Die Video-Episode
Eine neue Folge des Videologbuchs ist Online. Viel Spaß damit!
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Auf meiner ersten Etappe für mein neues Buchprojekt um die europäische Westküste herum erreichte ich von Sizilien kommend nach 5 Tagen Segeln die Balearen. Was ich von etlichen Landurlauben gut zu kennen meinte, entpuppte sich vom Meer wahrhaft als: Die vergessenen Inseln.
Sanfte Hügel. Sattes Grün. Ruinen: Hallo, wo bin ich hier?
Ein Fan des englischen Südens bin ich, seit ich als 16jähriger zum ersten Mal auf die Insel kam und das große Glück hatte, bei einer Gastfamilie in der Nähe Readings zu landen. Ich weiß nicht, warum ich mit 16 energisch genau dorthin gewollt hatte, doch es war der richtige Ort. Neben den vier eigenen Kindern war das Haus voll mit ebenso vielen Jugendlichen aus anderen Ländern. Die Familie gab sich alle Mühe, den jugendlichen Gästen dieses England nahezubringen. Ich mochte den Klang der Sprache. Ich, Kind meiner bayrischen Landschaft, die grantiger Übellaunigkeit so viel näher ist als Verbindlichkeit, war fasziniert von der Federleichtigkeit, wie fremde Menschen sich mit einfachsten Worten einander näherten („What a lovely evening!“) und Beziehungen knüpften. Ich liebte die Parks mit den sanften Hügeln und den Ruinen darin, so wie auf dem Foto.
Vielleicht sind es jene Jahre, um die 16 herum, in denen wir unsere Vorbilder suchen. Und unwiderruflich Beschlüsse fassen, wie wir einst leben wollen. Unumstößlich.
Vier Jahrzehnte später. Ende Mai 2018. Wieder einmal schaue ich in sanfte Hügel und eine Parklandschaft mit Ruinen darin. Die Landschaft, so denke ich es jedenfalls, könnte englischer nicht sein. Doch es ist Menorca, die östlichste der Balearen-Insel, und ich frage mich, wieso sich ausgerechnet hier ein Gefühl einstellt, als wäre ich im Süden Englands.Das hat zum einen mit verblüffenden Dingen zu tun. Aus irgendeinem Grund sind die Häuser streng gekalkt, wie es an vielen Orten im Mittelmeer der Fall ist. Zum Beispiel in Griechenland. Doch anders als dort hat man sich andere Vorbilder gesucht. Statt des tiefen griechischen Blau sind Fenster und Türen des kleinen Orts Fornells, der unserem Ankerplatz gegenüberliegt, petrolfarben bemalt. Fans britischer Oldtimer würden auch sagen, es handle es um die Farbe BRITISH RACING GREEN. Die Strenge dieser Farbgestaltung ist verblüffend. Und wer in der Nebensaison durch die Straßen des kleinen Ortes Fornells streift, der findet tatsächlich fast keine anderen Farben, als wäre er irgendwo im Südwesten Englands oder Irlands auf der Dingle-Halbinsel unterwegs.
Warum suchte man sich diese Vorbilder fürs Dasein im 21. Jahrhundert? Gibt es in Fornells eine strenge Gemeindesatzung, die sich beim Thema Ortsgestaltung ausschließlich an britischen Vorbildern orientiert? Wer hat einst beschlossen, dass alles grün sein muss? Und selbst die Türbeschläge aus Messing und die Türdrücker nach britischem Vorbild sein müssen? Wieso war es die eigentlich kurze und mehr als 200 Jahre zurückliegende Zeit, in der die Briten hier waren, die genau jene Vorbilder lieferte, für die sich die Insel in vielem entschied?
Lese ich in David Abulafias immer wieder empfehlenswerter Mittelmeer-Monografie nach, dann währte die britische Präsenz keine 100 Jahre. Sie war alles andere als kontinuierlich und nicht unbedingt unter einem guten Stern. Es war die blutigen Kriege des 17. und 18. Jahrhunderts ausgerechnet am anderen Ende der Welt, mit Frankreich um die Kolonien in Amerika, die britische Begehrlichkeiten auf die Insel weckten. Von hier aus, so dachte man es sich, könne man leicht die südfranzösische Flottenbasis Toulon kontrollieren.
Falsch gedacht. Kaum ein paar Jahrzehnte da, eroberte die französische Flotte die Insel. Alles in allem, waren die Briten also kaum ein Jahrhundert da. Und gut benommen haben sie sich auch nicht immer. Vor allem der altkatholische menorquinische Adel mochte sie nicht recht leiden, die Herren aus dem Norden. Erst recht nicht, als die begannen, in menorquinischen Nonnenklöstern auf Brautschau zu gehen – was nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn nicht manche der dort zu ihrem vermeintlichen Besten untergebrachten Töchter nur zu gerne dem irdischen Begehren lieber folgte als der himmlischen Liebe. Es gab Ärger, nicht nur deswegen. Auch weil die Insel trotz aller Gouverneurs-Anstrengungen nicht genug hergab, um Bevölkerung und Besatzung gleichermaßen zu ernähren. Die Briten fanden irgendwie nicht den rechten Umgang mit der störrischen Bevölkerung. Menorca blieb strategische Kopfgeburt und keine Herzensangelegenheit. Kaum war Napoleon da, waren die Briten dann auch schon wieder weg. Was blieb, ist Messing und British Racing Green.
Nein. Mit Geschichte kann man manches erklären. Aber nicht, warum und wo sich ein Ort, eine Insel seine Vorbilder sucht. Und sich für dies oder das entscheidet. Vielleicht ist es so: Die Menschen auf Menorca haben sich eine gewisse Eigensinnigkeit bewahrt. Ganz im Westen der großen Nachbarinsel Mallorca stolperte ich zum ersten Mal auf den Namen Menorca. „Die auf Menorca haben das soviel richtiger gemacht als wir“, sagte mir eine Rezeptionistin eines der großen Sportboothäfen. „Wir haben hier auf Mallorca im Sommer mittlerweile von allem zuviel. Zuviele Autos. Zuviele Leihwägen. Zu viele Boote. Zu viele Besucher. Die in Menorca haben das so viel besser gemacht.“
Ihre Bemerkung beschäftigte mich. War das wirklich richtig, dass sich die keine 70 Kilometer nebeneinander liegenden Inseln so unterschiedlich entwickelt hatten? Ich grub weiter nach. Während der spanischen Bürgerkriegs war Menorca republikanisch geblieben. Mallorca öffnete sich den Faschisten – die deutschen Bomber nutzten die Insel Mallorca wie einen Flugzeugträger, um von hier aus Barcelona und südspanische Eisenbahnknoten zu bombardieren. Mallorca war in den 30iger Jahren schon eine touristische deutsche Hochburg, wie Alex Sepasgosarian in seinem sehr lesenswerten MALLORCA UNTERM HAKENKREUZ schreibt, wo Menorca eben Menorca blieb. Und sich, wie man Neudeutsch sagen würde, erst lange nach Mallorca dem Tourismus öffnete. Dabei steht die Insel an Schönheit der großen Nachbarinsel in nichts nach.
Und wir? Vielleicht ist sie nie endgültig vorbei, die Suche nach den Vorbildern, wie wir denn nun leben wollen. Und leben sollen. Für Inseln nicht. Und für uns selbst nicht. Spannend bleibt doch immer, was aus dem Mix herauskommt – zwischen dem, was unsere Geschichte ist. Und dem, was wir uns selber an weiteren Zutaten auswählen. So wie nördlich des Ortes Cala Fornells, wo der große Geschützturm steht, den die Franzosen gegen die Briten errichteten. Oder war es umgekehrt? Jedenfalls holt mich die darunter errichtete Zeile mit Ferienwohnungen zurück in die Gegenwart.
Doch nicht ganz. Den grünen Fensterläden und Türen sei Dank.
Mitte Mai bin ich für mein nächstes Buchprojekt von Sizilien aus Richtung Westen aufgebrochen. Unter dem Titel AN EUROPAS KÜSTEN werde ich in den kommenden 6-7 Monaten von dem berichten, was mir in diesem Sommer auf meinem fast 4.000 Kilometer langen Weg um die Süd- und Westküste Europas alles begegnet.
Heute: Unterwegs auf Levje zwischen Mallorca und der westlichen Nachbarinsel Menorca.
Von Mallorca nach Menorca ist es eigentlich nicht weit. 35 Seemeilen – knappe 7 Stunden braucht man von Cala Ratjada oder Port de Pollenca im äußersten Osten Mallorcas. Aber die Strecke kann es in sich haben. Die Wetterberichte kündigten 16 Knoten aus Süd an. Doch dann sind es 26 Knoten – eine rasche Fahrt mit halbem Wind, doch richtig spannend werden erst die letzten Minuten. Menorcas nördlichster Hafen Ciutadella liegt am Ende einer Handtuch-schmalen Cala, die nach Süden weist. Steht dort der Südwind mit 6 bft. auf die unscheinbare Öffnung, dann brechen die Wellen in der Einfahrt. Wie so oft zischen die üblichen Gedanken durchs Hirn an einem Ort, den man zum ersten Mal bereist:
„Ist die Einfahrt auch tief genug? Oder setzen wir in dem auflandigen Seegang irgendwo auf? Und schlagen quer?“
„Was mach ich, wenn hier der Motor ausfällt? Und die brechenden Seen mich auf den Felsen schieben?“
Doch die schmale Einfahrt ist über zehn Meter tief. Der Motor ist brav diesmal. Einmal tief durchatmen. Wir rauschen mit dem nächsten Wellenberg in den schmalen Schlund zwischen den übermannshohen Felsen hinein. Und 100 Meter weiter drinnen sieht alles so aus wie am Tag danach, als die Fotos der unscheinbaren Einfahrt oben und unten entstanden: Als wäre nichts gewesen.
Und wieso muss man um Himmels willen nach Menorca, wenn man doch Mallorca kaum kennt? Als ich die Insel vor sechs Wochen für meine Marina-Reportage in der aktuellen YACHT zum ersten Mal erlebte, hat mich Menorca noch weit mehr beeindruckt als die an sich schon faszinierende Hauptinsel mit ihren versteckten Winkeln. Menorca hat sich, obwohl es vor 200 Jahren nur kurze Zeit britisch war, merkwürdigerweise mehr Britisches bewahrt als jede andere Insel, die ich kenne. Petrolfarbene Türen und Fenster. Englische Schiebefenster. Allenthalben hübsche britische Messingbeschläge an den Häusern Ciutadellas. Britisches scheinen auch die Menschen übernommen zu haben, die Abends auf die in spanischen Nationalfarben lackierten TIB-Busse warten, wo sie sich, als hätten sie diszipliniertes „queuing“ in einer südenglischen Kleinstadt gelernt, ordentlich oben auf der Plaza von Ciutadellas in einer ordentlichen Schlange zum Bus anstellen.
Bei der Ankunft im Hafen der ungewohnte Anblick von Schwimmstegen. Mit Schlengeln? Ohne Grundleinen? Als wäre ich in einem Revier mit großem Tidenhub gelandet? Ein Vorgeschmack auf die Bretagne? Tatsächlich kann es der scheinbarfriedliche Hafen von Ciutadella, obwohl er nicht in einem Tidenrevier liegt, schnell in einen Hafen mit Tsunami-Welle verwandeln. Schon in meinem früheren Nordadria-Hafen Izola erzählte man sich Geschichten, wie urplötzlich dort der Wasserspiegel erst um eineinhalb Meter fiel, um nur Minuten später um mehr als zweieinhalb Meter anzusteigen. An Seemannsgarn dachte ich damals nicht. Ich erklärte mir die Sache her durch ein Seebeben, denn die karstige Küste des Friaul war in den Siebzigern Schauplatz eines Erdbebens, das wir am selbem Tag bis in unser Wohnzimmer im Süden Münchens spürten.
Doch in Ciutadella ist es kein Erdbeben, was für abnorme Wellenhöhen sorgt. Die Rissaga ist ein bekanntes, jährlich mehrmals auftretendes Phänomen, das durch Schwankungen des Luftdrucks (sic!) die Wellenhöhen kurzfristig stark fallen oder steigen lässt und meist jetzt im Juni innerhalb weniger Sekunden zu großen Schäden führen kann. Vor allem in dem schmalen Hafenfjord von Ciutadella treten diese auch als „Meteo-Tsunamis“ bezeichneten Wellen mehrmals jährlich auf. Meist sind sie eher unauffällig und kaum wahrnehmbar. Gelegentlich schon: Am 21. Juni 1984 und am 15. Juni 2006 sorgten sie im Hafen von Ciutadella für Überflutung und massive Zerstörung an Booten, Bars und umliegenden Restaurants.
Einschlägige Wetterseiten im Internet veröffentlichen täglich Rissaga-Warnungen. Für den heutigen Sonntag, den 3. Juni kündigt die spanische Wetterseite Aemet.es Rissaga-Wellenhöhen von 1 Meter an. (Danke an Einhandseglerin Susanne Radlach für ihren Hinweis!!)
Von den vielen Inseln, die ich in den vergangenen Jahren besuchte, ist Menorca tatsächlich eine der merkwürdigsten. Wer sich die Insel auf Google-Maps von oben betrachtet, könnte schnell das Interesse an ihr verlieren. Sie scheint bretteben. Ist sie aber nicht. Sie gleicht, nachdem wir sie jetzt einmal umsegelten, einem im Meer treibenden umgestülpten Topf, dessen Seitenwände überall zwischen sieben und dreißig Metern steil aus dem Wasser aufragen. Menorca zeigt sich dem Seereisenden so ganz anders als vom Inselinneren betrachtet. Und selbst die vielen Menorca-Wanderer, die wir mit ihren schweren Rucksäcken in der Ferne auf den Klippen sehen, ahnen wohl nicht, wie regelmäßig die Erdgeschichte die Insel an ihrem Rand formte: Rundum senkrecht aufragende Klippen. Davor steil abfallend immer 30 Meter Wassertiefe. Dahinter sanft schwingende Hügel, als wäre dies Irland. Oder als wäre die Insel eine Schwester des südafrikanischen Tafelbergs, die es halt noch nicht höher geschafft hat.
Und weil es der Merkwürdigkeiten nicht genug sind: Menorca ist auch die Insel der Grotten. Der Spalten und Höhlen. Der Schlünde und Grüfte in den Steilwänden. Ahnungslos wie mancher Wanderer ist vielleicht auch mancher Hausbesitzer, der sich sein Haus mit phantastischem Meerblick an der Steilküste errichtete. Und dessen Haus sich dann doch über Spalten im scheinbar kompakten Fels erhebt. Ich nehme mir im Vorbeifahren fest vor, mal in einem dieser Häuser zu übernachten – und sei es nur, um in den Frühlingsstürmen zu spüren, wie die an der Steilküste brechenden Wellen das Haus samt Bett und Schlafzimmer-Wand zum Beben bringen.
So viele Grotten gibt es, so viele Höhlen in den Steilwänden, dass meine Gedanken während der Reise um die Insel entlang an den Felswänden wieder und wieder abschweifen zu Odysseus. Zur Grotte der Kalypso. In einem früheren Post schrieb ich einmal, dass die Odyssee voll sei mit Nachrichten über nautische, geografische und meteorologische Phänomene an konkreten Orten auf dem Meer. Es sind mündliche Nachrichten, wie die Steuerleute sie sich erzählten, als die Welt die schriftliche Aufzeichnungen nur selten nutzte, weil Schrift den Priestern und anderen Gesetzgebern vorbehalten war und Segeln mit schwieligen Händen und weniger mit Internet zu tun hatte. Beobachtungen aus der Zeit der frühen Steuerleute, die sie einfach nur in phantastische Geschichten von schönen Frauen und Seeungeheuern wickelten, um ihr Wissen von Orten weiterzugeben.
Ob er also wohl war, jener Mann mit Namen Odysseus? Dafür spräche, dass die Menschen der frühen Kulturen Menorcas, die sogenannte talaiotische Kultur, bis zum Jahr 1.000 vor Christus auf der Insel in Höhlen lebte, bevor sie sich für den Hausbau entschied. War Kalypso also Menorquinerin? Und Circe, ihre Schwester auch? Lebten sie hier irgendwo? Waren sie es oder etwas anderes, das sie auf der Insel vorfanden, was die Männer des Odysseus zu kopflos und hilflos grunzenden Wesen werden ließ? So dass er nicht anders konnte als zu fabulieren, die Frauen hätten seine Männer in Schweine verwandelt?
Wie so oft wissen wir nicht, was sich unter der Oberfläche solcher Geschichten verbirgt. Belassen wir es für heute bei diesen Fragen, denn es wird Nacht über Menorca und der Cala Fornells, die gleich hinter dem Leuchtturm am Nordende Menorcas, hinter dem Cap de Cavalleria liegt.
Nach so vielen Inseln, die ich besuchte, schlafe ich ein mit dem Gedanken, auf diesen Inseln, den Balearen, die wir doch besonders zu kennen meinen, etwas ganz Besonderes im Vergessenen entdeckt zu haben.
Mittlerweile dusche ich während der Fahrt, mache Essen im 5-Sekunden-Rhythmus und tippe im „Critical Sector Aljmas“ an diesem Beitrag. 5 Sekunden tippen, steuern, 5 Sekunden tippen… steuern, 5 Sekunden duschen, Echolot…
Die Festplatte ist voll mit digitalen Fotos und Filmmaterial, analoge Filme wandern ebenfalls ins Archiv. Zwischen 8 und 14 Stunden fahre ich täglich und seit Istanbul habe ich erst an einem Tag eine richtige Pause gemacht. Das war in Veliko Gradiste, weil am geplanten Abfahrtstag Windstärke 8 gegen den Strom stand. Ich habe mich selten so über Sturm gefreut!
Seit 3 Tagen liefere ich mir ein „Rennen“ mit dem Schubverband ALEKSEY IVLEV und habe vor kurzem zum ersten Mal mehr als 100 Kilometer gegen den Strom an einem Tag geschafft.
Also, um es kurz zu machen: Bulgarien, die Walachei, das Eiserne Tor, die Naturlandschaft der Donau, die vielen Begegnungen, die Geschichten über Dracula, warum ich von der Polizei zum Supermarkt gefahren wurde, all das werde ich hier überspringen (müssen)!
Ihr habt es am letzten Beitrag über Rumänien gemerkt, es gibt viel zu erzählen. Zum Bilder sichten, bearbeiten und einbetten bin ich nicht einmal gekommen.
Ihr wisst ja, dass es einen Film geben wird. Die Geschichten werden also erzählt werden, nur wird das noch eine Weile dauern…
Jetzt geht es für mich vor allem darum, vorwärts zu kommen.
Was ich zumindest hier schon mal kurz sagen will:
Bulgarien war Klasse! Ich habe dort unglaublich viel Gutes erlebt!
Dann kam Serbien. Von Serbien wusste ich vor dieser Reise so gut wie nichts. Ich habe es ähnlich wie vor meiner Reise in die Türkei gemacht und mich bewusst überraschen lassen.
Die Menschen in Serbien, sie haben mich wirklich überrascht, auf eine positive und herzliche Art, wie ich es selten zuvor erlebt habe!
In Veliko Gradiste wäre ich gerne noch länger geblieben, viel länger. Auf diese Erlebnisse dürft ihr euch jetzt schon freuen.
Und ich freue mich, nach ein paar Tagen vor Anker, jetzt über den Hafen von Apatin. Hier stehen Wartungsarbeiten, Diesel bunkern und Einkaufen auf dem Plan, bevor es weiter nach Ungarn geht.
Und nun noch etwas zum vorsichtigen Plan:
Welchen Weg ich verfolge, dürfte mittlerweile klar sein, auch wenn ich bisher noch nichts weiter dazu gesagt habe. Donau → Main-Donau-Kanal → Main → Rhein.
Die Donau endet für mich in Kehlheim. Ja, sie endet dort und nicht etwa am Schwarzen Meer. Die Donau macht nämlich, im Gegensatz zu allen anderen europäischen Flüssen, eine Ausnahme. Die Kilometer werden von der Mündung zur Quelle gezählt und nicht andersherum.
Sulina am Schwarzen Meer hat Kilometer 0 und Kehlheim Kilometer 2415. Mein Zielhafen liegt wenige Kilometer vor Kehlheim. Bis dort sind es von Apatin noch ziemlich genau 1000 Kilometer. Immer noch ein langer Weg, aber es wird langsam überschaubar. Noch 248km bis Budapest, noch 462km bis Bratislava, noch 528km bis Wien.
Wenn der Volvo weiter so gut läuft, wenn wir nicht von Hoch- oder Niedrigwasser aufgehalten werden und mich nicht der Blitz trifft, dann ist für mich in Kehlheim das Einhandseglerleben vorbei!
Dann werde ich Nomade dort für ein paar Tage zurücklassen, nach Hause fahren und mit Sabrina und Filou ab Ende Juli zusammen die Reise von Kehlheim bis nach Wesel fortsetzen.
Das ist für mich das große Ziel und Motivation, hier vorwärts zu kommen. Darauf freue ich mich riesig!
Worauf ich mich ebenfalls freue, sind die Einladungen, die jetzt so langsam greifbar werden. Die erste kam bereits vor langer Zeit aus Ungarn, dann Wien (mittlerweile zwei Einladungen), und noch eine aus Forchheim.
Wenn es gelingt, mit Nomade im Sommer in Wesel anzulegen, dann würden wir euch (Leser, Zuschauer, Freunde) gerne am Ankunftstag einladen: Zu einem Glas Sekt oder einem Bier am Steg!
Anschließend können wir zusammen noch der gemütlichen Kneipe im Yachthafen einen Besuch abstatten.
Um das besser planen zu können, werden wir ab Kehlheim einen Termin nennen und alle Interessierten bitten, sich dann kurz per Mail zu melden.
Mitte Mai bin ich für mein nächstes Buchprojekt von Sizilien aus Richtung Westen aufgebrochen. Unter dem Titel AN EUROPAS KÜSTEN werde ich in den kommenden 6-7 Monaten von dem berichten, was mir in diesem Sommer auf meinem fast 4.000 Kilometer langen Weg um die Süd- und Westküste Europas alles begegnet.
Heute: Unterwegs auf Levje im äußersten Nordosten Mallorcas.
Der markante Fels in die Einfahrt in die Cala Boquer im Morgenlicht – wie ein nach Beute schnappender Walhai.
Kennt man eine Sache wirklich, die man zu kennen meint? Den Menschen, neben dem wir jahrzehntelang leben? Das Fahrzeug, in das wir uns seit sieben Jahren jeden Morgen setzen? Eine Insel, auf der man schon 15 mal war und die man in und auswendig zu kennen meint?
Oft werde ich in Interviews wie am vergangenen Samstag gefragt: „Auf dem Cover der VERGESSENEN INSELN ist die Insel Mallorca abgebildet. Das ist doch keine vergessene Insel?“ Natürlich nicht. Vielleicht geht es im Leben (wie in meinem Buch) um die Kunst, das Unbekannte genau in dem wiederzufinden, was wir alle doch so gut zu kennen meinen. An dem Ort, an dem wir leben. Auf einer Insel. In unserem eigenen Leben.
Mallorca meinen wir gut zu kennen. Schließt man die Augen und lässt man den Namen über die Zunge rutschen, hat man auch gleich ein Bild von der Insel im Kopf. Doch Mallorca kann etwas ganz anderes sein.
Irgendwann, so wie jetzt, wenn das Wetter sehr durchwachsen ist, hält es einen nicht mehr im Hafen. Die Hafenliegerei unter wolkenschwerem grauen Himmel geht auf die Nerven. Es zieht mich hinaus, durchwachsenes Wetter hin oder her. Der Tag war grau. Die Wolken schwer. Also raus. Ziel: Cala Boquer.
Sie liegt, wo Mallorcas Bergregion anfängt: Ganz im Nordosten der Insel, wo die Sierra de Tramuntana beginnt, jener Gebirgszug, der wie eine massive Wand den Norden der Insel Mallorca entlangzieht. Gleich hinter dem Cap Formentor. Drei Stunden Fahrt von Port de Pollenca aus.
Cala: Das Wort gibt es nur im westlichen Mittelmeer. Es bedeutet“in den Fels einer Steilküste geschnittene Sandbucht“. Aber das wäre für die Cala Boquer untertrieben. Als die Einfahrt in die Cala im regenverhangenen Grau vor uns auftaucht, sieht der Fels mit der riesigen Höhle vor uns aus wie ein Walhai, der aus dem Wasser auftaucht und nach Beute schnappt. Als wir weiter in die Cala einlaufen, finden wir anders als erwartet nicht Felsgrund, sondern auf sechs Metern reinen Sand zum Ankern. Also runter mit dem Anker. Und staunen.
Wir ankern hier in der rauen Bergeinsamkeit. Falken rufen aus steilen Wand links. Ein Zicklein schreit die Nacht über aus der Steilwand nach seiner Mutter. Und sonst? Nur Vogelgezwitscher.
Und: Wand, die irgendwelche Erdkräfte nach oben getrieben haben, so dass sie heute aussieht, als hätte ein Bäcker einen Laib Brot durch eine Brotschneidemaschine gejagt und in regelmäßige Scheiben zerteilt.
Eine Felswand, die sich wie eine Schiefertafel steil aus dem Meer erhebt, über und über bedeckt mit vertikalen Riefen und Runen, die nur darauf warten, endlich entziffert zu werden.
Die beiden Steinreihen am Ufer, die aus dem Wasser aufragen wie die Ornamente auf dem Rücken eines Riesenechse.
Katrin fragt, ob ich hier nicht Angst hätte, so ganz allein, in der Bergeinsamkeit. Zugegeben: Die Cala Boquer ist ein unwirtlicher Ort. Doch merkwürdigerweise begreife ich an Orten wie diesen viel über mich. Woher ich komme. Wohin ich gehe, wenn ich auf die Runen in der Felswand der Cala Boquer schaue. Alles und jedes an diesem Ort ist so alt, so mächtig, die Felsblöcke so riesenhaft und majestätisch, dass ich mich ganz klein darin fühle. Winzig. Verloren. Und doch eingebettet und gehalten als Teil des mächtigen großen Ganzen.
Jeder von uns hat einen Ort, an dem er sich zugehörig fühlt zur Welt, an dem er sich empfindet als Teil des großen Ganzen, als Teil dieser Welt. Für manchen ist das ein Ort in der Stadt. Ein Cafe. Ein Stadion. Das Getriebe einer lärmenden Stadt. Wieder andere empfinden sich auf dem Gipfel eines Berges. Für mich ist es ein Ort wie die Cala Boquer. Wild. Einsam. Unendlich überlegen. Unauslotbar gleichgültig gegenüber mir winzigem Wesen und all dem, was mich umtreibt.
Wie gleichgültig, das zeigt die Cala Boquer nachts um zwei. Da zeigt die Cala Boquer die Zähne: Fallböen aus Westen reißen mich Nachts aus dem Schlaf. Benommen torkle ich ins Cockpit. Es pfeifft erst mit 20, dann mit 25 Knoten aus der Dunkelheit heran. Levje schwingt mächtig an der langen Ankerkette – also mal wieder Ankerwache gehen. „Herr, lass es nicht mehr werden!“Wir haben zwar genug Ankerkette gesteckt, ich bin am Nachmittag noch schwimmend an den Quallen vorbei zum Anker geschnorchelt, der gut in den Sandgrund eingefahren ist. Das ist immer eine Beruhigung.
Die Wolken jagen vor dem Vollmond vorbei, plötzlich hat ihn das große Grau verschluckt, als die nächsten Böen heranpfeiffen. Ich sorge mich etwas um mein Schiff und beobachte zwei Stunden im Cockpit, wie die harten Böen durch das Tal zu Levje herunterpfeiffen. Dann treibt mich die Müdigkeit in meine Koje. Ich überlasse mich dem großen Ganzen, das so viel größer ist als ich. Und schlafe friedlich ein, während die Böen Levje in der engen Bucht tanzen lassen.
Am Morgen tanzen die Böen immer noch durch die Schlucht wie durch eine Trillerpfeife. Gar mancher würde sagen: Wozu das alles, die Mühen, die Anstrengung, das sich-die-Nacht-im-zugigen-Cockpit-um-die-Ohren-schlagen. Doch ich verlasse diesen Ort unendlich reicher, als ich kam.
Übrigens: Die Cala Boquer kann man auch zu Fuß erreichen. Sie liegt nur eine Stunde Wanderung durch ein reizvolles Tal im Norden von Port de Pollenca. Nur den auftauchenden Walhai, der nach Beute schnappt: Den kann man nur vom Meer aus erkennen.
Mein jüngstes Buch DIE VERGESSENEN INSELN ist nach über drei Jahren Arbeit
im vor wenigen Wochen endlich erschienen. Weil ich reisen und unterwegs sein will,
stürze ich mich in mein nächstes großes Buchprojekt, das mich um die Westküste Europas mindestens bis in die Bretagne führen soll. Unter dem Titel AN EUROPAS KÜSTEN werde ich in den kommenden 6-7 Monaten von dem berichten, was mir in diesem Sommer auf meinem fast 4.000 Kilometer langen Weg um die Süd- und Westküste Europas alles begegnet.
Der Leuchtturm von Cap Formentor an der menschenleeren Nordostspitze Mallorcas im Morgenlicht. Von Sizilien bis dorthin braucht man aber fast vier Tage und vier Nächte nonstop, um ihn zu erreichen. Im folgenden ein Bericht übers Nachts Unterwegssein auf dieser Etappe.
Kurz nach Mitternacht, irgendwo auf dem Meer auf halbem Weg zwischen den Inseln Sardinien und Menorca. Die Navigation auf dem iPAD sagt, nach Mallorca seien es noch 107 Seemeilen. Oder 1 voller Tag und 9 Stunden.
Es ist windstill. Ich bin etwa 10 Stunden vom nächsten Land entfernt. Über mir nur Himmel. Um mich nur Schwärze. Und das gleichmässige monotone Brummen des Motors. Unter mir nur Wasser. Wie tief es ist, kann ich nicht sagen. Der Tiefenmesser, der eigentlich nur bis zu einer Tiefe von 100 Metern verlässlich arbeitet, ist schon am Nachmittag ausgestiegen. 183 Meter hat er unter uns gemessen, dies war die letzte Messung. Seitdem schickt der sinnreiche kleine Apparat mehrmals sekündlich einen akustischen Strahl in die Tiefe, der eigentlich vom Meeresgrund zum Sensor zurückgeworfen werden. Doch seit Stunden wird der Strahl nicht mehr reflektiert, sondern versickert irgendwo grundlos, ohne auf Widerstand zu treffen. Das Meer ist hier über 2.000 Meter tief.
Hinter einer Wolkenbank im Westen erleuchtet der Mond seit einer Viertelstunde wie eine Fackel den Himmel darüber. Das ist erstaunlich. Denn jetzt Mitte Mai ist der Mond, wo ich ihn hinter seinem Versteck weit im Westen erahnen kann, nichts anderes als eine hauchdünne liegende Sichel. Neumond. Dies ist ein Teil dessen, was den Zauber des Reisens unter Segeln ausmacht: Ich lerne wieder mehr die Natur zu beobachten, auf das zu achten, was sie von sich preisgibt. Gestern, an diesem Regentag, als ich lang am Vorstag stand und nach Westen in den regenschweren Himmel voraus betrachtete und die langeggezogene, nach oben bösartig gezackte Wolke entdeckte, die wie eine liegende Zigarre den Himmel vor uns bedeckte. Die Meeresschildkröten, an denen wir häufig vorbeisegeln und die sich hier draußen, fernab von allem tummeln. Die Spitze einer Front, die Regen und guten Wind verhieß. Jetzt der Mond hinter seiner Wolkenbank, der mich tiefer Schwärze zurücklässt. Alles, was ich gerade wissen muss, erfahre ich in diesem Augenblick nicht aus dem Internet, sondern aus der Weite, die mich umgibt.
Ich blicke kurz nach vorn. In der Dunkelheit voraus etwas rechts hinter der Kimm ein schwindender roter Schein. Noch so ein kleines Schiff wie meines auch. Freude erfast mich kurz, noch jemanden zu treffen hier draussen, der es nicht aushielt daheim, den es hinauszog wie mich. Es ist so klein, dass selbst mein Radar, das zur Sicherheit nachts immer mitläuft und 20, 30 Kilometer oben von meinem Mast aus für mich Ausschau hält nach Dingen, mit denen ich in der tiefen Dunkleheit kollidieren könnte, es noch nicht erfasst hat. Einen Monent lang sehe ich den roten Schemen. Was tut der Skipper um diese Tageszeit hier draussen? Wohin fährt er? Was bewegt ihn? Hat er jetzt um diese Nachtzeit ähnliche Gedanken wie ich? Dann wird das Licht dünner und dünner, bis die Schwärze es verschluckt hat und mich wieder allein zurücklässt.
Müdigkeit überfällt mich, urplötzlich, wie aus einem Eimer mir ausgekippt. Meine Lider brennen, meinen Arm zu heben oder die Pupillen so scharf zu stellen, dass sie in der Dunkelheit diese Zeilen lesen können, kostet Kraft und Überwindung. Doch ich muss wachbleiben. Auch wenn Levje sich selbst auf dem eingegebenen Kurs hält, kann ich es mir hier so wenig wie am Steuer eines Autos leisten, dem Wunsch nach Schlaf nachzugeben plötzlich einfach einzunicken. Der Wunsch, im Brummen des Motors einfach nach unten zu gehen, das zugige Cockpit gegen die Wärme meines Bettzeugs einzutauschen und meinen Platz vor den Instrumenten zu verlassen, ist übermächtig.
Das Meer. Die Nacht. Die Müdigkeit. Vor mir nur die Instrumente und rechts das kreisende Radar, das Ausschau hält.
Ein Uhr. Ich prüfe mit einem raschen Blick, ob Levje noch den eingegebenen Kurs steuert. Dann ein kurzer Blick auf die Instrumente vor mir. Und auf den schwarzen Bildschirm des Radars-Bildschirms, der meine ganze Existenz auf einen kleinen gelben Punkt in der Bildschirmmitte reduziert. Der gelbe Punkt darauf bin also ich. Und rund um den kleinen gelben Punkt nichts anderes als 20 Kilometer im Umkreis gähnende Schwärze. Nichts und niemand. Kein Mensch, kein Schiff. Wie weit, wohin müsste ich gehen in dem Land, das ich meine Heimat nenne, um das zu finden: In einem Kreis von 40 Kilometern Durchmesser keine Menschenseele, niemand anderes, nur mein Schiff allein.
Um die Müdigkeit zu vertreibe, stehe ich kurz auf und werfe einen Blick nach vorne in die Schwärze. Kalter Fahrtwind streicht mir über die Wangen. Obwohl es auf den Juni zugeht, ist es gerade nicht warm im Mittelmeer. Der Nordwind bringt kalte trockene Luft, es gibt keine Hauswand, keinen Baum, der die Kühle von mir abhalten könnte. Ich sehe vor mir das grüne Licht der Positionslaterne am Bug, die anderen Schiffen anzeigt, welchen Kurs wir steuern. Hinter dem schwachen grünen Lichtschein endet meine Welt. Jedenfalls die, die ich wahrnehmen, erkennen kann. Aus tiefer Schwärze kommend gleitet Levje hinein in die Schwärze, die mich umfängt. Anders als in einem Auto sehe ich nichts, rein gar nichts, wohin wir jetzt in eben diesem Augenblick gleiten. Ich sehe noch das Vorsegel und das rotgrün des Positionslichts, doch vor uns nichts mehr. Hier endet meine Welt. Ich muss darauf vertrauen, dass uns nichts in die Quere kommt. Kein Schiff, das plötzlich auf Kollisionskurs ist und keiner, der auf der Brücke Wache hält wie ich oder wie Sven, der unten schläft. Kein treibender Baumstamm wie in manchen Winternächten, in denen ich auf der nördlichen Adria unterwegs war. Kein scharfkantiger Container, der knapp unter der Meeresoberfläche träge driftet. Ich schaue eine Weile in die Dunkelheit, doch als der kalte Fahrtwind meinen Nacken auskühlt, ziehe ich mich wieder unter die schützende Sprayhood zurück. Ich muss meinem Schiff vertrauen. Auch das lehrt das Reisen auf einem Boot.
Plötzlich unterbricht ein durchdringender Piepton das monotone Brummen des Motors und das gleichmässige Rauschen entlang der Bordwand. Ein nerviges Piep-Piep-Piep, das nicht enden will. Eine Warnung vom Motor? Nein. Es scheint alles in Ordnung. Eine Warnung vom Radar? Tatsächlich. Da hat sich aus Norden ein kleiner Lichtpunkt angeschlichen, der auf meinen gelben Punkt in der Mitte des Bildschirms zustrebt. Ich lösche den nervigen Piepton. Danach spähe ich in die Dunkelheit vor mir. Tatsächlich. Halblinks von Levjes Kurs erkenne ich ein schwaches rotes Licht. Und darüber ein weißes. Offensichtlich ein Segler auf Gegenkurs. Er ist noch ein Stück weit enntfernt. Auf dem Radar habe ich einen Kreis von 6 Seemeilen Durchmesser , also 11 Kilometern gezogen. Wen irgendetwas in diesen Kreis eindringt, das sich einigermaßen über die Wasseroberfläche erhebt, ertönt eben jener nervige Piepton. Das ist eine sinnvolle Einrichtung. Die Route, auf der ich unterwegs bin, ist zwar kein vielbefahrener Dampfertrack, aber jeder Segler, jeder Motorbootfahrer, der zwischen Menorca und Sardinien unterwegs ist, wird mehr oder weniger auf meinem Trampelpfad unterwegs sein. Ich beobachte den näherkommenden Segler. Es muss ein kleines Segelschiff sein, denn eifrig nickt der Mast in der Welle, als er uns in etwa 50 Metern Abstand passiert.
Und während das Schiff an uns vorbeigleitet, entdecke ich, dass über uns die Wolkendecke aufgerissen ist und die Sterne sich zeigen. Wir sind unterwegs Richtung Mallorca doch ich entdecke, dass wir eben die Milchstraße mit ihren Milliarden Sternen durchquerten. Wenn wir uns von A nach B bewegen, denken wir nur daran, eben von A nach B zu kommen. Und vergessen doch, dass jede Fahrt, und selbst die allerkleinste Stadtfahrt, eine Reise durch ein anderes Universum sein könnte, wenn wir denn nur die Augen hätten, genau das zu sehen.
Eineinhalb Stunden später, meine Uhr zeigt vor meinen übermüdeten Augen halb vier. Die windstille Nacht hat einem Wind genau von Vorne Platz gemacht. Er nimmt zu. Leichter Regen setzt ein. Mein übermüdetes Gehirn mahlt Gedanken: Weiter unter Motor gegen den Wind anboxen? Noch geht das. Es hat etwa 10 Knoten, doch er nimmt zu. Ich spüre, wie wir Fahrt verlieren, nicht viel, doch merklich. Was wäre die Alternative: Segel setzen? In mühsamem Zickzack gegen den Wind Richtung Menorca aufzukreuzen, um weiter an Mallorca heranzukommen? Das alles in übermüdetem Zustand. Nein. Ich will mich jetzt nicht bewegen.
Der Regen wird stärker. Was nicht weiter schlimm ist. Sicht hatte ich ohnehin keine. Doch die Sprayhood, unter der ich sitze, ist nicht ganz regendicht. Wasser vom prasselnden Regen tropft aufs Radargerät, fällt neben dem iPAD in dicken Tropfen herunter, tropft mir langsam in den nassen Kragen, wenn ich nicht passgenau mir einen Platz zwischen den fallenden Tropfen suche. Der Wind nimmt jetzt deutlich zu, in Spitzen haben wir jetzt über 15 Knoten gegen uns, unsere Geschwindigkeit sinkt, die See wird hackiger. Kein Spaß für Sven, der unten im Bug schläft und der jetzt wie im Schleudersitz dauernd auf und ab fährt. Ich muss was tun. Segel setzen? Aufkreuzen? Noch zögere ich. Wenn der Wind in den nächsten 10 Minuten zunimmt, gibts keine andere Wahl. Also warte ich. Plötzlich meldet sich das iPAD ab. Damit ist meine Navigation futsch. Auch das ist Segeln: Das sich in kritischen Momenten der Stress gleich durch mehrere Faktoren gleichzeitig nicht linear, sondern exponentiell steigert. Ich hole mein Smartphone aus der Jacke, denn dort habe ich die Navigationssoftware samt meinen Kurs vorsichtshalber ebenfalls gespeichert. Kein Problem also, soweit. Wenn nur die 15 Knoten und der prasselnde Regen nicht wären.
Nach einer Weile, in der ich im Starkregen den Leuchtturm Menorcas aus den Augen verlor, lässt das Geprassel nach. Der Wind beruhigt sich auf unter 8 Knoten. LEVJE schnürt wieder dahin, als wäre nichts gewesen. Als der Regenmorgen die Dämmerung bringt, sehe ich vor mir unter den Wolkenbänken die Südostküste Mallorcas. Wir sind da. Nach dreieinhalb Tagen fast am Ziel.
An diesem Beitrag schreibe ich seit mehr als 2 Wochen. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich die Überschrift geändert habe und was ich alles schon geschrieben und dann doch wieder verworfen habe. Immer wieder dachte ich: Komm, warte noch mit dem Beitrag, vielleicht ist das alles nur hier so, vielleicht wird es besser…
Jetzt fange ich wieder von vorne an und bin richtig traurig, wenn ich an Rumänien zurückdenke. Rumänien, ein Land mit enormen Kontrasten.
Am Tag als ich ankam, fiel es mir schwer, die Gleichgültigkeit mancher Menschen zu akzeptieren. Und genauso habe ich an diesem ersten Tag wiederum unglaublich nette und hilfsbereite Menschen getroffen.
Seemeilen und die Fahrten mit Nomade durch Rumänien sind für mich mittlerweile fast bedeutungslos. Ich hatte in diesem Beitrag, wie so oft, den ein oder anderen Törn beschrieben, aber mittlerweile wieder gelöscht. Die Törns sind unwichtig geworden. Die Begegnungen in Rumänien sind es, um die es diesmal gehen soll.
Die erste „Begegnung“ gab es ein paar Seemeilen vor der Grenze per Seefunk. Da wurde alles, was man in Rumänien bereits von Nomade wusste, nochmals abgefragt. Die zweite Begegnung war das „Abfangmanöver“ der Küstenwache, die ausgerückt ist, um Nomade zur Grenzpolizei zu eskortieren. Sehr freundlich, aber aus meiner Sicht ein wenig übertrieben. Die Bulgarische Grenzpolizei hatte Nomade ja bereits für den Nachmittag bei der Rumänischen angekündigt.
Grenzpolizei und Zoll dann sehr freundlich. Anschließend ging es zum Hafenkapitän, danach zum Sicherheitsdienst und danach hätte eigentlich der Hafenverwalter zu Nomade kommen sollen. Der hatte allerdings keine Lust…
Und so war ich schließlich, nach einem kleinen Papierkrieg, offiziell in Rumänien, in dem mittelgroßen Ort Mangalia und mir wurde freundlich aber bestimmt klar gemacht, dass ich diesen Hafen mit Nomade erst dann wieder verlassen darf, wenn ich bei Hafenkapitän und Grenzpolizei ordentlich ausklariert habe, für eine Fahrt innerhalb der Landesgrenzen, wohlgemerkt!
Einen Schlüssel für den das Tor zum Ponton habe ich nicht bekommen und nachdem ich am nächsten Tag zum zweiten Mal eingeschlossen war und mir zum ersten Mal 2018 der Kragen leicht geplatzt ist, weil der Hafenverwalter (O-Ton: „Ich bin eigentlich nur zum kassieren hier! Ha! Ha! Ha!“), sich einen Dreck für irgendetwas interessiert hat, hatte ich Hoffnung. Denn die Beschwerde beim Hafenkapitän hatte gezogen. Dachte ich…
Hat sie nicht, merkte ich…
36 Stunden nachdem ich den zugesicherten Schlüssel nun doch hätte bekommen sollen, hatte ich immer noch keinen und habe Mangalia (nach einem weiteren kleinen Papierkrieg) wieder verlassen.
Ich hatte Glück und war nur 3 Mal auf dem Ponton eingeschlossen. Andere wurden in der Dusche eingesperrt.
Mir ging es verdammt gut in Mangalia, im Vergleich zu den halbtoten Streunern vor der Wache der Grenzpolizei und mir ging es blendend, im Vergleich zu dem verwahrlosten Kind, welches vor dem verrammelten Tor der städtischen Marina seine dreckigen Klamotten im Salzwasser gewaschen hat, während dahinter auf dem Ponton ganze DREI Tage ununterbrochen das Süßwasser aus einem defekten Wasserhahn lief.
„Ich bin eigentlich nur zum kassieren hier! Ha Ha Ha!“
Ich hätte ihn am liebsten…
Insgesamt 128 Liter Diesel habe ich in der Zeit in Mangalia mit dem Fahrrad von der Tankstelle angekarrt. Eine andere praktikable Lösung gab es nicht. Aber sie tat gut, diese körperliche Ertüchtigung. Damit habe ich mir einen Teil der angestauten Wut auf den Typen abgeradelt.
Also weiter!
Achso, zur Grenzpolizei musste ich plötzlich doch nicht mehr. Keine Ahnung warum. Eine andere Yacht musste, ich nicht. Zu mir ist die Beamtin mit dem Auto gekommen und wollte nur mein Einklarierungspapier sehen.
Ich war allerdings nicht im Besitz eines Einklarierungspapiers! Ich hatte mich selbst darüber gewundert und die Beamten bei meiner Ankunft gefragt, ob ich denn nicht auch irgendwas schriftlich bekomme? „NO“ war die knappe Antwort.
Genauso knapp war meine Antwort an diesem Morgen ebenfalls.
Ratlosigkeit hing in der Luft und drei belanglose Fragen später durfte ich Ablegen.
Unterm Strich wurde extrem viel Wirbel um die Ankunft und das Ablegen von Nomade gemacht. Telefonate wurden geführt, Aktenordner gefüllt und man hatte das Gefühl ein russischer Flugzeugträger läuft ein. Der „Witz“ an der ganzen Sache ist: Nomade wurde nicht ein einziges Mal in Augenschein genommen.
Zoll: „Do you have weapons on bord?“
Nico: „No.“
Zoll: „Ok.“
Springen wir nach Constanta. Anmelden bei Grenzpolizei: 5 Minuten und völlig problemlos. Kein Papierkrieg.
In Constanta habe ich nach meiner Ankunft noch einmal ganz kurz die Segelyacht Sharlyn mit Graham, Yana, Mikhail und Oleg getroffen.
Die S/Y Sharlyn segelt von der Donau zur Wolga. Eine besondere Reise, die noch nie zuvor eine Yacht unter britischer Flagge gemacht hat.
Leider hatten wir kaum Zeit uns länger zu unterhalten. Die Crew der Sharlyn musste Papierkram erledigen und auch ich hing nach der kurzen Polizeikontrolle länger fest. Diesmal im Büro des Yachthafens. Noch nie zuvor habe ich für die Übernachtung in einem Yachthafen ähnlich viele Unterschriften leisten müssen. Eine halbe Stunde hat das Prozedere gedauert, bis ich endlich meine Gebühr entrichten durfte.
Diesel konnte ich dann auch noch besorgen. Diesmal zusammen mit einem Mitarbeiter des Hafens, der mich mit dem Auto zur Tankstelle gefahren und mir die Kanister geliehen hat. Man hat mir das Gefühl vermittelt, das wäre eine Art Service des Yachthafens, bzw. ein Freundschaftsdienst.
Eine Stunde später war ich 40€ (schwarz) für den „Freundschaftsdienst“ los!
Dann kam Doru vorbei.
Doru ist der Kapitän des SAR Schiffes in Constanta. Ein unglaublich netter Kerl, der für viel zu wenig Geld sein Leben riskiert, um andere auf hoher See zu retten.
Ich habe lange mit ihm gequatscht, durfte mir das Schiff anschauen. Ein Finnisches Rettungsboot aus Aluminium mit Jet Antrieb. Sehr schwer zu steuern und durch das geringe Gewicht sehr ungemütlich in schwerer See.
„Bis 6m Wellenhöhe geht es.“
Man merkt Doru an, dass er viel da draussen erlebt hat. Keiner der groß auftischt, wie krass die See doch ist. Ganz leise erzählt er davon.
Am nächsten morgen verabschiede ich mich von ihm und bin mir ziemlich sicher, einem richtigen Helden begegnet zu sein!
Als die Leinen schon fast los sind, kommt Doru nochmal schnell zu mir, drückt mir einen Zettel mit seiner Telefonnummer in die Hand und sagt: „Wenn die an der Schleuse Probleme machen, sag, du kennst Doru. Dann wissen sie schon bescheid!“ „Und falls was ist, ruf mich an!“
Danach fahre ich ein letztes Mal übers Schwarze Meer und an diesem Tag ist es ein bisschen anders. Ein bisschen dunkler als an den Tagen davor. Die Wolken hängen tief und ein letztes Mal kommen Delfine vorbei, wie an jedem Tag in diesem noch so unerforschten Meer. Ich hatte riesiges Glück im Schwarzmeer. Ein solches Wetterfenster gibt es nicht oft im Jahr.
Aber ich fühle mich etwas merkwürdig. Weil ich so hier durchgehetzt bin. „Einmal im Leben durchs Schwarze Meer segeln“ das war vor ein paar Monaten so ein Gedanke, der ab und zu mal hochkam.
Nachdem das Schleusentor in Constanta hinter mir zu ging dachte ich: „Noch einmal im Leben durchs Schwarze Meer segeln!“
Die Schleuse hat keine Probleme gemacht. Es war das typisch rumänische, freundliche Durcheinander, mehr nicht.
Achso, jetzt hätte ich fast etwas vergessen. Geweckt wurde ich an diesem Morgen von der Grenzpolizei. Der Beamte wollte mich aus dem Hafen ausklarieren, was mir prinzipiell ja ganz Recht war. So konnte ich mir den Gang zum Container sparen.
Genutzt hatte es trotzdem nicht viel, denn nach dem Ablegen wurde ich von den Kollegen auf dem Boot der Küstenwache gestoppt. „Wo wollen Sie denn hin?!“
„Na zum Kanal, ich hab doch gerade bei ihrem Kollegen ausklariert!“
„Davon wissen wir nichts!?“
Überspringen wir den Scheiß, ich breche sonst!
Also, ich war jetzt im Donau-Schwarzmeer-Kanal. Am Abend war ich in der Donau und wollte nach Bulgarien Ausklarieren.
Am Zollponton in Cernavoda lag ein Kreuzfahrtschiff. Also bin ich zum Anleger der Grenzpolizei gefahren und wollte wissen, was ich nun machen soll. Ratlosigkeit machte sich breit. Nach Ratlosigkeit wurde telefoniert und irgendwann beschlossen, dass ich am besten nach Calarasi weiterfahre und dort ausklariere.
Also bin ich ein paar Kilometer die Donau hoch gefahren und habe den Haken an einem offiziellen Ankerplatz geworfen. Diese Ankerplätze sind in Karten und mit Schildern am Ufer entsprechend gekennzeichnet und haben eine ausreichende Wassertiefe. Gerade für die erste Nacht im Fluss wollte ich keine Experimente machen.
Ich war zufrieden an diesem Platz.
Leider nur etwa eine Stunde lang. Als ich bereits in der Koje lag, schreit draußen jemand herum. Zwei Fischerboote umkreisen Nomade und verjagen mich schließlich lautstark. Sie wollen genau hier ihre Netze auswerfen und ich soll 500m weiter ankern. Ich hab sie zwar kaum verstanden, „Hau ab hier!“ klingt aber in jeder Sprache ungefähr gleich.
Diskutiert habe ich nicht, dafür waren mir die Kerle zu suspekt. Zum einen war ich deutlich in der Unterzahl und zum anderen passte irgendwie nichts logisch zusammen. Die halb verrotteten Holzboote, die Zahnlücken, die dreckigen Klamotten und die glänzenden Mercury und Honda Motoren am Heck, die dem Gegenwert von Nomade entsprachen.
Das erste was ich gedacht habe war: „Jetzt weiß ich wo die Außenborder sind, die in Berlin Nachts heimlich abgeschraubt werden.“
Geschlafen hab ich nach dem Wechsel des Ankerplatzes trotzdem gut, ich war einfach zu müde für Sorgen machen an dem Abend.
Springen wir nach Calarasi zum Ausklarieren:
Hier erwartet mich ein sehr netter Grenzpolizist, der mich längsseits gehen lässt und die Leinen annimmt. Wir plaudern eine Weile, während wir auf den Zoll warten. Er ist etwa so alt wie ich und hat einen Hund mit an Bord. Einen kleinen wuschigen Mischling. Kein Polizeihund, sein eigener ist es. 18 Jahre ist er bei der Grenzpolizei und keiner weiß was ist, wenn Rumänien und Bulgarien zum Schengen-Raum dazu kommen und die Grenzen geöffnet werden. Vielleicht braucht man ihn dann nicht mehr?
Eine Stunde später bin ich wieder in Bulgarien, zum Einklarieren auf der anderen Seite der Donau, die über einige hundert Kilometer die Grenze beider Staaten bildet.
Wie das in Bulgarien lief, beschreibe ich im nächsten Beitrag. Heute geht es nur um Rumänien und deshalb springen wir ein paar Tage und einige hundert Kilometer in die Zukunft, nach Calafat.
Nein, Stopp! Da war noch etwas, kurz vor Calafat! Vor der ersten Kurve nach Norden habe ich an einem der abgelegendsten Ankerplätze irgendwo in der Großen Walachei übernachtet. Ich lag bereits lange in der Koje und es war schon dunkel, als ich gehört habe, wie ein Schiff immer näher kam. Dann wurde es hell in der Kajüte, ein Scheinwerfer wurde auf uns gerichtet. Ich bin ziemlich schnell an Deck geflitzt, da lag neben mir die Rumänische Grenzpolizei: „Alles ok bei dir?“
„Ähm, ja, alles ok. Wollen Sie meine Papiere sehen?“
„Nein, wir wissen wer du bist. Wir wollten nur fragen, ob alles ok ist, oder ob du Hilfe brauchst.“
„Ah, ok, danke, aber hier ist alle ok. Ich schlafe nur ein paar Stunden, dann fahre ich weiter nach Calafat.“
In Calafat wollte ich von der Bulgarischen noch einmal kurz auf die Rumänische Seite wechseln. Dafür gab es einen guten Grund, denn ein paar Meilen weiter sollte es laut den letzten verlässlichen Infos die erste Bootstankstelle im Fluss geben. Also bin ich in Calafat an den Anleger des Hafenamts, um noch einmal Einzureisen.
Der Hafenmeister war super hilfsbereit und hat mir die Pontongebühr komplett erlassen, weil sie keine Preisstruktur für Yachten haben. Es gab also nur eine Möglichkeit: Entweder er berechnet ein Passagierschiff (40€ für die ersten 4 Stunden und jede weitere Stunde 5€) oder eben nichts.
Dann sind wir zusammen zur Wache gelaufen. Vorbei an gut einem Dutzend armer Streuner, zu einer verwahrlosten Hütte. Hier sollte ich warten, er ruft die Beamten an und die kommen dann hier her.
Wer auf „Lost Places“ steht, sollte unbedingt nach Rumänien kommen. An diesem Platz hätte man Filme drehen können und das Set wäre bereits perfekt gewesen, für Horrorfilme.
Wenige Minuten später das Groteske. Da kommen zwei schick uniformierte Beamte, in einem ziemlich neuen VW Passat (die teure Polizeiversion) und gehen mit mir in diese Bruchbude, in der ein geflickter Ohrensessel und ein uralter Röhrenfernseher steht. Die Wache der Grenzpolizei, die sonst niemand zu sehen bekommt. Als erstes zeigt mir der gut gelaunte Beamte ein Holzstäbchen. Es sah aus wie die Holzstäbchen, die man aus dem Chinarestaurant kennt. Er wedelt damit vor meiner Nase herum, lacht, und faselt was von „Romanian remote control“.
Ich peile überhaupt nichts und stehe nur achselzuckend da. Dann zeigt er auf die Glotze und schiebt den Holzstab unten in den Fernseher rein. Knöpfe hat die Kiste keine mehr. Er kniet davor, stochert herum und redet mit dem Gerät. Ich denke mal er sagte sowas wie: „Komm schon… na los…“
Nach ein paar Sekunden *brzlt* es, er lacht und die Kiste springt an! Bild ist noch keines da, aber immerhin Ton.
Bild kommt in ein, zwei Minuten, meint er zu mir.
Dann schaut er sich meine Papiere an und schickt mich zurück zum Boot. Er will alles fertig machen und dann vorbeikommen.
Eine halbe Stunde später (ich habe so lange mit dem Hafenmeister geplaudert) ist der Beamte auf dem Ponton. Er ruft schon von weitem laut und gutgelaunt: „Nico! Ich hab deine Papiere fertig!“
Diesmal bekomme ich sogar ein richtiges Einklarierungsformular.
Zwei Tage später klariere ich in Turnu Severin wieder aus. Die ganze Aktion war sinnlos, denn der Yachtponton mit seinen 16 Liegeplätzen und der Tankstelle wurde von einem Tanker blockiert. Ja, ein Tanker, kein Frachter und der Tanker war nicht dort um die Tankstelle zu betanken.
Immerhin, ich konnte bei der Werft daneben festmachen und der Werftchef war enorm hilfsbereit. Ich durfte die private Dusche in dem Gebäude nutzen, habe Wasser bekommen und lag dort wirklich zum Freundschaftspreis.
Ausklarieren lief dann so ab:
Ich bin am Vorabend die 2 Kilometer zur Wache gelaufen, um zu fragen, wo ich mit Nomade hin soll. Antwort: „Sie bleiben bei der Werft, denn der Zollponton ist nur für große Schiffe vorgesehen. Kommen Sie morgen früh zu Fuss hier hin.“
Also bin ich am nächsten Morgen wieder zur Wache gelaufen. Diesmal hat man mich gefragt, wieso ich nicht mit dem Boot zum Zollponton gekommen bin!?
Ruhig bleiben…
Aber alles kein Problem, man wollte die Papiere fertig machen und dann zusammen mit mir zu Nomade fahren. Ich hatte mich schon auf das Taxi gefreut, aber daraus wurde nichts, denn nachdem der Papierkram erledigt war, hat sich heraus gestellt, dass der Polizist gerade kein Auto hat.
Wir sind trotzdem gemeinsam langsam losgelaufen und hier habe ich einen Fehler gemacht. Der Mann fragte mich: „Wie weit ist das etwa, bis dort wo sie liegen?“
Nico: „Ziemlich genau 2 Kilometer, wir laufen also etwa 20 Minuten.“
Polizist: „Oh, das ist aber ganz schön weit und ich muss ja auch wieder zurück laufen.“
Kurze Pause…
Polizist: „Ach, wissen sie was, kommen sie einfach mit dem Boot zum Zollponton, ich sorge auch dafür das nichts berechnet wird.“
Also, hab ich den 8. Kilometer zu Fuß voll gemacht, bin mit Nomade zum Zollponton und habe dort meine Papiere bekommen.
Das wars. Das war Rumänien.
Ich habe Rumänien zu einem großen Teil auf diversen Wachen kennengelernt. Nomade wurde in der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal von einem rumänischen Offiziellen betreten. Viel Wirbel um nichts.
Was ich gesehen habe ist ein Land, welches (leider) in weiten Teilen seinem Klischee entspricht. Prunkbauten stehen gleich neben ärmsten Plattenbausiedlungen. Den Streunern geht es deutlich schlechter als in Griechenland und hier gibt es kaum noch junge Menschen, die das Land aufbauen könnten.
Rumänien ist also im Moment nicht nur ein Problemkind der EU, die EU bringt auch (noch) große Nachteile für Rumänien selbst mit. Der Werftchef in Turnu Severin findet kaum noch Leute, die für ihn arbeiten, obwohl er schon wesentlich mehr zahlt, als üblich und für seine Arbeitnehmer ein wirklich erstklassiges Umfeld geschaffen hat, inklusive einem Aufenthaltsraum mit moderner Küche und sanitären Anlagen mit Duschen.
Die Menschen waren bis auf wenige Ausnahmen sehr freundlich zu mir, vor allem die Beamten. Sie entsprachen überhaupt nicht dem Klischee. Bakschich wurde niemals erwartet und als ich die Hafengebühr in Constanta aufrunden wollte, hat man stolz abgelehnt.
Aus meiner Sicht hat Rumänien noch nicht die Nachwirkungen der langen Diktatur überwunden.
Umso erstaunlicher ist es, dass ich einmal mit jemandem gesprochen habe, der dieser Ära auch heute noch nachtrauert. „Unter Ceaușescu ging es mir besser!“
Die Betonung liegt auf „mir“.
Millionen Menschen haben schwer gelitten unter dem Mann, den man am ersten Weihnachtstag 1989 als letzten Menschen in Rumänien kurz nach dem Volksaufstand zusammen mit seiner Frau hingerichtet hat. Kinder sind in Gulags gestorben, auch in den 90ern noch, das Volk hatte nichts zu essen.
Und auch heute gibt es sie noch in Rumänien, die verwahrlosten Kinder auf den Strassen, die um Essen oder Geld betteln müssen. Nicht an jedem Ort, aber vor allem in Constanta sind mir mehrere verarmte Kinder begegnet.
Die Menschen in Rumänien tun mir Leid. Sie können zu einem großen Teil nichts für den schlechten Zustand des Landes. Hier gab es kaum die Hilfen, die andere Ostblockländer nach 1989 bekommen haben. Rumänien war zu weit weg und der Zustand des Landes zu schlecht, als dass man Hoffnung hatte.
Ich denke nicht, dass Rumänien ein hoffnungsloser Fall ist, aber es wird noch sehr lange dauern, bis hier wirklich alles in Ordnung ist.