GGR – Ertan Beskardes UK
SV MAKAIO – STEPHANIE SEIFERT – BERICHT AUS LA CORUNA
SV MAKAIO – STEPHANIE SEIFERT – BERICHT AUS LA CORUNA
Seit Mitte Mai bin ich nun für mein neues Buchprojekt
auf Levje unterwegs von Sizilien in die Bretagne – einmal um die Küste Westeuropas herum.
Zum ersten Mal Portugals Festland betrete ich in Portimão,
einem typischen Hafen an der Algarve.
Im Dunkeln war ich in Portugal in den Lagunen von Faro angekommen und hatte von der Küste noch wenig gesehen. Erst als ich früh am Morgen aus den Lagunen aufbrach und weiter nach Westen segelte, bekam ich einiges mit. Lange Sandstrände. Schmucke Feriendörfer, die sich wie fehlende Puzzlestücke in die Felslandschaft zwischen Faro und dem 40 Seemeilen weiter westlich gelegenen Portimão einpassten.
Sandstrände brauchen zu ihrer Entstehung meist – Flüsse. So hatte ich es in der Adria erstmals bemerkt, wo die großen Sandstrände der nördlichen und westlichen Adria ihre Entstehung den Flüssen verdanken. Dem Isonzo, dem Tagliamento, der Piave und vor allem dem Po. Die Flüsse waschen Gesteinsmehl aus den Bergen zur Mündung. Die Gegenuhrzeiger-Strömung an den Ufern der Adria verteilt den Sand an deren Nord- und Westküsten. Tatsächlich liegen die Häfen Portugals überwiegend an Flüssen. Faro und sein Lagunendelta. Lagos am Bensafrim. Lissabon am Tejo. Und Portimao, mein Tagesziel am Arade. Die schmale Einfahrt in den Fluss zwischen den Felsen führt in die Marina. Und dann drei Kilometer flussaufwärts in die Stadt und den Hafen.
Neugierig auf Portugal brach ich, kaum dass die Leinen in Portimão fest waren, in die Stadt auf. Portimão ist anders als es die etwas schniecke, an ein Edelresort erinnernde Marina erwarten ließ. Nach einer halben Stunde kam ich in einstiges Industriestädtchen, das wohltuend einfach geblieben war und sein ehrliches Gesicht nicht verbarg. In der Innenstadt stehen viele der Fliesenbedeckten Häuserfronten leer. „Alugar-se“- und „Vende-se“-Schilder („Zu vermieten“, „zu verkaufen“) allenthalben. Um einen Ort kennenzulernen, muss ich ihn zu Fuss durchwandern. Ich brauchte eine Stunde, über den Fluss in die große Bootswerft auf der anderen Flusseite zu kommen. Genoss es, im Schatten eines Baumes auf dem Werftgelände ein Bier zu trinken und dem weichen Portugiesisch der Fischer und Werftarbeiter zuzuhören. Ich wanderte über den Fluss zurück in die Stadt, wo sich halb unter die Flussbrücke gekauert Portimãos Restaurantviertel verbarg. Auf dem Kamin eines Restaurants hatte ein Storch wenige Meter neben der vielbefahrenden Flussbrücke sein Meisterwerk von Storchenest errichtet und putzte hoch über dem Restaurantviertel und neben der Autobahnbrücke sein Gefieder.
Ich wanderte vorbei am kleinen Bahnhof, aus dem ein älterer Farbiger trat, kleingewachsen, mit kurzem grauen Haar unter der braunen Kappe, und meinen Weg einschlug. Er trug eine braune Hose und ein Sakko, das von Größe und Farbe so gar nicht passen mochte zum restlichen Erscheinungsbild des Mannes – es war vielleicht ein Geschenk. Als ich schnelleren Schrittes an ihm vorbeiging und wir fast zusammenstießen, was sicher nicht die Schuld des Mannes war, entschuldigte er sich so höflich und würdevoll, als hätte er lange und anders, als seine Kleidung es vermuten ließ, in einem guten Haus gearbeitet. Seine Entschuldigung war formvollendeter als die meine, ich war berührt, und überlegte wie so oft, ihn anzusprechen. Doch die Frage, die Parzifal nicht wagte zu stellen, dies „Herre, wie wirret iuch?“, das einfach teilnahmsvolle Fragen, auch ich wagte es nicht. Und trage es wie Parzifal als Schuld auf meinen Aventiuren durch die Welt.
Den Alten von Portimão, der die Kunst der Entschuldigung beherrschte, werde ich nicht vergessen. Ich war noch von der Begegnung bewegt, als ich mein eigentliches Ziel, die Shopping Mall von Portimão erreichte. Zu den Dingen, die das vereinte Europa teilt, gehören die Shopping Malls. Moderne Einkaufszentren an Stadträndern schwappten aus USA zu uns herüber. Ich traf sie vom östlichen Kreta über Athen, das nicht gerade prosperierende Brindisi bis Sizilien. Immer wenn ich in ein neues Land komme und andere Telefondienstleister meinen bisherigen Internet-Zugang enwerten, suche ich sie auf. Sie sind der sicherste Ort, um an eine neue Datenkarte ranzukommen. Auch dafür werde ich Portimão preisen: Nach 3 Minuten verließ ich den Telefonladen mit einem funktionierenden Internet-Zugang.
Noch schnell in den Supermarkt. Und da stehe ich plötzlich vor einem mehr als fünf Meter langen Regal mit – Sardinendosen. Fasziniert bleibe ich stehen. Und betrachte die vielen Ettiketten. Fast alle enthalten sie – Sardinen.
Was denken wir zum Beispiel über die gelbe Schachtel. Sardinen in Zitronensaft. Das Etikett bewegt sich irgendwo zwischen ökologisch und gesundheitlich wertvoll. Aber ist mir heute nach Zitrone? Eher nicht. Ich glaube, ich bin heute eher klassisch drauf.
Ob das nicht was für heute Abend wäre? Minerva? Seit 1942? Das würde auf einer deutschen Verpackung niemals stehen. Welcher Hersteller wäre in Deutschland denn schon stolz darauf hinzuweisen, womit er 1942, im Jahr des Untergangs der Stalingrad-Armee, sein Geld verdiente? VW. Seit 1942?
In Portugal ist man da fein raus. Am weltweiten Morden beteiligten sich in Europa nur Portugal, Spanien und die Schweiz nicht. Für Portugiesen ist 1942 eine unbescholtene Zahl. Also Minerva: Sardinen geräuchert? In Öl? Mit einem Hauch Limettensaft?
Oder wie wäre es mit dem Herrn mit dem Backenbart: Thunfisch von den Azoren mit getrockneter Tomate und „Manjerição“? Ich muss erst nachschlagen, um herauszufinden, dass Manjerição das portugiesische Wort für Basilikum ist. Auch keine schlechte Wahl.
Und was bringt uns die Santa Catarina? Katholisch wie ich bin, löst die Farbe natürlich pfingstliche Gefühle in mir aus, wenn der Priester zu m Fest der Erleuchtung nur noch ein Messgewand in dieser Farbe trug. Nochmaliges Nachschlagen im Internet erleuchtet mich, dass es sich beim Inhalt dieser Dose um Thunfischfilets von den Azoren handelt. Wunderbarerweise mit „Alecrim“. Nein, nicht mit Babynahrung, sondern mit Rosmarin.
Und Sardinen in scharfer Tomate? Nein, nicht heute.
Doch eines ist klar. Sardinenkonserven haben in Portugal eine ganz andere Tradition als bei uns. Aber wann und wie fand der Fisch eigentlich den Weg in die Dose?
Der Zeiger von Levjes Borduhr zeigt jetzt Mitternacht. Die Geschichte, wie die Sardine ihren Weg in die Dose fand, muss fürs heute ungeschrieben bleiben. Doch ich werde sie schreiben. Ganz bestimmt.
Seit Mitte Mai Wochen bin ich nun für mein neues Buchprojekt
auf Levje unterwegs von Sizilien in die Bretagne – einmal um die Küste Westeuropas herum.
Nach der Straße von Gibraltar erreichte ich Cadiz, den alten Hafen im Südwesten Spaniens. Doch wie alt der eigentlich wirklich war, sollte ich erst hier begreifen.
Als ich von Tarifa lossegelte, dauerte es lang, bis der Sog der Straße von Gibraltar uns losließ und nicht mehr zu spüren war. Wieder einmal hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas unter dem Schiff hing, was uns bremste. So hoch ich den Motor auch drehen mochte: mehr als vier Knoten waren nicht drin, solange ich mich von der Meerenge wegbewegte. Sobald ich testweise kehrt machte und auf die Meerenge zuhielt, schossen wir mit 7 Knoten dahin. Erst als wir am frühen Nachmittag Cabo de Trafalgar mit seinem türkisen Wasser und dem verführerischen Sandstrand erreichten, ließ der Sog der Meerenge nach. Gegen Mitternacht erreichte ich den Hafen von Cadiz. Ein freundlicher Marinero mit einem Hund, der in der Dunkelheit wie Idefix aussah, nahm meine Leinen an.
Cadiz hatte mich bei der Ansteuerung neugierig gemacht. Nicht nur, dass die Stadt am Ende einer schmalen Landzunge wie eine Insel vor der spanischen Küste liegt, nein. Auch der Hafen ist – ungewöhnlich genug – nicht dem Meer zugewandt, sondern dem Land. Die Stadt war ein Hufeisen und ihr natürlicher Hafen bietet Schutz, wie nur wenige andere. All das hätte mir auffallen sollen, ich kenne ich kaum einen zweiten Hafen, der so angelegt ist.
Am Morgen ging ich in die Stadt. Cadiz, die Inselstadt, hat fast 120.000 Einwohner. Stadtbusse rumpeln übers Pflaster, in den engen Gassen der Innenstadt ist an diesem Morgen schon auf den Beinen, wer auf den eigenen Rädern nicht unterwegs sein wollte. Und weil mein Herz nunmal für Bäckersfrauen schlägt, führte mich, als hätte als dies anders nicht sein können, mein erster Weg in eine Bäckerei. Mein innerer Kompass sucht, während ich die Cadiz‘ Straßenschluchten entlanglief, das Wort „horno“ – den spanischen Begriff für Ofen, aber eben auch für Bäckerei.
Und so stand ich plötzlich vor Anna in der Bäckerei der Antonia Butrón. In ihrer schwarzen Kochmütze hantierte sie an ihrem Ofen, aus dem sie gerade ein Blech herausholte, bedeckt mit einem duftenden Blätterteig-Fladen. Anna wusste etwas übers Leben. Und über Männer auch. Obwohl wir uns nie zuvor begegnet waren, hatte sie mit einem Blick nicht bloß erfasst, wes Geistes Kind ich war. Sondern auch die Leidenschaften, die wir im Leben teilten. Ohne ein Wort zu verlieren, nahm sie das große Messer. Holte das Tablett aus der Vitrine vor meinen Augen. Säbelte nach kurzem Bedenken ein Stück des in der Vitrine liegenden Blätterteig-Gebäcks ab. Und reichte es mir über die Theke.
„Dein Laden ist eine Sünde“, radebrechtete ich unter Aufbietung all meines Spanisch-Wortschatzes. Sie grinste im Wissen einer Frau über hungrige Männermägen. „Probier das“, sagte sie trocken. „Eine Empanada, gefüllt mit geröstetem Jamon und lauwarmer Dattel.“ Ich schloß die Augen. Eine lauwarme Geschmacksexplosion von süß und salzig auf meiner Zunge. „Aber falls Du nichts Salziges magst, hab ich auch das hier.“ Sie deutete grinsend auf die Schnitten, zwischen deren knusprigen Blätterteig mich ein dicker Belag aus Nutella erwartungsvoll anblickte. Als hätte sie in meiner Aura gelesen, dass es eine meiner Kinder-Heimlichkeiten war, mich mit einem Löffel über das Nutella-Glas herzumachen, wenn ich einmal allein zuhause war.
Bildunterschrift hinzufügen
Doch das mit dem Nutella ist lange her. Geschmäcker ändern sich, doch Leidenschaften bleiben. Ich entschied mich für die warme Dattel. Und für eine Empanada Lauch und Roquefort – bloß um zu sehen, ob sowas eigentlich unmögliches zusammen funktionieren konnte. Und für noch etwas – um mich am Mittag zu überraschen. Mit einer Empanada in der einen und einem Espresso in der anderen verließ ich Anna’s Laden, nicht ohne mir zu versprechen, am Abend zu den Empanadas zurückzukehren.
Mein zweiter Weg in Cadiz führte mich wenige Minuten von Anna’s Bäckerei entfernt ins YACIMIENTO ARQUEOLOGICO GADIR. Der Bau sah aus wie ein modernes Theater, ich löste ein Ticket an der Kasse. Wie in einem alten Kino umfing mich gleich hinter dem Eingang das Halbdunkel des Raums, aus dem mich eine Platzanweiserin mit Taschenlampe über eine dunkle Rampe in die Tiefe führte. Und in die Vergangenheit führt. Denn plötzlich stand ich im Dunkel einer säulengetragenen Halle. Ich nahm die Sonnenbrille ab. Erkannte Einzelheiten. An der Wand lief im Hintergrund ein Film. Meeresrauschen, Möwengeschrei. Zwei kleine Inseln, kahl und unbewohnt. Und ein antikes Schiff, das in den Sund zwischen den beiden langgestreckten Inseln einlief. Die Halle hatte keinen Boden. Stattdessen führten Steg darüber hinweg. Und darunter erkannte ich lehmgelbe Grundmauern. Wege. Kreisrunde Lehmringe im Boden. Bruchsteinmauern. … Ich stand nicht nur im ältesten Teil von Cadiz, sondern in einer der ältesten Städte Westeuropas. Älter als Athen. Älter als London. Älter als Rom. Dem Teil, den Menschen vor fast 3.000 Jahren gegründet hatten. Ich stand in der Stadt der Phönizier, die unter dem heutigen Cadiz liegt. In Gadir.
––––––––––––––
Wie Cadiz, wurden viele Orte an der Südküste Spaniens und vor allem in Portugal nicht von eingewanderten Stämmen, sondern von Seefahrern gegründet. Von Reisenden, die in einem ganz anderen und weit entfernten Teil der frühantiken Welt zuhause waren. Es waren Händler aus dem Libanon, die die Küstenorte weit hinter dem Ende ihres Meeres, eben in Südspanien und Portugal, gegründet hatten. Seefahrer, die den 4.000 Kilometer langen Weg vom Ostende des Mittelmeers bis an die Küsten der Pyrennäen-Halbinsel nicht bloß einmal zurückgelegt hatten. Es ist eine der großen Fragen, was sie bewog, einfach ihre Heimatstädte Tyros, Byblos, Sidon auf ihren Schiffen zu verlassen und nach Westen zu Segeln. War es ein einzelner gewesen, ein König, der sie ausgesandt hatte? Um die Küsten nach noch mehr Rohstoffen abzusuchen – nach Kupfer und Zinn, denn beides im richtigen Verhältnis gemischt ergab Bronze? Nach den gedrehten Meeresschnecken, aus deren Saft man unter Lichteinwirkung den intensiv roten Farbstoff herstellen konnte, für den die Leute ein Vermögen auf den Tisch legten, um Kleider zu färben und Lippen zu bemalen? Nach Quarzsand zu finden, für die Produktion bunter Gläser? Um Gold zu suchen? Und Sklaven? Und Blei? Und Felle? Und Straußeneier, um sie den Toten als Symbol für ewiges Leben ins Grab zu legen. Und alles, was es sonst noch gab.
Sie waren Seefahrer. Und Händler. Händler sein, heißt: Etwas sammeln, wovon am einen Ort Überfluss herrscht. Es zu einem Ort bringen, wo daran Mangel herrscht. Vielleicht erklärt das die Unrast, die Neugier, mit der sie sich weiter und weiter nach Westen vorgewagt hatten, weiter als all die anderen frühen Seemächte des Mittelmeers.
Irgendwann um das Jahr 900 erreichte ein phönizisches Schiff auch jene Inseln, die eineinhalb Tagesreisen von jenem Ort lagen, an dem sich das weite Meer zu einem strömenden Gewässer verengte und den die Griechen „die Säulen des Herakles“ nannten. Immer weiter getrieben von der Suche nach Neuem, hatte ein Schiff die Inseln vor dem Festland angesteuert. Vielleicht hatten sie Sie hatten ihr Schiff den langen Sandstrand hinaufgezogen. Und weil die Insel sie an ihre Heimatsstadt im Libanon erinnerte, die auch alle Inseln waren, weil es Stämme in der Nähe gab, die gute Felle herstellen konnten und ihnen auch einen Silberklumpen gezeigt hatten, hatte die Hälfte der Mannschaft beschlossen, zu bleiben. Und an diesem Ort einen Handelsposten zu errichten.
Was sie taten, taten sie gründlich. Oben auf dem Gipfel der Insel bauten sie die ersten Häuser. Aber nicht irgendwelche, sondern exakt so, wie die Häuser in ihren Heimatstädten im Libanon aussahen. Zwischen den Häusern legten sie zur Bucht hinunter Straßen an. Aber nicht irgendwelche. Sondern auf eine Schüttung aus mittelgroßen Steinen folgte eine Schicht aus Lehm, den sie mit einem Holzstampfer festklopften. Von der Stelle aus, wo ich stehe, erkenne ich die Hufabdrücke von Rindern im Lehm der Straße.
Steinhäuser. Sie bauten Kuben aus Steinen, mit Lehm verschmiert. Wenige Fenster. Ein auf Balken ruhendes Dach, das einen große Terrasse bildete. Darunter ein großer Raum. Eine kleine Küche daneben. Leben fand hauptsächlich im Freien statt.
In der Küche eines jeden Hauses befand sich ein Lehmofen. Er war zu ebener Erde errichtet und hatte die Form eines Bienenstocks, nur größer. Die Menschen, die im achten Jahrhundert vor Christus dort kochten, taten das im Sitzen:
und über eine der beiden Öffnungen: Eine größere oben, durch die der Rauch abziehen konnte. Eine kleine nach vorne, durch die man Brennmaterial schob und drinnen entzündete, Stroh und Äste. War der Ofen innen heiß, schob man, was Garen sollte, zwischen die heißen Lehmwände. Ein Huhn. Ein Zicklein. Einen Hund.
Eine phönizische Küche in Gadir, vor 3.000 Jahren. Mit dem dort gefundenen Lehmofen, dem Tannur.
Um es dann mit allherhand feinen und scharfen Soßen und Tunken anzurichten. Alles konnte man in diesem Lehmofen garen. Den „Tannur“, den Archäologen auch bei Grabungen in Israel entdeckten, ist in manchen Gegenden Nordafrikas heute noch der Standardherd. Er ist schnell und einfach selbst gebaut, wie Archäologen zeigten.
Sie nutzten den Tannur hauptsächlich, um Brot zu backen. Getreide, das sie vor dem Ofen auf dem tellerförmigen Mahlstein zerrieben. Mit etwas Wasser vermengten. Mit Kräutern versetzten. Und ohne Hefe zu runden Fladen kneteten, die sie an die heißen Innenwände des Lehmofens klebten. Vielleicht waren die Fladen ja mit etwas gefüllt? Gehackte Kräuter? Einfacher Käse? Gesalzener Fisch, den sie in eine Art Joghurt mit Lauch tunkten? Vielleicht gab es ja schon so etwas ähnliches wie die Vielzahl der Empanadas, die mir Anna in ihrem Laden gezeigt hatte? So sehr wir das Gefühl haben, diese Welt läge uns so unendlich fern – so nah ist sie uns doch.
Ihre erste Siedlung bestand, für etwa 200 Jahre. Dann zerstörte etwas die Siedlung, eine Flut, die über den Hügelkamm stieg. Ein Erdbeben, das die Inseln erschütterte und die Häuser einstürzen ließ. Der Ort auf dem Hügel der Insel wurde von den Überlebenden und denen, die aus dem Osten mit Schiffen kamen, anscheinend schnell wieder aufgebaut. Denn der Kontakt mit der Heimatstadt im Osten: Der blieb vermutlich so intensiv und eng wie zu den anderen Städten in der Umgebung. Doch das: Ist eine andere Geschichte.
Es gibt mal wieder etwas Neues zu berichten!
Nachdem ich 2014 die Ostsee erkundet hatte, grübelte ich, in welche Reviere es denn nun als Nächstes gehen könnte. Leider waren meinen Ambitionen nun auch wieder Grenzen durch Urlaubstage gesetzt. Also machte ich mich auf den Weg in meine Heimatregion, die Nordsee, um dort das Deutsche Wattenmeer mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Obwohl diese Region von Kiel beispielsweise keine 100km Luftlinie entfernt ist, ist sie doch für viele Skipper mindestens genau so exotisch wie das Mittelmeer. Dabei beschäftigte mich vor allem ein Gedanke: Wenn Hunderttausende dort Landurlaub auf Sylt, in St. Peter oder auf Norderney machen, warum ist dann auf dem Wasser selbst im Hochsommer so leer? Reicht wirklich nur der Einfluss der Gezeiten dafür?
Während der Planung und der Reise stieß ich auf zahlreiche Vorurteile: „Bei den Gezeiten muss man jeden Tag um 04:00 aufstehen“ – „Beim Trockenfallen würde mir da der Kiel abbrechen!“ – „Im Wattenmeer sehen doch eh alle Inseln gleich aus“.
Einige meiner Erlebnisse konntet ihr hier ja schon nachlesen. Vorweg: Der Kiel ist drangeblieben, und ich habe eine traumhafte Segelreise in einem wahnsinnig abwechslungsreichen und schönen Segelrevier hinter mir. Klar ist ein wenig mehr Sogfalt als auf einem Törn von Kiel nach Marstal gefragt, und doch sollte sich jeder mal in diese weltweit einzigartige Gegend vorwagen.
Die Eindrücke und Lehren von diesem Törn habe ich wieder aufgeschrieben und zusamengestellt. So erscheint nun, wie bereits „Im Zweifel für den Segelsommer“ im Verlag Delius Klasing, am 16. Juli mein zweites Buch: Da geht noch Watt – Segeln an der Nordseeküste
Mit diesem Buch möchte ich euch die Faszination Segeln im Wattenmeer ein wenig näher bringen, im Plauderton ein paar Tipps und Hinweise mitgeben, und vielleicht auch ermutigen selbst mal dort vorbeizuschauen. Das Wattenmeer wird meiner Meinung nach in seiner Schönheit nämlich echt unter- und in seiner Bissigkeit überschätzt. Und auch die Nordseeerfahrenen unter euch könnten mit dem Buch ihren Spaß haben. Viele Geschichten und Bilder meiner Reise lassen vielleicht auch eure Erinnerungen wieder aufleben.
Die offizielle Buchbeschreibung liest sich so:
Die Nordsee ist eines der landschaftlich schönsten Urlaubsgebiete Deutschlands und lockt auch immer mehr Segler hinaus in ihre Fluten. Doch viele Skipper bleiben mit ihren Segelschiffen der Nordseeküste und ihrem malerischen Wattenmeer lieber fern. Zu groß ist der Respekt vor Ebbe und Flut, zu umständlich das genaue Timing für den Törn.
Dass sich ein Segelabenteuer auf der Nordsee durchaus lohnt, zeigt Ihnen Maximilian Leßner in Da geht noch Watt. Segeln an der Nordseeküste. Der passionierte Skipper segelte bereits allein über die Ostsee und spornte damit vor allem andere junge Segler und Amateure zum Nachmachen an. Jetzt nimmt er sich den Nationalpark Wattenmeer vor.
Abenteuer vor der deutschen Küste: Segeln auf der Nordsee
Maximilian Leßner zeigt dabei nicht nur in über 100 wunderschönen Fotografien, warum die Nordsee zu Recht als eines der schönsten Segelreviere Deutschlands gilt. Er schildert auch viele Segeltörns, die Sie selbst angehen können. In diesem Band finden Sie:
Segel-Mikroabenteuer vor Ihrer Haustür ohne lange Anreise
Törns für jeden Geschmack: Tagesausflüge, Wochenendreisen, mehrwöchige Sommertörns
den Mut zum Lossegeln, falls Sie noch zögern
Die Nordsee ist ein greifbares Traumziel in unmittelbarer Nähe zu den Heimathäfen der meisten deutschen Segler – kaum zu glauben, dass sie den meisten immer noch völlig unbekannt ist. Entdecken Sie eines der schönsten und abwechslungsreichsten Reviere der Welt und brechen Sie auf zu Ihrem eigenen Nordsee-Törn!
Bestellen könnt ihr das Buch ab dem 16.07 in jedem örtlichen Buchladen, z.B. Bei Amazon, beim Verlag Delius Klasing, und natürlich versandkostenfrei bei mir selbst per Email unter Kontakt. Vorbestellungen nehme ich ab jetzt entgegen Bitte unbedingt eure Adresse angeben. Auch eine Widmung und den originalen Bootsstempel gibts natürlich auf Wunsch gern dazu. Auch das bitte extra angeben.
Und wenn ihr Lust habt die Infos zum Buch zu teilen und zu verbreiten, freue ich mich natürlich ganz besonders!
Seit sechs Wochen bin ich nun für mein neues Buchprojekt
auf Levje unterwegs von Sizilien in die Bretagne – einmal um die Küste Westeuropas herum.
In Tarifa begegnen mir Flüchtlinge – zum ersten Mal auf dieser Reise.
Die Straße von Gibraltar hatte ich nun hinter mir und war mit dem letzten Licht in der südspanischen Hafestadt Tarifa angekommen. Nichts hatte ich gesehen von Afrika und seinem nördlichen Ufer, von Marokko. Nichts. Afrika war im Nebel verborgen geblieben. Während der Durchfahrt am Vortag ebenso wie an diesem Morgen. Nur die riesenhafte Schnellfähre nach Tanger, die an diesem Morgen in den Hafen glitt und Levje an der rauen Steinmole beben und springen ließ, dass ich um mein Schiff fürchtete, nur sie erinnerte daran, wie nahe ich am anderen Kontinent.
Am Morgen wachte ich auf vom Lärm eines Hubschraubers über dem Hafen und ungewohnten Geräuschen neben mir. Gestern Nacht war der Hafen noch leer gewesen. Jetzt: Polizeifahrzeuge der GUARDIA CIVIL. Polizisten am Ufer. Auf dem Wasser deren Schnellboote. Rotkreuz-Schlauchboote. Ein Seenotkreuzer. Und darauf: Flüchtlinge. Vorne vermutlich Maghrebiner aus dem nahen Marokko. Im Heck nur Schwarzafrikaner.
Vermutlich hatte man sie aufgegriffen in dieser nebligen Nacht, irgendwo draußen auf dem 16 bis 40 Kilometer breiten Meeresstreifen, der einfach nur eine Wasserstraße zu sein scheint. Und doch, wie ich am Vortag feststellen musste, ein so schwierig zu befahrendes Gewässer, selbst mit einem seetüchtigen Schiff wie Levje. Um wieviel schwieriger ist das dann mit dem kleinen grauen Schlauchboot, das hinten am Seenotkreuzer hängt und mit dem Flüchtlinge versuchten, übers Meer zu kommen?
Die meisten von ihnen sind junge Männer, ausnahmslos zwischen 20 und 30. Eigentlich sind dies die Menschen, die das Kapital eines Landes bilden. Die einen Staat tragen sollten. Dort leben. Dort arbeiten. Sich engagieren in ihrem Land. Ein Auskommen finden. Konsumieren. Steuern zahlen. Dafür sorgen, dass es in einem Land besser geht. Doch das funktioniert offensichtlich nicht in den Ländern, ist vermutlich eine der Ursachen für die Migrationsbewegung aus Nordafrikas nach Norden. Vielleicht kommt auch ein Quentchen Abenteuerlust hinzu: Die Lust, etwas Verbotenes zu tun, so wie vor Jahren Schüler als Mutprobe außen auf den Trittbrettern der S-Bahnen mitfuhren oder sonstwie lebensgefährlichen Quatsch machen. Die Motivation der Leute, die ich auf dem Boot sehe, ist nicht klar, während ich beobachte, wie sie zu zweit in Handschellen ans Ufer gebracht werden und ein Kameramann dies filmt.
Und auch echte Verzweiflung ist dabei. Plötzlich fasst sich einer der Illegalen auf dem Vordeck des Seenotkreuzers ein Herz. Er reißt sich los. Fasst den Poller, zieht sich hoch und springt auf die Hafenmole. Und rennt einfach los, als gäbe es keine GUARDIA CIVIL, keine Polizeifahrzeuge, keinen rundum vergitterten Hafen, keinen Hubschrauber. Seine Flucht ist nach wenigen Metern zu Ende. Polizisten packen ihn, er wehrt sich verzweifelt. Ziehen ihn zu Boden. Drehen ihn auf den Bauch. Als er sich weiter wehrt, drückt ihm ein Polizist die Unterschenkel überkreuz auf die Oberschenkel. Dann bleibt er still liegen, während ihm die Polizisten Handschellen anlegen.
„Sie haben keine Arbeit. Sind magisch angezogen von dem, was sie den lieben langen Tag von der westlichen Welt aus dem Fernsehen oder dem Internet mitbekommen“, sagt Felippe. Er ist einer der Journalisten am Ufer. Er fotografiert und schreibt für die großen Agenturen Spaniens. „Die meisten von ihnen wollen einfach auch ein cooles Auto fahren. Einen coolen Job haben. Aber wie der Weg dorthin ist, das ist ihnen nicht klar. Sie sehen einfach nur das Glitzern und Gleißen unserer Welt. Und nicht die Schwierigkeiten.“
Aber in Marokko scheinen sich die Dinge doch wirtschaftlich gut zu entwickeln? „Da täuschst Du Dich. Da gibt es eigentlich nur Arm und Reich. Und dazwischen nichts. Eine Mittelschicht fehlt. Die haben keine Chance, sich da rauszuarbeiten.“ Und wieviele kommen jeden Tag in Tarifa an. Felippe denkt nach. „Schwer zu sagen. Um die 100 pro Tag allein hier in Tarifa. Manchmal mehr. Manchmal weniger. Letztes Wochenende waren es 700, die nur hier in Tarifa ankamen. Wie es in den anderen Städten aussieht, in Cadiz oder Malaga? So ähnlich.“
Und die Bevölkerung Tarifas? „Weil es täglich passiert, haben sich die Einwohner Tarifas an all das gewöhnt. Gefallen tut es keinem. Es ist wie Sonne und Regen. Es gehört einfach zum täglichen Bild – so wie für mich auch. Wir können es nicht ändern.
Während mir Felippe das alles erzählt, kümmern sich die Rotkreuz-Mitarbeiter auf der Pier um die Flüchtlinge. Sie haben ein Zelt aufgebaut. Sie leisten medizinische Hilfe. Untersuchen auf Krankheiten. Eine rotblonde Spanierin in weißer Rotkreuz-Kleidung spricht mit einer Schwarzafrikanerin, die verstört auf einem Poller sitzt und vor sich hin starrt. Die Polizisten geben sich energisch, aber nicht gewaltbereit. In Handschellen werden die jungen Leute aneinanderkettet auf die Pier gebracht. Tägliche Routine.
„Die Marokkaner“, erzählt Felippe, „werden sofort zurückgebracht. Noch heute. Spanien hat mit Marokko ein entsprechendes Abkommen. Mit den Schwarzafrikanern ist das schwieriger. Oft existieren mit den Ländern, aus denen sie kommen, kein derartiges Abkommen.“
Was ich an diesem Morgen sehe, ist bedrückend. Ich bleibe ohnmächtig zurück. Ohnmächtig, weil ich die eigene Ohnmacht und vor allem die beschämende Ohnmacht der Politik gegenüber diesen historischen Phänomenen spüre. Haben die recht, die losziehen auf eigene Faust, um Menschenleben zu retten? Wer weiß, wieviele Flüchtlinge jede Nacht vor Tarifa ertrinken? Oder haben die recht, die in sozialen Foren alle Würde vergessen und sich nicht scheuen zu schreiben: „Lasst sie doch ersaufen.“
Entwicklungen, die größer waren als wir selber und scheinbar unlösbar, die gab es immer. Als ich geboren wurde, war die Welt von einem Atomkrieg nur noch Haaresbreite entfernt. Als ich aufwuchs, lebten wir in einem geteilten Land, und hüben wie drüben war als mögliches Schlachtfeld ausersehen. Es gab keine Lösung, wie beide Länder je wieder zusammenkommen könnten. Als ich Schüler war, detonierten IRA-Bomben im Hidepark. Es gab keine Lösung, wie man die beiden Konfessionen und Nationen der Iren und Engländer je an einen Tisch brächte. Die meisten dieser zeitgeschichtlichen Phänomene sind mittlerweile fast vergessen. Weil die Politik Lösungen entwickelte. Ich glaube nicht an das Funktionieren einer Mauer, ob sie aus Gesetzen, Stacheldraht oder Beton besteht. Ich glaube, dass es viele, viele Maßnahmen braucht. Dass es eines ungewöhnlichen Querdenkers in der Politik bedürfte, eines Charismatikers, der die festgefahrene Situation durch eine neue intensive Ostpolitik Zentimeter für Zentimeter über eineinhalb Jahrzehnte auflöst. Die Probleme werden an unseren Grenzen im Mittelmeer sichtbar. Gelöst werden müssen sie dort, wo sie entstehen. Ich wünsche mir einen Querdenker in der europäischen Außenpolitik, der die Dinge nicht mit Quoten, nicht mit Mauern, nicht mit „Kommt doch alle zu uns“ angeht. Vielleicht werde ich es noch erleben. Doch ganz sicher wird diese Lösung kommen. Es wird nur Zeit kosten.
Seit sechs Wochen bin ich nun für mein neues Buchprojekt
auf Levje unterwegs von Sizilien in die Bretagne – einmal um die Küste Westeuropas herum.
Die Hälfte meiner Strecke markiert die Straße von Gibraltar – doch ich ahnte vorher nicht, was für ein merkwürdiger Ort die Meerenge ist.
Es ist nicht der Segler oder sein Boot, der bestimmt, was geschieht: Das Wetter und das Meer geben den Takt vor. Dies wissen und danach handeln sind zwei paar Stiefel. Eigentlich weiß ich das. Und doch ist es eine Lektion, die ich immer wieder neu lernen muss.
Mein Plan, die Strecke von 2.000 sm von Sizilien in die Bretagne zu segeln, war einfach gestrickt:
Sizilien-Balearen: 500 sm – bis Ende Mai
Balearen – Gibraltar: 500 sm – bis Ende Juni
Gibraltar – Nordwestspanien: 500 sm – bis Ende Juli
Nordspanien – Bretagne: 500sm – bis Ende August
Segeln braucht Zeit. Doch manchmal auch Eile, selbst wenn Segeln nichts für Hastige ist. Seit zwei Wochen war konstant Ostwind durch die Straße von Gibraltar geweht. Das hätte gereicht, um Levje gegen die vom Atlantik setzende Dauerströmung durch Meerenge nach Westen zu schieben. Doch am vergangenen Sonntag Abend um 23 Uhr sollte der Wind drehen: Auf zwei Wochen Ostwind sollte eine Woche Westwind folgen. Entweder rutsche ich da an diesem Sonntag noch durch. Oder – wenn der Westwind stärker ausfallen würde, was in der engen Düse niemals auszuschließen war – säße ich mindestens 8 Tage am Eingang der Straße fest, um auf bessere Zeiten zu warten.
Von Fuengirola hinter Malaga, wo ich das Schiff der Columbus im letzten Post beschrieben hatte, kam ich am Sonntag später los, als ich wollte.
14.30 Uhr
Ich bereite mich auf die Passage vor. Und putze erstmal ausgiebig Levjes Sprayhood-Scheiben. Wenn alles gutgeht, werden wir den Felsen von Gibraltar gegen 19 Uhr passieren. Ich plane, mit dem letzten Hauch des Ostwinds in die Straße hineinzufahren. Und dann bis Mitternacht am Ausgang der Straße vor der Insel Tarifa zu sein. Eine Nachtfahrt also. Und wenn ich schon nachts durch „eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt“ stolpere, dann will ich das wenigstens mit sauberen Scheiben tun. „Freier Blick bis zum Mittelmeer“.
Dann nehme ich mir das Internet vor. Die Informationen über die Meerenge für Segler sind ausgesprochen rar, schreibt eine Website. Doch soviel wird klar: Die Meerenge wartet mit mindestens einer Handvoll Überraschungen und Merkwürdigkeiten auf.
Strömung: Weil das Niveau des Mittelmeeres 1,40 Meter niedriger ist als das des Atlantik, setzt eine mächtige Strömung von West nach Ost. Pro Tag laufen hier 1 Million Kubikmeter Meerwasser von links nach rechts. Und sorgen in der Straße für 3-4 Knoten Strömung.
Tide: Seit Venedig hatte ich keinen Tidenkalender mehr studiert. Hier tue ich es. Es sind zwar nur 70 Zentimeter Tidenhub für den Abend angesagt. Aber die müssen wir nicht auch noch gegen uns haben. Haben wir aber. Niedrigwasser Gibraltar 18.39 Uhr
Wind: In der genau West-östlich verlaufenden Meerenge gibt es entweder Westwind. Oder Ostwind. Und gewechselt wird nicht täglich, sondern eher im Wochentakt.
Zudem: Weil Berge und nicht flache Küsten die Meerenge beidseits einrahmen, können aus 4 bft schnell 6 bft. werden.
Gegen die Strömung? Gegen die Tide? Und dann noch gegen den Wind? Das geht gar nicht.
Wetter: Weil kältere Luftströme aus dem Atlantik beständig auf feuchtwarme Mittelmeer-Luft trifft, kann sich selbst im Sommer hier Nebel bilden. Also nur mit Radar da rein.
Flüchtlinge: An der engsten Stelle ist die Straße von Gibraltar am Westende nur 16 km breit. Vor allem bei unsichtigem Wetter sind hier viele Flüchtlingsboote unterwegs. Aber das sollte ich erst am nächsten Morgen hautnah erleben.
Vorschriften: Es besteht Hörpflicht auf VHF Kanal 10 für Gibraltar und Tarifa Traffic Control. Und wegen der Flüchtlingsboote wird im Kanal gern kontrolliert. Sicher nicht lustig, nachts per starkem Scheinwerfer angehalten zu werden.
Das ist für einen lauen Sonntag Nachmittag nicht erhebend. Ich denke an den Kinofilm DAS BOOT, in dem der Kaleu seinen Männern Mut macht, die schwerbewachte Straße von Gibraltar auf einem U-Boot zu durchbrechen. „Nur Mut Männer. Könnte klappen: So nah wie möglich ranfahren. Und dann einfach durchsacken und von der Strömung durchziehen lassen.“
Ich glaub’, so mach ichs auch! Einfach durchsacken und durchziehen lassen. Wenn Strom und Tide nicht gegen uns wären.
16 Uhr
Noch 22 Seemeilen. Im Dunst am Horizont taucht ein großes Bergmassiv auf. Das muss er sein. Gibraltar. Der Felsen. Das Ende des Mittelmeers.
17.30 Uhr
Noch 15 Seemeilen bis Gibraltar. Der Wind scheint plötzlich mit jedem Meter zuzulegen. Er weht nun in Böen bis 15 Knoten aus der Öffnung, obwohl das eigentlich erst ab 23 Uhr der Fall sein sollte? Ich sehe mir noch einmal den Wetterbericht an – zum xten Mal an diesem Nachmittag. Als ob das was ändern würde. Der Wind kommt fächerförmig aus der Meerenge auf uns zu – Basta. Ich starte den Motor, belege das Groß mittschiffs – das bringt Stabilität. Und einen halben Knoten Fahrt zusätzlich.
Der Felsen von Gibraltar von der Westseite.
19.45 Uhr
Kurz vorher schlief der Wind ein. Wir erreichen den Felsen von Gibraltar. Und robben uns zwischen den Ankerliegern noch näher an das Leuchtfeuer mit der dahinter errichteten Ibrahim-al-Ibrahim-Moschee. Was für ein Klotz von Moschee – fast wie die Hagia Sophia. Die Sonne scheint. Es ist immer noch warm. Ich bin aufgeregt. Und halte weiter Kurs geradewegs auf die Meerenge.
… und Europa-Point einlaufend von Osten.
Als der Felsen hinter uns liegt, herrscht ziemlicher Verkehr. Frachter, Fähren, Freizeitfischer: Es ist ja nicht nur Gibraltar, was den Verkehr anzieht. Sondern gleich westlich davon auch das spanische Hafen-Drehkreuz Algeciras. Containerkräne links. Containerkräne rechts. Ankerlieger kreuz und quer. Einlaufende, auslaufende Großschiffahrt. Ich muss ständig Ausweichmanöver fahren. Und dann der Schwell, der aus allen Richtungen kommt und Levje von einer Seite auf die andere purzeln lässt.
Oder hat den Schwell gar nicht der Verkehr verursacht?
Zwanzig Minuten später haben wir die Bucht von Gibraltar fast hinter uns. Noch einmal ausweichen, weil die große Katamaranfähre von Algeciras nach Tanger angeschossen kommt – dann ists gut. Jetzt haben wir uns ein bisschen Frieden verdient.
Noch immer Windstille. Levjes Baum klappert und schlägt im heftigen Schwell. Ich sehe zweihundert Meter weiter, wie das Wasser aufgewühlt ist. Sieht merkwürdig aus. Doch es sind nicht nur „Zipfelmützen“, Verwirbelungen durch Strömung, die man an den hüpfenden Wellen erkennt. Hier weht Wind. Und zwar nicht zu knapp! Ich habe immer noch Vollzeug stehen. Levje legt sich sofort über, als die erste Böe uns erwischt. Natürlich Wind genau aus West – nix Ost. Nix 23 Uhr – „this is real“! 14 Knoten zeigt der Windmesser, dann 16. Und genau aus der Richtung, in die unser Kurs am Rand des Verkehrstrennungsgebietes führen soll.
Plötzlich ist es fühlbar kälter. Die Sonne, eben noch leuchtend hoch über den Bergen im Norden, ist hinter einer Nebenbank verschwunden. Meine Hände sind kalt. Meine Welt wird grau, als hätte sich ein rieisiger Schatten über sie gelegt. Mir ist kalt. Von Osten, gegen den Wind, beginnen plötzlich Wellen zu laufen, als wollten sie mich weiter in die Öffnung schieben. Wieso von Hinten? Da war doch eben noch Windstille?
Ein merkwürdiger Ort.
Ich überlege einen Moment, was ich tun soll. Genau gegenan? Laufen wir unter Motor nur noch 3,5 Knoten über Grund – nichts. Und das mit wild schlagendem Großsegel, wir stehen ja im Wind. Als ich abfalle und das Großsegel mittschiffs eng belege, füllt es sich. Es geht etwas schneller. 4 Knoten. Doch die Böen von vorn werden heftiger. Hilft nichts. Eine Weile können wir den Kurs halten. Doch da vorn kommt eine Untiefe. Ich lasse Levje unter Autopilot weiterlaufen und hole mir blitzschnell einen Pullover von unten.
An Deck alles unverändert. Alles grau. Wir machen kaum Fahrt. Klamme Nebelluft, wo eben noch sonneniger Abend war. Da: Die Untiefentonne. Wenn ich jetzt nicht wende, laufen wir weiter drauf zu. Also los. Alles klappt. Wieder hole ich das Groß ganz eng ran. Wir halten jetzt rechts auf die Klippen zu. Aber was ist das? Wir haben unverändert 16 Knoten Gegenwind. Doch Levje läuft auf diesem Kurs plötzlich 7 Knoten, dann zeitweise über 8. Hat die Riesenkrake, die bis vor der Wende unter Levje hing und sie bremste, es sich anders überlegt? Nicht nur die Landschaft, nicht nur das Wetter: Der Abend erscheint mir gruselig. Ich denke daran, wie es für die ersten war, die hier entlang segelten: Griechen. Phönizier. Wer immer sie waren: Was sie wohl gedacht haben mögen? Endet bei den Säulen des Herakles die Welt? Beginnt hier die Anderwelt? Kommt hier bald der große Wasserfall, über den das Meer hinabstürzt? Es dauerte vermutlich Jahrhunderte, bis die ersten es schafften, um herauszufinden: Was kommt danach? Oder sind das nur meine Gedanken, allein hier draußen, während die Sonne im Nebel bleifarben hinter den Bergen untergeht?
Das dumpfe Tuten eines Großschiffes aus dem Dunst holt mich zurück in die Gegenwart. Meint der mich? Sind wir auf Kollisionskurs?? Nein, da hupt nur ein großes Containerschiff einen langsam kriechenden Stückgutfahrer im Verkehrstrennungsgebiet. Wir laufen jedenfalls auf diesem Kurs fast mit doppelter Fahrt. Irgendeine Strömung muss hier vor den Klippen sein, die wie das Kehrwasser eines Wildbachs plötzlich genau in der anderen Richtung läuft. Ich bin froh, denn meine geschätzte Ankunftszeit ist plötzlich kurz vor 22 Uhr. Ankommen gerade noch im Hellen.
Wir sind nun den Klippen recht nah. Der Wind ist unverändert. Ich denke an die nächste Wende. Gottseidank scheinen wir die schlimmste Strömung jetzt hinter uns zu haben. Doch kaum gewendet, kriechen wir wieder mit 3,5 Knoten dahin, obwohl die Logge über 6,5 Knoten Fahrt durchs Wasser anzeigt. Was ist das bloß? Hat sich die launische Riesenkrake unter dem Schiff wieder festgesaugt? Ankunftszeit ist plötzlich weit nach Mitternacht. Das kann ja heiter werden, hier bei Dunkelheit in klammer Kälte entlangzukrauchen.
Die Instrumente belegen es: Hoch am Wind 17,8 kn. Und gegen den Strom nah am Nordufer der Straße von Gibraltar mit 6,5 kn Speed über Grund.
Eine Böe kommt jetzt mit über 17 Knoten an. Der Westwind nimmt also weiter zu. Was war das bloß, dass wir vorhin auf dem anderen Bug so schnell waren? Ich habe keine Erklärung. Aber einen Geistesblitz: Wenns einmal funktioniert hat, funktionierts ein zweites Mal!“ Los. Wenden. Zuerst nichts. Doch einige Minuten später nimmt Levje wieder Fahrt auf. Erst 4, dann 5, dann plötzlich über 7 Knoten und in Spitzen über 8. Es ist eine rasende Fahrt, die achterliche Welle schiebt uns merklich. Und alles bei 14, 16 Knoten Wind von vorn. Anscheinend habe ich für meinen neuen Kurs wieder ein Kehrwasser erwischt. Tatsächlich: Ich habe Kurs gelegt auf die Ensenada Tolmo, auf die Klippen zu. Eine gut gesonnene Strömung schiebt uns schnell voran.
Das Spiel wiederholt sich. Kaum haben wir vor den Klippen die nächste Wende hinter uns, kriechen wir wieder mit 4,5 Knoten dahin. Noch einmal probiere ich mein Glück. Wende. Und wieder funktioniert es. Wir liegen von 17 Knoten Gegenwind voll auf der Backe, aber schießen mit 6, 7, kurzzeitig 8 Knoten über Grund dahin.
Meine Hände sind kalt, von der feuchten Kälte, die hier herrscht. Ich spurte ein zweites Mal nach unten, um mir meine Wollmütze zu holen. Und noch einen Pullover. Und die Segeljacke. Und kalte Füße hab ich auch. Verrückt. Heute Mittag bin ich in der größten Hitze losgefahren, um klimatisch am Abend einen Herbstsegler hinzulegen.
Kaum ist die nebelverhangene Sonne hinter den grün bemosten Bergrücken im Norden verschwunden, taucht vor uns im Dunst die Insel Tarifa auf. Noch eine Stunde.
Zwei weitere Male funktioniert mein Strom/Gegenstrom-Spiel: Als es dunkel zu werden beginnt, habe ich den Hafen von Tarifa erreicht und berge Levjes Groß an der langen Hafenmauer, an deren Spitze ein segnender Jesus wie ein grimmiger Wächter aus Isengart von der Mauer aus dem milchigen Weiß heruntergrüßt. Ich laufe langsam in den Hafen von Tarifa ein, er ist vor allem Fähr- und Fischereihafen. Für Segler bietet er so gut wie nichts. Keinen Steg. Kein Infos.
Ein französisches Segelboot schaukelt einsam an der mannshohen Kaimauer. Ich lege mich in der anbrechenden Dunkelheit davor, kaum weiß ich, wie ich die mannshohe Kaimauer erklettern soll, um alle Festmacher und Springs anzubringen und Levje zu sichern. Während ich noch überlege, wie ich mein Boot hier am besten sichere, hält ein Polizeiwagen oben an der Kaimauer über mir. Ich rechne mit einem harschen Ton, und einem wieder rausgeschickt werden Und während ich in magerem Spanisch noch erkläre, woher ich komme, was ich hier tue, grinsen die beiden Polizisten über mein Radebrechen. Und nehmen meine Leinen an. Im Nu ist oben über mir alles fest. Levje schaukelt im Schwell. Und ich schlafe ein den Kopf voll mit der unmöglichen Geschichte, die ich heute erlebte.
Seit sechs Wochen bin ich nun für mein neues Buchprojekt
auf Levje unterwegs von Sizilien in die Bretagne – einmal um die Küste Westeuropas herum.
Im Hafen des südspanischen Fuengirola stoße ich auf ein bemerkenswertes Schiff, das Geschichte schrieb. Und eine Reise, die die Welt veränderte.
Und plötzlich liegt sie da. Herausgefallen aus der Zeit, als wäre sie eben aus einer alten Handschrift in den Hafen im südspanischen Fuengirola gepurzelt. Ein fremder Körper, so ungewohnt und ungelenk sind ihre Proportionen. Das überhohe, steil steigende Vordeck. Das Achterdeck, das sich über die Welt hinausreckt. So ungewohnt ist der Anblick der Konstruktion, dass der Betrachter sich sorgt, der nächste Windhauch könne sie einfach im Hafen umkippen und mit gewaltigem Platscher kentern lassen. So etwas kam gelegentlich vor – und nicht bloß einmal. Noch 150 Jahre nach dem Schiff, das da vor mir liegt, sank die WASA auf diese Art vor Stockholm, nach nur einer dreiviertel Meile Jungfernfahrt im ersten Windhauch der Ostsee. Und riss knapp 50 Matrosen mit sich in die Tiefe.
Doch das Schiff vor mir liegt stabil an der Pier. Als ich näherkomme, treffe ich auf wuchtige Hardware in Holz. Kein filigranes Schiff, eher ein Rammbock. Der massive Steven hat den Durchmesser eines Autoreifens, ein Baum, der diesen Durchmesser für Steven und Kiel liefert, der musste lange gesucht und dann weiß Gott wie herangeschafft, herangeschleift werden.
Sie sieht aus, als könne nichts sie zertrümmern. Und nichts ihr etwas anhaben in ihrer hölzernen Wucht. Der Balken, auf dem der geschmiedete Eisenanker aufliegt. Das sich nach außen wölbende Vorschiff. Die Dicke der Seitenwände. Der Bau schwerer Fahrtenschiffe um 1492 herum war vermutlich von anderen Überlegungen geprägt als mit den vorhandenen Ressourcen sparsam umzugehen. Vielleicht war sie in ihrer massigen Art auch ein Einzelstück. Die Welt des ausgehenden Mittelalters, sie war eine Welt der Einzelstücke, der Unikate. Die Welt der Massenprodukte, die unseren Blick jeden Tag vom ersten Zähneputzen bis zum letzten Flimmern aus Netflix bestimmt, die Welt der massenhaft hergestellten uniformen immergleichen Dinge, aus denen unser Leben zu einem großen Teil besteht: Diese Welt war noch nicht einmal gedacht, geschweige denn erfunden.
Der historische Nachbau von Columbus Flaggschiff SANTA MARIA ist das Projekt einer Gruppe aus dem spanischen Huelva, die sich das Ziel setzte, einen möglichst akkuraten Nachbau des Schiffes anzufertigen, auf dem Columbus einst aus Huelva ablegte. Und meinte gen Indien zu segeln und dabei in Amerika ankam – ein Irrtum, den er Zeit seines Lebens wohl nie bemerkte. Oder nicht bemerken mochte. Diesem Irrtum verdanken wir vieles: So schöne Worte wie „Indianer“ oder „Barbecue“oder „Hurrican“. Und manch andere Dinge und Zeitgenossen, mit denen Amerika uns bis in diese Tage erfreut.
Die Zahlen des historischen Nachbaus sind schnell genannt: Sie wiegt 200 Tonnen. 45 Kubikmeter westafrikanisches Iroko Holz waren nötig, um ihren Rumpf zu bauen. Sie trägt 300 Quadratmeter Segel, die über 3 Kilometer Tauwerk gehievt, gezerrt, geborgen werden. Das einfache Ruder allein beeindruckt wie der Rumpf durch die massive Bauart. Segeln zum Ende des Mittelalters und hinaus auf den Atlantik: Das war Hardware.
Auch ihre Bauweise beeindruckt: Keine Schrauben. Kein hochfester Kleber. Sondern ein Kunstwerk aus aufeinander gefugten Planken. Man fixierte sie in Zimmermannsart mit dicken und dünnen Holzdübeln auf das Spanntengerüst. Und gab der Konstruktion allein dadurch die gewünschte Steifigkeit. Der Geruch im Schiff nach Holz, das Knarrzen der Verbindungen, wenn unter dem schweren Holzkoloss eine achterliche Welle durchläuft: Man hört es nur beim bloßen Betrachten.
Columbus war gebürtiger Genuese, nach heutigen Maßstäben also Italiener, aber das war ebensowenig erfunden wie Motor, Schotwinsch oder Bugstrahlruder. Das Rigg ist einfach: Um segeln zu können, brauchte die SANTA MARIA immer Wind von hinten. Jedenfalls aus achterlichen Richtungen. J mehr er seitlich kam oder gar von vorn, war sie hilflos wie ein alter Waschzuber aus Eiche, der hilflos mit den Wellen dümpelt. Kursänderungen waren also nur vor dem Wind möglich.
Columbus hatte sie sich nicht bauen lassen und auch nicht ausgesucht. Ein Finanzier seines Unternehmens hatte sie mitgebracht. LA GALLEGA hieß sie, die Galizierin, was seriöse Historiker zu dem Schluß verführt, sie sei möglicherweise in Galizien gebaut. Es könnte jedoch ebenso gut der allzu enge Kontakt eines Seemanns mit einer korpulenten Galizierin gewesen sein, der dem wuchtigen Schiff zu seinem Namen und ihr zu einem unehelichen Kind verhalf. Der Schalk, der war sehr wohl ein Kind des Mittelalters.
Für sein Unternehmen, die geplante Fahrt nach Indien, hatte Columbus drei Schiffe zur Verfügung. Das Größte, eben La Gallega, hatte er sich als Flaggschiff ausgesucht. Keine 30 Meter maß sie, mit 8 Meter Breite und 3,50 Meter Tiefgang. Wären da nicht die überhohen Aufbauten und ihr enormes Gewicht: Sie schiene mit ihren Maßen tatsächlich den Tendenzen im modernen Charterschiffbau (über 60 Fuß Länge) näher als heutigen Forschungsschiffen. Und um sich des Schutzes des Himmels und des Wohlwollens der Priester für sein Unternehmen zu versichern, verzichtete er auf den profanen Namen einer allzu irdischen Frau zugunsten der einen Überirdischen: Er taufte das Schiff auf den Namen SANTA MARIA. Für den Fall, dass der Schutz des Himmels nicht ausreichte, führte das Schiff vier Kanonen mit sich. Gebete waren gut. Pulver war besser.
Als Columbus Anfang August 1492 aus dem westlichsten spanischen Hafen Huelva Richtung Kanaren aufbrach, waren knapp 40 Mann Besatzung notwendig, um die SANTA MARIA vom Fleck zu bewegen. Allein die schwere Pinne scheint mehrere Mann zur Bedienung benötigt zu haben. Wie sie segelte, wissen wir nicht. Und wie sie sich in der Welle verhielt, schon gleich gar nicht. Zu vermuten ist, dass sie mit den hohen Aufbauten bei Welle sehr zum Geigen neigte und vor allem in den oberen Stockwerken des Vor- und Achterkastells ungewöhnlich stark schwankte. Columbus selbst war offensichtlich über die Schwerfälligkeit seines dicken Flaggschiffes nicht glücklich, er äußert sich in seinen Logbüchern entsprechend. Für Forschungsreisen sei sie nicht geeignet, vertraut er nach zwei Monaten seinem Logbuch an. Von den Kanaren weg, kam die Santa Maria mit dem Passat jedoch flott voran. Und schneller als erwartet. Doch nach vier Wochen ununterbrochen auf See wich die Stimmung der Verzweiflung – denn ununterbrochen vier Wochen auf See: Das war noch keiner der Seeleute gewesen. Die Stimmung war gefährlich nahe an Meuterei, wenn man nicht sogleich umkehrte. Doch Columbus, der die große Kajüte des Achterkastells bewohnte und von dort aus abgeschirmt regierte, kannte sich im Umgang mit kleinmütigen Mitarbeitern offensichtlich aus. Er handelte sich immer wieder einen Zeitaufschub heraus. Und bewegte sich Meile für Meile auf sein Ziel Indien zu.
Nach der ersten Oktoberwoche war die Stimmung in der Mannschaft am kritischen Punkt. Wären da nicht zufällig ein paar frische Zweige und ein bearbeiteter Holzstab am Schiff vorbeigetrieben, die der Mannschaft neuen Mut gaben: Wer weiß, wie alles geendet hätte. Wenige Tage später sichtete ein Matrose vom Bug des kleineren Begleitschiffes Pinta aus Land. Guanahani nannten die Eingeborenen ihre Insel. San Salvador taufte sie Columbus.
Und die Santa Maria? Zweieinhalb Monate später, ausgerechnet in der Weihnachtsnacht, steuerte Columbus, ihr Kapitän sie vor Hispaniola, dem heutigen Haiti und Dom Rep, auf eine Sandbank. Wir wissen nicht, ob er es war oder ein unaufmerksamer Seemann die Schuld trägt: Es war eine handfeste Grundberührung. Sie konnte sich nicht mehr freiwarpen. Columbus ließ den Großteil seiner Männer, etwa 35, mangels Transportmöglichkeit auf der Insel zurück.
Ob die 35 gerne die Insel gegen das schwankende Schiff eintauschten? Schließlich waren sie nicht allein. Indios lebten in unmittelbarer Nachbarschaft. Man konnte Handeln. Und würde nicht verhungern. Um ihnen Hoffnung zu geben, ließ er sie aus den Trümmern der Santa Maria eine erste spanische Siedlung in der neuen Welt mit dem Namen La Navidad errichten.
Als Columbus ein Jahr später die Niederlassung auf seiner zweiten Reise erreichte, war die Siedlung zerstört. Er fand ihre Besatzung tot. Berichte überliefern, die Indios hätten die Siedlung und alles Leben darin ausgelöscht; wobei nicht klar ist, ob die grausame Aktion nicht durch vorherige Übergriffe der Spanier auf die Indios ausgelöst worden war.
Bleibt noch zu erwähnen, dass man 2014 vor Haiti eine aufregende Entdeckung machte: Die Reste des Wracks der SANTA MARIA. Ob sie das wirklich war? Das: Ist nun wirklich eine andere Geschichte.
Seit sechs Wochen bin ich nun für mein neues Buchprojekt
auf Levje unterwegs von Sizilien in die Bretagne – einmal um die Küste Westeuropas herum. Sechs Wochen auf dem Meer – da sollte ich eigentlich Wasser genug gesehen haben. Aber ausgerechnet am Land, in einer Stadt umgeben von schneebedeckten Bergen, holt mich die Faszination fürs Wasser wieder ein.
Natürlich könne ich mein Boot bei ihm in der Marina lassen, um nach Granada zu fahren, sagt Samuele, der Marinero im Hafen von Motril. Samuele ist Mitte 30. Ein junger Papa, der Verantwortung für eine Familie übernommen hat und hier im Hafen von Motril für die Marineros. Und die 250 Schiffe der Clubmitglieder, die hier liegen. Puerto de Motril: Wieder so ein netter Hafen, und wenn ich ihn nicht vergessen werde, dann liegt das sicher an Leuten wie Samuele oder Juan, dem Wirt des Ballena Azul. Als ich am Abend den langen Strand entlangwandere, entdecke ich sein Restaurant dahinter. Es ist Fußball-Weltmeisterschaft. Der „Blaue Wal“ ist wie leergefegt. Juan ist so alt wie Samuele, er spricht gebrochen englisch, als ich ihn frage, antwortet er schüchtern, doch auf achtsame Art. „In Pueto Motril? Ist es nur voll im Juli und August.“ Während er den Salat bringt, frage ich ihn, warum niemand außer mir am Strand oder im Restaurant. „ Die meisten, die hier in Puerto Motril Wohnungen besitzen, leben eigentlich in der nahegelegenen Stadt Motril. Nur fünf Minuten Autofahrt von hier. Sie leben 10 Monate in der Stadt. Sie könnten auch hier leben. Doch jetzt, am Samstag, da ist das Fest von San Juan. Da kommen die Leute von Motril und ziehen für Juli und August ans Meer. Dann habe ich keinen Tisch mehr frei um diese Zeit.“ Ob er und die Familie denn von den zwei guten Monaten im Ballena Azul leben könne? Juan: „Das ist hart, der Juli und der August. Meine Frau und ich stehen jeden Tag ab sechs in der Küche. Und wir gehen zwei Monate lang nicht vor eins ins Bett. Aber ab Ende August, da ist es dann wieder so wie jetzt in Motril. Still und verlassen.“
Wo mir in Samuele und Juan das neue Spanien begegnet, erlebe ich mit der Busreise ins eine Stunde entfernte Granada das alte Spanien, wie ich es 1983 war. Der Bus kommt. Doch wann und wo: Das sagt er nicht. Jedenfalls nicht, wie es der Fahrplan verheißt. Es war und ist eine Art Geheimwissenschaft, wo und wie in Spanien auf dem Land der Nahverkehr funktioniert, niedergeschrieben nicht mit geheimer Tinte, sondern von Busfahrern, die sich an der kreativen Neuauslegung des Fahrplans jeden Tag ergötzen. Nach einer halben Stunde wächst in mir die Ungeduld, und in mir begegnet mir das alte Deutschland: Ich werde knurrig. Das muss doch funktionieren. Als der dritte Bus an meiner Bushaltestelle vorüberfährt, nehme ich ein Taxi, das mich in die nächste Kleinstadt zum Bus nach Granada bringt, den ich gerade noch eben mit hängender Zunge erreiche.
Über Granada zu schreiben ist müssig. Es könnte allein ein Buch werden. Und wäre der Satz nicht so abgedroschen, würde ich schreiben: Über Granada liegt ein Zauber. Eine Stadt hoch in den Bergen, wo man keines von beiden vermutet. Klare, kühle Bergluft zieht die Hänge herunter statt der feuchtwarmen Schwüle am Meer. Ein Bachlauf unter Feigenbäumen inmitten der Altstadt, ich folge dem gewundenen Lauf an seinem Ufer über das steile Kopfsteinpflaster, bis ich unterhalb der Alhambra stehe. Und rechts einem kopfsteingepflastertem Steig nach oben folge. Die Alhambra und der danebenliegende Palast des Generalife sind eigentlich keine Festung. Sondern mehrere. Nicht ein Herrschersitz, sondern mehrere Paläste aus den unterschiedlichsten Zeiten. Und nicht der kleinste von ihnen, wurde errichtet für jenen Mann, der sich als Herrscher auch die Burg in Nürnberg umbauen ließ und sich in seinem dortigen Festsaal an die Decke schreiben ließ: „Über meinem Reich geht niemals die Sonne unter.“ Denn das Reich, dessen Last dieser Mann auf seinen Schultern trug, es reichte von Prag über Deutschland, Österreich, Norditalien, Holland bis Südamerika. Europa suchte und versuchte seine Einheit wieder und wieder – und in vielerlei Formen. Doch Karl. V., musste zusehen, wie die mühsam errungene Einheit zerbrach: Die konfessionelle Einheit. Und die territoriale. Karl V. zerbrach darüber. Müde des Regierens dankte er ab. Zog sich nach Spanien zurück ins Kloster von San Juste. Und reparierte Uhren dort bis an sein Lebensende, als wollte er wenigstens im Kleinen zum Funktionieren bringen, was ihm im Großen versagt geblieben war.
Ich lasse den Palast Karls rechts liegen. Und streife links, einer Laune folgend, in die Gärten des Generalife. Ich hadere gelegentlich mit mir, weil ich mich so gut wie nie vorbereite. Auf meinen Segeltörn um Europa nicht. Und auf meine Reisen im Kleinen wie heute in den Palast des Generalife nicht. Doch diesem Unvorbereitetsein wohnt der Zauber des Anfangs und des Staunens inne. Ich weiß nichts über die Gärten des Generalife, als ich durch das üppige Grün stolpere, weiß nur, dass es Mauren waren, die Paläste und Gärten errichteten. Ich wandere durch Rosengärten, an langen Hecken entlang, wundere mich, ob ich noch in Spanien bin, weil dies hier etwas ist, was weit über unsere Vorstellung hinausgeht. Ein
Palast, den Mauren errichteten, und der in seiner Schönheit nicht von Oberflächen, sondern von Proportionen lebt. Als ich ihn am Nachmittag mehrmals in weitem Bogen und unten im Tal umwandere und ihn von vielen Seiten sehe, bin ich immer wieder erstaunt: Mit seiner Strenge, seiner Schönheit steht er japanischen Vorbildern in nichts nach. Doch es waren Mauren im 13. Jahrhundert, die ihn und die umliegenden Gärten so anlegten. Schon einmal,
Anfang 20, war ich fasziniert von der Kultur der Mauren, dem gelehrten Islam, der sich in diesen Bauten zeigt und dem die Bilder verwehrt sind. Aus dieser Begeisterung heraus reiste ich nach Marokko, wo mich die Begegnung mit dem damaligen Fremdenhass schnell die Flucht ergreifen ließ.
Was mich in den Gärten immer wieder anzieht, ist das vielfache Spiel mit – Wasser. Wasser, das in Spanien so kostbar ist. Wasser, das auch den Kalifen als etwas kostbares, als Luxus galt, ettliche Jahrhunderte, bevor Absolutismus und Rokoko Wasser in seinen Gärten für die Repräsentation kunstvoll zu nutzen wusste.
In den Gärten des Generalife, ausgerechnet oben auf dem Gipfel, wo der Palast steht, sprudelt und spielt es an unzähligen Stellen. Als kleine springende Wasserbögen. Als gurgelnder Bachlauf, der in ein Treppengeländer im Garten eingebaut ist.
Als winziger Springbrunnen im Garten unter dem Baum mit den riesigen Magnolienblüten. Als gurgelndes Gefälle in einer moosbedeckten Nische im Garten der Sultanin.
Ich bin nun seit acht Wochen unterwegs auf dem Meer. Wasser habe ich genug gesehen, könnte man denken, doch gerade nach Wochen in der Wasserwüste erscheint mir wie einem Beduinen kühles Süsswasser als eine Kostbarkeit. Ich wandere von einem Garten in den anderen. Und bin geplättet.
„Die Abenteuer beginnen, wenn wir unser Zuhause verlassen“. Dieser Satz steht nun vier Jahre über jedem neuen Post und über diesem Blog. Ich empfinde ihn richtiger denn je. Denn wie weit musste ich reisen, wieviele Seemeilen zurücklegen, um über etwas staunen zu können, ja es als Kostbarkeit zu empfinden: Was mich zuhause jeden Tag unbegrenzt umgibt. Vielleicht ist es das, warum ich Motril, Samuele und Juan ebensowenig vergessen werde wie die Gärten des Generalife.
Samstag, 7. Juli, 16 Uhr, Yachthafen Wesel.
Wenn der Schleusenjohnny mich bis dahin nicht geregelt hat.
Eigentlich hatte ich den ganzen Mist mit den falsch gedrückten Knöpfen schon getippt, aber mich regt das zu sehr auf. Und ich hab keine Lust mehr, mich aufzuregen.
Hoffentlich drückt er morgen die richtigen Knöpfe, dann bin ich schon zufrieden…
Jedenfalls:
Wer dabei sein möchte, wenn Nomade ihren Heimathafen erreicht, schreibt bitte eine kurze Nachricht an uns, damit wir besser planen können: Kontakt
Für mein neues Buch bin ich auf Levje unterwegs von Sizilien in die Bretagne.
Und mache dabei Erfahrungen, die man nur macht, wenn man segelt.
Über das Reffen, das Verkleinern der Segelfläche, gibt es den schönen Satz: „Reffen soll man dann, wenn man zum ersten Mal dran denkt.“ Jeder Segler kennt ihn. Doch dessen tieferen Sinn, den hab ich nie verstanden. Bis vor wenigen Tagen.
Die spanische Küste ist so ganz anders, als ich es erwartet hatte. Nach den Erzählungen von Seglern hatte ich mir die 550sm als einen einzigen schnurgeraden, brettebenen Sandstrand, bedeckt von häßlichen Hochhäusern und unterbrochen von teueren Marinas ausgemalt. Nichts davon ist wahr. Jedenfalls das wenigste. Die Küste? Ist so abwechslungsreich, wie man es sich nur vom Anblick einer Küste wünschen kann. Markante Felsen wechseln mit beeindruckenden Gebirgszügen, vor denen dann auch tatsächlich kilometerlange und einsame Sandstrände in allen Farben liegen. Schnurgerade? So mag die spanische Küsten in den Atlanten aussehen. So ist sie aber gar nicht. Wie an keiner anderen Küste gibt es die großen Kaps, die mich seit Ibiza bis hierher begleiten und hinter denen man immer halbwegs gute Ankerplätze findet: Cabo Nao – mit dem Felsen von Calpe, über den ich schrieb. Cap del’Horta. Cabo de Santa Pola. Cabo de Palos. Cabo de Gata. Jedes dieser Kaps ist ein landschaftliches Highlight, an dem ich mich nicht sattsehen kann. Hochhäuser? Siehe meinen Post dazu. Überlaufene teuere Marinas? Ich bin Mitte Juni meist allein unterwegs. Die Marinas sind alles andere als überlaufen. Und teuer sind sie weder hier. Noch waren sie das auf den Balearen, wenn man nur in den PortsIB-Häfen nächtigt. Kein Vergleich zu dem, was man derzeit an Hochpreis-Küsten Costa Smeralda, Insel Ponza oder Teilen Kroatiens erlebt. Die Küste überrascht mich immer wieder mit ihrem Anblick, ihrer Verlassenheit, oder ihrer gelegentlich auch ihrer massierten Bebauung.
Ankern vor den Frachtern: Garrucha.
Auch die Häfen sind anders, als ich das aus den Erfahrungsberichten von Seglern auf der Reise gehört hatte und abwechslungsreich. Es gibt natürlich die touristischen Großorte wie Benidorm, die dann eben auch einen „Porto turistico“, wie es italienisch so schön heißt, mit dabei haben. Cartagena und Garrucha aber sind in erster Linie Industriehäfen, wo man im Vorhafen ungeniert neben der Großschiffahrt ankert. Und in Garrucha, wo mich um sieben die Förderbänder weckten, um die beiden Frachter zu beladen, begann um acht meine Reise an diesem Tag.
Der Wetterberichte hatte 20 Knoten aus Ost vorhergesagt. Genau das, was ich brauchte, um schnell nach Westen Richtung Gibraltar zu kommen und dieses Tor mit seiner Gegenströmung aus dem Atlantik gut zu passieren. Es sollte für sieben Tage beim Ostwind auf meiner Strecke so blieben, danach sollte der Wind wieder auf West drehen – und möglicherweise meine Weiterfahrt für Tage, wenn nicht mehr, durch die Straße von Gibraltar verzögern. Doch als ich am Morgen unter Segeln aus Garrucha ablegte, war vom Ostwind nichts zu spüren. Nur ein starker Schwell aus Nordost, der Levjes Baum so erbärmlich schlagen ließ, dass ich nach einer Viertelstunde den Motor startete.
Gegen Mittag kam er langsam, der Wind. Er war lang im Bett geblieben. Spät aufgestanden. Und hatte Kräfte gesammelt. Erst 10 Knoten. Dann 12. Dann 14. Dann 18. Dann 20 Knoten. Er kam raumschots, ich konnte meine Kurslinie nicht halten, sondern steuerte mal nördlich, mal südlich davon, halste jede halbe Stunde, um mich nicht zu weit von der Kurslinie zu entfernen. Und weil alles gar so schön lief, ließ ich Vollzeug stehen.
Die Landschaft hinter den Industriehäfen von Carboneras ist menschenleer. Und einsam. Und so, als wäre ich plötzlich tief, tief in der menschenleeren Ostägäis gelandet. Kein Haus ist zu sehen. Kein Strauch. Kein Mensch. Levje rauschte die einsamen schwarzen Felsen entlang, die nur dem eine Freude sind, der die Einsamkeit sucht. Der Wind nahm zu, 22 Knoten, und meine erste Halse misslang – zuviele Dinge gleichzeitig. Das sollte bei diesen Windstärken nicht zweimal passieren.
Einen Fehler machen im Leben ist nicht schlimm – man sollte ihn nur nicht zwei mal hintereinander machen. Ich überlegte, was ich anders machen könnte. Und wie ich die eine Winsch für Genua- und Großschot gleichzeitig einsetzen könnte. Es half ein simpler Trick: Ich betete mir einfach im Kopf die alten Manöver runter: „Klar zur Halse. Hol dicht die Großschot. Rund achtern. (Gib Stützruder). Fier auf die Großschot.“ Von außen sah das vermutlich urkomisch aus: Da war ein Mann in der Einsamkeit der schwarzen Berge auf einem Boot. Und redete wirres Zeug mit sich selber. Doch es half. Ich spielte das Mannöver vorher im Kopf durch. Probleme bereitet bei der Halse auf Levje, dass die Großschot ebenfalls über die Genuawinschen bedient werden musste. Doch mit einmal im Kopf durchdeklinieren war die rasche Folge schneller Schotwechsel auf der Winsch klar.
24 Knoten tatsächlicher Wind. Für den, der mit dem Wind fährt, ist das ein reines Vergnügen. Ein gefühlt sanftes Windchen, das siebeneinhalb Tonnen wie durch einen Zauber in rauschende Fahrt versetzt. Ich weidete mich an dem Anblick, wie sich mein Schiff durch die Wellen bewegt. Zwischen den Felshängen kaum Welle, die unsere Fahrt aus dem Gleichgewicht bringen könnten, ließ ich Groß und Genua voll stehen. Levje stob ich durch die Wellen, wieder einmal bat ich sie still um Abbitte, weil ich sie, die von Masthöhe und Segeltragezahl leicht untertakelt ist, nach den anfänglichen ersten Schwachwind-Ausflügen auf der Nordadria enttäuscht als „Sie segelt wie eine Bratpfanne“ charakterisiert hatte. Doch für Windstärken wie vor Cabo de Gata ist Levje genau das richtige Schiff.
26 Knoten in der Spitze. Immer noch das reinste Vergnügen. Doch man vergisst zu leicht, wie schnell sich die Situation ändern kann, wenn man plötzlich nicht mehr mit dem Wind, sondern gegen ihn fährt. Die 26 Knoten fühlten sich mit meinen 7-8 Knoten rauschhafter Fahrt wie harmlose 18 Knoten an. Gegenan wären es über 30 Knoten: Statt 5 Beaufort von hinten plötzlich 7 Beaufort voll vorn. Ich vergaß das nicht. Mein Schiff lief vollkommen ruhig, zur Sicherheit setzte ich mich hinters Steuer und passte auf, dass der Autopilot, der das Schiff streng nach der Windfhne im Masttopp steuerte, nicht plötzlich den Dienst quittierte. In jedem Moment überlegte ich, was ich täte, wenn der Autopilot plötzlich fiepend ausfiele. Ich saß da. Mein Hirn rechnete wie ein Computer. Meine Seele saugte in sich auf, was ich sah. Ich wünschte wieder einmal, ich hätte eine Festplatte, damit ich alles und jedes, was ich in diesem Moment sah, in jedem kleinsten Detail in speichern könnte, damit ich es wie einen Film abrufen könnte. Jederzeit. Damit ich nicht vergesse.
Aus dem Augenwinkel nahm ich die Yacht vor mir war. Sie schien Probleme zu haben. Wendete unmittelbar vor dem Cabo de Gata. Stand mit killenden Segeln reglos im Wind. Drehte nach einer Weile ab. Um mit killenden Segeln den Weg, auf dem sie gekommen war, zurück zu motoren. Was für ein mühseliger Weg! Jetzt sah man, wie sich 6-7 Beaufort gegenan anfühlten. Das Schiff, das eben noch dahingeglitten war, war nun ein hilfloser Klotz in den Wellen, ein Stück Holz, das wehrlos auf und abgeworfen wurde in den Wellen und sich unter Motor mit 2-3 Knoten gegen die Kraft der Wellen durchboxen musste. Womöglich für Stunden.
Cabo de Gata in Sicht. Zwei rundgeschliffene riesige Felsen liegen wie Urzeit-Schildkröten versteinert rechts am Strand. Eine Radarstation in den Felsen. Sonst schwarze Felsen. Einsamkeit. Wind. Meer.
Und die Wellen, die sich voraus noch mehr kabbelten. Ob es da am Kap vielleicht starke Strömungen gab, wie in der Straße von Messina, wo der stark ansteigende Meeresboden selbst an windstillen Tagen Zipfelmützen an der Meeresoberfläche aufwirft? Ich sah mir die Schaumkronen einen Moment an. Vor dem Kap herrschte einfach noch mehr Wind – das war die Antwort. Ich überlegte einen Moment. Ich hatte immer noch Vollzeug stehen. Jetzt wenden? Beidrehen? Und reffen? Zu eng an dieser Stelle. Zu wenig Lee. Zu ungewiss.
Blieb nur: Unter vollem Groß und voller Genua einfach weiterlaufen, was immer da vorne an Wind käme. Ich schaltete den Autopilot aus. Und übernahm das Steuer. Was immer dort auf mich zukam: Ich wollte selbst am Steuer stehen. Das Ruder bewegte sich wunderbar leicht, zu leicht, wie der YACHT-Tester damals befand, der gern mehr Ruderdruck spüren wollte. Doch ich war glücklich mit dem Rad, das ich selbst mit zwei Fingern steuern konnte.
Hättest Du bloß mal vorher gerefft!
Cabo de Gata. 28. 30 Knoten von achtern. Es war viel. Ich spürte das Prickeln in meinem Nacken. Ob noch mehr kommen würde? Jetzt bloß keinen Steuerfehler! Das Drahtstag über mir knackte. Der Mast gab kurze Geräusche. Laute, die ich noch nie gehört hatte, während Levje kurz von 9 auf 10 Knoten beschleunigte. Hoffentlich kommt da vorn nicht noch mehr Wind? Haben wir noch genug Tiefe unterm Kiel? 10 Meter sagte die Anzeige. Jetzt nur nirgends mit dem Ruder hängenbleiben, pinselte mein Hirn an die Wand. Was für eine irre Fahrt ist das denn, jubelten meine Sinne. Gottseidank keine brechenden Wellen, sie hätten uns gefährlich aus der Bahn werfen können. Und was für einer Bahn: Es war, als hätte man mein 7,5 Tonnen-Schiff in einen Wildwasser-Kanu-Kurs geworfen. Rauschend, wiegend schoß es nach vorn, ging es nach unten im Wildwasser, vorbei am Kap. Mein Schiff suchte sich selber seinen Weg, so hatte es den Anschein, zwischen Gischt und Strudeln und nahm ihn gelassen, als wäre alles nichts. Während ich klein, verloren am Steuerstand stand, vibrierend wie die Stagen über mir vor innerer Anspannung. Vor Freude. Vor Furcht. Vor Jubel über all das.
Keine 10 Minuten dauerte die rauschende Fahrt am Cabo de Gata. Dann fiel der Wind wieder auf 25 Knoten. Ob ich vorher gerefft hätte, wenn ich gewusst hätte, was mich erwartet? Ich weiß es nicht. Selbst wenn die Erfahrung für mich einzigartig und neu war: Für ein Schiff sind 30 Knoten segelnd von achtern, wenn es in gutem Zustand ist, nichts Ungewöhnliches. Es erlebt zu haben, stärkte mein Vertrauen in mein Schiff ungeheuer. Ich habe für höhere Windstärken die richtige Takelage gewählt.
Ob man Vollzeug stehen lassen sollte? Darüber kann man streiten. Reffen soll man dann, wenn mans erste Mal dran denkt. WEIL MAN DANN NOCH DIE MÖGLICHKEIT DAZU HAT. Das ist der ungesagte, doch wichtigste Teil des Satzes.
Doch ich bin froh, mein Schiff in dieser Situation erlebt zu haben. Ich habe mir die letzten Tage angewohnt, Manöver zu üben. Ablegen unter Segel ohne Motor. Ankern unter Segel ohne Motor. Ich habe gestern nach Cabo de Gata bei 25 Knoten beigedreht, um zu reffen. Und gehalst.
Am Ende bleibt: Mein Schiff und ich. Wir haben beide funktioniert in dieser Situation. Und wir hatten Glück. Das zählt.
Nomade vor der Scheitelhaltung.
Eigentlich sollte meine Einhandfahrt mit Nomade in Kelheim oder Umgebung zu Ende sein. Wer ab und zu mal auf unserer Facebook-Seite vorbei geschaut hat, wird mitbekommen haben, dass ich für Nomade allerdings keinen einzigen normalen Liegeplatz bekommen habe, seit ich in Deutschland bin. Die Gründe dafür waren vielfältig. Oft nachvollziehbar, weil zu flach, oder zu eng, manchmal auch nicht, bis hin zur Ablehnung von Segelbooten grundsätzlich.
Geschlafen habe ich jeweils immer ein paar Stunden an Schleusen oder Spundwänden. Auch dort war ich jedoch selten Willkommen. Ich musste viel diskutieren, wurde manchmal weggeschickt. Deggendorf war eine Ausnahme. Hier war ich beim WSA sehr Willkommen, man hat mir sogar die Gebühr für die Übernachtung erlassen. Leider war der Hafen recht flach und wegen des niedrigen Pegels hatte ich am Morgen meiner Abfahrt in Richtung Regensburg nur noch 10cm Wasser unterm Kiel.
Durch dieses vorletzte Stück Donau bin ich so gerade eben gekommen. Viel Wasser war dort nicht mehr. Am Vortag bin ich bei einer Begegnung mit einem schnellen Frachter innerhalb der Fahrrinne sogar auf Grund gelaufen, in dem Moment, als der Dicke das Wasser weggezogen hat.
Letztendlich war es mein Fehler, aus Unerfahrenheit in diesem schmalen Abschnitt. Ich hätte eben nicht gedacht, dass der Pegel während der Vorbeifahrt so drastisch sinken wird. Bei nachfolgenden Begegnungen habe ich mich deshalb mit den Frachtern manchmal abgesprochen und meinen Tiefgang durchgegeben. Dann haben sie entweder kurz gewartet, ich habe gewartet oder sie sind deutlich langsamer gefahren. Wirklich sehr rücksichtsvoll.
Die SVETI DIMITAR ist mir auch nochmal kurz begegnet. Das war eine Freude! In dem Moment wäre ich am liebsten umgedreht und mit den Jungs wieder runter nach Bulgarien gefahren.
Ja, ich bin nach den Erfahrungen in all den anderen Ländern ein wenig enttäuscht von der Gastfreundschaft auf der Donau in meinem Heimatland. Es gab Ausnahmen, keine Frage. Ich habe auch sehr nette Menschen getroffen, wie zum Beispiel Wolfgang & Evi, mit denen ich in einer Schleuse hochgefahren bin und die in Regensburg dann zu mir gekommen sind, um zu schauen ob ich etwas brauche.
Auch haben sich manche Hafenmeister wirklich bemüht. Der Wille war also so manches Mal da. Die Infrastruktur und die vielen Verbote sind allerdings von allen Ländern am Fluss hier am unangenehmsten für mich gewesen. Die Steganlagen oft filigran, manchmal in schlechtem Zustand, kaum Klampen oder Poller vorhanden, viel zu lange nicht mehr ausgebaggert, aber trotzdem wurden teilweise Preise aufgerufen, die passten eher zu Luxusmarinas in Südfrankreich oder der Türkei. Die Marina Saal im Industriegebiet von Kelheim hätte Nomade als einzige weit und breit übrigens tatsächlich für einen Monat (eher widerwillig) aufgenommen. Dafür hätte man dann gerne (Achtung, festhalten) 820 € gehabt!
Der Funkverkehr war für mich hier ebenfalls oft schwieriger als in Fremdsprachen woanders. Was da so mancher Schleusenmeister in hartem Dialekt in den Bart gemurmelt hat, war eine Katastrophe. Ich habe nix gegen Dialekte, im Gegenteil, ich mag das Bayerische sehr, aber auf UKW muss das nun wirklich nicht sein.
Die Ansagen der Revierzentrale waren ebenfalls oft unverständlich, weil man den Menschen abgeschafft und gegen eine Computerstimme ersetzt hat. Schrecklich.
Aber egal. Die Donau lasse ich mir davon nicht vermiesen!
Nomade hats geschafft! Sie ist so gut wie oben. Ich liege seit gestern Abend vor der Schleuse Bachhausen im Main-Donau-Kanal. Damit ist die Fahrt gegen den Strom beendet. Seit Tuzla liegen 1.533 Seemeilen, beziehungsweise 2.840 Kilometer über Grund im Kielwasser. Durchs Wasser waren es vermutlich 1 Drittel mehr. Werde ich vielleicht irgendwann mal ausrechnen. Wobei, was spielt das schon für eine Rolle!?
Morgen geht’s ein letztes Stück hoch. Dann fahren wir mit der Schleuse in die Scheitelhaltung, auf exakt 406 Meter über dem Meer. Dieses Stück Kanal ist der höchste Punkt in Europa, den man mit einem Schiff erreichen kann. Der Volvo atmet quasi Höhenluft!
Und Nomade hats geschafft! Hab ich schon gesagt, ich weiß.
Wir sind viel früher hier, als gedacht, viiieeel früher. Ich freue mich riesig!
Und jetzt?
Jetzt haben Sabrina und ich beschlossen, dass ich bis Wesel Einhand durchfahren werde. Alles andere macht keinen Sinn für uns. Der erste einigermaßen vernünftige Platz, um Nomade für ein paar Wochen zu parken und die Reise ab Ende Juli gemeinsam fortzusetzen, wäre fast am Ende des Kanals.
In Sabrinas Urlaub können wir dann besser woanders hin fahren…
Also auf nach Wesel!
Inspektion hab ich heute erledigt. Sieht alles gut aus. 90 Liter Diesel konnte ich ebenfalls mit dem Fahrrad von der Tanke holen und die Strecken- und Törnplanung hat ergeben: noch 815 Kilometer und 46 Schleusen bis nach Wesel.
Ich hoffe, die Strecke in etwa 2 Wochen schaffen zu können. Entscheidend wird sein, wie schnell ich durch die Schleusen auf dem Main komme, wie die Versorgung mit Diesel und Nahrung klappt…
Einen Ankunftstermin werde ich deshalb erst in zwei, drei Tagen festlegen, wenn die erste Etappe auf dem Main hinter mir liegt. Dann kann ich das besser abschätzen.
Und die Donau? Ach man, die Donau… Ich hatte kaum Zeit zu realisieren, was alles auf diesem Fluss passiert ist. So viel mehr, als ich hier erzählen konnte…
Ich vermisse die Donau. Beeindruckend, wie vielfältig sie ist, wie sich sich verändert, wie sich die Menschen am Ufer verändern, wenn man auf ihr durch den Kontinent fährt. Viele Wochen war ich fast jeden Tag unterwegs. Habe gesehen und gespürt, wie aus dem großen, breiten Strom ein schmales Flüsschen geworden ist, auf dem selbst Nomade kaum noch Wasser unterm Kiel hatte. Habe bis auf ganz wenige Ausnahmen eine Gastfreundschaft erlebt, wie selten irgendwo zuvor. In Baja (Ungarn) ist sogar ein Artikel in der dortigen Deutschen Zeitung erschienen, über die Segelyacht, die vom Schwarzen Meer kommt und die Donau hoch fährt.
Die Donau, sie war mein großes Abenteuer. Vielleicht eins der letzten Abenteuer, das man in Europa auf dem Wasser noch erleben kann.
Irgendwann will ich da wieder runter, zusammen mit Sabrina und Filou. Und dann überall etwas länger bleiben und all die lieben Menschen besuchen, die ich unterwegs getroffen habe und die mir so oft geholfen haben. Ich hoffe es gelingt eines Tages.