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KEIN GANZ NORMALER TÖRN, Teil 4: Ablegen

Der Morgen ist da, über Port Saint Louis, über unserem Liegeplatz. Der zweite Tag unserer Reise. Heute werden wir aufbrechen. Hinaus auf dem Kanal, den die Tanker auf ihrem Weg hierher in die südfranzösischen Erdöl-Raffinerien nehmen. Ein erster Schlag über 22 Seemeilen nach Osten, nach Marseille. In den Vieux Port. Mitten in die Stadt hinein. Dorthin, wo die Geschichte dieser urfranzösischen Stadt ausgerechnet als griechische (!) Flüchtlings-Siedlung vor zweieinhalb Tausend Jahren begann.

Marc hat das Transparent seiner SEGELREBELLEN am Schiff angebracht: „F*ck cancer, go sailing“, hat er sich als Motto für seine Organisation gegeben. Ein gutes Motto. Und gestern, in Port Saint Louis, wurden wir auch schon angesprochen. Aber diese Geschichte von Hugo, dem Schweizer, der im Herbst mit seiner REINKE von Bremen nach Port Saint Louis gelangte und nur über Binnen-Wasserstraßen über mehr als 300 Schleusen seinen Weg nahm: dies ist eine andere Geschichte.

Jetzt heißt es: Platz nehmen, für Marcs fünf Passagiere. Einsteigen. Und hinaus. Hinaus mit Marc’s SEGELREBELLEN auf See.

PS: Und heute Abend: da berichte ich über Anna. Für sie ist der blaue Stuhl reserviert im Bild oben. Heute Abend.
                                                 

KEIN GANZ NORMALER TÖRN, Teil 3: Auf dem Schiffsfriedhof von PortSaintLouis.

Dies ist die Geschichte keines ganz normalen Törns: Der Jungfernfahrt von Marc Naumann’s Organisation SEGELREBELLEN, die mit jungen, an Krebs erkrankten Erwachsenen hinaus aufs Meer geht und die Mare Più auf dieser Fahrt begleitet. Lesen Sie Marc’s Geschichte hier. Marc blogt über diese Reise zeitgleich auf seinem Blog.

Die Nacht senkt sich über den Industriehafen, nur wenige Hundert Meter vom Delta der Rhone entfernt. Fischreiches Brackwasser. Scheinwerfer. Das Geräusch des Frachters gegenüber neben den Silos in der Dunkelheit, der entladen wird. Der Schiffsdiesel, der seine Decks taghell erleuchtet. Und über allem, noch lauter als metallisches Schlagen und Surren von Motoren: Das laute Geräusch der Frösche, millionenfaches Quaken aus dem nahen Delta, das allen Lärm übertönt und zu unserem Schiff ROXANNE herüberklingt. Wir liegen in Port Saint Louis, 50 Kilometer westlich Marseille, direkt an der Rhone-Mündung, im Industriehafen mitten im Delta.

In den eigentlichen Hafen von Port Saint Louis motorten wir durch den Kanal, zum Einkaufen, auf den Wochenmarkt. März in Frankreich: Kühl. Kahle Platanen. Ein lautloses Gleiten auf dem Schiff durch brachliegende Industrie-Flächen und vergessene Zeugen von Unternehmergeist. Niedergang, Verfall, Scheitern in phantastischer Mündungsdelta-Landschaft. Der März ist eine hervorragende Zeit, um zu Reisen, auf See.


Die Crew der Segelrebellen. Auf dem Weg durch Port Saint Louis.
 Als das Schiff vollgepackt ist mit allem: motoren wir zurück zu unserem Liegeplatz im Industriegebiet. Auf der einen Seite die Getreidesilos. Auf der anderen Seite – wir. Aber nicht allein. Sondern inmitten Hunderter, Tausender an Land liegender Yachten, Barkassen, Motoryachten. Port Saint Louis: das ist neben seinen Industrieruinen auch ein bevorzugter Landliegeplatz für Schiffe aller Art. Doch wann ist ein Landliegeplatz kein Landliegeplatz mehr, sondern lautlos übergegangen in etwas, das man besser als Schiffsfriedhof bezeichnet.

Vernachlässigte Schiffe, soweit das Auge reicht. Schiffe, deren Namen von schönen Projekten, großen Plänen und besten Absichten künden und die doch nur seit Jahren unter schäbiger Fetzenplane vor sich hin rotten. Ein Ort, an dem Pläne ihr Ende fanden, aus welchen Gründen auch immer. Ein Ort, an dem aus einem „endlosen Sommer“ längst Trostlosigkeit geworden ist. Wann wurde aus festen Vorsätzen ein Scheitern? Wann ist der Moment, in dem ein großes Projekt, ein Schiff zu besitzen, zu Segeln, buchstäblich auf Grund läuft?


Daneben: wieviele Möglichkeiten es wohl gibt, ein Schiff zu bewohnen, wenn das Fahrwasser immer enger wurde? Wenn es keine Möglichkeit mehr gibt, sein Schiff darin zu wenden, sein Schiff hinauszubringen aufs offene Meer? Wenn der Landliegeplatz nicht nur erzwungen vom Winter, sondern von Dauer ist?

Die Crew der ROXANNE kennt diese Fragen aus dem eigenen Erleben. Vielleicht besser als manche als andere Crew. Leidenschaftlich wird beim Abendessen darüber diskutiert: was die Gründe sein können: für die vernachlässigten Boote. Das Leben: es geht eigene Wege, oftmals.


     
 

KEIN GANZ NORMALER TÖRN, Teil 2: Aufbruch.

Dies ist die Geschichte keines ganz normalen Törns: Der Jungfernfahrt von Marc Naumann’s Organisation SEGELREBELLEN, die mit jungen, an Krebs erkrankten Erwachsenen hinaus aufs Meer geht und die Mare Più auf dieser Fahrt begleitet. Lesen Sie Marc’s Geschichte hier. Marc blogt über diese Reise zeitgleich auf seinem Blog.

Was für ein Zauber doch über jedem Aufbruch liegt.

Es ist dunkel draußen und still, morgens gegen drei, als Marc und ich im Olympischen Dorf aufwachen. Und ebenso still und leise unseren Tee kochen. In der Dunkelheit das Haus verlassen, über und über bepackt mit: Seesäcken, Rucksäcken, Kartons mit Schwimmwesten, sperrigen Seestiefeln. Für die Crew. Die Amseln lärmen. Der Fernsehturm strahlt uns grün an in der warmen Märznacht. Es ist ein Zauber, der über dem Aufbruch liegt, dem Hinausgehen, dem Ablegen, dem Lossegeln.

In den letzten Tage galten die Gedanken dem Wetter. Der Golf de Lion: wie wird das wohl, Mitte März, in der Zeit der Frühjahrsstürme? Selten habe ich ein Revier beobachtet, in dem sich zwei, drei Tage vorher die Bedingungen änderten, die Vorhersagen so rasch drehten. Eine Seite hat es mir bei meinen Beobachtungen vor allem angetan: das ist windyty.com. Man zoomt sich in das gewünschte Fahrtgebiet hinein. Und kann dann in einem Wetterfilme beobachten, wie sich der Wind in dem Revier – in unserem Fall zwischen Marseille und Mallorca – entwickeln wird. Grün steht für 5 Beaufort, Orange für 6 Beaufort, Rot für 7 Beaufort, Violett für 8 Beaufort, Dunkelblau für „Nur noch gruselig“.

Klickt man auf die Animation links unten, wird klar: wie sich das Wetter über die nächsten Tage entwickeln wird. Zoomt man sich in größere Maßstäbe, wird verständlich, dass das kleine Windfeld, in dem wir uns jetzt gerade bewegen, Teil eines gewaltigen Ganzen ist. Der Mistral, der aus dem Binnenland hinausbläst aufs Meer, weht dort vergleichsweise schwach gegenüber dem, wie er sich weit draußen auf dem Meer, genau zwischen Balearen und Sardinien, zu seiner schieren gewaltigen Größe aufbaut. Verständlich wird  die Geschichte einer 12-Meter-Yacht aus dem Buch SCHWERWETTERSEGELN, die genau dort im August 1980 in arge Bedrängnis geriet. Verständlich wird, was für gewaltige Energien die Tiefdruckgebiete zwischen Islandt und Grönland aufbauen: in windyty.com sind es riesige blaue Flächen. Was heiß, dass es dort über riesige Räume beständig in Orkanstärken stürmt.
Wir begreifen, dass wir in diesen großräumigen Bewegungen nicht nur als Segler, sondern auch als Stadtbewohner kleinste Teile in wahrhaft riesigen Bewegungen und Wirbeln sind: nichts anderes als eine Handvoll aufgewirbelter Blätter in gewaltigem Herbststurm. Allerkleinste Teilchen in einem riesigen Gebilde. Wie Mark und ich, die wir in unseren schwarzen Kleinwägen hintereinander durch die menschenleere Stadt brausen: um die anderen Segler aufzulesen, die mit uns kommen: auf einen ungewöhnlichen Törn.

Special Thanks to DRIVE NOW. Das Carsharing-Unternehmen stellte den SEGELREBELLEN kostenlos zwei BMW MINI für den nächtlichen Transport der Mitsegler zum Airport zur Verfügung.

… und weil diese Reise KEIN GANZ NORMALER TÖRN ist: bitte ich die Leser von MARE PIU, unsere beiden Posts möglichst an viele andere Interessierte weiterzuleiten. 
Um Marc und seine Idee zu unterstützen. 
Danke.
 

 

TO DO OR NOT TO DO…it yourself

Was hilft gegen Frühjahrsmüdigkeit? Natürlich Anti“faul“ing! 

Träge vom grauen Winter habe ich mir das schützende Nass dieses Jahr sogar online bestellt und nach Hause liefern lassen. Und dann geschieht es wieder einmal, vorhersehbar und doch immer wieder überraschend. Jedes Jahr um Mitte März herum erscheinen die ersten Vorboten des Frühlings in Form von einigen Tagen Sonne und Temperaturen über 10°C. Antifoulingzeit. Eigentlich keine Arbeit auf die man sich  freut, aber auch keine die wehtut. Bei meinem Boot suche ich eigentlich nur nach losen Farbresten des letztjährigen Anstrichs, entferne diese, und übermale dann das letztjährige Blau mit dem diesjährigen Rot. Zeitaufwand ca. 2 Stunden. Es ist angenehm warm, die Sonne lacht vom Himmel, an jedem zweiten Boot wird gearbeitet. Es läuft irgendwo Musik im  Autoradio, man arbeitet und klönt mit den Nachbarn. Und mit einem Male fühlt es sich an als hätte es den Winter nie gegeben. So als wäre schon wieder Segelsaison. Körper und Geist füllen sich mit Energie und Aufbruchsstimmung; wie gerne würde ich heute schon den Nord-Ostseekanal in Richtung Holtenauer Schleusen befahren. Der Moment des Öffnens der Schleusentore in Richtung Ostsee fühlt sich alle Jahre wieder  wie der Beginn eines langen Sommerurlaubs an. Dieser Geruch. Das kann nur verstehen, wer das einmal erleben durfte.

Und während ich so vor mich hinträumend mein Schiff bauchpinsele (Madame hat aber auch einen sehr dicken Bauch) fällt mir eine Begebenheit ein, die nun 3 oder 4 Jahre zurückliegt. Gleicher Ort, anderes Schiff. Eine bei ebay ersteigerte Friendship 23,  zwar deutlich schlanker und kürzer als „La Mer“, sollte mich  noch den letzten Nerv kosten. Das Antifouling begann nämlich großflächig abzublättern und  die Überwinterung im Wasser des Harburger Hafens plus eine weitere Sommersaison hatten es nicht besser gemacht. Natürlich hatte ich kein Geld für die Reparatur und wollte es also notgedrungen selber machen. Mit einer Buddel Whiskey ging ich also zum örtlichen Bootsbauer Olli und sagte: „Olli, sach ma?“ 

Er erklärte mir dann den ganzen Vorgang. Altanstriche abkratzen, anschleifen, mit Gelshield das Unterwasserschiff neu aufbauen und versiegeln, streichen, fertig. Und bot mir direkt an sein passendes Werkzeug und Material zu benutzen. Und dann kam seine sehr, sehr kluge Frage: „Warum willst du das denn unbedingt selber machen?“ Ich erklärte, das ich mir die Reparatur nicht leisten könne, und daher selber ran wolle. Daraufhin sagte Olli: „Ich mache so etwas hier beinahe täglich, habe Mitarbeiter die sich auskennen, die richtigen Maschinen und Räumlichkeiten. Ich kann das deutlich besser und schneller machen, als du es jemals hinbekommen wirst.“ Das glaubte ich ihm aufs Wort, aber es nützte mir ja nichts. Doch jetzt fügte er noch hinzu: „Du kannst doch sicher auch etwas richtig gut. Warum machst du nicht lieber das, lässt dich dafür gut bezahlen, gibst mir dann das Geld und ich erledige hier für dich die Arbeit?“ 

Das stimmte natürlich, aber ich zog erst einmal irgendetwas murmelnd meines Weges. Schließlich geht es mir nicht nur darum Geld zu sparen. Je mehr ich selber machen kann, umso sicherer fühle ich mich. Ob nun Diesel, Rigg, Elektrik, Bilge, am Anfang ist mir jedes Boot so fremd, das ich mich immer unwohl fühle. Erst wenn ich einmal in jeder Ecke nachgesehen habe, alle Kabel und Leitungen kenne und selbst Dinge eingebaut und repariert habe, mag ich auf größere Tour gehen. Von daher dachte ich mir also zunächst: Do it yourself. Nach drei vollen Arbeitstagen im Regen draußen im Freilager hatte ich es dann aber gerade einmal geschafft ein DRITTEL der Backbordseite sauberzukratzen. Frustriert saß ich mit schmerzenden Händen auf dem Boot und hörte das Echo Ollis weiser Worte in meinen Ohren klingeln. Und gab auf. 

Und wie Zufall oder Schicksal so spielen, klingelte auf dem Rückweg nach Hamburg das Telefon und ein Kollege (damals war ich noch fest angestellt) fragte, ob ich für ihn am Wochenende ein Event durchführen könnte, da er überraschend verhindert sei. So ein Event bedeutet üblicherweise um die 14-16 Stunden Arbeit jeweils Freitag, Samstag und Sonntag. Equipment zusammenstellen, stundenlang auf die Autobahn, ein stressiger Veranstaltungstag und am Sonntag alles wieder retour. Nicht unbedingt das, was man sich unter einem erholsamen Wochenende nach einer bereits vollen Arbeitswoche vorstellt. Aber zur Überraschung des Kollegen sagte ich sofort zu und befreite mich damit augenblicklich von der fürchterlichen Arbeit am Boot, die ja auch mein Wochenende ruiniert hätte. Und zwar gründlich. Finanziell sollte es aufgrund der vielen Überstunden auch ungefähr hinkommen. Bingo. 

Selten habe ich mit so viel Freude eine Veranstaltung geleitet, das Publikum begrüßt, mich um technische Probleme gekümmert, Künstler mit typischer Verspätung und passender Attitüde freundlich behandelt. Und bin fröhlich singend am Sonntag zurück nach Hamburg gefahren. Ausgepowert, aber glücklich den Farbkratzer nie wieder anfassen zu müssen. 3 Wochen später war das Boot dann fertig. Und wie! Hier und da hatte Olli noch etwas ausgebessert, das ganze Unterwasserschiff neu aufgebaut, gestrichen. Es sah aus wie neu. Das hätte ich nie so hinbekommen. Nie! Und seitdem denke ich auch heute noch zweimal nach wenn es wieder einmal heißt: TO DO OR NOT TO DO…it yourself.
Auch schon mal drüber nachgedacht?
    

Unter Segeln: Ab kommenden Mittwoch von Marseille nach Mallorca. Oder: KEIN GANZ NORMALER TÖRN (I.)

Am morgigen Sonntag startet die 5. Etappe des VOLVO OCEAN RACE um die Welt. Über 6.776 Seemeilen treten die weltbesten Segler gegeneinander an. Von Neuseeland nach Brasilien. Von Auckland nach Itaijai.

Es gibt aber auch Rennen: Da treten Menschen gegen einen noch größeren Gegner an. Gegen sich selbst.

Am 14. Februar berichtete die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG in ihrer Samstags-Ausgabe unter dem Titel TÖRN DER GUTEN HOFFNUNG über Marc Naumann.
Marc ist 33. Er studierte Jura in München. Während seines Studiums erkrankte er an einem Gehirntumor, der durch Strahlentherapie entfernt wurde. Ein Jahr später konnte er sein Studium wieder aufnehmen, erkrankte aber vor dem nächsten Versuch, sein Examen in Angriff zu nehmen, erneut. Ein Rezidiv.

Die Diagnose seiner wiederkehrenden Erkrankung warf ihn aus der Bahn.

Auf Anraten seiner Ärzte unterzog sich Marc einer Hochdosis-Chemotherapie. Und beschloss noch während der Therapie: Segeln zu gehen. Während der ganzen Behandlung gab ihm diese Entscheidung Kraft. Segeln zu gehen, wurde für ihn gleichbedeutend mit: gesund zu sein.
Marc heuerte als „Hand gegen Koje“ auf einer Contessa 32 an. Und segelte im Herbst 2012  zusammen mit Boris Aljinovic von Cuxhafen nach Calais. Er segelte zusammen mit Boris gegenan. Gegenan gegen Frühjahrsstürme. Gegenan in der Nordsee. Gegenan im Ärmelkanal. Gegenan, den Mut zu verlieren.
Das Erlebnis des GEGENAN hat Marc sehr bewegt. Sein Studium schloß er ab, besser als erwartet. Und dennoch: Aus diesem Erlebnis heraus beschloss er, seine juristische Karriere erst mal an den Nagel zu hängen. Inspiriert von Bernard Moitessier organisiert er sein Leben bescheiden. Und gründete: die SEGELREBELLEN. Eine Organisation, die jungen, an Krebs erkrankten Menschen nach Abschluß der Therapie die Möglichkeit gibt, auf dem Meer zu Segeln.
Als Marc mir seine Geschichte erzählt, bin ich bewegt. Davon, wie er sein eigenes Schicksal selbst in die Hand genommen, nicht aufgegeben hat. Dass er die Verantwortung für sich nicht abgegeben hat. Während ich Marc zuhöre, stelle ich fest, dass ich die Krebserkrankung, den Kampf meiner Eltern, die beide nacheinander an Krebs erkrankten, zwar irgendwie weggesteckt, aber nicht begraben habe.
Noch eins haut mich um:

„Meine Erkrankung war das Beste, was mir begegnen konnte“. Sagt Marc heute.

Hallo? So würde das kein Mensch formulieren.
Als ich das genau wissen will, sagt Marc: „Was wäre ich denn heute? Ein Jurist, der gut verdient, arrogant und überheblich durch die Stadt geht und sich überlegt, wofür er seine Kohle als nächstes rauswirft. Stattdessen: geh‘ ich segeln und nutze meine Zeit für Sinnvolles. Und helfe anderen Menschen, ihren Mut wiederzufinden. Und die Kraft, Verantwortung für sich nicht an Andere abzugeben.“

 

Am 18. März wird Marc aufbrechen zur Jungfernfahrt der SEGELREBELLEN. Unterstützt von zahlreichen Unternehmen wie HELLY HANSEN, SEALSKIN, KAYA Zu seinem ersten TÖRN DER HOFFNUNG. Zusammen mit fünf jungen Leuten, die ihre Therapie gerade überstanden haben, wird er von Marseille über den Golfe du Lion segeln. An der südfranzösischen Küste entlang. Von Marseille nach Mallorca. Im März. Über den Löwengolf. Durch die stürmischste Region des Mittelmeers. In der stürmischen Jahreszeit.

Ich werde Marc und seine Crew begleiten. Als zweiter Skipper auf diesem Törn von Marseille über Agde, Barcelona nach Mallorca. Und hier auf MARE PIU jeden Tag berichten. Ab Mittwoch, den 18. März. Wie es der Crew geht. Wie es mir geht. Was wir erleben werden.

Auf einem Törn, der sicher KEIN GANZ NORMALER TÖRN werden wird.

PS: Und wer ganz genau wissen will, wie es auf diesem Rennen gegen sich selbst zugeht: Marc postet  seine Erlebnisse ebenfalls täglich. Auf seiner Website der SEGELREBELLEN.

Weiterlesen bei: Die SEGELREBELLEN.

… und weil diese Reise KEIN GANZ NORMALER TÖRN ist: bitte ich die Leser von MARE PIU, unsere beiden Posts möglichst an viele andere Interessierte weiterzuleiten. 
Um Marc und seine Idee zu unterstützen. 
Danke.

Menschen am Meer: Der große Markt von Finike. Oder: Was hat Ibrahimeigentlich mit mir zu tun?

 

Jeden Samstag ist großer Markt in Finike. Die Segler, die neben LEVJE im Hafen von Finike überwintern, freuen sich auf den Samstags-Markt. Am Samstag lassen sie Schiff einfach Schiff sein. Unterbrechen ihre Frühjahrs-Arbeit, das Streichen des Niedergangs, das Schleifen an alten und neuen Holzteilen, das Schwätzchen auf der Pier. Und freuen sich einfach, auf den Markt zu gehen. Denn schließlich ist in der Marina von Finike jeden Sonntag um 13 Uhr im PORTHOLE, dem Aufenthaltsraum für Segler, das große Barbecue. Die Zutaten, seine Mitbringsel: kauft man am Samstag. Auf dem großen Markt.

Der große Markt von Finike verblüfft zunächst mal. Türkische Händler sind wahre Ästheten, was das Präsentieren ihrer Sachen angeht. Jedenfalls die Händler von Finike. Feinsäuberlich stapeln, schlichten, sortieren, trennen, separieren sie die Dinge, die sie anbieten. Lassen Endividien-Köpfe stramm stehen in Reih und Glied vor General „Kunde“. Verkaufen, das lernt man wieder einmal hier, hat zuallererst damit zu tun, wie man aussehen läßt, was man verkaufen möchte. Und die Händler von Finike geben sich große Mühe damit.


Zumeist sind es natürlich Obst und Gemüse, was die Händler anbieten. In der ganzen Ebene südlich von Antalya, um Finike herum, werden Orangen, Mandarinen und allerhand sonstiges Grünzeug angebaut. Kumluça, wenige Kilometer von Finike entfernt, preist sich als Anbauort von Tomaten und Orangen. Der Orangensaft, der „Portakal Suyu“: er schmeckt hier ganz anders als manch saures Zeug, was oft bei uns als Orange aussehend und „Frisch gepresst“ landet.

Wenn man mit dem Flugzeug in Antalya landet, ist es ähnlich wie auf Gran Canaria, Tausende Seemeilen weiter westlich: dann sieht man die ganzen Plastik-Gewächshäuser rund um die Riesenstadt Antalya herum. Es wimmelt nur so von Gewächshäusern. Selbst in, auf, und um die antiken Ruinenstädte von Myra und Limyra sind Gewächshäuser errichtet, „Antike unter Tomatenzucht“, man trifft sie hier im Süden überall. Wieder einmal beeindruckt mich die Türkei. Es ist soviel Ehrgeiz, soviel Wille erkennbar, die Dinge, die Zukunft in die Hand zu nehmen.



So streife ich über den großen Markt. Kann mich nicht satt sehen an all den Farben, die die Händler da geschickt präsentieren. Wüßte ich es nicht besser: würde ich sagen, jeder von Ihnen hat eingehend sein Handbuch gelesen, „Besser verkaufen.“ Irgendwie sind sie einfach geborene Händler, die Türken auf dem großen Markt von Finike.


Und während ich herumstreife, erliege ich meiner Schwäche fürs Essen, die sich in hemmungsloser Neugier äußert: Für die Nüsse, die auf dem Markt vor aller Augen frisch gebrannt werden und die man heiß in ein Tütchen gefüllt bekommt.


Für den bröseligen Käse, der geflochtenen Körben kommt. Hunderterlei verschiedene Käse, die vor meinem Augen defilieren.


Mein Widerstand schwindet. Ich kaufe hier ein paar Zucchini. Dort Tomaten. Dann drei Forellen, noch lebend aus dem Tank. Dann muss ich den bröseligen Käse am blaurotweißen Stand probieren. Endgültig setzt mein Hirn aber aus, als ich zwei Stände mit meiner Leidenschaft entdecke: Helva. Körniger, zuckersüsser Sesamzeug-Nachtisch. Den ich jetzt NICHT im Foto wiedergebe.

Helva pur!
Helva mit Pistazien!!
Helva mit Schokolade!!!

Dicke Stücke lasse ich mir von Ahmed schneiden, die Unvernunft eines Kindes, das den geheimen Weg in die Marmeladenkammer gefunden hat. Dabei mag ich sonst eigentlich nichts Süßes.

Mit gefühlten 25 Tüten bin ich schon fast auf dem Heimweg, als ich in der Ecke des Marktes drei Stände entdecke. Gözleme. Türkische Pfannkuchen. Wollte ich schon immer mal probieren.


An seinem Stand empfängt mich Ibrahim. Seine Frau und eine Helferin backen dort die verschiedenen Gözleme auf einem heißen Blech. Die Helferin hat ein langes Holzstäbchen. Damit rollt sie die Gözleme aus. Faltet sie. Und übergibt die rohen dünnen Teigscheiben gefaltet an Ibrahims Frau, die am Herd sitzt. Zum Ausbacken. Solche mit Fleisch und Käse. Andere pur. Wieder andere sind mit Grünzeug gefüllt, Petersilie, Sellerie-Stückchen.

Währenddessen geht es mir mit Ibrahim so, wie es mir als Segler im Winter in Finike oft ergeht: Ich spreche mein Gegenüber mühsam türkisch radebrechend an. Und erhalte eine Antwort auf Deutsch. Es waren schon ulkige Antworten dabei. Die beste, vor Jahren, typisch, als ich einen sehr türkisch aussehenden Türken fragte, woher er so gut Deutsch könne, lautete: „I han siebe Johr beim Daimler gschafffft.“

Ibrahim war nicht beim Daimler. Aber in Deutschland war auch er. Ging 1980, mit Zwanzig dahin. Arbeitete als Küchenhilfe, als Kellner. Als ich frage, wo, sagt er: ob ich München kenne. Als ich bejahe, stellt sich heraus, dass Ibrahim lange Jahre im Nachbarort kellnerte, in dem ich aufgewachsen bin. Vielleicht bin ich Ibrahim mal im Biergarten begegnet, in dem er arbeitete. Vielleicht standen wir gemeinsam in irgendeiner Schlange an der Kasse. Vielleicht hat er sich gefreut, über einen gemeinsamen Augenblick. Eine Begegnung. Vielleicht hat er sich geärgert, weil ich unachtsam war.

Vielleicht hat ja auch XING, das große Netzwerk recht, das behauptet: „Jeder ist mit jedem bekannt.“ In XING kann man einfach einen irgendeinen Namen eingeben: Und schon zeigt einem das Netzwerk, dass es tatsächlich nicht mehr als zwei gemeinsame Bekannte braucht, über die man sich kennt.

Vielleicht liegt ja auch darin der Reiz auf dem großen Markt von Finike. Zu verstehen, dass wir zwar Fremde sind. Aber doch Gemeinsamkeiten haben. Bis hin zu einem Moment, den wir mal miteinander teilten.

 

Vom Millionär zum Tellerwäscher


Folgendes Szenario: Jemand macht euch das Angebot ein halbes Jahr lang ein hochexklusives Leben zu führen. Villa am Meer, Privatjet, eigener Koch und Fitnesstrainer, Bootshaus, denkt euch etwas aus. Dazu ein Limit von einer Million auf einer Kreditkarte (wem das nach Alltag klingt, der kann hier übrigens aufhören zu lesen).  Der erste Impuls wird wohl ein lauter Jubelschrei sein und die Vorfreude auf das wohl beste halbe Jahr des Lebens. Doch ist es das wirklich? Was passiert wenn das halbe Jahr vergangen ist? Kann man sein Leben danach einfach weiter führen und damit glücklich sein? Oder fühlt sich das Leben danach schlechter und grauer an? Unvollkommen und leer? Wie „Pretty Woman“ ohne Richard Gere, und man probiert sich mit seinem alten Leben zu arrangieren, hofft aber insgeheim, dass der Prinz zurückkommen möge? So ähnlich geht es mir nun seit die Zeitmillionen meines monatelangen Sommertörns aufgebraucht sind, und ich wieder mein altes Leben lebe. 

Gedanken an die Zeit nach der Erfüllung meines Traumes hatte ich stets bewusst weit von mir geschoben. Zunächst galt es ja so vieles vorzubereiten, und Pläne zu machen. Von einsamen Ankerbuchten und Schärenplätzen zu träumen. Auf gutes Wetter zu hoffen. Darauf folgte dann das bewusste Genießen jedes Augenblickes auf der Ostsee; ein Leben für den Moment. Oder wie Christian Irrgang  in seinem Buch „Ostsee linksherum“ beschreibt: das bewusste Auskosten des Momentes im exakten Moment des Erlebens. Und nicht erst Monate später in der Erinnerung, weil man den Moment vor Ort verpasst hat. Sondern sich vielleicht gerade Sorgen um die Zukunft machte. Dieses zeitnahe Realisieren des Glückes ist mir perfekt gelungen, und ich danke hiermit jedem Autor für Hinweise dieser Art, da sie einen davor bewahren in die gleiche Falle zu tappen. In diesem Beispiel, die oben beschriebene Situation. Worauf ich nämlich nicht vorbereitet war, war das „Danach“. Das Erwachen nach der Reise, wenn von dem Traum nichts mehr über ist. So sehr man auch probiert hat ihn festzuhalten und noch ein paar Sekunden weiter zu träumen.

Sicher, alle Reisebücher und Berichte haben ein Ende. Da klingt das dann entweder so:  „Nach Anzahl Monaten/Jahren bin ich nun wieder in unsere alte Wohnung gezogen und mache mich auf den Weg zur Arbeit. Die Kollegen fragen: „Uuups, schon wieder da?“ und widmen sich ihren täglichen Aufgaben und auch ich bin schnell wieder Teil des Getriebes. Häufig träume ich noch von usw…..“, oder so: „Auf meine Bewerbungen nach Ende des Studiums folgten ja viele interessante Angebote und in drei Wochen beginne ich nun eine neue interessante Aufgabe, die mich zunächst sicher sehr ausfüllen wird. Für das Segeln werde ich also erst einmal weniger Zeit haben….“. Es gibt natürlich noch viele weitere Varianten, aber meistens ende sie mit einem „Unhappy End“ im Sinne von „So das war‘s, nun muss ich aber mal wieder.“ Pretty Woman muss zurück auf die Straße. (Schöner haben es hier einzig die betuchten Rentner, dort würde dann beispielsweise stehen: „Toller Sommer. Nächstes Jahr wollen wir dann für ein ein paar Monate nach Norwegen“. Würde stehen. Denn meistens schreiben die ja nicht, sondern genießen einfach nur. Die Weisheit des Alters.) 

Aber kann man das wirklich so einfach? Kann man wirklich sagen: „So das war’s“, der Traum wurde gelebt, abgehakt, weiter im Text? Mir jedenfalls gelingt es nicht. Zu sehr hänge ich an den Erinnerungen, an dem Gefühl meiner Zeitmillionen, an der Freiheit und der Ungebundenheit des letzten Jahres. Doch dieser Traum ist erstmal ausgeträumt und kommt so nicht mehr wieder. Trotz aller neuen Pläne und Aufgaben, die nun auch hier auf mich warten, fühlt es sich oft leer an. Leer und grau. Denn was ich tue ist eben nicht so einmalig, wie in Erfüllung meines Traumes monatelang über die Ostsee zu segeln. Sicher, es ist auch schön und hat seine Momente, aber eben nicht in dieser Dichte. Kann es ja gar nicht sein. Sonst wäre es ja nichts Besonderes gewesen.  Ich bin nicht unglücklich hier, nur seit ich weiß, wie es sein kann anders zu leben, fällt es mir schwer einfach wieder so zu leben wie vorher. Eben so, als wäre man sechs Monate Millionär gewesen und nun wieder Tellerwäscher. Und genau darauf war ich nicht vorbereitet. Das mir das Leben, was mir vor der langen Reise gut gefiel, nun etwas weniger gut gefällt, weil ich hinter dem Horizont etwas Neues und Schöneres gesehen habe. Aber genau darauf sollte sich jeder einstellen, der Ähnliches plant oder gerade erlebt.  Denn es wird deine Sicht der Dinge unweigerlich verändern. Ich wollte das hier nur mal gesagt haben.

Mir bleiben jetzt drei tröstende Gedanken. 

Eins: Wenn mir mein Leben vorher so gut gefallen hätte, hätte ich dann den Aufwand betrieben hinter den Horizont zu fahren? Vermutlich nicht.

Zwei: Das wahre Glück, liegt nicht in den Millionen, sondern in den Menschen und der Liebe um einen herum. Das ist zu mindestens die Aussage zahlloser Filme, die diesen Gedanken aufgreifen und auch  bei mir definitiv wahr. Ich würde jedenfalls keinen der mir eng verbundenen Menschen für Zeit- oder Geldmillionen hergeben.   

Drei: Wer sagt denn, dass man nicht von neuen Abenteuern träumen kann? Nein, sogar muss um nicht depressiv zu werden. Denn die eigenen Träume sind ja stets das Produkt aus den Erfahrungen hinter dem Horizont und den entstandenen neuen Sehnsüchten. Und sie wachsen in gleichem Maße, wie ich auf der Reise innerlich gewachsen bin. 

Menschen am Meer: Wie Pit den Winter auf dem Wasser verbringt.Oder:Wieviel braucht es, um glücklich zu sein?

Und dann stehen wir mitten in der Nacht in Bremen in einem Industriegebiet. Es ist Februar. Der Regen prasselt nadelscharf aufs Auto, als wir aussteigen. Container. Ein Bahnhof. Lagerhallen. Kräne. Stahltrümmer. Eine Schrottpresse. Kälte.

Ein unwirtlicher Ort. Pit hat uns eingeladen. Auf sein Boot, hier in Bremen, in einem kleinen Stadthafen. Pit ist Autor. Vor allem: Pit ist Segler. Daneben hat er auch noch einen richtigen Bürojob. Er arbeitet in einer Marketing-Abteilung, macht PR. Sein Haus hat er schon vor längerer Zeit verkauft. Er wollte auf dem Boot leben. Klar hat seine Lebensgefährtin eine Wohnung. Aber wann immer er kann, lebt Pit hier auf dem Boot. Im Winter mitten in Bremen. Und im Sommer unterwegs auf der Nordsee.

 

„Sehnsuchtsvolle Menschen leben dort: wo Ihre Sehnsüchte genährt werden.“ So begann der bislang einzige Roman meines besten Freundes Andal. Die Heldin des Romans lebte auf einem Schrottplatz und fühlte sich dort pudelwohl. Als ich vor vielen Jahren ernsthaft begann zu Segeln, hatte ich ganz andere Vorstellungen vom richtigen Leben: Mein Boot sollte in einer schönen Marina liegen. Ein schöner Sportboothafen, allles gepflegt, alles chic, alles tiptop. So dachte ich mir das. Aber meine erste Bootsbeteiligung, das Leben, führte mich ganz woanders hin. Nach Livorno, kurz hinter den Containerhafen. Das Schlagen von Stahlcontainer auf Stahlcontainer, wenn Fiederschiffe in der Nacht  ein paar Hundert Meter weiter beladen wurden. Das gleißend gelbe Licht der Quecksilber-Dampflampen über dem Gelände. Lokomotiven, die langsam schwere Containerzüge aus dem Hafen schoben. Räder, die auf Stahl schlagen. Neben uns haushoch gestapelte Leer-Container, umwuchert von mannshohem Unkraut in der Dunkelheit. Wie die rundum aufgepallte Yachten jeden Alters, verrutscht, verrückt von Zeit und Wind. Der Geruch des Meeres und herüber von der Raffinerie. Ein metallisches Sirren in der Luft. Calambrone. Ich entdeckte, das mein Herz anderes wollte als mein Hirn. Meine Vorstellung, wie ein guter Liegeplatz auszusehen hat, hatte sich grundlegend gewandelt.

 

Also: bin ich entzückt, wo Pit seine Winter verbringt. Weil die Tide hier vier Meter beträgt, liegt das Boot heute tief neben anderen im Hafenbecken. Zuerst die naßkalte Stahltreppe hinunter. Dann im Regen die rutschige Holzbrücke hinab auf den Schwimmsteg. In der Dunkelheit, im Eisregen knarzende Festmacher, als wir den Steg entlanggehen. Und auf das Boot klettern. Eine Kuchenbude über dem Steuerstand. Ah, herrlich, ein trockener Platz. Schuhe aus. Dann durch den Niedergang nach unten. Das Licht geht an. Die Heizung auch. Pit schließt mit schneller Bewegung das Schiebeluk. Schnell wird es warm. Auch deshalb, weil Pit die Kerzen auf dem Tisch anzündet und sich warmes Licht im Deckshaus verbreitet. Und ein paar Flaschen dazustellt. Irgendein Aniszeug, was ich eigentlich nicht mag. Was macht das schon, dass die Dinge im Kleinen manchmal nicht nach Wunsch gehen. Der Ouzo wärmt. Der Moment ist zu schön. Hier auf dem Boot. Im vom Kerzenlicht erhellten Deckshaus nach draußen schauen, in die Kälte, in den prasselnden Regen. Sich richtig Geborgen fühlen in der Unwirtlichkeit der Welt.

 

Schon ein merkwürdig Ding, das menschliche Herz. Ich verstehe Pit nur zu gut. Ihn, den Wanderer zwischen den Welten. Sein Leben zwischen dem Thrill von PR und der einsamen Klarheit der Schrottpresse.
 
Wieviel braucht es, um glücklich zu sein?

Das Leben kann schon ganz schön einfach sein.
Auf dem Wasser.

Menschen am Meer: Steve. Die Schlei. Oder: Warum ausgerechnet ein Amerikaner das beste Risotto kocht.

Mit der Kunst, italienisch zu kochen ist es wie mit der italienischen Sprache: Nur allzu leicht meint man, darin bewandert zu sein, es halbwegs „drauf“ zu haben. Worte und Gerichte gehen vergleichsweise leicht von der Hand. Und doch: stelle ich nach Jahrzehnten des Italienisch-Sprechens fest: Dies perfekt zu beherrschen, wirklich gut zu sprechen, ist ebenso schwieriges Unterfangen wie halbwegs Mandarin zu erlernen. Italienisch ist voll von Konnotationen. Kürzeln. Beigeschmäckern. An- und Be-Deutungen: die nur Italiener untereinander in ihrer Komplexität verstehen.

Ebenso ist es mit der italienischen Küche. Spaghetti Bolognese zum Beispiel. Augenscheinlich doch ganz einfach mit dem „Spaghetti-Hackfleisch-Dingsda“. Aber um das wirklich gut hinzubekommen: muss man schon einige geheime Regeln kennen. Ich weiß, wovon ich spreche: Ich habe jahrelang in Italien versucht, mich in Restaurants an Köche ranzupirschen, um das Geheimnis einer richtig guten italienischen Muschelsauce herauszubekommen. Es dauerte Jahre, bis mir die Köchin des OBELISCO im Containerhafen von Livorno – sie kuckte immer durch ein klitzekleines Fenster aus der Küche ins Restaurant wie Lukas, der Lokomotivführer, aus seiner Emma – ihr einfaches kleines Geheimnis verriet. Seit dem Zeitpunkt sind „Spaghetti a lo Scoglio“ der Bringer.


Die Schlei im August: Das Licht am Morgen auf der „kleinen Breite“.

Die Freundschaft zwischen Steve und mir begann rein beruflich. Wir lernten uns auf einer Messe kennen. Er leitete einen großen Verlag. Ich einen kleinen. Wir verehrten beide denselben deutschen Verleger, stellten wir fest. Von da ab trafen wir uns einmal jährlich. Immer auf dieser Messe. Klinkten uns einfach für eine abends für eine halbe Stunde aus dem Getriebe der Messe aus. Für „die blaue Stunde“ hatte Steve eine besondere Flasche schottischen Whisky am Stand. Und vielleicht ist meine Liebe zu Whisky in jener halben Stunde auf der drögen CeBIT in Hannover geboren, in den Gesprächen mit Steve. Er war treu: War ich nicht da: stand er immer irgendwann am Stand und ließ seine Karte mit einer Notiz für mich zurück. Es war mir immer eine Freude. Denn jedesmal knurrte mein Boß: Steve: sei „seine Liga“. Steve und ich: wir machten uns ein Spiel daraus.

Irgendwann erzählte mir Steve was von einem Boot, das er sich gekauft hatte. Für die Schlei. Eine SCHÖCHL MANTA. Genau die hatte ich auch gekauft, wenige Monate zuvor. Wieder ein paar Jahre später, wieder auf der Messe, wieder abends zur „blauen Stunde“, als wir wieder über dem tarnenden Pappbecher mit klirrenden Eiswürfeln saßen, erzählte mir Steve in seiner engen Messekoje, er habe sich ein größeres Boot gekauft, ein 28 Fuß-Schiff. Da hatte ich gerade meine 31-Fuß-LEVJE gekauft.

Es dauerte noch ein paar Messen. Es waren noch ein paar Jahre „blaue Stunde“, mit 1 Whisky am Stand von Steve notwendig, bis wir es wagten: miteinander Segeln zu gehen. Er nahm mich auf seiner INE mit auf die Schlei. Wir segelten von der STOLLER-WERFT, fast ganz im Westen, durch Missunde, an Arnis, Kappeln, Schleimünde hinaus auf die Ostsee. Mal nach Kiel. Mal nach Sonderborg. Mal nach Marstal. Und seither gehört die Schlei im August für mich zum schönsten, was man als Segler erleben kann. Segeln eine englische Parklandschaften. Durch Fluß-Engen. Durch goldene Getreidefelder. An Pappeln, Backstein, Schlickbänken, Räuchereien entlang, zwischen sanft rollenden Hügeln dahin. Ein Traum.

Im vergangenen Jahr begleitete mich Steve zum ersten Mal aufs Mittelmeer. Er war noch nie im Mittelmeer gesegelt. Er kannte Italien nicht. Aber er machte mich rebellisch mit seinem Vorschlag für ein Abendmenü auf LEVJE: Steve schlug vor, Risotto zu kochen. Risotto mit Steinpilzen. Und grünem Spargel.

Häääh? Es war Juli. Kein Monat für grünen Spargel noch für Steinpilze.

Ich war skeptisch. Meine Meinung wurde nicht besser, als mich Steve quer durch Ancona hetzte auf der Suche nach blöden Steinpilzen. Ich hielt ihm die Packung hin. Dann jene. Er schüttelte entschieden den Kopf. Er quälte mich auf der Suche nach den richtigen Zutaten. Ich zog die Sache in die Länge. Können Amerikaner kochen?

Es dauerte bis Pescara, wo wir die Nacht nicht im Hafen, sondern als einziges Schiff hinter der Diga, der Mole ankerten. Steve verschwand unten in LEVJE’s Kombüse. Ich schaute oben in den Sonnenuntergang, in die Berge. Steve rumorte unten. Ich übte oben Knoten. Steve klapperte unten mit  tausenderlei Töpfen. Ich kuckte in den aufziehenden Sternhimmel. Steve stand unter Deck im Küchendampf. LEVJE’s Salon sah aus, als wäre eine Bombe explodiert. Bis aufs Vorschiff hatte Steve die wehrlose LEVJE in seine Aktion „Risotto mit Steinpilzen und grünem Spargel“ einbezogen. Una bomba! In medio della piazza!


Diesmal zelebriert Steve sein Risotto mit Pilzen zusätzlich mit einem in der Pfanne gebratenen Stück Weißfisch. 

Steve’s Risotto war ein Gedicht. Ein Feuerwerk an feinem Pilzgeschmack, zarter Anmutung an aufgegossenen Wein, leichtem Geschmack von schmelzendem Provolone und Grana, verkochendem Stangensellerie, Möhren, Knoblauch. Es war der Hammer. Es war unbeschreiblich. Steve hatte das ultimative Risotto geschaffen.

Bedächtig nahm ich Teller um Teller. Der Sternhimmel kreiste über uns. Die Weinflasche zwischen uns. Der zarte Wind und die Lichter der Stadt vom Ufer. Immer wieder turnte ich nach unten, Gabel um Gabel, Steve’s Risotto willenlos ausgeliefert.

Und weil es schon so ist, wie der gelegentlich wunderbare Johannes Mario Simmel in seinem noch wunderbareren Erstling ES MUSS NICHT IMMER KAVIAR schrieb: Konnte uns nach diesem Risotto nur wenig etwas anhaben. Selbst die italienische GUARDIA DI FINANZIA nicht, die nachts um drei mit einem Aufgebot starker Scheinwerfer erschien, um grell auszuleuchten, wer da ankerte, wo er nicht sollte.

Ich habe sie verscheucht. Mit einer lässigen Handbewegung. Wie eine Fliege von einem Teller mit wunderbarem Risotto.

Das Rezept für Steve’s Risotto:

RISOTTO MIT STEINPILZEN

2 Zwiebeln glasig in Butterschmalz anbraten (Der Dreh: aber gaaaanz langsam. Bis sie Golden sind)
Dann drei Sardellen zugeben. Mit schmelzen lassen.
Staudensellerie, Karotten, Knoblauch zugeben.
Risotto drauf, mit ziehen lassen.

Weisswein aufgiessen: es muss heiß sein, umrühren, bis der Weisswein verdampft.

Gemüsebrühe und Pilze;
Pilzwasser dazu
150 gr. getrocknete Steinpilze

abschmecken
zum Schluß: 150 gr. Parmesan mit etwas Provolone dazureiben. (Der Dreh: Da muss ein Berg Käse drunter, zum Schluß.)
 
… und was mir Steve erst gestern verraten hat, als wir wieder mal über seinem Risotto saßen und ich juchzte: Er gießt ganz zum Schluß noch mal leicht mit Wein auf.
 
Dieser durchtriebene Ami.
 
 
 
 

 

Neulich im Götakanal

Und hier ein weiterer Zusammenschnitt von Videoszenen, die dieses Mal während meines Törns 2014 durch den Göta- und Trollhättenkanal entstanden sind. Die gesamte Strecke ist dabei einhand zu befahren. Im Götakanal benötigt man aber auf jeden Fall beim Aufwärtsschleusen eine Hand an Land. Diese Aufgabe hatte bei mir auf Nachfrage der Schleusenwärter übernommen. Insofern bietet sich die sogenannte Konvoizeit für Einhandsegler an, denn ein Schleusenwärter fährt den ganzen Tag neben dem Konvoi her und bedient die Schleusen. Man sollte sich dann noch mit den anderen Booten darauf einigen immer als letztes Boot in die jeweilige Schleuse zu fahren, denn nur dann hat man die Zeit und Ruhe, die man zum An- und Ablegen benötigt. Auf jeden Fall werden die Tage als Alleinesegler lang, denn weder in den Schleusen noch in den Kanalstücken kann man die Pinne auch nur kurz dem Autopiloten anvertrauen.

Ein Sommer in 4 Bildern.

Ein halbes Jahr unterwegs ist ja eine lange Zeit. Ergo ist nicht immer nur eitel Sonnenschein sondern man ist sämtlichen Irrungen und Wirrungen des Wetters ausgesetzt. Irgendwie lebt man ja so halb draußen. Mir ist auch aufgefallen, dass ich Wetter, Wolken, Wetterumschwünge seit der Rückkehr viel bewusster wahrnehme.

Was ich aber eigentlich loswerden wollte: Ich habe neulich 4 originale Beispielbilder gefunden, die das Ganze ganz witzig darstellen:

 

Brunsbüttel - 28. März
Öregrund, Schweden - 23. Juli
Götakanal, Schweden - 17. August
Dänemark - 24. September

 

 

Die einsamsten Plätze meines Segelsommers in den Schären (Teil 2)

Im zweiten Teil meiner Highlights des langen Törns durch die Schären geht es dieses Mal um Schweden und wieder um Plätze, die besonders abgeschieden lagen und daher die gesuchte Einsamkeit boten. Dem einen mögen diese wieder bereits bekannt sein, dem anderen als Anregung für eigene Abenteuer dienen. Heute geht es wieder um drei versteckte Liegeplätzen einem reizvollen Routenvorschlag..

1. Själevik 57° 11,97N 016° 28,07E


Diese Ankerbucht liegt zwischen Kalmar und Oskarshamn. Die Einfahrt ist ein wenig knifflig und sollte daher langsam und vorsichtig gefahren werden, da es einige (in der Karte markierte) Unterwasserfelsen gibt. Auch entsprach der Wasserstand in der Bucht nicht dem in der Karte, sondern lag deutlich darunter. Die eigentlich optimal liegenden Felsliegeplätze am Ende der Bucht waren mit meinen 1,60m Tiefgang so nicht mehr zu erreichen. Am einfachsten ist es daher gleich vor Anker (Achtung Unterwasserkabel!!) zu gehen, und nicht zu tief in die Bucht einzufahren. Ich lag am Ende vor Heckanker und mit dem Dinghi ausgebrachten Landleinen, da ich einfach nicht dicht genug an das Ufer kam. Dafür aber ganz alleine an diesem einmaligen Platz, der sich für eine Erforschung mit dem Schlauchboot nur so anbietet. Auch gab es viele gut vorbereitete Feuerstellen und rundum Windschutz. 


2. Pataholm 56°54,7N 016° 26,5E


Ein sehr schöner Übernachtungsplatz im Kalmarsund liegt bei Pataholm. Man muss zwar ein Stück weit das Hauptfahrwasser verlassen und einem betonnten Nebenfahrwasser folgen. Dafür erhält man aber einen sehr sicheren und gut geschützten Liegeplatz an einem stabilen Steg ohne Strom und Sanitäranlagen. Ich lag hier Mitte Juni ganz alleine, erst spät abends legte sich noch ein schwedischer Segler neben mich an den Steg. Es führt ein sehr schöner Weg bis nach Pataholm, einer Art Museumsdorf. Man liegt hier längsseits oder vor Heckboje. Einfach dem betonnten Fahrwasser bis zum Steg folgen.


3. Grisselholmen 59° 22,0N 018° 49,0E



Dieser Platz liegt mitten in den Schären vor Stockholm, umso überraschter war ich das er relativ leer war. Er taucht in den gängigen Schärenführern nicht auf. Ich bin über eine schwedische App auf ihn aufmerksam geworden und so waren wir dann auch das einzige deutsche Boot in dieser romantischen Bucht. In den Felsen befinden sich bereits Schärennägel, so das man sich an ihnen gut orientieren kann bei der Liegeplatzsuche. Nach vorsichtigem Umrunden der kleinen Insel auf der Ostseite der Bucht hält man einfach vorsichtig auf die Felsen zu. Der Untergrund hält sehr gut und die Bucht ist rundum geschützt. Auch auf dieser Insel kann man sich wieder sehr gut die Beine vertreten, auf den Felsen sitzen, grillen und träumen. Anfang August lagen wir hier abends mit nur drei anderen Booten. Prädikat: Sehr empfehlenswert!


4. Fläskösund – Route durch die Schären

Und auch hier zum Abschluss wieder eine sehr enge Route durch die Schären. Sie sah beinahe aus wie eine Slalomstrecke auf der Skipiste, so eng standen die roten und grünen Stangen. Ich habe mich bei einer geschätzten Windstärke von Bft. 4-5 aus Süd, die hier wie üblich dem Fahrwasser folgt, einfach ohne Segel hindurchschieben lassen. Aber selbst dann musste ich teilweise mit Maschine zurück etwas Fahrt aus dem Boot nehmen um nicht zu schnell durch die enge Rinne zu fahren. Später auf der Reise wurde ich etwas ruhiger, dieses enge Fahrwasser ganz am Anfang meiner Tour empfand ich aber noch als sehr aufregend. Am Ende dieser zurecht Flaschenhals genannten Route biegt man übrigens in die oben erwähnte Själevik ab. Der ganze Tourabschnitt durch die Schären mit der engen Durchfahrt als Höhepunkt ist mir als sehr empfehlenswert im Gedächtnis geblieben.