Kategorie: Mare Più

Was ist eigentlich Segeln?

Für die einen ist es das Nonplusultra. Das, wofür sie leben, auch wenn sie im täglichen Leben etwas ganz anderes machen. Und fest im Leben stehen. Vor vielen Jahren las ich die Geschichte eines Chirurgen, dessen Tochter sagte: „Eigentlich hat mein Vater nur fürs Segeln gelebt. Für die Stunden auf dem Wasser. Er hat seinen Beruf geliebt. Und seine Familie. Aber gelebt hat er nur für die Stunden auf dem Wasser.“

Wie leicht kann jeder die Bilder dieses Sommers in sich wachrufen, jetzt, wo die Dunkelheit der Nacht am längsten und der Tag nicht über ein kurzes Grau hinauskommt. Damit ich nicht vergesse. Die Bilder, die ich oft in quälend langen Meetings wachrief: Das Türkis des Meeres im Juli, das oft in ein Grün übergeht, bevor der Regen einsetzt. 
Damit ich nicht vergesse.
Segeln ist: Im Niedergang sitzen und dem Regen zuschauen. 
Segeln ist: Auf dem Vordeck in der Sonne liegen, Musik hören, während LEVJE im Wind schwoit. Segeln ist: das Sieben-Uhr-Abendläuten an einem Sommerabend ankernd in der Bucht von Cres. Der Frieden im Hafen von Antalya, ein Glas kalten Weiswein in der Hand, nach einem langen Segeltag. 
Segeln ist: Nachts in LEVJE’s Koje leicht in den Schlaf gewiegt werden. Ein schwereloses Schaukeln. Und Einschlafen im leisen Geplätscher an der Bordwand. 
Segeln ist: Neugierig hinter jede Huk schauen wollen, immer weiter. Fahren wollen, immer weiter. Segeln ist… 

Damit ich nicht vergesse:  

Segeln ist:
Herausfinden, was man wirklich braucht.
Was man nicht braucht. 

Als ich die ersten 10 Wochen auf dem Meer unterwegs war, schrieb ich einen Beitrag darüber, was ich brauche. Und was ich nicht brauche. Es waren überwiegend einfache Dinge, die im Gegenzug zu vorher plötzlich Bedeutung hatten. 
Meinen Hut. Als Schutz vor sengender Sonne. 
Die Flasche Wasser in der Juli-Hitze. 
Das Ipad, auf dem ich meine gesamte Navigation mache. Und weil es meine Verbindung zur Welt ist. Und noch einige Sachen fielen mir ein. Aber es waren alles sehr, sehr einfache Dinge. 

Das Leben wird auf verblüffende Weise einfach, man braucht kein Buch mehr zu lesen mit dem Titel „Simplify your Life“. Denn das Leben wird einfach, auch in den paar Wochen, die man als „Jahresurlaub“ auf dem Meer verbringt. Es ist, als würden Leinen von uns abfallen, die uns in diesem Augenblick hierhin zerren. Und im nächsten dorthin – aber selten in die Richtung, in die WIR ursprünglich eigentlich mal wollten. Das Gezerre: es hat ein Ende. Beim Segeln.

                                                                          Weiterlesen bei: Resümee nach 10 Wochen. Hier.
                                                                          Weiterlesen bei: Wär ich Gott, würd ich hier     
                                                                                                     wohnen: Im Dom von Trani. Hier

Segeln ist: 
Wir. Und die Elemente.

19. Dezember 2014. Ein Tag irgendwo in einem wohlhabenden Land mitten in Europa:
Es ist schwierig, die Kräfte und Mächte zu verstehen, die an diesem Tag in diesem Land auf mein Leben einwirken. Und vor allem: mein Leben sehr dominant bestimmen.
Die Elemente, die Jahrtausende unser Leben bestimmten, haben wir gezähmt. Scheinbar. Der Winter macht uns keine Angst mehr. Ein Gewitter nehmen wir in unserer zentralbeheizten, vollgedämmten Wohnung kaum noch wahr. Ein trockener Sommer, der früher Hunger verhieß, bringt uns nicht um. Was früher sichtbar Einfluß hatte auf unser Leben ist heute gebändigt. Es zeigt nur gelegentlich die Krallen: Tsunamis, Taifune, Orkankatastrophen, die kennen wir nur mehr aus dem Fernsehen. Was früher unser Leben bestimmte: es ist weg.

Aber vor allem: Es wurde ersetzt durch Kräfte und Mächte, die wir nicht mehr sinnlich erfahren. Und schlimmer noch: nicht mehr verstehen. Warum hat der Zug heute früh schon wieder eine halbe Stunde Verspätung? Und schmeißt meinen Tag um? Ein Aufsichtsrat nickt die Entscheidung seines Vorstands ab, diese oder jene neue Firma zu gründen. Oder dieses oder jenes Produkt massiv in den Markt zu drücken. Was ist das, „Aufsichtsrat“? Hat es ein Gesicht? Kann ich es beschimpfen, gar ohrfeigen, wenn ich wütend bin? Irgendeines Unternehmens Werbekampagne weckt den Wunsch in mir, dieses oder jenes sofort zu bestellen, zu kaufen, „haben“ zu wollen. Kenne ich dieses Unternehmen? Na klar, sagen wir: „ich kenne die Marke“. Aber kenne ich meine Beweggründe, warum ich dies, das, jenes jetzt haben will? Und: wenn ich anfange, in dem Brei, „Marke“ genannt, herumzukratzen, auf den Boden des Topfes schauen zu wollen: was bleibt dann? Am Boden des Topfes oft nicht mehr als die leere Begriffe. „Umsatz“, „Shareholder Value“, „Wachstum“, „Rendite“ haben kein Gesicht.
Nein, die Kräfte, die bestimmend auf unser Leben einwirken, sind nicht mehr zu verstehen. Anders als früher Gott, haben sie kein Gesicht. Sie sind zu vielfältig geworden. Es ist zu komplex geworden.

Für den, der segelnd auf dem Meer unterwegs ist, reduziert sich die Undurchschaubarkeit dessen, was unser Leben bestimmt, ganz erheblich: „Nordwest 4-5 mit Seegang 2.“ Dies ist die Kraft, die heute meinem Segeltag bestimmt. Segeln schärft den Blick, für das, was unser Leben bestimmt. Und was wirklich in diesem Leben wichtig ist.

Klar gibts auch da Unvorhergesehenes: LEVJE’s Kühlwasserpumpe, die plötzlich mitten in den Wellen den Motor warnend pfeiffen läßt, weil sie den Geist aufgibt. Der Meltemi, der halt nicht als „Nordwest 4-5“, sondern als „6-7“ daherkommt. Oder eine leichte Lebensmittelvergiftung, die mich flachlegt. Oder ein Hafenmeister, der vor LEVJE austickt.

Wir beherrschen die Kräfte, die unser Leben bestimmen, auf dem Meer ebensowenig wie die Kräfte an einem x-beliebigen Tag in dem wohlhabenden Land mitten in Europa. Der Unterschied ist: auf dem Meer verstehen wir die Kräfte, die auf unser Leben wirken. Wir sehen sie. Wir können sie sinnlich erfahren. Wir können uns auf sie einstellen. Wir verstehen sie. Fast zu 100%. Sie sind einfach. 
Und vielleicht ist es das, was uns auf dem Meer sagen läßt: „Das Leben ist hier draußen so wunderbar einfach.“

                                               
                                                 Weiterlesen bei: Reden wir mal über die Angst. Hier.
                                                 Weiterlesen bei: 5 Monate Segeln – was bringt das? Hier.
                                                 Weiterlesen über den grollenden Hafenmeister von Peschici und       
                                                                    das liebe Geld? Hier.

Segeln ist: 
„Da wird eine Taste gedrückt. 
Und ein Urprogramm beginnt unweigerlich in uns abzulaufen.“

Für die manchen ist Segeln auch ein bisschen Hassliebe. Eigentlich ist für sie ihr Leben, das sie am Land leben, vollkommen in Ordnung. Es passt alles. Alles ist gut. Und im Lot.

Aber wehe, wenn sie auf dem Meer unterwegs sind: Dann ist alles anders. Der Blick in die Weite. Der leichte Wind, der besänftigend durch die Alltagsklamotten streicht. Das sanfte Wiegen auf dem Wasser. Dann wird etwas aufgerufen. Etwas wachgeküsst. Etwas, was mir Richard, ein alter Segler auf einem meiner ersten Törns mit den Worten des Ingenieurs und Erfinders, der Richard im Leben nun mal war, so erklärt hat: „Es ist, als wären wir ein Kassettenrecorder: Am Meer wird in uns eine Taste gedrückt. Und ein Lied oder ein Software-Programm, dass seit Urzeiten in uns einprogrammiert ist, beginnt zu laufen.“

Segeln ist:
„Das dümmliche Grinsen.“

Gelegentlich kommen, wie auf meiner fünfmonatigen Reise von Triest nach Antalya, auch Menschen aufs Boot und begleiten mich ein Stück. Freunde, die schon mal mitgesegelt sind. Meistens nehme ich jemanden mit, Freunde, Kollegen, weil ich denke, dass wir uns etwas zu sagen haben. Ich stelle mir vor, dass ich gerne mit Ihnen einen Abend in der Bucht verbringe: Dass wir gemeinsam abends Gedanken übers Leben lustvoll & locker drehen und wenden, so wie eine Auberginenscheibe in Mehl und Ei, bevor sie in die Pfanne kommt. Manchmal sind es Menschen, die ich gut kenne. Und die das Segeln kennen. Manchmal sind es Menschen, die ich kaum kenne. Denn am liebsten nehme ich Menschen mit, die eigentlich noch nie gesegelt sind. So wie Andreas, der mich in diesem Sommer begleitet hat vom Peloponnes bis Milos. Es hat mich immer gereizt, Menschen mitzunehmen, die noch nie gesegelt sind. Darüber, wie man vorher rausfindet, ob Segeln etwas für jemanden ist, ob er seekrank wird oder nicht, schrieb ich bereits in meinem Beitrag über das Segeln mit Nichtseglern.

                                                                                         Weiterlesen bei: Segeln mit Nichtseglern.

Um herauszufinden, ob sich jemand beim Segeln auf dem Boot wohlfühlt, gibt es einen einfachen Dreh: Sind die Leinen los, sind wir vom Liegeplatz weg, sind wir draußen unter Segel, dann drücke ich demjenigen einfach LEVJE’s Pinne in die Hand: „Halt mal kurz.“ Ganz absichtslos.

Für den, der noch nie gesegelt ist, ist die Pinne ein totes Stück Holz. Ein Fremdkörper. Etwas, das so verkehrt in der Hand ist wie 15 Regenwürmer. Aber oft stellt sich auf dem Gesicht desjenigen etwas ein, was ich „das dümmliche Grinsen“ nenne. Konzentration. Entspannung. Freude. Darüber, wie sich das Schiff, LEVJE, anfühlt, wenn man sie durch die Wellen steuert. Wie sich LEVJE leicht auf die Seite neigt und beginnt, mit leicht wiegenden Bewegungen durch die Wellen zu gleiten, zu schnüren wie ein Fuchs, der im Schnee konzentriert einer Fährte folgt. Dreieinhalb Tonnen, die sich, schwer wie ein 31-Fuß-Stahlcontainer, doch leicht wie eine reinweiße Feder vom Wind fortwehen lassen.  Ein leichtes Grinsen im Gesicht. Ein Konzentriertsein auf das Schiff, auf LEVJE, und wie sie auf leichte Bewegung der Pinne reagiert. Es ist viel, was sich in so einem Moment auf dem Gesicht desjenigen abspielt. Aber das „dümmliche Grinsen“: es ist unübersehbar. Es kündet von Glück. Und davon, dass hier eine(r) angekommen und am richtigen Platz ist.

Segeln ist: 

„Meinen Ort finden.“

Sulu Adasi, die Insel Sulu: eine Tagesreise südsüdwestlich von Antalya gelegen.

Segeln: das ist für mich meinen Ort finden. Nein, keinen bestimmten geografischen Ort auf der Landkarte, den man einfach nur finden müßte, weil man dann dort, ja nur dort: glücklich sein, sein Glück finden könnte. Nein, darum geht es nicht. 
Der Ort, um den es geht, ist ein anderer: Der Ort ist: „Wer bin ich in der Welt?“ Denn so merkwürdig es ist: auf dem Meer weiß ich das. Denn die Wellen und vor allem eine vergessene Insel wie Sulu, sie liegt eine halbe Tagesreise südlich Antalya, die ordnen mich ein in die Welt. Sie betten mich ein in den Kosmos. Und ich verstehe plötzlich, wenn der Anblick von Sulu mir sagt: Du bist zwar ein unendlich kleines Teil im Getriebe der Welt. Unendlich mikroskopisch klein in den Jahrmillionen, die es brauchte, um dieses Inselchen so zu schaffen, wie es heute unbewohnt, vergessen, gleichgültig im Meer liegt. Und doch: Du bist. Ein Teil des Ganzen. 

Um dies zu verstehen, ist es notwendig, kurz in den westlichen Teil des Mittelmeeres zurückzukehren, nach Capraia nördlich von Elba. Es war in der Bar Massimo auf Capraia, wo ich vom Tod meiner Großmutter erfahren hatte. Sie war gestorben in ihrem 97. Jahr, genau einen Tag nach ihrem Geburtstag und wenige Tage, nachdem ich sie ein letztes Mal besucht hatte. Ein paar Monate, nachdem sie, wie mancher alte Mensch es tut, einfach beschlossen hatte, nichts mehr zu sich zu nehmen. Und wie ein alter Elefant ins Dickicht zu gehen, allein, um sich zum Sterben niederzulegen, irgendwo. Sie hatte mehrere Wochen nichts mehr zu sich genommen, war in ein Dämmer hinübergeglitten, irgendetwas zwischen Schlaf und Ohnmacht, aß nicht mehr, trank nicht mehr, sprach nicht mehr, reagierte nicht mehr. Nur noch ihre geliebte Tasse Bier, die ließ sie sich von mir ein paar Tage vorher zum Mund führen.

Als ich von ihrem Tod erfuhr, war ich traurig. Traurig, weil sie nicht mehr da war, traurig, weil wir das, was wir gemeinsam hatten, unsere Begegnungen nun wirklich und endgültig Vergangenheit und vorbei waren. In dieser Stimmung waren wir um Korsika herum unterwegs. Ich hörte abends im engen Hafen von Bastia den überwältigenden Klang der Kirchenglocken. Und dachte an meine Großmutter. Wir umsegelten die Südspitze von Capraia, da wo lange Steinreihen aus wer weiß welchem urgeschichtlichen Erdzeitalter sich die kargen Hänge hinaufziehen, eine Steinreihe neben der anderen, ein Stein nach dem anderen: als hätte hier ein uraltes Volk einen Kultort hinterlassen. Ein Denkmal, bei dem alle unsere Vorfahren, unsere Ahnen, zu Stein geworden, aufgereiht stehen. Einer nach dem Anderen. Vom ersten Bakterium, mit dem alles begann, über jeden, jeden einzelnen, der daraus entsprang und danach kam, bis hin zu mir. Eine lange, lange Reihe. Vor mir. Keiner auch nur denkbar ohne den davor. Ohne all jene davor, die notwendig waren, um diesen einen hervorzubringen. Und das Leben weiterzugeben.

In diesem Augenblick auf Capraia fühlte ich, wie stark diese Verbindung ist, ich stellte mir die Gesichter all derer vor, die meine Vorfahren waren: Sammler, Jäger, Bauern die meisten. Männer und Frauen. Bettler, Königinnen, Heilige, Mörder waren sicher darunter. Priester und Pestkranke. Mönche und Magnaten. Bauern und Betschwestern. Und Sänger und Säufer. Bei mir, bei jedem von uns. Wir sind die Summe, das Endergebnis einer unendlich langen Reihe von Lebewesen, von Menschen. Manchmal, wenn ich in dem wohlhabenden Land mitten in Europa gerade nicht weiß, wer ich bin: dann stelle ich sie mir vor: die lange Reihe der Lebewesen, die nötig waren, um mir das Leben zu geben. Mir die Fackel in die Hand zu drücken. Und jetzt bin ich der, der gerade die Fackel trägt. Und sie weitergeben wird.

Und dies ist, was mir oft das Reisen auf dem Meer vermittelt: Meinen Ort in der Welt. Winzig, winzig klein, und unbedeutend wie die karge unbewohnte, die vergessene Insel Sulu. Und doch ein Teil des großen Ganzen. Verbunden mit allem. Im weiten Meer.

                                             Weiterlesen bei: Die rätselhaften Vogelmenschen der Daunier. Hier.

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Mare Più macht ein Buch. Über Segeln im Gewitter. Mit Erfahrungen der Community für die Community.

                                                         Das Cover unseres ersten Buches, das ab März 2015 als eBook erhältlich ist.

Im Gewitter Segeln ist Extremerfahrung. Innerhalb Minuten auftretende Starkwinde, Böen mit über 60 Knoten, Platzregen, Hagel, Null Sicht. Für Minuten. Für Stunden.

                                                     Weiterlesen bei: Von schnellen Gewittern. Und von langsamen.

Gewitter trifft jeden auf dem Meer im Lauf eines Seglerlebens. Niemand ist davor gefeit. Es gibt kaum eine andere Situation, in der es derart auf seglerisches Können, eigene Instinkte und gute Seemannschaft ankommt. Und Glück. 

Wer kann, meidet Gewitter. Wer durchsegeln muss, ist auf sich selbst angewiesen. Denn: Jedes Gewitter ist anders. Es gibt wenig Regeln dafür. Es gibt kaum Informationen. Es gibt viele Halbwahrheiten.

Und: Es gibt kein Buch dazu, weder im Deutschen noch im Englischen.

Unser erstes Buch, das wir in unserem heute gegründeten Verlag millemari. herausbringen, will diese Lücke schließen. Es wird ein ungewöhnliches Buch sein, das im März 2015 erscheint, in vielerlei Hinsicht:
Es wird nicht aus der Feder des EINEN Experten stammen.
Es wird sehr viel Know-how beinhalten.
Es wird kein trockenes Fachbuch sein.
Hier berichten Segler für Segler von ihren Extremerlebnissen.
Ihr Wissen, ihre Erfahrungen helfen auch Dir durchs nächste Gewitter.

Wir sammeln die Geschichten von Seglern, die Gewitter auf See erlebt haben. Die Erfahrung mit den vielfältigen Folgen und Schrecken haben, die ein Gewitter auf See mit sich bringt. Wir suchen das, was Segler zu sagen haben über das Phänomen Gewitter. Wir suchen die Erfahrungen aller Segler. Um sie allen Seglern zur Verfügung zu stellen.

Wir beide, Susanne Guidera und ich, sind leidenschaftliche Segler. Und erfahrene Verlagsleute. Wir haben den Ehrgeiz, ein völlig neues Werk zu machen, das zunächst als eBook erscheinen wird. Ein Werk, das eine Community für sich selbst schreibt.

11 Segler haben bereits ihre Geschichten zugesagt. 6 davon haben ihre Beiträge bereits abgegeben. Das Cover ist fertig. Mindestens 14 weitere Autoren suchen wir noch. 
Hast Du da Draußen etwas Außergewöhnliches erlebt? 
Etwas, das Du jedem anderen Segler ans Herz legen würdest, wenn er in ein Gewitter hinein segelt?
Ein ungewöhnliches Erlebnis im Gewitter auf See?

Dann: Zeig’s uns! Schreib uns. Wir wollen nur Dein Allerbestes: Dein allerbestes Erlebnis im Gewitter auf dem Meer.

Schicke uns unter Nennung Deiner Mail- und Postanschrift ein Mail mit dem Stichwort „GewitterSegeln“. Wir antworten. Mit allem, was Du wissen musst, um einen gelungenen Beitrag für unser Buch GEWITTERSEGELN zu schreiben.

Du mußt kein Autor sein. Nur Deine Erfahrung zählt. Als Segler. Im Gewitter.

Das Team des heute gegründeten Verlags millemari.
                                                     Susanne Guidera
                                                    Thomas Käsbohrer

                                    

Unter Segeln: Von schnellen Gewittern. Und von langsamen.

Ein Blitz über Gemiler Reede. Gut erkennbar sein gleißender Entsehungsort ganz oben, dort, wo sogar Regen und Nässe aufgrund der gewaltigen Hitze zu verdampfen scheinen.

Gewitter gibt es verschiedene. Gewaltige Gewitter, solche, an die man sich noch nach Jahren und Jahrzehnten erinnert. Und leichte. Laute und leise. Solche, die schnell heranziehen. Und schnell gehen. Und solche, die langsam kommen. Und lange bleiben.

In Gemiler-Reede – ich schrieb über die Insel, auf der Sankt Nikolaus gelebt hatte – wollte ich eigentlich nicht lange bleiben. Aber weil die Ecke so faszinierend ist, blieb ich drei, vier Tage. 

                                                                      Weiterlesen bei: Gemiler Reede. Oder: Sankt Nikolaus.

All die Tage hatte es rundum gegrummelt. An dem Tag besonders. Hohe Quellwolken bauten sich über den Nachmittag auf. Oben, ganz oben auf der Insel, dort: wo eine der ersten von fünf Kirchen errichtet wurde, wo der heilige Nikolaus gelebt hatte.

Wieder einmal erkennt man auf dem obigen Bild gut, wie sich „Wolken höher als breit“ bilden, vor allem oben rechts im Bild. Ein Warnsignal. 

Dazu am frühen Abend erste dunkle Wolken, über der Kirchenruine unten. Ich ruderte über die Bucht zurück zu LEVJE. Die schaukelte friedlich an ihrem Ankerplatz, ich hatte eine Landleine ausgebracht, nur eine. Teils aus Faulheit, teils aus Überlegung: Wenn ich raus müßte mitten in der Nacht, weil der Anker schlechter hält als die eine Landleine, dann käme ich schneller weg.

Es grummelte. Im Norden, hinter den Bergen. Es grummelte auch noch, als die Sonne unterging, und erste Blitze das dämmrige Grau hinter den Bergen erhellten. Aber immer noch war alles friedlich. So friedlich, dass ich ganz gemächlich LEVJE’s Bimini aufstellte, um Cockpit und Niedergang vor dem Regen zu schützen. Meinen abendlichen Rundgang an Deck machte. Gemütlich in die Bucht schaute. Und hinauf in die grummelnden Berge. Dämmerung. Kein Anlaß zur Sorge.

Leichter Niesel setzte ein. Leicht, ganz leicht. Mir fiel die alte Regel ein. Ein Kinderreim fast, aber so geht er:

„Kommt der Regen vor dem Wind, Skipper birg die Segel geschwind.
Kommt der Wind vor Regen. Skipper kann sich Schlafen legen.“

Eine Warnung. Wenn es vor dem ersten Windstoß zu regnen beginnt: dann wird’s heftig. Ich fragte mich, ob das auch fürs Mittelmeer gilt. Aber die Antwort kam. In Gestalt des Gewitters, das langsam, unendlich langsam über die Berge im Norden hinunter zur Gemiler Reede kroch.

Der erste Windstoß. Nicht arg. Ein Lüftchen eher, der Böencharakter nur daran erkennbar, dass die Windrichtung nicht die rechte war. Und gleich wieder eine andere war. Kalte Luft. Die Landleine spannte sich, triefte, als sie aus dem Wasser kam. Der Regen wurde härter. Die Böen setzten wilder ein, und Blitze zuckten durch die Nacht. Doch diesmal auf unserer Seite der Berge. Das Gewitter war da. Die Blitze. Nah. Ziemlich nah.

Oft im Gewitter – vor allem draußen auf See – ist der Blitz das, was aller Augen und Emotionen auf sich zieht. In ihm stecken Gewalten, die wir uns nicht vorstellen können. Natürlich ist der Einschlag eines Blitzes das Schlimmste, was einer Yacht passieren kann. Blitze so wie der, den ich in dieser Nacht auf dem ersten Foto ganz oben festgehalten habe.

Kaum jemand weiß: wie eine Yacht nach dem Einschlag eines Blitzes aussieht. Halten die Wanten? Gibts unten, unter Deck, da wo der Mastfuss sitzt und der Blitz wieder hinausfährt, ein großes Loch? Wie übersteht man es, wenn in meternahem Umkreis 10.000de Volt Strom durch Leitungen jagen, die dafür nicht gemacht sind? Ich weiß es nicht. Aber ich werde es herausfinden.

Ich dachte an meine schwäbische Großmutter. Sie fürchtete in ihrem Leben nichts und niemand. Sie hatte fünf Kinder großgezogen, allein. Hatte heimlich für Juden gearbeitet während des Krieges. Ihren Mann rausgepaukt, als der im Wirtshaus zu laut über die Nazis schimpfte. Und am Tag später mit Haft bedroht wurde. Nur eines fürchtete sie: Gewitter. 
Ihre bewährte Ausrüstung dagegen: 1 Kopfkissen. 1 Wetterkerze. 1 Weihwasser-Fläschchen. 1 Rosenkranz. Wenn Gewitter war, dann zündete sie im Fenster die schwarze Wetterkerze an. Zog sich das Kopfkissen über den Kopf. Und betete den Rosenkranz herunter, unter gelegentlichem sich-besprengen mit einem Schuß Weihwasser. Wir Kinder fanden es urkomisch.



Die Blitze in dieser Nacht waren nah am Boot. Blitz und Donner fielen zusammen, beides in ein und demselben Augenblick. Schläge, bei denen ich unwillkürlich den Kopf einzog. Sehr laute Schläge. Der Regen wurde heftiger. Der Wind kam von den Bergen und trieb den Regen genau in den Niedergang. Blöde Landleine. Hätt‘ ich LEVJE doch lieber schwojen lassen. Dann läge sie jetzt im Wind. Und ich säße trocken in meinem Niedergang…

Teilweise war der Wind so heftig, dass meine Dinghi-Paddel – ich hatte sie neben den Seezaun gelegt – über Bord geweht wurden. Irgendein merkwürdiges Geräusch hatte mich den Kopf aus dem Niedergang stecken lassen. Ich spurtete los, um meine Paddel zu retten, die brav in Lee genau an der Bordwand trieben. Zu hoch. Also auf den Bauch gelegt, längelang, dahin, wo vorher die Paddel lagen. Und jetzt daumendick das Regenwasser übers Deck rann. Tropfnass, von einem Moment auf den Anderen. Jetzt bin ich schon nass, ich schau gleich noch, ob der Anker vorn hält…

Triefend wie meine Landleine erreichte ich meinen Niedergang, durch den die Böen immer noch die Regenschwaden trieben. Regen am Meer ist einzigartig. Aber in der südlichen Türkei einfach beeindruckend. Ich suchte mir im Donnern trockene Klamotten. Und zündete mein Petroleum-Licht an. So, wie meine Großmutter ihre Wetterkerze.

Das Gewitter dauerte eineinhalb Stunden. Es stand genau über der Bucht. Es bewegte sich kaum. Es schepperte noch nahe am Boot, als ich mich irgendwann schlafen legte. Irgendwann wird man zu müde, vom langen Aufpassen. Und schließlich: wir lagen ja vor Anker. Der hielt.



Am nächsten Morgen war die Welt friedlich. Nur ein paar graue Fahnen am Oktoberhimmel zeigten, dass die Nacht davor irgendetwas anders gewesen war, über der Gemiler Reede. 

                                                                      Weiterlesen bei: Ist es gefährlich, im Gewitter zu Segeln?
                                                                      Weiterlesen bei: Ankermanöver im Gewitter.

Levje’s Lieblinge: Wie Wunden am Meer schneller heilen.

Letztes Jahr, in der Bucht von Bozukale: Vor den Stegrestaurants kann man wunderbar schwimmen, das Wasser ist ganz klar, und die antiken Ruinen rundum beeindruckend. Ein Teil meiner Crew geht ins Wasser. Josef kommt blutend wieder, er verletzte sich an der rostigen Steg-Badeleiter, ein 2mm tiefer Schnitt im Ballen.

Das war’s für Josef, Schluß mit Schwimmen. Für den Rest der Woche auf dem gecharterten Boot. Genau unten am Ballen. Es wird lange nässen. Und schlecht heilen.

Vom Nachbarboot kommt ein älterer Franzose. Große schiefe Nase, wirres Haar. Stellt sich auf französisch als Arzt vor. Hält eine grüne Tube in der Hand. Irgendwas. Brummelt, es würde schneller heilen damit. Ich bin vorsichtig. Aber Josef, ganz Haudegen, sagt: „Drauf damit“. Es ist so eine Art grüner Heilerde, die der französische Arzt auf die Wunde gibt. Pflaster drauf. Fertig.

Ich bin skeptisch. Aber der Franzose hatte Recht: nach eineinhalb Tagen ist die Wunde geschlossen. Josef hüpft wieder barfuß herum. Und kann für den Rest des Törns ins Wasser. Gepriesen sei der französische Arzt. Und seine PATE D’ARGILE VERTE:

Ich habe mir das Mittel besorgt und hatte es auf meiner fünfmonatigen Reise dabei: Wie schnell holt man sich einen stark blutenden Kratzer am Bein. Beim Legen der Landleine. Beim Schwimmen. Aber mit der grünen Heilerde waren alle Wunden nach etwas mehr als 24 Stunden geschlossen. Ich bin entzückt. Es ist einfach. Es hilft. Es stimuliert die Selbstheilungskräfte des Körpers. 

Grüne Tonerde – und davon bitte nicht irritieren lassen – ist eigentlich für die Reinigung der Haut gedacht, so steht es auf der Verpackung. Und nur zu allerletzt kommt der Hinweis, dass das Mittel auch die Wundheilung beschleunigt. 

Und wer noch nicht weiß, was Skipper & Skipperin sich außerdem zu Weihnachten unter den Weihnachtsbaum legen sollen:

In einem früheren Beitrag stellte ich bereits zwei Bücher vor, die meinen Winter retteten.

                                                              Weiterlesen bei: Wie der Segler über den Winter kommt. Hier.

Heute zwei, drei weitere Bücher:
Für jeden Kroatiensegler sind die Bücher aus dem ALBUM-VERLAG ein Muß. Meist dreht es sich bei den alten Fotografien, die zwischen 1850 und 1918 aufgenommen wurden, um die Geschichte Istriens. Und die österreichische Marine, die jedem der istrischen Küstenorte neben den Venezianern bis heute ihr prägendes Gesicht gab. Der Band über Pola gehört dazu, ein kleines, reizvolles Büchlein, das auf LEVJE immer neben mir auf dem Bett liegt, das ich wieder und wieder ansehe. Bilder, Fotos aus einer anderen Welt, versunkenen Welt. Genauso wie die MARINEBILDER mit einzigartigen Fotografien des Marinefotografen Alois Beer, der bis 1916 ungehindert Zugang zu den österreichischen Flottenstützpunkten in Istrien hatte. Von seinen über 12.000 erhaltenen Fotos beschäftigen sich allein 2.000 nur mit Pula und Triest.

                                                               Weiterlesen bei: Von Menschen und von Schiffen. Kaiser   
                                                               Franz-Josef und sein Schlachtschiff VIRIBUS UNITIS. Hier.

Ein weiteres Buch, das meinen Winter rettete und mich auf LEVJE immer begleitet, ist David Abulafia’s DAS MITTELMEER. Eine Monografie des Mittelmeers von der frühen Steinzeit bis in unsere Gegenwart. Eine unglaublich gute Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes vieler Disziplinen, dessen Reiz darin liegt, dass Abulafia einfach kurzweilig und flott schreibt und nie den roten Faden verliert. Eine besondere Lust ist es, an langen Winterabenden das Buch zu lesen und mit dem Ipad immer gleich Orte und archäologische Funde im Web aufzusuchen. Wahrlich: ein Buch, das meinen Winter rettete. Ich habe die 1.000 Seiten mehrmals gelesen. Und verdanke David Abulafia viele, viele Anregungen zum Verständnis mancher Orte, die ich auf meinem fünfmonatigen Törn bereiste so wie diese drei Ägäis-Inseln:

                                                           Weiterlesen bei: Das 5.000 Jahre alte Steinzeitmesser von Milos.
                                                           Weiterlesen bei: Milos. Oder: Wenn Tonscherben anfangen zu  
                                                                                                                                                  erzählen.

                                                           Weiterlesen bei: Ein Schiff, um 5 Monate zu Segeln. Hier.

Die vergessenen Inseln: Gemiler Reede. Oder: Wer war der Mann, der Sankt Nikolaus heißt?

Ankern beim Gebeinhaus: Wer der heilige Nikolaus war und was er mit Gemiler Reede, den St. Nikolaus-Inseln zu tun hat: das berichtet dieser Artikel.

Wer war er bloß, der Mann, der uns in diesen Tagen im roten Mantel so oft auf den Weihnachtmärkten, in Kaufhäusern und Kindergärten begegnet? 

Die Spurensuche beginnt in der südlichen Türkei. Segelrevier-technisch gesprochen, lebte Sankt Nikolaus genau zwischen dem Golf von Fethiye und dem Golf von Antalya. Er war ein Kind dieser Küste, er ist hier aufgewachsen, er hat immer an dieser Küste gelebt, er hat sie nie verlassen. Zumindest als Lebender nicht.

Geboren wurde er zwischen 270 und 286 nach Christus im prosperierenden römischen Patara, keine Tagesreise südöstlich von Fethiye und der Gemiler Reede. Patara ist heute noch zu besichtigen, eine antike Ruinenstadt an der Küste, verlandet, versunken in wehendem Sand eines der schönsten, längsten Sandstrände der Türkei. Sein Onkel weihte ihn mit 18 zum Priester – zu einem Zeitpunkt, als Kirche heimlich und Christsein tödlich war. Vermutlich geriet er in die große diokletianische Christenverfolgung, die von 303 an 10 Jahre in einem letzten großen Aufbäumen versuchte, das Christentum gewaltsam zurückzudrängen, wie ein Hund die lästigen Flöhe abzuschütteln, die sich im Fell des römischen Staatsapparates festgesetzt hatten. Im Westen war man damit einigermaßen lax. Die Behörden in den Ostprovinzen des Reiches setzten die staatlich angeordnete Verfolgung mit grausamer Konsequenz um. Georg, Maragrete und Katharina von Alexandrien waren nur einige prominente Zeitgenossen von Nikolaus, die dem Verfolgungsapparat zum Opfer fielen. 


Blick auf die Gemiler Reede am Abend.

Nikolaus wurde vermutlich in dieser Zeit gefangen genommen, mißhandelt, wenn nicht gefoltert. Als man vor wenigen Jahren seinen Schädel in Bari aus dem Grab holte und einer Gesichtsrekonstruktion unterzog, stellte man fest, dass seine Nase zu Lebzeiten schwer gebrochen war und seitdem schief in seinem großen Gesicht saß. Die Gerichtsmediziner fanden heraus, dass er ein ungewöhnlich kleiner Mann gewesen sein muss: 1,60 groß. Aber mit bemerkenswert großen Kopf. In dem eine schiefe Nase saß.

                      Blick von den Kirchenruinen nach Osten, Richtung Patara.

Mit dem Jahr 313 endete die Christenverfolgung. Mehr noch: Christentum wurde Staatskult. Der Wind hatte gedreht. Auch in dem kleinen Ort Myra, dem heutigen Demre, ein paar Seemeilen südwestlich von Antalya und nahe der Hafenstadt Finike, wo LEVJE gerade liegt. Nikolaus war hier Abt, später wahrscheinlich Bischof.


Von den Kirchen hinunter zum Ankerplatz.     

Es muss in diesen Jahren gewesen sein, dass er Gemiler Reede besucht und vielleicht auch einige Zeit hier auf der Mönchsinsel gelebt hat. Vielleicht sogar kurz begraben war. Jedenfalls ist seine Verehrung auf diesen vergessenen Inseln besonders groß. Man erzählte sich viele, viele Geschichten von dem Mann aus Myra, der noch zu seinen Lebzeiten Feldherren im Kerker und Seeleuten im Sturm erschien. Und sie rettete aus Not und Bedrängnis.

Etwa fünf Kirchenruinen fand man auf der einstigen Klosterinsel Gemiler. Ruinen seit dem späten Mittelalter, als die Osmanen über das Festland hinaus auf Meer und Inseln griffen und byzantinische Mönche die Inseln räumten. Bis dahin war Gemiler Reede, die Nikolaus-Inseln, ein wichtiger Hafen auf der Route ins Heilige Land. Ein „Must-See“ für einen jeden Pilger, um dem heiligen Nikolaus seine Verehrung zu bezeugen. Und damit auch ein ungewöhnlich prosperierender Hafen, dessen mittelalterliche Kaimauern, Reeden, Lagerhallen man heute noch die ganze Nordküste mit Staunen sieht.


Hier wollte man begraben sein: Eine Insel voller Gräber, Grabkammern, Beinhäuser, Totenhaus. All das zeugt davon, wie verbreitet die Verehrung von Sankt Nikolaus über die Jahrhunderte war.

Im Insel-Inneren stehen mittelalterliche Ruinen an diesem Ort herum, es sind viele: dem heiligen Nikolaus geweihte Kirchen. In den Felsen gehauene Steingräber. Unzählige Totenhäuser vermeintlich bedeutender Menschen, die beim Erweckungsruf des jüngsten Gerichts nahe, nahe beim Heiligen und auf heiligem Boden sein wollten. Als Klassenprimus in der ersten Bank, sozusagen. 

Die Verehrung riss auch nicht ab, als italienische Kaufleute im Herbst des Jahres 1087 die Gebeine des heiligen Nikolaus aus der heute noch stehenden Nikolaus-Kirche in Demre stahlen. Heiligenklau, Reliquien-Diebstahl war groß in Mode. Die Liste prominenter Heiligen, die in diesen Jahren angeblich „zum Schutz vor heidnischen Seldschuken“ aus Gräbern christlicher Kirchen gerissen und zufällig nach den größten Hafenmetropolen Italiens „schützend“ verfrachtet wurden, ist lang: San Marco nach Venedig. Sankt Andreas nach Amalfi. Sankt Matthäus nach Salerno. Sankt Johannes der Täufer nach Genua. Sankt Thomas nach Orthona. Jede mächtige Hafenstädte dieser Zeit brauchte einen Apostel in ihren Mauern. Oder das, was von ihm übrig war. 

     Der Mann im roten Mantel: Ob hochmittelalterliches Abbild des Sankt Nikolaus oder nicht: 
     Diese Malerei hat sich in einer Kirchenwand von Gemiler – wenn auch beschädigt – 
                                   über sechs, sieben Jahrhunderte erhalten.

Die Kaufleute, die die Gebeine von Sankt Nikolaus klauten, waren vergleichsweise spät dran bei diesen Ereignissen. Sie waren aus Bari, und vermutlich war die Mission lange geplant, mit der sie die Gebeine von Sankt Nikolaus heimlich nach Bari schafften. Wo noch heute jedes Jahr vom 7.-9. Mai die Ankunft der Gebeine von San Nicolà, denn so heißt er hier, in der Stadt mit großem Brimborium, Umzügen, Herumtragen der Reliquien des San Nicolà in der Stadt und im Hafen gefeiert wird. Und hier ruht er auch noch heute. Wenn nicht gerade eine Gesichtsrekonstruktion, ein Umzug oder anderer Trubel seinen ewigen Schlaf stören.

                                   Weiterlesen bei: Was Sie über das Segeln in der Türkei wissen müssen.

                                   Weiterlesen bei: Die vergessenen Inseln: Hier.

                                   Weiterlesen bei: 5 Monate Segeln. Was hat mir das gebracht? 7 Erfahrungen
                                   Weiterlesen bei: Reden wir mal über die Angst. Hier.

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Von Menschen und von Schiffen: Wie 50 Männer 50 Schiffe im Jahr bauen.


    Für die einen sinnlose Holztrümmer, für die anderen wertvolles Werkzeug: Fast alles an einer Yacht entsteht aus Formteilen und nach Schablonen. Wie eine Yacht entsteht, zeigt dieser Beitrag.

Ein nebliger Dezembertag an einem kleinen See vor den Alpen. Der barocke Turm der Dorfkirche ist im Grau kaum zu sehen. Eiskalter Ostwind streicht um die drei Werkshallen oben auf dem Hügel. Die Luft riecht nach Schnee von den Bergen. Dies ist der Ort, an dem die Werft ihre Yachten baut. 400 Kilometer vom Meer entfernt. Seit bald 70 Jahren. 50 Männer. Die 50 Schiffe im Jahr bauen. Von 24 bis 53 Fuß Länge. Die Werft heißt SUNBEAM. Und der Ort im Nebel ist Mattsee. Und er liegt in Österreich, 20 Kilometer von Salzburg entfernt, von Mozartkugeln, Trachten-Moden, Weihnachtsmarkt.

Wieso man so weit vom Meer entfernt seegehende Yachten bauen kann? Günter Ambrosi, der für den Verkauf zuständige Mann, lacht sein keckerndes Lachen. „Ein gute Yacht bauen: Das hat erst mal nichts mit der Beherrschung von Wind und Wellen zu tun. Sondern mit der Beherrschung des Werkstoffes.“ Und dieser Werkstoff heißt Harz. Und Härter. Und Glas – genauer: Glasfasern.


    Der Stoff, aus dem die Träume sind: Glasfasermatten.

In Mattsee experimentieren, bauen, arbeiten sie mit diesem Werkstoff seit den frühen 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Väter der beiden heutigen Werftbesitzer waren Schreiner. Tischler. Bootsbauer. Sie bauten kleine Holzjollen. Für den heimischen Mattsee, den Mondsee und den Attersee. Als der neue Werkstoff – die mit Harz und Härter getränkten Glasfasermatten – aufkam, begannen die Brüder damit zu experimentieren. Bauten ihre ersten Jollen und stellten diese auf den Bootsmessen vor. Am Anfang steht die Beherrschung des Werkstoffes. Und das ist der Grund, warum kaum eine der Werften im deutschsprachigen Raum am Meer entstand. BAVARIA im mainfränkischen Giebelstadt – 1978 gegründet von einem Fenster-Fabrikanten. DEHLER in Freienohl im Sauerland.  

Am Anfang: Die Idee.


    Ideen, Zeichnungen, Pläne – wieder und wieder verworfen. Ein Papierabfall-Behälter in der Werft.

Am Anfang eines neuen Boots steht die Idee. Aus Gesprächen mit Kunden und aus der Beobachtung dessen, was am Markt gerade gut verkauft wird, entsteht eine Vorstellung davon, wie ein neues Boot aussehen könnte und was es auszeichnen soll. „Meistens entwickeln wir so etwas, wenn wir am Feierabend ganz zwanglos ein Bier miteinander trinken, der Günter, der Gerhard und ich“, sagt Manfred Schöchl, dem die Werft zusammen mit Gerhard Schöchl gehört. Aus der Idee entstehen erste Skizzen. Und aus den Skizzen: die Form – eine Positivform.

Schritt 2: Laminieren.

Die Positivform ist ein aus Sperrholz, Schaumstoff, Styropor, Pappelleisten geleimtes, getackertes, gespachteltes Modell in Originalgröße. Es enthält alle Details. Für den Bootskörper. Für das Deck. Für Einzelteile wie Backskistendeckel, Salonhimmel und ähnliches. Von dieser formgenauen, oberflächenbrillanten Bauteil-Vorlage, der Positivform, stellen die Männer die Negativform her – die Grundform, in der der Bootsrumpf produziert wird. Oder das Deck. Oder einzelne Bauteile, wie der Salonhimmel oder ein Backskistendeckel.


    Die Negativform eines 40 Fuß-Schiffes vom Heck her gesehen. In sie werden nach spezieller Vorbereitung die mit Harz und Härter getränkten Glasfasermatten gelegt.

Die Produktion des Schiffes beginnt in der Laminierhalle mit der Grundform. Diese wird zunächst gereinigt. Dann noch mal gereinigt. Dann mit Wachs als Trennmittel bestrichen. Im Anschluss kommen mit dem Pinsel mehrere Millimeter Gelcoat drauf – das, was man als Bootsbesitzer an seinem Schiffskörper als erstes wahrnimmt. Und dann werden nach einem detailliert vorgegebenen Lagenplan die mit Harz und Härter getränkten Glasfasermatten aufgebracht. Lage für Lage werden die getränkten Glasfasermatten in die Rumpfform eingelegt. Der Bootsrumpf entsteht. 15 Männer brauchen für den Rumpf einer 40er etwa 14 Tage.

    Die Negativform von Außen in ihrem Formkorb. Im Vordergrund links: die Negativform eines Schiffsdecks.

Für jeden der derzeit lieferbaren acht Bootstypen gibt es nur eine einzige Negativform. Ob es nicht Sinn machen würde, gleich mehrere Negativformen, zum Beispiel von der neuen 40er zu haben? Dann könne man doch gleich mehrere Bootskörper parallel und effizient produzieren? Der Produktionsleiter lächelt: „Theoretisch ginge das. Aber das Laminieren ist nicht das Problem. Sondern der Ausbau in der nächsten Halle, der Ausbauhalle. Wenn wir hier mit dem Laminieren fertig sind und die Rumpfhülle kann nicht gleich rüber in den Ausbau, weil die drüben mit dem aktuellen Auftrag noch nicht fertig sind: Dann geht hier nichts weiter. Der Engpass liegt immer drüben in der Ausbauhalle“, erklärt er den Produktionsprozess.


    Der Rumpf ist fast fertig: in die eingelegten und bereits trockenen Glasfasermatten des Rumpfs werden nun die Formstücke für die Bilge eingelegt. Und einlaminiert.

Schritt 3: Der Ausbau in der Ausbauhalle.


    Mannshoch, tonnenschwer: Der Kiel des neuen 40-Fuß-Modells der Werft.    

Warum das so ist, sehen wir beim Betreten der Ausbauhalle. Mannshohe Gusskiele für das brandneue 40er-Modell stehen herum. Leere Negativformen für Deck und Rümpfe. Fünf bis zehn weitere Kiele. Fertige Holzteile für den Innenausbau. Es riecht streng nach Chemie. Überall liegen Werkzeuge, Behälter, Schleifer und Hobel. Schläuche, Kabel, Leitungen, die in den oben offenen Rumpf einer 40er hineinlaufen wie in einen Patienten nach der Operation, wenn das Leben wieder Stück für Stück in ihn gebracht wird. Die Männer montieren gerade den Innenausbau. Ausbau – das heißt: Einbau des Bodens und des Motors. Einziehen aller Kabel in die Kabelkanäle. Einbau der kompletten Innenraum-Elektrik wie Beleuchtung, Heizung, Warmwasser. Auch die Navigationselektronik ist dabei. Einbau der Querschots, der Salonmöbel, des Bads, der Pantry. Und der Kojen.


    Eine 40-Fuß-Yacht wird ausgebaut: gut erkennbar sind beide Querschotts. Der senkrechte „Schacht“ in der Bildmitte ist der Niedergang, mit dem bereits fertig eingebauten VOLVO-PENTA-Motor.    

Alle Kabel, Seeventile und natürlich die Holzteile, die die Werft in ihrer eigenen Schreinerei anfertigt, finden hier ihren vorbestimmten Platz. Wie in eine offene Schüssel werden die Teile einzeln an den Rumpf gebracht, hineingehievt und dann sorgfältig eingebaut, bei noch nicht montierter Deckseinheit.


    Der Salon: Gut erkennbar der Eingang in die Toilette. Links davon die bereits montierte Panel der Schiffselektrik. Davor die Pantry mit gelb abgedeckter Spüle. Dahinter der Eingang in die Koje.

Der Innenausbau: ein kompliziertes Gewerk, umfasst es doch Holzbau, Elektrik und Elektronik sowie den Einbau des Motors. Um 12 Meter Schiff mit dem Innenausbau fertigzustellen, ist ein bunt gemischter Haufen an Schreinern, Tischlern, Bootsbauern, Elektrikern und Elektronikern zugange, um dem Traum eines Seglers Gestalt zu geben. Facharbeiter, Angelernte, Lehrlinge, Helfer – sie alle sind Teil der Werft. „Ich kann mich noch genau erinnern“, sagt Günter Ambrosi, der Verkaufsleiter, „wie ich als Lehrling bei Schöchl angefangen hab. Eine Ankerwinsch fürs Heck der 37er PAMINA, die hab ich 1997 als erstes einbauen dürfen. Der Eigner war leidenschaftlicher Mittelmeer-Segler. Und hatte nur einen Arm – deshalb die Heck-Ankerwinsch. Und die PAMINA mit meiner Heck-Ankerwinsch liegt heute immer noch in Porto San Giorgio an der Nordadria.“ Man kennt seine Kunden – und begleitet sie über Jahrzehnte.


    Die Niedergangstreppe einer Yacht, noch unlackiert, in der Schreinerei.

Sämtliche Holzteile stellt die werfteigene Tischlerei selbst her, in der Werft hat sie, ebenso wie die Schlosserei, ein kleines eigenes Reich. Mit allem, was zu einer traditionellen Tischlerei gehört: 


Schraubzwingen hängen an den Wänden. Schrauben, Leimtöpfe, Schleifpapier für die Bandschleifer. Und überall hängen Formstücke – Formstücke für fast alles und jedes einzelne hölzerne Bauteil eines jeden Schiffes, das in der Werft gebaut wird und gebaut wurde. Für die Niedergangstreppe, „die Stiege“ einer 39er, deren Formstück für die Seitenwrange man im Foto unten rechts erkennt.

Die Tischler produzieren hier praktisch alles, was das Boot an Holzteilen benötigt: Von der Pinne bis zur Pantry. Von der Navi-Ecke bis zum Niedergang, vom Schapp bis zum Schuber. Sie sind stolz darauf, dass das Furnier für die gesamten Seitenschapps des Salons aus einem einzigen Stück geschnitten wird. Das über die ganze Salonlänge läuft. Auch die Lackierung aller Holzteile geschieht hier in der Schreinerei, so dass das fertige Holzteil nur durch die Schreinereitüre hinausgerollt wird in den Halle nebenan, dahin, wo die leeren Yachtrümpfe auf Ihr Innenleben warten.

Auch die Beschläge fertigt die Werft selber: Belegklampen. Bug- und Heckkörbe. Seezäune. Sind Deck und Rumpf miteinander verschraubt, kommt die Yacht für zwei Wochen ins Tauchbecken. Man legt das Boot einfach ins Wasser. Und überprüft vor der Auslieferung, ob alle Borddurchlässe sicher sind. Ein simples und einfaches Verfahren. Das aber bösen Ärger beim Kunden vermeiden hilft.

Und wie lange braucht man, um sich ein neues Yachtmodell auszudenken? Manfred Schöchl, zusammen mit seinem Cousin Gerhard Schöchl Eigner der Werft und dort für Technik und Entwicklung zuständig, lächelt: „Das dauert ein bis zwei Jahre. Wir reden einfach darüber, was Kunden gerade suchen. Was dem Kunden bei einer Yacht gerade wichtig ist. Das ändert sich alle paar Jahre.“ Die Kunden seien andere geworden. Früher waren Yachtbesitzer Segler, die mit Pirat oder Opti angefangen hatten und dann langsam auf die Yacht umstiegen. Und sich vergrößerten. „Ganz anders der heutige Kunde: der ist begeisterter Chartersegler. Unser Kunde kommt heute von der Charter. Er weiß genau, was ihm an seiner Charteryacht nicht gefallen hat. Er steigt aufs eigene Schiff um und erwartet, dass alles so zuverlässig funktioniert, wie er das von seinem Auto her kennt. Eine große Herausforderung für Yachtbauer.“ Und noch etwas fällt Manfred Schöchl dazu ein: „Früher wurde beim Kauf einer Yacht viel über Technik im Hinblick auf Sicherheit gesprochen. Wenn ich heute anfange und sage: ‚Wir verwenden für die Kiel-Halterung nur 20er-Kielbolzen…‘, dann kann es schon vorkommen, dass mich ein Kunde unterbricht und sagt: ‚Sülz mich nicht voll. Wenn ich nicht wüsste, dass Ihr gute Yachten baut, wäre ich nicht hier.‘ Sicherheit und Verlässlichkeit einer Yacht werden heute genauso wie beim Auto stillschweigend vorausgesetzt. Darüber wird nicht mehr geredet.“


    Stilleben in der Schreinerei.

50 Männer, die 50 Schiffe im Jahr bauen. Für Männer. Denn immer noch sind Bootskäufer fast ausnahmslos männlich. Die meisten verheiratet. Und beim Bootskauf ist die Ehefrau immer dabei. Aber welche Rolle spielen die Frauen beim Yachtkauf? Manfred Schöchls Antwort verblüfft: „Ohne die Ehefrau verkaufe ich kein Schiff. Sie trifft die Entscheidung mit. Das geht soweit, dass wir wesentliche Teile einer Yacht auf die Frauen hin konzipieren: die Inneneinrichtung, die Funktionen der Pantry, die Kojen. Das muss alles genauso funktionieren, wie man das von seiner modernen Wohnung und vor allem von seiner Küche her kennt. Segeln: Das war früher ‚Camping auf dem Wasser.‘ Mit Bunsenkocher. Heute ist das alles anders. Das Design eines Schiffes, die Segelleistung, die Sicherheit: Die schneidern wir auf den Mann zu. Das gesamte Innendesign von der Matratze bis zur Schlingerleiste am Salontisch: Das machen wir nur für die Frauen. Denn schließlich: Ohne die Frauen würde hier auch in der Werft nix funktionieren.“

                                                                     Weiterlesen bei: Von Schiffen und von Menschen

Der Segler im Winter: Wie der Segler über den Winter kommt.

 

„Ende November auf dem See ist nicht jedermanns Sache. Die Kälte auf dem Wasser geht durch Mark und Bein. Der Tee aus der Thermoskanne hilft nicht wirklich. Das Wasser des Sees, im Hochsommer Türkis, ist jetzt braun, fast schwarz und ganz unbewegt. Der See ist wie ein Moorsee und ein bisschen unheimlich. Trotzdem mag ich diese Jahreszeit auf dem Wasser. Das ganz Unbewegte. Die Stille. Kein Laut. Kein Lüftchen. Nur der Rauch der Laubfeuer, der am Ufer steht. YamYam ist meist das Vorletzte der 270 Boote, das aus dem Wasser kommt. Das gefällt mir. Trotz RAMSAR-Artenschutz-Abkommen. Auf dem Bild oben sieht man YamYam ganz hinten und mit gelegtem Mast. Da ist sie wirklich das letzte Boot. Der Rest: Stille und Schweigen.“

Im November 2007 schrieb ich diesen Text. Auf meinem ersten Blog. Und über mein erstes eigenes Boot. Es hieß YAMYAM. Nichts hat sich seitdem geändert. Der November, in dem ich geboren bin, ist ein trüber Monat. Die Boote kommen aus dem Wasser. Die letzte Runde, die ich auf YAMYAM dick eingepackt und mit gelegtem Mast auf dem See drehte, war vorbei. Unwiderruflich. Oft hatte ich das Gefühl: Es sei vorbei mit dem Segeln. Für immer. Unvorstellbar, dass es wieder Sommer werden würde. Segeln – das würde nie, nie wieder sein.

Der Segler im Winter: das ist schon ein eigenes Kapitel. Wie kommt der Segler über den Winter? Wenn man es sich nicht leisten mag, wegzugehen? Die Zuhause allein zu lassen? Thailand, Karibik oder die Kanaren für eine klägliche Woche charternd zu bereisen?

Ich habe das immer geschafft, in dem ich mich über den Winter mental mit dem Segeln beschäftigte. Am Boot arbeiten war ja nicht. Wegen der Kälte. Aber die Gedanken um das Segeln kreisen lassen. Deshalb das Eine: Wir werden auf MARE PIÙ ein Buch machen. Zusammen mit Seglern. Über ein Thema, das wir nächste Woche bekanntgeben werden. Ein Thema, um den Segler über den Winter zu bringen. Wenn Sie mehr Informationen über unser Buchprojekt möchten: Bitte rechts oben Ihre EMail unter „News & neue Artikel… “ eintragen. Und dann das nachfolgende FEEDBURNER-Sicherheits-Mail abwarten und bestätigen.

                                                                                                          Weiterlesen bei: Mare Piu macht ein Buch.
    
Das Andere: Den Winter habe ich immer geschafft mit EINEM besonders guten Buch. Ein Buch, das  über das Leben auf dem Meer schrieb. Ein Buch, das mit dem Segeln zu tun hatte. EIN Buch, das mich über den Winter gerettet hat. Buchstäblich. 

Jedes Jahr gab es davon eines. Ein einziges, das ich verschlungen habe. Und daraus ist dann meine persönliche Bestenliste geworden: BÜCHER, DIE MICH ÜBER DEN WINTER BRACHTEN. Ein höheres Lob kann ich einem Buch nicht aussprechen, als dass ein Buch war: das mich über den Winter brachte.

Das unten sind sie. Sie brachten mich über den Winter. Sie begleiten mich auf meiner Reise mit LEVJE. Sie sind immer an Bord. Die meisten kennt man. Ich werde jetzt, in loser Reihenfolge, meine Bestenliste, meine BÜCHER, DIE MICH ÜBER DEN WINTER BRACHTEN, vorstellen. Bis Weihnachten immer ein, zwei beschreiben. Und wenn das für Sie nützlich ist: dann freue ich mich, wenn Sie wie immer unten im Feld auf das „Tolle Geschichte…“ ein Häkchen setzen. Dann weiß ich, dass das auch Ihnen über den Winter hilft.

Beginnen wir ganz, ganz unten: 
1993 veröffentlichte Annie Proulx ihre SCHIFFSMELDUNGEN. 1995 habe ich es zum ersten Mal gelesen, und dann immer wieder. Das Buch beginnt – schrecklicher kann ein Buch nicht beginnen – mit einer fortgesetzten Reihe persönlicher Katastrophen: Fremd sein in der Familie, in die man geboren wird. Fremd sein an dem Ort, an dem man lebt. Arbeitslos. In eine vollkommen verzweifelte Beziehung hineinrutschen, Trennung, Tod, schreckliches Sterben. Die ersten 38 Seiten handeln nur von einem lebenslangen Absturz. In Raten. Die restlichen 360 Seiten? Die Geschichte einer Heilung. An einem Ort, an dem keiner von uns wirklich gerne leben wollte. Wo immer Winter ist. Aber wo Quoyle, der Held des Romans feststellt, dass er hingehört. Wo er Wurzeln schlägt. Und beginnt, über Schiffe zu schreiben. 

Rechts oben, ERIC TABARLY – Ein Seglerleben.
Ein Bildband. Über das Leben des französischen Seglers, der wirklich ein Ausnahmesegler war. Eine chronologische Sammlung von Fotos aus seinem Leben. Seine Liebe zu seiner PEN DUICK, die er von einem Schiff auf das andere übertrug. Seine Rastlosigkeit, was Ideen, Projekte, Reisen angeht. Ein ungewöhnliches Leben bis hinein in seinen Tod in der irischen See. Und: gerne gebe ich zu, dass ich dieses Buch immer um mich habe. Es steht, es liegt immer irgendwo, wo ich das Titelbild sehen kann. Damit es mich an etwas erinnert: Es zeigt Tabarly kurz nach dem Zieleinlauf eines Einhand-Transatlantik-Rennes. Erschöpft. Abgekämpft. Aber in seinem Blick, in seinen lachenden Augen liegt alles, was die Leidenschaft fürs Segeln ausmacht. Sein Blick sagt: „Ich habe da draußen gesehen, was noch keiner sah.“

Anmerkung:
Ich habe nicht geprüft, ob und wie diese Titel lieferbar sind. Sollten Sie das wünschen, werde ich in meiner Texte zur Bequemlichkeit aller Links einbauen, wo die Bücher erhältlich sind. Gerne mache ich das und bitte Sie um kurze Mitteilung an mich, wenn Sie als Leser das möchten.
For Tabarly: Special Thanks to Katja.

Reden wir über: Der Segler und das Klo. Oder: Vom Nutzen und Nachteil des Fäkalientanks für das tägliche Leben.

Der zurückliegende, am 19. November unter kaum vernehmlichen medialen Echo begangene Welt-Toillettentag – jawoll, so heißt der ganz offiziell! – bietet uns Anlaß und Gelegenheit, auf diesen Seiten mal ein Streiflicht auf ein täglich drängendes Thema zu werfen: Den Segler und sein Klo.

Betrachtet man das Verhältnis des Seglers zu seinem Klo aus historischem Blickwinkel, dann war, wie so oft, früher alles besser. Früher hing man halt einfach den Hintern über die Bordwand. Und schon war das kleine oder große Geschäft erledigt. Unter Männern geht das gut. Man sieht das sehr schön in einer kleinen Sequenz des immer wieder sehenswerten Films MASTER AND COMMANDER: Eine Teerjacke hockt im dichten Schneefall mit heruntergelassenen Hosen vorne im Bugkorb. Jawoll. So war das.

Problematischer war es mehr als 2.000 Jahre auf Galeeren: Die angeketteten Rudersklaven konnten ja nicht einfach wie im Klassenzimmer den Finger heben und sagen: „Ich muss mal!“ Das Geschäft wurde an Ort und Stelle erledigt, egal, wer drüber saß. Oder drunter. Gelebt, geschissen, gestorben wurde, wo man hockte. Schaurig. Schaurig vor allem auch für andere, wenn das Schiff tagelang im Hafen lag. Und in seiner eigenen Brühe von 300 Ruderern schwamm. Von venezianischen Galeerenkapitänen – die Venezianer hielten aus nicht nach vollziehbaren Gründen am längsten an diesem Schiffstyp fest – wird gesagt, dass sie immer mit Spazierstock unterwegs waren. Nicht weil sie lahm waren. Sondern weil im Knauf des Stocks geruchsintensiver Salmiak untergebracht war. Stank’s mal wieder auf dem Schiff zum Himmel, schnüffelte der Kapitän einfach am Salmiak. Weiterlesen auf Mare Più, wie die Venezianer an den Galeeren festhielten

Auf der im Hamburger Hafen liegenden RICKMER RICKMERS ist die Sache fortschrittlicher geregelt. Da gibts im Bug, gleich neben dem Kabelgatt, ein veritables Plumpsklo. Man setzt sich drauf, und eine zugige Regenrinne leitet alles nach draussen. Wie auf einer Almhütte. Das war Fortschritt. Im Film DAS BOOT wird in einer kleinen Szene der Kriegsberichter, gespielt von Herbert Grönemeyer – das waren noch Filme!! – mit den sanitären Einrichtungen des U-Boots Typ 7C vertraut gemacht. Zwei Toiletten. Für 67 Mann Besatzungen. Die eine hängt voll mit Schinken, Würsten, Salami. Was der Bootsmann im Film mit launiger Schnautze kommentiert: „Mehr zum Fressen und weniger Platz zum Scheissen – des is‘ aa a Logik!“

Jedenfalls blieb das mit dem „einfach nach Draußen leiten“ lange Jahre letzter Schrei der Technik. Eigentlich bis in unsere Zeit. Ich erinnere mich an meinen ersten Segeltörn in der südlichen Türkei, Ende der 90er. Da lagen wir, drei Segelyachten, friedlich in der Gemiler Reede, einem wunderschönen Ort (über den ich nächste Woche aus gewichtigem Anlaß berichten werde. Bitte oben rechts registrieren, wenn Sie’s nicht verpassen wollen!). 3 Segelyachten in 1 Bucht mit je 4-5 Menschen: kein Problem. Man informierte seine Mitsegler an Bord mit dem dezenten Hinweis, doch die nächsten 10 Minuten nicht ins Wasser gehen. Und das drängende Problem war gelöst. Die Ringelbrassen, die immer unter den Booten stehen und darauf warten, was von oben runterfällt, die wir deshalb „Kackbrassen“ tauften: sie erledigten zuverlässig „den Rest“.

Die Probleme begannen, als der Wohlstand in die Bucht kam. Genauer gesagt: Die Gülets mit den ferienfrohen Urlaubern aus Marmaris, aus Fethiye, aus Kas. Kam so ein Gület mit 60, 70 Oberkörper-geölten Urlaubern in die Bucht und legte sich neben uns: dann konnte man für den Rest des Tages das Schwimmen in der Bucht vergessen. Soviele „Kackbrassen“ konnte es in der Bucht gar nicht geben. Es war zuviel für sie. Es war zuviel für uns.

Die Türkei hat dann aber noch Ende der 90er erkannt, dass das Problem weniger die ferienfrohen Urlauber, sondern die eigenen Gülets waren. Und hat sich Ende der 90er die strengsten Umweltregeln zum Schutz der eigenen Gewässer verpasst, die ich kenne:
Das Einleiten von Fäkalien in Gewässer ist streng verboten. Und wird besonders im Hafen mit sehr hohen Geldstrafen belegt.
Jeder, der dort Segelt, hat einen Fäkalientank an Bord. Wenn nicht: Geldstrafe.
Jeder, der dort Segelt, hat eine blaue MAVI-Card. Die kostet 25 Euro. Und auf dem Computerchip wird penibel kontrolliert, wann man zum letzten Mal ordentlich im Hafen abgepumpt hat. Hat man keine Blaue Card: Geldstrafe.

Weiterlesen, was man sonst noch an Regelungen über das Segeln in der Türkei wissen sollte

Weiterlesen, was man über die Regelungen in Griechenland wissen sollte.

Zugegeben: drastisch. Und streng. Gelegentlich drakonisch. Es hat aber den unbestreitbaren Vorteil, dass man selbst in vollen Ankerbuchten sorglos zwischen den Schiffen herumschwimmen kann. Das Wasser ist kristallklar. Man muß als Skipper seine Crew in einer vollen Bucht morgens nach dem Aufstehen nicht mehr warnen: „Es ist halb neun. Ich würd‘ jetzt nicht ins Wasser gehen…“


Und weil mir trotz aller Gängelei die Vorteile einleuchteten, habe ich mir auf LEVJE gleich zu Beginn meiner Zeit in der Türkei einen Fäkalientank einbauen lassen. Wie schon öfter, haben mich die Türken beeindruckt. Das da oben sind Dennis und Muhsin. Muhsin war lange, lange Jahre Techniker bei einem Vercharterer, er hat sich Anfang September als Bootstechniker mit Dennis selbständig gemacht. Als ich ihn wegen eines ersten Besichtigungstermins auf LEVJE anrief, war er sofort zur Stelle. Schaute sich LEVJE gründlich an. Sagte mir, wie er den Tank einbauen würde. Und wo.
10 Minuten später stand ein Tankbauer auf der Pier. Vermaß den von Muhsin angegebenen Platz im Schrank. Und baute mir innerhalb eines Tages einen eigens für mich angefertigten Tank aus 10mm starken Kunststoffplatten.
 

 

Der sieht aus wie ein schwarzer Tresor. Als ich etwas nörgelig auf Edelstahl bestehen wollte, warnte mich Muhsin vor undichten Nähten. Bei mir traf er damit ins Schwarze, denn ich habe zwei mal undichte Edelstahl-Tanks erlebt.
 


 
Jetzt thront der Fäkalientank im passgenau in LEVJE’s Schrank. Es war innerhalb eines Tages erledigt. Es war weit günstiger als das Angebot eines deutschen Anbieters nur für das Material. Es war schrecklich zu sehen, wie Muhsin zwei Löcher durch LEVJE’s Bordwand bohren musste. Eins für die Lüftung. Eins für die Absaugung.
 
                                            Weiterlesen: Was kostet eigentlich 5 Monate Segeln im Mittelmeer
 

 

Und wenn jetzt Welt-Toilettentag ist, der uns daran erinnern soll, dass die Trennung von Fäkalien und sauberem Wasser keineswegs überall Standard ist, dann denke ich mir dreierlei:
 
Wie fortschrittlich doch die Türkei ist. Mit wieviel Energie dort in nur zehn Jahren eine Infrastruktur zur effizienten Reinhaltung der Küstengewässer aufgebaut wurde.
Wie bräsig auch bei diesem Thema die EU-Länder mal wieder sind.
Wie schön es ist, morgens ohne Bedenken in jeder Bucht ins Wasser steigen zu können.
 

Eigentlich schon ganz gut. So ein Welt-Toilettentag.

 


    Levje an Ihrem aktuellen Standort: In Finke in der Südtürkei.

 
 
 

Die vergessenen Inseln: Despotiko. Oder: Der letzte Feldzug des Miltiades.

Der unwirtliche Norden des Inselchens Tsimintiri.

Oft auf meiner Segelreise durch die Ägäis frage ich mich: Bin ich es, der dank glücklicher Fügung Orte findet, die Geschichten erzählen? Oder sind es die Orte, die mich finden?

Denn so war es auch mit Despotiko, der vergessenen Insel. Den Tag über war ich von Kimolos herübergesegelt, ein längerer Schlag, an Sifnos vorbei. Am späten Nachmittag begann ich Ausschau zu halten nach einem Platz, um ankernd die Nacht zu verbringen. An zwei, drei Buchten segelte ich vorbei, bleib ich hier? Bleib ich da? Bis ich mich entschied, noch vor Paros in die weite Ankerbucht Ormos Despotiko einzulaufen, die jeder kennt, der durch die Gewässer um Paros und Naxos streift. Es ist ein Ankerparadies, das da zwischen dem bewohnten Antiparos im Osten und den unbewohnten Inseln Tsimintiri und Despotiko, den alten Piratenschlupfwinkeln liegt: weit, geräumig, das türkise Wasser begeisternd, vor dem Wind geschützt nach allen Himmelsrichtungen, Wassertiefe und Grund ideal zum Ankern. Ein Platz wie wenige. Ich blieb vier Tage.

    Blick von Antiparos nach Westen: Vorne links das unbewohnte Tsimintiri. Dahinter die Insel Despotiko. Und fern am Horizont Sifnos.

Meiner Gewohnheit folgend, nutzte ich den späten Nachmittag, um mit meinem Dinghi Streifzüge zu unternehmen. Zuerst nach Antiparos – da wars touristisch. Dann nach Tsimintiri (im Bild ganz oben): baumlos, strauchlos, menschenleer, und der Meltemi treibt aus Nordwesten die Brandung an die Felsen. Doch plötzlich stehe ich – wie fast immer auf den Ägäis-Inseln und vorher schon auf Milos – in antiken Tonscherben. Die ersten Spuren uralter Besiedlung. 

Am Dritten Tag dann mit dem Dinghi hinüber nach Despotiko selber. Das Dinghi an Land gezogen und vertäut und langsam Richtung Gipfel marschiert. Und plötzlich finde ich – oder es findet mich – dies:

Ein weitläufiges Areal. Grundmauern aus behauenen Quadern. Die Reste einer Tempelanlage der Antike – ein Kultplatz, vielleicht nicht so groß wie Olympia, aber beeindruckend mit den fast fugenlos aufeinandergelegten Quadern, den üppigen Grundrissen, den Säulen mitten auf dieser vergessenen, nur von einem Schäfer bewohnten Insel, dessen Hunde mich aus der Ferne anbellen, während ich allein durch die Ruinen streife.

                                                                                                                     Weiterlesen über das Heiligtum von Olympia: hier.

Kein Zweifel: dies muss in der Antike ein bedeutendes Heiligtum gewesen sein, ein Ort, den zuverlässig untereinander streitenden und kriegenden Hellenen ein Stück Gemeinsamkeit zu schaffen. Was ich fand, ist dies:

Es ist das antike Prepesinthos, ein Heiligtum, im sechsten, siebten Jahrhunderts vor Christus dem Apoll errichtet. Ein zentraler Ort, den die Menschen vor 2.600 Jahren mit einer Bitte, einem Gebet, einem Flehen oder einem Dank aufsuchten. Ein Ort, an dem sie den Göttern, einem Gott, Apoll, ein Opfer, ein Geschenk darbrachten. Manche Gold. Manche eine Figur. Andere nur einen Krug. Oder einen tönernen Weinbecher, in dessen Boden sie mit ungelenker Hand „Für Apoll“ ritzten.

Aber etwas stimmt nicht mit diesem Ort. Irgendetwas ist falsch. Und das hat mit dem marmornen Abbild des „Kouros“, des Jünglings, zu tun, den man im Bauschutt der weitläufigen Ruinen fand. Denn der Kouros, vielmehr die vollständige Statue, war nur wenige Jahre in Prepesinthos aufgestellt. Der Kopf wurde etwa um 560 vor Christus geschaffen, und dies unergründliche Lächeln, das der Jüngling zeigt, verschwand nur wenige Jahre später im Erdboden: die Statue wurde zerstört – keine 70 Jahre, nachdem der Künstler sie geschaffen hatte. Zerstört nicht durch Erdbeben oder eine Naturkatastrophe. Sondern durch militärische Gewalt, durch absichtsvolle Zerstörung. Um danach in Trümmern als Baumaterial Verwendung zu finden.

Man ging zunächst von lokalen Unruhen aus. Dann von den Perserkriegen, in denen Naxos und Paros als wichtiger Trittstein für die Perser auf dem Weg nach Athen eine große Rolle spielte. 

Aber die jüngste Spur ist weit spannender. Sie führt nach Athen. Und mitten hinein in das größte Ereignis der griechischen Antike: Den Einmarsch der Perser mit ihren gewaltigen Heeren nach Griechenland. Und den Sieg der Athener über diesen Feind. Die Spur führt von der vergessenen Insel Despotiko zu Miltiades, dem Strategen, der die athenischen Truppen in der Schlacht von Marathon zum Sieg führte. Miltiades, der als größter Feldherr seiner Zeit galt. Der ein Jahr nach seiner erfolgreichen Kampagne von seiner Heimatstadt Athen beauftragt wurde, die Insel Paros zu unterwerfen. Aber die Bewohner von Paros und der umliegenden Inseln ließen sich nicht unterkriegen. Leisteten erfolgreich Widerstand, und es war vermutlich während dieses Kriegszuges, dass das nur wenige Meilen vor Paros liegende Apollon-Heiligtum von Griechen zerstört wurde. Und das Lächeln des Kouros für 2.500 Jahre im Erdboden verschwand.

Miltiades wurde auf diesem Feldzug am Bein verwundet. Und wegen seines Fehlschlags von Paros in Athen angeklagt. Man war gnadenlos: Auf einer Krankenbahre hatte sich Miltiades vor Gericht für seine misslungene Expedition zu rechtfertigen. Es verurteilte ihn zu einer hohen Geldstrafe. Sie war so hoch war, dass er sie – wiewohl vermögend – nicht begleichen konnte. Also verurteilten ihn die Richter zu Gefängnis.

Miltiades, der seine Vaterstadt vor den Persern gerettet hatte, starb an den Folgen seiner Verletzung von Paros, noch bevor sie kamen, ihn zu holen.

Als ich zurück zum LEVJE rudere, bin ich nachdenklich. Zum ersten Mal ist draußen über dem Meer Nebel. Eine erste Ahnung von Herbst ist da, selbst hier in der Ägäis. Wo die vergessenen Inseln dem, der zuhört, leise gute Geschichten ins Ohr flüstern..

   Wo liegt Despotiko? Und wie segelt man nach Despotiko? So. Einfach auf dem Tablet vergrößern…

Es ist soweit: MARE PIÙ macht ein Buch.

Die Abenteuer beginnen, wenn wir unser Zuhause verlassen.“, sagte Blaise Pascal. 

Was über diesem Blog steht, hat mich nie verlassen, weder draussen auf dem Meer noch an Land. Es ist ernst gemeint. Es ist ein Leitstern geworden in meinem Leben. Für mich, aber auch für die, MARE PIÙ aktiv begleitet haben im vergangenen halben Jahr.

MARE PIÙ hat begonnen als Webseite über das Leben am Meer. Mit Geschichten vom und über das Meer. Und über die Menschen, die dort leben. Ich wollte Geschichten schreiben. Für die, die mich kennen. Und nicht mit auf meine Segelreise mit LEVJE konnten. 

Jetzt wird MARE PIÙ regelmässig gelesen. Und überwiegend von Lesern, die meine Lust auf Meer und vor allem die Sehnsucht auf das einfache Leben am Meer teilen. Die selber Segeln. Oder einfach nur Mitsegeln, weil sie das Leben auf dem Meer so geniessen. Das Entdecken. Aber auch, wie einfach und unkompliziert das Leben tatsächlich sein kann. Und darüber werde ich auf MARE PIÙ auch im nächsten Jahr schreiben. Genauso wie bisher.

Aber etwas wird neu sein. Aus MARE PIÙ heraus wird ein Buch entstehen. Mehrere. Hoffentlich viele. Wir haben lange überlegt. Wir haben den Beschluss gefasst. Es geht los. Was kann man schon anderes erwarten: Denn Susanne, die Idee und Entstehung von MARE PIÙ vom ersten Moment an begleitete und ich: Wir haben unser ganzes Leben gelesen. Und unser langes Berufsleben eines gemacht: nämlich Bücher. 

Aber das erste Buch, das wir planen, wird anders sein als alle Bücher, die wir zuvor gemacht haben. Natürlich wird es um’s „Auf-dem-Meer-sein“ gehen. Aber es wird ein Thema sein, das es so noch nicht gibt. Geschrieben von Autoren, die heute noch gar nicht wissen, dass sie Autoren sind. Aber die unglaublich gute Geschichten erzählen können. So wie man sie im Hafen hört. Über das Meer und über das, was es uns lehrt. Über die Weisheit des Segelns und die Fertigkeiten des Seemanns, über das, was man erlebt, wenn man unter Segeln unterwegs ist. 

Dieses Buch wird nächstes Frühjahr erscheinen. Als erstes. Und der Projektstart wird hier auf MARE PIÙ erfolgen. Noch vor Weihnachten. Mehr verraten wir nicht!

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Unter Segeln: Ein Schiff, um 5 Monate unterwegs zu sein. Oder: Die Liebe des Seglers zu seinem Schiff.

LEVJE auf Errikoussa. Die beiden nordwestlichsten griechischen Inseln Othonoi und Errikoussa sind zwei der vergessenen Inseln, über die ich schrieb.

Oft, wenn ich von einem Spaziergang oder einer Besorgung in den Hafen zurückkehre, freue ich mich: „Ich komme zurück zu meinem Schiff!“
Natürlich sehe ich mir im Vorübergehen auch die anderen Schiffe an. Bleibe kurz stehen. Denke darüber nach, wie gut sie sich segeln lassen. Ob es leicht ist, Segel zu setzen. Oder zu reffen. Oder wie gut diese oder jene Yacht wohl im Hafenmanöver sein mag. Oder in der Welle. Wie es unter Deck aussieht. Wie es sich leben ließe, auf diesem oder jenem Schiff. Ob es im Winter gemütlich ist. 

Aber wenn ich die Pier entlang gehe: dann ist es oft so, dass ich nur Augen habe für mein Schiff: für LEVJE. Und ich gebe es gerne zu: immer noch macht mein Herz einen Hüpfer, wenn sie dann plötzlich vor mir liegt an der Pier: LEVJE. Mein Schiff.

Ich freue mich, weil ich sie immer noch schön finde, wenn sie vor mir im Hafen liegt, meine LEVJE. Klar gibt es viele Boote, die mich entzücken. Der ranke Schärenkreutzer. Sein kleiner Bruder, der Drachen. Das Folkeboot, das mir immer wieder ob der Schönheit seiner Zeichnung ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Selbst hier in der Türkei sieht man gelegentlich eine Marieholm. Der 806er, wiewohl eine reine GFK-Konstruktion der 70er, 80er Jahre, ist von klassischer, zeitloser Schönheit. Und ihm in vielem ähnlich finde ich auch die Linien von LEVJE, meiner DEHLER 31.

Bereits der allererste Beitrag hier auf MARE PIÙ war LEVJE gewidmet: Noch vor meiner Abreise schrieb ich über den legendären Crashtest, den die Zeitschrift YACHT 1988 stellvertretend für viele andere GFK-Yachten veranstaltete. Das Video zu diesem Crashtest jagt mir auch 27 Jahre später Schauder über den Rücken, wie eine Yacht, „meine“ Yacht, eine DEHLER 31 unter Vollzeug auf eine Steinmole gejagt wird. Und das klaglos aushält. Drei Mal. Doch reden wir lieber von Anderem.

Weiterlesen und Video kucken mit dem YACHT-DEHLER 31-Crashtest? Hier.

Als ich LEVJE im März 2009 erwarb, bewegten mich verschiedene Dinge. 10 Jahre war ich in einer Eignergemeinschaft gewesen, es war eine gute Zeit mit unserer FEELING 36, der JUANITA. Aber ich suchte nach einem Schiff, das ich einhand gut beherrschen konnte. Großsegel aus dem Cockpit heraus setzen. Und reffen. Rollfock. Hafenmanöver ohne größere Crew und einhand fahren – unsere FEELING mochte zum Anlegen gern eher fünf als nur zwei Hände. 
Ich suchte nach einem Schiff, groß genug, um längere Zeit zu zweit darauf zu verbringen. Aber handlich genug, um auch allein darauf unterwegs zu sein. Und entschied, nach einer Schiffslänge zwischen 30 und 33 Fuß, also knapp unter 10 Metern zu suchen. Und schnell sollte sie sein. Kein Racer. Aber auch bei wenig Wind gleich anspringen. Und gut laufen.

Und in all diesen Punkten hat LEVJE mich nie enttäuscht: Sie braucht wenig Wind. Vorlich manchmal nur 8 Knoten, um bei ruhiger See mit 5 Knoten zu spurten. Ihr Faltpropeller, den Willi Dehler allen DEHLER 31 in den 80er Jahren serienmäßig (!) verpasste, schenkt ihr unter Segeln mindestens einen halben Knoten mehr. Es sind wunderschöne Abendsegelstunden, bei leichtem Wind und glatter See einfach nur in die untergehende Sonne zu segeln. 

Nur bei viel Welle von vorn, da wünsche ich mir manchmal deutlich mehr Gewicht. LEVJE verhält sich in der Welle eher wie irisches Curagh, ein mit Tierhaut bespanntes, federleichtes Holzgerüst, das uralte Boot der irischen Fischer, das immer wie ein Korken oben auf der Welle schwimmt. Ja, etwas mehr Gewicht, bei Wind und Welle. Aber das ist nun wirklich ein Widerspruch zum schnellen „Anspringen“. Man kann nicht alles haben. So sehr auch ich als Segler immer die „eierlegende Woll-Milch-Sau“ zu finden hoffe.

Aber das Wichtigste, für einen langen Törn, für jedes Boot, das man kauft ist: Vertrauen. Man muss Vertrauen haben zu seinem Boot. „Mein Boot und ich: wir vertrauen uns“, schreibt Gudrun Caligaro, Einhand-Weltumseglerin auf einer 28er. Und damit ist alles gesagt. Man muss sich sicher fühlen, auf seinem Boot. Bei wenig Wind, bei viel Wind. Bei hoher Welle. Man soll nicht dauernd darüber nachdenken müssen „Was-mach-ich-bloß-wenn-in-der-Einfahrt-der-Motor-wieder-nicht-anspringt?“ Oder der Motor mitten im Hafenmanöver den Geist aufgibt? Sowas kommt vor. Aber es darf nicht die Grundeinstellung zum Schiff prägen.

Unter Deck ist LEVJE geräumig, sie bietet, wonach ich suche: Viel Platz für mich in meiner Achterkoje, viel Platz für einen Mitreisenden in der Bugkoje. Und Gerhard, der mit seiner DEHLER 31 gerade um die Welt segelt, schläft nur in der Bugkoje. Und hat sich die Achterkoje als Werkstatt und Lager ausgebaut. Gelegentlich nisten sich da, wo er und ich unser Werkzeugschapp haben, auch Seeschlangen ein, wie er auf seinem Blog beschrieb.

Ich mag die langen Salonbänke, auf denen ich bei einem Nachtschlag, oder ein Mittags-Nickerchen gut ruhen kann. Und seit ich die Petroleum-Lampe am Mastfuß repariert habe, ist LEVJA abends, in der früh einsetzenden Dunkelheit in der Türkei, einfach noch gemütlicher.

LEVJE’s Raumaufteilung, vor allem, was die Kücheneinteilung angeht, ist zeitlos. Sie ist heute der gängige Grundriß vieler aktueller Typen zwischen 30 und 37 Fuß. Sie begegenet mir immer wieder, wenn ich mir auf Messen neue Schiffe ansehe. Ich koche gerne, und deshalb freuen mich auf LEVJE immer noch Details, nach denen ich auf vielen neu designten Fahrtenyacht vergebens suche. Zwei gleich große Waschbecken. Einen dreiflammigen Herd (selbst wenn ich die drei Flammen selten gleichzeitig brauche). Ein Backrohr, um meinen Fisch zu Grillen. Schapps mit Schiebern, dank denen es (ich gestehe: ich bin kein ordentlicher Mensch!) schnell aufgeräumt und ordentlich aussieht. Und wer ein kleines Schiff hat, der weiß, wovon ich rede: Ordnung halten auf einem kleinen Schiff ist noch schwieriger als in einer kleinen Wohnung.

Es gibt auch gemütliche Ecken. Überm Kartentisch mein kleiner Altar. Meine Sammlung Bleistifte, ich liebe sie. Mindestens eine gute Schere. Es gibt soviel schlechte Scheren in der Welt, über die man sich ärgern muß. Die Schieblehre, um schnell mal eine Schraube auszumessen. Der „Glückszettel von Nonna Sistina von den Tremiti“, über den ich schrieb. Das Bild meines Vaters. Das Nebelhorn, das ich im Hafen benutze, wenn an der Einfahrt zwar „Call 68“ steht, aber ma wieder keiner hört.

Weiterlesen, was auf dem Glückszettel der Nonna Sistina steht? Hier.

Nein, die Liebe des Seglers zu seinem Boot ist vielschichtig. Sie ist nicht leicht zu erklären. Sie hat viele Ursachen. Freude über Schönheit. Das Wissen um viele, viele unglaublich schöne Stunden. Vertrauen. Eine tiefe Dankbarkeit, wie zuverlässig mich mein Schiff fast 3.000 Kilometer durch die Wellen trug. Und mir dabei vieles schenkte, was für Geld nicht zu erwerben ist.

Weiterlesen über: Der große Traum vom neuen Boot. Oder: Was bei einem neuen Boot wirklich wichtig ist: Hier.
Weiterlesen über die beiden nordwestlichsten griechischen Inseln Othonoi und Erikoussa: Hier.
Weiterlesen über die Weltumsegelung mit einer DEHLER 31 und die Seeschlangen an Bord: Hier.

5 Monate Segeln: Was hat mir das gebracht? 7 Erfahrungen, die sich lohnen.

Vor kurzem fragte mich ein Mitarbeiter meines einstigen Verlagsteam: „Und? Würden Sie es wieder machen? Noch mal fünf Monate Segeln gehen?“ Ich mußte kein Sekundenbruchteil überlegen. Na klar. Sofort wieder. Jetzt gleich. 
Aber was ist es, was von so einer Reise bleibt? 
Lernt man etwas? 
Wird man ein anderer? 
Habe ich mich verändert? 
Hier der Versuch einer Antwort.

Learning 1: 
Was ist eigentlich wirklich wichtig im Leben?


Über LEVJE’s Kartentisch.

Schöner, als es die folgende Geschichte erzählt, kann ich es nicht wiedergeben: Der Autor, ein amerikanischer Backpacker, Mitte der 90er auf Trekking-Tour irgendwo in Kenia. In irgendeinem abgelegenen Dorf begrüßt ihn ein alter Massai. Hoch gewachsen. Stolz. Auf seinen Speer gestützt. Wie ein Reiher auf einem Bein stehend. Während des Abendessens führen die Tourengeher dem Massai stolz ihren nagelneuen Rucksack vor. Große Staufächer. Extrataschen für dies. Extrataschen für das. Kleine Tupper für jenes. Reißverschlüsse. Schnallen. Schnappschlösser. Klettverschlüsse. 
Nachdem der Massai den Rucksack und seinen ausgebreiteten Inhalt einige Minuten wortlos betrachtet, wendet er sich an den Autor mit der Frage:

„Sag: Macht all dies Dich glücklich?“

Geschichten wie diese hat jeder gehört. Und kennt jeder. Aber meine große Erfahrung meiner fünfmonatigen Segelreise ist: 

Der Erzähler dieser Geschichte hat Recht. Einfach nur Recht. 100% Recht. 

Eingespannt in mein früheres Leben: Vor allem meinen Beruf, das Gelärme dessen, was „wichtig“ zu sein scheint, und auch meine Partnerin, Kinder, ist es schwer, sehr schwer, zu hören, was ich wirklich brauche. Denn der lautlose Lärm dieses, meines Alltags ist überwältigend. Für mich. Für die meisten von uns.

Tatsächlich ist es verdammt wenig, was ich „wirklich“ wirklich brauche. Aber um herauszufinden, was dazu zählt: war es einfach buchstäblich notwendig, die Autobahn, auf der auch ich mich seit Jahren im Kolonnenverkehr bewege, zu verlassen. Rechts rauszufahren. Auszusteigen. Und zu kucken: WAS mir da einfach begegnet. Und WIE.

Und diese Begegnungen sind das Wichtige: Mit den vielen MENSCHEN AM MEER, über die ich schrieb (und es werden in den nächsten Monaten noch viele, viele mehr werden, über die ich zu schreiben habe). Mit dem, was mir UNTER SEGELN auf dem Meer begegnete: Einsamkeit. Inseln, auf denen die Götter zu wohnen schienen. Gewitter. Und große Wellen. 

Das, was uns begegnet, wenn wir unser Zuhause verlassen, ist wichtig.
Das, was wir im Alltagsbetrieb einfach nicht mehr wahrnehmen, wofür wir den Blick verloren haben, ist wichtig.


Herr Michilakis und sein Labyrinth. Den 92 jährigen Ladenbesitzer lernte ich in seinem Laden auf Amorgos kennen. Über ihn und Amrogos werde ich Ende November berichten,

Lust auf Weiterlesen über die MENSCHEN AM MEER: dann hier einfach Lesen.
Lust auf Weiterlesen über das, was mir UNTER SEGELN begegnete: dann hier einfach Lesen.
Lust auf Weiterlesen der Massai-Geschichte: Richard J. Leider/David A. Shapiro, Lass endlich los und lebe.

Learning 2:
„Wenn Du eine Sehnsucht oder einen Traum hast: Finde den richtigen Zeitpunkt. Lebe ihn.“

Keine Frage: ich hatte 22 Jahre als Leiter eines Buchverlages einen phantastischen Job. Ich bin vernarrt darin, Bücher zu machen. Ein hochmotiviertes, begeisterungsfähiges Team, wie ich es hatte, zu führen. Und mit ihm Ideen, Projekte, Bücher, E-Books zu entwickeln. Neue Dinge zu machen, die erfolgreich sind. Es ist wie eine Sucht. Und ich liebe es. Eigentlich möchte ich nichts anderes machen.

Trotzdem entstand auf meiner allerersten Reise auf einer Segelyacht Ende der Neunziger, in den allerersten Minuten, in denen ich jemals eine Segelyacht auf See erlebte, ein Traum, der mich nie verlassen hat. Der immer da war. Der jeden Tag einmal vor mir stand, der mich durch schreckliche Konferenzen und lähmende Shareholder-Meetings trug: „Ich möchte ein halbes Jahr Segeln gehen.“

Der Traum war geboren. In meinem Kopf. Jeden Tag war er da. Ich quatschte den Leuten davon die Hucke voll. Und habe mich lange gefragt: 
„Darf man das denn?“ 
„Traue ich mich das: Einfach die sichere Autobahn zu verlassen?“ 
„Ist das nicht reine Blödheit, eine spannende, fesselnde Aufgabe einfach zu verlassen – ohne zu wissen, was folgt?“

Ein wichtiges Resümee meiner fünf Monate auf See: Wenn Du eine Sehnsucht, einen Traum hast. Finde den richtigen Zeitpunkt. Lebe ihn.

Denn ein Traum, den man über Jahre hinweg hat: der ist nicht verkehrt. Der führt einen nicht in die Irre. Seine Erfüllung erfordert Opfer, ja. Es bleibt Liebgewonnenes auf der Strecke.

Wie kann man herausfinden, ob so ein Traum – was immer es ist – es ernst mit mir meint? Ob er nicht trügerisch ist? Oder gar ein Alptraum? In irgendeinem Buch habe ich mal Folgendes gelesen, und gerne gebe ich dieses Verfahren weiter: Es geht ganz einfach: Man setzt sich in entspannten Momenten einfach hin. Gerne auch in einem öden Meeting, wenn es gerade nicht auffällt. Und denkt sich hinein in seinen Traum. Und malt sich die Details aus von diesem Traum. Das Plätschern der Wellen nachts an der Bordwand. Die Bucht, in der man schwimmend die schönsten Tage verbringt. Und dann: malt man sich auch das weniger Angenehme aus. Die weniger schönen Seiten. Das Unangenehme: schlechtes Wetter auf See. Regentage. Kabbelige See mit klapperndem Rigg am Morgen nach einem Nachtschlag. Klamme Sachen. Sixpacks Wasser in der Mittagshitze des griechischen August aufs wackelige Boot schleppen. Mürrische Hafenmeister, die mich und meine LEVJE abends um sieben aus dem Hafen weisen, ins Ungewisse. 

Was immer der Traum ist: Mein Traum blieb ein Traum, selbst als ich mich ganz tief in die negativen Seiten reingedacht habe. Was ich Ihnen also rate: Träumen Sie darauf los. Und malen Sie mit kraftvollem Pinselstrich. Und wenn Sie das ein paar Mal gemacht haben und Ihr Traum ist immer noch Ihr Traum: Dann herzlichen Glückwunsch! Sie haben einen Traum!

„Der richtige Zeitpunkt“: Das ist ein ganz eigenes Thema, das einen eigenen Artikel auf Mare Più wert ist. Darüber werde ich zu einem späteren Zeitpunkt schreiben.

Learning 3: 
Man muss auch im richtigen Leben etwas machen, das man leidenschaftlich gerne tut.

Es ist eine tiefe Wahrheit, was die viel reisende Feli auf ihrem erfolgreichen Reiseblog Travelicia schreibt: „Nur Reisen ist zu wenig. Man muss schon etwas machen.“

Und dieses „Man muss einfach nur etwas machen“ begegnete mir so oft im Leben, und ich fand es immer richtig. Die Mutter meines Freundes David hat mir diese Weisheit als Schüler vermittelt. Es leuchtete mir, dem 16jährigen sofort ein. Und es hat mich nie verlassen. Selbst mein persönliches Vorbild, die Seglerin Gudrun Caligaro, die Ende der 80er Jahre als alleinsegelnde Mitvierzigerin (!) die Welt auf einer 28 (!!) Fuß-Yacht umrundete und nur fünfmal (!!!) anlegte: Auch sie „machte“ etwas, obwohl ihr Tagesprogramm neben dem sich ums Boot kümmern vor allem im „Beobachten und Schauen“ bestand. Sie hatte eine unfassbare einfache Freude, über das was Sie sah. Die Wellen. Die Malamoks. Der Wind, der ihr kleines Schiff über die Wellen schob. Und: sie schrieb ihr Tagebuch. Aus dem später ein wunderbares Buch wurde, Ich habe es gut und gerne 50 mal gelesen und verschlungen, es hat mich auch auf LEVJE begleitet.

Wer hier weiterlesen will: Weil ich denke: „Ein gutes Buch bringt mich auch beim 50sten Mal lesen weiter. Ein schlechtes beim ersten Mal lesen nicht. Deshalb empfehle ich gern: Gudrun Caligaro, Ein Traum wird wahr. 
Leider nur noch antiquarisch lieferbar.

Learning 4:
„Ein Schiff im Hafen ist sicher.
Aber dafür ist ein Schiff nicht gemacht.“


                       Im Hafen von Izola in Slowenien, LEVJE’s langjährigem Heimathafen.

Es ist immer wieder einer der zuverlässig glücklichen Momente beim Segeln: Nach einem langen, langen Schlag ist LEVJE wieder im Hafen. Die Leinen sind fest. Der Hafenschlick von der Arbeit mit der Mooring von den Händen gewaschen beim ersten Sprung auf die Pier. Den Leinenverhau in der Plicht aufgeräumt. LEVJE ist fest. Wir sind sicher. Im Blick: ein Lächeln.

Immer wieder ein guter Moment. Ein Moment der großen Entspannung, die ich beim Segeln – und so  nur dort – finde. Dennoch hat John Augustus Shedd recht, dessen im letzten Jahrhundert erschienenen Buch die Kapitel-Überschrift entstammt. Und zwar gleich mehrfach:

Es ist wichtiger, einfach loszusegeln, als bei der Vorbereitung eines fünfmonatigen Törns ewig an der technischen Perfektion meiner Yacht zu arbeiten. Als ich lossegelte, hatte ich für LEVJE immer noch zehn Punkte auf meiner Liste. Mindestens. Vielleicht doch noch ein Radar? Und AIS? Die Bilgenpumpe größer. Die Cockpitpolster schöner. Die Pinne noch dreimal mehr mit Klarlack streichen. Bimini und Persenning noch größer. Und, und, und. Aber LEVJE war für die fünfmonatige Reise bereit. Und ich war es auch.

Also: Gute Gründe, warum Mann und Schiff noch nicht bereit sind, gibt es immer. Es ist wichtiger, einfach rauszugehen und zu sehen: wie ist es da? Denn meistens warten herrliche Tage auf See auf einen.

Und dies: gilt nicht nur fürs Segeln.

Learning 5: 
„Der innere Reichtum“.

„… und was willst Du erreichen an Reichtum?“, fragt mich Anna, Verlegerin, Freundin, letzte Woche, um Mitternacht. Die Kluge.

Was mir diese Reise gebracht hat, ist innerer Reichtum. Unglaubliche Bilder. Die Wolken am Abend bei der Ansteuerung auf Antalya, im Bild oben. Das Bild der unbewohnten, gottverlassenen Insel Kynaros in der Ägäis, deren „Augen“ mich unverwandt anblickten. 

Die unglaublichen achterlichen Wellen bei der Überquerung der Straße von Otranto. 

Die Kirche in der Festung von Santa Mavra, bei Levkas.

Die schreckliche Gorgo auf Paros.

Es ist so viel. Unglaublich viel.

Es ist das Gefühl, etwas Einzigartiges erlebt zu haben. Etwas, das man für Geld nicht kaufen kann.

Weiterlesen über „Die Überquerung der Straße von Otranto“: Hier der Beitrag und das Video.
Weiterlesen über die Festung Santa Mavra auf Levkas: Hier.
Weiterlesen über die Gorgo von Paros: Hier.

Learning 6:
Es muss nicht das große Schiff sein.
Es muss nicht die Weltumsegelung sein.

Die Kiefern der Türkei? Eine Bucht auf Erikoussa, wo die Lebensbäume wachsen? Die Kiefern am Stechlin- oder Roofensee? Nein. Diesmal der Große Ostersee in Oberbayern.

Es braucht wenig, um auf dem Meer glücklich zu sein. Klar träume ich immer vom nächsten Schiff, das größer ist. Aber meine LEVJE ist mir heilig. Und schon beim Kauf meines ersten Segelboots 2001, einer kleinen MANTA 19 auf dem Starnberger See, gebaut von SCHOECHL in den Siebzigern in Salzburg, sagte mir der Vorbesitzer wehmütig: „Es ist ein Boot für glückliche Stunden.“ Er hatte recht damit.

Na klar ist eine Weltumsegelung ein großartiges Projekt. Aber darauf kommt es nicht an. Sondern WAS und WIE man erlebt. Und das ist keine Frage von „Schiffsgröße“ und „gesegelten Etmalen“ oder „Meilen“. 
Einen meiner bemerkenswertesten Törns habe ich vor vielen, vielen Jahren auf eben dem Starnberger See gemacht. Im späten September. Und auf eben der MANTA 19. Allein. Ich habe mir für eine Woche Verpflegung draufgepackt. Und bin aus meinem Hafen gesegelt mit dem festen Vorsatz: „Ich werde eine Woche lang keinen Fuß an Land setzen. Und nur draußen ankern. Und nicht im Hafen übernachten.“ Ich habe „großer Törn auf kleinem Boot“ gespielt. Und ich habe in wenigen Tagen genauso viel erlebt wie auf einem großen Törn. Gewitter die halbe Nacht lang. Warme Tage. Wunderbare Sonnenuntergänge. Nächte mit eiskalter Nase tief im Schlafsack. Der Schluck Rotwein nach gelungenem Ankermanöver in der Dämmerung. Der Blick auf die Lichter am Ufer in der Nacht, die ich doch seit meinen Kindertagen kenne. Regen. Starkwind in die Ankerbucht.

Nein. 
Es muss nicht das große Schiff sein.
Es muss nicht die Weltumsegelung sein.

DAS ist nicht der Schlüssel.

Weiterlesen über „Der Traum vom großen Boot“: Hier.
Weiterlesen über Gewitter am Meer: Hier.

Learning 7:
„Die charakteristischen Eigenschaften des Seemanns.“

In einem früheren Post schrieb ich bereits über Charles Darwin’s Buch DIE FAHRT MIT DER BEAGLE. Er veröffentlichte es ungefähr 30 Jahre, nachdem er als junger Mann, als Wissenschafts-Novize, jene legendäre Fahrt zu den Galapagos-Inseln mitmachte und dabei seine Evolutionstheorie entwickelte. An der Grenze zum Alter summierte Darwin am Ende dieses Buches seine Erfahrungen dieser mehrjährigen Seereise und rät dies:

„… unbedingt sein Glück zu versuchen und auf Reisen zu gehen, wenn möglich über Land, ansonsten: lange zu bleiben. Er kann versichert sein, dass er – allenfalls in seltenen Fällen – keinen derartigen Schwierigkeiten oder Gefahren begegnen wird, wie er sie am Beginn vorraussieht.

Unter einem moralischen Gesichtspunkt sollte eine solche Reise ihn gutwillige Geduld lehren, Freiheit von Selbstsucht, die Gewohnheit für sich selbst zu handeln, und aus jedem Geschehnis das Beste zu machen, kurzum: er sollte die charakteristischen Eigenschaften des Seemanns besitzen. 

Reisen sollte ihn auch Mißtrauen lehren, aber gleichzeitig wird er entdecken: wieviele wahrhaft gutherzige Menschen es gibt, mit denen er nie zuvor Kontakt hatte und auch nie mehr wieder haben wird, und die dennoch bereit sind, ihm die uneigennützigste Hilfe zu gewähren.“

Schöner und treffender, was eine lange Seereise lehrt, kann man es nicht sagen.

Weiterlesen zum Thema Resumee einer Segelreise: Hier.