Kategorie: Blogs

SV Bajka – Ela + Lukas + Nael + Ilian Erni CH

OVNI 435 VON LE HAVRE NACH TAHITI

Lieber Peter,
Nun haben wir schon den Atlantik und den halben Pazifik überquert und der Windpilot namens Petterson steuert unser Boot tip top. Wir sind begeistert und es macht Spass ihn und das Boot einzustellen.

Wir sind überrascht, dass es immer noch Cruiser gibt, die ohne Windsteueranlage unterwegs sind. Dafür klagen sie darüber, dass sie den Motor laufen lassen müssen, um die Batterien zu laden :=).
Nun haben wir endlich den Film über die Installation des Windpilotes auf unserer Ovni mit Badeleiter fertig. Die Idee mit der Deckelmontage hat prima funktioniert.

Die Montage auf dem Deckel der Badeleiter hat sich bestens bewährt.
Gruess aus Tahiti
SY Bajka
Ela, Lukas mit Nael und Ilias

MONTAGE DER WINDPILOT
BAJKA BLOG

SV Lusi – Mike George NZ

CIRCUMNAVIGATION DONE – 33.000 SM

Hello Peter,
We are now nearing New Zealand (3 months & 2000 miles to go) and our Pacific windvane has worked very well since we bent the pushrod off South Africa. It has steered us 33,000 miles around the world, in 3 years, to this point.
Best regards
Mike George – SV Lusi

SV Lusi – Mike George NZ

Istvan Kopar

DIALOG MIT DEM HERSTELLER FEHLANZEIGE

Istvan Kopar

Antoine antwortet – Istvan nicht

DIE DINGE KOMMEN IN BEWEGUNG

Public dialog

Unter Segeln: Nachts nach Lissabon. Der widerspenstige Fluss. Die Stadt. Und ihre Musik.

Seit Mitte Mai segle ich nun für mein neues Buch entlang den Küsten Europas. Von Sizilien zu den Balearen. Über Südspanien durch die Straße von Gibraltar nach Portugal.
Und jetzt von Sines nach Lissabon. Doch die Route hat ihre Tücken.

Wieder einmal hate ich die Gezeiten unterschätzt. Oh ja: Diesmal hatte ich meinen Tidenkalender studiert. Niedrigwasser in Lissabon um 23.45 Uhr. Das hieß: Bis dahin starker Strom genau gegen mich aus der Stadt hin zum Meer. Ab Mitternacht alles still und keine Strömung mehr. Deshalb hatte ich auch meine Ankunftszeit auf kurz vor Mitternacht verlegt. Und mir einen Hafen ausgesucht, bei dem ich nicht mühevoll gegen den Ebbstrom flußauf motoren müsste. Die Marina von Oreias schien mir am geeignetsten. Nicht so weit von Lissabon entfernt wie das westlich gelegene Cascais. Zudem konnte ich nach Oreias meinen Nordkurs einfach beibehalten und einfach vor Mitternacht den fallenden Strom des Tejo queren. So hatte ich mir das jedenfalls gedacht.

Vor dem Tejo legte der Wind in der Dunkelheit zu. Nicht viel. Nur 15 Knoten. Doch das reichte, um den auslaufenden Ebbstrom der vier Kilometer breiten Mündung in ein gischtendes Gebrodel zu verwandeln. Wind gegen Strom, hatte mir vor Jahren ein italienischer Segler erzählt, der seine Hallberg-Rassy von Southhampton ins Mittelmeer überführt hatte, das könne „lethal“ sein. Tödlich. So schlimm war es nicht, doch beeindruckend allemal, wie die 15 Knoten Brise, die mich den Nachmittag und Abend bis Lissabon geschoben hatten, plötzlich dass braune Flusswasser zu einem wirren Mix aus Strudeln, Zipfelmützen, aufgeworfenen Wellen und an der Bordwand brechenden Wogen werden ließen, dass Levje trotz Vollzeug von einer Seite auf die andere geigte. Und ein ums andere Mal von einem Strudel aus dem Kurs gedreht wurde. Verstärkt wurde das Ganze durch ein Flach, dessen mittendrin liegendes Leuchtfeuer der Insel Bugio war mir ein Trost in der Dunkelheit, während ich den Tejo und damit auch das Fahrwasser der Großschiffahrt im rechten Winkel zu kreuzen suchte. Prompt kam von linkss ein Containerfrachter auf, er tat sich leichter als ich, gegen den Strom anzumotoren, und eh ich mich versah, war der schwarze Bug bedrohlich groß und die sieben hell erleuchteten Stockwerke der Aufbauten bis auf eine halbe Meile an Levje heran. 

„Jetzt aber fix“, rief ich mir zu, während ich den Zündschlüssel drehte und richtig Gas gab, obwohl wir mit vollen Segeln liefen. Ich hatte Glück, denn auch der Frachter drehte beim Leuchtfeuer Bugio nach Süd, ich war aus dem Schneider. Doch kaum das Fahrwasser gequert, kam die nächste Herausforderung. An der Nordseite des Tejo, in Sichtweite der Marina Oreias, setzte der Strom besonders stark. Die Maschine lief. Die Logge zeigte knapp vier Knoten Fahrt durchs Wasser. Doch das GPS zeigte 0 Knoten über Grund. Wie jetzt?! Das Wasser rauschte doch an der Bordwand entlang? Ich gab mehr Gas. Langsam kam die Anzeige. Bei normaler Marschfahrt hatten wir endlich jämmerliche 2 Knoten auf der Logge. Beeindruckend, welche Kraft der über 1.000 Kilometer lange Tejo an der Mündung entwickelt. Ich machte mir Sorgen, wie ich das gewundene enge S der Einfahrt in die Marina Oreias nehmen könnte – zeigte es doch genau in die Strömung. Zwei Mal tief durchatmen. „Du schaffst das! Du wirst jetzt nicht Deine Levje auf die Kaimauer setzen. Denk nach, wie Du’s machst!“ Ich nahm Anlauf. Levje schoß mit sieben Knoten auf die enge Einfahrt zu. Um dem wirbelnden Strom zu entgehen, beschloß ich, die Fahrt im Schiff zu halten und die Einfahrt mit Speed frontal anzusteuern. Noch zehn, noch fünf Meter. Da, die brutal hohe Steinschüttung links und rechts. Hart Ruder nach links, auf die Steuerbordmole zu. Jetzt gibts kein Zurück mehr. Kurz vor der Steuerbordmole hart Backbord auf die Backbordmole zu. Ich erwischte in der Strömung genau die Mitte der Einfahrt. Verflixt eng ist das. Oder scheint es mir jetzt um Mitternacht nur so? Jetzt wieder Steuerbord, dem S folgen. Und plötzlich – Windstille! Und kein gischtender Fluss mehr, sondern Stille. Reglose Stille wie auf einem Dorfteich. Ich war in der Marina. Und deren Vorhafen war tatsächlich kaum größer als ein Dorfteich. Schnell stoppte ich Levje auf. Da hinten am Steg F leuchtete eine Taschenlampe auf. Da war Miguel, der Marinero, mit dem ich telefoniert hatte, ob ichs wirklich wagen könnte. Und wies mich ein. Als ich den Motor abstellte, spürte ich ein leichtes Zittern in den Knien. Und unendliche Erleichterung. 

 

Am nächsten Morgen lag die Insel Bugia, deren grünes Leuchtfeuer mir nachts den Weg gewiesen hatte, friedlich in der Mündung des Tejo, die ich in der Nacht zuvor gequert hatte. Als wäre nichts gewesen. Von der Marina aus wandere ich den Paseo da Mar flußaufwärts und dann zur U-Bahnstation. 


Nach vielen Tagen auf See trifft mich die Großstadt wie eine Keule. Auf dem Weg zum nautischen Museum muss ich tief durchatmen. Nach der Weite draussen nun die Enge. Nach dem langsamen Gleiten nun Beschleunigung. Nach dem Anblick von Felswänden und gleichförmigen Wellen jetzt die Welt in all ihrer Buntheit und Geschwindigkeit, die das Hirn lockt und neckt und kitzelt…

Lissabon ist Auf und Ab. Das Bairro Alto, das Ausgehviertel, liegt auf halber Höhe, ich schlendere die Calçada de Combro entlang zur Praça Luis de Camãos, einem der zentralen Plätze. Jede Stadt hat ihre Musik. Man kann sie schon hundertmal gehört haben. Doch nirgendwo entfaltet Musik mehr Kraft als an dem Ort, an dem sie entstand und dessen Lebensgefühl sich in ihr spiegelt. Ein Bodran-Spieler in einem irischen Pub auf der Dingle-Halbinsel. Sinatra im vorweihnachtlichen New York. Vivaldi an einem Nebeltag über den Sestiere Venedigs. Edward Elgars Pomp & Circumstance klingt nirgendwo ergreifender als in Paddingon Station, West London, gespielt nach Feierabend von den Eisenbahnern selbst. Und jetzt, in Lissabon, spült mich eine Band von den Kapverden mit einem Song von Cesaria Evora vor dem Convento do Carmo, dem beim Erdbeben von 1755 verwüsteten Kloster der Karmeliterinnen, einfach weg.

Doch immer ist Steigerung möglich. Eine Bühne im Bairro Alto. Eine Sängerin mit Band, die einfach den Fado singt, bis sich diese Mischung aus Freude und Trauer auch über mich legt, bei der man nie sicher weiß, ob nun das eine oder das andere die Oberhand gewinnen wird. Nichts kann diese leise Trauer und den Mix dieser Stadt aus Europa und Westafrika besser spiegeln als der Fado an diesem Ort.

Golden Globe Race – Antoine Cousot – Istvan Kopar

SPONSORING – EINBAHNSTRASSE – DER RITT AUF DER RASIERKLINGE

Schuldzuweisungen

In den Straßen von Sines. Die Geschichte eines Entdeckers. Und die eines Restaurantbesitzers.

Mitte Mai bin ich in Sizilien aufgebrochen, um einhand 
für mein neues Buchprojekt um die Westküste Europas zu segeln. 
Seit Anfang Juli bin ich in Portugal unterwegs. Und heute in Sines, 
einer Hafenstadt südlich von Lissabon. 

Sines. Als ich von Süden her auf den Ort zusegelte, zeigte er mir erst seine unschöne Seite. Raffinerien vor der Stadt im Südosten. Auf Reede ankernde Tanker und Spezialschiffe, zwischen denen ich Levje hindurchschlängeln musste. Dann durch den weiten Industriehafen, um den eigentlichen Stadthafen zu erreichen. Doch Sines ist, wie mancher Mensch auch, etwas für den zweiten Blick. Der erhabene Felshügel, der den weitläufigen Sandstrand wie ein archaisches Heiligtum in zwei Hälften teilt, geworfen wie Ayers Rock in den Sand. Die Festung oben vor der Stadt, die den Hafen bewacht. Und in der vermutlich jener in Portugal landauf, landab verehrte Vasco da Gama geboren war. Vasco da Gama, der das Kap der guten Hoffnung umsegelt und die Portugiesen erst ins ostafrikanische Mosambik und dann nach Indien gebracht hatte.

Die Sonne war fast untergegangen, als ich mich im Abendwind von der Marina in den Ort oben hinter der Festung aufmachte. Die leere Promenade am Sandstrand entlangging, wo nur ein einsamer Jogger seine Runden drehte und nichts von dem üblichen Getriebe und Geschiebe zu sehen war, das man sonst im Juli an Stränden kennt. Eine schmale Straße nach oben durch Schilfhalme, die sich im Wind wiegten, bis ich vor den Mauern der Festung stand. Auch da lag der Ort bis auf ein paar Touristen verlassen.

Ein paar Schritte weiter stand ich vor einem eigentümlichen Gebäude. Adega de Sines stand darauf. Ob es die eigenwillige Typografie über der Tür war, in der der Schriftzug Adega de Sines prangte, die mich neugierig machte? Oder die in Weiß und Blau aufgemalten Jugendstil-Ornamente im Putz? Oder das Emblem im Dachfirst, das eine Majestät ankündigte wie der Kopfschmuck eines Pharao? Wie der Ort schien auch die Adega de Sines mit dem aufgemalten Wellenmuster einer anderen Epoche anzugehören. Doch die Farben waren frisch. Das Gebäude gepflegt. Nicht sie waren es, die alt waren. Da liebte und pflegte jemand, was Teil eines früheren Lebens gewesen war, als wäre dies frühere Leben immer noch da.

Als ich eintrat, war da ein hoher Raum, in dem zwei Reihen Holztische standen. Zum Sitzen waren kleine Hocker da, aus schwerem Holz, kantig wie Melkschemel. Die mit vergilbtem Marmor verkleidete Rückwand war mit einem Altar bunter Flaschen verziert, deren Etiketten den Eintretenden ebenso erwartungsvoll ansahen wie die Dinge, die sich im Lauf der Jahrzehnte dort oben versammelt hatten, um der Zeit beim Verfließen zuzusehen. Oder nur, um den Gästen der Adega die Auswahl leichter zu machen? 

Doch das war nicht nötig. Die Speisekarte auf der Tafel an der Wand war einfach. „Cabrito“, ein Zicklein aus dem Ofen. „Febra de Letaio“, mageres Spanferkel vom Grill. „Sardinha asada“, gegrillte Sardinen. Und „o frango“. Grillhähnchen.

Als ich schüchtern fragte, wo ich mich setzen dürfte, wies die Wirtin lächelnd mit offener Hand über die Tische. Zwei Pärchen saßen da und aßen. Während ich mir einen Platz mit Blick auf die Altarwand suchte, füllte sich das Lokal. Weitere Paare. Und zehn Schülerinnen nach einem Wettkampf mit ihren Betreuern. Plötzlich war die eben noch leere Adega voller Stimmengewirr. Geschrei aus der Küche hinter der Altarwand, das unter der hohen Decke der Adega hängen blieb.

Adega. Ich sollte erst später erfahren, dass das Wort „Weinkeller“ bedeutet. Wegen des Weins kamen die Gäste längst nicht mehr. Die Adega de Sines steht in der Gunst der Einwohner hoch, und auch die Internetbewerter katapultieren das Lokal in Sines regelmäßig an die Spitze. Das hatte mit dem Mann zu tun, der im weißen T-Shirt und mit abgearbeiteten Händen an einem der Tische saß. Und gelassen auf Gäste wartete. Tag für Tag, Sonntags ausgenommen, steht Luis Delmar Rodrigues am Grill neben dem Fenster zur Straße. Und grillt Sardinen. Doch vor allem „o frango“, jene plattgedrückte portugiesische Variante eines Hähnchenstücks, zu der dann Luis‘ Frau Edite Pommes mit Salat reicht, über die sich die Schülerinnen am Nebentisch dann auch gleich ausgehungert hermachten.  

Vielleicht ist dies das Geheimnis von Sines, was diesen Ort attraktiv macht. Irgendwie bleibt die Zeit stehen an einem Ort wie Sines und in der Adega. Sie ist nicht „hipp“. Und auch nicht „in“. Und doch ein Ort, an dem man gerne weilt, weil die Dinge Geschichten von einem Leben und anderen von Zeiten erzählen.

Für mich also „o frango“ an diesem Abend. Und die Geschichte von Luis, Edite und der Adega de Sines. Sie ist schnell erzählt. 1976 verließ Luis zusammen mit Edite ihre bisherige Heimat Mosambik. So ruhmreich der landauf, landab verehrte Vasco da Gama und seine Entdeckungen waren, so schwer tat sich Portugal in den Siebzigern und Achzigern, von seiner Idee als Kolonialmacht Abschied zu nehmen und seine Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen. Erst Kriege einer hochgerüsteten europäischen Seemacht gegen die sich militarisierenden Unabhängigkeitsbewegungen. Kaum war die ersehnte Unabhängigkeit da, verheerende Bürgerkriege in den Kolonien. Rechts gegen Links. Ultras gegen Kommunisten. Reiche gegen Arme. Mosambik versank im Strudel. Luis Delmar Rodrigues hatte dort ein Hotel geleitet. Er hat es in den Wirren des Bürgerkriegs verlassen. Die Geschichte will es, dass Luis und Edite ausgerechnet in diesem Sines landeten, dem Geburtsort des Entdeckers von Mosambik, wo ihre ersten Schritte sie vor das alte Weinlokal mit Namen „Adega de Sines“ führten. Das war 1976, vor mehr als einem halben Jahrhundert. Tio Luis, „Onkel Luis“, wie ihn die Einwohner von Sines längst nennen, beschloß, das Lokal zu übernehmen und machte daraus, was es heute ist. Drinnen. Und draußen.

Vielleicht ist dies die tiefere Wahrheit. „Wir sterben nicht, wo wir geboren sind.“ Wir müssen wandern. Unterwegs sein. Und manchmal finden wir unser Glück ganz unverhofft an einem Ort, von dem wir es uns nie zuvor hätten träumen lassen.

Und Vasco da Gama? Auch er starb nicht, wo er geboren wurde. Nicht in Sines. Sondern weit, weit weg. Auf seiner dritten Fahrt nach Indien. Und ausgerechnet dort, wohin er bahnbrechend den Weg hin geöffnet hatte. Seine Entdeckung dieses Weges war, wonach Silicon Valley wie Startups heutzutage gieren und was man neudeutsch eine „disruptive Innovation“ nennt: Eine Innovation, die die bisherigen Marktführer überflüssig macht. Und einfach ersetzt.

Gewürze, Pfeffer, Seide, Weihrauch, Stoffe. Alles, was 4.000 Jahre nur auf dem langen Weg über die Seidenstraße nach Konstantinopel und von dort übers Mittelmeer in die Städte Zentraleuropas gelangt war, erreichte Westeuropa nun auf direktem Weg von Indien aus. Ohne Zwischenhändler. Und nur auf einem einzigem Transportmittel. Einem einzigen Rahsegler, der die Strecke zwischen Indien und Portugal in einigen Monaten zurücklegte.

Vasco da Gama krempelte mit seiner Entdeckung die Welt um. Er machte sein Portugal reich. Und das Mittelmeer, das 4.000 Jahre das Zentrum und die Wiege Europas gewesen waren, zu einer Sackgasse. Die großen Handelsströme: Die liefen ab jetzt anderswo. Und am Mittelmeer vorbei. Mit gravierenden Folgen. Aber das: Ist eine andere Geschichte als die des Luis Delmar Rodrigues. 
Oder doch nicht?

Der Leuchtturm am Ende Europas. Cabo de São Vicente.

Es ist ein windstiller und dunstiger Morgen, an dem ich von meinem Ankerplatz vor den Klippen von Sagres aufbreche und das ein paar Seemeilen entfernte Cabo de São Vicente ansteuere. Wie die Spitzen eines Hufeisens ragen die beiden Kaps weit nach Südwesten hinaus und markieren zusammen Europas einsames südwestliches Ende.

Von See aus ist der Leuchtturm von Cabo São Vicente an diesem Morgen unverkennbar. Der markante, fast 20 Meter hohe Felsen vor dem eigentlichen Leuchtturm, den die Fischer „Gigante“, der Riese, getauft haben und der den Leuchtturm wie ein Wächter bewacht. Das Plateau selbst, zu dem die buckligen Klippen fast 70 Meter weit aufragen. Das gedrängte Gewirr kalkgeweißter Häuser, über dem sich der eigentliche Leuchtturm rot erhebt. Als ich genauer hinsehe, bemerke ich, dass der rote Leuchtturm ebenso wie seine Fenster, die die Linsen schützen, im Vergleich zu den umliegenden Gebäuden irgendwie überdimensioniert wirkt. Die vergitterten Fenster, durch der Leuchtturm nachts sein Licht schickt, ragen weit über die Turmbasis hinaus. Tatsächlich besitzt der Leuchtturm, der hier steht, eines der weittragendsten Feuer in Europa: 32 Seemeilen weit trägt es, fast 60 Kilometer und reicht damit weit über des 11 Seemeilen entfernte Verkehrstrennungsgebiet vor dem Kap hinaus. Denn hier, vor dem Cabo de São Vicente trifft sich alles: Der von Nordeuropa laufende Schiffsverkehr nach Südeuropa und Afrika. Und der aus dem Mittelmeer ins 6.000 Kilometer entfernte Nordamerika.

Es ist ein einsamer Ort, nicht nur von See aus. Wer von Sagres den Weg auf der gut ausgebauten Straße den Klippen entlang mit dem Wagen unternimmt, ist entlang der Klippen auf dem baum- und strauchlosen Plateau keine Viertelstunde unterwegs. Europa endet am Cabo de São Vicente winzig, kaum ein halbes Fussballfeld misst die Fläche auf dem schmalem Sporn, auf dem merkwürdig viele Gebäude samt Leuchtturm stehen.

Doch so verlassen und einsam der Ort auch immer scheinen mag: Wirklich verlassen war er wohl nie, dafür ist der Punkt zu markant. In der Steinzeit setzten die Menschen hier Steine. Die Phönizier kannten ihn, und für die Griechen endete die Welt, so schreibt es jedenfalls mein guter Herodot, der mich immer begleitet, mit dem am westlichsten lebenden Volk der Kyneter und ihren nördlichen Nachbarn, den Kelten. Dabei hatten die Kyneter  – dank der Phönizier – bereits eine eigene Schrift, während andere noch im Dunkeln tappten, was Herodot nicht wissen konnte, portugiesische  Archäologen aber seit ein paar Jahren wissen.

Nicht nur einmal war das Cabo Sao Vicente ein Ort, an dem Geschichte geschrieben wurde. Seinen Namen erhielt es vom Märtyrer Vincentius, wie Georg oder Nikolaus oder Katharina Opfer der 10 Jahre währenden großen Christenverfolgung unter Diokletian. Die Sage will es, dass der Leichnam des Märtyrers in eine Tierhaut eingenäht genau an dieser Stelle angespült würde, weshalb die hier lebenden Christen ihm oben auf dem Felsen einen Schrein errichteten. Noch ein arabischer Reiseschriftsteller aus der Zeit der Mauren-Herrschaft berichtete etwas gruselnd, der Schrein des Heiligen werde stets von Raben bewacht, die das kleine Heiligtum umschwirrten.

Aus dem Schrein wurde ein Kloster, doch dem Heiligen ließ man keine Ruh. Im 13. Jahrhundert, kurz nach der Reconquista, der Rückeroberung der Algarve und des Alentejo von den Mauren, holte man, was von den Knochen noch übrig war, aus deren Grab. Und transferierte die sterblichen Überreste vom Cabo Sao Vicente nach Lissabon, woran noch heute die beiden schwarzen Raben auf dem Segelschiff in Lissabons Stadtwappen erinnern – einer Stadt, in der es nebenbei bemerkt weder Raben gab. Noch gibt.

Mit dem Umzug des Heiligen in die Großstadt war dessen Karriere keineswegs zu Ende. Er wurde Patron der Seeleute. Und Winzer. Und Holzfäller. Des Federviehs. Der Dachdecker. Und Patron Portugals. Und wem etwas gestohlen wurde, der richtete sein Gebet an den Heiligen, damit der ihm zu seinen Sachen wieder verhülfe. Mindestens zwei Inseln sind nach ihm benannt. Und wie beliebt der Heilige schon bald nach seinem gewaltsamen Tod unter den Händen römischer Folterer war, davon zeugen die 12 weiteren Heiligen, die nach ihm alle ebenfalls Vinzenz heißen.

Vom Kloster aber sind oben, an dem einsamen Ort, heute nur noch die Gebäude zu sehen. Die Mönche verließen den Ort in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als alle Klosterorden in Portugal aufgelöst wurden. Doch nicht alles, was endet, ist darum auch schon zu Ende. Keine 10 Jahre nach dem Exodus der Franziskanermönche errichtete man 1846 ein erstes Leuchtfeuer. Wir befinden uns im Zeitalter der aufkommenden Dampfschiffahrt. Und ab da erlosch das Licht oben auf dem Cabo de São Vivente nicht mehr. Und ebensowenig der männliche Vorname Vinzenz, der unter den 33.740 männlichen Vornamen aus aller Welt aktuell immerhin in Deutschland Platz 629 belegt.

Ankern, wo Europa endet. Das Kap von Sagres. Und die verflixte Tide.

Seit Mitte Mai segle ich nun nach Westen. Von Sizilien kommend erst zu den Balearen. 
Und dann durch die Straße von Gibraltar die spanische Küste entlang an die Südküste Portugals. 
Das Kap von Sagres ist ein markanter Punkt – nicht nur auf der Landkarte.

Sagres. Die Welt sieht regnerisch aus an diesem Abend, an dem ich in der Bucht von Sagres angekommen bin. Und regnerisch sieht es auch noch aus, als die untergehende Sonne die Regenwolken von unten beleuchtet. Strudel und Wirbel von Wolkenfetzen über dem Strand, am Himmel ein Ringen, und noch ist nicht klar, wie es ausgeht.

Ich schaue kurz in Google Maps. Dort bin ich jetzt gerade ein kleiner blauer Punkt ganz im äußersten Südwesten Portugals, der gleichzeitig auch der äußerste Südwesten Europas ist. In Maps ist der kleine blaue Punkt da, wo das Grün des Festlands endet. Und das endlose Blauschwarz des Atlantiks sich bis zu beiden Amerikas erstreckt. Bis hierher führte mich mein Kurs um Europa herum immer westwärts. Ab hier geht es nur noch nordwärts.

Sagres ist ein kleiner Flecken am Ende der Welt. Knapp 2.000 Einwohner. Ein paar Restaurants. Ein Postamt, eine Apotheke, ein Supermarkt. Und zu Füßen des Orts der Fischereihafen, durch eine gewaltige Betonmauer geschützt. Der Ost sei hier der gefährliche Wind, sagte ein alter Marinero vor ein paar Tagen zu mir, und man sieht es der Mauer an, was er damit meinte. 

Doch ein Ort am Ende der Welt war Sagres beileibe nicht immer.  Sagres und die wenige Seemeilen benachbarten Häfen Lagos, Portimao und Faro: Sie waren nicht das Ende, sondern der Anfang einer neuen Welt.

Sagres. Es ist lange her. Vor fast vierzig Jahren, ein Novembernachmittag in der staubtrockenen Luft der Universitätsbibliothek einer deutschen Stadt. Ich hatte keine Lust, zu lesen, was ich sollte. Ich schmökerte lieber. Und versank in alten Bänden, die von Sagres erzählten. Wie ein Mann namens Dom Enrique el Navegador von Sagres aus, diesem weit nach Südwesten in den Atlantik ragenden Sporn Schiff um Schiff auf Entdeckungsfahrt aussandte. Wie der Mann, wieder und wieder erwartungsvoll auf der Klippe steht. Und Abend für Abend auf die Rückkehr seiner Schiffe wartet. Mit diesem Bild im Kopf endete mein Novemberabend in der Bibliothek. Und mit ihm war ich im ersten Schneetreiben des Jahres nach Hause gewandert. 

Das Bild des Mannes auf der Klippe verschwand auch danach nicht in meinem Kopf. Sagres, fast 40 Jahre später. Ein scharfer Nordwest hatte mich von Portimao herübergeweht. Er hatte sanft begonnen und hatte schneidender und schneidender über die Klippe am Horizont geblasen. Der Himmel hatte sich grau überzogen, ich hatte mir den Sommer in Portugal anders vorgestellt. Vor den wenigen Häusern über dem Hafen hatte ich beigedreht und die im Starkwind knatternden Segel geborgen, um im Hafen zu ankern. Daraus wurde nichts. Denn hinter der Betonmole liegen Trawler, Fischkutter, Schlauchboote wild und wirr durcheinander. Mir verging die Lust, Levje zwischen dem Durcheinander aus Bojen und Booten hindurch an einen der schartigen Stege zu steuern.

Stattdessen mühte ich mich, nördlich davon zu ankern. Doch wie ich es auch anstellte, mein Bügelanker, der sonst sofort fest zubeißt, wollte und wollte nicht halten. Dann war plötzlich die Dämmerung da. Ich gab entnervt auf und steuerte eine Meile weiter nördlich vor einen Sandstrand, wo einsam ein Katamaran lag. Und ich

auf die Insel schauen konnte, die im weichen Licht des Abends dalag wie ein gestrandeter Blauwal. Dort versuchte ich vor dem Sandstrand mein Glück mit dem Ankern erneut. Diesmal hielt er sofort. Ich hatte auf 3,50 Meter Wassertiefe geankert. Das Licht war zu wenig, um noch zu sehen, wo er wirklich hingefallen war. Im Dunkeln geht es, anders als am Tag, nur darum, dass der Anker hält. Das tat er. Alles fein. Jetzt was Warmes zu essen. Ein Topf heißer Kartoffeln? Mit zerlaufener Butter? Und grobem Meersalz darüber? Eine allerletzte Flasche des italienischen Bieres war auch noch im Kühlschrank. Ich verschwand unter Deck und setzte den Schnellkochtopf auf den Gasherd.

Eine halbe Stunde später. Der Wind war verschwunden. Die Sonne auch. Über dem Strand erleuchtete sie ein letztes Mal von unten die wirren Wolkenwirbel. Abschlussfeuerwerk und einzigartiges Meereskino während des Abendessens. Alles war gut. 

Wäre nicht… ja: Wäre nicht eine halbe Minute später mein argloser Blick auf Levjes Tiefenmesser gefallen. Ich musste zweimal hinsehen. Dann noch einmal genau: 2,80 Meter zeigte der. Ich Esel. Ich hatte mich immer noch nicht daran gewöhnt, seit drei Tagen in einem Tiedengewässer unterwegs zu sein. Wenn ich jetzt bei Flut auf 3,50 Meter geankert hätte und der Tidenhub 2 Meter beträgt, dann: Gute Nacht – säße Levjes 2-Meter-Kiel demnächst auf dem Grund. Im Ipad den Tidenkalender aufrufen, „Niedrigwasser Sagres“ suchen: Das geschah in ein und demselben Augenblick. Niedrigwasser. Aha. Erst in einer Stunde. Das war die schlechte Nachricht. Und die gute? In dieser Stunde würde der Pegel nur noch um 10 Zentimeter fallen. 2,70 Meter. Also mindestens 70 Zentimeter Wasser unterm Kiel. Wenns dumm käme und der Wind uns gen Sandstrand trieb, würden uns mit etwas Glück immer noch die berühmte Handbreit Wasser unterm Kiel bleiben.

Über eine Stunde blieb ich wach. Und beobachtete den Tiefenmesser, bis mir die Augen zufielen. Wie hatten sie das gemacht? Die Seeleute, die Dom Henrique ausgesandt hatte? Ohne iPAD. Ohne sofort verfügbaren Tidenkalender? Ohne Kenntnisse der Winde, der Strömungen? Ich dachte an den Mann, der von dort oben, wo heute die steinerne Windrose oben in den Klippen eingelassen war, seine Schiffe weit nach Westen Richtung Amerika und nach Süden die afrikanische Küste hinunter ausgesandt hatte. War er wirklich auf der Klippe hinter mir gestanden?

Ich weiß, ich werde es herausfinden. Für mein Buch. Wie die Geschichte des Mannes wirklich geht. 

Da geht noch Watt – Leseprobe

Hier ist nun die erste Leseprobe von „Da geht noch Watt für euch! Einleitung und erstes Kapitel for free. Einfach auf den Link unten klicken. Viele Spaß damit ;-)

Da geht noch watt_Leseprobe

 

Ein voller Erfolg

Stegtreffen am 7. Juli 2018 im Yachthafen Wesel.

Gestern Nachmittag haben wir die Zeit wieder laufen lassen und die Ankunft von Nomade in ihrem Heimathafen gefeiert.
Eigentlich war ja geplant, dass ich am 7. Juli in Wesel anlege, aber der niedrige Pegel im Rhein hat mich ein wenig unter Druck gesetzt, so dass ich bereits am Montag Abend die Leinen, nach zwei ziemlich langen Etappen über Main und Rhein, in Wesel festgemacht habe. Mal wieder deutlich früher als gedacht.
Und so habe ich zusammen mit meinem Vater in der letzten Woche noch beide Masten gestellt, ein wenig aufgeräumt, geputzt und schließlich die Zeit bis gestern Nachmittag „angehalten“.

Dieses Jahr war alles anders. Ich hatte ein unglaubliches Wetterglück, seit ich Tuzla verlassen habe. Perfektes Wetter am ersten Tag auf See, perfektes Wetter im Bosporus, perfektes Wetter im Schwarzen Meer…
Es gab mal eine Situation in der Donau, da habe ich morgens (eher scherzhaft) vor mich hin geflucht: „Immer dieser Scheiß blaue Himmel.“
Dieser blaue Himmel, der leichte Wind, der mittlere Wasserstand in der Donau, dieses allgemein gute Wetter haben eben dazu geführt, dass ich fast jeden Tag fahren konnte. Und da diese Tour nun mal eher eine Überführungsfahrt war, wollte ich all diese guten Tage so effizient wie möglich nutzen. Ich konnte ja auch nicht damit rechnen, dass sich zwischen dem 22. April und dem 2. Juli nicht ein einziges Mal so richtig mieses Wetter einstellen würde.
In den letzten Jahren war es eher so, dass ich, bzw. Sabrina und ich oft wochenlang irgendwo wegen schlechtem Wetter festhingen. Herbststurm in der Biskaya im Sommer, Jahrhundertregen in Frankreich, alles durcheinander in Griechenland…
Aber dieses Jahr bekam ich all das Pech der letzten Jahre in Form von Wetterglück zurück!

Innerhalb von 71 Tagen sind Nomade und ich 53 Etappen gesegelt, bzw. gefahren. Wir haben 1.986 Seemeilen oder 3.678 Kilometer über Grund zurückgelegt, wurden 71 mal geschleust und sind den weitaus größten Teil der Strecke gegen den Strom gefahren, bis wir im Main-Donau-Kanal schließlich 406 Höhenmeter über dem Meer waren. Danach ging es abwärts und im Rhein habe ich am letzten Tag der Reise schließlich mit 199 Kilometern meine bisher längste Tagesetappe im Binnenrevier hinter mich gebracht. Eine Zahl, die mir erst jetzt so richtig bewusst macht, wie weit ich gefahren bin. Denn, es sind ab Wesel nur wenig mehr als 200 Kilometer über den Rhein bis zum Meer. Nomade könnte also ab jetzt innerhalb eines einziges Tages wieder am Meer sein! Ein sehr gutes Gefühl!

Und noch etwas ist mir erst jetzt so richtig bewusst geworden: Wie enorm zuverlässig diese Suncoast 42 während der 53 langen Etappen durchgehalten hat.

Die Anfänge im letzten Jahr waren zwar schwer, aber nachdem ich nach und nach alles wichtige repariert hatte, hat sie gezeigt, was mit ihr möglich ist. Die Fahrten mit ihr waren ja nicht nur eine Überführung. Es waren Fahrten um heraus zu finden, ob sie das richtige Schiff für Sabrina und mich ist.

Nomade hat sich bewährt und jetzt haben wir sie endlich hier. Nur 3,6 Kilometer entfernt von zu Hause, liegt Nomade nun im Yachthafen Wesel. Hier wird sie eine Weile bleiben, später irgendwann in der Umgebung an Land gestellt werden, um sie umfangreich zu restaurieren.
Bei Nomade braucht man nicht zu experimentieren, das hat sich während der Fahrten mit ihr deutlich gezeigt. So wie sie von der Werft konzipiert wurde, ist sie nahezu perfekt für uns. Wir werden sie zwar komplett überarbeiten, aber bis auf Änderungen im Detail nichts Grundlegendes anders machen. Der Innenausbau ist während all der Jahre mehrfach verändert worden. Dort wollen wir sehr wahrscheinlich eines der Original Layouts wiederherstellen…

Aber langsam. Erstmal steht Sabrinas Urlaub vor der Tür. Den wollen wir auf Nomade verbringen und Filou ein bisschen mehr ans Schiff gewöhnen.
Vergessen hat er Nomade nicht. Er wusste noch ganz genau wo es lang geht und wie er am besten die Treppe runter kommt. Nur eines ist anders. Er ist viel neugieriger als damals in Athen. Dort war er ja auch noch nicht richtig fit und kannte uns kaum.
Heute sind wir zum ersten Mal eine kleine Runde mit ihm durch den Hafen gefahren und das hat ihm sehr gut gefallen.

Das Stegtreffen gestern hat uns sehr gut gefallen. Für mich war es eine Überraschung, da Sabrina sich darum gekümmert hat und ich nicht wusste, wer alles kommen wird.
Sehr gefreut haben wir uns auch darüber, dass tatsächlich einige Menschen dabei waren, die bereits länger hier lesen. Schön, euch mal live zu treffen.

© Marcel Gottwald

© Marcel Gottwald

Einen Nachtrag möchte ich an dieser Stelle auch noch kurz machen. Unterwegs hatte ich ja zum Ende hin leider kaum noch Zeit hier zu berichten. Vieles ist also noch gar nicht erzählt. Zum Beispiel der spontane Besuch von Michael, Sandra und dem kleinen Urs im Main-Donau-Kanal. Michael liest seit einer ganzen Weile hier und hat das AIS Signal von Nomade an dem Tag live verfolgt. Kurz nach dem anlegen in einem Bauhafen des WSA waren die drei an Bord. Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Besuch von Michael, Sandra und Urs.

Worüber ich mich ebenfalls sehr gefreut habe, war die enorme Hilfsbereitschaft des WSA (Wasser- und Schifffahrtsamt). Mehrmals durfte ich in deren Häfen übernachten, obwohl das eigentlich für Sportboote nicht gestattet ist. In die meisten Yachthäfen bin ich wegen der Größe und des Tiefgangs von Nomade leider nicht rein gekommen, da war das WSA eine große Hilfe für mich.
Ebenfalls positiv überrascht war ich von den Hilfsangeboten von euch! Einige Leute haben Mails geschickt und Unterstützung angeboten. Von Tankfahrdiensten über Kuchenlieferung bis hin zu Einladungen zum Grillabend war einiges dabei. Auch wenn ich leider meistens an euch vorbei gefahren bin, weil es einfach nicht anders gepasst hätte: DANKE
Kurz bevor ich den Rhein erreicht hatte wurden Nomade und ich dann sehr gezielt von jemandem fotografiert und kurze Zeit später waren im Posteingang jede Menge Fotos von einem Leser, der ebenfalls auf Nomade gewartet hat. Über diese Fotos freue ich mich riesig, denn Fotos vom Schiff in Fahrt, die nicht an Bord gemacht wurden, bekommt man sehr selten.

© Roger Ramberger

© Roger Ramberger

© Roger Ramberger

Alles zusammen genommen war diese Fahrt von Anfang bis zum Ende also ein voller Erfolg!

Von Cadiz nach Faro. Von Spanien nach Portugal.

Seit Mitte Mai segle ich nun nach Westen. Von Sizilien kommend erst zu den Balearen. 
Und dann durch die Straße von Gibraltar die spanische Küste entlang. 
Und heute steuere ich mein Schiff einhand Richtung Portugal.

Cadiz am Morgen. Ein Harfenton weckt mich. Es ist dunkel um mich. Und ich mag die Augen noch nicht öffnen. Ich öffne kurz die Augen, sehe auf dem Bildschirm 5.10 Uhr. Draußen ist alles still. Der Westwind, der in Cadiz in diesem Sommer immer nachmittags auffrischt, ist abgeflaut. Ich überlege kurz, mich umzudrehen und weiterzuschlafen. Doch in meinem Hirn macht sich der Gedanke breit, dass ich mich, wenn ich nicht jetzt lossegle, mitten auf der Strecke Nachmittags um 15 Uhr jener starke Westwind überfiele. Die Vorstellung, mich bis Mitternacht bei Starkwind übermüdet in einen unbekannten portugiesischen Lagunenhafen wie Faro hineintasten zu müssen, lässt mich schnell wach werden. Nein. Lieber jetzt aufstehen. Und ablegen. Überraschungen wirds auf der 100 Seemeilen langen Strecke, für die ich 20 Stunden auf See sein werde, sicher genug geben.

Ich werfe einen kuzen Blick aus Levjes Heckfenster. Im Liegen kann ich die Hafenmole und die neue Brücke über den Hafen von Cadiz sehen. Alles ist noch an seinem Platz. Was bedeutet: Levje ist noch an ihrem Platz. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

Draußen an Deck erwacht meine Lust, aufzubrechen. Im Osten das erste Grau. Cadiz ist noch das Reich der Lichter – der Tag ist noch nicht da, die Nacht noch nicht vergangen. Ich bitte Miguel, den Marinero mit dem netten kleinen Hund, den er rasiert hat wie Idefix, der diese Woche die Nachtschicht hat, doch an der Tankpier auf mich zu warten. Ich möchte Levje noch betanken, wer weiß, wann ich in Portugal an eine Tankstelle rankomme. Der Griff der Zapfpistole ist eiskalt, als mir Miguel den dicken Schlauch aus drei Metern Höhe herunterreicht. Auch die Stahlleiter ist klamm und feucht wie die Hafenmauer dahinter, als ich die drei Meter nach oben zu Miguel und Idefix klettere, um zu bezahlen. Noch ein Händedruck. Dann klettere ich die Leiter wieder vorsichtig hinunter. Ic fürchtet als Segler die großen Stürme. Und weiß doch, dass Unheil in jeder kleinen, achtlos ausgeführten Bewegung auf einer rutschigen Leiter stecken kann.  Segeln zwingt mich zur Achtsamkeit.

Dann werfe ich die nassen Leinen Los. Stoße Levje vom Land aus ab. Mache eine großen Schritt an Deck. Und lege den Gang ein. Ich mag den Moment, wo sich mein Schiff langsam, ganz langsam in Bewegung setzt. An den schlafenden Schiffen, an der Kaimauer ruhen, majestätisch langsam vorbeigleitet. Dann bin ich draußen.

Ein Kreuzfahrtschiff läuft im Halbdunkel ein. INDEPENDENCE OF THE SEAS steht groß auf ihrem Bug. Auf den 12 Stockwerken blitzen vereinzelt Lichte auf, ein Zeichen, dass manche Kreuzfahrtgäste das „Reich der Lichter“ drüben auf der Insel ebensosehr geniessen wie ich. Und es fotografieren. Ein Sardinenfischer mit seinem kleinen Beiboot im Schlepp kehrt möwenumschwirrt nach langer Nacht in seinen Heimathafen zurück.

Es dauert zwei Stunden, bis ich Levjes Motor abstellen kann. Es hat jetzt stabil 10 Knoten draußen, aus Nord. Da sollten Levjes Segel genug Kraft entwickeln, uns durch die widerlichen Kreuzseen an diesem Morgen zu ziehen. Kreuzsehen: Sie sind der Kater im Kopf des Seemanns. Wellen aus unterschiedlichen Richtungen, die das Boot ausgerechnet morgens so unangenehm schaukeln lassen, dass man sich am Morgen so fühlt, als hätte man drei Abende lang zuviel getrunken und geraucht. Kaum ist der Motor aus, rummst Levje immer noch jeden Augenblick wie ein ungefederter Präriewaggon samt seinem seinem Hausrat scheppernd in jedes Wellental, das sie zielsicher findet, wie in ein Schlagloch, während das Schiff vom Kiel bis zur Mastspitze hart vibriert.

Stunden später. Der Wind weht jetzt mit 15 Knoten. Gottseidank. Weg sind die widerlichen Kreuzsseen, der Nordwest hat sie weggebügelt. Geblieben sind Schaumkronen, die aus Nordwest anrollen. Vorboten, dass der Wind zunehmen wird – die Wellen ziehen schneller als das sie verursachende Windfeld. Der Wind ist angenehm frisch geworden, eine Brise, die lange über den Atlantik gestrichen ist und sich vollsog mit mit Salzduft, mit Gischtluft, mit dem unachahmlichen Geruch des Meeres.

Eben habe ich eine Viertelstunde geschlafen. Meine Schwachstelle als Einhandsegler ist der Schlaf. Ich weiß, wo mein Limit liegt. Ich brauche acht Stunden, um frisch zu sein. Letzte Nacht waren es keine fünf. Um auf mein Pensum zu kommen, muss ich jetzt mehrfach tagsüber schlafen. Der Autopilot segelt das Schiff nach einem vorgegebenen Winkel zum Wind. In Levjes Radar-Schirm habe ich einen Kreis im Abstand von eineinhalb Meilen um uns markiert. Sobald etwas diesen Kreis berührt, löst das einen Alarmton aus. Ich mich in Lee auf die Cockpitbank gelegt, wie ich bin. Und lasse mein Schiff einfach laufen. Der Wind hat zugenommen. Wir segeln jetzt sehr schräg. Das letzte, was ich vor dem Einschlafen durch die die Seitenscheibe sehe, ist, wie unter mir Gischt spritzen und Wellen durchziehen und unbeirrt weiter Richtung Kimm laufen. Geborgenheit im Unwirtlichen.

Eine Viertelstunde später bin ich wach. Der Wind hat zugelegt. Benommen einem Jollensegler-Reflex folgend, setze ich mich auf die andere Seite, um die Schräglage auszugleichen. Doch Levjes siebeneinhalb Tonnen und der Winddruck von mehreren Tonnen auf Segel und Mast sind unbeeindruckt. Noch 52 Seemeilen. 100 Kilometer bis Faro.

Am Nachmittag scheint es, als wolle eine geheime Kraft verhindern, dass wir unser Ziel erreichen.  Konstant weht der Wind jetzt aus der Richtung, in der Faro liegt. Man kann nicht gegen den Wind steuern. Nur an ihm entlang. Also liegt der Punkt, auf den ich jetzt zusteuere, etwa 35 Seemeilen östlich. Zusätzlich zu meiner Fahrzeit werde ich also 6 Stunden länger brauchen. Es wird Mitternacht werden. Eine Stunde später hat der Wind die 20, 22 Knoten erreicht. Es bläst jetzt richtig. Zu den Windstößen schlägt ein Fall sein hektisches takk-takk-takk-takk-takk an den Mast, als wollte es mich wie mein Wecker erinnern. Ich bin jetzt zu müde, um noch irgendetwas zu denken, zu tun, zu entscheiden. Ich stelle den Radaralarm an, suche noch einmal den Horizont ab. Alles frei. Und bin schnell eingeschlafen. Noch im Einschlafen denke ich, ich sollte noch einmal den Tiefenmesser kontrollieren und die Seekarte, ob irgendwelche Untiefen vor uns liegen. Ich sollte aufstehen, nachsehen, doch der Drang nach Schlaf ist übermächtig.

Eine halbe Stunde später bin ich wieder erholt. Der Wind hat nachgelassen und die Wellen auch. Unter ihren Reffs schleppt Levje sich lahm durch die Wellen. Ich löse beide Reffs, schon sind wir wieder mit über sechs Knoten hoch am Wind unterwegs. Trotzdem wird es Mitternacht werden.

Der Abend ist wie immer die schönste Stunde. Es gibt Inseln und Küsten, die kann man meilenweit von See her riechen. Allen voran die Küste Korsikas und ihr Duft nach Heidekräutern. Der Geruch von Griechenlands nördlichster Insel Othonoi in der Straße von Otranto, wenn der über die Insel streichende Nordwind sich so erhitzt, dass die Augen brennen. Und der Geruch der heißen Felsen in die Nase steigt. Die Tremiti-Inseln mit ihrem harzigen Kieferduft. Und eben jetzt die Küste südöstlich von Faro, während der Nordwind über sie streicht. Es ist ein faszinierender Duft. Hölzer, Kräuter, Heideblumen, auf Sand erhitzt, vom Wind fortgetragen. Ich rieche es, spüre den Aromen nach, während hinter mir breit der Vollmond aus dem Meer steigt. Ich möchte gerade nirgendwo anders sein.

Doch mein Versuch, noch vor der Dunkelheit einen halbwegs sicheren Ankerplatz an der langen Sandküste Portugals zu finden, misslingt. Zu unruhig sind die Wellen dort, als dass man ruhig die Nacht verbringen könnte. Also weiter. Womit ich nicht gerechnet hatte, sind die zahlreichen Muschel- und Fischfarmen, die dicht an dicht vor dieser Küste liegen. Die meisten von ihnen sind spärlich oder  beleuchtet – oder gar nicht. Eine Nachlässigkeit, die Levje schnell in Gefahr bringen kann, wenn ihr Propeller sich in einer der Leinen verfängt. Ich lasse das Radar mittlerweile immer mitlaufen – ich

möchte diese Erfindung an Bord nicht mehr missen, erkenne ich doch schon Meilen voraus die einzelnen Bojen an ihrem Radarschatten. Ohne das und eine aktualisierte  Seekarte würde ich hier schnell in der Dunkelheit ins Unheil geraten.

Kurz nach Mitternacht. Ansteuerung der Lagune von Faro. Ich folge dem Leuchtturm. Um keinen Fehler zu machen, folge ich einfach dem Fischer, der mich eben überholte. Ich lasse ihn eine Meile voraus fahren. Und folge ihm. Auf dem Radar und in der elektronischen Seekarte zeichnen sich die Konturen der Einfahrt und die Tonnen, die in der Dunkelheit das Fahrwasser markieren ab. Ich folge dem Fischer in die Einfahrt. Dann ist er, genauso wie die Lichter der Fahrwasserbefeuerung, vor den Lichtern Faros nicht mehr auffindbar. Aber mit Radar und Seekarte gehts auch. Ich folge dem Kanal ein Stück – dort, wo er nach links abzweigt, ist in der Seekarte ein Ankergrund verzeichnet. Als ich nach vorn gehe, um den Anker klar zu machen, sehe ich plötzlich Zipfelmützen auf dem Wasser. Und etwas Gischt. Strömung! Eine Untiefe, auf die ich zulaufe? Schnell bin ich im Cockpit. Drehe Levje auf dem Teller mit Vollgas. Doch der Sog gibt uns nur langsam frei. An dieser Stelle ist bei Flut eine schnelle Strömung. Sie gibt uns nur langsam frei. Adrenalin pur – jetzt nach Mitternacht in der Strömung noch auf Grund laufen! Ich steuere zurück ins Fahrwasser, diesmal finde ich daneben liegenden Ankerplatz sofort. Drei langsame Kreise in der Dunkelheit gedreht, und das Terrain unter Wasser auf Felsen abzusuchen. Dann lasse ich den Anker fallen. Räume das Deck auf. Schalte Ankerlicht und Rotlicht an. Schaue noch einem Moment meinem Schiff zu, dessen Ankerkette sich in der Flut straff spannt. Höre einen Moment auf die Geräusche der Nacht. Ich bin in Portugal.

Dann falle ich auf mein Bett. Und weiß am  nächsten Morgen nicht mehr, dass ich vermutlich noch im Fallen einschlief.