Diese Artikelreihe handelt von meiner Reise in der zweiten Oktoberhälfte 2015 von Korfu nach Sizilien. In den vorangegangenen Posts beschrieb ich die Reise von Korfu’s Hauptstadt Kerkyra durch die Nacht nach Santa Maria di Leuca ganz an den äußersten Absatz des italienischen Stiefels. Im letzten Post die Abfahrt von Santa Maria di Leuca nach Catania und wie mitten in der Nacht eine gebrochene Schraube zum Ausfall des Autopiloten führte.
Zu den Besonderheiten des Reisens gehört, mir vor jeder Reise auszumalen, was alles schiefgehen kann. Bevor eine Reise beginnt, setzt in mir leichtes Grummeln ein:
Bin ich wirklich vorbereitet auf alles?
Werde ich achtsam genug sein?
Bin ich vorbereitet, jede Situation da draußen auf dem Meer zu meistern?
Oder: wird etwas geschehen, das stärker ist als ich?
Das Motto meines Blogs „Die Abenteuer beginnen, wenn wir unser Zuhause verlassen“, es beschreibt nicht nur die Freude am Unbekannten, sondern eben auch dies.
Gegen zwei Uhr Nachts war die Halterung des Autopiloten an der Pinne gebrochen. Für einen Moment trieben ohne Ruderwirkung in den Wellen. Null Sicht. Dichte Wolkendecke. Natürlich war das alles wieder passiert, als der Wind am kraftvollsten geweht hatte, als er aufgefrischt und LEVJE auf einer Welle mit fast 10 Knoten durch die Nacht dahingeschossen war. Ein bleistiftdicker Edelstahl-Bolzen war gebrochen, einfach so. Die Kräfte waren zu stark gewesen. Von jetzt an hieß es: Steuern per Hand, durch die Nacht.
Weil Tino’s Wache vorüber war, übernahm ich das Ruder. Ich war müde. Kaum Schlaf vorher. Wir waren kurz nach 18 Uhr aufgebrochen in Santa Maria di Leuca, Wind und Welle kamen seit Stunden genau von achtern und hatten LEVJE durch die Wellen geigen lassen in einer gewaltigen dreidimensionalen Bewegung, in der zumindest bei mir an Schlaf nicht zu denken war. Nur ein leichtes Dösen hatte sich eingestellt während meiner wachfreien Zeit, während Sven und danach sein Sohn Tino LEVJE nach Westen gesegelt hatten.
Die ersten Minuten am Steuer versuchte ich mich zu orientieren. Wir hatten jetzt den Golf von Tarent halb überquert, waren jetzt etwa in der Mitte der großen Einbuchtung. Der Lichtschein hinter uns von Santa Maria di Leuca und Gallipoli war verschwunden, das Licht des Leuchtturms, der 25 Seemeilen in die Nacht leuchtet, war nicht mehr zu sehen. Rechts vor mir, im Dunkel, ein schwacher Lichtschein, das mußte Crotone sein. Davor, mitten im Schwarz, ein gleißend heller Scheinwerfer, der mich blendete. Mitten auf dem Meer ein riesiger Scheinwerfer, ein irritierendes Etwas, bis mir Tino erklärt hatte, dass ihn ein Schleppverband überholt hatte, drei weiße Lichter übereinander, und quälend langsam an uns vorbeigezogen war, Kurs Crotone. Auf dem letzten Schiff, um es kenntlich zu machen und gegen alle Regeln: Ein strahlend heller Scheinwerfer, nach hinten. Nach Nordwesten zu blicken, war also keine gute Idee. Und doch war der Scheinwerfer eine große Hilfe, um mich einzusteuern. Wenn ich so steuerte, dass ich ihn genau hinter den Steuerbord-Wanten behielt: Dann steuerte ich genau Kurs auf Catania, unserem Ziel auf Sizilien. Also los. Schöne Idee. Aber zunächst machten mir die großen Wellen einen Strich durch die Rechnung. Sie kamen schräg von hinten. Trafen zuerst LEVJE’s Heck und drückten es, wenn ich nicht gleich Ruder legte, zur Seite, der Bug drehte sich damit höher in den Wind, wir beschleunigten plötzlich auf Halbwind-Kurs noch einmal, legten uns zur Seite, ich zog mit aller Kraft an der Pinne, um das Boot wieder auf Kurs zu bringen, abfallen zu lassen, die Pinne ächzte, gleichzeitig zog die nächste Welle unter uns hindurch, LEVJE geigte, von liiiiiinks nach reeeeeeeeechts und wieder nach liiiiiiiiiiinks und wieder nach reeeeeeechts. Und immer so weiter. Das große Geigen und Schaukeln in der achterlichen Welle, es hielt weiter an, hörte für einen Moment nur auf, wenn mir LEVJE unfreiwillig wieder anluvte, gegen alle Absicht, und ich sie mit Mühe wieder auf den alten Kurs brachte.
Nach eineinhalb Stunden, gegen drei Uhr Morgens, war ich müde. Richtig richtig müde. Meine Wache: Noch eineinhalb Stunden. Ich begann mit den alten Tricks gegen die Müdigkeit. Wasser trinken. Nicht einfach, mit nur nur einer Hand die Flasche zu öffnen, zu trinken, wieder zuzudrehen; die andere Hand mußte ja an der Pinne bleiben. Auf die Zunge beißen, abwechselnd, immer wieder. Aufstehen, auf dem schwankenden Deck im Stehen steuern. Ein Lied pfeiffen. Müdigkeit, von zuwenig Schlaf, von zuviel Schwanken, vom Unterwegssein in einer Umgebung, die nur aus Bewegung bestand. Wellen, die hinter mir im Dunkel heranrauschten, so dass ich hinaufsehen musste, kurz bevor sie LEVJEs Heck erreichten. Zur Sicherheit hatte ich das Steckschot am Niedergang eingesteckt, es war beeindruckend, wie Wellen links und rechts von LEVJE brachen. Die Müdigkeit, das eine. Die Schönheit der Elemente, das andere. Wenn ich in die Nacht hörte, durch die wir dahin rauschten, glaubte ich, im gewaltigen Rauschen die regelmäßigen Atemzüge eines Lebewesens zu hören, das rhythmische Atmen eines Delphins, der neben uns herschwamm. Oder eines Wals. Aber es war nur das Atmen des Meeres, das ich vernahm, im Rauschen der Wellen, im Wehen des Windes das Geräusch eines großartigen Lebewesens, das da ein und ausatmete: das Meer.
Halb fünf. Noch eine halbe Stunde Wache. Wieder eine Böe, eine Welle, die LEVJE’s Heck ausbrechen ließ, wieder meine Mühe, mit aller Kraft die Pinne wieder heranzuziehen, LEVJE wieder auf Kurs zu bringen. Hinter mir, langsam aus dem Dunkel aufsteigend, der hellste Stern, die Venus, die mich immer foppt, weil ich sie für das Topplicht eines Seglers halte, der hinter mir heransegelt. Ein Zeichen, dass die Dunkelheit bald ein Ende hat und der Morgen naht. Unten höre ich Geklapper. Sven schält sich aus seiner Koje. Ich sehe, wie er sich im Dämmer des Notlichts unter Deck langsam anzieht. Wasserdichte Hose. Segeljacke. Schwimmweste. Lifebelt. Alles nicht einfach, in LEVJE’s gewaltigem Schwanken, im Geigen und sich Schrauben durch die Wellen. Ein ums andere Mal muss Sven sich festkrallen unter Deck, irgendwo, wo er gerade Halt findet, um nicht umgeworfen zu werden. Eine Welt, die eine andere ist. Dann steht er an Deck, ich erzähle ihm, was passiert ist, er besieht sich den Schaden und übernimmt dann das Ruder. Und ich: falle vor Müdigkeit fast LEVJE’s Niedergang hinunter, schäle mich mühselig im schwankenden Dunkel aus meinen Klamotten, den Stiefeln, der salzigen Schwerwetterhose, Jacke, Pullover, Unterwäsche, Hemd. Ich taumle im Schwanken noch ins Bad, eine plötzliche Bewegung LEVJEs drückt mich mit dem Kopf voraus an die Bordwand, mühsam schaffe ich es, mir die Hände zu waschen, das Salz abzuwaschen von den Händen, aus dem Bart. Ahhhh, kaltes Süßwasser statt lauwarmes Salzwasser, das übers Cockpit spritzt, wenn die Wellen an LEVJE’s Heck kraftvoll brechen, kaltes Süsswasser, ein Gedicht. Dann kämpfe ich mich nach Vorne in LEVJE’s Bug, dorthin, wo Sven schlief, ich schlafe jetzt in seiner Koje, denn Tino schläft in meiner, drei Männer und nur zwei Kojen, da ist das einfach so, wir wechseln durch. Kaum dass ich liege und den Kopf an der Bordwand habe, dort wo das Wasser außen an LEVJE entlangströmt, bin ich diesmal auch schon weg. Ich brauche keinen Moment, um einzuschlafen, Schlaf, der wie watteweiches Blei auf mich fällt. Und weg.
Am Morgen. Ich schlafe nicht länger als eineinhalb, zwei Stunden, obwohl meine wachfreie Zeit eigentlich sechs Stunden ist. Ein eigener Rhytmus stellt sich ein, zwei Stunden reichen, damit ich mich fit fühle. Das Dunkel hat dem Grau Platz gemacht, graue Wolken, die über den Himmel ziehen, Wellen, die von hinten heranrollen, vom Golf von Tarent. LEVJE, die von den Wellenhängen hinuntersurft, eine weiße Gischtspur hinterlassend, kurz beschleunigend auf acht, neun, fast zehn Knoten, ein kleines Schiff, dessen rechnerisch maximale Rumpfgeschwindigkeit gerade mal bei 7,2 Knoten liegt. Wir sind schnell unterwegs, sehr schnell. Wenn es so weitergeht, schaffen wir ein Etmal von fast 140 Seemeilen. Ein Etmal: Die Distanz, die ein Schiff in 24 Stunden zurücklegt. Und 140 Seemeilen in 24 Stunden, über 250 Kilometer auf einem Schiff von 9,40 Meter Länge: Das kann sich sehen lassen.
Einen Videoclip unserer Reise finden Sie bei Youtube: Hier klicken.
Die Zahlen: sie sind das eine. Das Andere ist die Schönheit dieser Welt im Grau des Morgens. Das Land ist weit weit weg, irgendwo rechts ein schmaler Strich zwischen Meer und Himmel. Ein Strich wie der zwischen zwei Lippen. Statt Land: Berge und Täler aus Wasser, die LEVJE umgeben. Fliegende Fische, die hundert Meter weit die wanderenden Täler entlangschwirren auf schnell schlagenden Brustflossen, aufgeschreckt von LEVJEs Rumpf, unendlich geschickte Segler die Täler entlang. Schaumkronen von brechenden Wellen links, rechts, hinter uns, und kurz bevor sie brechen, leuchtet ihre Spitze flaschengrün im Licht der wolkenverhangenen Sonne hinter uns, sie sehen aus wie durchscheinendes Glas, wenn wir hinaufschauen, leuchtendes Glas unter brechenden weißen Kämmen, vergänglich, schnell. Wind, der LEVJE’s Genua füllt, das Segel, einen Moment zum Zerreissen gespannt, den nächsten schlapp sich krümmend, windend, wickelnd, wenn der Wind genau von hinten kommt. Sven, Maschinenbauer, Erfinder, der am Ruder steht, ist genauso fasziniert von dieser Welt wie ich. Er nähert sich ihr aber anders, erzählt im Grau, im Schwanken des Schiffes von Sir Isaac Newton und dessen Versuch, alles, alles, was er sah, in Mathematik zu übersetzen, das Fallen eines Blattes an einem Herbstbaum, vielleicht auch das Brechen eines Wellenkammes Kilometer weit draußen auf dem Meer, während der Wind weht. Zahlen. Und dazwischen LEVJE, mein Schiff, das sich durch diese Welt bewegt, die in Bruchteilen von Sekunden eine andere Form annimmt und doch die gleiche bleibt und in jeder Sekunde Aufmerksamkeit erfordert.
Und während Sven uns weiter durch die Wellen nach Westen bringt, schnappe ich mir im Grau meine Kamera, turne zum Bug und nehme begeistert auf, was ich da sehe, versuche auf meiner innere Festplatte abzuspeichern, was ich da draußen sehe, die aberwitzige Schönheit dieser Welt, damit ich ich diese Schönheit immer, immer wieder abrufen kann in Zukunft, in irgendwelchen Situationen, wo ich mich erinnern möchte, mir dies in Erinnerung rufen möchte, wie faszinierend diese Welt hier draußen ist.
Mehr als eine Stunde versuche ich, die Landschaften da draußen zu fotografieren, zu filmen festzuhalten irgendwie. Dann bin ich dran mit meiner Wache, löse Sven ab, wir lassen Tino weiter schlafen. Sven geht nach unten ins Geklapper, ins Schwanken, fällt in seine Koje, hundemüde, und weg. Und ich: bin allein mit dieser Welt, am Ruder, Schönheit und Gefährlichkeit, Lebensfeindlichkeit und Fülle, Kargheit und Reichtum, die mich umgeben.
Es ist Abend geworden. Sven und ich haben uns immer wieder abgelöst, Tino schläft immer noch, fast 16 Stunden liegt er jetzt erschöpft. Und schläft. Sven und ich haben Nachmittags, kurz bevor das Grau in Dämmer übergeht, LEVJE mitten in den Wellen beigedreht, haben im Schwanken die defekte Pinne repariert: Die Reparatur gründlich vorgedacht. Akkubohrer, Werkzeuge, Harz, Härter, Bolzen, Schraubenzieher bereitgelegt. LEVJE kommt mir in diesem Moment vor wie ein U-Boot, ich finde alles auf ihr, denn nichts, nichts wird weggeworfen, keine Schraube, kein alter Bolzen, den kleinsten Rest EPDM habe ich aufgehoben, wer weiß, wofür ich noch mal brauchen kann. Denn in Momenten wie diesen bin ich um alles froh, was irgendwie zur Reparatur beitragen könnte. Als wir alles bereitgelegt haben: Die Genua backgestellt, durch den Wind gesegelt, die Pinne festgebunden. Wellen, die seitwärts auf LEVJE treffen, Regen der einsetzt, draußen, kilometerweit vom Land entfernt, gerade als wir anfangen wollen mit der Reparatur. In Windeseile bohrt Sven zwei neue Löcher in die Pinne und setzt dicke Stahlbolzen ein, es hat keine Viertelstunde gedauert, Sven ist Meister in diesen Dingen, mit ihm habe ich schon ganz andere Abenteuer erlebt. Dann: funktioniert der Autopilot wieder, die Bolzen halten den Autopiloten, wir können ihm jetzt wieder für die Nacht die Arbeit des Steuerns überlassen.
Gerade rechtzeitig. Denn als die Dämmerung kommt, wird die Welt zu einem lichtlosen Grau, noch stärkerer Regen setzt ein, und weil er von hinten kommt, weht er herein ins Schiff bis zum Kartentisch. Sven, der gerade Wache hat, krümmt sich unter die Sprayhood, nach einer Weile gibt er auf, entnervt von Starkwind und Regen, der ihm ins Gesicht peitscht, Sven, der immer die Nerven behält, ist jetzt entnervt, geht schweigend durchs schwankende Boot zu seiner Koje, läßt sich fallen. Ich schaue durch LEVJE’s Seitenfenster: Lichtloses Grau in Grau. Regen, der gegen die Scheiben prasselt. Ich bin jetztzwar warm und trocken, und der Autopilot steuert LEVJE zuverlässig in die heranbrechende Nacht. Aber Zustand ist das keiner: Niemand an Deck, keiner auf Wache, der Wind der auffrischt und LEVJE mehr und mehr durchs Grau schlingern, taumeln, schwanken läßt. Nein, ich muss da hoch, auch wenn es mich Überwindung kostet, ich muss da raus und Wache gehen, während die beiden tief schlafen. Mit etwas mulmigem Gefühl ziehe ich meine Schwerwetter-Sachen an, gehe nach draußen, nach oben. In einem früheren Beitrag schrieb ich über die Angst, schrieb darüber, dass es ein zuverlässiges Rezept gibt dagegen: Einfach Nachsehen gehen, dem ins Auge sehen, was einem Angst macht. Aber manchmal ist das schon ganz schön schwer, es kostet Überwindung. Als ich an Deck bin, schaue ich mich um. Das Grau ist nun ein Dunkelgrau, der prasselnde Regen ist in feinen Niesel übergegangen. irgendwo rechts die Küste, es weht zwischen 30 und über 35 Knoten, die Wellen rollen aus der Tiefe des Golfs von Tarent entsprechend an. „Nachsehen gehen!“ Ich nehme das Ruder in die Hand, hänge den Autopiloten aus, versuche von Hand zu steuern, einen Anhaltspunkt zu finden, nach dem ich LEVJE weiter und besser als der Autopilot auf ihrem Kurs halten kann. Nach einer Viertelstunde habe ich den Bogen raus, habe mir auf LEVJEs kleinem Kompass eine Ecke gemerkt. Werde keck, habe mir in meiner Umgebung ein Instrument geschaffen, nach dem ich in der orientierungslosen Wellenlandschaft im Dämmer meinen Kurs steuern und halten kann.
Cap Spartivento. Der Golfo di Squillace liegt nun hinter uns.
„Il Golfo di Squillace
al marinaio non da pace.“
Frei übersetzt: „Der Golf von Squillace, er läßt dem Seemann keine Ruh’“.
Aber anders als vor zehn Jahren, als ich diese Ecke zum ersten Mal nachts passierte, lassen Wind und Strom nun nach. Die Wellen kommen gleichförmiger, die Küste sorgt dafür, dass sie parallel kommen, nicht mehr das wirbelnde Durcheinander aus dem Golf von Tarent. LEVJE liegt ruhiger am Ruder, ich lasse Sie nun wieder unter Autopilot laufen, und wir: wir nähern uns nun langsam der Straße von Messina. Ruhiger wird es, noch ruhiger, und als die Nacht kommt, klart der Himmel vollständig auf. Ich segle nun unter einem sanften Vierer und sternklarem Himmel vor mich hin. Vor mir am Horizont überzieht sich der Horizont erst mit schwachem Lichtschein, dann sind einzelne Lichter zu erkennen: Sizilien.
„Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen?
… Kennst Du es wohl?
Dahin, dahin,
will ich mit Dir, oh mein Geliebter, ziehen.“
Goethe’s Mignon singt dieses Lied. Und während mir die alten Zeilen aus WILHELM MEISTER irgendwie einfallen, schaue ich hinauf in die sternklare Nacht, wo Sternschnuppe auf Sternschnuppe fällt, zehn, zwanzig, dreißig zähle ich in dieser Nacht, ich weiß gar nicht mehr, was ich mir wünschen könnte. Fast ist es jetzt im späten Oktober wie in den „Notte di San Lorenzo“ mitten im August, in den Nächten der „stelle cadenti“, der fallenden Sterne. So klar ist die Nacht nach dem 36 Stunden dauernden Schlechtwetter, dass es kein Ende nimmt mit den Sternschnuppen über mir. Und weil das alles so schön ist, weil ich wach bin, lasse ich die anderen beiden schlafen. Je mehr Ruhe sie jetzt finden, desto länger werde später ich ruhen, schlafen können. Also halte ich durch, versuche vor mir in den Lichtern an der Küste voraus den Ätna zu erkennen, und seine Dampffahne, in über 3.000 Meter Höhe. Aber er bleibt dunkel, verbirgt sich vor mir, selbst in den Blitzen nördlich von ihm.
Von halb sechs bis gegen halb eins gehe ich Wache, dann wecke ich Sven. Das italienische Festland liegt weit hinter uns, Sizilien vor uns, wir haben es fast geschafft. Und während sich Sven auf Fähren und Frachter einstellt, die quer zu uns durch die Straße von Messina ziehen, während nordwestlich von uns über Milazzo Blitze den Himmel erhellen und ein Gewitter nach Osten zieht in die Richtung, aus der wir kommen, gehe ich schlafen. Todmüde. Zufrieden. Und mit jenem dümmlichen Grinsen im Gesicht, das der hat, dem an unwirtlichem Ort unverhofft unbändiges Glücksgefühl zuteil wurde.
Im nächsten Post: Ankunft in Catania. Und: Wie ist das eigentlich, in Sizilien und seinen Häfen?
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