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Durch die südöstliche Ägäis: Die vergessenen Inseln: Die Palmen von Vai.

Typische für die menschenleere Ost-Ägäis: Die Insel Kasos zwischen Karpathos und Kreta. Karg, kahl – ein heißer Stein im tiefen Blau. Dass die Ost-Ägäis nicht überall so ist, zeigt der nachfolgende Beitrag.

Anders als am Vortag weht so gar kein Wind, als ich von Karpathos am frühen Morgen ablege und weiter Richtung Westen segle. Vorbei an dem Wrack des gestrandeten Frachters, der an der Südspitze von Karpathos zwischen den Felsen liegt. Niemand beseitigt das Wrack. Die Jahre, Wind und Wellen kümmern sich darum. Vorbei an der Insel Kasos, die karg und kahl im Meer liegt. Ein heißer Stein, ein gewachsener Fels im tiefen Blau, auf dessen Hügelkuppe einzig ein Haus steht. Sonst: Nichts.

 
Das Meer ist unbewegt an diesem Tag. Ein leises Lüftchen an der Südwest-Spitze von Kasos, das ich ausnutze und die Segel setze. LEVJE, die Flautenläuferin: aus einem Hauch an vorlichen Wind holt sie wieder einmal knapp fünf Knoten heraus, wir halten aber zu weit südlich, Kreta ist noch über 30 Seemeilen entfernt. Minute um Minute halte ich Ausschau: dass der leise Wind, der um die Südwestspitze von Kasos herumhaucht, langsam nördlicher drehen möge. Dass sich endlich wie jeden Tag die Schaumkronen in Nordwest zeigen, die den Wind ankündigen. Dass er stärker werden, endlich auf Nordwest drehen möge. Meltemi, wo bist Du heute?
 
Er läßt sich Zeit. Brav dreht er nach Nordwest. Und bleibt heute eben ein Hauch, der uns langsam übers unbewegte Wasser zieht, dort, wo sonst Starkwind bläst. Na dann halt langsam.
 


 
Kreta steigt am Nachmittag langsam aus dem Meer auf, als der Meltemi endlich kommt. Aber statt karger Felsen leuchtet die Insel grün, die kleinen vorgelagerten Inseln im Norden sind mit niedrigem Grün bewachsen. Je näher wir kommen, desto mehr habe ich den Eindruck: dies muss Irland sein, die grüne Insel. Oder Schottland. Alles ist grün, aus der Ferne sieht es aus wie Gras und Moos, die Ostküste Kretas: kein kahler Fels, sondern grün.
 
Unseren Ankerplatz finden wir in der Abenddämmerung. Weil die Bucht von Vai mit Bojen gesperrt ist, ziehen wir in der Dämmerung eine Bucht weiter nördlich. Und im Morgenlicht dann dies:
 


 
Zum Video hier klicken.
 
Die Palmen von Vai. Die Legende erzählt: Piraten, die in der Bucht ankerten, hätten die Früchte mitgebracht und ihre Kerne am Strand ausgespuckt. Wahr daran ist, dass es die Kretische Dattelpalme Phoenix Theophrasti nur einmal gibt auf der Welt: nämlich hier im Osten Kretas. Früchte tragen sie keine mehr – oder nur ungenießbare. Sie sind vermutlich Jahrhunderte alt – jedenfalls an der Stelle, an der ich sie finde: Stämme entwachsen verfallenden, undurchdringlichen Strünken von meterdickem Umfang, fast ist es, als wäre mitten in jedem der Strünke eine Behausung für einen zotteligen Einsiedler. Aber in die Behausung hinein kann man nicht, so dicht wachsen die Stämme daraus empor. Ein Zauber geht von den Palmen aus, als ich allein am Sandstrand liege: Ein Knacken, wenn der Wind durch die langen Palmwedel streift. Ein Rascheln, wenn die gefiederten Arme aneinander reiben. 
Es ist: als würden sie etwas erzählen, die Palmen von Vai, etwas in ihrer Sprache, das ich nicht verstehe. Von den Piraten, die sie von weither mitbrachten. Von der Basilika, von der nur noch Grundmauern am Hang stehen. Deren marmorne Türschwelle mit ihren halbkreisförmigen Riefen vom christlichen Leben der Menschen vor Hunderten Jahren erzählt, bis Kreta osmanisch wurde. Von den Hippies, die in den 70ern ihr Lager trommelnd am Strand von Vai aufschlugen, die Palmwedel als Brennholz nutzten, bis die Kommune einschritt. Und den Versuch eines anderen Lebens vom Strand von Vai verbannte.
 
Vielleicht erzählen sie von alldem: Die Palmen von Vai.
 
 

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Durch die südöstliche Ägäis: Die vergessenen Inseln: Die Palmen von Vai.

Typische für die menschenleere Ost-Ägäis: Die Insel Kasos zwischen Karpathos und Kreta. Karg, kahl – ein heißer Stein im tiefen Blau. Dass die Ost-Ägäis nicht überall so ist, zeigt der nachfolgende Beitrag.

Anders als am Vortag weht so gar kein Wind, als ich von Karpathos am frühen Morgen ablege und weiter Richtung Westen segle. Vorbei an dem Wrack des gestrandeten Frachters, der an der Südspitze von Karpathos zwischen den Felsen liegt. Niemand beseitigt das Wrack. Die Jahre, Wind und Wellen kümmern sich darum. Vorbei an der Insel Kasos, die karg und kahl im Meer liegt. Ein heißer Stein, ein gewachsener Fels im tiefen Blau, auf dessen Hügelkuppe einzig ein Haus steht. Sonst: Nichts.

Das Meer ist unbewegt an diesem Tag. Ein leises Lüftchen an der Südwest-Spitze von Kasos, das ich ausnutze und die Segel setze. LEVJE, die Flautenläuferin: aus einem Hauch an vorlichen Wind holt sie wieder einmal knapp fünf Knoten heraus, wir halten aber zu weit südlich, Kreta ist noch über 30 Seemeilen entfernt. Minute um Minute halte ich Ausschau: dass der leise Wind, der um die Südwestspitze von Kasos herumhaucht, langsam nördlicher drehen möge. Dass sich endlich wie jeden Tag die Schaumkronen in Nordwest zeigen, die den Wind ankündigen. Dass er stärker werden, endlich auf Nordwest drehen möge. Meltemi, wo bist Du heute?

Er läßt sich Zeit. Brav dreht er nach Nordwest. Und bleibt heute eben ein Hauch, der uns langsam übers unbewegte Wasser zieht, dort, wo sonst Starkwind bläst. Na dann halt langsam.



Kreta steigt am Nachmittag langsam aus dem Meer auf, als der Meltemi endlich kommt. Aber statt karger Felsen leuchtet die Insel grün, die kleinen vorgelagerten Inseln im Norden sind mit niedrigem Grün bewachsen. Je näher wir kommen, desto mehr habe ich den Eindruck: dies muss Irland sein, die grüne Insel. Oder Schottland. Alles ist grün, aus der Ferne sieht es aus wie Gras und Moos, die Ostküste Kretas: kein kahler Fels, sondern grün.

Unseren Ankerplatz finden wir in der Abenddämmerung. Weil die Bucht von Vai mit Bojen gesperrt ist, ziehen wir in der Dämmerung eine Bucht weiter nördlich. Und im Morgenlicht dann dies:



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Die Palmen von Vai. Die Legende erzählt: Piraten, die in der Bucht ankerten, hätten die Früchte mitgebracht und ihre Kerne am Strand ausgespuckt. Wahr daran ist, dass es die Kretische Dattelpalme Phoenix Theophrasti nur einmal gibt auf der Welt: nämlich hier im Osten Kretas. Früchte tragen sie keine mehr – oder nur ungenießbare. Sie sind vermutlich Jahrhunderte alt – jedenfalls an der Stelle, an der ich sie finde: Stämme entwachsen verfallenden, undurchdringlichen Strünken von meterdickem Umfang, fast ist es, als wäre mitten in jedem der Strünke eine Behausung für einen zotteligen Einsiedler. Aber in die Behausung hinein kann man nicht, so dicht wachsen die Stämme daraus empor. Ein Zauber geht von den Palmen aus, als ich allein am Sandstrand liege: Ein Knacken, wenn der Wind durch die langen Palmwedel streift. Ein Rascheln, wenn die gefiederten Arme aneinander reiben. 
Es ist: als würden sie etwas erzählen, die Palmen von Vai, etwas in ihrer Sprache, das ich nicht verstehe. Von den Piraten, die sie von weither mitbrachten. Von der Basilika, von der nur noch Grundmauern am Hang stehen. Deren marmorne Türschwelle mit ihren halbkreisförmigen Riefen vom christlichen Leben der Menschen vor Hunderten Jahren erzählt, bis Kreta osmanisch wurde. Von den Hippies, die in den 70ern ihr Lager trommelnd am Strand von Vai aufschlugen, die Palmwedel als Brennholz nutzten, bis die Kommune einschritt. Und den Versuch eines anderen Lebens vom Strand von Vai verbannte.

Vielleicht erzählen sie von alldem: Die Palmen von Vai.

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Durch die südöstliche Ägäis, Teil IV.: Ägäis-Segeln.

Um Mitternacht wache ich auf. Die Fallböen wecken mich, und LEVJE’s harte Bewegungen, wenn Wanten und Dirk im Wind zu schwingen und zu brummen beginnen. Ich höre die Ankerkette, wie sie hart einruckt, gefolgt vom Ächzen des Festmachers, mit dem ich die Ankerkette auf dem letzten Meter an LEVJE’s Bugbeschlag gesichert habe. Das Boot, das bei ruhigem Wetter nur mit einem leisen Glucksen  in den Wellen liegt: es arbeitet jetzt in den Böen: knarzt, schwingt, summt, brummt, ächzt, gurgelt. Gibt hundert Geräusche von sich, die mir im Dunkel signalisieren: alles in Ordnung.

Ich stehe auf, gehe hinaus, und drehe eine Runde auf dem nächtlichen Boot. Sehe kurz nach dem Tiefenmesser, immer noch 5,60 Meter Tiefe – wir haben uns in den Böen nicht viel bewegt: LEVJE’s Anker hält uns also. Würde er nicht halten, würde er ins Rutschen kommen: Dann würde LEVJE von den harten Böen langsam in tieferes Wasser getrieben; der Anker würde dort seinen Halt verlieren – und LEVJE würde unweigerlich von Böen auf die Felsen gegenüber getrieben. Wir würden: „Scheitern“. In einem Lexikon aus dem Jahr 1641, das ich kürzlich auf meinem Hotelzimmer fand, als hätte es dort jemand hingelegt, nur für mich, Bücher „finden“ einen, habe ich ebenfalls schlaflos den Begriff „Scheitern“ nachgeschlagen: Das Lexikon, zusammengetragen von einem Mönch während der düstersten Phase des Dreißigjährigen Krieges, kannte für den Begriff „Scheitern“ nur diese Bedeutung: dass ein Schiff an der Küste zerschellt. Das menschliche, das berufliche Scheitern: In dieser Bedeutung gibt es das Wort wohl noch keine 30 Jahre. „Scheitern“ ist nicht nur einfach „seinen Job verlieren, weil man ihn nicht kann“. „Scheitern“ ist: Seinen Job verlieren, weil man sein Schiff nicht achtsam genug manövriert hat und Kräfte im Spiel sind: die größer sind als alles, was wir beherrschen.

Kräfte wie die Fallböe, die eben den Prophitis Elias, den hohen Berg nordwestlich von uns über dem
Örtchen mit Wucht hinunterrollt, durch leere Gassen, Tavernen fegt, hinaus auf die Bucht, in der ich mit LEVJE liege. Sie packt LEVJE’s Bug, schiebt ihn einfach nach rechts zur Seite, solange, bis die Ankerkette steifkommt, bis der Festmacher unter der Last, das Boot halten zu müssen, ächzend die Drehbewegung auffängt.

Alles hält. Ich gehe wieder unter Deck in meine warme Koje und lege mich schlafen.

 

Als es zu dämmern beginnt: sind es wieder die Fallböen und LEVJE’s Bewegungen, die mich wecken. Ich ziehe mich an, setze im Dämmer Wasser auf für meinen Tee. Die Sonne steht noch hinter der weißen Kapelle auf dem Hügel hinter uns, aber es ist schon taghell. Der karge, bis auf eine Stelle mit dunklem Grün gänzlich abgenagte Prophitis Elias strahlt taghell vor uns. Und in der Ferne oben, klein, weiß auf dem höchsten Gipfel, die Burg, die die Johanniter errichteten.

Von LEVJE’s Ankerplatz schaue ich hinaus aufs offene Meer. Das Wasser ist tief tief dunkelblau, die Böen färben die Wasseroberfläche noch dunkler, dort, wo sie auf dem Wasser aufschlagen. Wind aus der richtigen Richtung – das ist gut. Ich beschließe, die Gunst des Windes zu nutzen, nur kurz zu frühstücken und gleich abzulegen, zu einem langen Schlag, auf alle Fälle nach Süden zur langen Insel Karpathos, mindestens bis zum Hauptort Pigadia, womöglich aber noch weiter bis zur Südspitze, vielleicht sogar bis zu nächsten Insel Kasos, von der Rod Heikell schreibt: Sie sei wahrlich ein windiger Ort.

Mein Tee ist fertig. Kurz in ein altes Brot gebissen, ich habe nur noch das seit Symi, seit drei, vier Tagen war ich nicht mehr an Land. Dann sehe ich nach dem Motor, kontrolliere den Ölstand, fasse mit der Hand aus Gewohnheit unter Seewasserpumpe und Motorblock, ob Wasser oder Öl austritt, schaue in die Bilge. Alles gut. Ich lege meine Schwimmweste an und den Lifebelt – wer weiß schon, wie es da draußen heute wird.

Ich gehe an Deck. Blicke mich einmal um. Alles gut. Los. Ich drehe den Zündschlüssel, drücke den schwarzen Starterknopf. Der Motor springt bullernd an, ich warte, bis Wasser aus dem Auspuff kommt. Dann hangle ich mich am Want vorbei zum Bug, löse den Festmacher, den ich als Ruckdämpfer zur Ankerkette eingesetzt hatte. Ich drücke auf die Steuerung der Ankerwinsch, ratternd beginnt sie, Glied um Glied der Kette herein ins Schiff zu holen. Immer wieder bin ich erstaunt über die Kraft, die die kleine Winsch dabei entfaltet, schließlich habe ich mein Ankergeschirr eine Nummer größer und schwerer gewählt als vorgesehen. Und nach den Fallböen dieser Nacht bin ich wieder einmal dankbar für diese Entscheidung. Rumpelnd kommt der Bügelanker hoch, auch ihn schaue ich dankbar an, wie er an seiner Spitze etwas Seegras-Wurzelwerk mit hochbringt. Hart scheppernd hole ich ihn in seine Halterung. „Anker frei.“

Ich gehe nach hinten, ins Cockpit. Nehme die Pinne in die Hand, drücke LEVJE’s Gashebel nach vorn in den Tuckergang. Behutsam drehen wir einen Kreis hinaus um unseren Ankerplatz, weg von dem Ort, der uns für die Nacht Geborgenheit bot. Raus als.

Kaum bin ich draussen: treffen uns die Fallböen noch härter. Ich setze das große Vorsegel, die Genua. Vielleicht zuviel Segeltuch? LEVJE nimmt in den Böen sofort rauschend die Fahrt auf, das Tuch spannt sich jetzt enorm, wenn die Böen von der Insel herunterdonnern, ich stelle den Motor ab, LEVJE läuft in den Böen mit über sieben Knoten vor dem Wind, die Fallböen von Chalkis: sie schieben uns hinaus, hinaus am Morgen auf dem offene See.

So geht das etwa 20 Minuten. Je weiter wir von Chalkis wegkommen: umso heftiger werden die Böen. Ich schaue sorgenvoll auf mein Vorsegel, wie es sich hart spannt. Fasse kurz ans Achterstag, das den enormen Zug vom Vorsegel auf die Mastspitze auffängt, es ist hart gespannt wie eine Bogensaite. Aber LEVJE läuft einfach wie auf Schienen hinaus unter dem Zug der Genua, was soll ich da eingreifen?

Und dann: ist mit einem Schlag alles anders: Wir sind aus der Abdeckung der Insel heraus, der Wind ist schlagartig vorbei, ein merkwürdiges Phänomen des ablandigen Windes, diese Kalmen. Als wäre nichts gewesen, schaukelt und klappert LEVJE hilflos in den sich kreuzenden Wellen, treibt einfach dahin, während keine fünfzig Meter hinter mir der Wasser noch von den Fallböen brodelt. Ägäis-Wind. Schon Homer erzählt in seiner Odyssee davon, und nicht nur Heinrich Schliemann, der große Grabräuber, lag richtig mit seinem „Homer schreibt genau.“

Na gut. Dann jetzt eben mit Motor weiter, es kann nur ein kurzes Stück sein bis zum nächsten Windstrich. Ich starte also den Motor. Und weil in der Kimm tatsächlich der Wind kleine Schaumkronen aufwirft, nutze ich die Zeit. Und setze das Großsegel. Vorsichtshalber mal binde ich schon das erste Reff ein – die Fallböen seit Stunden kommen ja nicht aus dem Nichts: Sie sind der umgewandelte Wind, der von Nordwesten auf die Berghänge Chalki’s auftraf. Sich mühsam den Gipfel hinaufwälzte, um dann, wer weiß, von welchen thermischen Phänomenen aufgeladen, beschleunigt, sich die andere Seite des Inselberges mit rasender Wucht hinunterzustürzen. Kommt man aber aus dem Windschatten des Inselberges heraus: dann trifft man den regulären, den ursprünglichen Nordwest wieder an; meist nach einer kleinen oder größeren windstillen Zone.

LEVJE klappert unter Motor durch die kabbelige See, weiter hinaus und weg von der Insel. Keine zehn Minuten später haben wir ihn gefunden, den Wind. LEVJE’s Segel ziehen plötzlich, ich öffne das Groß und fiere den Großbaum weit hinaus, der Wind kommt schließlich mehr als querab. LEVJE spurtet los, der Motor läuft nur noch leer mit, der Wind hat jetzt den Antrieb übernommen. Ich stelle den Motor ab. Kurz den Ganghebel in den Rückwärtsgang, damit der Faltpropeller sich zusammenklappt und dem vorbeiströmenden Wasser keinen Widerstand mehr bietet. Und dann zieht LEVJE los durch die rauschenden Wellen.

Es ist ein anstrengender Kurs. Je weiter wir von Chalki wegkommen, je weiter der Vormittag vorrückt, umso mehr nehmen Wind und Welle zu. Der Wind mit 20, 25, 28 Knoten , er kommt von schräg achtern und treibt Welle um Welle genau in LEVJE’s Heck. Es wird angehoben, nach backbord weggedreht, der Bug wandert ruckartig nach steuerbord, der Autopilot hat ratternd alle Hände voll zu tun, ruckartig fährt der Steuerarm des Autopiloten aus und versucht, die Pinne in die richtige Richtung zu drücken. Ein unendliches Spiel, das die Wellen da abliefern und dem ich fasziniert zuschaue, wie sie immer wieder von rechts hinter uns anrollen, dem Autopiloten, wie er arbeitet und vor allem: LEVJE, wie sie sich in den Wellen verhält und wie ein irisches Curragh von Wellenkamm zu Wellenkamm schießt. Hier mein Video von diesem Abschnitt:

Langsam kommt Karpathos in Sicht, langgestreckt und hoch, ein bisschen wie das kroatische Dugi Otok, die die Italiener Izola Lungha, die lange Insel nannten. Karpathos – es liegt auf meinem Kurs wie eine Hauswand, an der ich entlang muß: Gehe ich an der Westseite von Karpathos entlang, werde ich starken Wind haben, der auf die Hauswand trifft und uns auf die Hauswand zutreibt. Aber auf die ganze Insellänge von 30 Kilometern keinen Hafen, keine Bucht. Es würde bedeuten: durchzusegeln bis heute Abend bis nach Kasos, zur nächsten Insel, wo auch der nächste Hafen läge, in stetig starkem Wind. Oder: ich gehe die Ostseite der Hauswand entlang. Sie ist windabgewandt, der Wind fällt hier über das Hausdach herunter, wird unstet sein: Fallböen, die in großer Stärke herabfallen und mit Kalmenzonen wechseln. Aber ich habe die Chance, weiter südlich am Nachmittag Pigadia zu erreichen, den Hauptort von Karpathos mit großer Bucht und Hafen. Und südlich davon sind ebenfalls geschützte Buchten.

Ich entscheide für Letzteres. Es scheint mir entspannter, zumal ich jetzt am späten Vormittag den frühen Aufbruch spüre und müde werde. Eben fielen mir die Augen kurz zu, ich dachte noch im Einschlafen: ich könnte es mir leisten, alles um mich sei frei und kein Schiff weit und breit seit drei Tagen. Ich weiß nicht, wie lange ich schlafe, es sind wohl keine zehn Minuten, als mich irgendetwas weckt, ein innerer Warnton, ich weiß nicht was. Ich blicke auf und: keine 100 Meter entfernt läuft ein Frachter auf uns zu, verflixt, wo kommt der denn her? „Pass bloß auf“, schimpfe ich mich und gehe sofort höher an den Wind, um den Frachter an mir vorbeiziehen zu lassen. Es ist die TAI STAR, ein Stückgut-Frachter, ich überlege kurz, ob ich ihn über Funk anrufen soll, um rauszukriegen, ob er mich wenigstens auf dem Radar sah. Aber wahrscheinlich hat auch er mich nicht gesehen, ich kenne das, weil ich zwei mal auf Containerfrachtern mitfuhr. Ein Mann auf der Brücke auf Wache, müde wie ich, mit Papierkram beschäftigt, der Autopilto und das Radar laufen ja.

Also entscheide ich mich für das kürzere, aber böigere Wegstück. Der Wind nimmt zu auf 25 – 30 Knoten, LEVJE’s Groß ist im kleinsten Reff, und es ist eine Lust, sie zu segeln, wie mein Video von diese Stelle zeigt, mit dem fernen Karpathos am Horizont:

Es ist später Nachmittag, als der Wind weiter zunimmt. Ich stehe etwa 45 Minuten vor Pigadia, als der Wind konstant auf über 30 Knoten auffrischt. LEVJE hat das Groß im 2. Reff, die Genua ist ebenso auf kleinste Segelfläche heruntergerefft. Ak Patella liegt recht voraus, und hier staut sich der Wind, der von den Bergen Karpathos‘ herunterfällt. Die Schaumkronen werden dichter, die ablandigen Wellen höher und steiler und folgen dicht aufeinander, Gischt weht wagrecht über LEVJE’s Vordeck, der Windmesser nähert sich der 40 Knoten Marke, die Pinne knarrzt schwer unter dem Ruderdruck, ich brauche viel Kraft für die Pinne, selbst auf diesem Kurs. Ich gehe auf halben Wind, die Fahrt mit dem fast achterlichen Wind wird mir zu riskant, immer wieder drehen die hohen Wellen LEVJE’s Heck aus der Richtung. Ich steuere LEVJE auf die Hafenmole von Pigadia zu – hoffentlich siehts da vorne nicht so wild aus wie hier? – die langsam hinter dem Gegischte in Sicht kommt. Der Wind rüttelt und zerrt am gerefften Vorsegel, Gischt kommt über, salzt mich ein wie einen Trockenfisch, aber ich bin erstaunt, wie sauber LEVJE den starken Wind wegsteckt und ihren Kurs hält. Segeln bei knapp 40 Knoten mit einem 31-Fuß-Schiff – erstaunlich, wie gut das geht. Ich halte nun auf die Bucht mit dem großen Sandstrand nördlich von Pigadia zu, eine weite geschützte Bucht, blicke öfter sorgenvoll ins Groß ob des gewaltigen Winddrucks, der darauf lastet. Und suche die Kimm ab, Richtung Sandstrand, ob ich nicht schon irgend ein Zeichen sehe, dass die Wellen niedriger werden, die Schaumkronen, die sich überschlagend dicht folgen, weniger. Noch nicht. „Das muss doch weniger werden da vorne, es weht doch ablandig…“ bete ich mir vor. Noch nichts zu erkennen.

Ich weiß nicht mehr, ob es eine Meile war. Oder drei, die ich so dahinsegelte. Die Konturen am Strand wurden klarer. Ganz rechts eine kleine Fabrik, eine Wasserentsalzungsanlage, arbeitet mein Gehirn. Sonnenschirme und Mattelagen, vereinzelt Menschen am ewig langen Strand. Endlich in der Kimm: das Wasser wird türkis – die Wellen werden flacher, noch sieben Minuten, noch fünf. Der Winddruck auf die Segel läßt nach, nur noch in Böjen legt LEVJE sich jetzt flach aufs Wasser, ich spüre jeden Muskel meiner beiden Arme, mit denen ich die Pinne heranziehe, um LEVJE auf ihrem Kurs zu halten. Die Drücker werden weniger, schlagartig ist das Wasser türkis, weil wir dem Ufer näherkommen und die Sedimente vom Ufer sowie die geringere Wassertiefe das Licht anders brechen und das Wasser türkis „färben“. LEVJE segelt aufrecht, das Wasser wird glatter und glatter, ich komme dem Strand näher, 10 Meter Tiefe, noch näher zum Strand hin, „da vorne müßte es gut sein, um den Anker fallen zu lassen“. Und plötzlich bin ich nur noch von stillem Türkis und leisem Glucksen an der Bordwand umgeben. Der Wind weht sanft, LEVJE schnürt dem Strand zu, läuft wie auf Schienen.

Ich schaue mich um. Am Strand spielt ein Mann mit Kind Federball. Eine Frau auf einer Liege reibt mit langsamen Bewegungen Sonnenöl ins Gesicht. Von LEVJEs Deck läuft immer noch übergekommenes Spritzwasser ab. Das Cockpit ein Durcheinander: Reffleinen, Cockpitkissen, Fallen, Genuaschoten verrutscht, verschoben von Segeln mit viel Lage, ein wüstes Ineinander, in dem nur meine Wasserflasche geborgen liegt wie ein Baby. Unter Deck? Reden wir nicht drüber, „What a mess!“ Salz auf meiner Haut, Salz in meinem Bart, meine Brille salzstarrend, mein Hut brettsteif vom getrockneten Meerwasser. Vor mir: friedliches Strandleben. Ich drehe mich um: Hinter mir, kein Fußballfeld entfernt, dreschen Fallböen auf die Wasseroberfläche und werfen Schaumkronen und Gischt auf. Kein Fußballfeld entfernt: immer noch über 30 Knoten.

Agäis-Segeln.

 

Durch die südöstliche Ägäis, Teil IV.: Ägäis-Segeln.

Um Mitternacht wache ich auf. Die Fallböen wecken mich, und LEVJE’s harte Bewegungen, wenn Wanten und Dirk im Wind zu schwingen und zu brummen beginnen. Ich höre die Ankerkette, wie sie hart einruckt, gefolgt vom Ächzen des Festmachers, mit dem ich die Ankerkette auf dem letzten Meter an LEVJE’s Bugbeschlag gesichert habe. Das Boot, das bei ruhigem Wetter nur mit einem leisen Glucksen  in den Wellen liegt: es arbeitet jetzt in den Böen: knarzt, schwingt, summt, brummt, ächzt, gurgelt. Gibt hundert Geräusche von sich, die mir im Dunkel signalisieren: alles in Ordnung.

Ich stehe auf, gehe hinaus, und drehe eine Runde auf dem nächtlichen Boot. Sehe kurz nach dem Tiefenmesser, immer noch 5,60 Meter Tiefe – wir haben uns in den Böen nicht viel bewegt: LEVJE’s Anker hält uns also. Würde er nicht halten, würde er ins Rutschen kommen: Dann würde LEVJE von den harten Böen langsam in tieferes Wasser getrieben; der Anker würde dort seinen Halt verlieren – und LEVJE würde unweigerlich von Böen auf die Felsen gegenüber getrieben. Wir würden: „Scheitern“. In einem Lexikon aus dem Jahr 1641, das ich kürzlich auf meinem Hotelzimmer fand, als hätte es dort jemand hingelegt, nur für mich, Bücher „finden“ einen, habe ich ebenfalls schlaflos den Begriff „Scheitern“ nachgeschlagen: Das Lexikon, zusammengetragen von einem Mönch während der düstersten Phase des Dreißigjährigen Krieges, kannte für den Begriff „Scheitern“ nur diese Bedeutung: dass ein Schiff an der Küste zerschellt. Das menschliche, das berufliche Scheitern: In dieser Bedeutung gibt es das Wort wohl noch keine 30 Jahre. „Scheitern“ ist nicht nur einfach „seinen Job verlieren, weil man ihn nicht kann“. „Scheitern“ ist: Seinen Job verlieren, weil man sein Schiff nicht achtsam genug manövriert hat und Kräfte im Spiel sind: die größer sind als alles, was wir beherrschen.

Kräfte wie die Fallböe, die eben den Prophitis Elias, den hohen Berg nordwestlich von uns über dem 
Örtchen mit Wucht hinunterrollt, durch leere Gassen, Tavernen fegt, hinaus auf die Bucht, in der ich mit LEVJE liege. Sie packt LEVJE’s Bug, schiebt ihn einfach nach rechts zur Seite, solange, bis die Ankerkette steifkommt, bis der Festmacher unter der Last, das Boot halten zu müssen, ächzend die Drehbewegung auffängt.

Alles hält. Ich gehe wieder unter Deck in meine warme Koje und lege mich schlafen.

Als es zu dämmern beginnt: sind es wieder die Fallböen und LEVJE’s Bewegungen, die mich wecken. Ich ziehe mich an, setze im Dämmer Wasser auf für meinen Tee. Die Sonne steht noch hinter der weißen Kapelle auf dem Hügel hinter uns, aber es ist schon taghell. Der karge, bis auf eine Stelle mit dunklem Grün gänzlich abgenagte Prophitis Elias strahlt taghell vor uns. Und in der Ferne oben, klein, weiß auf dem höchsten Gipfel, die Burg, die die Johanniter errichteten.

                                                                                     Weiterlesen bei: Rhodos. Die Johanniter. Hier.

Von LEVJE’s Ankerplatz schaue ich hinaus aufs offene Meer. Das Wasser ist tief tief dunkelblau, die Böen färben die Wasseroberfläche noch dunkler, dort, wo sie auf dem Wasser aufschlagen. Wind aus der richtigen Richtung – das ist gut. Ich beschließe, die Gunst des Windes zu nutzen, nur kurz zu frühstücken und gleich abzulegen, zu einem langen Schlag, auf alle Fälle nach Süden zur langen Insel Karpathos, mindestens bis zum Hauptort Pigadia, womöglich aber noch weiter bis zur Südspitze, vielleicht sogar bis zu nächsten Insel Kasos, von der Rod Heikell schreibt: Sie sei wahrlich ein windiger Ort.

Mein Tee ist fertig. Kurz in ein altes Brot gebissen, ich habe nur noch das seit Symi, seit drei, vier Tagen war ich nicht mehr an Land. Dann sehe ich nach dem Motor, kontrolliere den Ölstand, fasse mit der Hand aus Gewohnheit unter Seewasserpumpe und Motorblock, ob Wasser oder Öl austritt, schaue in die Bilge. Alles gut. Ich lege meine Schwimmweste an und den Lifebelt – wer weiß schon, wie es da draußen heute wird.

Ich gehe an Deck. Blicke mich einmal um. Alles gut. Los. Ich drehe den Zündschlüssel, drücke den schwarzen Starterknopf. Der Motor springt bullernd an, ich warte, bis Wasser aus dem Auspuff kommt. Dann hangle ich mich am Want vorbei zum Bug, löse den Festmacher, den ich als Ruckdämpfer zur Ankerkette eingesetzt hatte. Ich drücke auf die Steuerung der Ankerwinsch, ratternd beginnt sie, Glied um Glied der Kette herein ins Schiff zu holen. Immer wieder bin ich erstaunt über die Kraft, die die kleine Winsch dabei entfaltet, schließlich habe ich mein Ankergeschirr eine Nummer größer und schwerer gewählt als vorgesehen. Und nach den Fallböen dieser Nacht bin ich wieder einmal dankbar für diese Entscheidung. Rumpelnd kommt der Bügelanker hoch, auch ihn schaue ich dankbar an, wie er an seiner Spitze etwas Seegras-Wurzelwerk mit hochbringt. Hart scheppernd hole ich ihn in seine Halterung. „Anker frei.“

Ich gehe nach hinten, ins Cockpit. Nehme die Pinne in die Hand, drücke LEVJE’s Gashebel nach vorn in den Tuckergang. Behutsam drehen wir einen Kreis hinaus um unseren Ankerplatz, weg von dem Ort, der uns für die Nacht Geborgenheit bot. Raus als.

Kaum bin ich draussen: treffen uns die Fallböen noch härter. Ich setze das große Vorsegel, die Genua. Vielleicht zuviel Segeltuch? LEVJE nimmt in den Böen sofort rauschend die Fahrt auf, das Tuch spannt sich jetzt enorm, wenn die Böen von der Insel herunterdonnern, ich stelle den Motor ab, LEVJE läuft in den Böen mit über sieben Knoten vor dem Wind, die Fallböen von Chalkis: sie schieben uns hinaus, hinaus am Morgen auf dem offene See.

So geht das etwa 20 Minuten. Je weiter wir von Chalkis wegkommen: umso heftiger werden die Böen. Ich schaue sorgenvoll auf mein Vorsegel, wie es sich hart spannt. Fasse kurz ans Achterstag, das den enormen Zug vom Vorsegel auf die Mastspitze auffängt, es ist hart gespannt wie eine Bogensaite. Aber LEVJE läuft einfach wie auf Schienen hinaus unter dem Zug der Genua, was soll ich da eingreifen?

Und dann: ist mit einem Schlag alles anders: Wir sind aus der Abdeckung der Insel heraus, der Wind ist schlagartig vorbei, ein merkwürdiges Phänomen des ablandigen Windes, diese Kalmen. Als wäre nichts gewesen, schaukelt und klappert LEVJE hilflos in den sich kreuzenden Wellen, treibt einfach dahin, während keine fünfzig Meter hinter mir der Wasser noch von den Fallböen brodelt. Ägäis-Wind. Schon Homer erzählt in seiner Odyssee davon, und nicht nur Heinrich Schliemann, der große Grabräuber, lag richtig mit seinem „Homer schreibt genau.“

Na gut. Dann jetzt eben mit Motor weiter, es kann nur ein kurzes Stück sein bis zum nächsten Windstrich. Ich starte also den Motor. Und weil in der Kimm tatsächlich der Wind kleine Schaumkronen aufwirft, nutze ich die Zeit. Und setze das Großsegel. Vorsichtshalber mal binde ich schon das erste Reff ein – die Fallböen seit Stunden kommen ja nicht aus dem Nichts: Sie sind der umgewandelte Wind, der von Nordwesten auf die Berghänge Chalki’s auftraf. Sich mühsam den Gipfel hinaufwälzte, um dann, wer weiß, von welchen thermischen Phänomenen aufgeladen, beschleunigt, sich die andere Seite des Inselberges mit rasender Wucht hinunterzustürzen. Kommt man aber aus dem Windschatten des Inselberges heraus: dann trifft man den regulären, den ursprünglichen Nordwest wieder an; meist nach einer kleinen oder größeren windstillen Zone.

LEVJE klappert unter Motor durch die kabbelige See, weiter hinaus und weg von der Insel. Keine zehn Minuten später haben wir ihn gefunden, den Wind. LEVJE’s Segel ziehen plötzlich, ich öffne das Groß und fiere den Großbaum weit hinaus, der Wind kommt schließlich mehr als querab. LEVJE spurtet los, der Motor läuft nur noch leer mit, der Wind hat jetzt den Antrieb übernommen. Ich stelle den Motor ab. Kurz den Ganghebel in den Rückwärtsgang, damit der Faltpropeller sich zusammenklappt und dem vorbeiströmenden Wasser keinen Widerstand mehr bietet. Und dann zieht LEVJE los durch die rauschenden Wellen.

Es ist ein anstrengender Kurs. Je weiter wir von Chalki wegkommen, je weiter der Vormittag vorrückt, umso mehr nehmen Wind und Welle zu. Der Wind mit 20, 25, 28 Knoten , er kommt von schräg achtern und treibt Welle um Welle genau in LEVJE’s Heck. Es wird angehoben, nach backbord weggedreht, der Bug wandert ruckartig nach steuerbord, der Autopilot hat ratternd alle Hände voll zu tun, ruckartig fährt der Steuerarm des Autopiloten aus und versucht, die Pinne in die richtige Richtung zu drücken. Ein unendliches Spiel, das die Wellen da abliefern und dem ich fasziniert zuschaue, wie sie immer wieder von rechts hinter uns anrollen, dem Autopiloten, wie er arbeitet und vor allem: LEVJE, wie sie sich in den Wellen verhält und wie ein irisches Curragh von Wellenkamm zu Wellenkamm schießt. Hier mein Video von diesem Abschnitt:

Langsam kommt Karpathos in Sicht, langgestreckt und hoch, ein bisschen wie das kroatische Dugi Otok, die die Italiener Izola Lungha, die lange Insel nannten. Karpathos – es liegt auf meinem Kurs wie eine Hauswand, an der ich entlang muß: Gehe ich an der Westseite von Karpathos entlang, werde ich starken Wind haben, der auf die Hauswand trifft und uns auf die Hauswand zutreibt. Aber auf die ganze Insellänge von 30 Kilometern keinen Hafen, keine Bucht. Es würde bedeuten: durchzusegeln bis heute Abend bis nach Kasos, zur nächsten Insel, wo auch der nächste Hafen läge, in stetig starkem Wind. Oder: ich gehe die Ostseite der Hauswand entlang. Sie ist windabgewandt, der Wind fällt hier über das Hausdach herunter, wird unstet sein: Fallböen, die in großer Stärke herabfallen und mit Kalmenzonen wechseln. Aber ich habe die Chance, weiter südlich am Nachmittag Pigadia zu erreichen, den Hauptort von Karpathos mit großer Bucht und Hafen. Und südlich davon sind ebenfalls geschützte Buchten.

Ich entscheide für Letzteres. Es scheint mir entspannter, zumal ich jetzt am späten Vormittag den frühen Aufbruch spüre und müde werde. Eben fielen mir die Augen kurz zu, ich dachte noch im Einschlafen: ich könnte es mir leisten, alles um mich sei frei und kein Schiff weit und breit seit drei Tagen. Ich weiß nicht, wie lange ich schlafe, es sind wohl keine zehn Minuten, als mich irgendetwas weckt, ein innerer Warnton, ich weiß nicht was. Ich blicke auf und: keine 100 Meter entfernt läuft ein Frachter auf uns zu, verflixt, wo kommt der denn her? „Pass bloß auf“, schimpfe ich mich und gehe sofort höher an den Wind, um den Frachter an mir vorbeiziehen zu lassen. Es ist die TAI STAR, ein Stückgut-Frachter, ich überlege kurz, ob ich ihn über Funk anrufen soll, um rauszukriegen, ob er mich wenigstens auf dem Radar sah. Aber wahrscheinlich hat auch er mich nicht gesehen, ich kenne das, weil ich zwei mal auf Containerfrachtern mitfuhr. Ein Mann auf der Brücke auf Wache, müde wie ich, mit Papierkram beschäftigt, der Autopilto und das Radar laufen ja.

Also entscheide ich mich für das kürzere, aber böigere Wegstück. Der Wind nimmt zu auf 25 – 30 Knoten, LEVJE’s Groß ist im kleinsten Reff, und es ist eine Lust, sie zu segeln, wie mein Video von diese Stelle zeigt, mit dem fernen Karpathos am Horizont:

Es ist später Nachmittag, als der Wind weiter zunimmt. Ich stehe etwa 45 Minuten vor Pigadia, als der Wind konstant auf über 30 Knoten auffrischt. LEVJE hat das Groß im 2. Reff, die Genua ist ebenso auf kleinste Segelfläche heruntergerefft. Ak Patella liegt recht voraus, und hier staut sich der Wind, der von den Bergen Karpathos‘ herunterfällt. Die Schaumkronen werden dichter, die ablandigen Wellen höher und steiler und folgen dicht aufeinander, Gischt weht wagrecht über LEVJE’s Vordeck, der Windmesser nähert sich der 40 Knoten Marke, die Pinne knarrzt schwer unter dem Ruderdruck, ich brauche viel Kraft für die Pinne, selbst auf diesem Kurs. Ich gehe auf halben Wind, die Fahrt mit dem fast achterlichen Wind wird mir zu riskant, immer wieder drehen die hohen Wellen LEVJE’s Heck aus der Richtung. Ich steuere LEVJE auf die Hafenmole von Pigadia zu – hoffentlich siehts da vorne nicht so wild aus wie hier? – die langsam hinter dem Gegischte in Sicht kommt. Der Wind rüttelt und zerrt am gerefften Vorsegel, Gischt kommt über, salzt mich ein wie einen Trockenfisch, aber ich bin erstaunt, wie sauber LEVJE den starken Wind wegsteckt und ihren Kurs hält. Segeln bei knapp 40 Knoten mit einem 31-Fuß-Schiff – erstaunlich, wie gut das geht. Ich halte nun auf die Bucht mit dem großen Sandstrand nördlich von Pigadia zu, eine weite geschützte Bucht, blicke öfter sorgenvoll ins Groß ob des gewaltigen Winddrucks, der darauf lastet. Und suche die Kimm ab, Richtung Sandstrand, ob ich nicht schon irgend ein Zeichen sehe, dass die Wellen niedriger werden, die Schaumkronen, die sich überschlagend dicht folgen, weniger. Noch nicht. „Das muss doch weniger werden da vorne, es weht doch ablandig…“ bete ich mir vor. Noch nichts zu erkennen.

Ich weiß nicht mehr, ob es eine Meile war. Oder drei, die ich so dahinsegelte. Die Konturen am Strand wurden klarer. Ganz rechts eine kleine Fabrik, eine Wasserentsalzungsanlage, arbeitet mein Gehirn. Sonnenschirme und Mattelagen, vereinzelt Menschen am ewig langen Strand. Endlich in der Kimm: das Wasser wird türkis – die Wellen werden flacher, noch sieben Minuten, noch fünf. Der Winddruck auf die Segel läßt nach, nur noch in Böjen legt LEVJE sich jetzt flach aufs Wasser, ich spüre jeden Muskel meiner beiden Arme, mit denen ich die Pinne heranziehe, um LEVJE auf ihrem Kurs zu halten. Die Drücker werden weniger, schlagartig ist das Wasser türkis, weil wir dem Ufer näherkommen und die Sedimente vom Ufer sowie die geringere Wassertiefe das Licht anders brechen und das Wasser türkis „färben“. LEVJE segelt aufrecht, das Wasser wird glatter und glatter, ich komme dem Strand näher, 10 Meter Tiefe, noch näher zum Strand hin, „da vorne müßte es gut sein, um den Anker fallen zu lassen“. Und plötzlich bin ich nur noch von stillem Türkis und leisem Glucksen an der Bordwand umgeben. Der Wind weht sanft, LEVJE schnürt dem Strand zu, läuft wie auf Schienen.

Ich schaue mich um. Am Strand spielt ein Mann mit Kind Federball. Eine Frau auf einer Liege reibt mit langsamen Bewegungen Sonnenöl ins Gesicht. Von LEVJEs Deck läuft immer noch übergekommenes Spritzwasser ab. Das Cockpit ein Durcheinander: Reffleinen, Cockpitkissen, Fallen, Genuaschoten verrutscht, verschoben von Segeln mit viel Lage, ein wüstes Ineinander, in dem nur meine Wasserflasche geborgen liegt wie ein Baby. Unter Deck? Reden wir nicht drüber, „What a mess!“ Salz auf meiner Haut, Salz in meinem Bart, meine Brille salzstarrend, mein Hut brettsteif vom getrockneten Meerwasser. Vor mir: friedliches Strandleben. Ich drehe mich um: Hinter mir, kein Fußballfeld entfernt, dreschen Fallböen auf die Wasseroberfläche und werfen Schaumkronen und Gischt auf. Kein Fußballfeld entfernt: immer noch über 30 Knoten.

Agäis-Segeln.

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                                                    Kein ganz normaler Törn. Überfahrt über den Golf von Lyon. Hier.

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Durch die südöstliche Ägäis: Von der Türkei nach Kreta, Teil 3: Chalki.Wo der Schwamm herkam.

Ein klein wenig sieht Chalki ja so aus wie das Renaissance-Gemälde von Pierro della Francesca über DIE IDEALE STADT. Gleich an gleich schmiegen sich die Häuser in die Hänge, in Grundriss, Ausrichtung, Proportion und Dimension so, als hätte ein Städteplaner mit kühnem Federstrich sie vom Reißbrett weg gefertigt. Chalki auf der gleichnamigen Insel: die ideale Stadt?

Am Morgen segle ich von der kleinen Insel Seskli bei Symi unmittelbar vor der türkischen Grenze los. Kurs Süd, westlich von Rhodos entlang, das in der Ferne liegt, zur Inselgruppe um Chalki und Alimia. Wie immer bleibt sich der Wind hier in der südlichen Ägäis treu: am Morgen gar nichts, aber pünktlich um zwei ist er da. Aber weil ich dann schon längst mich zwischen diesen Inseln befinde, erwartet mich der Wind dort mit einem vielfältigen Irgendwas: Mal Meltemi in seiner reinen Form, mit 5 Beaufort aus Nordwest und da, wo er sich frei entfalten kann. Als ich in die große Bucht des unbewohnten Alimia einfahre, ein astreiner Süd mit 5-6, in die große Hafenbucht von Chalki hineinsegelnd legen die Fallböen trotz 2. Reff LEVJE drei Mal flach aufs Wasser. Um sie dann 50 Meter bekalmt wie auf einem Ententeich einfach auf der Stelle – liegenzulassen. Also wieder ausreffen: und langsam, langsam, im langsamen Schritttempo bei leisem Lüftchen das große Rund der Stadt in der Bucht absegeln.

Die ideale Stadt ist aber nur die eine Seite Chalkis. Die Insel wird oft mit Symi verglichen, was Aussehen und Geschichte angeht: Genau wie Symi einst Heimat der Schwammtaucher, als mit der Industrialisierung die Menschen in den Großstädten das wöchentliche Vollbad für sich entdeckten. Von einigen Ausnahmen abgesehen, kam regelmäßige Körperhygiene und Waschen in der Geschichte der westlichen Menschheit eher spärlich vor. Noch in der frühen Neuzeit, zum Beispiel in der Pracht von Versailles, war Baden trotz prächtigster Kleider als ungesund verpönt, man übertünchte Körpergeruch lieber mit Puder, und Zähneputzen war noch weit, weit am Horizont entfernt. Man stank, und weil alle stanken, fiel’s nicht so auf. Aber jetzt, ab 1870 herum, war einmal wöchentlich gründlich waschen in Mode. Und wer das raffinierter betrieb, der machte das: mit einem Badeschwamm! Und der kam – aus der Ägäis. Vor allem England war führend im Import der Naturbadeschwämme, man hatte dort das Vollbad um einige weitere Raffinessen bereichert: Indien-Reisende hatten neben Tee auch das Wort und die Sache „Shampoo“ aus Indien mitgebracht. Der Export der Badeschwämme von den Inseln nach England brummte, das Deutsche Reich führte im Jahr 1880 Badeschwämme im Wert von 7.067.000 Mark ein. Die Anwendungsgebiete für Schwämme wurden immer mehr: In der Medizin zur Trockenlegung von Wunden, zur Verhütung, und, und, und. Symi und Chalki, aber auch andere Ägäis-Inseln wie Kalymnos wurden reich, und englische Historiker überliefern aus Chalki’s Gassen das sinngemäße Wort „Solange die Bank von England steht, wird Geld nach Chalki fließen“.

Ein Irrtum, wie sich zeigen sollte. Ihr Erfolg wurde den Schwammtauchern zum Verhängnis: Um die Mitte des 20. Jahrhunderts gelang im Labor die Erfindung des synthetischen Schwamms, und dessen Herstellung in Fabriken trat ihren Siegeszug an. Es war, wonach Silicon Valley heute fieberhaft sucht: Der klassische Fall einer „disruptiven Innovation“, die die bisherigen Profiteure eines Geschäfts einfach aus der eben diesem abrupt wirft und die Geldströme in andere Richtungen lenkt. Plötzlich blieben die Schwammtaucher von Symi und Chalki auf ihren Schwämmen sitzen.

Und so endete die Geschichte vom Aufstieg der Schwammtaucher. Viele von Ihnen wanderten aus, die meisten nach Florida, nach Tarpoon Springs, wo sie ihr Geschäft des Schwammtauchens auch nach dem Krieg fortsetzten. Und weil sie die Daheim nicht vergaßen und in die neue Armut der alten Heimat Geld schickten und die Not linderten, drum benannten die dankbaren Einwohner von Chalki ihre Hauptstraße in „Tarpoon Springs Road.“ Heute leben noch um die 300 Einwohner fest auf Chalki, die Flucht von der Insel hält, genauso wie auf anderen griechischen Inseln weiter an, und wären da Albaner, Bulgaren, Russen, die mittlerweile ein Viertel der Bevölkerung stellen und vor allem das wirtschaftliche Rückgrat der Insel bilden: dann wäre es – wie auch auf vielen anderen griechischen Inseln – schlimm bestellt um Chalki.

Ich aber beschließe, heute nicht in der Stadt zu bleiben, sondern mit LEVJE nach Süden zu gehen, und in der Bucht von Podemos einsam vor dem Strand zu ankern. Wo LEVJE leise in der Dünung schaukelt, bis sich um Mitternacht herum der Prophitis Elias, der 600 Meter hohe Berg, harte Fallböen in die Bucht hinunter schickt und LEVJE an ihrem Ankerplatz hart hin und her schwingen läßt. Bis sie am Morgen noch zunehmen, mich aufwecken und mir im Sonnenaufgang einen Blick auf die Johanniterburg auf dem höchsten Gipfel von Chalki schenken.

 

 

Durch die südöstliche Ägäis: Von der Türkei nach Kreta, Teil 3: Chalki. Wo der Schwamm herkam.

Ein klein wenig sieht Chalki ja so aus wie das Renaissance-Gemälde von Pierro della Francesca über DIE IDEALE STADT. Gleich an gleich schmiegen sich die Häuser in die Hänge, in Grundriss, Ausrichtung, Proportion und Dimension so, als hätte ein Städteplaner mit kühnem Federstrich sie vom Reißbrett weg gefertigt. Chalki auf der gleichnamigen Insel: die ideale Stadt?

Am Morgen segle ich von der kleinen Insel Seskli bei Symi unmittelbar vor der türkischen Grenze los. Kurs Süd, westlich von Rhodos entlang, das in der Ferne liegt, zur Inselgruppe um Chalki und Alimia. Wie immer bleibt sich der Wind hier in der südlichen Ägäis treu: am Morgen gar nichts, aber pünktlich um zwei ist er da. Aber weil ich dann schon längst mich zwischen diesen Inseln befinde, erwartet mich der Wind dort mit einem vielfältigen Irgendwas: Mal Meltemi in seiner reinen Form, mit 5 Beaufort aus Nordwest und da, wo er sich frei entfalten kann. Als ich in die große Bucht des unbewohnten Alimia einfahre, ein astreiner Süd mit 5-6, in die große Hafenbucht von Chalki hineinsegelnd legen die Fallböen trotz 2. Reff LEVJE drei Mal flach aufs Wasser. Um sie dann 50 Meter bekalmt wie auf einem Ententeich einfach auf der Stelle – liegenzulassen. Also wieder ausreffen: und langsam, langsam, im langsamen Schritttempo bei leisem Lüftchen das große Rund der Stadt in der Bucht absegeln.

Die ideale Stadt ist aber nur die eine Seite Chalkis. Die Insel wird oft mit Symi verglichen, was Aussehen und Geschichte angeht: Genau wie Symi einst Heimat der Schwammtaucher, als mit der Industrialisierung die Menschen in den Großstädten das wöchentliche Vollbad für sich entdeckten. Von einigen Ausnahmen abgesehen, kam regelmäßige Körperhygiene und Waschen in der Geschichte der westlichen Menschheit eher spärlich vor. Noch in der frühen Neuzeit, zum Beispiel in der Pracht von Versailles, war Baden trotz prächtigster Kleider als ungesund verpönt, man übertünchte Körpergeruch lieber mit Puder, und Zähneputzen war noch weit, weit am Horizont entfernt. Man stank, und weil alle stanken, fiel’s nicht so auf. Aber jetzt, ab 1870 herum, war einmal wöchentlich gründlich waschen in Mode. Und wer das raffinierter betrieb, der machte das: mit einem Badeschwamm! Und der kam – aus der Ägäis. Vor allem England war führend im Import der Naturbadeschwämme, man hatte dort das Vollbad um einige weitere Raffinessen bereichert: Indien-Reisende hatten neben Tee auch das Wort und die Sache „Shampoo“ aus Indien mitgebracht. Der Export der Badeschwämme von den Inseln nach England brummte, das Deutsche Reich führte im Jahr 1880 Badeschwämme im Wert von 7.067.000 Mark ein. Die Anwendungsgebiete für Schwämme wurden immer mehr: In der Medizin zur Trockenlegung von Wunden, zur Verhütung, und, und, und. Symi und Chalki, aber auch andere Ägäis-Inseln wie Kalymnos wurden reich, und englische Historiker überliefern aus Chalki’s Gassen das sinngemäße Wort „Solange die Bank von England steht, wird Geld nach Chalki fließen“. 

Ein Irrtum, wie sich zeigen sollte. Ihr Erfolg wurde den Schwammtauchern zum Verhängnis: Um die Mitte des 20. Jahrhunderts gelang im Labor die Erfindung des synthetischen Schwamms, und dessen Herstellung in Fabriken trat ihren Siegeszug an. Es war, wonach Silicon Valley heute fieberhaft sucht: Der klassische Fall einer „disruptiven Innovation“, die die bisherigen Profiteure eines Geschäfts einfach aus der eben diesem abrupt wirft und die Geldströme in andere Richtungen lenkt. Plötzlich blieben die Schwammtaucher von Symi und Chalki auf ihren Schwämmen sitzen.

Und so endete die Geschichte vom Aufstieg der Schwammtaucher. Viele von Ihnen wanderten aus, die meisten nach Florida, nach Tarpoon Springs, wo sie ihr Geschäft des Schwammtauchens auch nach dem Krieg fortsetzten. Und weil sie die Daheim nicht vergaßen und in die neue Armut der alten Heimat Geld schickten und die Not linderten, drum benannten die dankbaren Einwohner von Chalki ihre Hauptstraße in „Tarpoon Springs Road.“ Heute leben noch um die 300 Einwohner fest auf Chalki, die Flucht von der Insel hält, genauso wie auf anderen griechischen Inseln weiter an, und wären da Albaner, Bulgaren, Russen, die mittlerweile ein Viertel der Bevölkerung stellen und vor allem das wirtschaftliche Rückgrat der Insel bilden: dann wäre es – wie auch auf vielen anderen griechischen Inseln – schlimm bestellt um Chalki.

                                                          Weiterlesen bei: Was ist heute los auf Erikoussa. Hier.
                                                         Weiterlesen bei: 7 Tipps für das Segeln in Griechenland. Hier.

Ich aber beschließe, heute nicht in der Stadt zu bleiben, sondern mit LEVJE nach Süden zu gehen, und in der Bucht von Podemos einsam vor dem Strand zu ankern. Wo LEVJE leise in der Dünung schaukelt, bis sich um Mitternacht herum der Prophitis Elias, der 600 Meter hohe Berg, harte Fallböen in die Bucht hinunter schickt und LEVJE an ihrem Ankerplatz hart hin und her schwingen läßt. Bis sie am Morgen noch zunehmen, mich aufwecken und mir im Sonnenaufgang einen Blick auf die Johanniterburg auf dem höchsten Gipfel von Chalki schenken.

 

Durch die südöstliche Ägäis: Von der Türkei nach Kreta: Rhodos oder:Warum die Welt heute besser ist.

Zu den Dingen, die dem Leben in unseren Breiten Sicherheit geben, gehört die Gewißheit: Wenn’s mal kracht, kommt der Krankenwagen. Früher gab es ja nur solche mit einem ROTEN KREUZ darauf. Heute gibt es unterschiedliche: SAMARITER und JOHANNITER oder MALTESER steht öfter drauf. Wie so oft sind es Namen, die aus einer Welt jenseits der unseren stammen.

Von der Türkei auf Rhodos angekommen, versuchen wir, einen Liegeplatz im nördlichsten der drei Häfen an der Nordost-Seite der Insel, in Port Mandraki zu finden, um einzuklarieren. Einklarieren: das bedeutet für den, der mit dem Schiff aus der Türkei herübersegelt und von Asien nach Europa hinein will, Papierkrieg. Und geduldig vier Stationen abzulaufen:
• zuerst mit den Pässen zur Küstenwache.
• dann zum Hauptposten der Küstenwache.
• dann zum Zoll.
• dann zur Grenzpolizei.

                      Weiterlesen bei: 7 Tipps fürs Segeln in der Türkei. Was man darüber wissen muss. Hier
                      Weiterlesen bei: 7 Tipps fürs Segeln in Griechenland. Hier.

Aber schon weit vor der Einfahrt steht Mandraki’s Hafenmeister auf seiner Mole und signalisiert uns abwechselnd mit wild gekreuzten Armen und abweisender Geste: Hier gibts kein Reinkommen. Mein näher Heranpirschen hat nur zur Folge, dass seine Gesten noch entschlossener und abweisender werden, wo ich doch nur fragen will: Wo ist hier die Zollpier, um für die Halbtags-Prozedur des Einklarierens anlegen zu können? 
Die Antwort ist knapp: Zollpier gäbe es nicht. Ich möge doch da ankern, wo die zwei Katamarane lägen. Vor den Felsen. Hier in der einzigen Marina auf Rhodos wäre jedenfalls gar kein Platz.

Wie so oft verdanken wir dieser harschen Abweisung etwas Schönes: nämlich einen wunderbaren Liegeplatz auf offener Reede zwischen AIDA (noch so ein alter Name aus einer anderen Welt) und den Festungsmauern, die errichtet wurden von: Den JOHANNITERN. Und dass sie von den Johannitern errichtet wurden ist ungewöhnlich genug.

Gehen wir also zurück in die Zeit des ersten Kreuzzugs. Eigentlich war das ein Irrsinns-Unterfangen: Um das Jahr 1095 predigte ein Mann, von Beruf Papst und nicht ganz uneigennützig, dass ein 5.000 Kilometer entfernter unwirtlicher Gebietsstreifen am östlichen Ende des Mittelmeeres unbedingt erobert werden sollte. Die Idee an sich war schlechterdings abwegig, und hätte es sich um einen unwirtlichen Gebietsstreifen hinter „Sidi Abseits“ oder sonstwo gehandelt, wäre es den Leuten gleich gewesen. Aber da dieser unwirtliche Gebietsstreifen, von dem der Mann Jahr um Jahr sprach, Schauplatz jener Geschichte war von einem anderen Mann, der öffentlich kluge Dinge darüber gesagt hatte, wie das Zusammenleben unter den Menschen besser funktionieren könnte und dafür von der Obrigkeit wegen Aufmüpfigkeit ans Kreuz geschlagen worden war: wegen dieser Geschichte bekam die Idee Sprengkraft. Im Frühsommer 1098 war es soweit: Eine Armee von geschätzt 25.000 Menschen machte sich auf den Weg und marschierte los. Ritter, Bauern, Bettler, Vagabunden, Abenteurer. Ohne 50er Sonnencreme und Red Bull, ohne Fleece und Jochen Schweitzer, ohne Imodium und Ray Ban. Einfach so, durch Hitze, durch Staub, durch Seuchen, durch feindliche Angriffe von Männern auf kleinen Pferden mit Pfeil und Bogen, die Rum-Seldschuken waren. Dass sie überhaupt ankamen, war ein Wunder. Auch wenn die Hälfte die Anreise nicht überlebt hatte. Die andere Hälfte aber schaffte etwas noch Größeres: die Eroberung Jerusalems. All dies vollzog sich unter großen Entbehrungen, größtmöglicher Grausamkeit, Progromen gegen Juden noch beim Abmarsch, Massakern an Christen und Nichtchristen im Feindesland.

In jenen Jahren war es um die Versorgung Erkrankter und Verletzter schlimm bestellt. Das gesamte medizinische Wissen von Griechen und Römern war in der westlichen Welt verloren gegangen, es existierte vereinzelt davon in Klöstern und an den jungen Hochschulen. Die Entdeckung des Blutkreislaufs war noch 600 Jahre entfernt, die von Antibiotikum und Desinfektion noch 800 Jahre. Hospitäler? Heilpraktiker? Orthopäden? Apotheken? Narkose? Gab es nicht. Wer erkrankte oder verwundet war, blieb meist auf sich gestellt. Die Erfindung des Berufes „Arzt“ ließ auf sich warten, „Bader“ oder „Feldscher“ kamen auch erst 250 Jahre später  auf den Plan. Wer krank wurde, dem halfen: Gebete. Kräuter. Und die „schmutzige Medizin“: das Auflegen von Amuletten, Knochen, von getrockneten Kröten, Beeren, derlei. Und weil einen Mann das Elend, die Krankheiten, die Verletzungen, die Wunden, die er gesehen hatte, dauerte: darum gründete er in Jerusalem in einer bestehenden Pilgerherberge eine Bruderschaft, die sich um all die Kranken und Verwundeten kümmerte: Den Ordo Hospitalis Sancti Johannis Ierosolimitani, den Johanniter- oder auch Hospitaliterorden. Das war – 150 Jahre vor Franz von Assisi – etwas Neues: Eine Organisation mit Menschen, die sich um andere kümmern, denen es nicht so gut geht. Das entsprach der Idee des Mannes, der am Kreuz gestorben war, schon eher als in der Gegend herumziehen und Andersgläubige abschlachten. Es war in seinem Geiste.

Das Hospital von Jerusalem war ein Erfolg, was die Menge an Hilfesuchender dort angeht. Bruder Gerhard, der Gründer und erste bekannte Vorsteher des Hospitals von Jerusalem, schrieb um 1120 in ungewöhnlicher Klarheit: „Unsere Bruderschaft wird unvergänglich sein, weil der Boden, auf dem diese Pflanze wurzelt, das Elend der Welt ist, und weil, so es Gott gefällt, es immer Menschen geben wird, die daran arbeiten wollen, dieses Leid geringer, dieses Elend erträglicher zu machen.“

Aber bei der guten Idee der Krankenpflege blieb es schon damals nicht. Ehrgeiz gehört nunmal zum Menschsein. Neben der Krankenpflege nahmen die Johanniter dann auch die Bewachung der Kranken in ihr Programm auf. Dann die Bewachung der Krankentransporte. Dann die Abwehr der Heiden von den Krankentransporten. Dann die Abwehr der Heiden überhaupt. Dann die Rückeroberung des Heiligen Landes. Und zuletzt die Vertreibung der Heiden. Aus der Idee, für die Schwachen und Hilflosen da zu sein war ein prosperierendes Unternehmen geworden. Für den heiligen Zweck stifteten und schenkten vor allem im deutschen Reich Prominente und Unbekannte. 1136 bekam der Orden im heiligen Land erstmals eine Burg übertragen zur Verteidigung irgendwo in dem unwirtlichen Gebietsstreifen, der noch heute – warum eigentlich? – so umkämpft ist wie ehedem zu Zeiten der Johanniter. Sie machten ihre Sache gut. Weitere Aufträge kamen hinzu, irgendetwas zu erobern, irgendetwas zu halten, was nicht zu halten war. Der Orden prosperierte immer mehr, und das ging bis 1291. Da war der Traum von dem unwirtlichen Gebietsstreifen in weitere Ferne gerückt denn je. Muslime hatten ihn wieder unter ihre Kontrolle gebracht, und die Johanniter waren die letzten, die die Festung Akkon, die letzte Handbreit des unwirtlichen Gebietsstreifens räumten, das von dem großartigen Unternehmen 250 Jahre vorher übrig geblieben war. Das heilige Land: es war verloren.

Der Orden war ohne Plan, wie es nun weitergehen sollte. Das einträgliche Geschäft, für andere gegen Muslime zu kämpfen: es war in die Krise geraten. Bis sich – keine 15 Jahre später – 1306 der Großmeister des Ordens des Ortes Rhodos annahm. Die Insel selbst war unklarer Herrschaftsbereich: Eigentlich gehörte sie zu Byzanz, also östlichen Glaubenbrüdern. Westliche Christen lebten auch da, Genuesen, und trieben Handel. Muslime. Seldschuken. Die Johanniter focht das nicht an: Aus eigenem Antrieb drangen sie in einem zwei Jahre dauernden Kleinkrieg von Rhodos, der Stadt aus nach Süden vor: Unterwarfen, was sich ihnen in den Weg stellte, nahmen, was ihnen gefiel und ließen liegen, was ihnen nicht gefiel. Zwei Jahre später war Rhodos Johanniterstaat.

Aber jetzt ging es erst richtig los. Mit Tatkraft und Inbrunst taten sie, was sie immer getan hatten: Heiden bekämpfen. Und das auf zweierlei Arten: Sie befestigten Rhodos und bauten die Stadt zu einer der größten Festungen ihrer Zeit aus. Rhodos ist noch heute eine der besterhaltenen mittelalterlichen Wehranlagen der Welt. Gleichzeitig rüsteten sie mit den Einnahmen aus dem Heimatland schnelle Galeeren aus. Nicht viele. Im 15. Jahrhundert, meint David Abulafia, waren es nicht mehr als eine Handvoll, die unter der roten Flagge mit dem weißen Kreuz fuhren und mit Geldern aus der Heimat finanziert wurden: aber die hatten es in sich. So berichtet Abulafia in seinem immer wieder lesenswerten Buch DAS MITTELMEER darüber, wie eine Galeere der Johanniter mit dem schönen Namen Unsere lieben Frau von der unbefleckten Empfängnis um das Jahr 1492 herum einen türkischen Frachter verfolgt, aufbringt und die Besatzung sogleich auf die Ruderbänke schickt. Für Jahre, wenn nicht ein Leben lang.


Hier ein Modell einer venezianischen Galeere des 16. Jahrhunderts aus dem Museo dell‘ Arsenale, Venedig  

Sie machten Jagd auf alles, was sich zwischen Rhodos, der türkischen Küste und Kreta muckte. Geführt von christlichen Rittern, gerudert von Galeerensklaven, erbeuteten sie auf eigene Rechnung, was immer ihnen begehrenswert erschien: Geld, Gold und vor allem immer neue Sklaven, die zu zweierlei Nütze waren: Galeeren rudern. Und Befestigungen bauen. Wie ein Kranz liegen diese Befestigungen heute um Rhodos: auf den höchsten Gipfeln von Symi und Chalki und dem unbewohnten Alimnia, sogar auf dem türkischen Festland in Bodrum und Fethiye findet man heute Festungen der kriegerischen Johanniter.

Am Ende war der Gegner größer. Eine erste Belagerung der Osmanen überstanden die Johanniter. Zu stark waren die Mauern selbst für die türkischen Kannonen, zu klug die Verteidigungsmaßnahmen. Die zweite Belagerung 1522 wurde noch entschlossener geführt, und sie dauerte ein halbes Jahr. Am 22. Dezember 1522 kapitulierten die Johanniter. Und durften ehrenvoll abziehen. Süleyman der Prächtige hatte ein Faible für gute Gegner. Die Johanniter aber segelten Anfang Januar 1523 zusammen mit ihren Anhängern nach Kreta. Sie verliessen Rhodos für immer. 

Auf Rhodos aber sind ihre Zeichen, die sie auf den Mauern hinterließen, noch heute zu sehen.

Wie es danach mit den Johannitern weiterging? Das ist eine andere Geschichte, aber sie sei rasch erzählt. Es folgten ein paar Jahre der Orientierungslosigkeit, bis sie ein Geschenk erhielten, das eigentlich ein fauler Apfel war: Karl V. – eben der mit Luther – „schenkte“ ihnen die Insel Malta. Die Türken hatten aus dem östlichen Mittelmeer auf das westliche hinausgegriffen und strebten die Herrschaft über Sizilien und Süditalien an. Der Schlüssel dazu: war Malta. Die Ordensbrüder in den roten Mänteln mit dem weißen Kreuz machten sich ans Werk. Sie bauten die Hauptorte auf Malta zu Festungen aus. Und sandten ihre Galeeren wieder hinaus auf Raubzüge, irgendjemand musste ja her, um Steine zu schleppen, Festungen zu bauen, Galeeren zu rudern. Als die Türken 1555 Malta noch entschlossener belagerten als vorher Rhodos, hielten die Johanniter aus. Malta und Süditalien blieben Bestandteil der westlichen Welt, anders als Griechenland, Albanien, Serbien, Kroatien.

Noch in diesen Jahren – eben wegen Luther – teilte sich der Orden in einen protestantischen (Johanniter) und einen katholischen Zweig (Malteser). Beide wurden 1811 durch den großen Beseitiger der alten Welt, durch Napoleon aufgelöst. Die Johanniter aber wurden 1952 als Unfallhilfe neugegründet, sich rückbesinnend auf den Zweck, zu dem sie vor fast 1.000 Jahren gegründet worden war en: Sich denen zu widmen, die wehrlos am Boden liegen.

Und während der Meltemi durch die zerstörten Mauern der Festung streicht, schaukelt LEVJE in der Dünung, nichts ahnend, welche Geschichten sich hier abspielten.

                             Weiterlesen bei: Symi. Eine deutsche Geschichte. Hier

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Produktion des Soundtracks für den Film "Zeitmillionär"

Während die Arbeiten am Soundtrack langsam aber sicher zu einem Ende kommen, beginnen nun im Juli endlich die Dreharbeiten zu meinem Film „Zeitmillionär“. Der Film wird von meinen Träumen und der Vorbereitung meiner sechsmonatigen Auszeit berichten; vom Aufbruch und dem alles dominierenden Freiheitsgefühl; vom Segeln und von der Natur; von Einsamkeit und Heimweh und vor allem von dem einmaligen Gefühl so unendlich viel Zeit zur Verfügung zu haben. Es wird mir so richtig erst jetzt, ein Jahr nach meiner Reise, bewusst, was es für ein Luxus ist seine Zeit komplett selbst zu verplanen und damit um sich zu werfen. Und so ist es am Ende auch der vielen Zeit zu verdanken, das ich so viele Videos und Fotos mitgebracht habe und vor allem alle Emotionen der Reise musikalisch umsetzen konnte in diesen 15 selbst geschriebenen Songs, die den Soundtrack zum Film bilden werden. Ziel des Films ist es anderen Träumern den letzten Tritt in den Hintern zu verpassen, damit sie sich endlich entscheiden ihren Traum von einer langen auszeit mit Reise auch umzusetzen. Ob nun mit dem Auto, Fahrrad, zu Fuß oder, wie bei mir, mit dem Segelboot, ist am Ende dann auch vollkommen egal.    

 Das neue Video

Weitere aufregende fünf Produktionstage zum Soundtrack standen nun an. Die gesamte Atmosphäre der Arbeit mit Freunden und Bekannten wird am besten in diesem neuen Video dokumentiert. Wir hatten wieder jede Menge Spaß, aber es ist auch gleichzeitig tolle Musik entstanden. Nun kann ich selber das Endergebnis kaum noch abwarten. Ein letzter Studiotag mit Caro Leuzinger steht noch an, und einige Spuren kommen demnächst auch noch aus anderen Studios weltweit. Das Internet macht es möglich. Aber so langsam ist alles aufgenommen und es kann an die Mischung gehen. Habt Spaß mit dem neuen Video!

Vielen Dank an Kathrin Reisener, Mario Schulmann-Reisener, Andreas Pappert, Daniel Palmquist, Joe Casey, Nicolas Boysen, Thomas Wolff, Dara McNamara, Michael Prott, Rolf Herbrechtsmeyer und wie immer an Jurik Maretzki für diese kreative Woche.

Und weil es so schön ist, hier noch einmal die vorherigen Videos zur Produktion.

Durch die südöstliche Ägäis: Von der Türkei nach Kreta: Rhodos oder:Warum die Welt heute besser ist.


Zu den Dingen, die dem Leben in unseren Breiten Sicherheit geben, gehört die Gewißheit: Wenn’s mal kracht, kommt der Krankenwagen. Früher gab es ja nur solche mit einem ROTEN KREUZ darauf. Heute gibt es unterschiedliche: SAMARITER und JOHANNITER oder MALTESER steht öfter drauf. Wie so oft sind es Namen, die aus einer Welt jenseits der unseren stammen.

Von der Türkei auf Rhodos angekommen, versuchen wir, einen Liegeplatz im nördlichsten der drei Häfen an der Nordost-Seite der Insel, in Port Mandraki zu finden, um einzuklarieren. Einklarieren: das bedeutet für den, der mit dem Schiff aus der Türkei herübersegelt, und von Asien nach Europa hinein will, Papierkrieg. Und geduldig vier Stationen abzulaufen:
• zuerst mit den Pässen zur Küstenwache.
• dann zum Hauptposten der Küstenwache.
• dann zum Zoll.
• dann zur Grenzpolizei.
 
Aber schon weit vor der Einfahrt steht der Mandraki’s Hafenmeister auf seiner Mole und signalisiert uns abwechselnd mit wild gekreuzten Armen und abweisender Geste: Hier gibts kein Reinkommen. Mein näher Heranpirschen hat nur die Folge, dass seine Gesten noch entschlossener und abweisender werden, wo ich doch nur fragen will: Wo ist hier die Zollpier, um für die Halbtags-Prozedur des Einklarierens anlegen zu können?
Die Antwort ist knapp: Zollpier gäbe es nicht. Ich möge doch da ankern, wo die zwei Katamarane lägen. Vor den Felsen. Hier in der einzigen Marina auf Rhodos wäre jedenfalls gar kein Platz.
 
Wie so oft verdanken wir dieser harschen Abweisung etwas Schönes: nämlich ein wunderbarer Liegeplatz auf offener Reede zwischen AIDA (noch so ein alter Name aus einer anderen Welt) und den Festungsmauern, die errichtet wurden von: Den JOHANNITERN. Und dass sie von den Johannitern errichtet wurden ist ungewöhnlich genug.


Gehen wir also zurück in die Zeit des ersten Kreuzzugs. Eigentlich war das ein Irrsinns-Unterfangen: Um das Jahr 1095 predigte ein Mann, von Beruf Papst und nicht ganz uneigennützig, dass ein 5.000 Kilometer entfernter unwirtlicher Gebietsstreifen am östlichen Ende des Mittelmeeres unbedingt erobert werden sollte. Die Idee an sich war schlechterdings abwegig, und hätte es sich um einen unwirtlichen Gebietsstreifen hinter „Sidi Abseits“ oder sonstwo gehandelt, wäre es den Leuten gleich gewesen. Aber da dieser unwirtliche Gebietsstreifen, von dem der Mann Jahr um Jahr sprach, Schauplatz jener Geschichte war von einem anderen Mann, der öffentlich kluge Dinge darüber gesagt hatte, wie das Zusammenleben unter den Menschen besser funktionieren könnte und dafür von der Obrigkeit wegen Aufmüpfigkeit ans Kreuz geschlagen worden war: wegen dieser Geschichte bekam die Idee Sprengkraft. Im Frühsommer 1098 war es soweit: Eine Armee von geschätzt 25.000 Menschen machte sich auf den Weg und marschierte los. Ritter, Bauern, Bettler, Vagabunden, Abenteurer. Ohne 50er Sonnencreme und Red Bull, ohne Fleece und Jochen Schweitzer, ohne Imodium und Ray Ban. Einfach so, durch Hitze, durch Staub, durch Seuchen, durch feindliche Angriffe von Männern auf kleinen Pferden mit Pfeil und Bogen, die Rum-Seldschuken waren. Dass sie überhaupt ankamen, war ein Wunder. Auch wenn die Hälfte die Anreise nicht überlebt hatte. Die andere Hälfte aber schaffte etwas noch Größeres: die Eroberung Jerusalems. All dies vollzog sich unter großen Entbehrungen, größtmöglicher Grausamkeit, Progromen gegen Juden noch beim Abmarsch, Massakern an Christen und Nichtchristen im Feindesland.

In jenen Jahren war es um die Versorgung Erkrankter und Verletzter schlimm bestellt. Das gesamte medizinische Wissen von Griechen und Römern war in der westlichen Welt verloren gegangen, es existierte vereinzelt davon in Klöstern und an den jungen Hochschulen. Die Entdeckung des Blutkreislaufs war noch 600 Jahre entfernt, die von Antibiotikum und Desinfektion noch 800 Jahre. Hospitäler? Heilpraktiker? Orthopäden? Apotheken? Narkose? Gab es nicht. Wer erkrankte oder verwundet war, blieb meist auf sich gestellt. Die Erfindung des Berufes „Arzt“ ließ auf sich warten, „Bader“ oder „Feldscher“ kamen auch erst 250 Jahre auf den Plan. Wer krank wurde, dem halfen: Gebete. Kräuter. Und die „schmutzige Medizin“: das Auflegen von Amuletten, Knochen, von getrockneten Kröten, Beeren, derlei. Und weil einen Mann das Elend, die Krankheiten, die Verletzungen, die Wunden, die er gesehen hatte, dauerte: darum gründete er in Jerusalem in einer bestehenden Pilgerherberge eine Bruderschaft, die sich um all die Kranken und Verwundeten kümmerte: Den Ordo Hospitalis Sancti Johannis Ierosolimitani, den Johanniter oder auch Hospitaliterorden. Das war – 150 Jahre vor Franz von Assisi – etwas Neues: Eine Organisation mit Menschen, die sich um andere kümmern, denen es nicht so gut geht. Das entsprach der Idee des Mannes, der am Kreuz gestorben war, schon eher als in der Gegend herumziehen und Andersgläubige abschlachten. Es war in seinem Geiste.

Das Hospital von Jerusalem war ein Erfolg, was die Menge an Hilfesuchender dort angeht. Bruder Gerhard, der Gründer und erste bekannte Vorsteher des Hospitals von Jerusalem, schrieb um 1120 in ungewöhnlicher Klarheit: „Unsere Bruderschaft wird unvergänglich sein, weil der Boden, auf dem diese Pflanze wurzelt, das Elend der Welt ist, und weil, so es Gott gefällt, es immer Menschen geben wird, die daran arbeiten wollen, dieses Leid geringer, dieses Elend erträglicher zu machen.“

Aber bei der guten Idee der Krankenpflege blieb es schon damals nicht. Ehrgeiz gehört nunmal zum Menschsein. Neben der Krankenpflege nahmen die Johanniter dann auch die Bewachung der Kranken in ihr Programm auf. Dann die Bewachung der Krankentransporte. Dann die Abwehr der Heiden von den Krankentransporten. Dann die Abwehr der Heiden überhaupt. Dann die Rückeroberung des Heiligen Landes. Und zuletzt die Vertreibung der Heiden. Aus der Idee, für die Schwachen und Hilflosen da zusein war ein prosperierendes Unternehmen geworden. Für den heiligen Zweck stifteten und schenkten vor allem im deutschen Reich Prominente und Unbekannte. 1136 bekam der Orden im heiligen Land erstmals eine Burg übertragen zur Verteidigung irgendwo in dem unwirtlichen Gebietsstreifen, der noch heute – warum eigentlich? – so umkämpft ist wie ehedem zu Zeiten der Johanniter. Sie machten ihre Sache gut. Weitere Aufträge kamen hinzu, irgendetwas zu erobern, irgendetwas zu halten, was nicht zu halten war. Der Orden prosperierte immer mehr, und das ging bis 1291. Da war der Traum von dem unwirtlichen Gebietsstreifen in weitere Ferne gerückt denn je. Muslime hatten ihn wieder unter ihre Kontrolle gebracht, und die Johanniter waren die letzten, die die Festung Akkon, die letzte Handbreit des unwirtlichen Gebietsstreifens räumen, das von dem großartigen Unternehmen 250 Jahre vorher übrig geblieben war: Die Festung Akkon. Das heilige Land: es war verloren.


Der Orden war ohne Plan, wie es nun weitergehen sollte. Das einträgliche Geschäft, für andere gegen Muslime zu kämpfen: es war in die Krise geraten. Bis sich – keine 15 Jahre später – 1306 der Großmeister des Ordens des Ortes Rhodos annahm. Die Insel selbst war unklarer Herrschaftsbereich: Eigentlich gehörte die Insel zu Byzanz, also östlichen Glaubenbrüdern. Westliche Christen lebten auch da, Genuesen, und trieben Handel. Muslime. Seldschuken. Die Johanniter focht das nicht an: Aus eigenem Antrieb drangen sie in einem zwei Jahre dauernden Kleinkrieg von Rhodos, der Stadt aus nach Süden vor: Unterwarfen, was sich Ihnen in den Weg stellte, nahmen, was Ihnen gefiel und ließen liegen, was Ihnen nicht gefiel. Zwei Jahre später war Rhodos Johanniterstaat.


Aber jetzt ging es erst richtig los. Mit Tatkraft und Inbrunst taten sie, was sie immer getan hatten: Heiden bekämpfen. Und das auf zweierlei Arten: Sie befestigten Rhodos und bauten die Stadt zu einer der größten Festungen ihrer Zeit aus. Rhodos ist noch heute eine der besterhaltenen mittelalterlichen Wehranlagen der Welt. Gleichzeitig rüsteten sie mit den Einnahmen aus dem Heimatland schnelle Galeeren aus. Nicht viele. Im 15. Jahrhundert, meint David Abulafia, waren es nicht mehr als eine Handvoll, die unter der roten Flagge mit dem weißen Kreuz fuhren und mit Geldern aus der Heimat finanziert wurden: aber die hatten es in sich. So berichtet Abulafia in seinem immer wieder lesenswerten Buch DAS MITTELMEER darüber, wie eine Galeere der Johanniter mit dem schönen Namen Unsere lieben Frau von der unbefleckten Empfängnis um das Jahr 1492 herum einen türkischen Frachter verfolgt, aufbringt und die Besatzung sogleich auf die Ruderbänke schickt. Für Jahre, wenn nicht ein Leben lang.


Hier ein Modell einer venezianischen Galeere des 16. Jahrhunderts aus dem Museo dell‘ Arsenale, Venedig
Sie machten Jagd auf alles, was sich zwischen Rhodos, der türkischen Küste und Krtea muckte. Geführt von christlichen Rittern, gerudert von Galeerensklaven, erbeuteten sie auf eigene Rechnung, was immer ihnen begehrenswert erschien: Geld, Gold und vor allem immer neue Sklaven, die zu zweierlei Nütze waren: Galeeren rudern. Und Befestigungen bauen. Wie ein Kranz liegen diese Befestigungen heute um Rhodos: auf den höchsten Gipfeln von Symi und Chalki und dem unbewohnten Alimnia, sogar auf dem türkischen Festland in Bodrum und Fethiye findet man heute Festungen der kriegerischen Johanniter.

Am Ende war der Gegner größer. Eine erste Belagerung der Osmanen überstanden die Johanniter. Zu stark waren die Mauern selbst für die türkischen Kannonen, zu klug die Verteidigungsmaßnahmen. Die zweite Belagerung 1522 wurde noch entschlossener geführt, und sie dauerte ein halbes Jahr. Am 22. Dezember 1522 kapitulierten die Johanniter. Und durften ehrenvoll abziehen. Süleyman der Prächtige hatte ein Faible für gute Gegner. Die Johanniter aber segelten Anfang Januar 1523 zusammen mit ihren Anhängern nach Kreta.

Auf Rhodos aber sind ihre Zeichen, die sie auf den Mauern hinterliessen, auch heute noch zu sehen.


Wie es danach mit den Johannitern weiterging? Das ist eine andere Geschichte, aber sie sei rasch erzählt. Es folgten ein paar Jahre der Orientierungslosigkeit, bis sie ein Geschenk erhielten, das eigentlich ein fauler Apfel war: Karl V. – eben der mit Luther – die „schenkte“ Ihnen die Insel Malta. Die Türken hatten aus dem östlichen Mittelmeer auf das westliche hinausgegriffen und strebten die Herrschaft über Sizilien und Süditalien an. Der Schlüssel dazu: war Malta. Die Ordensbrüder in den roten Mänteln mit dem weißen Kreuz machten sich ans Werk. Sie bauten die Hauptorte auf Malta zu Festungen aus. Und sandten ihre Galeeren wieder hinaus auf Raubzüge, irgendjemand musste ja her, um Steine zu schleppen und Galeeren zu rudern. Als die Türken 1555 Malta noch entschlossener belagerten als vorher Rhodos, hielten die Johanniter aus. Malta und Süditalien blieben Bestandteil der westlichen Welt, anders als Griechenland, Albanien, Serbien, Kroatien.

Noch in diesen Jahren – eben wegen Luther – teilten sich in einen protestantischen (Johanniter) und einen katholischen Zweig (Malteser). Beide wurden 1811 durch den großen Beseitiger der alten Welt, durch Napoleon aufgelöst. Die Johanniter aber wurden 1952 als Unfallhilfe neugegründet, sich rückbesinnend auf den Zweck, zu dem sie vor fast 1.000 Jahren gegründet worden waren: Sich denen zu widmen, die wehrlos am Boden liegen.

 

Durch die südöstliche Ägäis: Von der Türkei nach Kreta. Und: Meinnächstes Buchprojekt.

Eines ist sie ganz bestimmt, die östliche Ägäis: Ein Ort, an dem man allein sein kann.

Schon auf meiner ersten Reise von München nach Antalya im vergangenen Sommer schrieb ich über die Schönheit und Abgelegenheit dieser Landschaft. Amorgos, Levitha, Kynaros: Inseln, die mir in den Wellen so verlassen schienen, dass ich sie durchsegelte mit dem Gefühl, hier nur ein Störenfried zu sein. Es war, als hätten LEVJE und ich einen Garten betreten, der nicht für uns geschaffen war, einen Ort, an dem ich kleines Menschlein und auch jeder andere Mensch einfach nur eine jahrtausende alte Ordnung störte. 

Die südöstliche Ägäis: was ist das eigentlich?

In der rechten oberen Ecke der Karte das türkische Festland, von wo ich mit lEVJE vor einer Woche startete. Dann – im Uhrzeigersinn nach links unten: Symi. Rhodos mit den rechts vorgelagerten Inselgruppe von Chalki und Alimia. 

Das langgestreckte Karpathos. 

Amathia. Kasos. 

Und links von dem roten Pfeil, der die Position von LEVJE und mir genau in diesem Augenblick auf dem knapp 40 Seemeilen langen Schlag über das offene Meer markiert: Kreta, mein Ziel, dessen Ostküste ich heute Abend erreichen werde.

 

Wie eine Kette von Trittsteinen liegen die Inseln der südöstlichen Ägäis aneinander. Und Trittsteine waren und sind sie tatsächlich. Keine Insel ist von der anderen viel weiter als 30 Seemeilen entfernt. Auch mit einem Boot, das langsamer ist als LEVJE, etwa einem dickbauchigen minoischen Frachtsegler, wie sie vor über 3.500 Jahren voller Amphoren, Kupfer und Zinn auf dieser Strecke segelten, ist das genau eine Tagesreise von Insel zu Insel. Auch dies ist ein uralter Handelsweg: Als ich in der Bucht von Seskli, von wo beide Fotos dieses Posts stammen, um LEVJE herum schnorchelte, war der Meeresboden unter LEVJE übersäht von großen Amphorentrümmern. Vermutlich ein ebensolcher dickbauchiger Frachter, vielleicht minoisch, vielleicht 1.500 Jahre jünger und römisch, wer mag das schon sagen, der mit seiner Ladung dort gesunken ist. Nur zwei Küsten auf diesem uralten Handelsweg fehlen in der Karte: die in das Gewebe des Handelsnetzes der Antike unbedingt hinein gehören: Das östliche Ende des Mittelmeers mit Syrien, dem Libanon und Israel, von wo die Phönizier kamen. Und das Land der Ägypter.

Meine Reise begann auf dem türkischen Festland, nördlich von Rhodos: in Marmaris. Dann hinüber nach Rhodos, in die Hauptstadt, die ganz im Norden liegt. Von dort segelte ich in einem Tagesschlag nach Symi – ich schrieb über die Insel.

 

Von Symi ein paar Stunden nach Seskli. Vom unbewohnten Seskli, wo nur ein paar Fischer netzeflickend auf ihren Booten die Abgeschiedenheit mit mir teilten, nach Chalki westlich Rhodos. In einem langen Schlag hinunter ganz in den Süden von Karpathos. Und von Karpathos heute nach Kreta.

Von jedem dieser Orte werde ich in den nächsten Tagen und Wochen berichten. Und wenn alles gut geht: der Wind immer aus der richtigen Richtung weht und der Meltemi wie jetzt gerade in diesem Augenblick LEVJE mit sechseinhalb Knoten übers Meer treibt: wenn ich so fleißig bin, wie ich gerne sein möchte: Dann wird dies ein kleiner Teil meines nächsten Buches werden, das im Herbst erscheinen soll mit dem Titel: DIE VERGESSENEN INSELN.

Durch die südöstliche Ägäis: Von der Türkei nach Kreta. Und: Mein nächstes Buchprojekt.

Eines ist sie ganz bestimmt, die östliche Ägäis: Ein Ort, an dem man allein sein kann.

Schon auf meiner ersten Reise von München nach Antalya im vergangenen Sommer schrieb ich über die Schönheit und Abgelegenheit dieser Landschaft. Amorgos, Levitha, Kynaros: Inseln, die mir in den Wellen so verlassen schienen, dass ich sie durchsegelte mit dem Gefühl, hier nur ein Störenfried zu sein. Es war, als hätten LEVJE und ich einen Garten betreten, der nicht für uns geschaffen war, einen Ort, an dem ich kleines Menschlein und auch jeder andere Mensch einfach nur eine jahrtausende alte Ordnung störte. 

                                                                      Weiterlesen bei: Amorgos. Hier.

Die südöstliche Ägäis: was ist das eigentlich?

In der rechten oberen Ecke der Karte das türkische Festland, von wo ich mit lEVJE vor einer Woche startete. Dann – im Uhrzeigersinn nach links unten: Symi. Rhodos mit den rechts vorgelagerten Inselgruppe von Chalki und Alimia. 
Das langgestreckte Karpathos. 
Amathia. Kasos. 
Und links von dem roten Pfeil, der die Position von LEVJE und mir genau in diesem Augenblick auf dem knapp 40 Seemeilen langen Schlag über das offene Meer markiert: Kreta, mein Ziel, dessen Ostküste ich heute Abend erreichen werde.

Wie eine Kette von Trittsteinen liegen die Inseln der südöstlichen Ägäis aneinander. Und Trittsteine waren und sind sie tatsächlich. Keine Insel ist von der anderen viel weiter als 30 Seemeilen entfernt. Auch mit einem Boot, das langsamer ist als LEVJE, etwa einem dickbauchigen minoischen Frachtsegler, wie sie vor über 3.500 Jahren voller Amphoren, Kupfer und Zinn auf dieser Strecke segelten, ist das genau eine Tagesreise von Insel zu Insel. Auch dies ist ein uralter Handelsweg: Als ich in der Bucht von Seskli, von wo beide Fotos dieses Posts stammen, um LEVJE herum schnorchelte, war der Meeresboden unter LEVJE übersäht von großen Amphorentrümmern. Vermutlich ein ebensolcher dickbauchiger Frachter, vielleicht minoisch, vielleicht 1.500 Jahre jünger und römisch, wer mag das schon sagen, der mit seiner Ladung dort gesunken ist. Nur zwei Küsten auf diesem uralten Handelsweg fehlen in der Karte: die in das Gewebe des Handelsnetzes der Antike unbedingt hinein gehören: Das östliche Ende des Mittelmeers mit Syrien, dem Libanon und Israel, von wo die Phönizier kamen. Und das Land der Ägypter. 

Meine Reise begann auf dem türkischen Festland, nördlich von Rhodos: in Marmaris. Dann hinüber nach Rhodos, in die Hauptstadt, die ganz im Norden liegt. Von dort segelte ich in einem Tagesschlag nach Symi – ich schrieb über die Insel.

                                                                   Weiterlesen bei: Marmaris. Und eine neue Matratze. Hier.                     
                                                                   Weiterlesen bei: Symi. Eine deutsche Geschichte. Hier.

Von Symi ein paar Stunden nach Seskli. Vom unbewohnten Seskli, wo nur ein paar Fischer netzeflickend auf ihren Booten die Abgeschiedenheit mit mir teilten, nach Chalki westlich Rhodos. In einem langen Schlag hinunter ganz in den Süden von Karpathos. Und von Karpathos heute nach Kreta.

Von jedem dieser Orte werde ich in den nächsten Tagen und Wochen berichten. Und wenn alles gut geht: der Wind immer aus der richtigen Richtung weht und der Meltemi wie jetzt gerade in diesem Augenblick LEVJE mit sechseinhalb Knoten übers Meer treibt: wenn ich so fleißig bin, wie ich gerne sein möchte: Dann wird dies ein kleiner Teil meines nächsten Buches werden, das im Herbst erscheinen soll mit dem Titel: DIE VERGESSENEN INSELN.

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Die vergessenen Inseln: Symi. Und eine deutsche Geschichte.

Vom lärmenden Marmaris sind es nur ein paar Stunden mit dem Segelboot zur griechischen Insel Symi. Symi liegt, ähnlich wie alle Inseln an der türkischen Süd- und Westküste, nur zwei, drei Seemeilen vom türkischen Festland entfernt. Und doch erinnert den, der den Hauptort von Symi anläuft, außer ein paar Motoryachten wohlhabender türkischer Unternehmer nichts, aber auch gar nichts daran, dass er sich nur einen Steinwurf weit von der Türkei und von Asien entfernt befindet. Der Euro ist plötzlich wieder Zahlungsmittel und nicht die türkische Lira. Der Supermarkt bietet plötzlich wieder Schinken, Speck und Bratwürste an. Und das Glöcklein des kleinen Klosters oben am Berg ruft mehrmals täglich hektisch und schrill zum Gebet, wo vorher aus Lautsprechern das „Allahu akbar“ des Muezzins erklang.

Symi war Anfang des letzten Jahrhunderts Zentrum der Schwammtaucherei, ein mühsames und oftmals tödliches Geschäft. Die Taucheranzüge waren einfach und schwer, die Luftversorgung über den Kugelhelm mehr schlecht als recht. Und doch lebte der Ort gut davon, auch als die Italiener 1912 in einem Vorgeplänkel zum ersten Weltkrieg der Türkei mir nichts, dir nichts den Krieg erklärten und dem in Agonie liegenden osmanischen Reich einfach die Inseln vor seiner Festlandsküste wegnahm. Auf Symi war ab 1912 Amtsprache Italienisch, wie auch die kleine Stadtansicht oben zeigt.

Als es mit der Schwammtaucherei zu Ende ging, wanderten viele Familien von den Schwammtaucher-Insel aus. Meist nach Amerika, wo sich die Nachfahren der Schwammtaucher bevorzugt in Florida niederließen, in einem Ort namens „Tarpoon Springs“ und dort ihr Glück machten.

Heute lebt Symit mit und von den Touristen. Symi hat so gar nichts gemein mit dem Pauschaltourismus, der sich an der türkischen Küste zwischen Bodrum und Marmaris drängelt. Ein Ort, der nur im Sommer mit der Fähre zu erreichen ist für die wenigen. Symi ist Modell für den gelungenen Wandel: Kleine nette Hotels, edle Bars, nette Schuhgeschäfte. Ein gehobener Individual-Tourismus, klug und mit EU Fördermitteln realisiert, bringt im Sommer Geld an die Kais von Symi. Selbst die Fischer, der wendigste Berufsstand am Meer in dessen jahrtausendealter Geschichte, haben die Zeichen der Zeit begriffen und jagen nicht mehr tumber Dorade oder schlauem Wolfsbrasch nach. Nein: mit ihren Reusen gehen Sie auf Shrimpsfang. Ein einträgliches Geschäft. Der Fischer, zu dessen blauem Kahn ich heute morgen in der Bucht hinüberschwamm und der in der einsamen Bucht im Zelt kampiert, bot mir das Kilo Symi-Shrimps, frisch vom Boot für 25 Euro an. 

Am Morgen gehe ich zum Bäcker. Aber wieder einmal hat Blaise Pascal Recht: „Die Abenteuer beginnen, wenn wir unser Zuhause verlassen“. Denn während ich mich im Gassengewirr am Hafen nach einem Bäcker umsehe, sehe ich plötzlich das da:

Am Straßenrand liegen vier Kanonenrohren aus der Zeit der Türkenkriege, wer weiß, ob von Türken oder Venezianern gegossen. Und dazwischen, blank und schwarz, ein deutsches Geschützrohr aus dem II. Weltkrieg: Das Rohr eines 8,8cm Geschützes, eine schreckliche Waffe, die in der Perfektion ihrer industriellen Fertigung den Krieg unnötig verlängerte und unzählige Leben kostete.

Und während ich den Bäcker Bäcker sein lasse und frisches Brot mir von einem Moment auf den anderen Wurst ist, während ich darüber nachsinne, wie dieses Geschützrohr 2.000 Kilometer von Deutschland entfernt an die türkisch-griechische Grenze kommt, wird mir klar, dass ich vor dem hiesigen Museum stehe. Ein kleines, bunt bemaltes Haus mit steilen Stiegen, dessen Türen noch verschlossen sind. Eine Frau mit ihrem zehnjährigen Sohn kommt plötzlich aus dem Gebäude, es ist ihr Museum, dessen Türen sie für mich öffnen. Und in der Kühle des Museums finde ich an diesem Vormittag zwischen Wehrmachts-Essgeschirr und anderen Utensilien das folgende Foto:

Es zeigt einen untersetzten Mann in Wehrmachts-Uniform, die Hand nachlässig zum Hitler-Gruß erhoben, mit trotziger Miene. Der Mann ist eben von einem Kriegsschiff auf ein feindliches übergestiegen. Er steht vor zwei englischen Offizieren, einem der Royal Navy und einem der Army, die beide mit der selbstbewußten Geste des untersetzten Mannes nichts anzufangen wissen.

Der Mann in der Wehrmachts-Uniform ist Otto Wagener. Und seine Geschichte ist eine deutsche Geschichte, und sie hat mit Symi zu tun. Otto Wagener wird im Dreikaiserjahr 1888 in Durlach bei Karlsruhe geboren und besucht, nicht unüblich für einen Industriellensohn, die Kadettenschule. Die militärische Laufbahn ist vorgezeichnet, im I. Weltkrieg dient Wagener als Kompanieführer in Belgien und Frankreich. Glaubt man Wikipedia, das Wageners Karriere detailliert wiedergibt, dann scheidet Wagener noch vor Kriegsende aus dem Armeedienst aus – „ohne besondere Anerkennnung“ – und engagiert sich nach Kriegsende bei den Freikorps, einem Sammelbecken rechter Gesinnung. Bis in die Mitte der Zwanziger Jahre hinein besucht er Vorlesungen in Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Karlsruhe und Würzburg, wo er an der Universität den Ehrendoktor erhält. Ab 1929 ist Wagener in der SA aktiv und tritt am 1. Oktober 1929 mit der Mitgleidsnummer 152.203 in die NSDAP ein. Rasch steigt Otto Wagener in die Reichsleitung der NSDAP auf. Er ist Wirtschaftsfachmann von Herkunft und Ausbildung, von August bis Dezember 1930 führt er die SA als oberster SA-Führer.

Im April 1933, wenige Monate nach dem Machtantritt Hitlers, übernimmt Wagener das „Wirtschaftspolitische Hauptamt der NSDAP“, er sieht sich bereits als Wirtschaftsminister Hitlers. Doch Wagener überspannt den Bogen – der ehrgeizige Plan platzt. Hermann Göhring weist mithilfe abgehörter Telefonate dem Führer nach, wie Wagener allzu sehr an Strippen zog, um sein Karriereziel zu erreichen. Hämisch notiert Joseph Goebbels Ende Juni 1933 in sein Tagebuch:

„Bei Hitler [gewesen]…Dicke Luft. Wagner [ein Schreibfehler Goebbels‘ ] hat an den Chef [Adolf Hitler] Telegramme geschickt. Will Wirtschaftsminister werden. Chef wütend… Wagners [sic] dummes Gesicht…“

Noch am selben Tag verliert Otto Wagener alle seine Ämter und verschwindet in der Versenkung. Während des Röhm-Putsches wird er interniert und entgeht nur aufgrund eines Versehens der geplanten Erschießung. 1937 bewirbt sich Wagener dann erneut um Aufnahme in die SA. 

Den II. Weltkrieg erlebt Wagener zunächst in untergeordneten Positionen. Im Herbst 1943 wechselte Italien, ehedem Verbündeter Hitler Deutschlands, auf die Seite der Alliierten. Und Otto Wagener, Kommandeur des Sicherungsregiments 111, steigt im April 1944 zum „Oberkommandeur Ägäis Ost“ auf. Auf den seit dem italienisch-türkischen Krieg 1912 von Italien besetzten Inseln werden nun deutsche Truppen stationiert, Italiener als Kriegsgefangene interniert. Otto Wagener schlägt sein Haptquartier in Rhodos auf. Unter seinem Kommando stehen etwa 6.000 Soldaten, verteilt über die Inseln der östlichen Ägäis, darunter auch das „Strafbataillon  999“, dem Heinz Konsalik in seinem Bestseller-Roman aus den 70ern ein Denkmal setzte. Wagener läßt das KZ Kallithea auf Rhodos errichten, sorgt für die Deportation von Juden nach Auschwitz-Birkenau, ordnet Erschießungen italienischer Kriegsgefangener an.

Aufgrund alliierter Bombardements von Rhodos verlegt Otto Wagener in den letzten Kriegswochen sein Hauptquartier von Rhodos nach Symi, in den Hauptort der Insel. Ein großer Teil der Stadt wird nach der Verlegung ebenfalls von Alliierten bombadiert und zerstört. Symi leidet. Am 8. Mai 1945 unterschreibt der untersetzte Mann dort in Symi in einem Haus am Hafen die Kapitulation der deutschen Truppen in der Ost-Ägäis. Und übergibt die Inseln an die Engländer. Zwei Jahre später wird Symi nach jahrhundertelanger Zugehörigkeit zum osmanischen Reich, zu Italien und deutscher Besatzung dann griechisch.

Das Haus, in dem Otto Wagener die Kapitulation unterschrieb, steht heute noch in Symi am Hafen. Es beherbergt im ersten Stock eine Galerie und im Erdgeschoß ein Restaurant. Wo man, wenn man Glück hat, auch Symi-Shrimps essen kann.

Otto Wagener aber starb am 9. August 1971 im oberbayrischen Chieming, am Ostufer des Chiemsees. Allerdings nicht, ohne ein Buch zu hinterlassen: „Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten 1929-1932“, das posthum 1978 von dem britischen Historiker Henry Ashby Turner bei Ullstein in Berlin herausgegeben wurde.

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