza del Faro, dem Platz des Leuchtturms, die sich um den Tisch mit den vier Kartenspielern drängen und ihnen zusehen in der heraufziehenden Kühle der Abenddämmerung, als ginge es hier im kleinen Nest Punta Secca gerade um den ganz großen Preis. Ein Signal an sie, das große Kartenspiel von der Piazza nun endgültig ins Innere der Bar zu verlegen. Aber so etwas tun Süditaliener nicht. Man geht nicht in die Bar zum Zocken. Dafür ist eine Bar dann doch zu sehr Oase – ein Ort, irgendwie abseits der Leidenschaften des Alltags.

Nein. Die Bilder in mir: Sie trogen nicht. Und während ich den Wellen zusehe, wie sie im Dämmer leise heranrauschen, denke ich mir: Warum ist das nur so, dass es für mich nicht nur einen Ort gibt, an dem das Leben behaglich ist? Sondern deren viele. 

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Sehenswerte Bilder und Texte aus diesem Buch haben wir 
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Wenn Fischerboote reden könnten. Ein Spaziergang durch den Hafen von Catania.

Es ist halb neun Uhr morgens im Hafen von Catania. Einer nach dem anderen kommen die Fischer herein, die die Nacht über draußen waren. Und laden aus, was sie über Nacht gefangen haben. Auf dem Achterdeck eines Fischers stapeln sich Kisten an Kisten: Obststeigen voller Heuschreckenkrebse. Styroporkisten mit Rotbarben, Drachenköpfen, Meeräschen, Meeraalen, alles bunt durcheinander. Blaue Bottiche voller Meerwasser, in denen Seespinnen die Fühler ausstrecken. Es riecht nach Tang und frischem Seegras, zwei Männer in knallorangen Latzhosen spülen mit  dickbauchigem Schlauch immer wieder den Inhalt der Kisten kräftig durch. Männer auf der Pier, die den Fang der Nacht kritisch beäugen, fachmännische Kommentare abgeben. Einer, der das Kommando hat auf der Pier, vielleicht der Großhändler, der mit dicken Bündeln Scheinen wedelt und dabei ständig „Luigi“, „Pepe“ ruft und die Männer hin und verscheucht, bis Steigen, Kisten und Bottiche endlich verladen sind auf ein kleines Dreirad, eine APE. So vollgepackt ist sie, dass ihre Hecktüren sich nicht schließen lassen. Zwei Männer bändseln endlich die Türen zu mit einem abgerissenen Strick, bis sich die APE qualmend, ruckelnd, spuckend aus dem Hafen bewegt, Richtung Kochtöpfe.

Die Fischer stecken sich eine Zigarette in den Mundwinkel, die wievielte dies Nacht. Die Männer auf der Pier verlaufen sich, die Arbeit ist getan. Zurück bleiben an diesem Morgen die Boote der Fischer, die im Schwippschwapp des Hafens behäbig schaukeln. Und darauf warten, dass die Fischer wiederkommen in ein, zwei Tagen, irgendwann am Abend, und in der Dämmerung wieder rausfahren, mit gespannten Mienen. Ohne die Männer an Deck und auf sich selbst gestellt, sind sie nun kleine Persönlichkeiten. Gesichter, die mir im Hafen begegnen.

Nehmen wir einmal PAOLA und NUNZIELLA. Wie Schwestern schaukeln die beiden einträchtig nebeneinander. Als kennten sie sich schon ein Leben lang. PAOLA jedenfalls, die ihr Besitzer wie die meisten hier in leidenschaftlichem Rot innen gestrichen hat, hat schon einiges erlebt, das sieht man den Kisten und Verschlägen auf dem Verdeck an. Aber sei es, um nur ja nicht zuviel preiszugeben; sei es, um die kostbare Inneneinrichtung zu schonen, hat PAOLA’s Eigentümer die Vorhänge hinter den beiden Fenstern geschlossen, über die er mit ungelenker Hand und dickem Faserstift die fünf Buchstaben mittig hingepinselt hat.

Etwas einladender geht es auf dem nächsten Fischkutter zu. Die Tür zum Inneren steht einladend offen. Ein Stuhl vom Campingplatz kündet davon, dass der Fischer auch noch Andres kennt als „Giro d’Affari“, das italienische Wort für Umsatz. Er scheint ein Freund der Gemächlichkeit zu sein, körperliche Arbeit? Die kann man doch im Sitzen erledigen. Während sein Schiff etwas verkniffen aus drei verhangenen Augen in die Welt schaut. Irgendeine Unzufriedenheit, die darüber lagert. Den Luftfilter im Motor zulange nicht ausgeklopft? Die Bilge länger nicht leergepumpt? Jedenfalls sagt das Gesicht mit verdrießlicher Miene: Es liegt was quer.

Setzen wir unseren Spaziergang auf der Mole an diesem Morgen weiter fort. Die Kleine da, mit dem hellblauen Hut. Sieht sie nicht gleichmütig aus, mit dem zusammengekniffenen Mund? Natürlich sind auch bei ihr die Vorhänge rammeldicht zugezogen, mit etwas Wehmut denke ich mich nach Holland, wo anders als in katholischen Gefilden immer alles offen steht an Fenstern. Wo jedermann sehen darf, dass es in diesem Haus rechtschaffen und gottesfürchtig zugeht. Aber dies ist nun mal Sizilien, Italien überhaupt: Ich kenne kein Land, in dem das private Leben so abgeschottet hinter den eigenen vier Wänden stattfindet wie Italien.

Endlich offenherzig zeigt sich dieses Fischerboot. Und siehe da: Im Inneren gibt es nichts Spektakuläres zu sehen. Ein Gashebel, ein Steuerrad, ein wenig Elektronik, die man so braucht. Funke, GPS, ein paar Schalter für die Lichter. Eine Gefriertruhe mit rostigem Deckel an Deck. Der Laderaum dürftig verschalkt, von einer Kette zusammengehalten. Vielleicht stimmt ja der Satz: „Reich ist nicht, alles zu haben. Reich ist, wer weiß, was er alles nicht braucht.“

Weiter links wieder ein Geschwisterpaar. Der Besitzer scheint die Farbe rot zu mögen, selbst ins Blau des Deckshauses ist kräftig Rot gemischt. Etwas streng sieht es mich an, das blaurote Gefährt, als ich so vor ihm stehe und versuche, ihm tief in die weit auseinandersetzenden, rotverhangenen Augen zu sehen. Nicht unser Tag heute. Man kann nicht jeden Tag ein Lächeln im Gesicht tragen. Warum eigentlich nicht?

Ach ja. ROSARIA. Da ist nun jemand wirklich stolz auf sein Schiff. Nein, schiere Größe zählt gar nicht. Nur das Glück. Und so prangt nicht nur der schöne Name auffällig über allem, nein: Sogar mit Sternchen versehen ist er, eins links, eins rechts. So, als wollte der Besitzer sagen: „Das ist nun die siebzehnte – aber so glücklich wie mit ROSARIA war ich mit keiner zuvor!“ Es bleibt nun uns überlassen, darüber zum mutmaßen, ob nicht noch andere Liebe im Spiel ist als nur die zu einem Boot. Und bei er Namensgebung nicht noch ein Jubel im Spiel war, endlich, endlich das richtige Du gefunden zu haben.

SANTA LUCIA hingegen blickt in verschiedenen Richtungen in die Welt: Nach links. Nach vorn. Nach rechts. Verhangen ist auch ihr Blick aus dem etwas breiten Gesicht, das ihr einen Hauch Würde verleiht. Da ist natürlich der Name nicht unschuldig. Santa Lucia, die Patronin aus dem wenige Seemeilen entfernten Siracusa: Ein eifersüchtiger Bräutigam, ein ungnädiger Richter, der sie während der diokletianischen Christenverfolgung in Siracusa ob ihrer christlichen Tugend und Standhaftigkeit zur öffentlichen Schändung ins Bordell verurteilte. Weder tausend Männer noch ein Ochsengespann (sic!!) waren in der Lage, so fortzuschaffen, sie blieb im Gerichtssaal wie angewurzelt. Nicht Pech, nicht Schwefel, nicht Feuer konnte ihr etwas anhaben. Bis sich einer erbarmte. Und ihr endlich ein Schwert in den Hals stieß. Dass derlei Geschichten bei der Namenswahl des Bootes eine Rolle spielten, darf bezweifelt werden. Santa Lucia ist einfach die Lokalheilige, und ihr Fest wird jetzt im Dezember in Siracusa ganz sicher gebührend gefeiert. Wie auch im bayerischen Fürstenfeldbruck die Kinder an diesem Tag das Lucienfest feiern. Und kleine selbstgebastelte Häuschen mit einer Kerze in der Dämmerung auf der Amper aussetzen. So weit ist Siracusa ja nun auch nicht weg.

Vo anderer Denkungsart ist der Besitzer dieses Fischkutters: Der freie Geist! Da ist jemand mal von der Ethik-Seite gekommen, hat sich freigeschwommen und hat das jahrtausendealte Handwerk des Fischers ergriffen. SPIRITO? Ja sicher, Geist immer! Aber nicht SPIRITO SANTO, den heiligen Geist. Sondern SPIRITO LIBERO, den freien Geist, der über allem thront. Zu so einem Namen gehört Mut. Und Ausdauer. Und die Überzeugung, dass man das auch ein Leben lang durchhalten kann, mit dem freien Geist. Nicht verknöchert, nicht verspießert, zwar immer ordentlich die Holzkisten links aufs gewienerte Vordeck sortiert, aber doch ein freier Kopf bleibt, bis ans Ende seiner Tage.

Beenden wir nun unseren morgendlichen Spaziergang durch den Hafen von Catania. Noch schnell ab in die BAR DEL PORTO, über die ich im letzten Post schrieb, wo nun der eine oder andere Fischer zusammen mit den Hafenarbeitern am Tresen steht, für einen kurzen Moment, eine Espresso-Länge. Verabschieden wir uns von der molligen Schwester des Barbesitzers und verlassen wir diesen schönen Ort. Und bewahren wir uns zumindest für den heutigen Tag den Blick für die netten kleinen Geschichten, die am Wegrand liegen.

Im nächsten Post: Wie ist das eigentlich, in Sizilien und seinen Häfen: Warum Siracusa nicht nur eine Reise wert ist.

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