Kategorie: Blogs

Eine Erfolgsgeschichte

Erinnert ihr euch noch an die drei Welpen, die ich im Juni in Argostoli im Hafen gefunden und zur ARK gebracht habe? Damals waren sie etwa 7 Wochen alt. Einfach weggeworfen, wie Müll, so wie es leider jeden Tag überall in Griechenland passiert.

Seitdem sind 3 Monate vergangen und die drei Kleinen sind gut gewachsen. So sahen sie damals aus, kurz nachdem man sie ausgesetzt hatte:



Die Schwarze mit dem langen Fell hört heute auf den Namen Galini und wurde von Antje aus Süddeutschland adoptiert. Antje ist bereits im Juli selbst nach Kefalonia geflogen und hat Galini mit zu sich nach Hause genommen. Die Kleine hat den Flug gut überstanden und sich wunderbar eingelebt. Es geht ihr sehr gut und so sieht sie heute aus:



Der schwarze Welpe mit dem kurzen Fell heißt jetzt Shanti und wohnt seit gut einer Woche bei Susanne & Ronald im Süden Deutschlands. Die beiden hatten den Beitrag über die Findelkinder auf Sonnensegler.net gelesen und sich dann entschieden, ihn zu adoptieren. Shanti ist mit einer Flugpatin von Argostoli nach Amsterdam geflogen und wurde dort von seinen neuen Eltern abgeholt. Folgendes hat mir Susanne geschrieben: „Shanti ist wirklich ein richtig toller Hund: Super sozialisiert und sowohl zu Menschen als auch zu anderen Hunden total freundlich. Das spricht für mich absolut für die super Arbeit in der ARK!“
Und hier zwei Fotos von Shanti mit seinen Eltern:


Der Welpe mit dem weißen Fell ist immer noch in der ARK. Vor zwei Tagen habe ich die Packtaschen am Faltrad mit etwas Futter gefüllt und bin zur ARK geradelt, um ihn zu besuchen. Er hat sich zu einem tollen Junghund entwickelt. Er ist zwar noch hier, aber es dauert nicht mehr lange, dann wird auch er mit einem Flugpaten zu seinen neuen Eltern nach England fliegen!

Damit sind alle drei Findelkinder vermittelt und haben eine Zukunft. Darüber bin ich unendlich froh, denn in den ersten Wochen sah es nicht so aus, als ob sich so schnell Hundeeltern für die drei Welpen finden.
Ich finde es wunderbar, welchen Aufwand Antje, Susanne, Ronald, die ARK und alle Helfer betrieben haben, um den Hunden ein Zuhause zu geben. DANKE!

Und trotzdem bin ich auch traurig. Denn als ich die ARK vor zwei Tagen besucht habe, sind gerade wieder fünf ganz junge Welpen von einer Touristin gebracht worden. Es gibt noch so viele tolle Hunde dort, die ein Zuhause suchen. Zum Beispiel diese hier:

Wenn ihr die ARK unterstützen möchtet, dann schaut mal auf der Website vorbei: Animal Rescue Kefalonia

Und wenn ihr Hundeeltern werden möchtet, dann denkt doch mal darüber nach, einem der Tiere aus dem Heim ein Zuhause zu geben, statt zum Züchter zu gehen. Es gibt so viele tolle Hunde in Tierheimen. Wendet euch bei ernsthaftem Interesse gerne an uns, oder auch direkt an die ARK.

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SV Santana – Jan + Trees van Weeghel NED

HOLLAND – BRASILIEN – CAP HOORN – HAWAII – ALASKA – MEXIKO – AZOREN

Es gibt immer etwas zu erzählen, aber die wirklich schönsten Geschichten sind die, die sprachlos machen, weil sie wortlos über die Augen das Herz und die Seele erreichen.

Ganz so, wie heute morgen, als ich von Thomas Rettenmund, einem Schweizer Segler, den ich nie persönlich getroffen habe, ihm gleichwohl durch lange Mailwechsel mich freundschaftlich verbunden fühle, der sich z.Zt. In Holland aufhält, erfahre, dass Jan und Trees van Weeghel aus Kampen gerade von ihrer 6 Jahre dauernden Reise wieder nach Kampen NL zurückgekehrt sind … und mit ihrer Windpilot Anlage offenbar sehr zufrieden waren. Und sofort geht in meinem Kopf die Lampe an, weil ich mich bestens daran erinnere, wie ich die Beiden im Jahr 2011 auf der SANTANA besucht hatte, um ihre 54 Fuss Koopmans Steuertechnisch auf die Beine zu bekommen, sprich, ihrer Windpilot Pacific Anlage zum Fliegen zu verhelfen.

Nach verschiedenen Mailwechseln, in deren Verlauf wir die Leinenübertragung optimiert haben, die anfänglich falsch herum angeschlagen waren … habe ich Jahre lang nix mehr von den Segler gehört. Bis heute!

Ich habe tausende Blogs mit der Maus befahren, habe Fotos von Schiffen, Landschaften und Tieren Revue passieren lassen … Heute hat in meinem Kopf eine Glocke angeschlagen, weil ich selten eine Ansammlung derart wundervoller Fotos und Eindrücke gesehen habe, wie die Fotos der Reise von Trees und Jan.

Ich habe mich darum entschlossen, nur in Fotos eine ungewöhnliche Reise von Holland – Cabo Verde – Brasilien – Patagonien – Cap Hoorn – Marquesas – Hawai – Alaska – Californien – Mexiko – Panama – Azoren – Holland wiederzugeben und zu verlinken.


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Failté go Eíre – Willkommen in Irland

Nach über einer Woche in Caernarfon sollte sich nun endlich mal eine Wetterbesserung einstellen. Zeit zum Aufbruch. Ich bin richtiggehend froh weiterziehen zu können. Als Stimmungsausgleich dafür ist zunächst mal wieder überhaupt kein Wind. Normalerweise meckert man ja, dass entweder zu viel oder wenig Wind ist. Hier ist entweder zu viel oder gleich gar keiner… Irgendwie wird dieser Sommer immer merkwürdiger.

Während mich die Menai Strait ja noch an die Schlei erinnerte, denke ich bei den Dünen an der Caernarfon Bar, dem Westausgang des Seeweges eher an die Dünen der Nordsee. Ganz falsch ist der Gedanke auch nicht, denn die Barre hat einiges mit den Seegatten der ostfriesischen Inseln gemeinsam. Auch hier ist das ganze schon bei 4-5 Windstärken oft unpassierbar. Heute aber ist es ruhig. Ich lege Kurs auf Irland und warte auf den aufziehenden Wind.
Je weiter ich das Land hinter mir lasse, desto komischer wird das Wetter. Es ist nicht richtig schlecht, aber auch nicht wirklich gut. Die walisischen Berge verschwinden langsam hinter mir und ich mache mich schon mal mit den Karten für Irland vertraut. So vergeht die Überfahrt trotz der über 70 sm schneller als gedacht. Wenn man allein unterwegs ist, hat man irgendwie immer etwas zu tun. Ausguck, Logbuch, Ansteuerung vorbereiten und in die Luft gucken. Selbst zum Lesen komme ich irgendwie kaum.
Dafür beobachte ich das Wasser, und bekomme mal wieder einen Eindruck davon wie schräg die Irische See sein kann. Mitten zwischen Irland und Wales, 30 sm nichts als Wasser in jeder Richtung bilden sich plötzlich überall kleine Stromwirbel. An Kaps und nahe unter Land rechnet man ja damit, aber hier finde ich das irgendwie verwunderlich…

Gegen Abend kommt dann endlich Irland in Sicht. Willkommen in Irland – Fáilte go Eiré. Auf dieses Land habe ich mich ganz besonders gefreut. Ich habe dort mal ein Jahr gewohnt, freue mich also auf Land, Leute, einige alte Freunde und das beste Bier der Welt. Mein erster Hafen, Greystones, ist aber irgendwie nicht so das Gelbe vom Ei. Man möchte dort eine 5* Top Marina bauen. Leider ist das ganze irgendwie noch im Aufbau, kostet aber trotzdem schon den vollen Preis. Dafür lärmen rund um den Hafen die Baumaschinen. Also nach einer nur wenig erholsamen Nacht gleich weiter.

Entlang der irischen Ostküste setzt der Strom ziemlich hart. Um die 3 kn kommen da sicher zusammen. Da stört es mich kaum, dass ich in Richtung Süden kreuzen muss. Mit Strom komme ich auf einen olympiaverdächtigen Wendewinkel mit meiner dicken alten Seekuh und es geht fix voran. Schon am frühen Nachmittag erreiche ich den nächsten Hafen, den alten Seefahrerort Arklow.
Die meisten Gäste machen hier an den langen im Fluß liegenden Stegen fest die zur Marina gehören. Ich schaue mich aber zunächst mal ein wenig um und entdecke einen Schwimmsteg im Fischereibecken. Das wäre doch noch viel uriger! So sehr ich den Komfort einer Marina von Zeit zu Zeit schätze, sind sie in Sachen Flair einem echten Fischereihafen doch immer unterlegen. Kurze Rücksprache mit 2 Fischern: Na klar kann ich hier bleiben, Gäste sind hier immer willkommen. Irland wie es leibt und lebt…


Wann genau hier mit der Fischerei und Schifffahrt begonnen wurde ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich geht der Ort aber schon auf einen Wikingerstützpunkt aus grauer Vorzeit zurück. Der Ort atmet viel Schifffahrtsgeschichte und an jeder Ecke lassen sich einige Spuren aus verschiedenen Epochen entdecken. Trotzdem wirkt alles ein wenig verschlafen und so herrlich irisch unaufgeräumt. Nichts ist für die Touristen, die Arklow meist auf ihren Wegen Richtung Berge oder Westen auslassen zurechtgemacht. Das ermöglicht einen besonders lebendigen Eindruck des Lebens in diesem kleinen Ort. Frachtschifffahrt und Werften gibt es hier nicht so viel wie einst. Fischerei, eine eigene Reederei und die Versorger des nahen Windparks halten die Fahne trotzdem weiter hoch. Von dem Rest erzählt das liebevoll eingerichtete kleine Maritime Museum. Die sind für Segler ja immer so eine Sache: Auf der einen Seite interessieren wir uns naturgemäß für das Meer und seine Geschichten, auf der anderen Seite hält fast jedes Kaff so eine Bude bereit. Da muss ein Museum schon wirklich etwas Besonderes bieten, damit man sich später dran erinnert. Das Museum von Arklow geht fast in der Front eines Einkaufszentrums unter. Kaum hat man es aber betreten, kommt sofort ein fröhlicher älterer Herr auf mich zu und fängt an alles über die Schifffahrt im Ort zu erzählen. Dabei hat jedes einzelne Exponat tatsächlich eine Verbindung zu Arklow. Das macht die Geschichten die hier erzählt werden irgendwie besonders greifbar, und das Museum echt sehenswert.

Nach so viel Kultur mache ich mich aber auf den Weg in den Ort. Bunte Häuserfronten und viele Pubs machen die Auswahl nicht leicht, doch irgendwann entdecke ich die beiden Fischer, die ich schon im Hafen getroffen habe, vor einem beim Rauchen wieder. Also rein da und ein Smithwicks Red Ale bestellt, das vielleicht beste Bier der Welt. Jetzt bin ich so richtig angekommen in Irland

Die blaue Torte

DIE SPITZE VOM EISBERG

Segler sind Traumtänzer, oder nicht? Wie kommt es nur, dass nahezu jedem Segler der Traum von der ganz grossen Reise innewohnt?

Die blaue Torte

SV Lucipara – Ivar Smits + Floris van Hees NED

TRIBUTE TO HERBIE – OUR HERO

Sailors for Sustainability impressions – "Herbie" from Sailors for Sustainability on Vimeo.

Dear Peter,
Hope all is well. As a tribute to our fantastic Windpilot Pacific Plus – that we have nicknamed “Herbie” – we created a short video on how it works in our “Sailors for Sustainability Impressions” series.
Best regards,
Ivar & Floris WEITERLESEN

"Spaghetti al Mare". Oder: Vereinsabend. Auf sizilianisch.


Es ist Anfang September. Und Freitag Abend in Sciacca, einem Hafenort im südwestlichen Sizilien wie so manchem, der plötzlich an einer sonst leeren, vergessenen Küste wie aus dem Nichts auftaucht.

Sciacca hat 70.000 Einwohner. Und den Hafen teilt sich Italiens fünftgrößte Fischereiflotte mit zwei Segelclubs. Weil Freitag Abend ist, ist Clubabend. Man trifft sich ein paar Kilometer oberhalb Sciaccas, zwischen staubigen Feldern im ARCOBALENO, der Trattoria von Maurizio, in die sich weder TRIPADVISOR noch Tagesreisende je verirren. Stattdessen findet auf der Terrasse gerade Hochzeit statt, immer wieder skandieren 50 Kehlen „Viva, Viva i sposi“, „Hoch die Brautleute“ in die Nacht über Sciacca.

Es geht zunächst bescheiden und beschaulich zu bei den Segelleuten. Zwei Flaschen Bier auf dem Tisch, den acht Kerle sich in ihre schnappsglasgroßen Weingläser füllen, als wäre es der neueste Schrei, TUBORG aus Portweingläsern zu nippen. Nur mir, dem Gast aus dem fernen Deutschland, gestehen sie Weißwein zu, ein Viertel bestelle ich, worauf die Kellnerin, ich weiß gar nicht wie, einen Liter vor mir auf den Tisch knallt. „Macht doch nix“, tätschelt mir Baldo verständnisinnig den Arm, der als „Capo Tavolo“ am Tischende den Vorsitz führt, während er mir randvoll einschenkt.

Es konnte nicht anders kommen. Wo das Schicksal mich doch an diesem Abend am Tisch neben Baldo verschlug. Baldo ist 71. Baldo hat sein Hemd fast bis zum Bauchnabel geöffnet. Dafür setzt Baldo seine Sonnenbrille nicht ab. Wenn Baldo spricht, verstehe ich ihn nicht. Tiefster kehliger Sciacca-Dialekt, von dem bei mir nur gelegentlich ein „…uzutlù“, ein „…ullulu“, ein „che minché“ ankommt. Aus Bardo kommen die Worte nicht, sie kullern, sie kollern, sie gurgeln. Als ich Baldo gestern nach seinem Namen fragte, streifte er wortlos den Ärmel seines Hemdes nach oben und zeigte mir sein Tattoo. Ein Anker, verziert mit dem Wort ‚Baldo‘. Mein rasches Verstehen belohnte Baldo dann auch gleich mit einem Kuss aus fast zahnlosen Mund. Das lernt „Mann“ auf Sizilien: Wer als Mann eines sizilianischen Mannes Freund ist, muss küssen. Nein, nicht auf den Mund, sondern den doppelten Wangenkuss unter Männern. Er ist Ehre, und Auszeichnung. Zumal für mich, das deutsche Greenhorn, das so bereitwillig vor einem Jahr im hiesigen CIRCOLO NAUTICO aufgenommen wurde.

Baldo ist der Zeremonienmeister des Abends. Als Starter hat er einige Teller „Patatine“ bestellt, einfache Pommes Frites, die sich die Männer zum Bier mit den Fingern wie Kartoffelchips in den Mund schieben. Ich habe Hunger. Aber irgendwie nicht auf Pommes Frites. Meine Ungeduld wird belohnt, als die Kellnerin die ersten Teller mit Antipasti vor uns scheppernd auf den Tisch knallt. Eingelegte rohe Scampi aus der Gegend, in Limetten, und unter Öl. Gehäufte Berge von Heuschreckenkrebsen, die auf dem Grill lagen, bis ihr Fleisch zu einem Gedicht von Brühe wurde, das man aus dem Gehäuse schlürft.

Der Hafen von Sciacca mit den beiden Bootsclubs CIRCOLO NAUTICO und LEGA NAVALE.

Baldo tätschelt meinen Arm. Irgendein „… ullullu“-Laut, zu dem er die andere Hand im Halbkreis um den an die Wange gelegten Zeigefinger dreht. Die Geste unter Italienern für „hervorragendes Essen“. Aber auch „Was für eine unsterblich gutaussehende Frau“, wobei ich nicht weiß, was Baldo gerade meint, weil seine Sonnenbrille gerade der Kellnerin folgt, während ich mit allen zehn Fingern mit dem Schlürfen der feinen Heuschreckenkrebs-Brühe beschäftigt bin.

„Mit Dir. Und sonst mit niemand. Willst Du mich heiraten?“ An einer Hauswand in Sciacca.

Italiener haben ganz grundsätzlich eine andere Einstellung zu den Dingen des täglichen Lebens. Zum Auto. Zum Essen. Aber vor allem zum Lärm. Lärm ist für sie Leben. Lärm ist Daseinsbekundung, Zeugnis von erfülltem Leben und Ausdruck von Wohlgefühl, den man im ARCOBALENO gefälligst auch zu äußern hat. Und so umwabert die Trattoria von Maurizio ganz ungeniert ein akustisches Gesamtkunstwerk aus 

Kindern, die lustvoll schreiend um die Tafeln „Fangen“ spielen
einer 60-köpfigen Hochzeitsgesellschaft, die zum 17-mal „Viva i sposi“ über die Tische brüllt. 
Einer Kellnerin, die Teller mit weiteren Antipasti auf die Tische knallt, während 
Baldo seinen Nebenmann, den Club-Vizepräsidenten Carmelo wortreich darüber aufklärt, dass er für mich, den Gast aus Deutschland, extra noch einen Fisch bestellt hätte. Ein Dorädchen. Schön von beiden Seiten gegrillt. Wobei er genießerisch seine rechte Hand hin und her wendet, als ginge es gerade nicht um das beidseitige Grillen eines Fisches, sondern um das, wovon Frauen denken, dass es das einzige sei, was Männer mit ihnen im Sinn hätten. 

Neben mir landen nun: 
„Sarde a Beccafico“, halbierte Sardinen in Bröselteig, knusprig paniert und gerollt. 
Eingelegte Sardinen mit süßen Zwiebeln und feinem Essig. 
Stundenlang in Tomatensud geschmorte und von ihm vollgesogene Auberginen. 
Platten mit in Weinsud gekochten Vongole.
Weitere Teller mit gegrillten Heuschreckenkrebsen.

Doch weil es noch nicht genug ist mit Lärm und Gelage, scheppern aus der Hand der Kellnerin drei Minuten später weitere Teller auf den Tisch: 
Couscous mit Fisch und Rosinen. 
Teller mit Fritto Misto aus Sardinen und Rotbarben. 
„…ullullù“, sagt Baldo, und deutet auf das Fritto Misto. „Die schwammen heute Nachmittag noch im Meer. Ich hab gesehen, dass Maurizios Boot erst um vier reinkam in den Hafen.“ Und weil ich nach vierten Glas Wein ihn plötzlich wortlos verstehe, weiß ich, dass ich ihm jetzt einfach den Teller mit den Vongole reichen soll.



Die sind schlicht und einfach göttlich. Nein, es sind nicht die kleinen verschrumpelten Dinger, die mageren Sommer-Vongole des heißen August. Sondern: Einfach. Fette. Muscheln. Wie im Winter. Der Himmel weiß, wo Maurizio jetzt im Hochsommer die herbekommt. Wie ständig bin ich erstaunt über die Qualität des Essens. Andächtig essen die Männer, kleine Schlucke Bier aus Weingläsern trinkend, während Angelo zu meiner rechten mich mit mahlenden Kiefern aufklärt, das die im CIRCOLO NAUTICO untergekommenen Angler gleich mit drei Sparten vertreten seien: 
Den Anglern, die den Fischen vom Strand aus nachstellen. 
Denen, die vom Strand aus angeln. 
Und denen, die ihre Angel von der Mole aus werfen. 
„…uzutlù“, meint Bardo zu meiner Linken, eine Muschel schlürfend, was Angelo mir übersetzt mit „… und wieder anders macht es Baldo: Der fischt mit Langleinen von seinem Boot aus allein draußen auf dem Meer“.

Die geschmorten Auberginen habe ich unterschätzt, wie immer. Geschmacksexplosion im Mund, der ich mich hingebe, während Baldo der Kellnerin etwas hinterherruft. Es war nichts, was dem Pfarrer gefiele, weil Carmelo, der Vizepräsident, streng den Kopf schüttelt. „Sag doch bitte nicht ‚Amore‘ zur Kellnerin, Baldo. Sondern ‚Signora‘. Wie sich das gehört“ Was Baldo veranlasst, weiter etwas hinter der Kellnerin herzurufen, die vor Baldo nun einen zweiten Teller mit Muscheln auf den Tisch knallt. Was diesen wiederum zu einem Kommentar über das unerschöpfliche Thema „Muscheln & Manneskraft“ veranlaßt, der die Kellnerin erröten läßt. Und die Diskussion über den weiteren kulinarischen Verlauf des Clubabends erst so richtig in Schwung bringt. Auch da ist Baldo in seinem Element: “Also: Es gibt zwei Sorten Primi: Erstens Spaghetti con melanzane e pesce spada, Pasta mit Auberginen und Schwertfisch. Zweitens Spaghetti allo Scoglio, Muschelspaghetti. Und für Thomas hab ich noch einen Fisch bestellt. Ein Dorädchen. Schön von beiden Seiten gegrillt.“ Wieder wedelt Baldos Rechte schwelgend hin und her, als wäre sie nicht hier, sondern ganz woanders.

Zustimmung am Tisch. Zu den Primi jedenfalls. Doch die währt nicht lang. Denn auf dem Tisch landen mit vernehmbaren Knall nacheinander vier große Platten. Zwei mit roter Pasta. Zwei mit weißer Pasta mit unzähligen Muscheln drauf. 

Ungläubiges Stieren auf die riesigen Platten. Gebrüll. „Baldo, sei scompostata“, sagt Angelo und starrt auf die vier Platten. Das Wort hatte ich noch nicht in meinem Wortschatz, beschließe aber, gelegentlich nachzusehen, was es wohl heißen mag. „Er ist verrückt.“ „Wer soll denn das essen?“ „Viel zu viel.“ 

„Ich weiß gar nicht“, ullullut Baldo voller Unschuld hinter seiner Sonnenbrille, während er dick geriebenen Parmesan über der roten Pasta verstreut, „wo wohl die Pasta mit dem Schwertfisch ist? Die hatte ich doch auch bestellt…“ Er blickt sinnend der Kellnerin hinterher, was ihm aber noch nicht ausreichend scheint, denn er jagt röhrend noch ein „Amore“ hinterher, was wiederum Carmelo zu einer vorwurfsvollen Äußerung veranlaßt.

Die Männer machen sich an die Arbeit. Was so aussieht, dass sie ihre Köpfe tief über ihre Teller beugen. Und die Gabel tief in ihren Pranken verschwindet, bis sie nicht mehr Werkzeug, sondern Körperteil ist. „Weißt Du eigentlich, dass Carmello reich geworden ist, weil er Särge gebaut hat, mit seinen Brüdern?“, erzählt Carmelo, während er zum vierten Mal die Gabel mitten in den hausgemachten Spaghetti dreht. Nein, wusste ich nicht. Aber neben mir könnte jetzt gerade Antonio Vivaldi sitzen und es wäre mir schnuppe, weil die Pasta mit den Melanzane und dem Schertfisch so einzigartig ist. 

„Wo bloß die Pasta mit dem Schwertfisch bleibt?“, murmelt Baldo, während Angelo ihm mit vollen Backen seinen Teller vorsetzt, aufsteht, und mit der Gabel vorwurfsvoll unter seine Pasta deutet: „Und was ist das hier, Baldo? Was? Schwertfisch! Der Schwertfisch ist unter den Melanzane! Siehst Du? Siehst Du das, Baldo?“

So richtig überzeugt das Baldo aber immer noch nicht, während er mit vollem Mund kaut und mir stattdessen mit der Hand den Arm tätschelt. „Du musst unbedingt mit Deiner Frau kommen. Dann gehen wir hier zu viert essen, meine Frau und Deine Frau, ja?“ Ich kaue angestrengt, während mir Angelo von den Spaghetti allo Scoglio auflädt. „Und vergiss nicht“, sagt Baldo, „Du kriegst noch einen Fisch. ‚Arrosto‘, schön gegrillt, von beiden Seiten…“, während über dem Hochzeitstisch gerade das 78. „Viva i sposi“ detoniert.

„Un sorbetto. Un sorbetto a limone“, schlägt Angelo vor, während die anderen ächzend ihre Gabeln beiseite legen. „Ein Sorbett aus Limonen, das wäre jetzt das richtige!“ Ich verdrehe die Augen. Wie komme ich aus dieser Nummer jetzt bloß raus? Wo ich doch weiß, dass mich die zwei Kugeln Limetteneis heute Nacht mit Magenschmerzen senkrecht im Bett stehen lassen. Ich lehne ab. Und winde mich geschickt, mit dem Hinweis auf den Fisch raus, schön gegrillt von beiden Seiten, von dem ich hoffe, dass er nie kommen möge. Und alles nur ein schlechter Witz von Baldo sei.

Um das Limetten-Sorbett komme ich herum. Um den Fisch natürlich nicht, plötzlich kommt die Dorade auf dem Tisch angescheppert. Sie ist klein. Sie ist frisch. Sie ist ein Gedicht.



Und während sich der Abend langsam seinem unvermeidlichen Ende entgegen neigt; während auch ich ächzend Messer und Gabel beiseite lege; während Baldo mit Maurizio darüber streitet; ob wir nun zu acht oder neunt um den Tisch herum saßen und Baldo mindestens drei Zähl-Versuche unternimmt, bis als Ergebnis die Zahl „8“ zweifelsfrei feststeht; während Maurizio auf einem Zettel „8 x 17 Euro“ malt und Baldo kollernd und gurgelnd von jedem 17 Euro einsammelt; während sich die anderen langsam zu Maurizio, dem Wirt nach drinnen an den Tresen begeben und wiehernd drumherumstehen; während ich all dies wahrnehme: Kann ich nicht anders, als einfach nur staunen. Über die Männergesellschaft Siziliens. Über den ungeheuren Reichtum der Insel. Auf der alles, was man in die Erde steckt, wächst. Und zu Tomaten. Zu Getreide. Zu Brot und Pasta und Käse und Wein und feinem Aceto und einzigartigem Genuss wird. Ich kann nur staunen über den ungeheuren Reichtum dieses Sizilien, das so ununterbrochen in wirtschaftlichen und politischen Krisen steckt. Und nicht auf die Füße zu kommen scheint. 

Ich beginne zu verstehen, warum kaum ein Sizilianer diese Insel eintauschen möchte gegen irgendetwas anderes. Und die jungen, die es tun und ihr Glück in der Ferne suchen, mit dem Herzen immer hier auf der Insel sein werden.

Weitere Geschichten wie diese finden Sie in:


„Auf der Suche nach einem glücklichen Leben und Entschleunigung
findet Thomas Käsbohrer Sizilien mit all seinen Widersprüchen von liebenswürdig-sinnlicher Genussucht bis unendlicher Verwahrlosung.“

„Wüsste ich all die kleinen Geschichten dieses Landes nicht,
ich könnte glatt glauben, das Leben hier sei einfach und fröhlich wie diese Melodie.“

JETZT erschienen als PRINT oder als eBook ab € 9,99

unter millemari.de/Ein-sommer-lang-sizilien.

sowie in jeder Buchhandlung oder bei AMAZON.

"Spaghetti al Mare". Oder: Vereinsabend. Auf sizilianisch.


Es ist Anfang September. Und Freitag Abend in Sciacca, einem Hafenort im südwestlichen Sizilien wie so manchem, der plötzlich an einer sonst leeren, vergessenen Küste wie aus dem Nichts auftaucht.

Sciacca hat 40.000 Einwohner. Und den Hafen teilt sich Italiens fünftgrößte Fischereiflotte mit zwei Segelclubs. Weil Freitag Abend ist, ist Clubabend. Man trifft sich ein paar Kilometer oberhalb Sciaccas, zwischen staubigen Feldern im ARCOBALENO, der Trattoria von Maurizio, in die sich weder TRIPADVISOR noch Tagesreisende je verirren. Stattdessen findet auf der Terrasse gerade Hochzeit statt, immer wieder skandieren 50 Kehlen „Viva, Viva i sposi“, „Hoch die Brautleute“ in die Nacht über Sciacca.

Es geht zunächst bescheiden und beschaulich zu bei den Segelleuten. Zwei Flaschen Bier auf dem Tisch, den acht Kerle sich in ihre schnappsglasgroßen Weingläser füllen, als wäre es der neueste Schrei, TUBORG aus Portweingläsern zu nippen. Nur mir, dem Gast aus dem fernen Deutschland, gestehen sie Weißwein zu, ein Viertel bestelle ich, worauf die Kellnerin, ich weiß gar nicht wie, einen Liter vor mir auf den Tisch knallt. „Macht doch nix“, tätschelt mir Baldo verständnisinnig den Arm, der als „Capo Tavolo“ am Tischende den Vorsitz führt, während er mir randvoll einschenkt.

Es konnte nicht anders kommen. Wo das Schicksal mich doch an diesem Abend am Tisch neben Baldo verschlug. Baldo ist 71. Baldo hat sein Hemd fast bis zum Bauchnabel geöffnet. Dafür setzt Baldo seine Sonnenbrille nicht ab. Wenn Baldo spricht, verstehe ich ihn nicht. Tiefster kehliger Sciacca-Dialekt, von dem bei mir nur gelegentlich ein „…uzutlù“, ein „…ullulu“, ein „che minché“ ankommt. Aus Bardo kommen die Worte nicht, sie kullern, sie kollern, sie gurgeln. Als ich Baldo gestern nach seinem Namen fragte, streifte er wortlos den Ärmel seines Hemdes nach oben und zeigte mir sein Tattoo. Ein Anker, verziert mit dem Wort ‚Baldo‘. Mein rasches Verstehen belohnte Baldo dann auch gleich mit einem Kuss aus fast zahnlosen Mund. Das lernt „Mann“ auf Sizilien: Wer als Mann eines sizilianischen Mannes Freund ist, muss küssen. Nein, nicht auf den Mund, sondern den doppelten Wangenkuss unter Männern. Er ist Ehre, und Auszeichnung. Zumal für mich, das deutsche Greenhorn, das so bereitwillig vor einem Jahr im hiesigen CIRCOLO NAUTICO aufgenommen wurde.

Baldo ist der Zeremonienmeister des Abends. Als Starter hat er einige Teller „Patatine“ bestellt, einfache Pommes Frites, die sich die Männer zum Bier mit den Fingern wie Kartoffelchips in den Mund schieben. Ich habe Hunger. Aber irgendwie nicht auf Pommes Frites. Meine Ungeduld wird belohnt, als die Kellnerin die ersten Teller mit Antipasti vor uns scheppernd auf den Tisch knallt. Eingelegte rohe Scampi aus der Gegend, in Limetten, und unter Öl. Gehäufte Berge von Heuschreckenkrebsen, die auf dem Grill lagen, bis ihr Fleisch zu einem Gedicht von Brühe wurde, das man aus dem Gehäuse schlürft.

Der Hafen von Sciacca mit den beiden Bootsclubs CIRCOLO NAUTICO und LEGA NAVALE.

Baldo tätschelt meinen Arm. Irgendein „… ullullu“-Laut, zu dem er die andere Hand im Halbkreis um den an die Wange gelegten Zeigefinger dreht. Die Geste unter Italienern für „hervorragendes Essen“. Aber auch „Was für eine unsterblich gutaussehende Frau“, wobei ich nicht weiß, was Baldo gerade meint, weil seine Sonnenbrille gerade der Kellnerin folgt, während ich mit allen zehn Fingern mit dem Schlürfen der feinen Heuschreckenkrebs-Brühe beschäftigt bin.

„Mit Dir. Und sonst mit niemand. Willst Du mich heiraten?“ An einer Hauswand in Sciacca.

Italiener haben ganz grundsätzlich eine andere Einstellung zu den Dingen des täglichen Lebens. Zum Auto. Zum Essen. Aber vor allem zum Lärm. Lärm ist für sie Leben. Lärm ist Daseinsbekundung, Zeugnis von erfülltem Leben und Ausdruck von Wohlgefühl, den man im ARCOBALENO gefälligst auch zu äußern hat. Und so umwabert die Trattoria von Maurizio ganz ungeniert ein akustisches Gesamtkunstwerk aus 

Kindern, die lustvoll schreiend um die Tafeln „Fangen“ spielen
einer 60-köpfigen Hochzeitsgesellschaft, die zum 17-mal „Viva i sposi“ über die Tische brüllt. 
Einer Kellnerin, die Teller mit weiteren Antipasti auf die Tische knallt, während 
Baldo seinen Nebenmann, den Club-Vizepräsidenten Carmelo wortreich darüber aufklärt, dass er für mich, den Gast aus Deutschland, extra noch einen Fisch bestellt hätte. Ein Dorädchen. Schön von beiden Seiten gegrillt. Wobei er genießerisch seine rechte Hand hin und her wendet, als ginge es gerade nicht um das beidseitige Grillen eines Fisches, sondern um das, wovon Frauen denken, dass es das einzige sei, was Männer mit ihnen im Sinn hätten. 

Neben mir landen nun: 
„Sarde a Beccafico“, halbierte Sardinen in Bröselteig, knusprig paniert und gerollt. 
Eingelegte Sardinen mit süßen Zwiebeln und feinem Essig. 
Stundenlang in Tomatensud geschmorte und von ihm vollgesogene Auberginen. 
Platten mit in Weinsud gekochten Vongole.
Weitere Teller mit gegrillten Heuschreckenkrebsen.

Doch weil es noch nicht genug ist mit Lärm und Gelage, scheppern aus der Hand der Kellnerin drei Minuten später weitere Teller auf den Tisch: 
Couscous mit Fisch und Rosinen. 
Teller mit Fritto Misto aus Sardinen und Rotbarben. 
„…ullullù“, sagt Baldo, und deutet auf das Fritto Misto. „Die schwammen heute Nachmittag noch im Meer. Ich hab gesehen, dass Maurizios Boot erst um vier reinkam in den Hafen.“ Und weil ich nach vierten Glas Wein ihn plötzlich wortlos verstehe, weiß ich, dass ich ihm jetzt einfach den Teller mit den Vongole reichen soll.



Die sind schlicht und einfach göttlich. Nein, es sind nicht die kleinen verschrumpelten Dinger, die mageren Sommer-Vongole des heißen August. Sondern: Einfach. Fette. Muscheln. Wie im Winter. Der Himmel weiß, wo Maurizio jetzt im Hochsommer die herbekommt. Wie ständig bin ich erstaunt über die Qualität des Essens. Andächtig essen die Männer, kleine Schlucke Bier aus Weingläsern trinkend, während Angelo zu meiner rechten mich mit mahlenden Kiefern aufklärt, das die im CIRCOLO NAUTICO untergekommenen Angler gleich mit drei Sparten vertreten seien: 
Den Anglern, die den Fischen vom Strand aus nachstellen. 
Denen, die vom Strand aus angeln. 
Und denen, die ihre Angel von der Mole aus werfen. 
„…uzutlù“, meint Bardo zu meiner Linken, eine Muschel schlürfend, was Angelo mir übersetzt mit „… und wieder anders macht es Baldo: Der fischt mit Langleinen von seinem Boot aus allein draußen auf dem Meer“.

Die geschmorten Auberginen habe ich unterschätzt, wie immer. Geschmacksexplosion im Mund, der ich mich hingebe, während Baldo der Kellnerin etwas hinterherruft. Es war nichts, was dem Pfarrer gefiele, weil Carmelo, der Vizepräsident, streng den Kopf schüttelt. „Sag doch bitte nicht ‚Amore‘ zur Kellnerin, Baldo. Sondern ‚Signora‘. Wie sich das gehört“ Was Baldo veranlasst, weiter etwas hinter der Kellnerin herzurufen, die vor Baldo nun einen zweiten Teller mit Muscheln auf den Tisch knallt. Was diesen wiederum zu einem Kommentar über das unerschöpfliche Thema „Muscheln & Manneskraft“ veranlaßt, der die Kellnerin erröten läßt. Und die Diskussion über den weiteren kulinarischen Verlauf des Clubabends erst so richtig in Schwung bringt. Auch da ist Baldo in seinem Element: “Also: Es gibt zwei Sorten Primi: Erstens Spaghetti con melanzane e pesce spada, Pasta mit Auberginen und Schwertfisch. Zweitens Spaghetti allo Scoglio, Muschelspaghetti. Und für Thomas hab ich noch einen Fisch bestellt. Ein Dorädchen. Schön von beiden Seiten gegrillt.“ Wieder wedelt Baldos Rechte schwelgend hin und her, als wäre sie nicht hier, sondern ganz woanders.

Zustimmung am Tisch. Zu den Primi jedenfalls. Doch die währt nicht lang. Denn auf dem Tisch landen mit vernehmbaren Knall nacheinander vier große Platten. Zwei mit roter Pasta. Zwei mit weißer Pasta mit unzähligen Muscheln drauf. 

Ungläubiges Stieren auf die riesigen Platten. Gebrüll. „Baldo, sei scompostata“, sagt Angelo und starrt auf die vier Platten. Das Wort hatte ich noch nicht in meinem Wortschatz, beschließe aber, gelegentlich nachzusehen, was es wohl heißen mag. „Er ist verrückt.“ „Wer soll denn das essen?“ „Viel zu viel.“ 

„Ich weiß gar nicht“, ullullut Baldo voller Unschuld hinter seiner Sonnenbrille, während er dick geriebenen Parmesan über der roten Pasta verstreut, „wo wohl die Pasta mit dem Schwertfisch ist? Die hatte ich doch auch bestellt…“ Er blickt sinnend der Kellnerin hinterher, was ihm aber noch nicht ausreichend scheint, denn er jagt röhrend noch ein „Amore“ hinterher, was wiederum Carmelo zu einer vorwurfsvollen Äußerung veranlaßt.

Die Männer machen sich an die Arbeit. Was so aussieht, dass sie ihre Köpfe tief über ihre Teller beugen. Und die Gabel tief in ihren Pranken verschwindet, bis sie nicht mehr Werkzeug, sondern Körperteil ist. „Weißt Du eigentlich, dass Carmello reich geworden ist, weil er Särge gebaut hat, mit seinen Brüdern?“, erzählt Carmelo, während er zum vierten Mal die Gabel mitten in den hausgemachten Spaghetti dreht. Nein, wusste ich nicht. Aber neben mir könnte jetzt gerade Antonio Vivaldi sitzen und es wäre mir schnuppe, weil die Pasta mit den Melanzane und dem Schertfisch so einzigartig ist. 

„Wo bloß die Pasta mit dem Schwertfisch bleibt?“, murmelt Baldo, während Angelo ihm mit vollen Backen seinen Teller vorsetzt, aufsteht, und mit der Gabel vorwurfsvoll unter seine Pasta deutet: „Und was ist das hier, Baldo? Was? Schwertfisch! Der Schwertfisch ist unter den Melanzane! Siehst Du? Siehst Du das, Baldo?“

So richtig überzeugt das Baldo aber immer noch nicht, während er mit vollem Mund kaut und mir stattdessen mit der Hand den Arm tätschelt. „Du musst unbedingt mit Deiner Frau kommen. Dann gehen wir hier zu viert essen, meine Frau und Deine Frau, ja?“ Ich kaue angestrengt, während mir Angelo von den Spaghetti allo Scoglio auflädt. „Und vergiss nicht“, sagt Baldo, „Du kriegst noch einen Fisch. ‚Arrosto‘, schön gegrillt, von beiden Seiten…“, während über dem Hochzeitstisch gerade das 78. „Viva i sposi“ detoniert.

„Un sorbetto. Un sorbetto a limone“, schlägt Angelo vor, während die anderen ächzend ihre Gabeln beiseite legen. „Ein Sorbett aus Limonen, das wäre jetzt das richtige!“ Ich verdrehe die Augen. Wie komme ich aus dieser Nummer jetzt bloß raus? Wo ich doch weiß, dass mich die zwei Kugeln Limetteneis heute Nacht mit Magenschmerzen senkrecht im Bett stehen lassen. Ich lehne ab. Und winde mich geschickt, mit dem Hinweis auf den Fisch raus, schön gegrillt von beiden Seiten, von dem ich hoffe, dass er nie kommen möge. Und alles nur ein schlechter Witz von Baldo sei.

Um das Limetten-Sorbett komme ich herum. Um den Fisch natürlich nicht, plötzlich kommt die Dorade auf dem Tisch angescheppert. Sie ist klein. Sie ist frisch. Sie ist ein Gedicht.



Und während sich der Abend langsam seinem unvermeidlichen Ende entgegen neigt; während auch ich ächzend Messer und Gabel beiseite lege; während Baldo mit Maurizio darüber streitet; ob wir nun zu acht oder neunt um den Tisch herum saßen und Baldo mindestens drei Zähl-Versuche unternimmt, bis als Ergebnis die Zahl „8“ zweifelsfrei feststeht; während Maurizio auf einem Zettel „8 x 17 Euro“ malt und Baldo kollernd und gurgelnd von jedem 17 Euro einsammelt; während sich die anderen langsam zu Maurizio, dem Wirt nach drinnen an den Tresen begeben und wiehernd drumherumstehen; während ich all dies wahrnehme: Kann ich nicht anders, als einfach nur staunen. Über die Männergesellschaft Siziliens. Über den ungeheuren Reichtum der Insel. Auf der alles, was man in die Erde steckt, wächst. Und zu Tomaten. Zu Getreide. Zu Brot und Pasta und Käse und Wein und feinem Aceto und einzigartigem Genuss wird. Ich kann nur staunen über den ungeheuren Reichtum dieses Sizilien, das so ununterbrochen in wirtschaftlichen und politischen Krisen steckt. Und nicht auf die Füße zu kommen scheint. 

Ich beginne zu verstehen, warum kaum ein Sizilianer diese Insel eintauschen möchte gegen irgendetwas anderes. Und die jungen, die es tun und ihr Glück in der Ferne suchen, mit dem Herzen immer hier auf der Insel sein werden.

Weitere Geschichten wie diese finden Sie in:


„Auf der Suche nach einem glücklichen Leben und Entschleunigung
findet Thomas Käsbohrer Sizilien mit all seinen Widersprüchen von liebenswürdig-sinnlicher Genussucht bis unendlicher Verwahrlosung.“

„Wüsste ich all die kleinen Geschichten dieses Landes nicht,
ich könnte glatt glauben, das Leben hier sei einfach und fröhlich wie diese Melodie.“

JETZT erschienen als PRINT oder als eBook ab € 9,99

unter millemari.de/Ein-sommer-lang-sizilien.

sowie in jeder Buchhandlung oder bei AMAZON.

SV Shalom – Christoph Vougessis GER

DER KREIS HAT SICH GESCHLOSSEN IM SPANISCHEN MUXIA

Seid dem 27. August 2017 befindet sich Shalom ( und meine Wenigkeit) wieder auf dem europäischem Kontinent und es ist gelinde gesagt arschkalt. Und das in Nordspanien.

Christoph Vougessis

Sizilien. Im Hafen von Siracusa. Die Geschichte von Aretusa und Alpheios.


Ob heute noch jemand sein Kind Aretusa nennen würde? Das ist wohl nur was für Unverbesserliche. Und das weniger, weil der Name nicht schön klänge oder nicht auf -a enden würde, wie das die „Top-Ten-2017“ unter den weiblichen Vornamen sämtlich tun. Derzeit vorne liegen Lea, Lina, Lena, Lara, Lana (Quelle: hier!) – um den Namen „Aretusa“ kommen also die meisten Namenssucher glücklich herum.

Um Siracusa aber kommt der Segler nicht herum: Hinter der Insel Ortygia liegt – vom Meer geschützt – die große Hafenbucht, ein Ort, an dem man in Ruhe liegt und einen einzigartigen Blick auf die Front der Palazzi hat, die sich Wohlhabende in der Gründerzeit auf der „sunny side“ der Insel Ortygia errichteten.

Die Bucht ist weit. Doch wenn ab Nachmittag der für den Süden Siziliens typische Südwest die Bucht erreicht, liegt man auf Reede und vor Anker tatsächlich ruhiger als an den auflandigenTransit-Schwimmstegen der eigentlichen Marina von Siracusa.

Aber auch aus anderen Gründen kommt man um Siracusa nicht herum. Die Stadt war immer ein sehenswerter Spot, es gibt Tempel und Theater aus der griechischen Zeit lange vor Christus, und alles ist so beeindruckend wie das in den Fels gemeisselte Ohr des Dionysos, eine frühe Form einer Abhöranlage, mit der der Tyrann den Geheimnissen der von ihm gequälten Gefangenen lauschte. 

Doch von all den Attraktionen Siracusas zieht mich immer wieder die Arethusa-Quelle an, ein paar Schritte von meinem Ankerplatz, man erkennt ihre Einfassung auf dem obersten Fotos ganz rechts neben dem roten Gebäude.


Quellen, auf die man unvermutet trifft, sind ja an sich schon etwas entzückendes. Aber eine Quelle sprudelnden Süßwassers keine drei Schritte vom anbrandenden Meer entfernt: Das grenzt tatsächlich an ein Wunder. Aber wie es mit Siracusas Attraktionen so ist, ist mit der ungewöhnlichen Nähe von süß und salzig die Attraktion noch nicht erschöpfend erklärt. An der Aretusa-Quelle gibts noch mehr zu bewundern: Inmitten des Beckens ein kleiner Wald aus Papyrus, pinseligen Schilfhalmen – einer der wenigen in Europa, wenn nicht der einzige. Vermutlich kam er mit den Phöniziern, diesen Meistern des „Aus-allem-Geld-machen, was-in-der-Natur-uns-umgibt“ auf die Insel, sie trieben sich vor den Griechen in der Gegend herum. Doch keiner weiß, auf welchem phönizischen Händlerschiff vor wievielen zigtausend Jahren die ersten Urahnen-Ableger eines Papyrus-Hälmchens hier eintrafen.


Goldfische schwimmen im Süsswasserbecken – zu gerne würde ich denken, dass es Koi-Karpfen sind, während über dem Papyrus-Wäldchen am Meer die Libellen ab und an über den Beckerand schwirren, um mal kurz im umgebenden Gewirr aus Autolärm, Pizzerien, Gelaterien neben der Quelle andere Optionen für ein erfülltes Leben zu prüfen als das dauernde Sein in wiegenden Schilfhalmen. Sie kehren jedoch schnell wieder zum wundersamen Süßwasser zurück, wie mir scheint, jetzt bloß keine Experimente. Auch die großen Meeräschen halten es so, die hin und wieder von draußen vom Meerwasser kurz ins Süßwasserbecken zur Quelle schwimmen, um sich hier ein bisschen zu amüsieren. Ein Wunder ist irgendwie auch das – oder ist jedem klar, dass ein Salzwasserfisch auch im Süßwasser anstandslos an seine Luft rankommt? Und Salzwasser-Kiemen auch im Süßwasser tadellos funktionieren, Hybrid-Kiemen sozusagen, die nicht von Zucker verklebt den Geist aufgeben.

Ihre Süßwasserquelle muss schon den Griechen aus Korinth, die beschlossen, hier ihre Stadt zu gründen und die, die vorher da waren, wegzuekeln, irgendwie als Wunder vorgekommen sein. Und um das zu erklären, woben Findige aus all den Mirakeln rund um die Quelle am Meer die folgende Geschichte: 

Alpheios, ein Jäger verliebte sich unsterblich in die schöne Aretusa. Er wollte. Sie aber nicht. Sie floh den Unerwünschten. Und verwandelte  sich in eine Quelle. Und wanderte unterirdisch, von Nebeln umhüllt, von Griechenland hierher auf die Insel der Griechen.

Wer nun denkt, dass damit die Geschichte zu Ende wäre, der irrt. Alpheios weinte. Er weinte über die Verlorene so sehr, das er sich in einen Fluss verwandelte, der nach langem Irren und Suchen übers Meer endlich auch die Ortygia erreichte. Und sich dort als Fluss endlich, endlich mit Aretusa, der Quelle, vereinigte.

Womit dann dem unwiederstehlichen Zauber der Aretusa-Quelle in der Abenddämmerung noch ein weiterer Zauber hinzugefügt wurde.

Sizilien. Im Hafen von Siracusa. Die Geschichte von Aretusa und Alpheios.


Ob heute noch jemand sein Kind Aretusa nennen würde? Das ist wohl nur was für Unverbesserliche. Und das weniger, weil der Name nicht schön klänge oder nicht auf -a enden würde, wie das die „Top-Ten-2017“ unter den weiblichen Vornamen sämtlich tun. Derzeit vorne liegen Lea, Lina, Lena, Lara, Lana (Quelle: hier!) – um den Namen „Aretusa“ kommen also die meisten Namenssucher glücklich herum.

Um Siracusa aber kommt der Segler nicht herum: Hinter der Insel Ortygia liegt – vom Meer geschützt – die große Hafenbucht, ein Ort, an dem man in Ruhe liegt und einen einzigartigen Blick auf die Front der Palazzi hat, die sich Wohlhabende in der Gründerzeit auf der „sunny side“ der Insel Ortygia errichteten.

Die Bucht ist weit. Doch wenn ab Nachmittag der für den Süden Siziliens typische Südwest die Bucht erreicht, liegt man auf Reede und vor Anker tatsächlich ruhiger als an den auflandigenTransit-Schwimmstegen der eigentlichen Marina von Siracusa.

Aber auch aus anderen Gründen kommt man um Siracusa nicht herum. Die Stadt war immer ein sehenswerter Spot, es gibt Tempel und Theater aus der griechischen Zeit lange vor Christus, und alles ist so beeindruckend wie das in den Fels gemeisselte Ohr des Dionysos, eine frühe Form einer Abhöranlage, mit der der Tyrann den Geheimnissen der von ihm gequälten Gefangenen lauschte. 

Doch von all den Attraktionen Siracusas zieht mich immer wieder die Arethusa-Quelle an, ein paar Schritte von meinem Ankerplatz, man erkennt ihre Einfassung auf dem obersten Fotos ganz rechts neben dem roten Gebäude.


Quellen, auf die man unvermutet trifft, sind ja an sich schon etwas entzückendes. Aber eine Quelle sprudelnden Süßwassers keine drei Schritte vom anbrandenden Meer entfernt: Das grenzt tatsächlich an ein Wunder. Aber wie es mit Siracusas Attraktionen so ist, ist mit der ungewöhnlichen Nähe von süß und salzig die Attraktion noch nicht erschöpfend erklärt. An der Aretusa-Quelle gibts noch mehr zu bewundern: Inmitten des Beckens ein kleiner Wald aus Papyrus, pinseligen Schilfhalmen – einer der wenigen in Europa, wenn nicht der einzige. Vermutlich kam er mit den Phöniziern, diesen Meistern des „Aus-allem-Geld-machen, was-in-der-Natur-uns-umgibt“ auf die Insel, sie trieben sich vor den Griechen in der Gegend herum. Doch keiner weiß, auf welchem phönizischen Händlerschiff vor wievielen zigtausend Jahren die ersten Urahnen-Ableger eines Papyrus-Hälmchens hier eintrafen.


Goldfische schwimmen im Süsswasserbecken – zu gerne würde ich denken, dass es Koi-Karpfen sind, während über dem Papyrus-Wäldchen am Meer die Libellen ab und an über den Beckerand schwirren, um mal kurz im umgebenden Gewirr aus Autolärm, Pizzerien, Gelaterien neben der Quelle andere Optionen für ein erfülltes Leben zu prüfen als das dauernde Sein in wiegenden Schilfhalmen. Sie kehren jedoch schnell wieder zum wundersamen Süßwasser zurück, wie mir scheint, jetzt bloß keine Experimente. Auch die großen Meeräschen halten es so, die hin und wieder von draußen vom Meerwasser kurz ins Süßwasserbecken zur Quelle schwimmen, um sich hier ein bisschen zu amüsieren. Ein Wunder ist irgendwie auch das – oder ist jedem klar, dass ein Salzwasserfisch auch im Süßwasser anstandslos an seine Luft rankommt? Und Salzwasser-Kiemen auch im Süßwasser tadellos funktionieren, Hybrid-Kiemen sozusagen, die nicht von Zucker verklebt den Geist aufgeben.

Ihre Süßwasserquelle muss schon den Griechen aus Korinth, die beschlossen, hier ihre Stadt zu gründen und die, die vorher da waren, wegzuekeln, irgendwie als Wunder vorgekommen sein. Und um das zu erklären, woben Findige aus all den Mirakeln rund um die Quelle am Meer die folgende Geschichte: 

Alpheios, ein Jäger verliebte sich unsterblich in die schöne Aretusa. Er wollte. Sie aber nicht. Sie floh den Unerwünschten. Und verwandelte  sich in eine Quelle. Und wanderte unterirdisch, von Nebeln umhüllt, von Griechenland hierher auf die Insel der Griechen.

Wer nun denkt, dass damit die Geschichte zu Ende wäre, der irrt. Alpheios weinte. Er weinte über die Verlorene so sehr, das er sich in einen Fluss verwandelte, der nach langem Irren und Suchen übers Meer endlich auch die Ortygia erreichte. Und sich dort als Fluss endlich, endlich mit Aretusa, der Quelle, vereinigte.

Womit dann dem unwiederstehlichen Zauber der Aretusa-Quelle in der Abenddämmerung noch ein weiterer Zauber hinzugefügt wurde.

SV Star´s Memory – Bruno Billecocq FRA

JE NE PEUX PAS VIVRE SANS BATEAU

Diese Herz zerreissenden Brief bekam ich am 17.06.2007, in dem Bruno mich von seinem Schiffs Verlust bei den KERGUELEN INSELN im Indischen Ocean informierte.

Bruno hatte im Jahre 2001 auf dem SALON NAUTIQUE PARIS eine PACIFIC PLUS für seine STAR´S MEMORY I erworben, mit der er viele tausend Meilen in den folgenden 7 Jahren, meist Einhand unterwegs gewesen ist. Das Schiff hatte im schweren Sturm im Indic seinen Mast verloren. Bruno hat dann einen neuen Mast gebaut und ist kurz danach in einem weiteren schweren Sturm hierum in Not geraten. Das Schiff musste aufgegeben werden, Bruno konnte gerettet werden. Die Geschichte füllte die Presse, ebenso sein eiserner Wille, möglichst schnell wieder ein neues Schiff zu bauen.

Die STAR´S MEMORY II, ein CROZET Prototyp von 13,60 m in Aluminium wurde im Jahre 2012 zu Wasser gelassen, das Schiff spiegelt die unendliche Erfahrung eines Mannes, der einen Grossteil seiner Lebenszeit am liebsten auf dem Wasser verbringt.

Gestern bekam ich diese Mail:

Dear Peter
Five years ago, I put my new boat in the water. I currently have 40,000 MN with this new boat, up to 35,000MN, the Wind Pilot worked perfectly. During my last trip of 6000MN this summer, I noticed that progressively the Wind Pilot needed much more amplitude to maintain the course, gradually this course was almost impossible to hold as soon as I was moving away from the wind. Can you help?
Cordialement
Bruno

Es war eine Sache von wenigen Minuten, sowie einiger Fotos, um den Grund zu erkennen: die Crossbar hatte ihre Position verändert, weshalb der Leinenzug nicht mehr ausreichend gewesen ist.

Das obige Video ist der Dank für schnelle Hilfe.

Die gefährlichste Wasserstraße der Welt

Der nächste Schlag sollte ganz besonders spannend werden. Zwischen dem walisischen Festland und der Insel Anglesey gibt es eine schmale Meeresstraße – die Menai Strait. Der große Lord Nelson bezeichnete diesen Weg einmal als die gefährlichste Schifffahrtsstraße der Welt. Grund dafür sind die besonderen Tidebedingungen hier, und eine enge Durchfahrt namens „The Swellies“. Klingt irgendwie schon nach Schwell und Ungemach….

Zum einen strömt das Wasser hier bei Flut durch die enge Meeresstraße recht kräftig. Bis zu 8kn Strom sind streckenweise drin. Klar, da sollte man nicht zur falschen Zeit aufkreuzen (im wahrsten Sinne des Wortes). Dazu kommt noch, dass es hier eigentlich 4 Gezeiten pro 12 Stunden gibt. Zunächst läuft die Flut aus der Irischen See aus Süden auf. Sobald sich die Flutwelle jedoch den Weg außen um Anglesey gebahnt hat, läuft sie auf einmal von Norden in die Straße ein! Etwas Ähnliches passiert dann bei ablaufendem Wasser auch noch mal. Stillwasser ist demnach auch nicht genau bei Hochwasser, sondern schon 2 Stunden vorher. Die einzige Zeit zu der The Swellies sicher zu passieren sind. Klar soweit?

Zum Glück haben sich die Zeiten seit Nelson ein wenig geändert. Mit moderner Navigation, Motor, und genauen Tidendaten lässt sich das ganze hoffentlich managen und so suche ich mir einen schönen ruhigen Sommertag für dieses kleine Abenteuer aus. Früh um 6 geht es los. Die Kombination aus den Öffnungszeiten des Tores und des Passagezeitpunktes lassen keine andere Abfahrtszeit zu. Dafür kann ich mich im Eingang zur Menai Strait dann schon nach wenigen Meilen noch einige Stunden vor Anker legen. Die Snowdonian Mountains hinter mir, eine kleine Vogelinsel und einen mächtigen Leuchtturm vor mir. Alle paar Minuten schlägt dessen altertümliches Nebelsignal, eine große Glocke trotz der guten Sicht wie ein Kirchturm. Es ist fast windstill und so sitze ich im Cockpit, genieße die Szenerie und warte bis es weitergeht.

Um Punkt 12 geht es dann Anker auf und entlang der Menai Strait Richtung Süden. Ein leichter Strom schiebt mich schon. Vorbei an kleinen Dörfern und der Universitätsstadt Bangor geht es durch einen typisch britischen Fluß mit Seebrücken und Moorings allerorten auf die mächtige Menai Bridge zu. Gebaut übrigens von demselben Ingenieur wie Caledonian und Göta Kanal. So langsam habe ich das Gefühl der Typ hat halb Großbritannien zusammengezimmert…

Kurz vor der Brücke müsste sich dann zeigen, ob ich zum richtigen Zeitpunkt da bin. Auf einmal kommt der Strom dann mit etwa 2kn wieder von vorne. Ich bin also etwas zu früh. Kein Problem, denn ein leichter Strom von vorne ist hier leichter zu beherrschen als wenn ich zu spät komme und mich nur 30 Minuten späer 6kn von hinten schieben würden. Unglaublich aufregend ist das hier alles… In nur wenigen Metern Abstand geht es an den überspülten Felsen und dem Land vorbei. Nach nur etwa einer halben Meile, an der nächsten Brücke, ist das ganze Spektakel dann auch schon vorüber. So problemlos das Ganze jetzt zum richtigen Zeitpunkt ablief, so unpassierbar muss diese Stelle nur wenige Stunden später sein…


Der weitere Weg durch die Menai Strait verläuft dann ruhig und angenehm. An mir ziehen ein palastartiges Herrenhaus und mehrere Wälder vorbei. Irgendwie erinnert mich die Szenerie ein wenig an die heimische Schlei. Zwar macht sich bei mir kein Heimweh breit, aber ich finde es doch interessant wie ein Seglerherz trotz aller Entdeckerlust in fernen Ländern immer wieder an sein Heimatrevier denkt.

Vor mir liegt nun das kleine Städtchen Caernarfon. Ich habe Glück und komme genau zu Hochwasser an, das Hafentor ist geöffnet. Der Hafenmeister kommt zum Steg, nimmt die Leinen an, und weist mir einen Liegeplatz direkt unter der alten Stadtmauer zu. Super nette Leute hier…
Das hiesige Schloss ist gleich am ersten Nachmittag fällig. Wieder von Edward I zur Kontrolle der Waliser errichtet, ist es für bis heute für die britische Monarchie sehr wichtig: Nach Edwards Sieg über die Waliser werden hier seit jeher die britischen Thronfolger zum Prince of Wales gekrönt. So lernt man jeden Tag was dazu… Im Pub freunde ich mich dann noch mit einigen lokalen Seglern an. Auf das höfliche Touristenlob, was für eine schöne Burg sie hier ja haben, lachen sie nur, und meinen, dass eine walisische viel besser als der englische Klotz wäre. Mal wieder scheinen mir die Waliser unabhängiger und kulturell eigenständig zu sein…

Caernarfon ist wirklich ein nettes kleines Städtchen. Neben alten Steinen gibt es hier auch alles was man so als Segler braucht. Doch nun sollte es richtig dicke kommen. Ich war darauf vorbereitet hier einen Tag abzuwarten um ein kleineres Tief abzuwarten, doch wieder einmal änderte sich die Wettervorhersage um 180°. Ein Tief nach dem nächsten zog über Caernarfon hinweg. Ganze 8 Tage sollte ich am Ende hierbleiben müssen während derer der Wind nie unter 20kn fiel. Keine Chance die Menai Strait gen Westen, voll gegenan, zu verlassen. Und das ganze Mitte August. Zwar hatte ich es im Hafen sicher und angenehm, doch das ganze schlug mir zusehends auf die Stimmung. So langsam sah ich meine weitere Törnplanung, die ohnehin wegen des unberechenbaren Wetters nur sehr grob war, den Bach hinuntergehen. Vielleicht mag es lächerlich klingen, doch während dieser Tage mache ich mir ernsthaft Gedanken, ob ich es vor dem richtigen Herbst/Winter noch wieder nach hause schaffe. Vielleicht verdeutlicht das ein wenig, warum das Segeln in dieser Gegend selbst bei einem Hafentag äußerst anstrengend ist. Zumindest im Kopf.

Trotz allem Gram kann ich das Wetter aber nicht ändern, sitze mit einem Whisky und den Erinnerungen an die kurzen Sommerausbrüche in Schottland unter Deck und horche dem Pfeifen des Windes im Rigg. Hoffentlich ist bald wieder Frühling…