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TEASER – Mit Wind und Sonne um die Welt – Teil 2

Ganz flau ist mir oftmals im Bauch, wenn ich ein neues Filmprojekt oder Teile davon zum ersten Mal zeige. Ich frage mich dann immer, wie er wohl ankommen wird? Ob er bei den Zuschauern das auslöst, was mir so beim schneiden und der ganzen Postproduktion vorschwebt, oder ob ich vielleicht daneben lange. Ist die eine Szene zu hektisch, die andere zu ruhig? Passt der Übergang, passt der Ton, oder sollte ich hier und da noch ein wenig nachfeilen?
Aber wenn er erst online ist, dann geht’s wieder. Und jetzt ist er online, der Teaser. Nur ein kleiner Vorgeschmack auf den Film, der erst noch entstehen wird. Oder besser gesagt, der hoffentlich entstehen wird. Denn ohne euch, ohne Menschen, die ihn sehen wollen, ist so ein Film kaum zu realisieren. Deshalb brauche ich jetzt eure Hilfe.

Wenn euch der Teaser gefällt, dann teilt ihn mit euren Freunden. Link: https://vimeo.com/181467679
Egal ob bei Facebook, per Whatsapp oder handschriftlich auf einem Zettel. Auch in Foren oder zum Beispiel bei Twitter könnt ihr ihn gerne verlinken.
Damit helft ihr, den Film einem breiteren Publikum bekannt zu machen und Zuschauer zu erreichen, die noch gar nicht wissen, dass es dieses Projekt überhaupt gibt.

24 Stunden auf dem Meer. Einhand über den Golf von Tarent.

Nebel, der am Morgen nach meinem langen Schlag vom Festland herüberweht. Apulien, wie man es nicht kennt.

Ich erlebe mehr auf dem Meer, als ich schreiben kann. Hier draußen ist nie ein Tag wie der andere. Langeweile war mir zwar von je her fremd, ich kannte sie nie. Aber das Meer, es überrascht jeden Tag, als würde ich durch eine fremdartige, andere Welt reisen. Kein Tag ist wie der andere. Kein Schlag ist wie der vorige. Und weil das so ist, möchte erzählen von meiner Reise über den Golf von Tarent nach Nordosten, um den Absatz des italienischen Stiefels herum.

110 Seemeilen. 24 Stunden. Von Le Castella/Crotone nach Castro/Lecce.

Als Pino mir am Vortag den reparierten Bugkorb bringt, fängt die Arbeit an. Burgkorb wieder einbauen. Seereling dranschrauben. Deck klarieren. Werkzeug aufräumen. Halb elf Uhr Abends bin ich fertig, ist der letzte Schraubenschlüssel wieder an seinen Platz geraümt. Noch eine schnelle Dusche unter dem Schlauch auf der Mole von Le Castella westlich von Crotone. Ein Bier. Ab ins Bett.

Am Morgen bin ich mit einem Satz aus dem Bett, checke den Wetterbericht, sehe, dass ich draußen noch etwa sechs Stunden fünf Windstärken vorfinde. Und dann eine Woche lang – kein Wind mehr. Flaute. Also beschließe ich, auszulaufen. Und die Gunst des Windes zu nutzen, dass er mich vielleicht zumindest ein Stück meines Weges über den Golf von Tarent, das Stück zwischen Sohle und Absatz des Stiefels trägt.

Und er pustet kräftig los, kaum dass ich um Capo Rizzuto herum und aus dem Windschatten bin. Da sind sie, die 5 bft., ich reffe, beigedreht, während ein Frachter vor der Küste hinter uns vorbeiläuft. So schön, so kräftig der Wind auch ist: Statt nach Nordosten, zum Stiefelabsatz hin zieht er uns jetzt nach Osten, raus aufs offene Meer. Und nicht hinüber, zum Stiefelabsatz.

Dann also: Hinaus.

1. 
Samstag. Badezeit. Im Nirgendwo.

Es ist Samstag Abend. Ich bin weit draußen auf dem Meer.  Etwa 100 Kilometer südlich des Stiefelabsatzes. Und 30 Kilometer östlich des Punktes, wo die Sohle des Stiefels anfängt. Es ist 19.30, Ende August. Die Sonne ging eben unter. Vor einer Stunde ist der Wind eingeschlafen. Und mit ihm haben sich die hackigen Wellen Schlafen gelegt, nur hin und wieder platscht noch Schwell an LEVJE’s Heck, lässt sie energisch stampfen, wie ein kleines Frauenzimmer, dem was nicht in den Kram passt. 
Ich stelle LEVJEs Motor ab. Einen Moment will ich die Stille hören. Will nicht mehr mit LEVJEs beruhigendem Bullern durch die Wellen ziehen. Sondern mich einen Agenblick in den Elementen fühlen. Ganz allein. Verloren in der anderen Welt, rings um mich herum, die so viel größer und weiter ist als unsere kleine Welt.

Es kostet Überwindung, den Motor abzustellen. Und nur noch die Stille zu hören draußen, weit weit entfernt vom Land.
Was, wenn er nicht mehr anspringt? 
Wenn sich die Stille plötzlich nicht mehr abstellen lässt darurch, dass sich der Motor in der Dunkelheit bullernd anstellen lässt? Es herrscht Flaute, für die nächsten Tage… 
Ich verwerfe den Gedanken. Zu groß ist die Verlockung, die Stille zu hören. Und jetzt an dieser Stelle ins Meer zu hüpfen.

Die Stille. Ich stelle LEVJEs Motor ab. einen Moment gleitet sie noch weiter, einfach weiter, als hätte Gottes großer Finger sie angestupst, ihr Schwung verliehen. Sie gleitet, wird langsamer. Dann: 100, 200 Meter weiter bleibt sie einfach liegen. Schaukelt leicht in der Dünung. Kein Wind. Nur ein bisschen Dünung. Die Stille – hier draußen ist sie, weit weit entfernt von allem. Ich kann sie hören. 

Wenn nur das Großsegel in der Dünung nicht so erbrämlich flappen und schlagen würde.

Wenn nur die Wellen LEVJE’s Heck nicht so zum Stampfen brächten.

Die Stille. Sie erinnert mich an manchen Spaziergang im frühen Winter, wenn der erste Schnee fällt. Oft ging ich in den Wald, nur um die Stille zu hören. Das feine Rieseln, das leiste Zischeln, wenn feuchter Schnee auf Fichtenzweige und Waldboden fällt. Und der feuchte Schnee alle anderen Geräusche wegdämmt.

Hier draußen auf dem Meer ist das ähnlich. Kein Geräusch. Eine Stille, die sich wohlig auf die Ohren legt. Nur mein Großsegel klappert elend. Aber das Geräusch kann man ausblenden. Und sich ganz auf die Stille konzentrieren.

Es kostet etwas Überwindung, hier ins Meer zu steigen. Unter mir sind etwa 1.739 Meter Wassersäule. Wer weiß, was unter mir alles herumschwimmt, jetzt wo die Sonne schon untergegangen ist. Als ich LEVJEs Leiter hinuntersteige, bin ich überrascht, wie warm das Meer hier ist. Eigentlich hatte ich erwartet, der Nordost, der seit frei Tagen hart wehte, hätte alles umgekrempelt, Tiefenwasser hochgespült und Oberflächenwasser nach unten, das unterste zu oberst gekehrt. Aber nichts da. Das Meer fühlt sich einfach nur warm an wie Badewasser an.

Die ersten Schwimmzüge. Weit schwimme ich nicht weg von LEVJE. Ein Windhauch hier draußen  könnte sie von mir wegtreiben, wer weiß, wie ich dann wieder zurückkäme, zur Leiter, aufs Schiff. Die Geschichte von den vier Yachties, die weit draußen ins Meer sprangen, ohne die Badeleiter herunterzuklappen. Wie endete sie?

Nein. Hier endet mein Mut. Ich bin nicht so verrückt, mein Glück zu versuchen. Schwell, der plötzlich auf LEVJE’s Heck zuläuft, wieder ein Stampfen, mit dem sie sich gegen die großen Wellen wehrt. Schnell zur Leiter.

Plötzlich lässt sich meine Funke hören. Italienisch, irgendein Boot-zu-Hafen-Gespräch auf Kanal 16. Ein Funkspruch, aus dem 100 Kilometer entfernten Santa Maria di Leuca. Wenn ich so weit draußen bin, lasse ich das Funkgerät mitlaufen. Wer weiß, ob man es nicht schnell braucht, es muss zur Hand sein sein, wenn ein Frachter partout auf einen zuhält, würde ich versuchen, ihn anzurufen. So schnell wie das Funkgerät zu quäken beginnt, ist es auch wieder still. 

Während ich mich dusche und abtrockne, lausche ich weiter auf die Stille. Ich bin glücklich. Jetzt, Hier. Genau an diesem Ort. Und ich versuche zu ergründen, warum. Welcher Winkel meiner Seele mir genau hier an dieser Stelle einen Dopamin-Ausstoß beschert. 100 Kilometer entfernt vom Stiefelabsatz. Und 30 Kilometer vom nächsten Land.

Und während ich mich freue, über die Stille, während ich noch meinen Gedanken nachhänge, ein Brummen in meiner Welt. Über den Wassern. Weit im Norden. Wie das einsame Brummen eines Flugzeuges am Herbsthimmel. Irgendwo hinter dem Klappern meines Riggs, irgendwo verborgen in der Weite, im Dunst, in der Stille ein friedliches Brummen. Ein Frachter. Seine weißen Decksaufnauten kommen eben über die Kimm, er ist sich er zwischen fünf und zehn Meilen entfernt und kriecht langsam in meine Richtung.

Erstaunlich. Nun bin ich doch wirklich in der anderen Welt – ist man denn nirgends mehr allein? Natürlich: Die Wegstrecke südlich des Golfes von Tarent ist viel befahren. Hier zieht allerhand vorbei, was von West nach Ost und Ost nach West will.

Trotzdem. Alles gut, soweit draußen. Das Leben ist schön an Orten, wo man es niemals für möglich gehalten hätte.

2.
Leben. Im Dunkel.

Natürlich sprang der Motor nicht auf Anhieb an. Neuerdings hat er die Eigenart, wenn er warm gefahren ist, zwei, drei, vier Drucke auf den Anlasserknopf zu benötigen. Weil sich bei den ersten Knopfdrücken einfach – nichts tut. Es dauert bis zum Dritten, bis der Anlasser die Kolbe kurz bewegt. Und der Motor anspringt.

Aber die Geschichte erzähle ich jetzt nicht, welche Gefühle einen beschleichen, wenn soweit draußen bei Windstille der Motor sich nicht mehr meldet, nicht anspringt. Als hätte man es geahnt.

Nein. Lieber erzähle ich jetzt eine Geschichte von langen Nachtwachen. Wenn es dunkel ist, stockdunkel, weil selbst der Mond sich nicht blicken lässt, dann ist es wirklich so, dass das Boot einfach nur ins Zappenduster hineingleitet. Ein bisschen Rotgrüner Schimmer, vom Buglicht im Bugkorb voraus. Das war es. Zu sehen ist da nichts mehr. Kein unbeleuchtetes Bojenfeld vor einem. Kein treibender Gegenstand. LEVJE strebt durch die Dunkelheit auf einem Kurs, auf dem der Autopilot sie hält. Ich bin nur Beobachter, kontrolliere hin und wieder das Geschehen, ob alles seine Richtigkeit hat. Sonst: Lausche ich den Geräuschen des Dunkels auf dem Meer. Der Schwell, der von irgendwoher heran rollt und mein Schiff unruhig werden lässt wie eine Pferd, das durchgehen will. 

Ein Fußball treibt bleich vorbei, ganz nah, in der Dunkelheit. Sicher hat ein Kind ihn am Strand verloren, der Wind treibt ihn nun seit drei Tagen immer weiter nach Süden, auf eine lange Reise.

Ob ich anhalten, ihn holen soll? Ich verwerfe den Gedanken. Irgendwo tief in LEVJE’s Backskiste liegen schon zwei Fußbälle, die ich gerettet habe. In Griechenland. Der Türkei. Nein, nicht noch einer. Lassen wir den Ball unbehelligt seine Reise tun.

Leichte Wellen, von irgendwoher, die Schaumkronen hinterlassen, wenn LEVJE durch sie hindurchgeht. Und immer, immer war es, als würde neben mir, dort, wo die Bugwelle seitlich wegstrebt, irgendetwas achmatzend atmen. Wie oft hörte ich das, neben mir. Es war, wie das Atmen eines Delphins. Ein kurzes den Rücken durch die Oberfläche drücken. Ein kurzes Öffnen des Atemlochs. Ein Luftholen. Ein wieder-weg-sein. Gesehen habe ich nie etwas. Die Einbildung, von einem Lebewesen begleitet zu werden: Sie gehört zu den langen Nachtwachen dazu.

Nur diesmal war es anders. Das vertraute Atemholen im Dunkel: Es war wieder da. Links neben dem Boot, in der sich brechenden Bugwelle, seitlich vom Boot. Vorne. Dann wieder seitlich. Ein weißer Schemen irgendwo in den bewegten Wellen. Ich fass‘ es nicht: Ein Delphin, der mit uns schwimmt, kurz nach Mitternacht, als hätte er nichts anderes zu tun, als sich mir mitten in diesem mondlosen Dunkel zu zeigen.

Er schwimmt seitlich. Er schwimmt vorne. Deutlich sehe ich den weißen Schatten, der mal neben, mal vor uns schwimmt. ‚Delphin‘ ist das Wort für reine Freude. Für „ich-gebe-den-Anstoß-für Kontaktaufnahme“. Und als wäre alles nicht genug, als ahnte der Delphin die Zweifel, die ich an meier Sinneswahrnehmung habe und seiner realen Existenz habe: Schraubt er sich vor LEVJE’s Bug hoch in die Dunkelheit, keine fünf Meter voraus. Ich sehe den weißen Schatten, der in die Luft springt, grün vom Buglicht beleuchtet. Ein mannshoher weißer Schatten, der vor uns aus dem Wasser steigt, irgendwie mit einem Lächeln, irgendwo in der Weite des Meeres. Und mit einem kontrollierten Platsch wieder zurück in die Wellen fällt.

Und fort ist. Wie gekommen ist.

3.
Nacht. Und Wachen.
Es ist weit nach Mitternacht. Ich werde langsam müde, auch wenn mich die Nacht und was ich in ihr sehe, unglaublich fesselt. Zeit, ein wenig zu schlafen.

Aber wenn ich „Schlafen“ schreibe, dann ist das etwas anderes als der normale Schlaf. Ich bin auf einem viel befahrenen Track unterwegs. Den Stiefelabsatz passieren, runden in beiden Richtungen Frachter, Fähren, Kreuzfahrtschiffe. Und sie sind schnell unterwegs, schneller als ich. Die meisten zischen – so wie die Containerfrachter, auf denen ich mit unterwegs war – mit 20, 22 Knoten durch die Wellen. Wenn ich zum ersten Mal ihr Licht irgendwo am Horizont entdecke, dauert es meist keine 20 Minuten, bis sie mich erreicht haben.

Also funktioniert Schlafen auf diesen langen Überfahrten anders. Ein letzter gründlicher Blick rundum, ob ich unter den Sternen auch wirklich kein Licht am Horizont übersehen habe. Einmal noch auf LEVJE‘s Bullern gehört. Konzentriert zugehört, ob der Motor gleichmäßig läuft, keine Geräusche  da sind, die ich nicht kenne. Ein Blick nach hinten, wo das Hecklicht die Auspuffgase beleuchtet, die aus dem Wasser aufsteigen. Ob nicht plötzlicher weißer Qualm dabei ist, der anzeigt, dass der Motor in den nächsten Minuten ernsthaften Schaden nehmen wird.

Aber alles ist normal und beruhigend. Wie der Sternhimmel über mir. Ich steige hinunter in LEVJE’s Salon. Die Motorabdeckung ist wie eine Fußheizung, wohlige Wärme durchströmt mich von unten. Dann lege ich mich auf die Saloncouch, wie ich bin, mit Schwimmweste, steuerbords. Und mache die Augen zu. Beim Einschlafen nehme ich mir vor, in zehn Minuten wieder wach zu sein. 

Das klappt. Denn so gemütlich ist das alles nicht. Eine Welle, die seitlich ans Boot platscht. Ein Rumpler, ein Schlingern. Irgendetwas, was mich weckt, ist immer da. Ich schlage die Augen auf. „Steh auf. Schau nach.“ Wie ein Roboter stehe ich ohne Zögern auf. Steige nach oben ins Cockpit. Die Sterne sind alle noch da. Rundum alles ok. Einen Moment bleibe ich oben, vertiefe mich in den Anblick. Dann gehe ich wieder nach unten.

Das geht so fünf, sechs, sieben mal. Fünf Minuten, eine Viertelstunde leichter Schlaf, der kostbar ist. Ich habe das auf langen Autofahrten durch die Nacht gelernt. Wenn Dich die Müdigkeit packt: Nicht fackeln. Rechts raus. Kurz Augen zu. Zwanzig Minuten Schlaf selbst in unbequemer Position machen Dich wieder fit für drei, vier Stunden. Danach? 

Irgendwann auf meinen Wachgängen entdecke ich weit vorne ein Licht. Und eins hinter mir am Horizont. Ich bleibe eine Weile an Deck, beobachte beide Lichter. Ob sie sich bewegen? Wohin sie sich bewegen? Erst wenn ich sicher bin, dass sie irgendwie auswandern, nicht auf der Stelle stehen, gehe ich wieder nach unten. Und hole mir noch ein kleines Portiönchen Schlaf. 

Ich muss wachsam sein, denn wir kommen dem Morgen und dem Land näher. Beides bedeutet, dass nun auch Fischer unterwegs sein werden, die auf das Auslegen ihrer Netze konzentriert sind und nicht auf das, was sonst noch so unerwartet herumkreucht um sie herum. Also wieder: Raus. Nachsehen. Und tatsächlich werden die Lichter voraus mehr. Sie sind meist unbewegt und klein, irgendwo voraus im Golf von Tarent. Und während ich sie beobachte, während ich ihnen zusehe, zischt vor mir über den kleinen Lichtern im Norden eine Sternschnuppe über den Himmel, von Ost nach West. Eine große, die für einen Moment Funkenstieben und eine Spur von Gasen am Firmament hinterlässt, ein unglaubliches Schauspiel.

Ganz schnell überlege ich, was ich mir wünschen könnte. Ich denke an meine Frau, dass ich glücklich bin mit ihr und sie mir Halt gibt. Dass ich glücklich bin an dem Ort, an dem ich jetzt gerade bin. Nein. Nach vielen, vielen Wünschen, die ich im Lauf meines Lebens den Sternschnuppen nachsandte: Ich habe keine Wünsche für mich.

4.
Ankunft.
Noch bevor es zu Dämmern beginnt, blinkt plötzlich ein Leuchtfeuer vor mir am Horizont. Es ist das Leuchtfeuer von Santa Maria di Leuca, das vom Felsen herunter weit in die Nacht einen weißen Finger sendet. Ich habe nun wieder Kontakt zum Festland, eine Verbindung ist hergestellt. Es dauert aber noch drei Stunden, bis ich in der Dämmerung tatsächlich die Klippen von Santa Maria di Leuca vor mir habe. Noch etwa eine halbe Stunde bis zum Hafen. 

Aber: Soll ich da jetzt wirklich rein? Zu schön ist doch das alles um mich herum. Das rosige Licht, das die Sonne aussendet, lange, lange bevor sie sich zeigt. Ein paar Fischer, Ruhelose wie ich, die die Vorstellung des Morgens und die Idee, dass ein Fisch beißen könnte, noch in der Dunkelheit hinaus trieb aufs Meer. Wir sind immer noch Steinzeitmenschen, Jäger, Sammler. Unser Tun, unser Wollen ist geprägt von Jahrhunderttausenden, wir sind Steinzeitmenschen, auch in der Enge des Büros.

Nein: Ich bleibe noch draußen, Müdigkeit hin oder her. Kurs also auf die große Bucht von Castro, zweieinhalb Stunden im Norden. Dort kann ich geschützt ankern und sein. Und das Wasser ist herrlich türkis da.

Nein: Weiter nach Norden. Und während ich die Stelle passiere, wo vor den Klippen das italienische U-Boot am Meeresgrund liegt, das die Briten dort im II. Weltkrieg versenkten und irgendwo dort vorne mit Mann und Maus am steinigen Grund liegt, während ich zum Leuchtturm hinaufschaue und den Anglern ausweiche, die jetzt am Sonntag Morgen ihre Linien ziehen, kreuz und quer vor der Küste, kommt Wind auf. Wind von den Klippen herunter. Wind aus dem Golf von Tarent. Ich hole die Genua und schalte LEVJE’s Motor ab. Stille. Ein Gurgeln am Bug. Ein leises Murmeln am Heck. Stille. Eine Wohltat.

Im Osten des Steifelabsatzes, in Apulien Anfang September.

Und als ob das Leben für jede Entscheidung, die Anstrengung hier draußen bedeutet, auch gleich eine Belohnung mit sich brächte: Etwas, das man im Leben nie mehr vergessen wird ob seiner Schönheit, bringt der Wind Wolken mit sich. Er treibt sie aus dem Golf von Tarent über die Enge des Absatzes hinüber. Sie werden zu Nebel. fallen herunter von den kahlen Hängen, als wäre ich hier nicht im südlichsten Süditalien, sondern weit weit irgendwo im herbstlichen England, das ich so liebe. Ein unglaubliches Schauspiel des Nebels im zarten Morgenlicht, eine Landschaft, Orte, Paläste, nur leicht verhüllt. Palladio’s Villen in einer Herbstlandschaft – statt im Norden dort, wo man sie nie vermutet hätte.

Nein. Ich erlebe mehr auf dem Meer, als ich schreiben kann.

  

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Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
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Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“
YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“
SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“
LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“


RATGEBER.REISE. im Juni 2015


24 Stunden auf dem Meer. Einhand über den Golf von Tarent.

Nebel, der am Morgen nach meinem langen Schlag vom Festland herüberweht. Apulien, wie man es nicht kennt.

Ich erlebe mehr auf dem Meer, als ich schreiben kann. Hier draußen ist nie ein Tag wie der andere. Langeweile war mir zwar von je her fremd, ich kannte sie nie. Aber das Meer, es überrascht jeden Tag, als würde ich durch eine fremdartige, andere Welt reisen. Kein Tag ist wie der andere. Kein Schlag ist wie der vorige. Und weil das so ist, möchte erzählen von meiner Reise über den Golf von Tarent nach Nordosten, um den Absatz des italienischen Stiefels herum.

110 Seemeilen. 24 Stunden. Von Le Castella/Crotone nach Castro/Lecce.

Als Pino mir am Vortag den reparierten Bugkorb bringt, fängt die Arbeit an. Burgkorb wieder einbauen. Seereling dranschrauben. Deck klarieren. Werkzeug aufräumen. Halb elf Uhr Abends bin ich fertig, ist der letzte Schraubenschlüssel wieder an seinen Platz geraümt. Noch eine schnelle Dusche unter dem Schlauch auf der Mole von Le Castella westlich von Crotone. Ein Bier. Ab ins Bett.

Am Morgen bin ich mit einem Satz aus dem Bett, checke den Wetterbericht, sehe, dass ich draußen noch etwa sechs Stunden fünf Windstärken vorfinde. Und dann eine Woche lang – kein Wind mehr. Flaute. Also beschließe ich, auszulaufen. Und die Gunst des Windes zu nutzen, dass er mich vielleicht zumindest ein Stück meines Weges über den Golf von Tarent, das Stück zwischen Sohle und Absatz des Stiefels trägt.

Und er pustet kräftig los, kaum dass ich um Capo Rizzuto herum und aus dem Windschatten bin. Da sind sie, die 5 bft., ich reffe, beigedreht, während ein Frachter vor der Küste hinter uns vorbeiläuft. So schön, so kräftig der Wind auch ist: Statt nach Nordosten, zum Stiefelabsatz hin zieht er uns jetzt nach Osten, raus aufs offene Meer. Und nicht hinüber, zum Stiefelabsatz.

Dann also: Hinaus.

1. 
Samstag. Badezeit. Im Nirgendwo.

Es ist Samstag Abend. Ich bin weit draußen auf dem Meer.  Etwa 100 Kilometer südlich des Stiefelabsatzes. Und 30 Kilometer östlich des Punktes, wo die Sohle des Stiefels anfängt. Es ist 19.30, Ende August. Die Sonne ging eben unter. Vor einer Stunde ist der Wind eingeschlafen. Und mit ihm haben sich die hackigen Wellen Schlafen gelegt, nur hin und wieder platscht noch Schwell an LEVJE’s Heck, lässt sie energisch stampfen, wie ein kleines Frauenzimmer, dem was nicht in den Kram passt. 
Ich stelle LEVJEs Motor ab. Einen Moment will ich die Stille hören. Will nicht mehr mit LEVJEs beruhigendem Bullern durch die Wellen ziehen. Sondern mich einen Agenblick in den Elementen fühlen. Ganz allein. Verloren in der anderen Welt, rings um mich herum, die so viel größer und weiter ist als unsere kleine Welt.

Es kostet Überwindung, den Motor abzustellen. Und nur noch die Stille zu hören draußen, weit weit entfernt vom Land.
Was, wenn er nicht mehr anspringt? 
Wenn sich die Stille plötzlich nicht mehr abstellen lässt darurch, dass sich der Motor in der Dunkelheit bullernd anstellen lässt? Es herrscht Flaute, für die nächsten Tage… 
Ich verwerfe den Gedanken. Zu groß ist die Verlockung, die Stille zu hören. Und jetzt an dieser Stelle ins Meer zu hüpfen.

Die Stille. Ich stelle LEVJEs Motor ab. einen Moment gleitet sie noch weiter, einfach weiter, als hätte Gottes großer Finger sie angestupst, ihr Schwung verliehen. Sie gleitet, wird langsamer. Dann: 100, 200 Meter weiter bleibt sie einfach liegen. Schaukelt leicht in der Dünung. Kein Wind. Nur ein bisschen Dünung. Die Stille – hier draußen ist sie, weit weit entfernt von allem. Ich kann sie hören. 

Wenn nur das Großsegel in der Dünung nicht so erbrämlich flappen und schlagen würde.

Wenn nur die Wellen LEVJE’s Heck nicht so zum Stampfen brächten.

Die Stille. Sie erinnert mich an manchen Spaziergang im frühen Winter, wenn der erste Schnee fällt. Oft ging ich in den Wald, nur um die Stille zu hören. Das feine Rieseln, das leiste Zischeln, wenn feuchter Schnee auf Fichtenzweige und Waldboden fällt. Und der feuchte Schnee alle anderen Geräusche wegdämmt.

Hier draußen auf dem Meer ist das ähnlich. Kein Geräusch. Eine Stille, die sich wohlig auf die Ohren legt. Nur mein Großsegel klappert elend. Aber das Geräusch kann man ausblenden. Und sich ganz auf die Stille konzentrieren.

Es kostet etwas Überwindung, hier ins Meer zu steigen. Unter mir sind etwa 1.739 Meter Wassersäule. Wer weiß, was unter mir alles herumschwimmt, jetzt wo die Sonne schon untergegangen ist. Als ich LEVJEs Leiter hinuntersteige, bin ich überrascht, wie warm das Meer hier ist. Eigentlich hatte ich erwartet, der Nordost, der seit frei Tagen hart wehte, hätte alles umgekrempelt, Tiefenwasser hochgespült und Oberflächenwasser nach unten, das unterste zu oberst gekehrt. Aber nichts da. Das Meer fühlt sich einfach nur warm an wie Badewasser an.

Die ersten Schwimmzüge. Weit schwimme ich nicht weg von LEVJE. Ein Windhauch hier draußen  könnte sie von mir wegtreiben, wer weiß, wie ich dann wieder zurückkäme, zur Leiter, aufs Schiff. Die Geschichte von den vier Yachties, die weit draußen ins Meer sprangen, ohne die Badeleiter herunterzuklappen. Wie endete sie?

Nein. Hier endet mein Mut. Ich bin nicht so verrückt, mein Glück zu versuchen. Schwell, der plötzlich auf LEVJE’s Heck zuläuft, wieder ein Stampfen, mit dem sie sich gegen die großen Wellen wehrt. Schnell zur Leiter.

Plötzlich lässt sich meine Funke hören. Italienisch, irgendein Boot-zu-Hafen-Gespräch auf Kanal 16. Ein Funkspruch, aus dem 100 Kilometer entfernten Santa Maria di Leuca. Wenn ich so weit draußen bin, lasse ich das Funkgerät mitlaufen. Wer weiß, ob man es nicht schnell braucht, es muss zur Hand sein sein, wenn ein Frachter partout auf einen zuhält, würde ich versuchen, ihn anzurufen. So schnell wie das Funkgerät zu quäken beginnt, ist es auch wieder still. 

Während ich mich dusche und abtrockne, lausche ich weiter auf die Stille. Ich bin glücklich. Jetzt, Hier. Genau an diesem Ort. Und ich versuche zu ergründen, warum. Welcher Winkel meiner Seele mir genau hier an dieser Stelle einen Dopamin-Ausstoß beschert. 100 Kilometer entfernt vom Stiefelabsatz. Und 30 Kilometer vom nächsten Land.

Und während ich mich freue, über die Stille, während ich noch meinen Gedanken nachhänge, ein Brummen in meiner Welt. Über den Wassern. Weit im Norden. Wie das einsame Brummen eines Flugzeuges am Herbsthimmel. Irgendwo hinter dem Klappern meines Riggs, irgendwo verborgen in der Weite, im Dunst, in der Stille ein friedliches Brummen. Ein Frachter. Seine weißen Decksaufnauten kommen eben über die Kimm, er ist sich er zwischen fünf und zehn Meilen entfernt und kriecht langsam in meine Richtung.

Erstaunlich. Nun bin ich doch wirklich in der anderen Welt – ist man denn nirgends mehr allein? Natürlich: Die Wegstrecke südlich des Golfes von Tarent ist viel befahren. Hier zieht allerhand vorbei, was von West nach Ost und Ost nach West will.

Trotzdem. Alles gut, soweit draußen. Das Leben ist schön an Orten, wo man es niemals für möglich gehalten hätte.

2.
Leben. Im Dunkel.

Natürlich sprang der Motor nicht auf Anhieb an. Neuerdings hat er die Eigenart, wenn er warm gefahren ist, zwei, drei, vier Drucke auf den Anlasserknopf zu benötigen. Weil sich bei den ersten Knopfdrücken einfach – nichts tut. Es dauert bis zum Dritten, bis der Anlasser die Kolbe kurz bewegt. Und der Motor anspringt.

Aber die Geschichte erzähle ich jetzt nicht, welche Gefühle einen beschleichen, wenn soweit draußen bei Windstille der Motor sich nicht mehr meldet, nicht anspringt. Als hätte man es geahnt.

Nein. Lieber erzähle ich jetzt eine Geschichte von langen Nachtwachen. Wenn es dunkel ist, stockdunkel, weil selbst der Mond sich nicht blicken lässt, dann ist es wirklich so, dass das Boot einfach nur ins Zappenduster hineingleitet. Ein bisschen Rotgrüner Schimmer, vom Buglicht im Bugkorb voraus. Das war es. Zu sehen ist da nichts mehr. Kein unbeleuchtetes Bojenfeld vor einem. Kein treibender Gegenstand. LEVJE strebt durch die Dunkelheit auf einem Kurs, auf dem der Autopilot sie hält. Ich bin nur Beobachter, kontrolliere hin und wieder das Geschehen, ob alles seine Richtigkeit hat. Sonst: Lausche ich den Geräuschen des Dunkels auf dem Meer. Der Schwell, der von irgendwoher heran rollt und mein Schiff unruhig werden lässt wie eine Pferd, das durchgehen will. 

Ein Fußball treibt bleich vorbei, ganz nah, in der Dunkelheit. Sicher hat ein Kind ihn am Strand verloren, der Wind treibt ihn nun seit drei Tagen immer weiter nach Süden, auf eine lange Reise.

Ob ich anhalten, ihn holen soll? Ich verwerfe den Gedanken. Irgendwo tief in LEVJE’s Backskiste liegen schon zwei Fußbälle, die ich gerettet habe. In Griechenland. Der Türkei. Nein, nicht noch einer. Lassen wir den Ball unbehelligt seine Reise tun.

Leichte Wellen, von irgendwoher, die Schaumkronen hinterlassen, wenn LEVJE durch sie hindurchgeht. Und immer, immer war es, als würde neben mir, dort, wo die Bugwelle seitlich wegstrebt, irgendetwas achmatzend atmen. Wie oft hörte ich das, neben mir. Es war, wie das Atmen eines Delphins. Ein kurzes den Rücken durch die Oberfläche drücken. Ein kurzes Öffnen des Atemlochs. Ein Luftholen. Ein wieder-weg-sein. Gesehen habe ich nie etwas. Die Einbildung, von einem Lebewesen begleitet zu werden: Sie gehört zu den langen Nachtwachen dazu.

Nur diesmal war es anders. Das vertraute Atemholen im Dunkel: Es war wieder da. Links neben dem Boot, in der sich brechenden Bugwelle, seitlich vom Boot. Vorne. Dann wieder seitlich. Ein weißer Schemen irgendwo in den bewegten Wellen. Ich fass‘ es nicht: Ein Delphin, der mit uns schwimmt, kurz nach Mitternacht, als hätte er nichts anderes zu tun, als sich mir mitten in diesem mondlosen Dunkel zu zeigen.

Er schwimmt seitlich. Er schwimmt vorne. Deutlich sehe ich den weißen Schatten, der mal neben, mal vor uns schwimmt. ‚Delphin‘ ist das Wort für reine Freude. Für „ich-gebe-den-Anstoß-für Kontaktaufnahme“. Und als wäre alles nicht genug, als ahnte der Delphin die Zweifel, die ich an meier Sinneswahrnehmung habe und seiner realen Existenz habe: Schraubt er sich vor LEVJE’s Bug hoch in die Dunkelheit, keine fünf Meter voraus. Ich sehe den weißen Schatten, der in die Luft springt, grün vom Buglicht beleuchtet. Ein mannshoher weißer Schatten, der vor uns aus dem Wasser steigt, irgendwie mit einem Lächeln, irgendwo in der Weite des Meeres. Und mit einem kontrollierten Platsch wieder zurück in die Wellen fällt.

Und fort ist. Wie gekommen ist.

3.
Nacht. Und Wachen.
Es ist weit nach Mitternacht. Ich werde langsam müde, auch wenn mich die Nacht und was ich in ihr sehe, unglaublich fesselt. Zeit, ein wenig zu schlafen.

Aber wenn ich „Schlafen“ schreibe, dann ist das etwas anderes als der normale Schlaf. Ich bin auf einem viel befahrenen Track unterwegs. Den Stiefelabsatz passieren, runden in beiden Richtungen Frachter, Fähren, Kreuzfahrtschiffe. Und sie sind schnell unterwegs, schneller als ich. Die meisten zischen – so wie die Containerfrachter, auf denen ich mit unterwegs war – mit 20, 22 Knoten durch die Wellen. Wenn ich zum ersten Mal ihr Licht irgendwo am Horizont entdecke, dauert es meist keine 20 Minuten, bis sie mich erreicht haben.

Also funktioniert Schlafen auf diesen langen Überfahrten anders. Ein letzter gründlicher Blick rundum, ob ich unter den Sternen auch wirklich kein Licht am Horizont übersehen habe. Einmal noch auf LEVJE‘s Bullern gehört. Konzentriert zugehört, ob der Motor gleichmäßig läuft, keine Geräusche  da sind, die ich nicht kenne. Ein Blick nach hinten, wo das Hecklicht die Auspuffgase beleuchtet, die aus dem Wasser aufsteigen. Ob nicht plötzlicher weißer Qualm dabei ist, der anzeigt, dass der Motor in den nächsten Minuten ernsthaften Schaden nehmen wird.

Aber alles ist normal und beruhigend. Wie der Sternhimmel über mir. Ich steige hinunter in LEVJE’s Salon. Die Motorabdeckung ist wie eine Fußheizung, wohlige Wärme durchströmt mich von unten. Dann lege ich mich auf die Saloncouch, wie ich bin, mit Schwimmweste, steuerbords. Und mache die Augen zu. Beim Einschlafen nehme ich mir vor, in zehn Minuten wieder wach zu sein. 

Das klappt. Denn so gemütlich ist das alles nicht. Eine Welle, die seitlich ans Boot platscht. Ein Rumpler, ein Schlingern. Irgendetwas, was mich weckt, ist immer da. Ich schlage die Augen auf. „Steh auf. Schau nach.“ Wie ein Roboter stehe ich ohne Zögern auf. Steige nach oben ins Cockpit. Die Sterne sind alle noch da. Rundum alles ok. Einen Moment bleibe ich oben, vertiefe mich in den Anblick. Dann gehe ich wieder nach unten.

Das geht so fünf, sechs, sieben mal. Fünf Minuten, eine Viertelstunde leichter Schlaf, der kostbar ist. Ich habe das auf langen Autofahrten durch die Nacht gelernt. Wenn Dich die Müdigkeit packt: Nicht fackeln. Rechts raus. Kurz Augen zu. Zwanzig Minuten Schlaf selbst in unbequemer Position machen Dich wieder fit für drei, vier Stunden. Danach? 

Irgendwann auf meinen Wachgängen entdecke ich weit vorne ein Licht. Und eins hinter mir am Horizont. Ich bleibe eine Weile an Deck, beobachte beide Lichter. Ob sie sich bewegen? Wohin sie sich bewegen? Erst wenn ich sicher bin, dass sie irgendwie auswandern, nicht auf der Stelle stehen, gehe ich wieder nach unten. Und hole mir noch ein kleines Portiönchen Schlaf. 

Ich muss wachsam sein, denn wir kommen dem Morgen und dem Land näher. Beides bedeutet, dass nun auch Fischer unterwegs sein werden, die auf das Auslegen ihrer Netze konzentriert sind und nicht auf das, was sonst noch so unerwartet herumkreucht um sie herum. Also wieder: Raus. Nachsehen. Und tatsächlich werden die Lichter voraus mehr. Sie sind meist unbewegt und klein, irgendwo voraus im Golf von Tarent. Und während ich sie beobachte, während ich ihnen zusehe, zischt vor mir über den kleinen Lichtern im Norden eine Sternschnuppe über den Himmel, von Ost nach West. Eine große, die für einen Moment Funkenstieben und eine Spur von Gasen am Firmament hinterlässt, ein unglaubliches Schauspiel.

Ganz schnell überlege ich, was ich mir wünschen könnte. Ich denke an meine Frau, dass ich glücklich bin mit ihr und sie mir Halt gibt. Dass ich glücklich bin an dem Ort, an dem ich jetzt gerade bin. Nein. Nach vielen, vielen Wünschen, die ich im Lauf meines Lebens den Sternschnuppen nachsandte: Ich habe keine Wünsche für mich.

4.
Ankunft.
Noch bevor es zu Dämmern beginnt, blinkt plötzlich ein Leuchtfeuer vor mir am Horizont. Es ist das Leuchtfeuer von Santa Maria di Leuca, das vom Felsen herunter weit in die Nacht einen weißen Finger sendet. Ich habe nun wieder Kontakt zum Festland, eine Verbindung ist hergestellt. Es dauert aber noch drei Stunden, bis ich in der Dämmerung tatsächlich die Klippen von Santa Maria di Leuca vor mir habe. Noch etwa eine halbe Stunde bis zum Hafen. 

Aber: Soll ich da jetzt wirklich rein? Zu schön ist doch das alles um mich herum. Das rosige Licht, das die Sonne aussendet, lange, lange bevor sie sich zeigt. Ein paar Fischer, Ruhelose wie ich, die die Vorstellung des Morgens und die Idee, dass ein Fisch beißen könnte, noch in der Dunkelheit hinaus trieb aufs Meer. Wir sind immer noch Steinzeitmenschen, Jäger, Sammler. Unser Tun, unser Wollen ist geprägt von Jahrhunderttausenden, wir sind Steinzeitmenschen, auch in der Enge des Büros.

Nein: Ich bleibe noch draußen, Müdigkeit hin oder her. Kurs also auf die große Bucht von Castro, zweieinhalb Stunden im Norden. Dort kann ich geschützt ankern und sein. Und das Wasser ist herrlich türkis da.

Nein: Weiter nach Norden. Und während ich die Stelle passiere, wo vor den Klippen das italienische U-Boot am Meeresgrund liegt, das die Briten dort im II. Weltkrieg versenkten und irgendwo dort vorne mit Mann und Maus am steinigen Grund liegt, während ich zum Leuchtturm hinaufschaue und den Anglern ausweiche, die jetzt am Sonntag Morgen ihre Linien ziehen, kreuz und quer vor der Küste, kommt Wind auf. Wind von den Klippen herunter. Wind aus dem Golf von Tarent. Ich hole die Genua und schalte LEVJE’s Motor ab. Stille. Ein Gurgeln am Bug. Ein leises Murmeln am Heck. Stille. Eine Wohltat.

Im Osten des Steifelabsatzes, in Apulien Anfang September.

Und als ob das Leben für jede Entscheidung, die Anstrengung hier draußen bedeutet, auch gleich eine Belohnung mit sich brächte: Etwas, das man im Leben nie mehr vergessen wird ob seiner Schönheit, bringt der Wind Wolken mit sich. Er treibt sie aus dem Golf von Tarent über die Enge des Absatzes hinüber. Sie werden zu Nebel. fallen herunter von den kahlen Hängen, als wäre ich hier nicht im südlichsten Süditalien, sondern weit weit irgendwo im herbstlichen England, das ich so liebe. Ein unglaubliches Schauspiel des Nebels im zarten Morgenlicht, eine Landschaft, Orte, Paläste, nur leicht verhüllt. Palladio’s Villen in einer Herbstlandschaft – statt im Norden dort, wo man sie nie vermutet hätte.

Nein. Ich erlebe mehr auf dem Meer, als ich schreiben kann.

  

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in Aichach und Germering bei München.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“
YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“
SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“
LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“


RATGEBER.REISE. im Juni 2015


Wie es weiter geht

IMG_20160902_180037 LogbuchDa liegt es mal wieder neben mir auf dem Schreibtisch, das Logbuch der Eos. Mittlerweile gut gefüllt. Gefüllt mit Seemeilen, Binnenkilometern, Schleusen und jeder Menge wunderbarer und manchmal auch unangenehmer Erlebnisse.
Aber diesmal ist etwas anders. Es liegt nicht nur das Logbuch hier, sondern bei uns zu Hause stapeln sich mittlerweile auch die voll gepackten Kisten. Stapelboxen, um genau zu sein. Voll mit all dem, was wir so auf unseren Fahrten an Bord hatten. Kaum zu glauben, wie viel Eos da im Laufe der Jahre so mit sich herum geschleppt hat.
Uns war also in den letzten Wochen nicht langweilig. Wir hatten gut zu tun mit aus- und umräumen und nicht nur damit. Eos hat auch eine extra Portion Pflege bekommen. Das war auch dringend nötig. Der Lack hatte gelitten, das Deck war von all dem Matsch aus den Schleusen mehr braun als beige.
Aber jetzt ist wieder alles sauber, letzte Wartungsarbeiten sind erledigt und Eos liegt ruhig in ihrer Box im Mahnensee. Sie sieht jetzt wieder in etwa so aus wie 2014, kurz bevor wir mit ihr zu unserem Abenteuer aufgebrochen sind. Sie sieht aus, als könnte es gleich morgen wieder los gehen. Und jetzt kommt der Teil, der mir etwas schwer im Magen liegt, vor dem ich mich in den letzten Tagen irgendwie gedrückt habe.
Denn wieso macht man ein Boot nach einer Reise wieder fertig für die Reise, wenn noch gar keine Reise ansteht? Ihr könnt es euch vielleicht denken…

Wir haben Eos in den letzten Wochen für den Verkauf vorbereitet und sind nun fast fertig mit allem was nötig ist. Am Wochenende werden wir die letzten Kleinigkeiten erledigen und nächste Woche wird sie inseriert.
Die Entscheidung zum Verkauf ist schon vor längerer Zeit endgültig gefallen. Und im Gegensatz zu letztem Jahr ist die Entscheidung wohl überlegt und lange ausdiskutiert.
Wir hatten im Frühjahr noch die Idee, Eos hier in Rees zu optimieren und einiges an ihr zu verändern. Aber umso konkreter die Pläne wurden, umso mehr wurde auch klar, dass aus diesem kleinen schnuckeligen Kimmkieler niemals ein Schiff für den Ozean wird. Egal was ich optimiere oder umbaue, Eos wird immer der kleine Kimmkieler bleiben, der eigentlich im Wattenmeer oder der Ostsee zu Hause ist.
Und genau damit haben wir uns nun abgefunden!

Ich denke, wir haben mit Eos für uns das bestmögliche gemacht und für diese Reise war sie auch nahe am Optimum. Sie war genau das richtige Boot für ein paar Greenhorns wie uns!
Mit ihr haben wir erst so richtig das segeln gelernt, mit ihr habe ich das schleusen und das allein sein gelernt. Mit Eos hatten wir neben dem Jakobsweg das größte Abenteuer unseres Lebens und wenn ich die Möglichkeit hätte, die Zeit nochmal zurück zu drehen, an den Punkt als wir zusammen mit Hans (dem Vorbesitzer) vor Eos standen und er gesagt hat: „Sie ist ein tolles Schiff, aber glaub mir Nico, ihr werdet mit ihr nicht um die Welt segeln!“, dann würde ich nochmal sagen: „Wir nehmen sie trotzdem!“

Und so ist die Reise mit Eos nun für uns zu Ende. Der Kreis ist geschlossen, wir sind zufrieden. Das ist das wichtigste. Es fühlt sich unheimlich gut an, das Boot wieder nach Hause gebracht zu haben, am Steg zu stehen und Eos einfach nur zufrieden anzuschauen.
Leichter wird der Verkauf deswegen nicht. Eher schwieriger, weil ich sie nach der letzten Reise von Herzen eigentlich gar nicht mehr her geben möchte.
Aber die Vernunft und die Realität sind dann doch stärker. Und die Realität ist, dass wir irgendwann nochmal los wollen. Wohin steht noch nicht fest, ist auch gar nicht so wichtig. Für uns zählt nur der Gedanke, wieder unterwegs zu sein. Unterwegs mit einem Segelboot!
Und deshalb beobachten wir schon seit Monaten klammheimlich den Bootsmarkt und hören uns um. Nach einem Boot, mit dem wir nochmal los fahren. Ein Segelboot, das ganz anders sein soll als Eos…

Bis es soweit ist, wird noch viel Zeit vergehen. Wir werden einiges für das Boot ansparen müssen und eine neue Bordkasse füllen.
Mit dem kleinen Rest aus der letzten Bordkasse wollen wir den zweiten Teil von „Mit Wind und Sonne um die Welt“ in einer kleinen Auflage auf DVD produzieren.
Angefangen habe ich dieses Filmprojekt ja bereits im letzten Winter, aber unterwegs hatte ich einfach kaum Zeit daran zu arbeiten. Mittlerweile steht aber ein Grundgerüst und der Teaser ist auch fast fertig.
Wir wollen es wieder so wie beim letzten Mal machen. Sabrina arbeitet im Kindergarten, ich am Film. Der einzige Unterschied: Dieses Mal können wir es uns nicht leisten, den Film am Ende zu verschenken. So gerne ich das tun würde, es geht einfach nicht.
Wenn alles funktioniert wie geplant, dann werdet ihr den Film, sobald er fertig ist, in einem „Sonnensegler-Shop“ auf DVD kaufen können.

Deshalb ist für uns jetzt wichtig zu wissen, ob es überhaupt ein ausreichendes Interesse gibt, um zumindest die entstehenden Kosten zu decken und abschätzen zu können, wie viele Discs wir am Ende in einer ersten Auflage pressen lassen.
Es wäre also toll, wenn ihr uns eine Mail oder eine Weltraumpost schickt, oder einen Kommentar bei Facebook hinterlasst, ob ihr (ganz unverbindlich) Interesse an einer DVD habt.

Karibiksegeln im Juli – 6. Wie wir beinahe vergessen haben unser Boot zurückzugeben

Am nächsten Morgen machen wir nun langsam Pläne für die letzten verbleibenden Tage unser Charter. Wann müssen wir das Boot abgeben. Hmm…Übergabe Samstag früh 0830 steht im Raum. Also heißt es freitagabends in die Marina einzulaufen. Heute ist Mittwoch. Daher wollen wir zunächst nach Fort-de- France, welches wir auf dem Hinweg ja ausgelassen hatten, und morgen dann noch einmal in die Grande Anse d’Arlet, die uns bereits auf dem Hinweg so sehr gefallen hatte. Am Freitagmorgen geht es dann ab nach Le Marin zur Basis. Ein sehr relaxter Plan der auch navigatorisch nicht mehr viel verlangt. Einzig die lange Passage gegen den Wind am Südende von Martinique könnte noch einmal anstrengend werden. Aber Zeit haben wir ja genug. Alle wünschen sich nach den vielen Ankerbuchten für heute ein Marina, und auch die Akkus schwächeln seit Tagen vor sich hin und können auch einmal Landstrom gebrauchen. Im Charterführer ist in Fort-de-France am Pointe de Bout eine kleine Marina erwähnt, allerdings nur für Einheimische. Und auch die Charterbasis erzählte von einer neu ausgebauten Marina mit viel Platz. Na dann. Es ist sogar ein Anlieger möglich, obwohl es aus der großen Bucht von Fort-de-France recht stark weht. Wie immer Mittelwind 4 plus die Düse in der Bucht. 

In der Einfahrt zur Bucht dann ein Schrei: „Delphine!!!!“. Alle stürmen nach vorne, ich gehe ans Ruder und bringe uns auf ebenen Kiel, damit mir nicht noch jemand über Bord geht bei dem Gerenne und Geschwenke der Handys! Es bietet sich aber auch imposantes Bild. In Delfin nach dem anderen schwimmt am Boot vorbei. Einzeln und in Gruppen. Das müssen über hundert Stück sein. Jedenfalls ist die Freude an Bord enorm. Als der letzte Delfin vorbei ist, steht auch schon die Ansteuerung der Marina an. Über Funk meldet sich niemand, über Telefon bricht der Kontakt ständig ab und es wird, wie immer, nur französisch gesprochen. Erst in der Einfahrt der Marina klappt dann die Verständigung und ich sage der Dame, das wir im Hafen wären und nun einen Platz suchten. „NonNonNonNonNon!!!!“ tönt es aus dem Hörer. Sofort umdrehen, es gäbe keinen Platz. Das verstehe sogar ich, und fahre einen U-Turn in der Einfahrt. „Ich soll Marina Irgendwas mit Abricot auf Kanal xy rufen“. Alles klar. Nur wo ist diese Marina? Über Funk meldet sich, wie üblich, niemand. Der Törnführer nennt zwei kleine Stege mit dem Namen z’Etang d’Abricot. Ob das die ausgebaute Marina ist? In Seekarte und Plotter finde ich nichts, allerdings sieht man am anderen Ende der Bucht ein Menge Masten ungefähr dort wo die erwähnten Stege sich befinden. Also los. Nun erst fällt mir auf das die Bucht an vielen Stellen untief sein soll und es nur ein paar ausgetonnte Wege gibt. Allerdings wurde die Marina eben auch mit einer Wassertiefe von 0,30cm angegeben. Ich drehe aber nun noch einmal um, um die betonnte Rinne zu erwischen und kein Risiko einzugehen. Fünf Minuten später geht ein großer Segler quer vor mir durch, über alle Untiefen. Am Ende finden wir eine sehr große, moderne Marina vor, bekommen Funkkontakt und erhalten einen Platz zugewiesen. Für sagenhafte €10,70. 

Am nächsten Morgen geht es dann mit vollen Akkus und Wassertanks weiter. Wir waren abends noch mit dem Taxi im Zentrum von Fort-de-France, haben aber nicht mehr wirklich viel von der Stadt gesehen. Aber mal wieder warm geduscht. Ein paar Meilen später fällt der Anker in der Bucht von Grand Anse d’Arlet. Ich gebe direkt alle Kette raus, da es wieder Fallböen gibt. Übrigens ist es beim Abtauchen des Ankers interessant zu sehen, wie die lange Kette in einer Böe zunächst die Windkräfte auffängt, bevor diese überhaupt den Anker erreichen. Das Boot liegt jedenfalls sicher und wir genießen das Bordleben. Schwimmen, ein kleines Mittagessen an Land, schwimmen, dösen. Wunderbar. Das wollen wir morgen Vormittag wiederholen und uns dann auf den Rückweg machen. Wir träumen schon vom mondänen Abschiedsdinner im Stegrestaurant der Marina von Le Marin. Davon hungrig fahren wir noch einmal an Land und bestellen Pizzas direkt am Strand. Inklusive Sonnenuntergang. Traumhaft. Bis Merih sagt: „Wieso haben wir denn für morgen Abend noch ein Hotel gebucht? Wir übernachten doch auf dem Boot und fliegen abends dann zurück.“. Stimmt, komisch. „Ist aber noch stornierbar“. Irgendwie merkwürdig das Ganze. Und nun nimmt das Schicksal seinen Lauf. „Ich schau nochmal auf den Chartervertrag“, sage ich. Und dort steht: Rückgabe, 29.7.2016 0830h. „Was für ein Datum haben wir heute?“. „Den ersten!“. „Uupps, das bedeutet wir müssen das Boot morgen früh abgeben, also Freitag. Wie sind wir denn bloß auf Samstag gekommen?“ Allgemeine Ratlosigkeit. Irgendwann haben wir nicht mehr in Daten gerechnet, sondern in Wochentagen. Ein fataler Fehler. Was nun? Ich überlege kurz den Anker zu lichten und loszufahren. Das wäre aber bei der Dunkelheit und den mit Hummerkörben gespickten Gewässern unverantwortlich. „Wann geht denn die Sonne auf?“. „Laut Internet um 0515h“. Ok, wenn es vorher schon etwas dämmert kann ich sehr früh los. Dann sollte bei einer Distanz von 15 Meilen 0830h doch machbar sein. Im Vertrag steht, man könne auch direkt vor der Marina ankern um dann morgens gleich dort einzulaufen. OK, direkt vor der Marina liegen wir nun nicht, aber doch fast. Wenn wir nur nicht gegenan müssten, aber mit 40 PS sollte das doch auch zu schaffen sein. Entscheidung also: „Abfahrt 0500h“. Unsere gute Laune ist aber dahin. 

Eben noch relaxt wird es nun mit einem Mal hektisch. Aber das Schicksal hat noch ein weiteres Attentat auf uns vor. Dieses Mal ist es Henning der unruhig wird. Sie fliegen über Puerto Rico zurück nach New York. „Kann ich mal mit deinem Handy ins Internet?“ Kurze Pause. „Mist, wir fliegen morgen früh um 0800h“. Jetzt wird es langsam kompliziert. Von der Marina aus werden sie es morgen früh nicht schaffen. Also gibt es nur eine Lösung. Sofortiger Aufbruch mit dem Taxi in ein Hotel in Flughafennähe. Alleine das Taxi zum Flughafen kostet von hier aus €100.-. Aber allemal günstiger als ein neues Flugticket. Jetzt ist alle Ruhe vorbei. Mit dem Dinghi geht es zum Boot und mit Innenbeleuchtung und Taschenlampen kramen die beiden ihr Gepäck zusammen. Das Taxi soll in einer Stunde hier sein. Was für ein Abschied. Ich fahre die beiden mit dem Dinghi und Gepäck zum Steg und wir warten gemeinsam auf das Taxi. Es regnet. „Kommt gut nach Hause und bis bald!“, und weg sind sie. Kein mondänes Abschiedsdinner. Kein letzter Abend. Den hatten wir eben bei 4 halb gegessenen Pizzen. Naja, wenigstens haben wir Frühstück, denn unsere Vorräte sind leer. Nach einer kurzen Nacht geht mit dem ersten Licht der Anker aufwärts. Hebel auf den Tisch. 40PS gegen langsam auffrischenden Wind und Welle. Das Boot ist stärker und wir entspannen uns. 0830h schaffen wir auch mit Tanken noch locker. Das Charterteam kommt mit einem Dinghi an Bord und übernimmt das Anlegen in dem Gewusel aus Mooringleinen und Hecktonnen. Geschafft. 

Auch wir müssen nun das Schiff verlassen und ebenfalls mit dem Taxi nach Fort-de-France fahren. In unser Hotel. Denn das war an der ganzen Aktion der einzig richtige Gedanke. Eine Übernachtung in brauchen wir noch bevor wir dann morgen Abend die Rückreise antreten. Und so bleiben uns noch fast zwei ganze Tage für Fort-de-France, die wir auch gebührend nutzen um diesen so einmaligen Törn abzuschließen. Leider ohne die beiden anderen. Die sich aber über Handy aus Puerto Rico melden. Alles hat geklappt. Alle sind gesund. Das Boot ist heil. So soll es sein! Einzig der viele Regen am allerletzten Tag und eine Hurricanewarnung (Der Hurricane Earl verwüstet dann in der Tat ein paar Tage später einige Teile von Mexico), zeigen uns noch einmal, das wir wohl wirklich Glück mit dem Wetter hatten. Ein Faktor, den man im Sommer in der Karibik nicht überbewerten, aber auch niemals vergessen sollte.

Karibiksegeln im Juli – 5. Die Navigation und der Rückweg nach Martinique

Während die bisherigen Törns navigatorisch recht simpel waren, galt es nun für die Rückfahrt von Domenica nach Martinique etwas genauer zu planen. Da ist man als Skipper dann natürlich ganz speziell gefordert, wenn niemand an Bord über navigatorische Kenntnisse verfügt, aber doch möglichst angenehm und zügig segeln will. Der Törnführer gibt ein paar Infos zu Wind und Strom und auch in der Seekarte sind ein paar weitere Einträge zu finden. Aber alles sehr allgemein und oberflächlich. Also gilt es sich einen eigenen Plan aus Gelerntem und Angelesenen zu machen. Mittlerweile habe ich genug Abhandlungen über lokale Windverhältnisse gelesen um mir selbst ein Bild machen zu können. Betrachten wir zunächst den  
Wind: Er weht seit Tagen konstant aus Ost mit Stärken zwischen 3-5 Bft. Zwischen den Inseln kommt nun voraussichtlich noch ein Düseneffekt hinzu, plus ein Kapeffekt sowohl am Nordkap Martiniques als auch am Südkap Domenicas. Die Stärken kann ich nur schätzen, vermute aber 5-6 Bft. in der Passage, plus 1-2 Bft. in Böen obendrauf an den Kaps. Außerdem wird der Wind mit den Kaps mitdrehen. Das bedeutet also das er am Südkap vorlicher kommen wird als in der Passage. Und am Nordkap Martiniques wird er dann zunehmen und raumen bis er dann schwächelt. Generell liegt Martinique weiter östlich als Domenica; es wird also etwas gegenan gehen müssen. Die Fallböen dicht unter Land sind in Domenica zu berücksichtigen. Denn sie kommen buchstäblich von oben. Das macht sie gefährlicher als die sonst üblichen horizontal einfallenden. Diese krängen ja das Boot und die verringern damit die wirksame Segelfläche im Wind. Kommen die Böen aber von oben, wird mit der Krängung die wirksame Segelfläche immer größer bis man platt auf dem Wasser liegt.  
Strom: Es gibt einen permanent nordwestlich setzenden Karibikstrom. Der hatte uns auf dem Hinweg nach Domenica sicherlich angeschoben. Doch da die Logge defekt war konnte ich nicht, wie sonst üblich, aus der Differenz aus Fahrt über Grund (Anzeige GPS) und Fahrt durchs Wasser (Anzeige Logge) Rückschlüsse auf die Strömung ziehen. (Beispiel: Anzeige GPS 8kn über Grund, Anzeige Logge aber nur 6kn würden bedeuten das 2kn Strom mitschieben). Wie im letzten Eintrag beschrieben differiert der Strom (oder besser dessen westwärts setzende Komponente) aber auch mit der Tide. Hier konnte ich mich nur an den NW und HW Zeiten in Roseau (per SMS aus Deutschland) orientieren und der Info in der Seekarte, das die Flut in der Karibik für Weststrom sorgt. Allerdings waren hier die Strömungen nur im Zusammenhang mit Mondauf und -untergang angegeben. Und unterschieden sich von den aktuellen Tidenzeiten. Alles etwas verwirrend, aber ich wollte zumindestens mein Bestes tun. Um 1430h ist HW für Roseau angegeben, setzt also der Ebbstrom ein. Und der soll je nach Stärke die Westkomponente aufheben bis gar östlich überlagern.  
Welle: Die Welle kommt mit dem Wind aus Ost und dreht an den Kaps entsprechend mit.  
Untiefen: Nur der in seiner Position etwas unbestimmte 7 Feet Rock vor Scotts Head. 

Der Rückweg geht nach Luv
Aus diesen Faktoren schmiedete ich nun den folgenden Plan: 
Zunächst muss Strom her um dem Autopiloten für die lange Passage zwischen den Inseln genug Energie bereitzustellen. Also geht es zunächst unter Diesel bis zum Südkap Domenicas mit ausreichend Abstand zu Untiefe und Fallböen. Da mich bis hierher die Strömung noch nicht interessiert will ich um 1230h los um dann bei Stillwasser/Tidenkipp auf Startposition zu sein. Dort sollen die Segel dann zunächst im zweiten Reff hochgehen und ich will eine gute Mischung aus Speed und Höhe finden. Da ja am Südkap Wind und Welle von vorne kommen werden, muss ich also zunächst weit westlich abfallen um Fahrt ins Boot zu bekommen. Die nötige Höhe Richtung Martinique kann ich dann ja später noch steuern, da der Wind ja immer raumer kommen wird. Dann heißt es auch auszureffen und in einer Art Kreisbogen Martinique anzusteuern. Kurz gesagt, der Törn fängt ruppig an, wird im Laufe des Tages aber immer relaxter. Soweit der Plan. Einzige Unbekannte ist der Gegenstrom, und der daraus resultierende Bootspeed . Und damit die Ankunftszeit, die ja gerne vor Einbruch der schnellen Dunkelheit in der Karibik liegen sollte und laut Chartervertrag auch muss, denn Segeln in der Dunkelheit ist hier pauschal verboten. Und genau das wird auch das Problem. Lief das Boot auf dem Hinweg fast dauerhafte 8kn, ist davon heute wenig zu spüren. Generell ist der Mittelwind einfach schwächer als vor zwei Tagen. Hatte ich mir auf dem Hinweg am Südkap das zweite Reff gewünscht, ist die Besegelung heute schlicht zu klein, auch wenn für die eine oder andere Böe gerade richtig die um und über das Kap donnert, kommt im Mittel einfach keine Fahrt gegen die doch recht hohe Welle auf. Also heißt es gleich wieder ausreffen. Wegen der Lazybags und dem Einleinensystem ist das einhand echte Arbeit. Diesel an, genau Kurs legen, Autopilot an. Das ganze Einleinensystem ist schwergängig und klemmt und die Böen machen es nicht grad einfacher. Im ersten Reff passt nun die Besegelung und auch ein passender Kurs, auf dem das Boot einigermaßen läuft findet sich. Aber der geringe Speed… leider keine Logge, aber über Grund liegen wir irgendwo zwischen 4 und 5 Knoten. Da kann ich mich dumm und dusselig trimmen. Die im Verhältnis zum Wind hohe Welle bremst und dazu kommt auf jeden Fall noch Gegenstrom. Ich muss also erst einmal Raum gegen Speed tauschen und hoffe auf deutlich bessere Verhältnisse vor Martinique. Auch variieren Wind und Welle extrem, so das mit dem Autopiloten nicht viel zu holen ist. Also heißt es heute fleißig Ruder zu gehen. 

Eine der vielen Schildkröten, denen wir im Wasser begegnet sind

Je weiter weg wir vom Südkap kommen, umso mehr schwächelt, wie vorhergesehen, der Wind. Nur die Welle steht weiterhin stramm. Es wäre Zeit zum Ausreffen. Nur bedeutet das vor Martinique wieder viel Arbeit, denn dort muss ich ja sicher wieder einreffen. Und soweit ist es nicht mehr. Wenn dann nur 3kn auf dem GPS stehen reicht es mir und ich will die Segel vergrößern, doch genau dann frischt der Wind wieder auf, wir schieben Lage und die Fuhre läuft. Aber im Mittel kommen wir heute einfach nicht vorwärts. Dann vor Martinique endlich die Erlösung. Der Kapeffekt setzt ein und zwar ordentlich. Nun bin ich froh, das Reff drinbehalten zu haben. Ich kann nun ordentlich anluven, die Kiste läuft und pflügt nun durch die Wellen. Mit nun immerhin 6kn. Ich kann dann auch St. Pierre anlegen, der Blick auf die Uhr mahnt aber zur Eile. Denn die Sonne sinkt schnell. Irgendwann lassen dann Wind und Welle nach, und der Diesel geht an. 


Es regnet im Paradies

Eigentlich ist mein Plan soweit aufgegangen. Wind, Welle, Strom alles war so in etwas wie vorhergesehen. Nur den Gegenstrom hatte ich schwächer einkalkuliert und den Wind stärker. So haben wir viel Zeit verloren, sind aber sicher, entspannt und ohne Seekrankheit durch die Passage gekommen. Auch etwas wert und es freut die Crew! Nun müssen wir jedoch in tiefer Dunkelheit die zum Glück schon bereits bekannt Mooringtonne suchen. Mehr Sorge bereiten mir allerdings die überall liegenden Hummerkörbe die oft nur mit leeren Flaschen markiert sind. Also geht die Decksbeleuchtung an und die Crew mit Taschenlampen auf das Vorschiff und dirigiert mich durch die Körbe. 10 Minuten später liegen wir dann auch schon gut vertäut in vertrauter Position und plötzlich es schüttet das erste Mal auf diesem Törn wie aus Eimern. Perfektes Timing. Bei dieser Sicht hätten wir Probleme gehabt die richtige Tonne zu finden. Und etwas später hätte uns der Schauer im Schlauchboot komplett durchnässt. So warten wir einfach 20 Minuten ab und setzen dann über, um in Martinique an einem Rechner im Restaurant einzuklarieren. Martinique ist da doch deutlich unkomplizierter als Domenica.

Von Sizilien in die südliche Adria. Von versunkenen Handys. Gewittern.Und zertrümmerten Bugkörben.

Im Folgenden die Geschichte über meine Reise 
die Schuhsohle des italienischen Stiefels entlang.
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Immer gut für Überraschungen: Die Straße von Messina.

Segeln, ein Schiff unter Segeln halbwegs gekonnt übers Meer zu bewegen, ist für mich Erfüllung. Ich habe lange Jahre davon geträumt, eines Tages zu tun, was ich jetzt tue. Und selbst zwei Jahre intensiven Segelns haben nichts von der Faszination nehmen können, die mich während meiner vier Tage von Sizilien in die Adria begleitete. 

Vielleicht. Vielleicht segle ich, weil ich auf dem Meer in vier Tagen so vieles, so reiches erlebe wie sonst in einem Jahr. 

Catania war der Startpunkt meiner Umsegelung Siziliens. Und auch der Endpunkt. Und ich erreichte ihn vergangene Woche. Wie schon im vergangenen Herbst war ich auch diesmal überrascht von Siziliens zweitgrößter Stadt. Catania kennt man, weil man hier landet oder abfliegt. Für Catania hat man wenig Zeit. Vom quirrligen Leben in der Stadt, von der studentischen Kneipenszene, dem Theatro Bellini und dem Korbflechter bekommt man wenig mit. Zu wenig. Was schade ist. Catania ist nicht unbedingt eine Hübsche. Aber eine Inspirierende allemal. Und damit hat sich Catania einen Platz auf meiner langen Liste jener Orte verdient, in denen ich leben könnte.

Die Geschichte vom versunkenen Handy.

Das Wegstück von Catania bis Crotone begleitete mich Andreas, der sich in LEVJE’s prall gefülltes Buch der Abenteuer mit folgender Geschichte eintrug:

Der Ätna im Sonnenuntergang. Und gleichzeitig das letzte Foto, das Andreas von seinem iPhone versandte.

Wir brachen nach Taormina auf, etwa fünf Stunden mit dem Boot nördlich von Catania. Die Sonne ist hinter dem Ätna verschwunden und beleuchtet wie ein Theaterscheinwerfer die Dampfwolken, die der Vulkan auf 3.300 Meter Höhe ausstößt. An Steuerbord begleiten uns schon eine ganze Weile Delphine. Sie sind klein, knapp einen Meter groß. Eine Schule von etwa zehn Tieren. Einer ist besonders keck: Immer wieder springt er senkrecht aus dem Wasser, vollführt über der Wasseroberfläche eine halbe Körperdrehung, um dann rückwärts wieder im Wasser einzutauchen. 

Kaum erkennbar, doch unübersehbar: Der kleine Delphin, der gerade aus dem Wasser springt. Und rückwärts wieder eintaucht.

Das geht so 10, 15 Mal, immer wieder zeigt uns der kleine Kerl dasselbe Kunststück, das er ein Stück weit querab von uns vollführt. Es ist das Erstaunliche, immer wieder Verblüffende an Delphinen: Wo andere Lebewesen einfach ihr Dasein frissten, indem sie warten, dass Futter vom Himmel fällt oder  auf Beute lauern, zeigen sie: Kunststücke. Sie nähern sich uns nicht einfach. Sie schenken uns etwas – jedenfalls kommt man bei der Begegnung mit diesen Tieren nicht umhin, deren Verhalten auf sich zu beziehen. Wie oft habe ich Delphine erlebt, die 50 Zentimeter vor dem Bug meines Bootes im Kielwasser schwammen, heraufblinzelten. Nie konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Delphine nicht nur die Nähe des Menschen suchen, sondern ihren Spaß haben, etwas mitzuteilen. Es ist, als wären sie sich bewusst, dass da jemand zusieht, ein „Schau’ mal, was ich kann!“ und ein „Kuck mal, wozu ich meine Freiheit nutze!“ In den vier Tagen, den 220 Seemeilen zwischen Sizilien und der Adria sollte ich das noch öfter erleben – siehe meinen neueren Post.

Leider kamen sie nicht näher, blieben auf Distanz. Eine Viertelstunde begleiteten sie uns – dann zogen sie ihrer Wege. Und während die Nacht langsam sank und der Ätna hinter uns immer mehr zum schwarzen Riesen wurde vor seiner goldenen Tapete, während die Delphine fröhlich ihrer Wege zogen, steckte Andreas  auf dem Vordeck sein iPhone in seine Hosentasche. Er tat das, wie man halt sein iPhone in die Hosentasche steckt. Jedenfalls versuchte er es. Denn da, wo seine Hose üblicherweise eine Tasche hat, war diesmal keine. Also hüpfte das iPhone noch einmal fröhlich an Deck auf und vollführte dann, vollendet wie ein Turmspringer, seinen Sprung vom Deck ins Wasser. Mit der Schmalseite voraus. Und fast ohne Spritzer beim Auftreffen. 

Das Handy machte sich ohne weitere Umstände auf den längeren Weg die 235 Meter hinunter auf den Meeresgrund, ohne noch einmal aufzutauchen. Wir versuchten natürlich sofort, hinterher zu telefonieren, um dem iPhone zu sagen: „So gehts ja nicht!“ Aber aus der Wassertiefe kam nicht mal mehr ein „Blubb“, sondern bei Anruf nur die gewohnte Frauenstimme, die darum bat, doch für Herrn Dr. Meyer eine Nachricht zu hinterlassen. Er sei zur Zeit nicht zu erreichen. 

Was dann ja auch eine ganz eigene, tiefere Wahrheit war. 

Von Taormina/Sizilien nach Roccella Ionica/Kalabrien.

Bildunterschrift hinzufügen

Taormina ist nun wirklich ein touristisches Highlight auf Sizilien. Das kleine Bergnest, das im Dunkel auf der Anhöhe lag und von dessen Amphittheater man einen phänomenalen Blick hat auf den qualmenden Gipfel des Ätna, ist wirklich ein Must See. Aber da wir erst gegen halb elf Nachts ankamen und gleich neben dem Bahnhof den idealen Platz in der Südbucht fanden, um unseren Anker in der Dunkelheit fallen zu lassen, wars nix mit Tourismus. Wir müssen uns mit dem Wissen begnügen, dass das 11.000-Seelen-Nest Taormina jährlich 1,3 Millionen Besucher durchlaufen, was dann das liebe Berlin (3,5 Millionen Einwohner; 2015: 12,5 Millionen Besucher) zumindest von der Einwohner-Besucher-Relation alt aussehen lässt. Alle, alle waren da. Goethe und Sissi. Thomas Mann und Cary Grant. Marlene Dietrich und Greta Garbo. Bloß wir nicht.

Am Morgen um fünf aus den Federn. Ein langer Schlag von 80 Seemeilen über die Straße von Messina und dann die Schuhsohle des italienischen Stiefels Richtung Absatz entlang. Wir holen den Anker im Dunkel vom Meeresgrund, ganz warm ist die Kette, weil das Meer jetzt im August so warm ist. Im Dunkel schleichen wir zwischen den anderen Ankerliegern hinaus, drehen im Schatten der Klippe noch einen Aufschiesser, um in der Dunkelheit unser Großsegel zu setzen. Und dann geht es raus, Kurs Ost-Nord-Ost, Richtung italienisches Festland.

Eigentlich ist für die Wegstrecke bis zur Adria nur schwacher Wind angesagt. Flaute. Nur hier, südlich der Straße von Messina, soll es für die ersten fünf Stunden wie aus einer Düse heraus wehen. Kaum sind wir aus der Felsabdeckung draußen, meldet sich die Düse. Noch im Dunkel nimmt der Wind jede Viertelmeile merklich zu. Und noch bevor die Sonne über der Stiefelspitze aufgegangen ist, haben wir gerefft, was zu reffen war. Der Windmesser zeigt in der Spitze 35 Knoten schräg von vorn, die große Genua ist auf ein Feigenblättchen verkleinert. Trotzdem taucht LEVJE heftig in die Wellen ein, schiebt Lage. Und ich überlege: Was ich eigentlich täte, wenn der Wind noch weiter 

zunähme und mein kleiner Windmesser die 40 Knoten scheinbaren Wind übersteigt. Es sind drei Stunden hartes Steuern: Trotz maximal verkleinerter Segelfläche strebt LEVJE in den Wind, die Pinne auf Kurs zu halten ist kräftezehrendes Oberarm-Training. Im Nu sind Andreas und ich nass, weil krachend Wellen an der Bordwand brechen. Nasses Segeln. Auf nüchternen Magen. Es geht so, bis ich gegen halb acht Uhr endlich feststelle: Der Wind nimmt nun nicht weiter zu.

Die Straße von Messina und ihre ungewöhnlichen Wetterphänomene: Ich schrieb im vorigen Post darüber. Und wie der wütende Wind gekommen war, so schnell ist er wieder vorbei: Kaum haben wir den Trichter hinter uns, endet die Düse abrupt, auf einem Stück von 100 Metern Länge. Als hätte jemand den Strom abgestellt. Man stelle sich ein Fußballfeld vor: Dem Torwart an einem Ende treiben sieben Beaufort Tränen in die Augen. Während der Torwart gegenüber in der Windstille gelangweilt am Pfosten lehnt.

Die Straße von Messina.

Der denkbar merkwürdig zertrümmerte Bugkorb.

Roccella Ionica erreichten wir am Abend. Wir ahnten nicht, dass aus einer Nacht, die wir geplant hatten, drei werden würden, denn schon am nächsten Tag rumpelten schwere Gewitter über den Hafen, gerade, als wir auslaufen wollten. Die Männer der GUARDIA COSTIERA rieten uns ab, auszulaufen, erzählten von Windstärke 7 draußen. Ein Segler aus Starnberg, der wegen Motorproblemen in den Hafen zurückkam, berichtete von 5 Meter hohen Wellen. Ich? Glaubte beides nicht.

Nach drei Tagen im Hafen sitzen und Winschen fetten hatte ich genug. Beim Aufstehen morgens um halb sechs war die Bucht ruhig wie ein Ententeich. Die Gewitterwarnungen waren vorbei. Nur etwas Wind von da, wo wir hin wollten, würden wir bekommen. Was machte es schon.

Um sechs Uhr Morgens brachen wir auf. Unser Ziel: Rüber über den Golfo di Sqillace in 14 Stunden. Und wenn alles gut lief, gleich weiter die 18 Stunden hinüber zum Absatz des Stiefels, die 85 Seemeilen über den Golf von Tarent.

Ich war klug. Dachte ich jedenfalls. Weil ich rechnete, dass Gegenwind stärker blasen würde als angegeben, wechselte ich noch vor dem Golf die Vorsegel. Die für mühevolles Starkwind-Aufkreuzen exakter arbeitende Fock kam drauf. Die große Allzweck-Genua kam runter. Ich rollte sie ein. Und tuchte sie sorgfältig vorne steuerbords am Bugkorb auf dem Seezaun auf, ordentlich alle 80 Zentimeter mit Bändsel gesichert. Falls ich mich irrte. Und der Wind doch nicht so stark ausfallen sollte.

Kaum draußen, kamen Wind und Welle wirklich exakt aus der Ecke, die wir ansteuern wollten. An Kurs aufs Ziel halten war nicht zu denken. Der Wind kam zudem böig daher. Und brachte aus dem Golfo di Squillace eine ungewöhnlich steile Welle daher. In kurzem Abstand kamen sie an. Kaum dass LEVJE mühsam etwas Fahrt aufgenommen hatte, bohrte sich ihr Bug in eine Wellenwand. Das Deck wurde ein ums andere Mal überspült. Mühsam nahm LEVJE wieder Fahrt auf. Legte sich im zunehmenden Wind auf die Steuerbord-Seite. Und marschierte wieder los. Bis die nächste Gruppe steiler Wellen heranrollte. Und sich das Spiel wiederholte. 
Wie sollte man da jemals die 45 Meilen Weg zurücklegen?

Ich versuchte es auf dem Steuerbordbug.
Ich versuchte es auf dem Backbordbug.

Es half kein Trixen. Nichts brachte uns wirklich voran. Und wenn: Dann eher noch weg vom Ziel. Als der Wind zunahm, blieb ich auf Steuerbordbug. LEVJE legte sich mächtig auf die Steuerbordseite. Und trabte los.

Wer segelt, braucht Kraft. Aber vor allem seine Sinne. Und zwar alle. Die Nase, um riechen zu können, wenn Gas oder Diesel ausströmt. Den Tastsinn, um sich im Dunkel verborgener Winkel an Schrauben heranzutasten. Das Gehör. Von all meinen Sinnen ist mein Gehör am weitesten entwickelt. Ich höre buchstäblich, wenn etwas mit LEVJE nicht in Ordnung ist.

Es war gegen Mittag. Da war dieses merkwürdige Geräusch von vorne. Ich hatte es noch nie vorher gehört. An Bord. Geräusche macht LEVJE immer, die guten Geräusche wiederholen sich. Das Knarzen eines bestimmten Schotts in den Wellen. Das dumpfe Gurgeln aus offenen Bordverschlüssen, wenn LEVJE sich auf die Seite meines Waschraums legt. Man kann sie einordnen. Dieses Geräusch war neu. Irgendetwas in der Art splitternden Holzes vom Bug. Da – wieder! Was war das bloß? Ich hängte die Pinne in den Autopiloten, stand auf der mit voller Lage segelnden LEVJE auf und:

Der Bugkorb, nachdem ich ihn per Spifall und Winsch wieder halbwegs in Position gebracht hatte.

Dort, wo ich sorgsam die Genua auf dem Seezaun aufgetucht hatte, waren der massive Bugkorb und Seereling aus der senkrechten in die Waagrechte gebogen. Der Seezaun stand auf einer Länge von vier Metern nicht mehr nach oben, sondern seitlich ab. Eine Relingstütze war gebrochen. Der Seezaun hing durch. Den Bugkorb hatten nur Vorstag und Fockroller davon abgehalten, vollkommen nach steuerbord zu wandern und dort vollends abzureissen. Der Bugtritt aus daumendicken Teakholz war ebenfalls gesplittert. 

Nur die Genua war fest und sicher auf dem schlapp seitlich baumelnden Seezaun aufgetucht, als wäre nichts gewesen. Sie schwebte dort, wo ich sie befestigt hatte, nur jetzt eben fast ein Meter seitlich des Schiffsrumpfes statt darüber.

Vermutlich hatte die nur kopfgroße Öffnung der eingerollten Genua am Bugkorb wie die Öffnung eines Flugzeugtriebwerkes gewirkt: Sie hatte die Kraft der steilen Welle und LEVJE’s schäumende Bugwelle eingefangen. Und wie ein schwerer Treibanker mit unglaublicher Kraft Bugkorb und Seereling nach hinten gezogen. Eine Sache, die ich bestimmt über fünfzig Mal angewendet hatte, hatte im veränderten Umfeld steiler Wellen und in starker Lage zu einem gewaltigen Schaden geführt.

Das Bild war verheerend. Verbogener Edelstahl. Wie nichts geknicktes 25mm-Rohr. Zersplitterte Holztrümmer des beidseitigen Bugtrittes.

Ich barg die Genua. Sie war arglos eingerollt und unbeschädigt, wie ich sie befestigt hatte.
Ich versuchte, den eingeklemmten Fockroller wieder gängig zu bekommen.
Ich nutzte Spi-Fall und Winschen, um die verbogenen Teile wieder so hinzubekommen, dass sie beim Segeln und Anlegen nicht mehr im Weg waren.
Ich versuchte, den Seezaun zu reparieren und behelfsmässig zu straffen. Ein nicht gestraffter Seezaun ist – vor allem in der Dunkelheit, wenn man der Gewohnheit folgend schnell danach greift – das Unfallträchtigste überhaupt.

Und: Ich schalt ich mich einen Idioten. 
Auch wenn ich mir in meinen kühnsten Träumen einen derartigen Schaden nicht hätte vorstellen können.

Wie alles weiterging?

Wir beschlossen, nicht umzukehren, sondern die restliche Strecke weiter zu segeln.
Zehn Stunden später, gegen 23 Uhr nachts erreichten wir den Hafen von Le Castella bei Crotone. Fuhren im verlassenen Hafen unseren Anleger.

Am nächsten Morgen suchte ich einen Schlosser. Und fand „Pino“.

LEVJE im Hafen von Le Castella: Ohne Bugkorb. Ohne Seezaun.

Pino ist eigentlich die Kurzform von Giuseppe. Gemeinsam demontierten wir den Bugkorb. Pino schnallte ihn aufs Dach seines FIAT PANDA. Und rollte damit aus dem Hafen.

Gegen Abend kam Pino schweißüberströmt wieder zurück. Auf seinem Autodach der reparierte, wieder in Form gebrachte Bugkorb. Und die geschweißte Relingstütze. Pino hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben: Er schweißte den Bugkorb, wo er gebrochen war. Brachte ihn, wer weiß, mit welchen Hebelarmen und Kräften, wieder in seine ursprüngliche Form. Schliff ihn, wo er neue Nähte aufgebracht hatte. Es war perfekte Arbeit. Nur die zerbrochenen Trittbretter am Bugkorb: Die werden bis zum Winter warten müssen. Aber sie sind auch kein Original-Detail.

Pino, der Schlosser von Le Castella, und der wieder eingesetzte reparierte Bugkorb.

Ich bin Pino, der eigentlich Giuseppe Magnolia heißt, zu tiefem Dank verpflichtet. Ihm und all denen, die mir in diesem Land immer wieder weiterhelfen, wenn mal nichts mehr ging. 

Denn dies ist Italien, wie ich es seit bald 40 Jahren immer wieder erlebte und kenne. Wenn Du ein Problem hast: Dann hilft man Dir hier weiter.

Mare Più: heißt „mehr Meer“. 

Und wenn Sie mehr Geschichten 

über die Menschen am Meer lesen wollen:


Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.

Jetzt lesen. Als eBook. Als Print. Hier bestellen.

Auch als Film:  

Im Download. Als DVD. Hier.

Demnächst auch in den CINEPLEX-Kinos 
in Aichach und Germering bei München.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.

Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“

MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 

bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“

YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 

Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“

SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“

LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!

Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“


RATGEBER.REISE. im Juni 2015

  

Von Sizilien in die südliche Adria. Von versunkenen Handys. Gewittern.Und zertrümmerten Bugkörben.

Im Folgenden die Geschichte über meine Reise 
die Schuhsohle des italienischen Stiefels entlang.
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Immer gut für Überraschungen: Die Straße von Messina.

Segeln, ein Schiff unter Segeln halbwegs gekonnt übers Meer zu bewegen, ist für mich Erfüllung. Ich habe lange Jahre davon geträumt, eines Tages zu tun, was ich jetzt tue. Und selbst zwei Jahre intensiven Segelns haben nichts von der Faszination nehmen können, die mich während meiner vier Tage von Sizilien in die Adria begleitete. 

Vielleicht. Vielleicht segle ich, weil ich auf dem Meer in vier Tagen so vieles, so reiches erlebe wie sonst in einem Jahr. 

Catania war der Startpunkt meiner Umsegelung Siziliens. Und auch der Endpunkt. Und ich erreichte ihn vergangene Woche. Wie schon im vergangenen Herbst war ich auch diesmal überrascht von Siziliens zweitgrößter Stadt. Catania kennt man, weil man hier landet oder abfliegt. Für Catania hat man wenig Zeit. Vom quirrligen Leben in der Stadt, von der studentischen Kneipenszene, dem Theatro Bellini und dem Korbflechter bekommt man wenig mit. Zu wenig. Was schade ist. Catania ist nicht unbedingt eine Hübsche. Aber eine Inspirierende allemal. Und damit hat sich Catania einen Platz auf meiner langen Liste jener Orte verdient, in denen ich leben könnte.

Die Geschichte vom versunkenen Handy.

Das Wegstück von Catania bis Crotone begleitete mich Andreas, der sich in LEVJE’s prall gefülltes Buch der Abenteuer mit folgender Geschichte eintrug:

Der Ätna im Sonnenuntergang. Und gleichzeitig das letzte Foto, das Andreas von seinem iPhone versandte.

Wir brachen nach Taormina auf, etwa fünf Stunden mit dem Boot nördlich von Catania. Die Sonne ist hinter dem Ätna verschwunden und beleuchtet wie ein Theaterscheinwerfer die Dampfwolken, die der Vulkan auf 3.300 Meter Höhe ausstößt. An Steuerbord begleiten uns schon eine ganze Weile Delphine. Sie sind klein, knapp einen Meter groß. Eine Schule von etwa zehn Tieren. Einer ist besonders keck: Immer wieder springt er senkrecht aus dem Wasser, vollführt über der Wasseroberfläche eine halbe Körperdrehung, um dann rückwärts wieder im Wasser einzutauchen. 

Kaum erkennbar, doch unübersehbar: Der kleine Delphin, der gerade aus dem Wasser springt. Und rückwärts wieder eintaucht.

Das geht so 10, 15 Mal, immer wieder zeigt uns der kleine Kerl dasselbe Kunststück, das er ein Stück weit querab von uns vollführt. Es ist das Erstaunliche, immer wieder Verblüffende an Delphinen: Wo andere Lebewesen einfach ihr Dasein frissten, indem sie warten, dass Futter vom Himmel fällt oder  auf Beute lauern, zeigen sie: Kunststücke. Sie nähern sich uns nicht einfach. Sie schenken uns etwas – jedenfalls kommt man bei der Begegnung mit diesen Tieren nicht umhin, deren Verhalten auf sich zu beziehen. Wie oft habe ich Delphine erlebt, die 50 Zentimeter vor dem Bug meines Bootes im Kielwasser schwammen, heraufblinzelten. Nie konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Delphine nicht nur die Nähe des Menschen suchen, sondern ihren Spaß haben, etwas mitzuteilen. Es ist, als wären sie sich bewusst, dass da jemand zusieht, ein „Schau’ mal, was ich kann!“ und ein „Kuck mal, wozu ich meine Freiheit nutze!“ In den vier Tagen, den 220 Seemeilen zwischen Sizilien und der Adria sollte ich das noch öfter erleben – siehe meinen neueren Post.

Leider kamen sie nicht näher, blieben auf Distanz. Eine Viertelstunde begleiteten sie uns – dann zogen sie ihrer Wege. Und während die Nacht langsam sank und der Ätna hinter uns immer mehr zum schwarzen Riesen wurde vor seiner goldenen Tapete, während die Delphine fröhlich ihrer Wege zogen, steckte Andreas  auf dem Vordeck sein iPhone in seine Hosentasche. Er tat das, wie man halt sein iPhone in die Hosentasche steckt. Jedenfalls versuchte er es. Denn da, wo seine Hose üblicherweise eine Tasche hat, war diesmal keine. Also hüpfte das iPhone noch einmal fröhlich an Deck auf und vollführte dann, vollendet wie ein Turmspringer, seinen Sprung vom Deck ins Wasser. Mit der Schmalseite voraus. Und fast ohne Spritzer beim Auftreffen. 

Das Handy machte sich ohne weitere Umstände auf den längeren Weg die 235 Meter hinunter auf den Meeresgrund, ohne noch einmal aufzutauchen. Wir versuchten natürlich sofort, hinterher zu telefonieren, um dem iPhone zu sagen: „So gehts ja nicht!“ Aber aus der Wassertiefe kam nicht mal mehr ein „Blubb“, sondern bei Anruf nur die gewohnte Frauenstimme, die darum bat, doch für Herrn Dr. Meyer eine Nachricht zu hinterlassen. Er sei zur Zeit nicht zu erreichen. 

Was dann ja auch eine ganz eigene, tiefere Wahrheit war. 

Von Taormina/Sizilien nach Roccella Ionica/Kalabrien.

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Taormina ist nun wirklich ein touristisches Highlight auf Sizilien. Das kleine Bergnest, das im Dunkel auf der Anhöhe lag und von dessen Amphittheater man einen phänomenalen Blick hat auf den qualmenden Gipfel des Ätna, ist wirklich ein Must See. Aber da wir erst gegen halb elf Nachts ankamen und gleich neben dem Bahnhof den idealen Platz in der Südbucht fanden, um unseren Anker in der Dunkelheit fallen zu lassen, wars nix mit Tourismus. Wir müssen uns mit dem Wissen begnügen, dass das 11.000-Seelen-Nest Taormina jährlich 1,3 Millionen Besucher durchlaufen, was dann das liebe Berlin (3,5 Millionen Einwohner; 2015: 12,5 Millionen Besucher) zumindest von der Einwohner-Besucher-Relation alt aussehen lässt. Alle, alle waren da. Goethe und Sissi. Thomas Mann und Cary Grant. Marlene Dietrich und Greta Garbo. Bloß wir nicht.

Am Morgen um fünf aus den Federn. Ein langer Schlag von 80 Seemeilen über die Straße von Messina und dann die Schuhsohle des italienischen Stiefels Richtung Absatz entlang. Wir holen den Anker im Dunkel vom Meeresgrund, ganz warm ist die Kette, weil das Meer jetzt im August so warm ist. Im Dunkel schleichen wir zwischen den anderen Ankerliegern hinaus, drehen im Schatten der Klippe noch einen Aufschiesser, um in der Dunkelheit unser Großsegel zu setzen. Und dann geht es raus, Kurs Ost-Nord-Ost, Richtung italienisches Festland.

Eigentlich ist für die Wegstrecke bis zur Adria nur schwacher Wind angesagt. Flaute. Nur hier, südlich der Straße von Messina, soll es für die ersten fünf Stunden wie aus einer Düse heraus wehen. Kaum sind wir aus der Felsabdeckung draußen, meldet sich die Düse. Noch im Dunkel nimmt der Wind jede Viertelmeile merklich zu. Und noch bevor die Sonne über der Stiefelspitze aufgegangen ist, haben wir gerefft, was zu reffen war. Der Windmesser zeigt in der Spitze 35 Knoten schräg von vorn, die große Genua ist auf ein Feigenblättchen verkleinert. Trotzdem taucht LEVJE heftig in die Wellen ein, schiebt Lage. Und ich überlege: Was ich eigentlich täte, wenn der Wind noch weiter 

zunähme und mein kleiner Windmesser die 40 Knoten scheinbaren Wind übersteigt. Es sind drei Stunden hartes Steuern: Trotz maximal verkleinerter Segelfläche strebt LEVJE in den Wind, die Pinne auf Kurs zu halten ist kräftezehrendes Oberarm-Training. Im Nu sind Andreas und ich nass, weil krachend Wellen an der Bordwand brechen. Nasses Segeln. Auf nüchternen Magen. Es geht so, bis ich gegen halb acht Uhr endlich feststelle: Der Wind nimmt nun nicht weiter zu.

Die Straße von Messina und ihre ungewöhnlichen Wetterphänomene: Ich schrieb im vorigen Post darüber. Und wie der wütende Wind gekommen war, so schnell ist er wieder vorbei: Kaum haben wir den Trichter hinter uns, endet die Düse abrupt, auf einem Stück von 100 Metern Länge. Als hätte jemand den Strom abgestellt. Man stelle sich ein Fußballfeld vor: Dem Torwart an einem Ende treiben sieben Beaufort Tränen in die Augen. Während der Torwart gegenüber in der Windstille gelangweilt am Pfosten lehnt.

Die Straße von Messina.

Der denkbar merkwürdig zertrümmerte Bugkorb.

Roccella Ionica erreichten wir am Abend. Wir ahnten nicht, dass aus einer Nacht, die wir geplant hatten, drei werden würden, denn schon am nächsten Tag rumpelten schwere Gewitter über den Hafen, gerade, als wir auslaufen wollten. Die Männer der GUARDIA COSTIERA rieten uns ab, auszulaufen, erzählten von Windstärke 7 draußen. Ein Segler aus Starnberg, der wegen Motorproblemen in den Hafen zurückkam, berichtete von 5 Meter hohen Wellen. Ich? Glaubte beides nicht.

Nach drei Tagen im Hafen sitzen und Winschen fetten hatte ich genug. Beim Aufstehen morgens um halb sechs war die Bucht ruhig wie ein Ententeich. Die Gewitterwarnungen waren vorbei. Nur etwas Wind von da, wo wir hin wollten, würden wir bekommen. Was machte es schon.

Um sechs Uhr Morgens brachen wir auf. Unser Ziel: Rüber über den Golfo di Sqillace in 14 Stunden. Und wenn alles gut lief, gleich weiter die 18 Stunden hinüber zum Absatz des Stiefels, die 85 Seemeilen über den Golf von Tarent.

Ich war klug. Dachte ich jedenfalls. Weil ich rechnete, dass Gegenwind stärker blasen würde als angegeben, wechselte ich noch vor dem Golf die Vorsegel. Die für mühevolles Starkwind-Aufkreuzen exakter arbeitende Fock kam drauf. Die große Allzweck-Genua kam runter. Ich rollte sie ein. Und tuchte sie sorgfältig vorne steuerbords am Bugkorb auf dem Seezaun auf, ordentlich alle 80 Zentimeter mit Bändsel gesichert. Falls ich mich irrte. Und der Wind doch nicht so stark ausfallen sollte.

Kaum draußen, kamen Wind und Welle wirklich exakt aus der Ecke, die wir ansteuern wollten. An Kurs aufs Ziel halten war nicht zu denken. Der Wind kam zudem böig daher. Und brachte aus dem Golfo di Squillace eine ungewöhnlich steile Welle daher. In kurzem Abstand kamen sie an. Kaum dass LEVJE mühsam etwas Fahrt aufgenommen hatte, bohrte sich ihr Bug in eine Wellenwand. Das Deck wurde ein ums andere Mal überspült. Mühsam nahm LEVJE wieder Fahrt auf. Legte sich im zunehmenden Wind auf die Steuerbord-Seite. Und marschierte wieder los. Bis die nächste Gruppe steiler Wellen heranrollte. Und sich das Spiel wiederholte. 
Wie sollte man da jemals die 45 Meilen Weg zurücklegen?

Ich versuchte es auf dem Steuerbordbug.
Ich versuchte es auf dem Backbordbug.

Es half kein Trixen. Nichts brachte uns wirklich voran. Und wenn: Dann eher noch weg vom Ziel. Als der Wind zunahm, blieb ich auf Steuerbordbug. LEVJE legte sich mächtig auf die Steuerbordseite. Und trabte los.

Wer segelt, braucht Kraft. Aber vor allem seine Sinne. Und zwar alle. Die Nase, um riechen zu können, wenn Gas oder Diesel ausströmt. Den Tastsinn, um sich im Dunkel verborgener Winkel an Schrauben heranzutasten. Das Gehör. Von all meinen Sinnen ist mein Gehör am weitesten entwickelt. Ich höre buchstäblich, wenn etwas mit LEVJE nicht in Ordnung ist.

Es war gegen Mittag. Da war dieses merkwürdige Geräusch von vorne. Ich hatte es noch nie vorher gehört. An Bord. Geräusche macht LEVJE immer, die guten Geräusche wiederholen sich. Das Knarzen eines bestimmten Schotts in den Wellen. Das dumpfe Gurgeln aus offenen Bordverschlüssen, wenn LEVJE sich auf die Seite meines Waschraums legt. Man kann sie einordnen. Dieses Geräusch war neu. Irgendetwas in der Art splitternden Holzes vom Bug. Da – wieder! Was war das bloß? Ich hängte die Pinne in den Autopiloten, stand auf der mit voller Lage segelnden LEVJE auf und:

Der Bugkorb, nachdem ich ihn per Spifall und Winsch wieder halbwegs in Position gebracht hatte.

Dort, wo ich sorgsam die Genua auf dem Seezaun aufgetucht hatte, waren der massive Bugkorb und Seereling aus der senkrechten in die Waagrechte gebogen. Der Seezaun stand auf einer Länge von vier Metern nicht mehr nach oben, sondern seitlich ab. Eine Relingstütze war gebrochen. Der Seezaun hing durch. Den Bugkorb hatten nur Vorstag und Fockroller davon abgehalten, vollkommen nach steuerbord zu wandern und dort vollends abzureissen. Der Bugtritt aus daumendicken Teakholz war ebenfalls gesplittert. 

Nur die Genua war fest und sicher auf dem schlapp seitlich baumelnden Seezaun aufgetucht, als wäre nichts gewesen. Sie schwebte dort, wo ich sie befestigt hatte, nur jetzt eben fast ein Meter seitlich des Schiffsrumpfes statt darüber.

Vermutlich hatte die nur kopfgroße Öffnung der eingerollten Genua am Bugkorb wie die Öffnung eines Flugzeugtriebwerkes gewirkt: Sie hatte die Kraft der steilen Welle und LEVJE’s schäumende Bugwelle eingefangen. Und wie ein schwerer Treibanker mit unglaublicher Kraft Bugkorb und Seereling nach hinten gezogen. Eine Sache, die ich bestimmt über fünfzig Mal angewendet hatte, hatte im veränderten Umfeld steiler Wellen und in starker Lage zu einem gewaltigen Schaden geführt.

Das Bild war verheerend. Verbogener Edelstahl. Wie nichts geknicktes 25mm-Rohr. Zersplitterte Holztrümmer des beidseitigen Bugtrittes.

Ich barg die Genua. Sie war arglos eingerollt und unbeschädigt, wie ich sie befestigt hatte.
Ich versuchte, den eingeklemmten Fockroller wieder gängig zu bekommen.
Ich nutzte Spi-Fall und Winschen, um die verbogenen Teile wieder so hinzubekommen, dass sie beim Segeln und Anlegen nicht mehr im Weg waren.
Ich versuchte, den Seezaun zu reparieren und behelfsmässig zu straffen. Ein nicht gestraffter Seezaun ist – vor allem in der Dunkelheit, wenn man der Gewohnheit folgend schnell danach greift – das Unfallträchtigste überhaupt.

Und: Ich schalt ich mich einen Idioten. 
Auch wenn ich mir in meinen kühnsten Träumen einen derartigen Schaden nicht hätte vorstellen können.

Wie alles weiterging?

Wir beschlossen, nicht umzukehren, sondern die restliche Strecke weiter zu segeln.
Zehn Stunden später, gegen 23 Uhr nachts erreichten wir den Hafen von Le Castella bei Crotone. Fuhren im verlassenen Hafen unseren Anleger.

Am nächsten Morgen suchte ich einen Schlosser. Und fand „Pino“.

LEVJE im Hafen von Le Castella: Ohne Bugkorb. Ohne Seezaun.

Pino ist eigentlich die Kurzform von Giuseppe. Gemeinsam demontierten wir den Bugkorb. Pino schnallte ihn aufs Dach seines FIAT PANDA. Und rollte damit aus dem Hafen.

Gegen Abend kam Pino schweißüberströmt wieder zurück. Auf seinem Autodach der reparierte, wieder in Form gebrachte Bugkorb. Und die geschweißte Relingstütze. Pino hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben: Er schweißte den Bugkorb, wo er gebrochen war. Brachte ihn, wer weiß, mit welchen Hebelarmen und Kräften, wieder in seine ursprüngliche Form. Schliff ihn, wo er neue Nähte aufgebracht hatte. Es war perfekte Arbeit. Nur die zerbrochenen Trittbretter am Bugkorb: Die werden bis zum Winter warten müssen. Aber sie sind auch kein Original-Detail.

Pino, der Schlosser von Le Castella, und der wieder eingesetzte reparierte Bugkorb.

Ich bin Pino, der eigentlich Giuseppe Magnolia heißt, zu tiefem Dank verpflichtet. Ihm und all denen, die mir in diesem Land immer wieder weiterhelfen, wenn mal nichts mehr ging. 

Denn dies ist Italien, wie ich es seit bald 40 Jahren immer wieder erlebte und kenne. Wenn Du ein Problem hast: Dann hilft man Dir hier weiter.

Mare Più: heißt „mehr Meer“. 

Und wenn Sie mehr Geschichten 

über die Menschen am Meer lesen wollen:


Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.

Jetzt lesen. Als eBook. Als Print. Hier bestellen.

Auch als Film:  

Im Download. Als DVD. Hier.

Demnächst auch in den CINEPLEX-Kinos 
in Aichach und Germering bei München.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

„… ein Sehnsuchtsbuch par excellence.

Und ein echtes sinnliches Erlebnis.“

MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

„… eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 

bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre.“

YACHT im Mai 2015 

„Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 

Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt.“

SEGELREPORTER im Dezember 2015

„… ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend.“

LITERATURBOOT im Juli 2015

„Absolut empfehlenswert!

Für Reisebegeisterte ist ‚Einmal München-Antalya, bitte!‘ definitiv zu empfehlen.“


RATGEBER.REISE. im Juni 2015

  

Einhand um Sizilien, Teil VIII.: Mit der Pinne in der einen. Und dem Gelato in der anderen Hand!

In lockerer Folge erzähle ich in dieser Artikelserie meine Reise 
um Sizilien auf meiner 31-Fuß-Yacht LEVJE im Sommer 2016. 

Alle Artikel dieser Reihe finden Sie auf click HIER. 
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Unterwegs in den Gelaterien von Trapani ganz im Westen Siziliens.




Meinen New Yorker Bekannten, nennen wir ihn Rob, denn so heißt er wirklich, treibt sein Interesse alle paar Jahre nach Deutschland. Er ist über 60, Anwalt, und ihn treibt seine Lust, dieses unser Deutschland zu verstehen, regelmäßig für fast einen Monat landauf, landab. Am Ende verfasst Rob für die Freunde in USA einen Bericht über dieses Deutschland, in dem er mich mit klugen Beobachtungen jedes Mal verblüfft.
Rob hält fest:
Was die Deutschen über den VW-Skandal dächten.
Warum die Deutschen lieber in den kleinen Hotelzimmern privat geführter Hotels statt Ketten übernachten.
Warum deutsche Supermärkte in Qualität und Auswahl keineswegs an ihr US-Pendant ran kämen. Nur bei Schokolade und Süßwaren, allenfalls.
Recht so.
Auch was Rob über das Essen in Deutschland schreibt, ist lesenswert. Nur an einer Stelle, lieber Rob, da stutzte ich: „Das beste Eis überhaupt“, schreibt er, das gäbe es in Frankfurt, in der Bockenheimer Landstraße. Grapefruit-Eis.

Nichts gegen Frankfurt. Und schon gar nicht gegen die Bockenheimer Landstraße. Und auch wenn es richtig ist, dass das liebe Deutschland uns gelegentlich, gelegentlich mit umwerfendem Gelato zu verblüffen weiß, so muss doch festgestellt werden: Das ist alles nichts. Gegen Sizilien.

Bei Franco in Marsala: Eis aus pürierten schwarzen (!) Brombeeren (!!) vom Ätna (!!!) und zuletzt mit einem Stich heißer Schokolade übergossen.

Beginnen wir mal mit den verschiedenen Grundsorten: In jeder sizilianischen Gelateria sind Milcheis und Wassereis in verschiedenen Vitrinen getrennt. Wassereis heißt Granita. Eigentlich kann man es eher als intensiv schmeckendes Sorbet bezeichnen. Vereinfacht gesagt, ist Granita einfach zermatschte Frucht, ohne weitere Zutaten (naja, ein bisschen Zucker, vielleicht…) eingefroren. Und zu klitzekleinen gefrorenen Eissplittern gecrushed.

Nehmen wir zum Beispiel die „Gelsi neri del Aetna“, („Brombeeren vom Ätna“), das ich bei Franco in Marsala bekam und die nicht einfach nur Wasser mit Himbergeschmack sind. Nein. Am Gaumen kommt eine Ladung schockgefrosteter pürierter Brombeeren an, in einer Kälte und einer Geschmacksdichte, die 37 Grad Außentemperatur ganz schnell vergessen lässt. Nie werde ich diesen Geschmack vergessen. Und mich darüber zu freuen, dass sogar die zermahlenen Brombeer-Körnchen zu spüren sind, die das ganze so echt machen.

Aber damit nicht genug: Bei Franco läuft wie aus einem Wasserhahn heiße Schokolade, mit der er erst den Keks und dann die eiskalte Granita benetzt. Kaum dass die flüssige Schokolade das Eis berührt, ist sie auch schon zu einer knusprigen Kruste erstarrt. Ich werde noch des öfteren darauf zu sprechen kommen, dass Marsala kulinarisch schon ein ganz besonderes Highlight darstellt in einer Region, wo man meint: Dass es da längst nichts mehr zu toppen gäbe.

Und dann das Milcheis. All die Kreationen zwischen „Sette Veli“ (benannt nach der legendären „Torta Setteveli“) und „Cheesecake con Fragola“ („Käsekuchen-Geschmack, natürlich mit ganzen Stücken von Käsekuchen drin, und eingerührtem Erdbeer-Kompott“, seuffzz!), das gute alte Pistazien-Eis. Dann Nocciola, mit dicken Streifen Nutella eingerührt (Doppel-Seuffz!!), es ist, als ob diesen Sommer noch mal ein Feuerwerk an Eissorten-Erfindungswut am wolkenlosen Himmel über Sizilien abginge. Über Schweinereien, denen ich mich gelegentlich nur verschämt und heimlich hingebe, wenn meine Frau nicht guckt, wie „Kinder-Pingui“ („Kinderschokolade“-Eis), „Rocher“ (Ist voller zerquetschter Rocher-Kugeln) „Mars“ und „Twix“ (alle mit zerquetschten Stückchen!) rede ich nicht.

Das Eis. Es ist dem Menschen quasi in die Wiege gelegt. Denn schon die alten Chinesen, jawohl, die schon wieder, die gerade unsere schöne KUKA-Roboterfertigung geschluckt haben, die haben angeblich das Eis erfunden, indem sie frisch gepressten Fruchtsaft mit kaltem Neuschnee vermengten. Das konnte man vor 2.000, 3.000 Jahren noch tun, weil es noch kein VW gab, das in frischem Neuschnee weitaus mehr Abgaspartikel hinterließ als erlaubt.
Bei den Römern, den Leckermäulern, gab es Eis natürlich auch: Schnelle Läufer brachten Schnee von den Gipfeln des Appenin in die Stadt, wo der Schnee ebenfalls mit Fruchtsaft gemixt wurde. Granita.

Mit den Römern, genauer: Mit den Segnungen des Christentums, verschwand das Eis dann wieder für ganze 600 Jahre von der Bildfläche. Spätestens hier muss endlich einmal ausgesprochen werden, was niemand sagt: Eis-technisch war die Erfindung des Christentums ein Rückschritt. Eis, Gelato kam erst wieder in unsere Hände, als brave Christen während der Kreuzzüge zu Eroberungszwecken im Heiligen Land auftauchten. Und die Muslime sich dafür mit den neuesten Eisrezepten bei den Christen revanchierten. Sie hatten von den Römern die Kunst bewahrt, „Scherbet“ herzustellen – Schnee und Fruchtsaft. Und das teilten sie mit den Christen.

Es war schon mal alles besser in der Welt. Danach war das Eis in der westlichen Welt. Und aus ihr nicht mehr wegzudenken. Vor allem die Amerikaner machten sich keine zwei Jahrzehnte nach dem revolutionären Sieg über die britischen Kolonialherren daran, ihre Unabhängigkeit durch Erfindung der Eismaschine zu krönen und der Welt hinfort in der Erzeugung von Eissorten ein Vorbild zu sein.

Kehren wir zurück nach Sizilien. Milchreis und Granita. Aber wer denkt, dass damit alles erledigt wäre, der irrt. Gewaltig. In Mazara del Vallo, sonst eher etwas herb, verführte mich Paolo von der GELATERIA COPPETTA dazu, ein „Brioche con Gelato“ zu probieren. Ein süßes Rosinen-Brötchen, in der Mitte halbiert. Und mit verschiedenen Eissorten – in diesem Fall „Sette Veli“ und „Cheesecake“ –  gefüllt. So eine Art „Eis-Döner“ in süß. Brüller! Bedächtig darüber sitzend vergesse ich Welt und BREXIT und Umwelt.

Wie alles in der Welt kennt natürlich auch das Eis nicht nur Erfolg und Wachstum und grenzenlose Renditen. Der Softeis-Boom der Siebziger führte zu Problemen mit der Hygiene – heftige Magen-Darm-Infekte waren die Folge, wenn Ei im Eis verwendet wurde. Oder Eis mehrfach auftaute und wieder eingefroren wurde. Oder wenn der Portionier-Löffel drei Tage im gleichen Wasserbecher schwamm. Man erkennt den Profi heute daran, dass er derlei nicht mehr verwendet und den Löffel unter fließendem Wasser reinigt. Ei ist im Gelato eh keins mehr enthalten. Und so schlemme ich mich bedenkenlos einen sizilischen Segelsommer lang von Gelateria zu Gelateria.

Nicht jeder Eishersteller ist gleichermaßen stolz auf die gleichen Dinge. Im schönen Piana degli Albanesi führte mir Giuseppe die Qualität seines Eises vor Augen, indem er das Hörnchen einfach auf den Kopf stellte. „Schau“, sagte er, „So muss das sein! Es muss fest sein. Und darf nicht rausfallen vor lauter Milch.“ Ich war beeindruckt. Aber weniger über Giuseppe’s Theorie, was gutes Eis ausmacht. Sondern über den Dreh mit „Das Eis auf den Kopf stellen“. Ich wage derlei nicht. Weil ich mich eh immer mit dem schmelzenden Eis einsaue. Es ist oft ein Kampf: Wer ist nun schneller: Das Eis? Oder die Hitze? Oder ich mit „Eis-Aufessen“. Neben meinen ständig eingesauten Hosen, die meine Frau genussvoll fotografiert, läuft ständig Gianduia (gesprochen: „Dddschschannduja“, das italienische Wort für Nougat) über meine Pfoten. Am schlimmsten war Eis essen mit der reizenden Desiree. Ich hatte ihr ein Schokoladeneis mitgebracht in der Hitze. Aber da ein heißer Wind wehte, saßen Desiree und ich nur noch zu zweit in einer tröpfelnden Pfütze aus Schokoladen-Eiscreme – sowas verbindet.

Chefin und Mitarbeiterin: Margherita und Francesca in Trapani in der Gelateria PANNA & Co.

Bei all den Schwierigkeiten wird definitiv außer acht gelassen, was für ein Wirtschaftsfaktor das mit dem Gelato mittlerweile in Italien ist. Fünf Milliarden Euro setzt die Branche mittlerweile jährlich um. Das ist mit „Zwei-Euro-Artikeln“ mehr als der halbe Jahresumsatz der Buchbranche in Deutschland. In den 40.000 Gelaterien Italiens arbeiten 150.000 Mitarbeiter – und die Branche verzeichnet: „Wwwwwachstum!“ Dabei darf man das alles nicht unterschätzen: Denn um Eis herzustellen und zu vertreiben, braucht man Eismaschinen. Und Kühlschränke. Und Milch. Und Läden. Ein ganzer Rattenschwanz an Lieferanten verdient also an diesem Wirtschaftsboom kräftig mit.

Debora in Lipari auf der gleichnamigen Insel. Sie hat sich in diesem Jahr mit einer Gelateria selbständig gemacht.

Und wenn man dann denkt: Nun hätte man in Sizilien wirklich, aber auch wirklich alles gesehen und gekostet, was es an Eis so zu schmecken gäbe: Dann steht in einer kleinen Gelateria im Örtchen Lipari plötzlich Debora vor einem. Debora hat sich mit einer kleinen Gelateria CRISPI AL 61 vor kurzem dort selbständig gemacht, wo die Schwimmpontons im Norden des Städtchens Lipari auf der gleichnamigen Insel liegen. Eine Insel-Gelateria, sozusagen. Weil Debora gerade erst angefangen hat, hat sie in ihrer kleinen Gelaterie auch nur sechs, acht Sorten. Aber die haben es allesamt echt in sich. Nach dem ersten Eis musste dann auch gleich ein zweites her. Und das war dann noch mal mindestens genauso gut. Nach ihrem Geheimnis gefragt, sagt Debora: „Ich nehme nur Früchte, die hier auf der Insel wachsen. Von Leuten, die ich kenne. Und dann“, sie kichert verschmitzt, “ verkoche ich die Früchte zu Marmelade. Erst dann kommt das in mein Eis.“

Herrje.

Einhand um Sizilien, Teil VIII.: Mit der Pinne in der einen. Und dem Gelato in der anderen Hand!

In lockerer Folge erzähle ich in dieser Artikelserie meine Reise 
um Sizilien auf meiner 31-Fuß-Yacht LEVJE im Sommer 2016. 

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Unterwegs in den Gelaterien von Trapani ganz im Westen Siziliens.




Meinen New Yorker Bekannten, nennen wir ihn Rob, denn so heißt er wirklich, treibt sein Interesse alle paar Jahre nach Deutschland. Er ist über 60, Anwalt, und ihn treibt seine Lust, dieses unser Deutschland zu verstehen, regelmäßig für fast einen Monat landauf, landab. Am Ende verfasst Rob für die Freunde in USA einen Bericht über dieses Deutschland, in dem er mich mit klugen Beobachtungen jedes Mal verblüfft.
Rob hält fest:
Was die Deutschen über den VW-Skandal dächten.
Warum die Deutschen lieber in den kleinen Hotelzimmern privat geführter Hotels statt Ketten übernachten.
Warum deutsche Supermärkte in Qualität und Auswahl keineswegs an ihr US-Pendant ran kämen. Nur bei Schokolade und Süßwaren, allenfalls.
Recht so.
Auch was Rob über das Essen in Deutschland schreibt, ist lesenswert. Nur an einer Stelle, lieber Rob, da stutzte ich: „Das beste Eis überhaupt“, schreibt er, das gäbe es in Frankfurt, in der Bockenheimer Landstraße. Grapefruit-Eis.

Nichts gegen Frankfurt. Und schon gar nicht gegen die Bockenheimer Landstraße. Und auch wenn es richtig ist, dass das liebe Deutschland uns gelegentlich, gelegentlich mit umwerfendem Gelato zu verblüffen weiß, so muss doch festgestellt werden: Das ist alles nichts. Gegen Sizilien.

Bei Franco in Marsala: Eis aus pürierten schwarzen (!) Brombeeren (!!) vom Ätna (!!!) und zuletzt mit einem Stich heißer Schokolade übergossen.

Beginnen wir mal mit den verschiedenen Grundsorten: In jeder sizilianischen Gelateria sind Milcheis und Wassereis in verschiedenen Vitrinen getrennt. Wassereis heißt Granita. Eigentlich kann man es eher als intensiv schmeckendes Sorbet bezeichnen. Vereinfacht gesagt, ist Granita einfach zermatschte Frucht, ohne weitere Zutaten (naja, ein bisschen Zucker, vielleicht…) eingefroren. Und zu klitzekleinen gefrorenen Eissplittern gecrushed.

Nehmen wir zum Beispiel die „Gelsi neri del Aetna“, („Brombeeren vom Ätna“), das ich bei Franco in Marsala bekam und die nicht einfach nur Wasser mit Himbergeschmack sind. Nein. Am Gaumen kommt eine Ladung schockgefrosteter pürierter Brombeeren an, in einer Kälte und einer Geschmacksdichte, die 37 Grad Außentemperatur ganz schnell vergessen lässt. Nie werde ich diesen Geschmack vergessen. Und mich darüber zu freuen, dass sogar die zermahlenen Brombeer-Körnchen zu spüren sind, die das ganze so echt machen.

Aber damit nicht genug: Bei Franco läuft wie aus einem Wasserhahn heiße Schokolade, mit der er erst den Keks und dann die eiskalte Granita benetzt. Kaum dass die flüssige Schokolade das Eis berührt, ist sie auch schon zu einer knusprigen Kruste erstarrt. Ich werde noch des öfteren darauf zu sprechen kommen, dass Marsala kulinarisch schon ein ganz besonderes Highlight darstellt in einer Region, wo man meint: Dass es da längst nichts mehr zu toppen gäbe.

Und dann das Milcheis. All die Kreationen zwischen „Sette Veli“ (benannt nach der legendären „Torta Setteveli“) und „Cheesecake con Fragola“ („Käsekuchen-Geschmack, natürlich mit ganzen Stücken von Käsekuchen drin, und eingerührtem Erdbeer-Kompott“, seuffzz!), das gute alte Pistazien-Eis. Dann Nocciola, mit dicken Streifen Nutella eingerührt (Doppel-Seuffz!!), es ist, als ob diesen Sommer noch mal ein Feuerwerk an Eissorten-Erfindungswut am wolkenlosen Himmel über Sizilien abginge. Über Schweinereien, denen ich mich gelegentlich nur verschämt und heimlich hingebe, wenn meine Frau nicht guckt, wie „Kinder-Pingui“ („Kinderschokolade“-Eis), „Rocher“ (Ist voller zerquetschter Rocher-Kugeln) „Mars“ und „Twix“ (alle mit zerquetschten Stückchen!) rede ich nicht.

Das Eis. Es ist dem Menschen quasi in die Wiege gelegt. Denn schon die alten Chinesen, jawohl, die schon wieder, die gerade unsere schöne KUKA-Roboterfertigung geschluckt haben, die haben angeblich das Eis erfunden, indem sie frisch gepressten Fruchtsaft mit kaltem Neuschnee vermengten. Das konnte man vor 2.000, 3.000 Jahren noch tun, weil es noch kein VW gab, das in frischem Neuschnee weitaus mehr Abgaspartikel hinterließ als erlaubt.
Bei den Römern, den Leckermäulern, gab es Eis natürlich auch: Schnelle Läufer brachten Schnee von den Gipfeln des Appenin in die Stadt, wo der Schnee ebenfalls mit Fruchtsaft gemixt wurde. Granita.

Mit den Römern, genauer: Mit den Segnungen des Christentums, verschwand das Eis dann wieder für ganze 600 Jahre von der Bildfläche. Spätestens hier muss endlich einmal ausgesprochen werden, was niemand sagt: Eis-technisch war die Erfindung des Christentums ein Rückschritt. Eis, Gelato kam erst wieder in unsere Hände, als brave Christen während der Kreuzzüge zu Eroberungszwecken im Heiligen Land auftauchten. Und die Muslime sich dafür mit den neuesten Eisrezepten bei den Christen revanchierten. Sie hatten von den Römern die Kunst bewahrt, „Scherbet“ herzustellen – Schnee und Fruchtsaft. Und das teilten sie mit den Christen.

Es war schon mal alles besser in der Welt. Danach war das Eis in der westlichen Welt. Und aus ihr nicht mehr wegzudenken. Vor allem die Amerikaner machten sich keine zwei Jahrzehnte nach dem revolutionären Sieg über die britischen Kolonialherren daran, ihre Unabhängigkeit durch Erfindung der Eismaschine zu krönen und der Welt hinfort in der Erzeugung von Eissorten ein Vorbild zu sein.

Kehren wir zurück nach Sizilien. Milchreis und Granita. Aber wer denkt, dass damit alles erledigt wäre, der irrt. Gewaltig. In Mazara del Vallo, sonst eher etwas herb, verführte mich Paolo von der GELATERIA COPPETTA dazu, ein „Brioche con Gelato“ zu probieren. Ein süßes Rosinen-Brötchen, in der Mitte halbiert. Und mit verschiedenen Eissorten – in diesem Fall „Sette Veli“ und „Cheesecake“ –  gefüllt. So eine Art „Eis-Döner“ in süß. Brüller! Bedächtig darüber sitzend vergesse ich Welt und BREXIT und Umwelt.

Wie alles in der Welt kennt natürlich auch das Eis nicht nur Erfolg und Wachstum und grenzenlose Renditen. Der Softeis-Boom der Siebziger führte zu Problemen mit der Hygiene – heftige Magen-Darm-Infekte waren die Folge, wenn Ei im Eis verwendet wurde. Oder Eis mehrfach auftaute und wieder eingefroren wurde. Oder wenn der Portionier-Löffel drei Tage im gleichen Wasserbecher schwamm. Man erkennt den Profi heute daran, dass er derlei nicht mehr verwendet und den Löffel unter fließendem Wasser reinigt. Ei ist im Gelato eh keins mehr enthalten. Und so schlemme ich mich bedenkenlos einen sizilischen Segelsommer lang von Gelateria zu Gelateria.

Nicht jeder Eishersteller ist gleichermaßen stolz auf die gleichen Dinge. Im schönen Piana degli Albanesi führte mir Giuseppe die Qualität seines Eises vor Augen, indem er das Hörnchen einfach auf den Kopf stellte. „Schau“, sagte er, „So muss das sein! Es muss fest sein. Und darf nicht rausfallen vor lauter Milch.“ Ich war beeindruckt. Aber weniger über Giuseppe’s Theorie, was gutes Eis ausmacht. Sondern über den Dreh mit „Das Eis auf den Kopf stellen“. Ich wage derlei nicht. Weil ich mich eh immer mit dem schmelzenden Eis einsaue. Es ist oft ein Kampf: Wer ist nun schneller: Das Eis? Oder die Hitze? Oder ich mit „Eis-Aufessen“. Neben meinen ständig eingesauten Hosen, die meine Frau genussvoll fotografiert, läuft ständig Gianduia (gesprochen: „Dddschschannduja“, das italienische Wort für Nougat) über meine Pfoten. Am schlimmsten war Eis essen mit der reizenden Desiree. Ich hatte ihr ein Schokoladeneis mitgebracht in der Hitze. Aber da ein heißer Wind wehte, saßen Desiree und ich nur noch zu zweit in einer tröpfelnden Pfütze aus Schokoladen-Eiscreme – sowas verbindet.

Chefin und Mitarbeiterin: Margherita und Francesca in Trapani in der Gelateria PANNA & Co.

Bei all den Schwierigkeiten wird definitiv außer acht gelassen, was für ein Wirtschaftsfaktor das mit dem Gelato mittlerweile in Italien ist. Fünf Milliarden Euro setzt die Branche mittlerweile jährlich um. Das ist mit „Zwei-Euro-Artikeln“ mehr als der halbe Jahresumsatz der Buchbranche in Deutschland. In den 40.000 Gelaterien Italiens arbeiten 150.000 Mitarbeiter – und die Branche verzeichnet: „Wwwwwachstum!“ Dabei darf man das alles nicht unterschätzen: Denn um Eis herzustellen und zu vertreiben, braucht man Eismaschinen. Und Kühlschränke. Und Milch. Und Läden. Ein ganzer Rattenschwanz an Lieferanten verdient also an diesem Wirtschaftsboom kräftig mit.

Debora in Lipari auf der gleichnamigen Insel. Sie hat sich in diesem Jahr mit einer Gelateria selbständig gemacht.

Und wenn man dann denkt: Nun hätte man in Sizilien wirklich, aber auch wirklich alles gesehen und gekostet, was es an Eis so zu schmecken gäbe: Dann steht in einer kleinen Gelateria im Örtchen Lipari plötzlich Debora vor einem. Debora hat sich mit einer kleinen Gelateria CRISPI AL 61 vor kurzem dort selbständig gemacht, wo die Schwimmpontons im Norden des Städtchens Lipari auf der gleichnamigen Insel liegen. Eine Insel-Gelateria, sozusagen. Weil Debora gerade erst angefangen hat, hat sie in ihrer kleinen Gelaterie auch nur sechs, acht Sorten. Aber die haben es allesamt echt in sich. Nach dem ersten Eis musste dann auch gleich ein zweites her. Und das war dann noch mal mindestens genauso gut. Nach ihrem Geheimnis gefragt, sagt Debora: „Ich nehme nur Früchte, die hier auf der Insel wachsen. Von Leuten, die ich kenne. Und dann“, sie kichert verschmitzt, “ verkoche ich die Früchte zu Marmelade. Erst dann kommt das in mein Eis.“

Herrje.

Einhand um Sizilien, Teil VII: Durch die Straße von Messina. Windhosen.Böen. Und die Spur des Odysseus.

In lockerer Reihenfolge erzähle ich in dieser Artikelserie meine Reise 
um Sizilien auf meiner 31-Fuß-Yacht LEVJE im Sommer 2016. 

Alle Artikel dieser Reihe finden Sie auf click HIER.

Bei der Einfahrt in die Straße von Messina vergangene Woche: Zwei Windhosen. Die weiße links befindet sich gerade in Auflösung, während der kleine bleigraue Schlauch weiter rechts gerade dabei ist, sich auszubilden. Selbst wenn alles weit entfernt ist, wird der Segler auf seinem kleinen Gefährt doch ehrfürchtig.

Das Nachdenken über Homer, über Odysseus und seine wundersame Odyssee und deren genaue Route: Es gehört zum Segeln im Mittelmeer. Unzählige Autoren haben über das Thema geschrieben. Von Göran Schildt’s „Im Kielwasser des Odysseus“ bis „Terra X“, Folge 27 und YOUTUBE: Odysseus und seine Reiseroute bewegen die Gemüter. Bis heute.

Die Felsen vor dem sizilischen Aci Trezza. Und warum sie wegen Odysseus hier liegen…

An kaum einem anderen Abschnitt des Mittelmeeres, nicht in der Ägäis, nicht im türkischen Kleinasien, schon gar nicht im heutigen Ithaka, dessen felsigen Boden die Schliemanns und Dörpfelds vergebens durchgruben, stößt man auf derart viele Hinweise auf Odysseus und die Beschreibung seiner Reise wie im Gebiet zwischen Süditalien und der Ostküste Siziliens.  „Odysseo“ hier. „Ulysse“ da.

Das hat mit zweierlei zu tun. Erstens damit, dass in diesem geografischen Gebiet zwischen der Schuhsohle des italienischen Stiefels und der Küste unterm Ätna sehr viele Orte sich und ihre Geschichte mit Odysseus in Verbindung bringen. Nehmen wir mal das unschuldige Dörfchen Aci Trezza. Das liegt genau zwischen Taormina und Catania unterhalb des Ätna an einem Küstenstrich,  der dank Goethe zu den Keimzellen und Brutstätten des modernen Tourismus gehört. Dort erzählt man sich und jedem Fremden, der es hören mag, die Geschichte, dass die merkwürdigen Basaltformationen, die den Hafen von Aci Trezza heute so malerisch einrahmen, von Polyphem selbst stammen. Der einäugige Riese hätte sie, berauscht, seines einzigen Auges beraubt und von Odysseus wie ein ‚Looser‘ aufs Kreuz gelegt, wütend dem Flüchtenden ins Meer hinaus nachgeschleudert – wo sie noch heute stehen.

Eine schöne Geschichte. Sie ist natürlich nicht wahr, aber doch bewundernswert gut erfunden. Vermutlich stammt sie von einem hochbegabten Dorfschullehrer, der Anfang des 19. Jahrhunderts im Dorf seine Lümmel endlich mal für lokale Geologie interessieren wollte. Was bei den Lümmeln in der Schule funktioniert, funktioniert erst recht beim Touristen. Und so hielt sich die Geschichte vom geblendeten Polyphem und seinen Steinen in der Welt bis heute. Und ziert jeden Sizilien-Reiseführer. Menschen wollen Emotionen. Sonst funktioniert ihr Hirn schlecht, sagt Hansgeorg Häusl, Gehirnforscher und Marketing-Messias.

Aber auch neue Geschichten kommen hinzu. So benamst das schöne Roccella Ionica, das eigentlich dank Italiens größtem Jazz Festival und einer wunderschönen Küste mit Bergen umwerfender ‚Antipasti di Pesce‘ über mangelnden Touristenzuspruch nicht zu klagen braucht, seine Marina „Porto di Ulisse“ – Hafen des Odysseus. Einen Hafen gabs hier, bevor neuzeitliche Investoren im Bund mit Marketing-Genies ihn gebaren, nie.

Es gibt – zweitens – neben diesen gelungenen Kreationen aus alten und neuen Marketing-Lab’s aber Orte, an denen sich echte Bezüge herstellen lassen, zu Odysseus.

Nehmen wir mal die Geschichte von Scylla und Carybdis. Scylla, ein widerwärtiges Meerungeheuer, das von einem Felsen am Festland heraus die geifertriefenden Zähne seiner sechs Köpfe in die Leiber der vorbeifahrenden Matrosen schlägt. Und sie frisst. Und gegenüber Charybdis. Der Strudel, der drei Mal am Tag Meerwasser einsaugt und gurgelnd wieder ausspeit und dadurch Mannschaften und Schiffe in Bedrängnis bringt.

Natürlich ist das erstunken und erlogen. Aber eben nicht wirklich schlecht erfunden. Deshalb weil:

Auf Lipari hatten wir herrliche Tage verbracht – siehe die letzten Posts über Vulkane und heiße Quellen. Vor allem hatte ich auf guten Wind gewartet, der sich in Gestalt eines Nordwest 5-6 zeigte und schnelle Fahrt zur 35 Seemeilen östlich gelegenen Einfahrt in die Straße von Messina verhieß. Der Wind kam pünktlich Nachmittags um zwei und trieb uns der Meerenge entgegen. Bis sich – wie schon an der vorherigen Tagen auch – Windhosen genau voraus an der Einfahrt in die Straße von Messina zeigten, wie im ersten Foto sichtbar. Auch wenn ich annahm, dass die Windhosen mit dem Nordwest mit und damit von uns weg zogen, sind sie immer noch ein beeindruckendes Wetterphänomen, auf dem man besser unablässig seine wachsames Auge ruhen lässt statt es einfach auf die leichte Schulter zu nehmen.

Nicht auszudenken, wenn man da hinein segelte in einen der beiden Schläuche, die wie die Schlünde eines Ungeheuers vom Himmel aufs Meer herunter ragen. Und die Mannschaft vom Deck eines Schiffes fressen…

Charybdis, der große Strudel. Noch Rod Heikell zitiert in seinem KÜSTENHANDBUCH ITALIEN  für die Straße von Messina das ihm vorliegende  KÜSTENHANDBUCH DER BRITISCHEN ADMIRALITÄT: „Die aus der Antike bekannten Strömungen und Strudel sind dergestalt, dass eine gewisse Vorsicht beim Befahren der Straße von Messina notwendig ist, außerdem sind Schiffe auf beiden Seiten der Straße in der Nähe des Hochlandes heftigen Böen ausgesetzt, die durch die Täler auf die Wasserstraße mit solcher Stärke einfallen, dass ein kleineres Schiff schon mal in Bedrängnis kommt.“

Natürlich laufen vor allem an der Engstelle starke Strömungen, sie sind eher die Ausnahme. Die Versetzung durch Strom stellt man aber immer noch fest, wenn man die Engen passiert. Genauso wie die merkwürdigen „Zipfelmützen“ auf dem Wasser, die ich beim ersten Befahren der Meerenge 2004 bemerkt hatte: Wirbel und auffällige Strömungsmuster, die meine damalige Crew faszinierten. Rod Heikell: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Straße von Messina in der Antike viel gefährlicher war“ –  bis 1783 ein Erdbeben die Topografie des Meeresbodens veränderte. Und dem Strudel, der sich vor der Ortschaft Scilla befand, den Graus machte. Heikell zitiert den Bericht eines britischen Admirals von 1824: „‚Ich habe mehrere Kriegsschiffe gesehen, darunter eines mit 74 Kanonen, die herumgewirbelt wurden, als sie in die Strudel gerieten.“

In der Dunkelheit gegen 22 Uhr kamen wir in Messina an und blieben die Nacht über dort. Die Weiterfahrt am nächsten Tag hatte es in sich. Gegen Mittag in Messina erst Windstille. Dann eine Böenwalze von steuerbord achtern von den sizilischen Hängen herunter, die LEVJE wechselweise flach aufs Wasser legte. Und dann ungebremst in den Wind schießen ließ. So ging es das ganze Stück nach Süden von Messina bis hinaus aus der Straße. Wo nach drei Stunden der Spuk ganz plötzlich vorbei war, als hätte jemand den Schalter des Ventilators ausgeknipst. Und den Rest des Tages nur noch endlose Motorenstunden uns nach Taormina brachten.

Was, wenn die Geschichten von Odysseus wahr wären?
Wenn sich in den Erzählungen einfach die Geschichten der Seeleute vor 3.000 Jahren wiederfinden, die sie sich in den Kneipen erzählten? In die sie ihre Erfahrungen mit regionalen Wetteranomalien verpackten? Und an andere Seereisende weitergaben?

Nehmen wir mal die Geschichte vom Windsack des Odysseus. Sie erinnern sich, ja? Odysseus hatte ja sein Fernbleiben vom häuslichen Herd, sein jahrzehntelange Herumtreiberei im Mittelmeer – öffentlich, wohl in Richtung seiner Frau? – so begründet:

Der Windgott Aiolos habe ihm einen Lederbeutel unbekannten Inhalts geschenkt, der keinesfalls vor Ankunft in Ithaka geöffnet werden sollte.
Zwei gierige Matrosen an Bord des Schiffes konnten sich aber nicht beherrschen. Und öffneten den Sack, als Ithaka in Sichtweite war.
Wie durch Zauber entsprangen dem Sack kreuz und quer durcheinander fahrende Böen und Winde, die Odysseus‘ Boot von der ersehnten Küste und seiner geliebten Penelope weg hinaus aufs Meer trieben. Wo er dann für weitere zehn Jahre herumirren musste. Wir wissen: Es war nicht immer nur zu seinem Leidwesen.

Was an der Geschichte richtig ist, sind die stets wechselnden Winde in und östlich der Straße von Messina. Wer jemals den gleichnamigen Golf bei dem Örtchen Squilace durchsegelte, der weiß, wovon die Rede ist. Wechselnde Winde. Winde von hier nach da. Eben ein Nichts. Dann ein grimmiges Hui. Ein Fauchen. Oder wie italienische Segler heute sagen:

„Il Golfo di Squillace
al Marinaio non da pace!“

Der Golf von Squillace – er lässt dem Seemann keine Ruh‘. Nein Homer, Odysseus: Sie haben recht. Die Orte zu identifizieren, an denen Odysseus unterwegs war, wird weiterhin Generationen unterhalten. Und nur gelegentlich gelingen. Aber in seine Lügen-Geschichten von Lotosesssern und einäugigen Riesen und schönen Frauen und bösen Männern sind eine Art 3.000 Jahre alter NAVTEX-Mitteilungen eingeflossen. Regionale Warnungen vor Wind. Und Wetter. Und Wellen. Geschichten, Erfahrungen von Seeleuten, die vor drei Jahrtausenden die Orte, die Meere befuhren und das erzählten. Sie hatten erlebt, was wir heute noch erleben.

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Karibiksegeln im Juli – 4. Domenica, der absolute Höhepunkt!


 Ankerbucht vor Roseau
Auf nach Domenica! Unter Motor geht es frühmorgens das kurze Stückhoch zum Nordkap von Martinique. Da wir bisher noch nirgendwo Landstrom bekommen haben, sind wir ja immer wieder auf Motorfahrten angewiesen, um die Spannung in den Akkus zu halten. Die Alternative wäre es, am Liegeplatz den Motor laufen zu lassen. Das müssen wir später auch noch machen, aber ich probiere es eben möglichst zu vermeiden und fahre Schwachwindsektionen dann eben unter Diesel. Am Nordkap angekommen, brist der Wind wie auch im Törnführer beschrieben stark auf. Klar. Düseneffekt und Kapeffekt kommen hier zusammen. Das erste Reff hatte ich schon vor dem Auslaufen eingebunden, also können die Segel direkt nach oben gehen und der wilde Ritt beginnt. Bis zu 8 Knoten stehen auf meinem GPS, die Logge ist, wie so einiges andere an diesem Boot, defekt. Die Sun Odyssey legt sich weit über wird dann aber schnell stabil und schnell. Noch etwas mit Fockgröße, Traveller und Trimm experimentiert, dann passt alles und der Autopilot (dessen Anzeige auch defekt ist) verrichtet seinen Dienst. Wir bekommen den Wind genau von der Seite, samt kräftiger Welle. Aber mit diesem Speed segelt es sich ganz hervorragend und schnell wird Domenica vor dem Bug immer größer, während Martinique im Kielwasser verschwindet. Die Seekarten (die an Bord sind die übrigens noch von 2006!!) und die Plotter (ich habe sicherheitshalber auch mein Tablet samt Navionics Software mitgebracht) berichten vom ominösen 7 Feet Rock, dessen Position nicht ganz eindeutig ist. Ich halte also lieber genug Abstand von Scotts Head, der Untiefe am Südkap von Domenica.

 Land in Sicht


 Zwischen den Inseln
Und auch hier brist es wieder ganz gewaltig auf und eine Böe legt uns eine Zeit heftig auf die Seite. Alle Augen ruhen auf mir. Jetzt bloß ganz gleichgültig tun. Alles an diesem Boot ist so groß, dass man nicht mal eben die Großschot fieren kann. Dazu kommt das German Cuppersystem auf einer gemeinsamen Winsch für Fock und Groß. Da muss dann erst einmal die Großschot um eine Winsch gelegt, eine Klemme geöffnet und langsam gefiert werden, und das dauert eben. Aber die vor Schreck geweiteten Augen der Crew bleiben größer als die eigentliche Krängung. Alles im grünen Bereich. Der Wind dreht nun mit dem Kap mit und kommt eine Zeit lang raum, bis er dann langsam schwächelt. Also gehen wir wieder in den stromerzeugenden Dieselmodus. Mir wurde vorab geraten möglichst nur in Portsmouth zu ankern, da der Rest von Domenica nicht ganz ungefährlich wäre. Soweit in den Norden wollen wir aber nicht, und ich denke die Hauptstadt Roseau geht auch in Ordnung. Der Törnführer beschreibt ein paar mögliche Plätze samt diversen Telefonnummern und UKW Anrufkanälen von möglichen Liegeplätzen, aber niemand antwortet. Eigentlich wollte ich schon mit gutem Abstand zur Küste einen der empfohlenen Plätze reservieren, bevor wir von Boat-Boys umlagert werden. Besonders erwähnt wird im Törnführer von Chris Doyle ein Marcus, der sich um die Security in der gesamten Ankerbucht kümmern soll. Aber auch er antwortet nicht. Und da löst sich auch schon ein kleines, knallbuntes Boot mit Außenborder vom Land und hält auf uns zu. Das hat etwas von den Piratenbildern, die man aus Somalia kennt, aber es wird wohl Zeit Vorurteile über Bord zu werfen und sich dem Neuen zu stellen. Das farbenfrohe Boot samt farbenfrohem Lenker im Rasta-Style und leicht verkifften Augen geht längsseits. Auf Domenica spricht man zum Glück englisch, was die Kommunikation doch sehr erleichtert. Eigentlich möchte ich an eine Mooringtonne vor dem Domenica Marine Center, aber er zeigt auf eine Tonne ein gutes Stück weit davon entfernt. Ich frage ihn nach Marcus. Ja, den kenne er. Wenn ich möchte, würde er ihn holen, sobald wir an der Tonne liegen. Wir willigen etwas zögernd ein und folgen dem Boot. Nachdem die Leine fest ist, verhandeln wir auch schnell noch den Preis. 40 karibische Dollar, also ca. 13 Euro die Nacht. Inklusive Security. Angesichts der verfallenen Gebäude direkt vor uns, sowie schwelender Feuer am Strand und der offensichtlichen Armut sind wir hin- und hergerissen. Wir liegen in Schwimmweite des Strandes und die Küste wirkt leicht bedrohlich. Das ist hier dann doch ganz anders als auf Martinique.

In meinem Buch befindet sich jedenfalls ein Foto von Marcus, und der Mann, der nun mit unserem Boat-Boy angefahren kommt, sieht ihm in der Tat sehr ähnlich. Freier Oberkörper, einige Zähne fehlen, am Gürtel ein martialisch aussehendes Messer sowie eine Handfunke. Und er redet gleich drauflos: “Hi, I am Marcus, I am the Security here in this bay”. Ich zeige ihm das Foto und er lacht. Ja, das wäre er. Er würde nun aber nicht mehr für das Marine Center arbeiten, sondern auf eigene Rechnung, und dieses hier wäre seine private Mooringtonne. Irgendwie wirkt er extrem von der Rolle und auch nicht ganz nüchtern. Ich setze mich aufs Vordeck um ein wenig mit ihm zu plaudern und einen Eindruck zu gewinnen. Er erzählt mir, dass sein nagelneuer Außenborder grade abgesoffen wäre (it went fucking dong, man), und mit ihm sein Handy. Daher hätten wir ihn nicht erreicht, aber er würde sich nun um alles kümmern. Zoll, Ausflüge, er könnte uns überall behilflich sein. Wenn auch nicht ganz nüchtern, erscheint er mir aber doch sympathisch und vertrauenswürdig. Die anderen stimmen zu, und wir bezahlen für zwei Nächte plus einem Trinkgeld von 20 EC für den Service. Und sagen ihm zunächst, dass wir uns später wieder melden würden. Danach sitzen wir erst einmal im Cockpit gewöhnen uns ein und schwimmen, während vom Strand immer lautere Musik herüberweht. Ich würde es Carribean Gangsta Rap nennen, mit viel Waffen- und Schussgeräuschen. „No, I am not a nice guy!”. Boom Boom Boom. Naja, so ganz wohl fühlen wir uns hier dann noch nicht. Zwei Stunden später habe ich dann Marcus am UKW und er will uns für Zoll und Stadtbesichtigung abholen. Das Dinghi bleibt besser angeschlossen an Bord. Marcus erscheint mit dem Boot seines Kollegen und sagt: „Hi I am Marcus, I am the security here in this bay“.  

 
So als sähe er uns gerade zum ersten Mal. Strange, aber nun müssen wir da wohl durch. Am Zoll verlassen wir das Boot und mangels eigenem Hand UKW (denn das hatte ich zuhause vergessen) verabreden wir uns direkt am Strand vor unserem Boot für den Rücktransport. Und hoffen, dass wir den Platz und unser Boot überhaupt wiederfinden. Die Dame beim Zoll winkt ab. Heute am Sonntag käme wohl keiner mehr, und wir sollen doch bitte morgen früh wiederkommen. Also laufen wir etwas unmotiviert durch die Straßen. Alles ist geschlossen und leer, die Menschen erscheinen uns feindselig und wir uns, als offensichtliche Touristen, sehr fehl am Platze. Dazu kommt der Hang zum Gangsta-Look bei vielen Einheimischen plus deren Autos mit rundum getönten Scheiben aus denen fette Bässe dringen. Plus der leicht desolate Zustand der Stadt. Wir wissen nicht so recht wohin und landen am Ende im Innenhof eines recht noblen Hotels. Hier lässt es sich gut aushalten und von der Dachterrasse kann man dann auch unser Boot friedlich vor dem Strand dümpeln sehen. Es ist ziemlich weit weg und wir sollten den Fußweg dorthin rechtzeitig antreten, damit wir nicht im Dunkeln nach der richtigen Strandhütte suchen müssen, in der Marcus auf uns wartet. Samt Messer. Hoffentlich! Mich nervt nun aber auch mein Misstrauen, ob der vielen Klischees und wir beschließen dann statt mit dem Taxi zur Strandhütte zu fahren, doch einfach zu Fuß zu gehen. Sonst werden wir uns nie akklimatisieren. Und in er Tat, mit offeneren Augen und geänderter Haltung ist alles plötzlich sehr aufregend, neu und spannend. 

Bunte Häuser, kleine Geschäfte, ein Fußballplatz und jede Menge Menschen säumen die Küstenstraße. Alle grüßen und sind freundlich, bis auf einen Mann der direkt fünf Dollar von uns verlangt, aber nicht bekommt. Und wir erwischen dann auch den richtigen Abzweig zum Strand und finden dort Marcus und seine rund 10-köpfige Crew vor. Jetzt begrüßen wir uns auch irgendwie das erste Mal richtig. Und machen für den nächsten Tag eine Inseltour ab. Sie würden auf das Boot aufpassen und wir könnten in Ruhe durch heiße Quellen und Wasserfälle streifen. Abgemacht. Die Runde ist karibisch friedlich, der Geruch von Gras hängt in der Luft. Ein Typ aus Florida hängt auch hier ab. Frau und Kind irgendwo draußen an Bord. Auf Langfahrt. 5 Jahre sind geplant. Umgestiegen auf Katamaran, da sie die Krängung stört. Wir werden noch eingeladen mitzufeiern, gehen aber dann doch lieber auf unser Boot. Mit unseren zwei Mädels wollen wir unser Glück nicht herausfordern. Alle 30 Minuten streift der Strahl einer Taschenlampe über unser Boot. Wir werden offenbar gut behütet. Als dann irgendwann die aggressive Musik ruhigeren Raggaeklängen weicht, fühlen wir uns sehr, sehr wohl hier in dieser rauen Stimmung. Und alle sind alle froh den Sprung nach Domenica gewagt zu haben. Wir genießen noch etwas von unserem karibischen Rum und trinken einen Schluck mit Rasmus, bevor wir wie immer sehr früh in die Kojen klettern. Von innen abgeschlossen, haben wir aber trotz dem wachsenden Vertrauen dann doch wieder von innen.

Unsere Ankerbucht

Wunderbar ausgeschlafen geht es am nächsten Tag auf einen sehr beeindruckenden Ausflug über die Insel. „Unsere“ Jungs haben uns mit „Armstrong“ einen ganz hervorragenden Guide besorgt. Kaum sitzen wir in seinem Taxibus sprudeln Infos auf uns ein. Jedes Gebäude und der Gemüsemarkt wird kommentiert (alleine 40 Sorten Mangos gibt es auf der Insel). Doch wir müssen nun erst einmal einklarieren. Anders als auf Martinique, wo man selber die Infos in einen PC eingibt, ein Formular ausdruckt und abstempeln lässt, herrscht hier ein ganz anderer Ton. Ich muss diverse Angaben handschriftlich festhalten und werde ausgiebig nach Törndauer und Abfahrtszeiten befragt. Es gilt wohl festzustellen, ob unsere Angaben plausibel sind. Am Ende muss sich dann die ganze Crew in einem Raum versammeln und es gilt noch viele weitere Fragen zu beantworten. Wenigstens ist beim Einklarieren das Ausklarieren innerhalb von 14 Tagen inklusive, und so verlassen wir dann eine Stunde später das Zollgebäude, froh nicht wiederkommen zu müssen. Armstrong wartet bereits auf uns und es geht quer über die Insel. Eine Grotte zum Schwimmen (bekannt aus Fluch der Karibik), Wasserfälle, heiße Quellen, ein botanischer Garten und weitere Ziele lagen vor uns. Interessant ist es, das viele Pflanzen, deren Früchte wir nur getrocknet kennen, direkt am Straßenrand standen. Zimt, Muskatnuss, Cashew, Eukalyptus, alles kann einfach so gepflückt werden. Faszinierend. Die Klettertour über die glitschigen Felsen zu den dampfenden Quellen der Trafalgar Falls ist besonders fordernd. Die Mädels geben recht früh auf, und auch ich frage mich, ob es richtig sei unsere Knochen und damit den Törn für ein wenig warmes Wasser zu riskieren? Am Ende ist es zwar ganz nett, ich würde es aber nicht wiederholen. Zu groß ist das Risiko auf den Felsen ganz gefährlich auszurutschen und damit den ganzen Törn zu riskieren. Als Skipper hätte ich wohl besser Nein gesagt, aber damit tue ich mich bei jeder Art von Mutprobe und Herausforderung leider immer sehr schwer. 


Am Ende des Tages kommen wir zwar völlig erledigt, aber absolut begeistert auf unser Boot zurück, das gut bewacht an seiner Mooringtonne liegt. Mich haben die Boat-Boys und meine anfänglichen Vorurteile lange beschäftigt, denn letztendlich sind sie es ja, die mir zwar zuerst das Gefühl der Unsicherheit gaben, um sich dann später als diejenigen herauszustellen, die so sehr um unsere Sicherheit besorgt sind. Schon Paradox. Armstrong erzählt mir dann auch davon, dass Marcus nagelneuer Außenborder ungesichert bei 200 Fuß Wassertiefe über Bord gegangen wäre. Das war auch der Grund weshalb wir von seinem Kollegen Desmond in Empfang genommen wurden. Nun muss er wieder lange auf einen neuen Motor für sein Boot sparen. Ich entscheide mich spontan dafür, ihm dabei finanziell unter die Arme zu greifen, denn ich habe großen Respekt vor ihrer Arbeit und ihrem so eigenen Kampf gegen die Kriminalität. Ohne sie und ihre nächtlichen Patrouillen hätte ich mich auf der Insel wahrscheinlich nicht sehr sicher gefühlt. Marcus zeigte mir dann noch seine „Operation“, bestehend aus viel Tauwerk, Ketten, Mooringtonnen und jeder Menge Gerödel. Was bei uns als Schrott in der Garage durchgeht, ist hier der Start seines Geschäftes! Wer also Roseau auf Domenica als Ankerziel wählen möchte, ruft am besten Marcus aus UKW Kanal 16 an, der dann auf 14 gewechselt wird. Man wird dann ruhig schlafen und das Boot auch einmal alleine lassen können. Und auch in dieser Nacht gibt uns das ständige Flackern der Taschenlampen wieder das Gefühl von absoluter Sicherheit. Und ich vergesse es nun auch die Luken zu schließen. Denn ich habe auf der Seekarte eine Info gefunden, die mich nun beschäftigt. Sinngemäß steht dort das viele Yachties es sich unnötig schwer machen, da sie die Tide und die damit verbundene Strömung zwischen den Inseln nicht beachten würden. Und so würde aus einem leichten Halb- bis Amwindkurs, dann ein hartes Gegenan. Grundsätzlich würde in der Karibik immer ein leichter Weststrom setzen, der je nach Tide dann stärker wird oder sich aufhebt. Mangels Internet hole ich per SMS von Mike von www.klassisch-am-wind.dedie aktuellen Tidenzeiten ab. Jetzt gilt es nur noch herauszufinden, in welche Richtung nun Ebbe oder Flut setzen. Aber auch dazu finde ich auf der Seekarte einen Eintrag und verschiebe die für morgens geplante Abfahrt, auf 1230h. Denn um 1430h soll die Tide kippen und wir müssen ja erst noch ums Kap motoren. Außerdem möchte ich wegen der hier recht früh einsetzenden Dunkelheit noch etwas Reserven haben.