An Europas Küsten (1): Mein Segelprojekt in diesem Jahr. Der Aufbruch.
Mein jüngstes Buch DIE VERGESSENEN INSELN ist nach über drei Jahren Arbeit
im vor wenigen Wochen endlich erschienen. Weil ich reisen und unterwegs sein will,
stürze ich mich in mein nächstes großes Buchprojekt, das mich um die Westküste Europas mindestens bis in die Bretagne führen soll. Unter dem Titel AN EUROPAS KÜSTEN werde ich in den kommenden 6-7 Monaten von dem berichten, was mir in diesem Sommer auf meinem fast 4.000 Kilometer langen Weg um die Süd- und Westküste Europas alles begegnet.
Wenn der Westwind weht wie hier Mitte April im Westen Mallorcas vor Palma, dann ist an Segeln in diese Richtung nicht zu denken.
Eigentlich sollte es schon viel früher losgehen. Anfang April wollte ich von Sizilien auf meinem Schiff nach Westen aufbrechen, auf direktem Weg Richtung Sardinien und Balearen. Doch es war, wie häufig in den letzten Jahren. Der Winter ist – was seine Stürme angeht – fast eine freundliche Jahreszeit. Die Zeit des Übergangs ist die schwierige – und kaum war das Frühjahr da, fegten die Frühjahrsstürme los. Einer von ihnen ist der Mistral, der nicht nur lokal durch das Rhonedelta und hinaus in den Löwengolf weht, er beeinflusst das Wettergeschehen von Südfrankreich über Balearen, Korsika, Sardinien die Westküste Italiens bis hinunter nach Sizilien.
Und wenn nicht gerade der Mistral entlang der Südküste Siziliens wehte, dann war es der Scirocco, der einmal die Woche roten Regen voller Saharastaub über Sciacca stürmisch auskippte. Oder sein gewalttätiger Bruder, der Libeccio, der selten, doch wenn, dann hart weht und hohe Wellen aus Südwest in den ungeschützt daliegenden Hafen von Sciacca treibt. So sehr ich auch jeden Tage die Wetterkarten studierte, um eine geeignetes 5-Tage dauerndes Wetterfenster für die ebenso lang dauernde Überfahrt von Sizilien nach Mallorca zu finden: so sehr änderte sich das Wetter gleich wieder nach zwei Tagen. Es blieb blieb mürrisch und launisch und trüb und instabil und änderte sich alle zwei Tage. Ich saß daheim in Iffeldorf, ließ mindestens zwei, drei Flugtickets verfallen, es half alles nichts.
Doch vergangenen Freitag kündigten die Wetterberichte eine einwöchige Ost- und Schwachwindphase an – zum ersten Mal seit 6 Wochen. Ich schnappte mir meinen Seesack, der gepackt im Keller wartete, flog nach Sciacca, ließ das Boot in der Werft ins Wasser und verließ am vergangenen Donnerstag kurz nach 7 Abends zusammen mit Sven den Hafen. Wir wollten die Strecke Sizilien-Balearen direkt segeln – es sind etwa 450 Seemeilen – etwa 800 Kilometer. Es war die Tage schön gewesen, in Sciacca, doch kaum waren wir aus dem Hafen, zogen Regenwolken auf.
Ich mag den Regen beim Segeln. Doch vielleicht ist das leicht gesagt, ich kenne nur den Mittelmeer- und nicht den Nordsee- oder Ostseeregen, der 14 Tage einen Urlaubstörn verhageln kann. Im Mittelmeer ändert sich das Wetter nach einem Tag, und meist ist Regen hier etwas, was man sich herbeiwünscht, um der trockenen Landschaft etwas Feuchtigkeit zu spenden. Regensegeltage im Mittelmeer: Eine leises Tröpfeln, das auch die letzten Wellen auf der Meeresoberfläche plattdrischt. Ein konstantes Lüftchen mit 4 Windstärken, das Levje wie auf Schienen gleiten lässt: So kam die mondlose Nacht mit leichtem Regen, ich ließ Levje laufen und passte bis 2 Uhr morgens auf, bis Sven mich ablöste und bis 6 Uhr morgens das Schiff steuerte.
Als ich ihn am Morgen ablöste, lag Marettimo, die letzte und unnahbarste der Inselgruppe ganz im Westen Siziliens, querab im bleigrau. Von hier ab für 200 Seemeilen bis Sardinien nichts mehr. Der angekündigte Nordost setzte gleich hinter Marettimo ein und trieb Levje für 28 Stunden mit halbem Wind nach Westen. Segeln, das habe ich erst viel zu spät begriffen, hat viel mit Warten können zu tun, mit Zeit haben. Und auf den richtigen Moment warten, in dem der Wind, egal ob im Hafenmanöver oder auf einem langen Schlag, Dir einfach hilft, Dein Ziel zu erreichen. Doch wer kann schon warten, wenn er nur 14 Tage Zeit hat, weil eben jetzt der Urlaub ist und man genau jetzt eben segeln will.
Vor dem Aufbruch zu dieser Reise habe ich mich wochenlang vorher immer wieder gefragt: Warum tue ich das? Und was finde ich da draußen?
Eine mögliche Antwort steckt in dem Foto dort oben. Betrachten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, es genau. Es ist wenig darauf zu sehen. Es zeigt eine x-beliebige Stelle irgendwo auf dem 350 Kilometer langen Strecke zwischen Sizilien und Sardinien. Können Sie sagen, was Sie dabei empfinden?
Die meisten Menschen werden beim Anblick dieses Stück Meeres an einem Regentag nicht viel anderes empfinden als Trostlosigkeit und Leere. Damit sind Sie nicht allein, den meisten Menschen wird es so gehen.
Für mich steckt etwas anderes darin. Es war am Morgen. Ich war allein an Deck. Sven hatte wachfrei und schlief. Ich wanderte, fasziniert von dem was ich sah, auf dem Schiff herum zum Vorstag. Ich beobachtete die Seevögel, die nur wenige Zentimeter über die Wasseroberfläche durch die Wellentäler glitten, weit weit entfernt vom nächsten Festland. Ich sah die lange Wolke, auf die wir zuglitten und aus der nach oben bösartige Krallen ragten, weil sie Regen und Wind brachte. Ich hätte stundenlang weiter am Vorstag so stehen und fasziniert schauen mögen in dem Wissen, genau in dieser Trostlosigkeit und Leere dieses Ortes irgendetwas Wahres, Tröstliches wieder und wieder zu finden, etwas, was die 1.000 Waagen, die in meinem Inneren beständig in Bewegung, in Unordnung sind und pausenlos und ohne Unterlass wiegen und wägen, urplötzlich in ein Gleichgewicht bringt.
Vielleicht ist darum dieser Ort, der niemals einen Namen tragen wird, so wichtig. Für mich. Aber auch für viele, viele andere Menschen.
Ich freue mich, wenn Sie mich auf marepiu auf dieser Reise wieder begleiten.