Die vergessenen Schiffe: Unterwegs mit dem FLYING DOLPHIN zwischen den vergessenen Inseln.
Ist man in Griechenland unterwegs von einer vergessenen Insel zur anderen, dann ist für den Inselhopper der FLYING DOLPHIN, das Tragflügelboot, das schnellste Reisemittel. Von Spetses nach Athen sind es mit dem Auto vier Stunden, per Katamaran-Fähre zweieinhalb Stunden – und mit dem FLYING DOLPHIN etwas über zwei. Und dabei genießt man das einzigartige Erlebnis, in eine Technik einzusteigen, die es heute so gar nicht mehr gibt. Ein bisschen ist es, als wäre man mit der CONCORDE unterwegs, dem Technik-Denkmal der Sechziger und Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, einer Technik-Ikone, die nur von einem kündet: dem Glauben daran, dass technisch alles, wirklich alles hinzukriegen ist.
Betritt man den engen Bootskörper des FLYING DOLPHIN, der an der Kaimauer schaukelt und schwankt, dann empfängt den Reisenden zweierlei: Die Enge der geschlossenen Röhre, angefüllt mit dem wohligen Geruch nach Diesel und Schmiermittel. Ein Geruch, den Teppiche, Sitze, Sessel in einem FLYING DOLPHIN in den 30, 40 Jahren seiner Nutzung so ausgesetzt waren, dass er diesen vollkommen Unbeteiligten nun auch schon zu eigen wurde. Das Verstauen des Gepäcks in der kleinen Kammer am Einstieg durch ein Besatzungsmitglied ist jedes Mal ein Abenteuer: Der Reisende wird nicht nach der Größe seines Gepäckstücks befragt; sondern danach, wo er hin will. Ist das der letzte Ort auf der Fahrt, kommt das Gepäckstück ganz zuunterst. Alles andere kommt obendrüber, und man darf nicht zu mitfühlend mit der eigenen Bagage sein: Wer zuletzt aussteigt, liegt zuunterst, basta.
Noch an der Pier wird der FLYING DOLPHIN bei laufendem Motor betankt. Ein Wummern in der engen Röhre von vielen PS, die in den beiden betagten Motoren herumtoben und herumtollen. Tragflächenboote sind eine relativ alte Erfindung, sie kamen, als die ersten Autos über die Straßen rumpelten, Anfang des 20. Jahrhunderts auf. Es ist kein Zufall, dass ein Italiener sie erfand. Kein Zufall deshalb, weil das Italien jener Jahre am ungebremstesten dem Futurismus fröhnte, dem Glaubend daran, dass die Zukunft ja nur eines bringen könne: Das Paradies, erwachsen aus Fortschritt. Aber schon bald beschäftigten sich nur noch Militärs mit der Idee, dass man mit etwas Geschwindigkeit auf zwei kleinen Flügeln fast ohne Widerstand übers Wasser fliegen könne. Deutsche, Engländer, Russen, Amerikaner, selbst der legendäre Felix Wankel war so hingerissen, dass er seinen sagenhaften WANKEL-Motor in ein übers Wasser auf Gleitkufen dahinschießendes Etwas namens ZISCH-2 verbaute. Die Tragflügelboote hatten den Weg in die zivile Nutzung gefunden.
Und unser FLYING DOLPHIN? Mittlerweile nebelt der Ausstoß seiner riesigen schwarzen Qualmwolken die kleinen Verkaufsbuden auf der Pier ein, als wir im Hafenbecken drehen. Kaum legt einer der beiden Piloten oben in der engen Steuerkanzel den Gang ein, macht der FLYING DOLPHIN einen Satz nach vorne. Schiere Kraft, schiere PS schon im Leerlauf, noch ohne dass jemand überhaupt am Gashebel gezupft hätte. Der FLYING DOLPHIN ist ein Kind einer Zeit, in der die Frage nach Spritverbrauch oder Umweltverträglichkeit überhaupt noch nicht erfunden war. „Wir wollen ein möglichst schnelles Transportmittel bauen, das von A nach B übers Wasser fliegt“ lautete die Aufgabe. Und los gings.
Die schwarzen Qualmwolken werden nun wirklich beängstigend, als der Pilot an den Gashebeln spielt und den FLYING DOLPHIN mit der römischen Nummer XVIII aus der Drehung in Fahrt bringt.. Ein Donnern, ein Heulen, ein Pfeiffen aus dem hinteren Viertel des FLYING DOLPHIN, das allein die Motoren bewohnen in einem Reich, das kein Reisender stört. Die Röhre vibriert, der kleine Fernseher, der vorne auf einer Konsole steht, ist mit zwei roten Gurtbändern, wie sie muskulöse Klavier-Transporteuren nutzen, gesichert. Noch mehr Gas, noch mehr Dieselgeruch im Inneren, der Lärm der Vibrationen von allem, was beschlossen hat, im Takt der Kolben nun auch mitzuschwingen: Fensterscheiben, Türen, Innenverkleidungen, Sitze: ein einziges Schwingen, ein einziger Freischwinger, als der Pilot an der Hafenausfahrt erst richtig Gas gibt.
Und dann passiert auch das Wunderbare: Der Rumpf des Tragflügelbootes hebt sich langsam, langsam aus dem Wasser, solange, bis die halbe Fußballfeld große Blechzigarre über dem Wasser schwebt und nur noch auf den metergroßen Flügeln durchs Wasser gleitet, eine feine Schaumspur hinter sich herziehend: Mit sagenhaften 35 Knoten, also über sechzig Stundenkilometer. Ein Brüllen, während der FLYING DOLPHIN roh wie ein ungefederter Güterwaggon über die spiegelglatte See rumpelt und sich leise wiegend elegant wie ein Wasserskifahrer in die Kurven legt.
Aber plötzlich nimmt das Vibrieren ins ungeahnte zu, der Lärm wird infernalisch, die Passagiere halten sich die Ohren zu vor Lärm, fast, dass sie um Gnade betteln, die dann auch der Pilot keine fünf Minuten später erlösend gewährt, indem er mitten auf dem offenen Meer den Motor drosselt, Fahrt herausnimmt. Und dann liegen wir auf dem offenen Meer. Der Motor wummert, der FLYING DOLPHIN schaukelt reglos auf dem Meer, während ein Schiffsmechaniker im ölig-grauen Werkstatt-Overall – jawoll, auch der gehört fest zur Besatzung des kleinen Gefährts – mit einem riesigen Schraubenschlüssel nach hinten in den Motorraum eilt. Die griechischen Passagiere des FLYING DOLPHIN scheinen derlei gewohnt, kaum einer, der von seiner Zeitung aufschaut, als abgehackt eine Entschuldigung der Stewardess über die Bordlautsprecher knackt. Dann gibt der Pilot etwas Gas. Aber das Vibrieren ist immer noch infernalisch, ich rechne fest damit, dass gleich in der Decke der Aluminiumhaut des FLYING DOLPHIN ein Riß klaffen und der FLYING DOLPHIN auseinanderbrechen wird wie die TITANIC. Wieder nimmt der Pilot die Fahrt aus dem Gefährt, die Passagiere bangen nun mit dem Mechaniker im verschmierten Overall, ein Bulle von Mann, er wirds schon richten. Nach fünf Minuten nimmt der FLYING DOLPHIN wieder zaghaft Fahrt auf, mehr, dann noch mehr. Vibrieren weg. Jetzt schießt die Blechzigarre wieder mit Vollgas über die Wellen, die sich jetzt aufbauen, das Vibrieren ist wieder auf Normalmaß reduziert. Bugs, die man noch mit großem Schraubenschlüssel in der Hand eines Bullen reparieren kann: Wo gibts denn das heute noch?
Und so schießt der FLYING DOLPHIN jetzt wieder dahin. Seegang hat sich aufgebaut. Es ist, als wäre man auf einen Preßlufthammer geschnallt, der sich sanft von links nach rechts und rechts nach links wiegt, während er in seiner engen Röhre auf und ab hämmert. An Schlaf ist nicht zu denken. An schreiben dreimal nicht, die Tastatur vor mir würde hüpfen. Es macht aber alles nichts, denn zu schön, zu urtümlich ist die Reise in der engen Blechröhre. Und ich bedauere nur eins: Dass es mir nie möglich war, einmal an Bord einer CONCORDE mitzufliegen. Aber für alle, denen es ja so geht wie mir: gibt es zwischen den vergessenen Inseln ja den FLYING DOLPHIN, den kleinen Bruder der wunderschönen großen Hübschen. Um mal zu sehen, wie das war, damals in den Sechzigern, mit moderner Technik.