Kategorie: Mare Più

Unter Segeln von Korfu nach Sizilien: Tag 8: Ganz weit oben – Auf demÄtna.

Nicht weit unter dem Krater, auf etwa 2.600 Metern: Rauchwolken aus dem Krater zeigen, dass der Ätna niemals schlaft. Der letzte größere Ausbruch liegt gerade zwei Jahre zurück.

Zu den besonderen Eindrücken als Segelreisender gehört es, wenn unmittelbar Meer auf Gebirge trifft und sich ein Berg von 0 Meter auf weit über 2.000 Meter erhebt. Im Süden der Türkei war es so, am Tahtali Dag nicht weit von Antalya entfernt. Und hier in Sizilien, unmittelbar vor Catania, steigt L’Etna vom Meer aus auf satte 3.320 Meter hoch. Er überragt damit die Zugspitze um deutliche 10% – aber so genau kann das wiederum niemand sagen, der Berg verändert seine Höhe durch Ausbrüche oder Erosion der staubig-bröseligen Masse ständig.

Der Ätna: Für einen Vulkan, der sich das Prädikat „Europas höchster und aktivster Vulkan“ dadurch verdient, dass er alle naselang Lava-Fontänen bis 600 Meter hoch in den Himmel schleudert – zuletzt eben vor zwei Jahren – ist die Landschaft erstaunlich dicht besiedelt und der Berg touristisch fünf-Sterne-mäßig erschlossen. Mit einer Bimmelbahn kann drumherum fahren, allein die Strecke ist über 100 Kilometer lang. Mit dem Auto kann man fast ganz hinauffahren, von 0 bis auf 2.000 Meter und dabei dem Thermometer im Auto bei der Arbeit zusehen, wie es alle 100 Höhenmeter um fast ein Dreiviertel Grad Celsius fällt. Oder man schaut aus dem fahrenden Auto auf Hausdächer, die festgebacken vom letzten Ausbruch mahnend aus erstarrter Lava ragen. Oder schaut den netten Wirtsleuten im Städtchen Nicolosi, den Kratern nächstgelegen auf halber Höhe, tief in die Augen und überlegt sich dabei, wie gut man denn im eigenen Bett schliefe, wenn das gerade mal eine Handvoll Kilometer weg ist vom Höllenschlund, der alle Jahre verrückt spielt.

Nur wenig beruhigend ist daran ist die Tatsache, dass es ja nicht bloß ein Schlund, sondern gleich mehrere sind. Der Ätna steht im Ruf, nicht einer zu sein, dem einfach „der Hut hochgeht“, vulgo: der Gipfel explodiert, nein:  Seine Eruptionen passieren, indem sich urplötzlich Spalten an den Flanken, meist im oberen Drittel des Berges, öffnen. Und der Berg dann das, was ihn an glühender Lava drückt, einfach von oben herunterlaufen lässt. Und es ist keineswegs so, dass davon nichts Menschliches berührt wäre: Entweder es trifft mal wieder die Seilbahn, die von knapp 2.000 Meter noch einmal etwa 600, 700 Meter weiter hinaufführt und die im Lauf ihrer Existenz bestimmt schon fünfmal wiederaufgebaut werden musste. Aus erstarrter Lava ragende Seilbahn-Stützen belegen das. 

Oder die Lava – sie ist fatalerweise hier am Ätna von besonders dünnflüssiger, fließfreudiger Konsistenz – demoliert an der Talstation der Gondel die unschuldige Hütte des Skiverleihers. Oder sie läuft weiter Richtung Nicolosi oder andere Ortschaften und kann erst ein paar Meter vor den ersten Häusern gestoppt werden, indem Menschen sich was Schlaues einfallen lassen: 
Mit Baggern Gräben ausheben (hat bei der Hütte des Skiverleihers nicht funktioniert!). 
Mit Sprengstoff der Lava einfach eine neue Rinne bauen (hat schon mal geklappt, brachte aber Ärger mit Umweltschützern!). 
Lava mit Lava bekämpfen, indem man außen am Lavastrom mit einem Wasserschlauch steht. Und die Lavahaut abkühlt, bis sie sich einen anderen Weg sucht (ziemlich schlau – scheint funktioniert zu haben.)

Wie dem auch sei: Wer auf dem Ätna unterwegs ist, der macht sich seine Gedanken, wie es sich so lebt, unter den Füßen einen Vulkan. Eigentlich machten die Menschen in Nicolosi einen recht gelassenen Eindruck, bei ihrer Passegiata am späten Sonntag Nachmittag im Zentrum des Städtchens.   
Und vielleicht kann man ja genau da von den Einwohnern von Nicolosi etwas lernen: Einfach ______________________________________________________________

40 Situationen, in denen niemand mehr locker bleibt.
40 Geschichten, wie es ist, im Gewitter zu Segeln:

40 Segler berichten ihre Erfahrungen.

In 8 Revieren.

Auf 272 Seiten.

Mit über 100 Fotos.

Mit mehr als 100 Learnings über richtiges Verhalten im Gewitter.

Mehr erfahren? Bestellen und gleich lesen: Hier!

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lockerlassen. Und nicht panisch werden bei dem Gedanken, dass die paar Quadratmeter, auf denen man sein Hab und Gut versammelt hat, eh morgen weg sein könnten, samt allem. Sie scheinen sich jedenfalls irgendwie mit dem Ungetüm vor ihrer Haustüre arrangiert zu haben, die Menschen. So wie auch die kargen Pflanzen, die im staubigen Gebrösel ebenfalls ihre Heimat gefunden haben – an den Hängen des Ätna, die seit Ende Oktober nun vollends begraben sind. Unter Schnee, zur Freude der Skiverleiher auf dem Ätna. 
Aber wem sag‘ ich das!

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Unter Segeln von Korfu nach Sizilien: Tag 8: Ganz weit oben – Auf demÄtna.

Nicht weit unter dem Krater, auf etwa 2.600 Metern: Rauchwolken aus dem Krater zeigen, dass der Ätna niemals schlaft. Der letzte größere Ausbruch liegt gerade zwei Jahre zurück.

Zu den besonderen Eindrücken als Segreisender gehört es, wenn unmittelbar Meer auf Gebirge trifft und sich ein Berg von 0 Meter auf weit über 2.000 Meter erhebt. Im Süden der Türkei war es so, am Tahtali Dag nicht weit von Antalya entfernt. Und hier in Sizilien, unmittelbar vor Catania, steigt L’Etna vom Meer aus auf satte 3.320 Meter hoch. Er überragt damit die Zugspitze um deutliche 10% – aber so genau kann das wiederum niemand sagen, der Berg verändert seine Höhe durch Ausbrüche oder Erosion der staubig-bröseligen Masse ständig.

Der Ätna: Für einen Vulkan, der sich das Prädikat „Europas höchster und aktivster Vulkan“ dadurch verdient, dass er alle naselang Lava-Fontänen bis 600 Meter hoch in den Himmel schleudert – zuletzt eben vor zwei Jahren – ist die Landschaft erstaunlich dicht besiedelt und der Berg touristisch fünf-Sterne-mäßig erschlossen. Mit einer Bimmelbahn kann drumherum fahren, allein die Strecke ist über 100 Kilometer lang. Mit dem Auto kann man fast ganz hinauffahren, von 0 bis auf 2.000 Meter und dabei dem Thermometer im Auto bei der Arbeit zusehen, wie es alle 100 Höhenmeter um fast ein Dreiviertel Grad Celsius fällt. Oder man schaut aus dem fahrenden Auto auf Hausdächer, die festgebacken vom letzten Ausbruch mahnend aus erstarrter Lava ragen. Oder schaut den netten Wirtsleuten im Städtchen Nicolosi, den Kratern nächstgelegen auf halber Höhe, tief in die Augen und überlegt sich dabei, wie gut man denn im eigenen Bett schliefe, wenn das gerade mal eine Handvoll Kilometer weg ist vom Höllenschlund, der alle Jahre verrückt spielt.

Nur wenig beruhigend ist daran ist die Tatsache, dass es ja nicht bloß ein Schlund, sondern gleich mehrere sind. Der Ätna steht im Ruf, nicht einer zu sein, dem einfach „der Hut hochgeht“, vulgo: der Gipfel explodiert, nein:  Seine Eruptionen passieren, indem sich urplötzlich Spalten an den Flanken, meist im oberen Drittel des Berges, öffnen. Und der Berg dann das, was ihn an glühender Lava drückt, einfach von oben herunterlaufen lässt. Und es ist keineswegs so, dass davon nichts Menschliches berührt wäre: Entweder es trifft mal wieder die Seilbahn, die von knapp 2.000 Meter noch einmal etwa 600, 700 Meter weiter hinaufführt und die im Lauf ihrer Existenz bestimmt schon fünfmal wiederaufgebaut werden musste. Aus erstarrter Lava ragende Seilbahn-Stützen belegen das.

Oder die Lava – sie ist fatalerweise hier am Ätna von besonders dünnflüssiger, fließfreudiger Konsistenz – demoliert an der Talstation der Gondel die unschuldige Hütte des Skiverleihers. Oder sie läuft weiter Richtung Nicolosi oder andere Ortschaften und kann erst ein paar Meter vor den ersten Häusern gestoppt werden, indem Menschen sich was Schlaues einfallen lassen:
Mit Baggern Gräben ausheben (hat bei der Hütte des Skiverleihers nicht funktioniert!).
Mit Sprengstoff der Lava einfach eine neue Rinne bauen (hat schon mal geklappt, brachte aber Ärger mit Umweltschützern!).
Lava mit Lava bekämpfen, indem man außen am Lavastrom mit einem Wasserschlauch steht. Und die Lavahaut abkühlt, bis sie sich einen anderen Weg sucht (ziemlich schlau – scheint funktioniert zu haben.)

Wie dem auch sei: Wer auf dem Ätna unterwegs ist, der macht sich seine Gedanken, wie es sich so lebt, unter den Füßen einen Vulkan. Eigentlich machten die Menschen in Nicolosi einen recht gelassenen Eindruck, bei ihrer Passegiata am späten Sonntag Nachmittag im Zentrum des Städtchens.
Und vielleicht kann man ja genau da von den Einwohnern von Nicolosi etwas lernen: Einfach ______________________________________________________________

40 Situationen, in denen niemand mehr locker bleibt.
40 Geschichten, wie es ist, im Gewitter zu Segeln:

40 Segler berichten ihre Erfahrungen.

In 8 Revieren.

Auf 272 Seiten.

Mit über 100 Fotos.

Mit mehr als 100 Learnings über richtiges Verhalten im Gewitter.

 

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lockerlassen. Und nicht panisch werden bei dem Gedanken, dass die paar Quadratmeter, auf denen man sein Hab und Gut versammelt hat, eh morgen weg sein könnten, samt allem. Sie scheinen sich jedenfalls irgendwie mit dem Ungetüm vor ihrer Haustüre arrangiert zu haben, die Menschen. So wie auch die kargen Pflanzen, die im staubigen Gebrösel ebenfalls ihre Heimat gefunden haben – an den Hängen des Ätna, die seit Ende Oktober nun vollends begraben sind. Unter Schnee, zur Freude der Skiverleiher auf dem Ätna.
Aber wem sag‘ ich das!

Unter Segeln von Korfu nach Sizilien, Tag 7: Ankommen unterm Ätna. Und: Abenteuer in der Hafenbar.

Auch wenn ich mich angesichts der Ereignisse in Frankreich frage, welchen Sinn es hat, heute einfach so weiterzuposten und einfach von meiner Reise von Korfu nach Sizilien weiter zu erzählen: so glaube ich, dass gerade dies wichtig ist. Sich nicht beeindrucken zu lassen von der Monstrosität des Grauens. Sich nicht abbringen zu lassen von dem, woran wir glauben: Dies ist meine Verbeugung vor all denen, die unschuldig tiefes Leid erfahren haben.
Fahren wir also fort, wo wir endeten: Dies ist der Bericht meiner Reise in der zweiten Oktoberhälfte von Korfu nach Sizilien. 

                                      Was bisher geschah: Hier lesen: Tag 6 – Weit weit draußen, zwei Nächte und einen Tag.

In der Straße von Messina waren Wind und Welle endlich ruhiger geworden. Was vorher zwei Nächte und einen Tag böig von achtern das Meer aufgewühlt hatte hinter uns, war nun ein netter Segelwind. Auch der Himmel hatte aufgeklart. Am Horizont über Messina erhellten Blitze den Himmel, deren zuckendes Licht Levje’s Großsegel wie eine Kinoleinwand zurückwarf. Am klaren Nachthimmel Sternschnuppen über Sternschnuppen, die einfach über den Nachthimmel zischten, kreuz und quer und so lange, bis ich nicht mehr wußte, was ich mir noch wünschen sollte. Ich hatte ja alles.

Weil Sven und sein Sohn Tino übermüdet waren vom langen Wachen nachts und tagsüber, blieb ich wach bis weit nach eins. Dann weckte ich Sven, schälte mich aus meinen Klamotten, wusch mir das Salz aus Gesicht und legte mich in meine Koje. Das „dümmliche Grinsen“ in meinem Gesicht, das sich noch bei jedem einstellte, der die Schönheit des Meeres und des Segelns erfahren durfte, war das letzte, was ich registrierte. Dann: Tiefer, tiefer Schlaf.

Gegen sechs wachte ich auf. Die Sonne schien hell, Tino war wach. Und hatte die beiden Schleppangeln ausgebracht. Und zum ersten Mal seit fast eineinhalb Jahren ging uns wieder ein Fisch an den Haken: Ein Bonito mittlerer Größe biss an, der kleine Bruder des Thunfischs, ein schneller Jäger, der zu dem blinkenden Köder nicht Nein sagen konnte, als der mit der Geschwindigkeit eines Marathonläufers an ihm vorbeizog. Ein schönes Tier, groß und schnell und stark, mit kleinen Finnen im hinteren Drittel seines Körpers. Und ich? Verstand die Welt nicht mehr. Meine letzte Makrele hatte vor über eineinhalb Jahren in Italien angebissen. In Griechenland, der Ägäis, der Türkei zog ich wochenlang meine Schleppangel hinter Levje her. Nichts mehr. Nicht ein Fisch war mir seit Italien an den Haken gegangen. Und kaum sind wir wieder in italienischen Gewässern, beißt ein Bonito an. Ist der Schutz der Fischbestände in Italien effizienter? Haben Griechen zuviel mit Dynamit gefischt und ihre Gewässer leergefischt? Oder gibt es die schnellen Jäger, Makrelen, Bonitos, die, die meiner Schleppangel erliegen, einfach nur in den italienischen Gewässern? Ein Rätsel.

Sizilien war nah. Wie angekündigt, hatte der Wind gedreht auf den letzten Seemeilen. Von 5-6 bft von „genau achtern“ auf 5-6 genau von da, wo wir hinwollten: Catania, unterm Ätna. Es machte nichts. Die Handvoll Seemeilen von der Küste baute der Wind keine Welle mehr auf, wir glitten dahin im Morgenlicht, und endlich lag der Hafen vor uns. Catania.

Der Ätna versteckte sich hinter einer dichten weißen Wolkenbank, der Südwest fegte mit Macht ins weite Hafenbecken. Italien ist – anders als Kroatien oder Frankreich – nur mit einer einfachen Yacht-Infrastruktur ausgestattet: Marinas in privater Hand sind selten, wenn man eine Marina findet, sind die überwiegend von den beiden großen Clubs CIRCOLO NAUTICO oder LEGA NAVALE vereinsmäßig betrieben. Oft gibt es gar keine Marina. Dafür besitzt Catania gleich deren vier – die Qual der Wahl. Um ruhig zu liegen, machten wir in der westlichsten fest, dem CLUB ETNEO. Leider eine teure Entscheidung, mit 45 Euro für Levje’s 31 Fuß, ohne Toilette, ohne Dusche, aber was machts – wir waren angekommen und lagen fest!

Und dann die ersten wackeligen Schritte an Land, ins Caffé del porto, mitten rein ins Leben eines italienischen Hafens. Eine italienische Hafenbar ist kein strahlender Ort, wohl aber ein Ort, an dem das pralle Leben stattfindet. Zwei Fischer, zwei Hafenarbeiter in blauen Overalls mit den orangen Neonstreifen. die an der Theke vor Espresso und Cornetto stehen und kurz palavern. Der Barista hinter der Bar, Wärme, Kaffeeduft, das Geduddel eines Radiosenders, „farbiger Krach“, ohne den in Italien nichts geht. Eine wunderbar gemütliche Mollige hinter der Kasse, die die Schwester des Barista sein könnte. Ihr Lächeln, und klar ist: sie ist der Magnet und das Unikum des Etablissements, das die beiden von ihren Eltern übernommen haben. Familie, die ihr Auskommen am Hafen findet. Die Hafenarbeiter bezahlen bei ihr an der Kasse, nicht ohne einen Scherz. Zu gern würde ich eintauchen jetzt gleich, gleich, ganz tief in dieses einzigartige Biotop an Beziehungen, in dieses jahrzehntelange Geflecht der Menschen an diesem Ort untereinander, das man „sich kennen“ nennt. Und das diesen verlassenen Ort am Hafen trägt durch die Zeit. Weil ich wie sie vom Meer komme, bin irgendwie ein Teil dieses Biotops, es ist keine Einbildung. Ein Scherzen, ein kurzes Hin- und Her, dann ziehen die Hafenarbeiter ihrer Wege. Eine ältere Dame, gut gekleidet, die auf dem Weg ins Büro hier ihren Cafe nimmt. Ich bestelle mir einen Espresso. Und eines dieser lecker aussehenden Schokoladen-Croissants, „un brioche“ heißen sie hier, darauf habe ich jetzt Lust nach all dem Salzwasser. Es kommt lauwarm über die Theke, prall unter dem Puderzucker lächelt es mich an, der Duft nach frisch Gebackenem ist unwiderstehlich. Als ich hineinbeiße, explodiert eine Woge an Nutella im Inneren des Brioche, tropft warm über die Theke, die ich, um mein Werk nur ja zu vervollständigen, mit Puderzucker und Brioche-Krümmeln eindecke. Mit einem derart üppigen Genuß hatte ich an diesem Ort nicht gerechnet, nur weil dies äußerlich ein ranziges Hafencafe ist, heißt das ja nicht, dass hier keiner was von gutem Essen verstünde. Der Barista reicht mir drei Servietten, die Kassiererin lächelt mir verständnisinnig zu, wir haben uns durchschaut, dass wir beide nur zu gerne, allzugerne gut essen und gern sinnlich sind. Und ich: Nutella-verschmiert, 54jährig, eben angekommen: Ich liebe Italien. Wie eh und je.

Im nächsten Post lesen Sie: Ganz weit oben: Auf dem Ätna.

millemari. auf der HANSEBOOT: Fast ein Jahr. Fast ein Geburtstag. Ein Resümee.

Es ist nun fast ein Jahr, dass es unseren Verlag millemari. gibt. Gegründet wurde er vor acht Monaten, im Dezember 2014. Aber im Kopf geboren wurde er mehr oder weniger ein paar Monate vorher, hier in Hamburg auf der HANSEBOOT im Oktober 2014 in unseren Köpfen.

Bassist und millemari.-Autor Claus Aktoprak stellt zusammen mit Gitarrist Dara Mc Namara sein Buch SCHÄRENSEGELN musikalisch vor.

Ein Jahr später: Wir stehen wieder auf der HANSEBOOT. Diesmal stehen millemari.-Autoren in acht verschiedenen Vorträgen auf der Bühne von Halle B.2, lesen aus ihren Büchern über SEGELN IN DEN SCHÄREN, über GEWITTERSEGELN. Darüber, mit einem Schlauchboot 500 Seemeilen auf ostfriesischen Kanälen zu segeln. Oder in MEIN BOOT IST MEIN ZUHAUSE über das ganzjährige Leben auf einer Yacht, ein Buch, das eine große deutsche Tageszeitung in der kommenden Wochenendausgabe vorstellen wird. Unseren fünften Titel, nach GEWITTERSEGELN, nach EINMAL MÜNCHEN – ANTALYA, BITTE und dem gleichnamigen Film, den ich ebenfalls in einem einstündigen Vortrag zeigte, und nach SCHÄRENSEGELN.

Ein Jahr später: Ein Resümee in 3 Punkten:

1. millemari. lebt.
Ein Jahr später stelle ich fest: Susanne Guidera’s und mein Entschluss, die Welt um einen weiteren Verlag zu beglücken, den die vielleicht gar nicht haben will, war richtig. Zum ersten Mal spüren wir: Der Verlag millemari. lebt. Er zieht Zuhörer an zu den Vorträgen, auf denen wir unsere Bücher vorstellen, im Schnitt waren es 30-45 – das war gerade wochentags sehr viel. Zuhörer, die nach den Vorträgen an den Stand kommen, der eigentlich keiner war. Segler und die Autoren von GEWITTERSEGELN, die sich hier trafen. Susanne inmitten der millemari.-Autoren: Sie ist das Herz von millemari.

Ein Teil der millemari.-GEWITTERSEGELN-Autoren am millemari.-Stand.

2. Lob & Kritik.
Messen sind im Jahreslauf immer Orte, an denen man als Verlag „erntet“. Nämlich Kritik und Lob von denen, für die man ein Buch gemacht hat. Es hat uns gefreut, im Gespräch mit Buchhändlern zu sehen, dass unsere Bücher bereits in den wichtigen Segelbuchhandlungen Hamburgs ausliegen, obwohl wir uns um den Vertrieb genau dorthin noch gar nicht kümmern konnten. Dass Journalisten an den Stand kommen, weil sie neugieirig sind oder gut finden, was wir machen. Zuhörer, die regelmäßig nach den Vorträgen an den Stand kamen und Bücher kauften. Segler, die uns die Hölle heißmachen, weil unser Stand nur aus Konferenztisch plus Büchertisch besteht. Dabei hatten wir erst bei Messebeginn erfahren, dass statt des vereinbarten Verkaufstisches an der Bühne nun ein eigener Stand da war – es war anders abgesprochen mit der Messeleitung.
Es ist schön zu sehen, dass wir Menschen bewegen, dass Menschen Reaktion zeigen und Anteil nehmen, ob kritisch oder lobend, an dem, was wir da an Büchern in die Welt bringen.


Nervosität vor dem Start: Die GEWITTERSEGELN-Autorinnen (von rechts) Annette Kilch und Christine Olstedt-Fuhrmann, die mit ihren Gewittergeschichten im Buch vertreten sind, Sekunden vor unserer halbstündigen Präsentation …


… und dann bei der Präsentation von GEWITTERSEGELN im Interview auf der Bühne.

3.  Die kleinen Milestones.
Die kleinere HANSEBOOT ist für uns nun zum zweiten Mal „Testmesse“ für unsere Ideen gewesen. „Testmesse“ für die eigentliche Großveranstaltung in Düsseldorf, die BOOT, die Ende Januar 2016 stattfinden wird. Den „Test“ hat der junge millemari. Verlag bestanden. Unser Konzept trägt. Die Themen stimmen.
Nun werden Susanne und ich „feilen“. Und daran arbeiten, eine Menge weitere Buchtitel herauszubringen – für 2016 sind immerhin 25 Neuerscheinungen geplant. Das werden wir auch schaffen. Und: Auf der BOOT Ende Januar 2016 dann wieder auf fast zehn Veranstaltungen unsere Bücher vorstellen. Und dann, 2017 auf der HANSEBOOT weiter testen. Der nächste Schritt…

Fazit:
millemari. lebt. 
DANKE an Euch, Besucher, Zuhörer, Autoren, Journalisten, Kritiker.
Mehr von Eurer Sorte! Viel mehr!

Mehr über millemari. auf der HANSEBOOT erfahren Sie auf der FACEBOOK-Seite von millemari. im Liveticker.

… und in den nächsten Tagen: mehr darüber, wie es auf meiner Reise von Korfu nach Sizilien weiterging.

millemari. auf der HANSEBOOT: Fast ein Jahr. Fast ein Geburtstag. Ein Resümee.

Es ist nun fast ein Jahr, dass es unseren Verlag millemari. gibt. Gegründet wurde er vor acht Monaten, im Dezember 2014. Aber im Kopf geboren wurde er mehr oder weniger ein paar Monate vorher, hier in Hamburg auf der HANSEBOOT im Oktober 2014 in unseren Köpfen.

Bassist und millemari.-Autor Claus Aktoprak stellt zusammen mit Gitarrist Dara Mc Namara sein Buch SCHÄRENSEGELN musikalisch vor.

Ein Jahr später: Wir stehen wieder auf der HANSEBOOT. Diesmal stehen millemari.-Autoren in acht verschiedenen Vorträgen auf der Bühne von Halle B.2, lesen aus ihren Büchern über SEGELN IN DEN SCHÄREN, über GEWITTERSEGELN. Darüber, mit einem Schlauchboot 500 Seemeilen auf ostfriesischen Kanälen zu segeln. Oder in MEIN BOOT IST MEIN ZUHAUSE über das ganzjährige Leben auf einer Yacht, ein Buch, das eine große deutsche Tageszeitung in der kommenden Wochenendausgabe vorstellen wird. Unseren fünften Titel, nach GEWITTERSEGELN, nach EINMAL MÜNCHEN – ANTALYA, BITTE und dem gleichnamigen Film, den ich ebenfalls in einem einstündigen Vortrag zeigte, und nach SCHÄRENSEGELN.

Ein Jahr später: Ein Resümee in 3 Punkten:

1. millemari. lebt.
Ein Jahr später stelle ich fest: Susanne Guidera’s und mein Entschluss, die Welt um einen weiteren Verlag zu beglücken, den die vielleicht gar nicht haben will, war richtig. Zum ersten Mal spüren wir: Der Verlag millemari. lebt. Er zieht Zuhörer an zu den Vorträgen, auf denen wir unsere Bücher vorstellen, im Schnitt waren es 30-45 – das war gerade wochentags sehr viel. Zuhörer, die nach den Vorträgen an den Stand kommen, der eigentlich keiner war. Segler und die Autoren von GEWITTERSEGELN, die sich hier trafen. Susanne inmitten der millemari.-Autoren: Sie ist das Herz von millemari.

Ein Teil der millemari.-GEWITTERSEGELN-Autoren am millemari.-Stand.

2. Lob & Kritik.
Messen sind im Jahreslauf immer Orte, an denen man als Verlag „erntet“. Nämlich Kritik und Lob von denen, für die man ein Buch gemacht hat. Es hat uns gefreut, im Gespräch mit Buchhändlern zu sehen, dass unsere Bücher bereits in den wichtigen Segelbuchhandlungen Hamburgs ausliegen, obwohl wir uns um den Vertrieb genau dorthin noch gar nicht kümmern konnten. Dass Journalisten an den Stand kommen, weil sie neugieirig sind oder gut finden, was wir machen. Zuhörer, die regelmäßig nach den Vorträgen an den Stand kamen und Bücher kauften. Segler, die uns die Hölle heißmachen, weil unser Stand nur aus Konferenztisch plus Büchertisch besteht. Dabei hatten wir erst bei Messebeginn erfahren, dass statt des vereinbarten Verkaufstisches an der Bühne nun ein eigener Stand da war – es war anders abgesprochen mit der Messeleitung.
Es ist schön zu sehen, dass wir Menschen bewegen, dass Menschen Reaktion zeigen und Anteil nehmen, ob kritisch oder lobend, an dem, was wir da an Büchern in die Welt bringen.


Nervosität vor dem Start: Die GEWITTERSEGELN-Autorinnen (von rechts) Annette Kilch und Christine Olstedt-Fuhrmann, die mit ihren Gewittergeschichten im Buch vertreten sind, Sekunden vor unserer halbstündigen Präsentation …


… und dann bei der Präsentation von GEWITTERSEGELN im Interview auf der Bühne.

3.  Die kleinen Milestones.
Die kleinere HANSEBOOT ist für uns nun zum zweiten Mal „Testmesse“ für unsere Ideen gewesen. „Testmesse“ für die eigentliche Großveranstaltung in Düsseldorf, die BOOT, die Ende Januar 2016 stattfinden wird. Den „Test“ hat der junge millemari. Verlag bestanden. Unser Konzept trägt. Die Themen stimmen.
Nun werden Susanne und ich „feilen“. Und daran arbeiten, eine Menge weitere Buchtitel herauszubringen – für 2016 sind immerhin 25 Neuerscheinungen geplant. Das werden wir auch schaffen. Und: Auf der BOOT Ende Januar 2016 dann wieder auf fast zehn Veranstaltungen unsere Bücher vorstellen. Und dann, 2017 auf der HANSEBOOT weiter testen. Der nächste Schritt…

Fazit:
millemari. lebt. 
DANKE an Euch, Besucher, Zuhörer, Autoren, Journalisten, Kritiker.
Mehr von Eurer Sorte! Viel mehr!

Mehr über millemari. auf der HANSEBOOT erfahren Sie auf der FACEBOOK-Seite von millemari. im Liveticker.

… und in den nächsten Tagen: mehr darüber, wie es auf meiner Reise von Korfu nach Sizilien weiterging.

Unter Segeln von Korfu nach Sizilien: Tag 6: Weit weit draußen, zweiNächte und einen Tag.

Diese Artikelreihe handelt von meiner Reise in der zweiten Oktoberhälfte 2015 von Korfu nach Sizilien. In den vorangegangenen Posts beschrieb ich die Reise von Korfu’s Hauptstadt Kerkyra durch die Nacht nach Santa Maria di Leuca ganz an den äußersten Absatz des italienischen Stiefels. Im letzten Post die Abfahrt von Santa Maria di Leuca nach Catania und wie mitten in der Nacht eine gebrochene Schraube zum Ausfall des Autopiloten führte.

Zu den Besonderheiten des Reisens gehört, mir vor jeder Reise auszumalen, was alles schiefgehen kann. Bevor eine Reise beginnt, setzt in mir leichtes Grummeln ein:
Bin ich wirklich vorbereitet auf alles?
Werde ich achtsam genug sein? 
Bin ich vorbereitet, jede Situation da draußen auf dem Meer zu meistern? 
Oder: wird etwas geschehen, das stärker ist als ich? 
Das Motto meines Blogs „Die Abenteuer beginnen, wenn wir unser Zuhause verlassen“, es beschreibt nicht nur die Freude am Unbekannten, sondern eben auch dies.

Gegen zwei Uhr Nachts war die Halterung des Autopiloten an der Pinne gebrochen. Für einen Moment trieben ohne Ruderwirkung in den Wellen. Null Sicht. Dichte Wolkendecke. Natürlich war das alles wieder passiert, als der Wind am kraftvollsten geweht hatte, als er aufgefrischt und LEVJE auf einer Welle mit fast 10 Knoten durch die Nacht dahingeschossen war. Ein bleistiftdicker Edelstahl-Bolzen war gebrochen, einfach so. Die Kräfte waren zu stark gewesen. Von jetzt an hieß es: Steuern per Hand, durch die Nacht.

Weil Tino’s Wache vorüber war, übernahm ich das Ruder. Ich war müde. Kaum Schlaf vorher. Wir waren kurz nach 18 Uhr aufgebrochen in Santa Maria di Leuca, Wind und Welle kamen seit Stunden genau von achtern und hatten LEVJE durch die Wellen geigen lassen in einer gewaltigen dreidimensionalen Bewegung, in der zumindest bei mir an Schlaf nicht zu denken war. Nur ein leichtes Dösen hatte sich eingestellt während meiner wachfreien Zeit, während Sven und danach sein Sohn Tino LEVJE nach Westen gesegelt hatten. 

Die ersten Minuten am Steuer versuchte ich mich zu orientieren. Wir hatten jetzt den Golf von Tarent halb überquert, waren jetzt etwa in der Mitte der großen Einbuchtung. Der Lichtschein hinter uns von Santa Maria di Leuca und Gallipoli war verschwunden, das Licht des Leuchtturms, der 25 Seemeilen in die Nacht leuchtet, war nicht mehr zu sehen. Rechts vor mir, im Dunkel, ein schwacher Lichtschein, das mußte Crotone sein. Davor, mitten im Schwarz, ein gleißend heller Scheinwerfer, der mich blendete. Mitten auf dem Meer ein riesiger Scheinwerfer, ein irritierendes Etwas, bis mir Tino erklärt hatte, dass ihn ein Schleppverband überholt hatte, drei weiße Lichter übereinander, und quälend langsam an uns vorbeigezogen war, Kurs Crotone. Auf dem letzten Schiff, um es kenntlich zu machen und gegen alle Regeln: Ein strahlend heller Scheinwerfer, nach hinten. Nach Nordwesten zu blicken, war also keine gute Idee. Und doch war der Scheinwerfer eine große Hilfe, um mich einzusteuern. Wenn ich so steuerte, dass ich ihn genau hinter den Steuerbord-Wanten behielt: Dann steuerte ich genau Kurs auf Catania, unserem Ziel auf Sizilien. Also los. Schöne Idee. Aber zunächst machten mir die großen Wellen einen Strich durch die Rechnung. Sie kamen schräg von hinten. Trafen zuerst LEVJE’s Heck und drückten es, wenn ich nicht gleich Ruder legte, zur Seite, der Bug drehte sich damit höher in den Wind, wir beschleunigten plötzlich auf Halbwind-Kurs noch einmal, legten uns zur Seite, ich zog mit aller Kraft an der Pinne, um das Boot wieder auf Kurs zu bringen, abfallen zu lassen, die Pinne ächzte, gleichzeitig zog die nächste Welle unter uns hindurch, LEVJE geigte, von liiiiiinks nach reeeeeeeeechts und wieder nach liiiiiiiiiiinks und wieder nach reeeeeeechts. Und immer so weiter. Das große Geigen und Schaukeln in der achterlichen Welle, es hielt weiter an, hörte für einen Moment nur auf, wenn mir LEVJE unfreiwillig wieder anluvte, gegen alle Absicht, und ich sie mit Mühe wieder auf den alten Kurs brachte. 

Nach eineinhalb Stunden, gegen drei Uhr Morgens, war ich müde. Richtig richtig müde. Meine Wache: Noch eineinhalb Stunden. Ich begann mit den alten Tricks gegen die Müdigkeit. Wasser trinken. Nicht einfach, mit nur nur einer Hand die Flasche zu öffnen, zu trinken, wieder zuzudrehen; die andere Hand mußte ja an der Pinne bleiben. Auf die Zunge beißen, abwechselnd, immer wieder. Aufstehen, auf dem schwankenden Deck im Stehen steuern. Ein Lied pfeiffen. Müdigkeit, von zuwenig Schlaf, von zuviel Schwanken, vom Unterwegssein in einer Umgebung, die nur aus Bewegung bestand. Wellen, die hinter mir im Dunkel heranrauschten, so dass ich hinaufsehen musste, kurz bevor sie LEVJEs Heck erreichten. Zur Sicherheit hatte ich das Steckschot am Niedergang eingesteckt, es war beeindruckend, wie Wellen links und rechts von LEVJE brachen. Die Müdigkeit, das eine. Die Schönheit der Elemente, das andere. Wenn ich in die Nacht hörte, durch die wir dahin rauschten, glaubte ich, im gewaltigen Rauschen die regelmäßigen Atemzüge eines Lebewesens zu hören, das rhythmische Atmen eines Delphins, der neben uns herschwamm. Oder eines Wals. Aber es war nur das Atmen des Meeres, das ich vernahm, im Rauschen der Wellen, im Wehen des Windes das Geräusch eines großartigen Lebewesens, das da ein und ausatmete: das Meer.

Halb fünf. Noch eine halbe Stunde Wache. Wieder eine Böe, eine Welle, die LEVJE’s Heck ausbrechen ließ, wieder meine Mühe, mit aller Kraft die Pinne wieder heranzuziehen, LEVJE wieder auf Kurs zu bringen. Hinter mir, langsam aus dem Dunkel aufsteigend, der hellste Stern, die Venus, die mich immer foppt, weil ich sie für das Topplicht eines Seglers halte, der hinter mir heransegelt. Ein Zeichen, dass die Dunkelheit bald ein Ende hat und der Morgen naht. Unten höre ich Geklapper. Sven schält sich aus seiner Koje. Ich sehe, wie er sich im Dämmer des Notlichts unter Deck langsam anzieht. Wasserdichte Hose. Segeljacke. Schwimmweste. Lifebelt. Alles nicht einfach, in LEVJE’s gewaltigem Schwanken, im Geigen und sich Schrauben durch die Wellen. Ein ums andere Mal muss Sven sich festkrallen unter Deck, irgendwo, wo er gerade Halt findet, um nicht umgeworfen zu werden. Eine Welt, die eine andere ist. Dann steht er an Deck, ich erzähle ihm, was passiert ist, er besieht sich den Schaden und übernimmt dann das Ruder. Und ich: falle vor Müdigkeit fast LEVJE’s Niedergang hinunter, schäle mich mühselig im schwankenden Dunkel aus meinen Klamotten, den Stiefeln, der salzigen Schwerwetterhose, Jacke, Pullover, Unterwäsche, Hemd. Ich taumle im Schwanken noch ins Bad, eine plötzliche Bewegung LEVJEs drückt mich mit dem Kopf voraus an die Bordwand, mühsam schaffe ich es, mir die Hände zu waschen, das Salz abzuwaschen von den Händen, aus dem Bart. Ahhhh, kaltes Süßwasser statt lauwarmes Salzwasser, das übers Cockpit spritzt, wenn die Wellen an LEVJE’s Heck kraftvoll brechen, kaltes Süsswasser, ein Gedicht. Dann kämpfe ich mich nach Vorne in LEVJE’s Bug, dorthin, wo Sven schlief, ich schlafe jetzt in seiner Koje, denn Tino schläft in meiner, drei Männer und nur zwei Kojen, da ist das einfach so, wir wechseln durch. Kaum dass ich liege und den Kopf an der Bordwand habe, dort wo das Wasser außen an LEVJE entlangströmt, bin ich diesmal auch schon weg. Ich brauche keinen Moment, um einzuschlafen, Schlaf, der wie watteweiches Blei auf mich fällt. Und weg.

Am Morgen. Ich schlafe nicht länger als eineinhalb, zwei Stunden, obwohl meine wachfreie Zeit eigentlich sechs Stunden ist. Ein eigener Rhytmus stellt sich ein, zwei Stunden reichen, damit ich mich fit fühle. Das Dunkel hat dem Grau Platz gemacht, graue Wolken, die über den Himmel ziehen, Wellen, die von hinten heranrollen, vom Golf von Tarent. LEVJE, die von den Wellenhängen hinuntersurft, eine weiße Gischtspur hinterlassend, kurz beschleunigend auf acht, neun, fast zehn Knoten, ein kleines Schiff, dessen rechnerisch maximale Rumpfgeschwindigkeit gerade mal bei 7,2 Knoten liegt. Wir sind schnell unterwegs, sehr schnell. Wenn es so weitergeht, schaffen wir ein Etmal von fast 140 Seemeilen. Ein Etmal: Die Distanz, die ein Schiff in 24 Stunden zurücklegt. Und 140 Seemeilen in 24 Stunden, über 250 Kilometer auf einem Schiff von 9,40 Meter Länge: Das kann sich sehen lassen.

Einen Videoclip unserer Reise finden Sie bei Youtube: Hier klicken.

Die Zahlen: sie sind das eine. Das Andere ist die Schönheit dieser Welt im Grau des Morgens. Das Land ist weit weit weg, irgendwo rechts ein schmaler Strich zwischen Meer und Himmel. Ein Strich wie der zwischen zwei Lippen. Statt Land: Berge und Täler aus Wasser, die LEVJE umgeben. Fliegende Fische, die hundert Meter weit die wanderenden Täler entlangschwirren auf schnell schlagenden Brustflossen, aufgeschreckt von LEVJEs Rumpf, unendlich geschickte Segler die Täler entlang. Schaumkronen von brechenden Wellen links, rechts, hinter uns, und kurz bevor sie brechen, leuchtet ihre Spitze flaschengrün im Licht der wolkenverhangenen Sonne hinter uns, sie sehen aus wie durchscheinendes Glas, wenn wir hinaufschauen, leuchtendes Glas unter brechenden weißen Kämmen, vergänglich, schnell. Wind, der LEVJE’s Genua füllt, das Segel, einen Moment zum Zerreissen gespannt, den nächsten schlapp sich krümmend, windend, wickelnd, wenn der Wind genau von hinten kommt. Sven, Maschinenbauer, Erfinder, der am Ruder steht, ist genauso fasziniert von dieser Welt wie ich. Er nähert sich ihr aber anders, erzählt im Grau, im Schwanken des Schiffes von Sir Isaac Newton und dessen Versuch, alles, alles, was er sah, in Mathematik zu übersetzen, das Fallen eines Blattes an einem Herbstbaum, vielleicht auch das Brechen eines Wellenkammes Kilometer weit draußen auf dem Meer, während der Wind weht. Zahlen. Und dazwischen LEVJE, mein Schiff, das sich durch diese Welt bewegt, die in Bruchteilen von Sekunden eine andere Form annimmt und doch die gleiche bleibt und in jeder Sekunde Aufmerksamkeit erfordert.

Und während Sven uns weiter durch die Wellen nach Westen bringt, schnappe ich mir im Grau meine Kamera, turne zum Bug und nehme begeistert auf, was ich da sehe, versuche auf meiner innere Festplatte abzuspeichern, was ich da draußen sehe, die aberwitzige Schönheit dieser Welt, damit ich ich diese Schönheit immer, immer wieder abrufen kann in Zukunft, in irgendwelchen Situationen, wo ich mich erinnern möchte, mir dies in Erinnerung rufen möchte, wie faszinierend diese Welt hier draußen ist.

Mehr als eine Stunde versuche ich, die Landschaften da draußen zu fotografieren, zu filmen festzuhalten irgendwie. Dann bin ich dran mit meiner Wache, löse Sven ab, wir lassen Tino weiter schlafen. Sven geht nach unten ins Geklapper, ins Schwanken, fällt in seine Koje, hundemüde, und weg. Und ich: bin allein mit dieser Welt, am Ruder, Schönheit und Gefährlichkeit, Lebensfeindlichkeit und Fülle, Kargheit und Reichtum, die mich umgeben.

Es ist Abend geworden. Sven und ich haben uns immer wieder abgelöst, Tino schläft immer noch, fast 16 Stunden liegt er jetzt erschöpft. Und schläft. Sven und ich haben Nachmittags, kurz bevor das Grau in Dämmer übergeht, LEVJE mitten in den Wellen beigedreht, haben im Schwanken die defekte Pinne repariert: Die Reparatur gründlich vorgedacht. Akkubohrer, Werkzeuge, Harz, Härter, Bolzen, Schraubenzieher bereitgelegt. LEVJE kommt mir in diesem Moment vor wie ein U-Boot, ich finde alles auf ihr, denn nichts, nichts wird weggeworfen, keine Schraube, kein alter Bolzen, den kleinsten Rest EPDM habe ich aufgehoben, wer weiß, wofür ich noch mal brauchen kann. Denn in Momenten wie diesen bin ich um alles froh, was irgendwie zur Reparatur beitragen könnte. Als wir alles bereitgelegt haben: Die Genua backgestellt, durch den Wind gesegelt, die Pinne festgebunden. Wellen, die seitwärts auf LEVJE treffen, Regen der einsetzt, draußen, kilometerweit vom Land entfernt, gerade als wir anfangen wollen mit der Reparatur. In Windeseile bohrt Sven zwei neue Löcher in die Pinne  und setzt dicke Stahlbolzen ein, es hat keine Viertelstunde gedauert, Sven ist Meister in diesen Dingen, mit ihm habe ich schon ganz andere Abenteuer erlebt. Dann: funktioniert der Autopilot wieder, die Bolzen halten den Autopiloten, wir können ihm jetzt wieder für die Nacht die Arbeit des Steuerns überlassen.

Gerade rechtzeitig. Denn als die Dämmerung kommt, wird die Welt zu einem lichtlosen Grau, noch stärkerer Regen setzt ein, und weil er von hinten kommt, weht er herein ins Schiff bis zum Kartentisch. Sven, der gerade Wache hat, krümmt sich unter die Sprayhood, nach einer Weile gibt er auf, entnervt von Starkwind und Regen, der ihm ins Gesicht peitscht, Sven, der immer die Nerven behält, ist jetzt entnervt, geht schweigend durchs schwankende Boot zu seiner Koje, läßt sich fallen. Ich schaue durch  LEVJE’s Seitenfenster: Lichtloses Grau in Grau. Regen, der gegen die Scheiben prasselt. Ich bin jetztzwar  warm und trocken, und der Autopilot steuert LEVJE zuverlässig in die heranbrechende Nacht. Aber Zustand ist das keiner: Niemand an Deck, keiner auf Wache, der Wind der auffrischt und LEVJE mehr und mehr durchs Grau schlingern, taumeln, schwanken läßt. Nein, ich muss da hoch, auch wenn es mich Überwindung kostet, ich muss da raus und Wache gehen, während die beiden tief schlafen. Mit etwas mulmigem Gefühl ziehe ich meine Schwerwetter-Sachen an, gehe nach draußen, nach oben. In einem früheren Beitrag schrieb ich über die Angst, schrieb darüber, dass es ein zuverlässiges Rezept gibt dagegen: Einfach Nachsehen gehen, dem ins Auge sehen, was einem Angst macht. Aber manchmal ist das schon ganz schön schwer, es kostet Überwindung. Als ich an Deck bin, schaue ich mich um. Das Grau ist nun ein Dunkelgrau, der prasselnde Regen ist in feinen Niesel übergegangen. irgendwo rechts die Küste, es weht zwischen 30 und über 35 Knoten, die Wellen rollen aus der Tiefe des Golfs von Tarent entsprechend an. „Nachsehen gehen!“ Ich nehme das Ruder in die Hand, hänge den Autopiloten aus, versuche von Hand zu steuern, einen Anhaltspunkt zu finden, nach dem ich LEVJE weiter und besser als der Autopilot auf ihrem Kurs halten kann. Nach einer Viertelstunde habe ich den Bogen raus, habe mir auf LEVJEs kleinem Kompass eine Ecke gemerkt. Werde keck, habe mir in meiner Umgebung ein Instrument geschaffen, nach dem ich in der orientierungslosen Wellenlandschaft im Dämmer meinen Kurs steuern und halten kann.

Cap Spartivento. Der Golfo di Squillace liegt nun hinter uns. 

„Il Golfo di Squillace 
al marinaio non da pace.“

Frei übersetzt: „Der Golf von Squillace, er läßt dem Seemann keine Ruh’“. 

Aber anders als vor zehn Jahren, als ich diese Ecke zum ersten Mal nachts passierte, lassen Wind und Strom nun nach. Die Wellen kommen gleichförmiger, die Küste sorgt dafür, dass sie parallel kommen, nicht mehr das wirbelnde Durcheinander aus dem Golf von Tarent. LEVJE liegt ruhiger am Ruder, ich lasse Sie nun wieder unter Autopilot laufen, und wir: wir nähern uns nun langsam der Straße von Messina. Ruhiger wird es, noch ruhiger, und als die Nacht kommt, klart der Himmel vollständig auf. Ich segle nun unter einem sanften Vierer und sternklarem Himmel vor mich hin. Vor mir am Horizont überzieht sich der Horizont erst mit schwachem Lichtschein, dann sind einzelne Lichter zu erkennen: Sizilien. 

„Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen?
… Kennst Du es wohl?
Dahin, dahin,
will ich mit Dir, oh mein Geliebter, ziehen.“

Goethe’s Mignon singt dieses Lied. Und während mir die alten Zeilen aus WILHELM MEISTER irgendwie einfallen, schaue ich hinauf in die sternklare Nacht, wo Sternschnuppe auf Sternschnuppe fällt, zehn, zwanzig, dreißig zähle ich in dieser Nacht, ich weiß gar nicht mehr, was ich mir wünschen könnte. Fast ist es jetzt im späten Oktober wie in den „Notte di San Lorenzo“ mitten im August, in den Nächten der „stelle cadenti“, der fallenden Sterne. So klar ist die Nacht nach dem 36 Stunden dauernden Schlechtwetter, dass es kein Ende nimmt mit den Sternschnuppen über mir. Und weil das alles so schön ist, weil ich wach bin, lasse ich die anderen beiden schlafen. Je mehr Ruhe sie jetzt finden, desto länger werde später ich ruhen, schlafen können. Also halte ich durch, versuche vor mir in den Lichtern an der Küste voraus den Ätna zu erkennen, und seine Dampffahne, in über 3.000 Meter Höhe. Aber er bleibt dunkel, verbirgt sich vor mir, selbst in den Blitzen nördlich von ihm. 

Von halb sechs bis gegen halb eins gehe ich Wache, dann wecke ich Sven. Das italienische Festland liegt weit hinter uns, Sizilien vor uns, wir haben es fast geschafft. Und während sich Sven auf Fähren und Frachter einstellt, die quer zu uns durch die Straße von Messina ziehen, während nordwestlich von uns über Milazzo Blitze den Himmel erhellen und ein Gewitter nach Osten zieht in die Richtung, aus der wir kommen, gehe ich schlafen. Todmüde. Zufrieden. Und mit jenem dümmlichen Grinsen im Gesicht, das der hat, dem an unwirtlichem Ort unverhofft unbändiges Glücksgefühl zuteil wurde.

Im nächsten Post: Ankunft in Catania. Und: Wie ist das eigentlich, in Sizilien und seinen Häfen?

Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.


                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.

Mehr erfahren. Filmtrailer ansehen. Bestellen. Hier.

Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München – Antalya, bitte. 
Das Buch: Mehr erfahren: Hier.

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Unter Segeln von Korfu nach Sizilien: Tag 6: Weit weit draußen, zweiNächte und einen Tag.

Diese Artikelreihe handelt von meiner Reise in der zweiten Oktoberhälfte 2015 von Korfu nach Sizilien. In den vorangegangenen Posts beschrieb ich die Reise von Korfu’s Hauptstadt Kerkyra durch die Nacht nach Santa Maria di Leuca ganz an den äußersten Absatz des italienischen Stiefels. Im letzten Post die Abfahrt von Santa Maria di Leuca nach Catania und wie mitten in der Nacht eine gebrochene Schraube zum Ausfall des Autopiloten führte.

Zu den Besonderheiten des Reisens gehört, mir vor jeder Reise auszumalen, was alles schiefgehen kann. Bevor eine Reise beginnt, setzt in mir leichtes Grummeln ein:
Bin ich wirklich vorbereitet auf alles?
Werde ich achtsam genug sein? 
Bin ich vorbereitet, jede Situation da draußen auf dem Meer zu meistern? 
Oder: wird etwas geschehen, das stärker ist als ich? 
Das Motto meines Blogs „Die Abenteuer beginnen, wenn wir unser Zuhause verlassen“, es beschreibt nicht nur die Freude am Unbekannten, sondern eben auch dies.

Gegen zwei Uhr Nachts war die Halterung des Autopiloten an der Pinne gebrochen. Für einen Moment trieben ohne Ruderwirkung in den Wellen. Null Sicht. Dichte Wolkendecke. Natürlich war das alles wieder passiert, als der Wind am kraftvollsten geweht hatte, als er aufgefrischt und LEVJE auf einer Welle mit fast 10 Knoten durch die Nacht dahingeschossen war. Ein bleistiftdicker Edelstahl-Bolzen war gebrochen, einfach so. Die Kräfte waren zu stark gewesen. Von jetzt an hieß es: Steuern per Hand, durch die Nacht.

Weil Tino’s Wache vorüber war, übernahm ich das Ruder. Ich war müde. Kaum Schlaf vorher. Wir waren kurz nach 18 Uhr aufgebrochen in Santa Maria di Leuca, Wind und Welle kamen seit Stunden genau von achtern und hatten LEVJE durch die Wellen geigen lassen in einer gewaltigen dreidimensionalen Bewegung, in der zumindest bei mir an Schlaf nicht zu denken war. Nur ein leichtes Dösen hatte sich eingestellt während meiner wachfreien Zeit, während Sven und danach sein Sohn Tino LEVJE nach Westen gesegelt hatten. 

Die ersten Minuten am Steuer versuchte ich mich zu orientieren. Wir hatten jetzt den Golf von Tarent halb überquert, waren jetzt etwa in der Mitte des . Der Lichtschein hinter uns von Santa Maria di Leuca und Gallipoli war verschwunden, das Licht des Leuchtturms, der 25 Seemeilen in die Nacht leuchtet, war nicht mehr zu sehen. Rechts vor mir, im Dunkel, ein schwacher Lichtschein, das mußte Crotone sein. Davor, mitten im Schwarz, ein gleißend heller Scheinwerfer, der mich blendete. Mitten auf dem Meer ein riesiger Scheinwerfer, ein irritierendes Etwas, bis mir Tino erklärt hatte, dass ihn ein Schleppverband überholt hatte, drei weiße Lichter übereinander, und quälend langsam an uns vorbeigezogen war, Kurs Crotone. Auf dem letzten Schiff, um es kenntlich zu machen und gegen alle Regeln: Ein strahlend heller Scheinwerfer, nach hinten. Nach Nordwesten zu blicken, war also keine gute Idee. Und doch war der Scheinwerfer eine große Hilfe, um mich einzusteuern. Wenn ich so steuerte, dass ich ihn genau hinter den Steuerbord-Wanten behielt: Dann steuerte ich genau Kurs auf Catania, unserem Ziel auf Sizilien. Also los. Schöne Idee. Aber zunächst machten mir die großen Wellen einen Strich durch die Rechnung. Sie kamen schräg von hinten. Trafen zuerst LEVJE’s Heck und drückten es, wenn ich nicht gleich Ruder legte, zur Seite, der Bug drehte sich damit höher in den Wind, wir beschleunigten plötzlich auf Halbwind-Kurs noch einmal, legten uns zur Seite, ich zog mit aller Kraft an der Pinne, um das Boot wieder auf Kurs zu bringen, abfallen zu lassen, die Pinne ächzte, gleichzeitig zog die nächste Welle unter uns hindurch, LEVJE geigte, von liiiiiinks nach reeeeeeeeechts und wieder nach liiiiiiiiiiinks und wieder nach reeeeeeechts. Und immer so weiter. Das große Geigen und Schaukeln in der achterlichen Welle, es hielt weiter an, hörte für einen Moment nur auf, wenn mir LEVJE unfreiwillig wieder anluvte, gegen alle Absicht, und ich sie mit Mühe wieder auf den alten Kurs brachte. 

Nach eineinhalb Stunden, gegen drei Uhr Morgens, war ich müde. Richtig richtig müde. Meine Wache: Noch eineinhalb Stunden. Ich begann mit den alten Tricks gegen die Müdigkeit. Wasser trinken. Nicht einfach, mit nur nur einer Hand die Flasche zu öffnen, zu trinken, wieder zuzudrehen; die andere Hand mußte ja an der Pinne bleiben. Auf die Zunge beißen, abwechselnd, immer wieder. Aufstehen, auf dem schwankenden Deck im Stehen steuern. Ein Lied pfeiffen. Müdigkeit, von zuwenig Schlaf, von zuviel Schwanken, vom Unterwegssein in einer Umgebung, die nur aus Bewegung bestand. Wellen, die hinter mir im Dunkel heranrauschten, so dass ich hinaufsehen musste, kurz bevor sie LEVJEs Heck erreichten. Zur Sicherheit hatte ich das Steckschot am Niedergang eingesteckt, es war beeindruckend, wie Wellen links und rechts von LEVJE brachen. Die Müdigkeit, das eine. Die Schönheit der Elemente, das andere. Wenn ich in die Nacht hörte, durch die wir dahin rauschten, glaubte ich, im gewaltigen Rauschen die regelmäßigen Atemzüge eines Lebewesens zu hören, das rhythmische Atmen eines Delphins, der neben uns herschwamm. Oder eines Wals. Aber es war nur das Atmen des Meeres, das ich vernahm, im Rauschen der Wellen, im Wehen des Windes das Geräusch eines großartigen Lebewesens, das da ein und ausatmete: das Meer.

Halb fünf. Noch eine halbe Stunde Wache. Wieder eine Böe, eine Welle, die LEVJE’s Heck ausbrechen ließ, wieder meine Mühe, mit aller Kraft die Pinne wieder heranzuziehen, LEVJE wieder auf Kurs zu bringen. Hinter mir, langsam aus dem Dunkel aufsteigend, der hellste Stern, die Venus, die mich immer foppt, weil ich sie für das Topplicht eines Seglers halte, der hinter mir heransegelt. Ein Zeichen, dass die Dunkelheit bald ein Ende hat und der Morgen naht. Unten höre ich Geklapper. Sven schält sich aus seiner Koje. Ich sehe, wie er sich im Dämmer des Notlichts unter Deck langsam anzieht. Wasserdichte Hose. Segeljacke. Schwimmweste. Lifebelt. Alles nicht einfach, in LEVJE’s gewaltigem Schwanken, im Geigen und sich Schrauben durch die Wellen. Ein ums andere Mal muss Sven sich festkrallen unter Deck, irgendwo, wo er gerade Halt findet, um nicht umgeworfen zu werden. Eine Welt, die eine andere ist. Dann steht er an Deck, ich erzähle ihm, was passiert ist, er besieht sich den Schaden und übernimmt dann das Ruder. Und ich: falle vor Müdigkeit fast LEVJE’s Niedergang hinunter, schäle mich mühselig im schwankenden Dunkel aus meinen Klamotten, den Stiefeln, der salzigen Schwerwetterhose, Jacke, Pullover, Unterwäsche, Hemd. Ich taumle im Schwanken noch ins Bad, eine plötzliche Bewegung LEVJEs drückt mich mit dem Kopf voraus an die Bordwand, mühsam schaffe ich es, mir die Hände zu waschen, das Salz abzuwaschen von den Händen, aus dem Bart. Ahhhh, kaltes Süßwasser statt lauwarmes Salzwasser, das übers Cockpit spritzt, wenn die Wellen an LEVJE’s Heck kraftvoll brechen, kaltes Süsswasser, ein Gedicht. Dann kämpfe ich mich nach Vorne in LEVJE’s Bug, dorthin, wo Sven schlief, ich schlafe jetzt in seiner Koje, denn Tino schläft in meiner, drei Männer und nur zwei Kojen, da ist das einfach so, wir wechseln durch. Kaum dass ich liege und den Kopf an der Bordwand habe, dort wo das Wasser außen an LEVJE entlangströmt, bin ich diesmal auch schon weg. Ich brauche keinen Moment, um einzuschlafen, Schlaf, der wie watteweiches Blei auf mich fällt. Und weg.

Am Morgen. Ich schlafe nicht länger als eineinhalb, zwei Stunden, obwohl meine wachfreie Zeit eigentlich sechs Stunden ist. Ein eigener Rhytmus stellt sich ein, zwei Stunden reichen, damit ich mich fit fühle. Das Dunkel hat dem Grau Platz gemacht, graue Wolken, die über den Himmel ziehen, Wellen, die von hinten heranrollen, vom Golf von Tarent. LEVJE, die von den Wellenhängen hinuntersurft, eine weiße Gischtspur hinterlassend, kurz beschleunigend auf acht, neun, fast zehn Knoten, ein kleines Schiff, dessen rechnerisch maximale Rumpfgeschwindigkeit gerade mal bei 7,2 Knoten liegt. Wir sind schnell unterwegs, sehr schnell. Wenn es so weitergeht, schaffen wir ein Etmal von fast 140 Seemeilen. Ein Etmal: Die Distanz, die ein Schiff in 24 Stunden zurücklegt. Und 140 Seemeilen in 24 Stunden, über 250 Kilometer auf einem Schiff von 9,40 Meter Länge: Das kann sich sehen lassen.

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Die Zahlen: sie sind das eine. Das Andere ist die Schönheit dieser Welt im Grau des Morgens. Das Land ist weit weit weg, irgendwo rechts ein schmaler Strich zwischen Meer und Himmel. Ein Strich wie der zwischen zwei Lippen. Statt Land: Berge und Täler aus Wasser, die LEVJE umgeben. Fliegende Fische, die hundert Meter weit die wanderenden Täler entlangschwirren auf schnell schlagenden Brustflossen, aufgeschreckt von LEVJEs Rumpf, unendlich geschickte Segler die Täler entlang. Schaumkronen von brechenden Wellen links, rechts, hinter uns, und kurz bevor sie brechen, leuchtet ihre Spitze flaschengrün im Licht der wolkenverhangenen Sonne hinter uns, sie sehen aus wie durchscheinendes Glas, wenn wir hinaufschauen, leuchtendes Glas unter brechenden weißen Kämmen, vergänglich, schnell. Wind, der LEVJE’s Genua füllt, das Segel, einen Moment zum Zerreissen gespannt, den nächsten schlapp sich krümmend, windend, wickelnd, wenn der Wind genau von hinten kommt. Sven, Maschinenbauer, Erfinder, der am Ruder steht, ist genauso fasziniert von dieser Welt wie ich. Er nähert sich ihr aber anders, erzählt im Grau, im Schwanken des Schiffes von Sir Isaac Newton und dessen Versuch, alles, alles, was er sah, in Mathematik zu übersetzen, das Fallen eines Blattes an einem Herbstbaum, vielleicht auch das Brechen eines Wellenkammes Kilometer weit draußen auf dem Meer, während der Wind weht. Zahlen. Und dazwischen LEVJE, mein Schiff, das sich durch diese Welt bewegt, die in Bruchteilen von Sekunden eine andere Form annimmt und doch die gleiche bleibt und in jeder Sekunde Aufmerksamkeit erfordert.

Und während Sven uns weiter durch die Wellen nach Westen bringt, schnappe ich mir im Grau meine Kamera, turne zum Bug und nehme begeistert auf, was ich da sehe, versuche auf meiner innere Festplatte abzuspeichern, was ich da draußen sehe, die aberwitzige Schönheit dieser Welt, damit ich ich diese Schönheit immer, immer wieder abrufen kann in Zukunft, in irgendwelchen Situationen, wo ich mich erinnern möchte, mir dies in Erinnerung rufen möchte, wie faszinierend diese Welt hier draußen ist.

Mehr als eine Stunde versuche ich, die Landschaften da draußen zu fotografieren, zu filmen festzuhalten irgendwie. Dann bin ich dran mit meiner Wache, löse Sven ab, wir lassen Tino weiter schlafen. Sven geht nach unten ins Geklapper, ins Schwanken, fällt in seine Koje, hundemüde, und weg. Und ich: bin allein mit dieser Welt, am Ruder, Schönheit und Gefährlichkeit, Lebensfeindlichkeit und Fülle, Kargheit und Reichtum, die mich umgeben.

Es ist Abend geworden. Sven und ich haben uns immer wieder abgelöst, Tino schläft immer noch, fast 16 Stunden liegt er jetzt erschöpft. Und schläft. Sven und ich haben Nachmittags, kurz bevor das Grau in Dämmer übergeht, LEVJE mitten in den Wellen beigedreht, haben im Schwanken die defekte Pinne repariert: Die Reparatur gründlich vorgedacht. Akkubohrer, Werkzeuge, Harz, Härter, Bolzen, Schraubenzieher bereitgelegt. LEVJE kommt mir in diesem Moment vor wie ein U-Boot, ich finde alles auf ihr, denn nichts, nichts wird weggeworfen, keine Schraube, kein alter Bolzen, den kleinsten Rest EPDM habe ich aufgehoben, wer weiß, wofür ich noch mal brauchen kann. Denn in Momenten wie diesen bin ich um alles froh, was irgendwie zur Reparatur beitragen könnte. Als wir alles bereitgelegt haben: Die Genua backgestellt, durch den Wind gesegelt, die Pinne festgebunden. Wellen, die seitwärts auf LEVJE treffen, Regen der einsetzt, draußen, kilometerweit vom Land entfernt, gerade als wir anfangen wollen mit der Reparatur. In Windeseile bohrt Sven zwei neue Löcher in die Pinne  und setzt dicke Stahlbolzen ein, es hat keine Viertelstunde gedauert, Sven ist Meister in diesen Dingen, mit ihm habe ich schon ganz andere Abenteuer erlebt. Dann: funktioniert der Autopilot wieder, die Bolzen halten den Autopiloten, wir können ihm jetzt wieder für die Nacht die Arbeit des Steuerns überlassen.

Gerade rechtzeitig. Denn als die Dämmerung kommt, wird die Welt zu einem lichtlosen Grau, noch stärkerer Regen setzt ein, und weil er von hinten kommt, weht er herein ins Schiff bis zum Kartentisch. Sven, der gerade Wache hat, krümmt sich unter die Sprayhood, nach einer Weile gibt er auf, entnervt von Starkwind und Regen, der ihm ins Gesicht peitscht, Sven, der immer die Nerven behält, ist jetzt entnervt, geht schweigend durchs schwankende Boot zu seiner Koje, läßt sich fallen. Ich schaue durch  LEVJE’s Seitenfenster: Lichtloses Grau in Grau. Regen, der gegen die Scheiben prasselt. Ich bin jetztzwar  warm und trocken, und der Autopilot steuert LEVJE zuverlässig in die heranbrechende Nacht. Aber Zustand ist das keiner: Niemand an Deck, keiner auf Wache, der Wind der auffrischt und LEVJE mehr und mehr durchs Grau schlingern, taumeln, schwanken läßt. Nein, ich muss da hoch, auch wenn es mich Überwindung kostet, ich muss da raus und Wache gehen, während die beiden tief schlafen. Mit etwas mulmigem Gefühl ziehe ich meine Schwerwetter-Sachen an, gehe nach draußen, nach oben. In einem früheren Beitrag schrieb ich über die Angst, schrieb darüber, dass es ein zuverlässiges Rezept gibt dagegen: Einfach Nachsehen gehen, dem ins Auge sehen, was einem Angst macht. Aber manchmal ist das schon ganz schön schwer, es kostet Überwindung. Als ich an Deck bin, schaue ich mich um. Das Grau ist nun ein Dunkelgrau, der prasselnde Regen ist in feinen Niesel übergegangen. irgendwo rechts die Küste, es weht zwischen 30 und über 35 Knoten, die Wellen rollen aus der Tiefe des Golfs von Tarent entsprechend an. „Nachsehen gehen!“ Ich nehme das Ruder in die Hand, hänge den Autopiloten aus, versuche von Hand zu steuern, einen Anhaltspunkt zu finden, nach dem ich LEVJE weiter und besser als der Autopilot auf ihrem Kurs halten kann. Nach einer Viertelstunde habe ich den Bogen raus, habe mir auf LEVJEs kleinem Kompass eine Ecke gemerkt. Werde keck, habe mir in meiner Umgebung ein Instrument geschaffen, nach dem ich in der orientierungslosen Wellenlandschaft im Dämmer meinen Kurs steuern und halten kann.

Cap Spartivento. Der Golfo di Squillace liegt nun hinter uns. 

„Il Golfo di Squillace 
al marinaio non da pace.“

Frei übersetzt: „Der Golf von Squillace, er läßt dem Seemann keine Ruh’“. 

Aber anders als vor zehn Jahren, als ich diese Ecke zum ersten Mal nachts passierte, lassen Wind und Strom nun nach. Die Wellen kommen gleichförmiger, die Küste sorgt dafür, dass sie parallel kommen, nicht mehr das wirbelnde Durcheinander aus dem Golf von Tarent. LEVJE liegt ruhiger am Ruder, ich lasse Sie nun wieder unter Autopilot laufen, und wir: wir nähern uns nun langsam der Straße von Messina. Ruhiger wird es, noch ruhiger, und als die Nacht kommt, klart der Himmel vollständig auf. Ich segle nun unter einem sanften Vierer und sternklarem Himmel vor mich hin. Vor mir am Horizont überzieht sich der Horizont erst mit schwachem Lichtschein, dann sind einzelne Lichter zu erkennen: Sizilien. 

„Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen?
… Kennst Du es wohl?
Dahin, dahin,
will ich mit Dir, oh mein Geliebter, ziehen.“

Goethe’s Mignon singt dieses Lied. Und während mir die alten Zeilen aus WILHELM MEISTER irgendwie einfallen, schaue ich hinauf in die sternklare Nacht, wo Sternschnuppe auf Sternschnuppe fällt, zehn, zwanzig, dreißig zähle ich in dieser Nacht, ich weiß gar nicht mehr, was ich mir wünschen könnte. Fast ist es jetzt im späten Oktober wie in den „Notte di San Lorenzo“ mitten im August, in den Nächten der „stelle cadenti“, der fallenden Sterne. So klar ist die Nacht nach dem 36 Stunden dauernden Schlechtwetter, dass es kein Ende nimmt mit den Sternschnuppen über mir. Und weil das alles so schön ist, weil ich wach bin, lasse ich die anderen beiden schlafen. Je mehr Ruhe sie jetzt finden, desto länger werde später ich ruhen, schlafen können. Also halte ich durch, versuche vor mir in den Lichtern an der Küste voraus den Ätna zu erkennen, und seine Dampffahne, in über 3.000 Meter Höhe. Aber er bleibt dunkel, verbirgt sich vor mir, selbst in den Blitzen nördlich von ihm. 

Von halb sechs bis gegen halb eins gehe ich Wache, dann wecke ich Sven. Das italienische Festland liegt weit hinter uns, Sizilien vor uns, wir haben es fast geschafft. Und während sich Sven auf Fähren und Frachter einstellt, die quer zu uns durch die Straße von Messina ziehen, während nordwestlich von uns über Milazzo Blitze den Himmel erhellen und ein Gewitter nach Osten zieht in die Richtung, aus der wir kommen, gehe ich schlafen. Todmüde. Zufrieden. Und mit jenem dümmlichen Grinsen im Gesicht, das der hat, dem an unwirtlichem Ort unverhofft unbändiges Glücksgefühl zuteil wurde.

Im nächsten Post: Ankunft in Catania. Und: Wie ist das eigentlich, in Sizilien und seinen Häfen?

Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.


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Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.

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Der Film entstand nach diesem Buch: 
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Einmal München – Antalya, bitte. 
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Unter Segeln von Korfu nach Sizilien: Tag 5: Schwankend durch die stürmische Nacht. Im Golf von Tarent.

Diese Artikelreihe beschreibt meine Reise in der zweiten Oktoberhälfte 2015 von Korfu nach Sizilien. In den vorangegangenen Artikeln schrieb ich über die Reise von Korfu’s Hauptstadt Kerkyra durch die Nacht nach Santa Maria di Leuca an den äußersten Absatz des italienischen Stiefels. Im folgenden die 40 Stunden von Santa Maria di Leuca nach Catania.
 
Reisebeschreibung ganz von Anfang an Lesen: Nach unten scrollen.

Und dann: ist es plötzlich da, das Wetter, auf das wir gewartet hatten. Am späten Nachmittag waren Gewitter über dem Golf von Tarent aufgetaucht und östlich gezogen. Sie hatten die Sonnentage verscheucht und Wolken und Platzregen gebracht. Mit den Gewittern war der Wind auf Nordost gesprungen, und kaum ließ der Regen nach, vor dem wir uns in LEVJEs Inneres geflüchtet hatten, da krabbelten wir wie die Maikäferlarven im Frühling aus LEVJEs Bauch, schauten in die wolkenschwere Abenddämmerung, legten ab und segelten los, dahin, wo irgendwo im Dämmerlicht die Sonne versank, nach Westen.
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40 spannende Geschichten, wie es ist, im Gewitter zu Segeln:

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Kaum war das letzte Licht der Sonne weg, war nichts mehr zu sehen. Kuhnacht. Nur eine dichte Wolkendecke über uns, hinter der irgendwo der Mond steckte, und das rotgrüne Buglicht vor uns, das die Schaumkronen leuchtend grün färbte, wenn sie unter LEVJE hindurchrauschend vorne am Bug ankamen und danach wieder im Dunkel verschwanden. Der Wind legte zu, je weiter wir uns von Santa Maria di Leuca entfernten, er kam genau von hinten, und das machte das Segeln ungemütlich. Denn nicht nur der Wind, auch die Wellen nahmen mit jedem Meter von der Küste weg zu. Nur wenige Meter hinter dem Hafen hatten wir die Genua gesetzt, das große Vorsegel, das Groß blieb drin, zu wackelig war der Kurs, ich wollte trotz Baumbremse mit LEVJE im Dunkel keine Patenthalse riskieren. LEVJE beschleunigte zuerst auf fünf Knoten, später auf sieben, dann auf acht oder gar neun, wenn im Dunkel die großen Wellen aus dem Golf von Tarent heranrauschten, ihr Heck packten und das ganze Schiff zu drehen, aus seinem Kurs zu bringen versuchten.
Segeln auf einem Boot mit achterlichem Starkwind: Das ist für jedes Boot ein anstrengender Kurs, erst recht, wenn das Großsegel drin bleiben muss. Der Wind von hinten lässt LEVJE in den Wellen geigen, sie schaukelt von liiiiinks langsam nach reeeeeechts, und dann wieder nach liiiiiiiinks und dann wieder nach reeeeeeeechts. Unter Deck beginnt das Konzert: Die Gläser im Gläserschapp klirren erbärmlich, ein Schott beginnt rythmisch zu knarzen, immer wenn LEVJE sich auf eine Seite legt, das feine, langsame Strömen des Wassers, das nur wenige Zentimeter von meinem Kopf entfernt an LEVJEs kartondünner Außenwand entlangströmt, während ich versuche, ein Auge zuzumachen. Alles schwingt, wackelt, kullert im schwachen Schein des Arbeitslichts und der beiden Lampions unter Deck, die Tomaten vorne im Obstnetz haben sich ungefragt Ausgang gegeben und kullern nun mit allem, was auf dem Kartentisch lag, über den Schiffsboden, Bleistifte, W-LAN-Router, ein paar Schrauben, Papiere, meine Blocks, eine Flasche Wasser, eine der Taschenlampen, die Salonkissen, mein blaues Tuch, die Tube Sekundenkleber, dies und das. Im Nu ist LEVJE im Dunkel unter Deck in den Zustand eines existenziellen Chaos übergegangen: Nasse Segeljacken, Wäscheteile auf den Salonbänken, Seestiefel und halbfeuchte Segelschuhe, die sich dem Kullern der Tomaten begeistert anschließen, nur der Brotlaib kuckt vom Obstnetz noch ruhig schaukelnd dem Treiben unter ihm zu. Liiiiiiiiiinks, reeeeeechts, liiiiiiiiiiiinks, reeeeeeeechts, liiiiiiiinks, reeeeeeeechts. Gleichzeitig das Drehen, wenn eine Welle LEVJEs Heck hart erfasst und sie plötzlich um 45, 60 Grad aus ihrem Kurs reißt, das Heck gewaltig anhebt, unter LEVJE hindurchgeht und zuletzt das Heck im Wellental zurückläßt, während der Bug sich in den Himmel richtet. Meine Welt, LEVJEs Deck, ihr Salon, die Kojen unter Deck: alles ist in einer dreidimensional wiegenden, sich vorwärts schraubenden Bewegung begriffen, in der jede eigene Bewegung nicht nur Kraftakt bedeutet, sondern aufrechter Gang zu ungelenkem Stolpern, Schlittern, zu einem schlagartigen irgendwo Halt suchen, sich festkrallen wird, weil LEVJEs Bewegung in der achterlichen Welle mal wieder unvorhersehbar war. Es ist: Eine Welt, die nur noch aus Bewegung besteht, vielleicht war ja das der wirkliche Grund, was Jules Verne seinem Kapitän Nemo als Motto für seine NAUTILUS eingab: „Mobilis in Mobili“, beweglich im Beweglichen.

All dies im Dunkel, und fast ohne Sicht. Wir haben uns in Wachen eingeteilt: Sven übernahm die erste, sein Sohn Tino die zweite, bis etwa zwei Stunden nach Mitternacht, und dann von morgens um zwei bis fünf Uhr meine. Ich versuche zu schlafen, während Sven oben aufpasst. Wache gehen, das bedeutet: Aufpassen, das LEVJE auf ihrem Kurs bleibt. Aufpassen, das nicht eines der anderen Schiffe um uns im Dunkel, Frachter, Tanker, Fähren, Segler, die in der Nacht den Golf von Tarent ebenso queren wie wir, plötzlich auf Kollisionskurs mit uns gerät. Und Aufpassen, dass alles auf LEVJE weiter funktioniert: Der Autopilot seinen Dienst versieht, der Arme, der bei diesem Kurs wirklich rackert. Dass das Segel richtig steht. Während Sven also oben aufpasst, versuche ich, so schnell wie möglich einzuschlafen, ein Auge zuzumachen. Es geht nicht. Ähnlich wie der ganze andere Kram, rutsche, kullere ich bei jeder Schiffsbewegung auf meiner Matratze von Liiiiiiiinks nach Reeeeeechts und wieder zurück, begleitet von plötzlich heftigen Eintauchen auf die Matratze und wieder schwerelos Abheben, wenn die großen Wellen unter LEVJE hindurchlaufen. Als LEVJE sich in der Welle weit nach Backbord hinüberneigt, kommen mir alle meine Pullover, Hosen, Bücher aus dem rechten Teil des Schiffes entgegengeflogen, ein Schwall von Sachen, die mich unter sich begraben, noch ist meine Energie so groß, dass ich mich aufrichte. Und alles wieder an seinen Platz räume im Hin und Her. Als ich endlich einschlafe, ist Svens halbe Wache vorbei, mehr als ein Dösen, in dem mein Körper jede Welle fühlt, ist nicht drin. Es ist eine Welt, schaurig und schön zugleich. Schaurig, weil diese Welt sich all dem, was ich mit persönlichem Wohlbehagen verbinde, widerspricht und mit allen Kräften vehement widersetzt. Und schön, weil man den Elementen so unglaublich nah ist: Dem leisen Fließen der Wellen entlang an LEVJEs Bordwand, nur wenige Zentimeter von meinem Kopf entfernt. Dem Gluckern von 2.390 Meter Wassersäule unter mir mit allem Leben, das darin wohnt in einer Welt, die ich nur erahnen kann, die uns vollkommen fremd ist. Dem Wind, der LEVJE mit der Geschwindigkeit eines Marathonläufers Stunde um Stunde zuverlässig durch die Wellen treibt.

Als Tino’s Wache um elf beginnt, ist es mit meinem Dösen und Träumen vorbei. Tino ist 19, viel mit Sven, seinem Vater gefahren. Aber er ist zum ersten Mal auf LEVJE, er kennt das Boot noch nicht, weiß noch nicht, wo er im Geschaukel am besten seinen Lifebelt einklinkt, wo er die Kompassbeleuchtung im Fernglas anschaltet, um die anderen Schiffe im Dunkel zu beobachten. Tatsächlich hat die Batterie im Fernglas, die in den vergangenen Tagen noch ging, ihren Geist aufgegeben, dann also die alte Methode, mit dem Peilkompass, um festzustellen, wo sich ein Frachter hin bewegt. Drei Mal stehe ich während Tino’s Wache auf, beim dritten Mal ist es richtig ernst: Plötzlich nimmt das Heulen und Pfeiffen zu, LEVJE hat sich quergelegt in den Wind, die Wellen treffen sie nun breitseits, alles Schwanken ist nun infernalisch, ich springe aus meiner Koje und bin im Nu an Deck: Eben als LEVJE in der Welle auf fast zehn Knoten beschleunigte, brach die Halterung an der Pinne, in die der Autopilot greift. Von einem Moment auf den anderen sind wir ohne Ruderdruck, ohne Steuerung in den Wellen. Der Wind, der LEVJE sofort anluven ließ. Ich hatte die Schrauben im letzten August erneuert, doppelt so starke wie vorgesehen benutzt. Jetzt: ist eine fünf Millimeter starke Edelstahlschraube einfach abgebrochen. Bleistiftdicker Edelstahl hat einfach aufgegeben unter der Last von Wind und Wellen. Und nachts um zwei bleibt nun nichts anderes übrig: als von Hand zu steuern. Klaglos bringt Tino LEVJE wieder vor den Wind, starrt ins Dunkel voraus, während ich unter ihm am Boden liege, den Schaden untersuche und überlege, ob wir eine Reparatur jetzt gleich im Dunkel, unter Segel, im Geschaukel und Geschwanke vornehmen können. Aussichtslos. Jetzt im Dunkel mit Akkuschrauber rumhantieren, das gibt nur Gefummel. Also bleibt uns nichts anderes, als das Ruder wieder selbst in die Hand zu nehmen. Und LEVJE von jetzt an per Hand durch die Wellen zu steuern. Und neben dem Wachegehen nun auch noch das Schiff selber durchs Dunkel zu steuern.

Es ist halb drei Uhr am Morgen, als ich Tino unter Deck schicke. Seine Wache ist vorüber, er soll nun schlafen. Ich setze mich, bewaffnet mit Fernglas, Wasserflasche auf dem schwankenden Deck ans Steuer. Der Wind hat weiter aufgefrischt, es weht jetzt mit sechs, in Böen mehr. Wir sind jetzt mitten auf dem Golf von Tarent, aus dem es von Norden herausbläst.

Mal sehen, was die Nacht bringt, auf dem Meer.

Die Fortsetzung? Am Sonntag. Hier auf Mare Piu…

 

Mit MARE PIU auf die HANSEBOOT: MARE PIU verlost 15 Eintrittskartenunter seinen Lesern.

Am kommenden Samstag, den 31. Oktober beginnt die 54. HANSEBOOT. MARE PIU wird mit aktuellen Beiträgen ab kommenden Mittwoch täglich von der HANSEBOOT berichten. MILLEMARI., der Segelbuch-Verlag, ist auf der HANSEBOOT mit zahlreichen Veranstaltungen dabei: Auf der Bühne stehen zahlreiche MILLEMARI.-Autoren zu den Themen

Gewittersegeln: Susanne Guidera und die Autoren
Leben auf dem Boot: Holger Peterson
Schnell kann jeder. Mit dem Schlauchboot 500 Kilometer segelnd durch Friesland: Sebastian Janotta
Einmal München – Antalya, bitte. Mit Ausschnitten aus dem Film: Thomas Kaesbohrer
Schärensegeln: Klaus Aktoprak, mit Band!
und viele weitere.

Die aktuellen Termine aller MILLEMARI.-Veranstaltungen finden Sie rechts im Kasten sowie im Veranstaltungsprogramm der HANSEBOOT hier.

Für MARE PIU-Leser haben wir ein Kontingent Freikarten gesichert. Und verlosen 15 kostenlose Eintrittskarten für die HANSEBOOT. Wenn Sie die HANSEBOOT also kostenlos besuchen möchten: Schreiben Sie uns einfach rechts außen über das Kontaktformular. Und sie nehmen an der täglichen Verlosung teil. Solange unser Freikarten-Kontingent reicht.

Unter Segeln von Korfu nach Sizilien, Tag 4: Santa Maria di Leuca oder: Flic. Der Hund, der Mathe kann.

Es ist eine verläßliche Größe in meinem Leben, seit ich mit 16 zum ersten Mal in diesem Land war. Und mit vor Staunen über die Schönheit weit geöffnetem Mund stunden-, tagelang durch Gassen und Märkte strich: Meine Begeisterung für Italien. Ich betrete dieses Land mit einem Lächeln und verlasse es mit einem Lächeln, irgendein selbst-hypnotischer Vorgang ist da am Werk, eine unerklärliche Ausschüttung an Glückshormonen, wenn ich durch die Schönheit dieser Sprache und dieses Landes und seiner Küche am streife. Was immer es ist: bin ich hier, verlässt mich das Staunen nie.

Unser Streifzug entlang des Lunghomare von Santa Maria di Leuca führt uns an allerhand Restaurants vorbei, die schon in den Winterschlaf gefallen sind. Tische, Stühle im Inneren aufeinandergestapelt wie von Möbelpackern, keine Neonlampe, die mehr leuchtet, kein Duft von Spaghetti Frutti di Mare, der noch durchs Restaurant zieht, kein Kellner, der an den Tisch heranwedelt und „aqua senza gas“ und Wein herbeibringt. Invernale, Wintersaison. Am Strand ist nur noch der LUPO DI MARE geöffnet, das Restaurant von Giuseppe Petese. Und der empfängt seine Besucher im Restaurant mit den blauen Holzbänken über dem Meer auf vielerlei Arten. Da ist zunächst einmal das Schild am Lunghomare neben dem Eingang. Mit Kreide steht da in großen Buchstaben am Restauranteingang „Fida ti“: „Trau Dich.“ Muss ich mir Sorgen machen?
Dann ist da – zwischen allerhand anderen Raritäten – ein überlebensgroßes Poster an der Wand. Der Hausherr im Smoking, überlebensgroß – und offensichtlich übriggeblieben vom Auftritt in einer Fernseh-Show. Dann eine Tafel mit Rechenaufgaben, mitten im Restaurant. Hoffentlich muss ich jetzt nicht öffentlich Kopfrechnen, bevor ich was zu essen bekomme.

Aber das mit dem Essen klappt untadelig. Als wir mit den Antipasti mare, den Spaghetti mit Meeresfrüchten und dem frischen Schwertfisch endlich fertig sind, macht uns der Hausherr mit seinem Hund „Flic“ bekannt. Giuseppe hat nämlich Flic das Rechnen beigebracht. Und dafür braucht er die Tafel. Flic, der Hund sitzt brav davor. Giuseppe deutet auf die erste Rechenaufgabe: 

2 x 2 + 2 = ? 

Flic kuckt auf sein Herrchen. Dann auf das Leckerli. Dann auf mich. Dann schüttelt er sich, als wolle er all die imaginären Flöhe aus seinem Fell loswerden, blickt treu auf Giuseppe und – bellt. Sechs mal. 

Sapperlott!

2 x 3 + 1 = ?

Das dauert dann schon etwas länger. Irgendwie scheint der Hund im Gegensatz zu Giuseppe zu denken, das man das Leckerli doch auch leichter rüberreichen könne als über die umständliche Rechnerei. Giuseppe lockt und gurrt und balzt, Flic schüttelt sich über all die Kompliziertheit, die menschliches Tun und Denken in die Welt gebracht hat und: bellt schließlich sieben Mal. Bravo!

2 x 5 – 1 : 3 = ?

Jetzt wird es richtig kompliziert. Wer weiß denn von uns noch, wie das war mit „Punkt vor Strich“? Oder müßte da nicht richtigerweise eine Klammer auf der Tafel stehen? Flic ist das alles einerlei, schielt einfach auf das Leckerli und – bellt zwei Mal. „Bravo“ ruft Giuseppe, während wir noch mal kritisch nachrechnen und auf ganz andere Ergebnisse kommen. Egal!

Aber während Giuseppe mit wachsender Begeisterung sich nun der vierten Aufgabe auf der Tafel zuwendet und uns von DOLLARO erzählt, dem Hund, mit dem er samt Rechenkünsten im italienischen Fernsehen auftrat, hören wir es draußen weit im Westen über dem Golf von Tarent zum dritten Mal donnern. Schluß mit lustig! Wir spurten im einsetzenden Gewitterregen den Lungomare hinunter, zurück zu LEVJE, auf der alles sperrangelweit offen steht und die wir gerade noch erreichen, bevor der große Regen einsetzt. Es wird merklich kühler, das schlechte Wetter ist da. Und mit ihm der Nordost, der uns ab heute Abend mit 5-6 Windstärken in zwei Tagen übers Meer wehen soll: Auf direktem Weg nach Sizilien. Nach Catania!

Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.


                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.

Mehr erfahren. Filmtrailer ansehen. Bestellen. Hier.

Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München – Antalya, bitte. 
Das Buch: Mehr erfahren: Hier.

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Unter Segeln von Korfu nach Sizilien, Tag 3: Ganz ganz unten. Am Stiefelabsatz von Italien, in Santa Maria di Leuca.

Beginnen wir bei ganz einfachen Dingen, zum Beispiel beim Blau des Meeres. An diesem Morgen nach dem langen Nachtschlag von Korfu bis hierher, den ich im vorigen Post beschrieb, sind wir unterwegs auf dem menschenleeren Lunghomare, dem Spazierweg von Santa Leuca entlang des Meeres. Ganz links: das Meer. Und während ich jetzt hinausschaue, kann ich nicht anders als festzustellen: Dies eigentümliche Glitzern auf dem Meer: das gibt es so doch nur an einem Ort: das kann doch eigentlich nur in Italien sein. 

Natürlich stimmt das nicht, denn Meeresglitzern ist ja nun überall gleich, egal ob Ägäis oder Atlantik, ob Poros oder Puerto Rico: Meer ist schließlich Meer, und Glitzern ist Glitzern. Und doch: Hätte mir jemand an diesem Morgen nach der langen Überfahrt eine Augenbinde abgenommen und mir das obige Foto gezeigt: Ich hätte ganz sicher auf Italien getippt. 

Am Strand, im Wasser unter dem Lunghomare tummeln sich nur eine Handvoll Unentwegter, nicht mehr, obwohl es doch in dieser Jahreszeit am schönsten ist, am Meer zu sein. Die Lufttemperatur ist bei 21 Grad, das Meer bei 23 Grad, es ist also drinnen im Wasser wärmer als draußen, das konnten wir an diesem Morgen deutlich spüren, als wir uns noch vor dem Einlaufen in den Hafen ins Wasser stürzten. Und doch ist Santa Maria die Leuca herrlich verwaist an diesem Morgen. Im Supermarkt erklärt man uns, dass man heute für ein halbes Jahr schließen würde, die leeren Regale werden gescheuert, kaum, dass man dort noch etwas kaufen kann. Santa Maria lebt im und lebt vom Sommer, wie die meisten Orte am Meer, das ist das eine.

Das andere: Dass dieser Ort offensichtlich eine lange Tradition als Sommerfrische, als Ferienort hat. Denn auf der anderen Seite des Lunghomare reihen sich Ferienvillen und Sommer-Residenzen der anderen Art aneinander. In irgendeiner Phase seiner langen Existenz scheint eine merkwürdige Bauwut in Santa Maria gewütet zu haben. Nein, nicht der Stil des italienischen Futurismo, den ich so sehr liebe, die modernistische italienische Spielart des Bauhaus, sondern hier in Santa Maria di Leuca ein architektonischer Stil-Mischmasch, ein wildes Deklamieren und Zitieren von Baustilen allen Epochen und aller Länder. Als da wären: 

Ein klein wenig orientalisch-muselmanisch unter duftenden KIefern (siehe oben).
Ein klein wenig maurisch:

Ein klein wenig US-amerikanisches White House, ohne Oval Office:

Und dann:

Ein klein wenig von Allem mit rosa Streifen drauf und getoppt von einem Leuchtturm, den der heutige Besitzer nachts von innen mit roter Laterne erhellt. Ein rotes Licht, das in die heranbrechende Nacht über Santa Maria di Leuca leuchtet und mich an die alte Warnung an die Seefahrer denken lässt, auf dem Meer und in Hafenvierteln wachsam zu sein: 

„Nicht immer hält das rote Licht, 
was es dem Fahrensmann verspricht.“ 

Dazu noch die schönen Ochsenaugen im linken und rechten Flügel mit bemerkenswert schön gearbeiteten Fensterläden behängt.

Und weiter findet man:
Ein klein wenig Neugotik (hab ich mir verkniffen, zu fotografieren).
Ein klein wenig Neuromantik (hab ich mir auch verkniffen).
Ein klein wenig Neu-Renaissance.

Alles sieht so aus, als hätten irgendwo zwischen Gründerzeit und erstem Weltkrieg die wohlhabenden Sommerfrischler aus dem nördlichen gelegenen Lecce dazu verführt, genau hier ihrer Lust am Märchenhaften zu frönen und sich in einzigartigen Villenbauten auszutoben, ein Disneyland der Baustile, das sich fröhlich dem Betrachter darbietet. Santa Maria di Leuca, von dem die Legende erzählt, dass hier der Ort war, an dem früher Sirenen von den Klippen herunter die Seefahrer in die Irre gesungen hätten, verwirrt die Sinne heutiger Reisender mit einem herrlich bunten Allerlei alter Sommerresidenzen, von denen die meisten nur darauf warten, aus ihrem Halbschlaf wachgeküsst zu werden. In den leeren Gärten und kleinen verfallenden Parks vor den Gebäuden niemand, niemand, außer einem humpelnden alten Gärtner, der vor dem WHITE HOUSE dürre Planzen begießt. Die Villen von Santa Maria di Leuca: Sie werden aufgenommen in die lange Liste meiner ungeschriebenen Bücher.

Als die Sonne im Meer versinkt, wandern wir schnell hinauf zum Leuchtturm auf der Sirenenklippe. Und erleben dort oben, genau unter dem Halbmond, im Dämmer genau den Moment, in dem der Leuchtturm seine Arbeit beginnt: Sein Licht in der Dämmerung über der stillen Piazza plötzlich anspringt und sich mit langsamer, unendlich langsamer Bewegung drei Linsen um das Licht zu drehen beginnen, drei geschliffene riesige Glaslinsen, die in der Nacht um das Licht herum kreisen, unentwegt und mit langsamer, gleichmäßiger Bewegung. Und den Schiffen bis 50 Kilometer weit draußen, die halbe Strecke nach Korfu hinüber den Weg weisen mit einem einfachen Lichtsignal, das auch uns bis hierher geführt hat.

Unter Segeln von Korfu nach Sizilien, Tag 3: Ganz ganz unten. Am Stiefelabsatz von Italien, in Santa Maria di Leuca.

Beginnen wir bei ganz einfachen Dingen, zum Beispiel beim Blau des Meeres. An diesem Morgen nach dem langen Nachtschlag von Korfu bis hierher, den ich im vorigen Post beschrieb, sind wir unterwegs auf dem menschenleeren Lunghomare, dem Spazierweg von Santa Leuca entlang des Meeres. Ganz links: das Meer. Und während ich jetzt hinausschaue, kann ich nicht anders als festzustellen: Dies eigentümliche Glitzern auf dem Meer: das gibt es so doch nur an einem Ort: das kann doch eigentlich nur in Italien sein. 

Natürlich stimmt das nicht, denn Meeresglitzern ist ja nun überall gleich, egal ob Ägäis oder Atlantik, ob Poros oder Puerto Rico: Meer ist schließlich Meer, und Glitzern ist Glitzern. Und doch: Hätte mir jemand an diesem Morgen nach der langen Überfahrt eine Augenbinde abgenommen und mir das obige Foto gezeigt: Ich hätte ganz sicher auf Italien getippt. 

Am Strand, im Wasser unter dem Lunghomare tummeln sich nur eine Handvoll Unentwegter, nicht mehr, obwohl es doch in dieser Jahreszeit am schönsten ist, am Meer zu sein. Die Lufttemperatur ist bei 21 Grad, das Meer bei 23 Grad, es ist also drinnen im Wasser wärmer als draußen, das konnten wir an diesem Morgen deutlich spüren, als wir uns noch vor dem Einlaufen in den Hafen ins Wasser stürzten. Und doch ist Santa Maria die Leuca herrlich verwaist an diesem Morgen. Im Supermarkt erklärt man uns, dass man heute für ein halbes Jahr schließen würde, die leeren Regale werden gescheuert, kaum, dass man dort noch etwas kaufen kann. Santa Maria lebt im und lebt vom Sommer, wie die meisten Orte am Meer, das ist das eine.

Das andere: Dass dieser Ort offensichtlich eine lange Tradition als Sommerfrische, als Ferienort hat. Denn auf der anderen Seite des Lunghomare reihen sich Ferienvillen und Sommer-Residenzen der anderen Art aneinander. In irgendeiner Phase seiner langen Existenz scheint eine merkwürdige Bauwut in Santa Maria gewütet zu haben. Nein, nicht der Stil des italienischen Futurismo, den ich so sehr liebe, die modernistische italienische Spielart des Bauhaus, sondern hier in Santa Maria di Leuca ein architektonischer Stil-Mischmasch, ein wildes Deklamieren und Zitieren von Baustilen allen Epochen und aller Länder. Als da wären: 

Ein klein wenig orientalisch-muselmanisch unter duftenden KIefern (siehe oben).
Ein klein wenig maurisch:

Ein klein wenig US-amerikanisches White House, ohne Oval Office:

Und dann:

Ein klein wenig von Allem mit rosa Streifen drauf und getoppt von einem Leuchtturm, den der heutige Besitzer nachts von innen mit roter Laterne erhellt. Ein rotes Licht, das in die heranbrechende Nacht über Santa Maria di Leuca leuchtet und mich an die alte Warnung an die Seefahrer denken lässt, auf dem Meer und in Hafenvierteln wachsam zu sein: 

„Nicht immer hält das rote Licht, 
was es dem Fahrensmann verspricht.“ 

Dazu noch die schönen Ochsenaugen im linken und rechten Flügel mit bemerkenswert schön gearbeiteten Fensterläden behängt.

Und weiter findet man:
Ein klein wenig Neugotik (hab ich mir verkniffen, zu fotografieren).
Ein klein wenig Neuromantik (hab ich mir auch verkniffen).
Ein klein wenig Neu-Renaissance.

Alles sieht so aus, als hätten irgendwo zwischen Gründerzeit und erstem Weltkrieg die wohlhabenden Sommerfrischler aus dem nördlichen gelegenen Lecce dazu verführt, genau hier ihrer Lust am Märchenhaften zu frönen und sich in einzigartigen Villenbauten auszutoben, ein Disneyland der Baustile, das sich fröhlich dem Betrachter darbietet. Santa Maria di Leuca, von dem die Legende erzählt, dass hier der Ort war, an dem früher Sirenen von den Klippen herunter die Seefahrer in die Irre gesungen hätten, verwirrt die Sinne heutiger Reisender mit einem herrlich bunten Allerlei alter Sommerresidenzen, von denen die meisten nur darauf warten, aus ihrem Halbschlaf wachgeküsst zu werden. In den leeren Gärten und kleinen verfallenden Parks vor den Gebäuden niemand, niemand, außer einem humpelnden alten Gärtner, der vor dem WHITE HOUSE dürre Planzen begießt. Die Villen von Santa Maria di Leuca: Sie werden aufgenommen in die lange Liste meiner ungeschriebenen Bücher.

Als die Sonne im Meer versinkt, wandern wir schnell hinauf zum Leuchtturm auf der Sirenenklippe. Und erleben dort oben, genau unter dem Halbmond, im Dämmer genau den Moment, in dem der Leuchtturm seine Arbeit beginnt: Sein Licht in der Dämmerung über der stillen Piazza plötzlich anspringt und sich mit langsamer, unendlich langsamer Bewegung drei Linsen um das Licht zu drehen beginnen, drei geschliffene riesige Glaslinsen, die in der Nacht um das Licht herum kreisen, unentwegt und mit langsamer, gleichmäßiger Bewegung. Und den Schiffen bis 50 Kilometer weit draußen, die halbe Strecke nach Korfu hinüber den Weg weisen mit einem einfachen Lichtsignal, das auch uns bis hierher geführt hat.