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Gewittersegeln

LESEPROBE

„Und, hast du auch mal einen Sturm erlebt?“ war die wohl meist gestellte Frage nach meiner Reise. Die Antwort ist simpel. Ja, habe ich…aber im Hafen. Denn wenn man sechs Monate unterwegs ist, erlebt man immer Tage mit Starkwind oder Sturm. Diese werden aber immer rechtzeitig angekündigt. So unzuverlässig einem der Wetterbericht auch oft scheint, die Windvorhersagen entsprechen schon meistens der Realität. Große Tiefdruckgebiete erscheinen nicht einfach aus dem Nichts, sondern kommen „unter Aufsicht“ der Wetterdienste vom Atlantik herübergezogen und können daher rechtzeitig angekündigt werden. Darauf stellt man sich dann eben ein und bleibt einfach 2-3 Tage im Hafen. In Borgholm auf Öland, so wurde mir erzählt, lagen mehrere Boote sogar über fünf Tage fest. Die Welle macht das Auslaufen unmöglich und im Hafen schaukelten die Boote so sehr, das viele seekrank wurden, heimfuhren oder an Land in Pensionen übernachteten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ich habe unterwegs auch meine Portionen Starkwind und Sturmböen abbekommen, denn lokale Phänomene wie Seewind, Kap- und Düseneffekte können die Windverhältnisse schon manchmal überaschend verstärken, aber es war nichts, das ich nicht durch Verkleinern der Segelfläche und beherztes Segeln in den Griff zu bekommen konnte. 

Doch es gibt noch eine Bedrohung, die weit unberechenbarer ist als ein „normaler“ Sturm. Gewitter. Mit Blitz und Donner, prasselndem Regen, Sturmböen. In der Vorhersage heißt es: Es besteht die Gefahr von Gewittern und Gewitterböen. Oder anders ausgedrückt: Es könnte sein, das es Gewitter geben wird. Wo und wann genau ist fraglich. Und ob man unter eine Gewitterwolke gerät, ist ebenfalls ungewiss. In welcher Stärke man von einer Bö erwischt wird ist ebenfalls nicht vorhersehbar. Während ein angekündigter Sturm einen garantiert ärgern wird, ist diese Gefahr bei einer Gewitterwarnung einfach deutlich geringer. Teils sieht man Blitze und Wolken am Horizont, teils gerät man auch einmal direkt hinein, doch so wirklich dramatisch wird es eher selten. Kein Grund also lieber im Hafen zu bleiben? 

Schwer zu sagen, diese Entscheidung muss alleine der Skipper fällen und verantworten. Eine große Hilfe dabei wird auf jeden Fall das gerade erschienene Buch „Gewittersegeln“ von millemari. sein. 40 Autoren erzählen über ihre Erlebnisse mit und in Gewittern. Dazu gibt es Hinweise von Meteorologen, Tipps und Tricks sowie Erfahrungen des Yachtversicherers Pantaenius. Wie schütze ich mich vor Blitzen? Wie bereite ich das Boot vor? Was kann ich meiner Crew zumuten? 

Auf alle Fragen gibt es in diesem sehr umfassenden Buch eine Antwort. Und dabei ist das Buch nicht nur für Segler gedacht. Viele der abenteuerlichen Berichte sind genau richtig, um mit Gänsehaut und leichtem Gruseln im warmen und trockenen Heim gelesen zu werden. Denn die besten Geschichten schreibt doch immer noch das Leben.

LESEPROBE

Die vergessenen Inseln: Karfreitags auf Mallorca.

Um es gleich klar vorweg zu nehmen: Nein, zu den vergessenen Inseln gehört Mallorca an diesem Karfreitag sicher nicht. Das üppige Angebot an Flugverbindungen auf die Insel kündet mit noch üppigeren Preisen von regem Besuch. Autoverleiher haben kundige Schliche gefunden, in diesen Tagen das zweieinhalbfache des eigentlich gebuchten Tarifs einzuheimsen. Orte, die vor drei Monaten noch vernagelt, verlassen, vergessen waren, haben die Bretter vor Ladentüren, BURGER KING-Filialen und Buden mit Badelatschen entfernt. Und wo einem wenige Monate zuvor die Landstraßen durch die menschen- und autoleere Tramuntana vollkommen allein gehörten, da sind jetzt Pulks schrill gekleideter Männer auf zwei Rädern unterwegs. Prozessionen, Umzüge, Schwärme, große Blasen schrill neon-bunt Gewandeter auf Rennrädern, die sich mit pfeilschnellem Sirren die Serpentinen hinunterbewegen oder unter mühevollem Ächzen und Spotzen die Serpentinen hinauf. Je nachdem.

„Komische Spanier“, sagen die Deutschen erstaunt, wenn sie aus dem Verleiher-FIAT 500 serpentinenlang auf das neonfarbene Auf und Ab bunter Männer-Hinterteile kucken. „Todos Allemanes“, sagen die Spanier, wenn sie über die österliche Invasion der Sirrenden, Zirpenden nachdenken, die ihre Landstraßen in ein neonfarbenes, verstopftes Etwas verwandeln. Aber so einfach ist das diesmal nicht mit den Etiketten, gehören der community doch auch Engländer, Holländer, Franzosen an.
Tatsächlich sind die Botschaften der Rennradelnden an ihre Umgebung auf ihren Umzügen von vielerlei Art. Die Kleidung sendet nachdrücklich Erinnerung aus, in welchem Jahr des Herrn wir uns aktuell befinden. Plärrt Namen heraus, die uns an gewichtige Hersteller von Radspeichen, Schlauchventilen, Fahrrad- oder sonstige Gummis erinnern. Die Helme katapultieren uns in die Jahre zurück, in denen wir in den großen Sommerferien in Londoner Kinos zum ersten Mal den Film ALIEN sahen. Gestandene Männer, die sich die Namen von Konzernen auf die Brust heften, über deren Produkte sie sich, so sie wieder vom Rennrad ab- und wieder im normalen Leben eingestiegen sind, doch des Öfteren auch mal ärgern. Brillen, in allen Schattierungen, Farben und Formen, auf die nicht mal der legendäre Ausstattungsschöpfer Jean-Paul Gautier im Film DAS FÜNFTE ELEMENT gekommen wäre.
Wenn fünf dieser Wesen ein Lokal betreten, dann ist es tatsächlich: als kämen sie von einem anderen Stern ganz am Rand unserer Galaxi. Gewandet in High-Tech-Textiles, gehüllt, hermetisch geistig gebettet in eine Wolke von Sportmarketing und die unübersehbaren Attribute der Zugehörigkeit zu einer außerirdischen Bruderschaft rasierter Männerbeine, dessen Mitglieder eben erst auf der Erde gelandet sind, mit kühnem Blick auf die lange, gefahrvolle Reise zur Erde zurückschauend.

Die Lust am Verkleiden: sie wohnt dem Menschen inne.
Zu ganz anderen Bruderschaften haben sich die Einwohner des Ortes Pollenca zusammengeschlossen. Es ist SEMANA SANT. Und weil nicht Weihnachten, sondern Ostern das höchste Fest im katholischen Ritus ist, stellen die Bewohner von Pollenca Jahr für Jahr von „Dijous Sant“, den man bei uns den Gründonnerstag nennt, bis zum „Dilluns de Pasqua“, der bei uns Ostermontag heißt, Unerhörtes auf die Beine: Umzüge. Prozessionen. Messen. Oratorien. Drinnen und Draußen. Oben auf dem Calvari. Unten im Ort in den Straßen Pollenca’s.

Tatsächlich ist, was am Gründonnerstag und Karfreitag stattfindet, ein Schauspiel der anderen Art. Gründonnerstag Abend wimmelt der Ort von Kapuzen-Männern, die sich in und um Kirchen, in engen Gassen, Wegen, mit Kreuzen, Schäferstäben, Laternen bereitmachen. Bereit machen für die Prozession. Wahrscheinlich hat sich der ganze Ort verkleidet, unter weißen, schwarzen, roten, blauen Kapuzen stecken Männer, Frauen und Kinder, wer nicht im Chor ist von den Bewohnern oder im Orchester oder auf einer der Bühnen mit Herodes oder den Kreuzabnehmern, der steckt unter einer Kapuze und reiht sich ein in die lange, lautlose Prozession, die nur ein einsamer Trommelschlag begleitet. Und das Klirren der meterlangen Eisenketten an den Füßen der wilden Gestalten, die den langsamen Schritt kreuztragenden Jesus begleiten.

Ein Ort spielt und lebt die Passionsgeschichte, für sich. Der ganze Ort ist Bühne, Mitspieler in einem Spiel von großer Perfektion und Eindringlichkeit, auf das sich alle lange Monate vorbereitet haben.

Höhepunkt ist am Freitag Nacht: die nachgespielte Kreuzabnahme, oben, ganz oben auf dem Kalvarienberg, und der langsame Umzug der Kapuzenmänner schweigend, nur vom Schlag einer Trommel begleitet, die steilen Stufen des Kalvarienberges hinunter. Und weil das unter den Kapuzen bei allem Ernst von Getuschel, Geraschel begleitet ist, weil der Gesang des Frauenchores so gar nichts Altkatholisches an sich haben, darum ist das Ganze auch ein munteres Spiel, das so gar nichts von der inquisitorischen Düsterkeit an sich hat, der dies Schauspiel wahrscheinlich entsprang.

Herodes auf dem Lebendbild stellt eine erheiternd plautzig-arrogante Miene zur Schau. Die Legionäre, die bei der Kreuzabnahme mit ihren Lanzen das Kreuz oben auf dem Berg umstehen, sind kreuzbrave Familienväter und keine Schlagtots. Und das Evangelium, vorgetragen in fünf Sprachen, ist alles andere als hermetisch abgeriegelter Kauderwelsch. Sondern eine Geschichte eines Mannes, der zu Unrecht sein Leben verlor.
 

 

Karfreitag in Pollenca.
 
Das Meer aber: es weiß von alledem, was am Karfreitag um die dritte Stunde geschah – nichts.
 

 

Im Recording Studio – Tag 1 bis 6



 Mein Dank geht an

 

Der Soundtrack zum geplanten Film entsteht ja zur Zeit in dem kleinen, aber feinen „rooted music studio“ hier in Hamburg Schnelsen. Es wird noch ein langer Weg bis zum fertigen Film, der die großen Emotionen und Erlebnisse meiner Reise dokumentieren soll, aber wir haben es in der Tat geschafft die Basis für 15 Songs zu legen. Die Produktionstage gingen von morgens bis Mitternacht und ich bin nach diesen 6 Tagen total hinüber. Als ich meinen Plan im Studio präsentierte wurde noch geschmunzelt, aber nachdem wir in den ersten Tagen 9 Titel im Kasten hatten, wurde aus dem Schmunzeln echtes Staunen. Und das war nur möglich, weil ich das Glück habe mit den besten Leuten arbeiten zu können. Und einfach einmal alles zusammenpasst. So als wäre das Schicksal einmal ganz auf meiner Seite. Das Gefühl seine eigenen kleinen Ideen bis hin zu einem großen Song wachsen zu sehen, ist absolut einzigartig. Und auch hier lebt die Produktion vom Input und den Ideen jedes einzelnen Musikers und unseres Toningenieurs. Bevor ich nun für eine Woche in die Türkei fahre um dort meine Akkus wieder aufzuladen, möchte ich noch schnell dieses Video als Dank an alle Beteiligten präsentieren. Ich freue mich nun extrem auf die nun folgenden Gesangssessions Ende April! Frohe Ostern allerseits.

KEIN GANZ NORMALER TÖRN: Was ist eigentlich Segeln? Oder: "Von derKunst, im Sturm zu erblühen."

Nahe der Rhone-Mündung: Hier in Port Saint Louis, tief im Süden Frankreichs, begann die allererste Fahrt der SEGELREBELLEN, einer Organisation, die von Krebs betroffenen jungen Erwachsenen Segelreisen ermöglicht. Was man dabei alles erlebt, was das überhaupt bringen kann: darüber schreibt Mare Piú in diesem und den vorangegangenen Posts.

Von den ersten Momenten an, in denen ich zum allerersten Mal auf einer Yacht den Hafen verließ, war ich fasziniert davon. Von dem: Was Segeln ist.
Wieder und wieder habe ich – auch auf diesem Blog – versucht, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Schon in jenen ersten Jahren wollte ich einen Film darüber zu machen, weil mir die Worte ausgingen. 
Darüber, dass vermeintlich Wichtiges plötzlich vollkommen unwichtig wird.
Darüber, dass die Dinge, die wir fürchten, plötzlich gar nicht mehr schlimm sind, sondern sogar schön sein können.
Über die Angst, über die Freude, die man in hohen Wellen und starkem Wind empfindet.
Über die Freude, um jedes Kap, dass am Horizont erscheint, herumsegeln zu können.
Über die Furcht, die man im Gewitter erlebt [Und über diese Erlebnisse ist nun tatsächlich in Zusammenarbeit mit über 40 weiteren Seglern tatsächlich ein Buch entstanden, über das ich mich sehr freue!].
Über die Delfine. Ich habe sie gefilmt, wie sie uns in Puerto Rico oder vor Korsika begleiteten. Habe die kurze Hacksee der nördlichen Adria festgehalten. Und die hohen Wellen: die langen, weiten Roller draußen im Atlantik vor den Virgin Islands, wenn der herbstliche Nordsturm, die „Christmas Winds“, abgeflaut waren. Habe versucht, die Farben des Meeres im Foto festzuhalten – und wenn man sich nur auf ein und demselben Fleckchen Meer mit offenen Augen bewegt, sind es schon unzählige mehr als jene legendären „42 Tage Blau“. Auch auf diesem Blog habe ich mehrfach versucht, dieser Frage nachzugehen.

Wann ist man eigentlich bereit, als von Krebs Betroffener, nach der Therapie, für eine Fahrt mit den SEGELREBELLEN? Wann – und warum – sollte man sich dafür entscheiden? Wo doch den meisten nach überstandener Krebstherapie nach ganz, ganz Anderem ist, als ausgerechnet die Unbill einer Seereise auf klamm-kaltem Boot in unwirtlichen Regionen zu ertragen?

Betrachte ich die Crew der Segelrebellen – und da ist Marc, Gründer und Skipper der SEGELREBELLEN mit eingeschlossen – gibt es eine einfache Antwort: Das Ausschlaggebende ist: dass man sich immer schon irgendwo zum Meer, zum Wasser hingezogen gefühlt hat. Dass das Meer einfach mehr ist als eine Ansammlung H2O, versetzt mit mal mehr, mal weniger NaCl. Das Meer als Ort: an dem es einem gut geht. Auch – und DAS ist das Erstaunliche: gerade dann, wenn sich das Meer so gar nicht wie im Vierfarb-Ferienprospekt gibt. Wenn es sich so ganz anders verhält, als wir uns das wünschen: Unfriedlich. Garstig. Menschen-unfreundlich. Wenn wir es in seiner wilden, ursprünglichen Kargheit und Unwirtlichkeit erleben. Wenn wir mittendrin im Getümmel, in der Bedrohung von Windstärke 7, Windstärke 8 plötzlich entdecken: wie schön sie sind, die Wellen. Wie durchscheinendes Glas, ganz oben, wo sie sich brechen, wenn die tiefstehende Sonne durch sie hindurch scheint.
Das Meer als Ort, an dem es mir gut geht: In den Gesprächen mit der Crew, warum sie sich für die ungewöhnliche Reise mit den SEGELREBELLEN entschieden, war immer wieder dies der kleinste gemeinsame Nenner.

Fragen wir die Crew doch mal nach diesem Törn, nach ihren Erfahrungen: Was ist Segeln?

Segeln ist Entschleunigung. Innere Ruhe.
Wogen der Gefühle: Selbsterkenntnis.
Sich durch einen starken Sturm zu kämpfen, wie stark man ist. Und im nächsten Moment wieder zu merken, wie schwach man ist. Und das zuzulassen.

 

Hauke:
„Segeln ist: Neues entdecken. Ein kleines Abenteuer. Und auch ein kleines zwischenmenschliches Abenteuer. Wie gehe ich mit hohen Wellen, mit so starkem Seegang um? Meine Erfahrung ist: Alles ist für mich machbar. Ich sollte viel häufiger neue Dinge entdecken.
Mir fehlt manchmal einfach der Antrieb. Und wenn man zuviel macht: dann wird das auch sehr kostspielig. Aber Anna und ich: wir haben uns vorgenommen, dieses Jahr so viel, so häufig Urlaub zu machen wie möglich.
Das wichtigste auf dieser Seereise: ist die Erfahrung der ENTSCHLEUNIGUNG. Fahre ich Auto: muss ich ständig reagieren, auf irgendwas und irgendwen. Hier: herrscht Gleichmaß.
Und was das Zwischenmenschliche angeht: Der Sturm hat uns zu einer Gemeinschaft gefügt.“

 

Anna:
„Micht man es einfach glücklich, in der Natur zu sein. Die Ruhe zu spüren. Auch wenn das Meer manchmal so aufgewühlt ist, bin ich selbst in mir ganz, ganz ruhig.
Zuhause im Alltag wird man so häufig abgelenkt von so vielen EINFLÜSSEN. Hier gibt es nur das Meer. Nichts anderes.
Man muss sich darauf einlassen können, dass nicht immer alles rund läuft:
Dass alles nass ist.
Dass man sich neben die Toilette setzt, weil jemand gerade „eine Kurve“ fährt.
Das muss man können, sich darauf einlassen. Wenn man ddie Bereitschaft dazu nicht mitbringt: wirds schwierig. Man muss sich darauf einstellen: was alles passieren kann.
Gestört hat mich eigentlich nur, dass das Fenster undicht ist und die Matratze deshalb nass war. Aber es ist nicht wichtig hier draußen. Alles andere hier ist größer und wichtiger. Hier oben zu sitzen. Uns vom Wind wehen zu lassen und nicht mit einem Motor übers Meer zu bewegen.
So eine schöne Natur.“

 

Susanne:
„Wenn es mir schlecht geht. dann ist es für mich am Besten: immer rauszugehen in die Natur.
Hier draußen ist die Lektion: Man muss nehmen, was kommt. Man nimmt die Sachen einfach an. Und lernt: Nach Sturm kommt Sonne. Oder die Delfine.“

 

Andrea:
„Hier draußen: das ist für mich: Die Woge der Gefühle.
Und: der Sturm ist etwas, was mich in mehrfacher Hinsicht weiterbringt: Erstens fahren wir damit. Und kommen vorwärts.
Zweitens hatte ich ehrlich gesagt vor der Reise richtig Angst vor einem Sturm. Aber es kam alles ganz anders: Erst die Angst. Dann der Sturm. Dann merken, wie glücklich ich dabei bin.
Es ist gut, gerade das den Menschen, die von einer Krankheit wie Krebs betroffen sind, zu vermitteln, wie es hier ist: Wie es in unserer Krankheit ist. Dass uns Mitleid nicht weiterhilft.

Müßte ich das alles, meine Erfahrungen hier zusammenfassen: dann würde ich es in einem Buchtitel formulieren:

‚Von der Kunst, im Sturm zu erblühen‘.“

Und viel mehr ist dann auch nicht darüber zu sagen: Was Segeln eigentlich ist.
Und was einem eine Reise mit den SEGELREBELLEN bringen kann.

  

KEIN GANZ NORMALER TÖRN, letzter Teil: Was bleibt.

Und? Was bleibt?
Was bleibt von dieser Reise?
Was macht eine Reise wert, dass sie getan wurde?

Es gibt viele Antworten darauf, warum diese Reise KEIN TÖRN WIE JEDER ANDERE war.

Natürlich: ist da die Jahreszeit, in der kaum ein anderer Segeln geht. In diesen 10 Tagen sind uns vielleicht zwei, drei Segler draußen auf dem Meer begegnet. Es ist keine Jahreszeit, um urlaubsmässig herumzuschippern.

Natürlich: ist da das Revier, der Golf de Lion, der eben kein „normales Stück Wasser“ ist, als das Marc es gerne sähe. Sondern etwas bösartiger, wie mir YACHT-Chefredakteur Uwe Janssen während des Törns teilnehmend in einem Mail schrieb. Der Wetterbericht für diese Woche: er sagt alles.

Und natürlich: ist unsere Crew eben auch auch keine normale Crew. Natürlich sind unsere Mitreisenden auch einfach Menschen, die sich auf eine gelungene Urlaubsreise freuten. Das auch. Aber sie sind auch Menschen, die bereits in jungen Jahren durch eine schwere Krankheit gehen mußten. Und jetzt ihren Weg zurück in die Normalität des Lebens gehen. Und doch verändert sind – was eben jene Sicht auf das angeht, was ein „normales“ Leben ist.

Mit dieser Reise hat sich mein Blickwinkel verändert auf das, was ein normales Leben ist.

Oder ist es vielleicht so, dass dies andere, was ich in diesen 10 Tagen erlebte: Stürme, einzigartige Wellen, schlimme Krankheiten und angsteinflössende Klinik-Therapien das Normale sind? Das, was wir im Gelärme dessen, was wir unseren Alltag nennen, einfach ausblenden? Im großen Wunschkonzert, das unser Dasein ist, einfach wegdrücken?

Irgendwann in diesen letzten Tagen saßen wir zusammen. Und ich habe die Frage gestellt: Was nehmt Ihr mit, von dieser Reise?

Lassen wir einfach die Mitsegler sprechen, was Sie über diesen Törn denken.

Anna sagt:
„Es ist unglaublich faszinierend, mit Menschen zusammen zu sein, mit denen man sonst kein Wort wechseln würde. Mit denen man sich hier wortlos versteht.
Es ging auf dieser Reise unglaublich schnell, mich zu öffnen. Und Gefühle in Worte zu fassen.
Gut war auch, zu sehen, wie andere mich sehen: „Du bist so in Dir ruhend, ruhst so in Dir selbst.“
Auf der Reise selbst habe ich die große Erkenntnis, die große Weiternetwicklung nicht gewonnen. Denn eigentlich weiß ich: wo ich hin will.“

Hauke sagt:
„Ich habe mir in meinen Unterarm ein Tattoo machen lassen: „Vergiss nicht zu leben.“ Remember, that you are alive.
Was ich mitnehme: ‚Schau in Dich rein. Was macht Dich eigentlich glücklich?’“

Andrea sagt, was sie mitnimmt:
„EUCH! In meinem Herzen. Es war alles so geballt, so aufwühlend wie das Meer um mich herum. Es wurden unwahrscheinlich viele Emotionen geweckt. Ich musste aufpassen, dass keine Träne kommt. Ich konnte hier auf diesem Törn so viel heulen wie in den ganzen zwei Jahren nicht. Ich habe das Meer mit meinen Tränen gefüllt.“

Susanne sagt:
„Dass ich Menschen begegnet bin, die mich berührt haben. Ich habe in dem halben Jahren nach der Radiotherapie nur geheult. Ich habe den Druck rausgelassen. Ich habe alles wegfliessen lassen. Ich habe mir verordnet: Weine, weine, weine. Danach: Lebe.“
(Susanne zu Andrea:) „Für Dich war es genau das Richtige, hier weinen zu können. Vielleicht war das für Dich so wichtig, wie für mich ein Mensch, der mich wieder klar gemacht hat im Kopf.
Wir werden erst in ein, zwei Jahren erkennen, was wirklich wichtig war.
Alle Menschen tragen alles in sich. Alles Wissen ist schon da, in uns. Es war einfach wichtig, alles auszusprechen. Um dies Wissen herauszuholen.
Es war mit das tollste Erlebnis: dass wir es schaffen, uns zu berühren. Als Menschen. Gegenseitig. Und uns selber. Auf einmal kam das raus.
Und so tolle Sachen: Hauke. So viele weise, schlaue Sachen, die Du gesagt hast.“

Und wie geht es mir?
Der ich versuchte, neben dem Co-Skipper auf dieser Reise nur eines zu sein: ein unvoreingenommener Beobachter und Chronist dessen, was ich erlebte, hörte, sah? Ob mich diese Reise verändert hat: das weiß ich nicht. Aber die Menschen, mit denen ich auf dieser Reise war, ihre Gesichter, Stimmen, ihre Worte: die werde ich nicht vergessen.

Was bleibt?
Was bleibt von dieser Reise?
Was macht eine Reise wert, dass sie getan wurde?

 
Natürlich das Meer. Die beeindruckenden Natur-Erlebnisse, die ich in den vorangegangenen Posts beschrieben habe. Das ist das Eine. 
Das Andere: Dass einen Menschen berühren. Mit dem, was sie zu sagen, zu erzählen haben. 
Und vielleicht ist dies „sich berühren“ etwas ebenso Wichtiges, Elementares, wie es auch das Erleben des Meeres für uns ist, aus dem wir stammen. Für beides gilt: 
„… als würde in uns eine Taste gedrückt. Und ein uraltes, in uns einprogrammiertes Programm beginnt zu laufen.“

Für diese Reise Special Thanks to:
Marc, der mit seiner Idee der SEGELREBELLEN etwas großartiges in die Welt gesetzt hat, eine Institution für wunderbare Begegnungen ins Leben gerufen hat.
Felix. For sharing good moments.
Anna, Andrea, Susanne, Hauke, Jo: for being here.

KEIN GANZ NORMALER TÖRN, Teil 13: Um Mallorcas Südküste. Von Alcudianach Palma de Mallorca.

„F*ck cancer go sailing“ ist das Motto von Marc Naumann’s Organisation SEGELREBELLEN, die es jungen, an Krebs erkrankten Erwachsenen ermöglicht, Segeln zu gehen. Mare Più begleitet ihn auf seiner Jungfernfahrt mit der Segelyacht ROXANNE. Lesen Sie auf Mare Più und auf Marc’s Blog SEGELREBELLEN, wie es zugeht. Auf diesem KEIN GANZ NORMALER TÖRN. Von Marseille nach Mallorca.

Es ist der Tag nach dem Mistral. Der Regen hat aufgehört, ist einfach verschwunden. Und mit ihm die Kälte und das Grau. Die Sonne lugt durch die Wolkendecke. Aber am faszinierendsten an diesem Tag: ist die Farbe des Meeres. Nach dem Regen ist es von irritierend intensivem Grün, ein Blaugrüngrau, das ich an den Küsten der nördlichen Adria, in Venedig, so sehr liebe. Vielleicht hat es damit zu tun, dass der Mistral das Meer bis zum Grund aufgewühlt hat. Vielleicht hat der lange Regen allerlei feine Sedimente vom langen Sandstrand Alcudias ins Meer gespült. Vielleicht haben sich die Wellen, die der Mistral ans Ufer trieb, auch feine Teilchen vom Land zurückgeholt, die das Meer nun grün schimmern lassen, dort, wo die Sonne es schafft, ihr Licht bis ins Wasser hinunter zu werfen.

Als wir morgens aus dem Hafen von Alcudia hinausgleiten, ist es ruhig. Ein Hauch in der Luft, kaum Welle, es lohnt nicht, daran zu denken, Großsegel oder Genua auszupacken. ROXANNE schnürt unter Motor langsam durch die Bucht von Alcudia, während die Crew dabei ist, Fender und Festmacher zustauen, ein Gewusel im Cockpit und an Deck, Leute, die durcheinander laufen, dicke blaue Gummifender und schwarze Trossen schleppend. Der Redakteur vom Landessender, der gestern an Bord kam, selber Jollensegler am Chiemsee, packt sein Mikrofon aus. Ein ehrfurchtgebietendes Teil mit großem großem blauen Überzug, auf dem in Weiß groß das Logo des Landessenders prangt. Der Redakteur möchte ein Radiofeature machen. Er nimmt zuerst Geräusche auf, die Wellen. Dann interviewt er Marc, den Gründer der SEGELREBELLEN und Initiator der Reise. Dann spricht er die Mitsegler an. Er macht es gut, jovial, ein netter Kerl. Das Mikrofon mit dem mächtigen blauen Überzieher bewegt er dabei langsam von sich zum Sprecher hin. Fast eine majestätische Bewegung, mit der er das Wort erteilt. Wer weiß, welcher Edmund, welcher Horst da schon wichtige Sätze hineingesprochen hat, in das große blaue Mikrofon.

Kaum sind wir vorbei an der Illa de Alcanada und langsam draußen aus der Bucht von Alcudia, ändert sich alles. Die Morgenbewölkung ist verschwunden, das Meer liegt da wie ein blausamtener Teppich, nur noch ein leichter Stich ins Grün, und wiederum ists so: wenn es einen Menschen gäbe mit dieser Augenfarbe: ich wäre hin und weg, verloren.

Noch eins hat sich geändert. Zwar weht immer noch kein Wind. Aber kaum ist auf Höhe von Cap de Menorca der Schutz nach Norden, die Landabdeckung weg: kommt gewaltiger Schwell daher aus Norden. Der Mistral hat ihn aufgebaut: Lange Roller, haushoch, Hügelkämmen gleich, rollen fast wie Atlantikwellen auf ROXANNE seitlich zu, neigen sie zur Seite, heben sie gleichzeitig hoch, laufen unter ROXANNE durch und setzen ROXANNE dann sanft wieder im nächsten Hügeltal ab. Man kann hinaufschauen, wenn die Hügelkämme anrollen, ein faszinierendes Bild, wenn man auf dem Gipfel eines Hügelkammes schon 200 Meter weiter nördlich den nächsten anrollen sieht. Ein unglaubliches Bild.

ROXANNE ist dem allem wehrlos ausgeliefert. Trotz Stützsegel und Motor läuft sie auf Ostkurs und geigt, was das Zeug hält, schwankt von liiiiiiiiiiiinks nach reeeeeeeeechts und wieder nach liiiiiiiiiiinks und wieder nach reeeeeechts. Und munter so weiter. Der Crew der ROXANNE macht das wenig aus. Andrea und Susanne parlieren munter unter Deck, Susanne immer strahlend mit bewegten Gesten. Andrea eher gestenarm, dafür röhrt das Ruhrpott-Mundwerk geschliffen aus dem Schiffs-Inneren, von tief unter Deck. Felix dreht sein Zigarettchen, um sich dann gleich die Kamera unter den Arm zu klemmen und damit aufs Vordeck zu jumpen. Jo und Marc unterhalten sich über die Vorzüge von 49-Fuß-Yachten. Hauke hat zur Freude aller im beachtlichen Gegeige noch eine Tüte Chips in seiner Koje entdeckt. Die verteilt er, während das Schiff beträchtlich schwankt, zum Ergötzen aller, und zum Nachtisch reicht er etwas SKIPPER MIX-Lakritz. Was fröhlich mampfend von allen gerne genommen wird.
Nur dem Redakteur, dem geht es schlecht. Er hängt über dem Heck. Und ist für den Rest des Tages nicht mehr zu gebrauchen. Aber wie Andrea so schön in einem früheren Beitrag sagte: „Kotzen, das hab ich nun wirklich in eineinhalb Jahren Chemo gelernt“, deshalb hat sie Mitleid mit dem Redakteur. Macht für ihn eine Cockpit-Bank frei. Bettet ihn darauf. Holt für ihn einen wärmenden Schlafsack. Und ein Kissen. Setzt sich neben ihn. Redet ihm, der geschwächt zwischen Schlafsack und Mütze hervorlugt, gut zu. Es ist weiß Gott nicht das erste Mal auf diesem Törn, dass die, die eigentlich krank und elend sein müßten, den vermeintlich Gesunden zeigen: wo der Hase lang läuft.


Am Cap des Freu ändert sich der Kurs fast auf Süd. Die Hügelkämme treffen nun die ROXANNE fast im Heck, die Schiffsbewegungen werden andere. Zuerst wird die ROXANNE nun beschleunigt, dann achtern angehoben, dann läuft die Welle mitschiffs durch, läßt das Heck ins Hügeltal fallen und hebt den Bug mächtig an, alles von gewaltigem Rauschen begleitet. Die 49-Fuß-Yacht: fast ein Stückchen Treibholz im großartigen Schwell. 
Unter Deck ists kaum auszuhalten, Susanne ist unten, rhabarbert strahlend mit großen Bewegungen und wem auch immer. Anna quietscht vergnügt. Andrea kümmert sich rührend um den Redakteur, der nun meint, dass es ihm unten vielleicht besser ginge. Hauke taucht von unten auf, blickt traurig und sinnend über die Vergänglichkeit der Welt auf ein Zipfelchen französischer Salami, das er sich in seiner und Anna’s Koje für schwierige Zeiten aufbewahrt hat. Und das nun schimmelt. 
Und ich denke mir: mit dieser Crew könnt‘ ich jetzt segeln bis ans andere Ende der Welt.
 


 
Es ist Nachmittag geworden. Der Schwell hat sich beruhigt. Und auch auf dem Schiff ist Ruhe eingekehrt. Nur der Wind: der läßt sich nicht mehr blicken. Und so motoren wir weiter südwärts, Tagesziel Porto Petro, das wir im Dunkel hinter dem blinkenden Leuchtfeuer erreichen.
 
Am frühen Morgen des nächsten Tages geht es weiter. Filmaufnahmen stehen an, Außenaufnahmen. Denn: Aus unserem Törn soll ein richtig guter Film werden. Felix ist mit seinem ganzen Equipment zu Beat aufs Boot gegangen, sie begleiten uns, Felix filmend. Und während wir Wenden fahren für Felix, schreien, johlen wir unsere Freude hinaus, unsere Freude darüber, einfach am Leben zu sein. Und erlebt zu haben, was wir in diesen 10 Tagen erlebt haben.
 
Ein langer Weg. Von Port Saint Louis nach Palma de Mallorca. Und KEIN GANZ GEWÖHNLICHER TÖRN.

Port Saint Louis. Eine desindustrialisierte Landschaft des Rhone-Deltas sucht nach Zukunft.
Marseille. Stadt im Aufbruch. Und Segelclub in Trauer.
Golfe de Lion. Eine phantastische Schlechtwetter-Überfahrt, die Individuen zu einer Crew zusammenschweißt.
Barcelona. Ankunft in der Moderne.
Mallorca. Noch einmal: 20 Stunden Überfahrt im Schlechtwetter.
 
Die Sonne ist längst weg, als die Großstadt Palma de Mallorca in Sicht kommt. Langsam laufen wir in die Bucht ein, dann in den Hafen, dann in den CLUB REAL NAUTICO DE MALLORCA.
Was ist es, was das Herz zusammenzieht, wenn die Bucht immer enger wird? Und das Meer immer weniger? Wenn die Ufer immer näher aneinanderrücken und das Meer unweigerlich endet?
 
Und so stehen wir im Dunkel auf der Pier. Marc, Hauke, Anna, Jo, Andrea, Susanne, Felix. Und trinken auf glückliche Heimkehr. Von einem Törn, der KEIN GANZ GEWÖHNLICHER TÖRN war.
 

 

 

KEIN GANZ NORMALER TÖRN, Teil 12: Ein Tag im Hafen. Oder: Was für ein Geräusch macht eine Schwimmweste, wenn man ins Wasser fällt?

Und plötzlich ist das Gespräch an diesem verregneten Hafentag unter Deck genau an diesem Punkt – und will von da auch nicht mehr weg. Wie klingt das Geräusch einer Automatik-Schwimmweste, wenn man mit ihr ins Wasser fällt und die Schwimmweste plötzlich aufgeht? 
Ist es ein lauter, explosiver Knall wie ein Airbag? 
Oder ein langsames, gleitendes Zischen? 
Geht es schnell, bis sich die Schwimmweste aufpumpt? 
Oder dauert es quälend langsam, während Wollpullover, Seestiefel und weiß-Gott-was schon anfangen, einen langsam nach unten zu ziehen?

Und weil wir nicht ins 12 Grad kalte Balearen-Wasser fallen wollen, beschließt Marc, Gründer der SEGELREBELLEN und Skipper, einen Lifetest:

Zur Chef-Testpilotin wird Anna ernannt. Sie ist zwar mit 1,62 Meter Größe und geschätztem Körpergewicht von 52 kg nicht unbedingt prädestiniert, aber sie saß halt gerade so, als Marc, der Magier sich nach einer reizenden Assistentin für die Show umsah. Und für den folgenden Live-Act ist Anna allemal hübscher anzusehen als zum Beispiel der zarte 130 Kg Kampfgewicht mitbringende Skipper Beat, der noch im Publikum sitzt. Gute Entscheidung also von Marc, dem Magier!

Akt 1: 
Marc, der Magier verschnürt seine reizende Assistentin Anna, die Anmutige nach allen Regeln der Kunst in die Schwimmweste, die ebenso wie Seejacken, Schwerwetterhosen und Stiefel für den Törn von HELLY HANSEN gesponsert wurde. 

Akt 2: 
Marc, der Magier überzeugt sich vor Ziehung der roten Auslöse-Leine noch einmal vom korrekten Sitz der HELLY-HANSEN-Weste. Asistentin Anna ist auf obigem Bild nicht unbedingt überzeugt, dass jetzt gleich im Stadion alles glatt gehen und wieder einmal der FC BAYERN als Sieger den Platz verlassen wird.

Akt 3:
Es ist soweit: In der gebannten Stille des Raumes könnte man ein Blatt Papier zu Boden segeln hören. Nicht mal Hauke fällt was ein. Andrea’s Ruhrpott-Klappe ist wie abgedichtet. Sunnyboy Felix läßt Zigaretten Zigaretten sein. 
Marc, der Magier greift jetzt langsam, bedächtig langsam zur Auslöseleine. 
Assistentin Anna, entrückt, schenkt uns ihr allerschönestes Lächeln.
Ein blitzschnelles Reißen von Marc, dem Magier an der roten Auslöseleine. Und …  

… Anna, die Leichtgewichtige scheint danach fast irgendwie zur Decke zu schweben wie ein Heißluftballon, als sich der gelbe Automatik-Gabentisch unmittelbar unter Assistentin Anna’s Kinn aufbaut. 

Als die wären:
1 Original TITANIC Zweiton-Trillerpfeiffchen. Es ist so laut, dass man damit jeden im Umkreis von geschätzt 2 Metern auf sich aufmerksam machen kann.
1 Mundstück, mundgerecht zum Mundaufblasen der Schwimmweste.
1 kleine Leselampe.

1-5 Schnüre und Bänder, um eventuell in der Einsamkeit des Ozeans dran zu ziehen. Und die Langeweile zu vertreiben.

Wie man an Anna’s Taille unschwer erkennen kann, entfaltet die Schwimmweste schon gehörig Kraft. Die beiden gelben Auftriebskörper haben sich kraftvoll entfaltet, sind prall gefüllt. Das Publikum tobt. Und hat deutlich Vertrauen gewonnen, zur Schwimmweste.

Und die Antwort, auf die große Frage?
Die lautet diesmal nicht „42“. Sondern:
1. Kein Knall. Sondern ein langsames, gleichmässiges Zischen.
2. Es dauert knapp zwei Sekunden, bis die Schwimmweste voll aufgeblasen ist.

Kein Grund also, Panik zu schieben.
Oder, Anna?

KEIN GANZ NORMALER TÖRN, Teil 11: Ein Tag im Hafen.

„F*ck cancer go sailing“ ist das Motto von Marc Naumann’s Organisation SEGELREBELLEN, die es jungen, an Krebs erkrankten Erwachsenen ermöglicht, Segeln zu gehen. Mare Più begleitet ihn auf seiner Jungfernfahrt mit der Segelyacht ROXANNE. Lesen Sie auf Mare Più und auf Marc’s Blog SEGELREBELLEN, wie es zugeht. Auf diesem KEIN GANZ NORMALER TÖRN. Von Marseille nach Mallorca.

Bisher war das Wetter eher schlecht auf unserer Reise – die letzten Tage und besonders auf unserer 20stündigen Überfahrt von Mallorca nach Barcelona. Warum aber auch ein verregneter Hafentag unvergesslich sein kann: das lesen Sie hier.

Draussen nichts als grau. Das Grau sickert durch das einzige beschlagene, tropfnasse Fenster in meine klamme Kabine.. Es ist kalt. Regen schlägt in Böen draußen auf das Deck. Noch vor dem Aufwachen im Grau höre ich draussen den Mistral. Er ist hörbar, spürbar in vielerlei Formen: Heulen.  Ein Pfeiffen in der Luft. Von Wanten und Stagen. Ein Krängen des Boots in den Böen. Ein Schlagen von Fallen an den Mast. Ein Knattern von Persenningen. Ein Knarzen, Quietschen von Fendern und Festmachern, wenn die ROXANNE sich an den Nachbarlieger presst. Prasselnder Regen, der aufs Deck schlägt.
Im Boot tropft es herunter, von vielerlei Stellen: Im Flur aus dem lecken Luk, unter dem sich eine Pfütze gebildet hat. Im Salon von den Fensterrahmen, an denen feuchtkalte Luft besonders schnell zu dicken Tropfen wird, die auf die Polster heruntertropfen. Vorne in der Bugkoje, in der Andrea und Susanne schlafen.
Im Grau halte ich die Uhr vor meine Augen. Es ist Mittwoch Früh, gegen 6.30 Uhr. Langsam stehe ich auf, schaue mich um. Es ist still auf dem Boot. Nur die Geräusche von draussen. Drinnen: ein Tropfen, der langsam von der Decke fällt. Pfützen unter dem Gangfenster, das nicht dicht ist. Zeitungspapier auf dem Boden, Zeitungspapier auf den Polstern, um die Nässe aufzusaugen.
Auf der ROXANNE sieht es nicht gut aus, die gestrige zwanzigstündige Überfahrt, die feuchte Mistralluft haben Spuren hinterlassen. Im Salon tropft es wegen der Kälte von den Alu-Fensterrahmen. Boden und Polster sind klamm und kalt. Überall liegen nasse Sachen herum, hängen nasse Wollmützen. Handschuhe. Segeljacken. Nasse Schwimmwesten und Lifebelts. Stiefel. Nach dem gestrigen Abendessen sind einfach alle nur noch erschöpft in tiefen Schlaf gefallen. Zeit fürs Spülen, Zeit fürs Saubermachen, Zeit: nach dem Boot zu sehen: war keine mehr. Nur noch schlafen.

Langsam kommt Leben ins Boot, schälen sich die anderen aus ihren Schlafsäcken in die feuchte Kälte, die im Boot steht. Andrea und Susanne beginnen zu spülen, da steht auch noch das Geschirr herum vom gestrigen Nudelessen.
Jetzt etwas Warmes in den Bauch. Ein heißer Tee. Ein spanische Tortilla. Und die geht so:

Zwei, drei Kartoffeln hobeln. In der Pfanne anrösten.
Zusammen mit gehobelten Zucchini und einer Tomate anschmoren.
Jo hat noch ein paar Zwiebeln fein gehackt.
Danach 10 verrührte Eier mit etwas eingeriebenem Gruyere, Salz, Pfeffer, Rosmarin, Salbei darüber.
Langsam in der Pfanne stocken lassen, bis das Ganze zu einem richtigen Kuchen wird.

Auf das standesgemäße Wenden dieses „Kuchens“ in der Pfanne wird heute verzichtet. Die Sauerei ist eh schon zu groß hier um den Herd, im Salon.
Langsam kommt Leben ins Boot. Der Salon mit den blauen Polstern ist soetwas wie die Mitte des Bootes, so eine Art „Dorflinde“. Hier trifft sich alles. Wer aus den Kojen kriecht: kommt hierher. Wer von Deck kommt, ebenfalls. Wer aus dem Vorschiff kommt oder den Toiletten, auch. Bald ist der Raum gefüllt mit halbnackten Körpern, Barfußgehern, Leuten, die warme Unterwäsche, ihre Pillen, wer-weiß-was suchen. Pullover, Wollsocken, etwas Warmes überstreifen, um der Kälte zu trotzen, mit Cremes oder irgendwas hantieren. Ein Durcheinander, in dem gleichzeitig die Backschaft (die, die an diesem Tag Küchendienst machen) versucht, ein begeisterndes Frühstück für die anderen auf den Tisch zu bringen.
Wärme verbreitet sich vom Küchenherd. Kaffeegeruch. Der Duft von aufgebackenem Stangenbrot, von Bratkartoffeln in der Luft. Irgendjemand schneidet Äpfel, Obst für Müslis. Irgendjemand macht Musik. Irgendjemand deckt den Tisch. Das Boot: es ist erwacht. Was noch von einer halben Stunde ein kalter, klammer Ort der Unwirtlichkeit war: jetzt ist es ein gemütliches Zuhause. An keinem anderen Ort der Welt möchte ich jetzt sein, als sich alle neun jetzt zum Frühstück setzen auf die mit Zeitungen bedeckten blauen Salonpolster setzen.

Kaum sitzen alle, hämmert es draussen im Regen ans Steckschott, zwei Mal, kräftig. Ein Bulle von Mann steht vor dem Niedergang. Mindestens so groß wie breit. Nicht in Nikolaus-Rot, sondern Segler-Blau gekleidet. Und er spricht mich auf Tirolerisch an: Der Beat sei er, Schweizer. Das spricht man [be:at]. Und weil er Marc’s Chef kenne und selber hier mit seiner Firma SEGELABENTEUER den ganzen Sommer über mit Leuten segle: drum habe er unsere Reise im Internet verfolgt. Ganz großartige Sache!! Und mit diesen Worten knallt er zwei große Tüten auf den Tisch. Die eine voll mit Sixpacks SAN MIGUEL- Bier. Die andere mit Osterhasen.

Und dann beginnt Beat, Osterhasen zu verteilen. Jetzt ist endgültig Ostern und Weihnachten auf der ROXANNE! Obwohl um den Tisch kein Platz mehr ist, muß sich der Beat setzen. Und bekommt seinen Kaffee. ROXANNE ist plötzlich Dorfkneipe geworden. Gelärme. Lachen. Gruppen im Gespräch, während draußen der Regen auf Boot prasselt und Böen das Boot schütteln. Drinnen ists gemütlich unter dem weißen Netz, in dem wir Brot, Gemüse, Obst aufbewahren, damit es nicht schimmelt. Grüppchen haben sich gebildet, reden durcheinander. Beat, Jo und Marc reden übers Segeln, wie es ist, wenn es nicht Mistral hat oder regnet, hier auf um Mallorca. Susanne, Anna und Hauke reden darüber, was Ärzte teilweise über ihre Patienten auf dem OP-Tisch reden, wenn sie annähmen, der Patient läge schon in Propophol-Betäubung – und ist’s noch gar nicht. Andrea steuert ihre Geschichte bei, wie eine Assistenzärztin versuchte, kurz nach Mitternacht ihren Lymphknoten über der Leber zu punktieren – nur mit Lokalanästhesie. „Ich hab‘ einfach nur in meine Hand geweint, bis dann zwei andere Ärzte kamen und die Punktierung auf Anhieb hinbekammen.“ Das Verloren-, das Ausgeliefertsein im Klinik- und Pharmaziebetrieb ist Thema an desem Vormittag. Es ist kein Mißtrauen gegen Ärzte oder Klinken allgemein, worüber geredet wird. Sondern Unverständnis, dass „Klink“ eben nichts anderes als eine „Firma“ ist, die manchmal eben überhaupt nicht das Beste für ihre Kunden im Sinn hat, die hier „Patienten“ heißen. Sondern manchmal irgendetwas Unverständliches, angesiedelt auf einer Skala zwischen Gleichgültigkeit, Bürokratie, Geldgier. Viel Lob immer wieder für die einfachen Pflegekräfte: Für kleine Gesten. Für ein „die Hand halten“ während einer schmerzhaften Prozedur. Für eine kleine Geste des Mit-Leidens. Des Nicht-Vergessens, dass es sich eben doch um Patienten handelt.
So gehen die Gespräche. Und weil es LUFTHANSA nicht geschafft hat, Susanne’s Gepäck heranzuschaffen und Susanne ihre erste, allererste Seereise in Anorak und Slippern unternimmt – oder: wenn sie Wache hat: in geliehenen Jacken, Strümpfen, Seestiefeln und Seejacken der anderen – und ihren Dienst klaglos versieht: drum machen wir uns auf, für Susanne im verregneten Alcudia etwas Warmes zum Anziehen zu kaufen. Und so stapfen wir durch die vom Winter entvölkerte, leere Hafenstadt, in der Kneipenwirte und Ladenbesitzer voller Ungeduld auf das Ende des Winters: auf die Rückkehr der Zugvögel warten.
 
 
 

 

KEIN GANZ NORMALER TÖRN, Teil 10: Die große Überfahrt. Von Barcelonanach Mallorca.

„F*ck cancer go sailing“ ist das Motto von Marc Naumann’s Organisation SEGELREBELLEN, die es jungen, an Krebs erkrankten Erwachsenen ermöglicht, Segeln zu gehen. Mare Più begleitet ihn auf seiner Jungfernfahrt. Lesen Sie auf Mare Più und auf Marc’s Blog SEGELREBELLEN, wie es zugeht. Auf diesem KEIN GANZ NORMALER TÖRN. Von Marseille nach Mallorca.

Die Crew der ROXANNE segelte bisher von Port Saint Louis im Rhone-Delta über den Golf de Lion nach Barcelona. Und begibt sich jetzt auf ihre vorletzte Etappe: Die 120 Seemeilen lange Strecke von Barcelona nach Alcudia im Nordosten der Insel Mallorca. Am kommenden Freitag treffen wir in Palma de Mallorca ein.

Wie so oft ist Segeln eine Metapher fürs Leben. Wo wir meinen: wir sind es, die tun: ist es doch etwas ganz anderes als wir, was die Spielregeln vorgibt.

Und so ist es auch etwas ganz anderes, was an diesem Abend in Barcelona den Zeitpunkt unseres Abschieds vorgibt. Für den morgigen Dienstag sagen die Wetterberichte ein Tief über Portugal voraus, das uns Wind aus Nordost bringen wird. Mit 5-7 Beaufort. Halber Wind. Beste Bedingungen für die 20 stündige Überfahrt. Aber danach: genau kurz Mitternacht, in den frühen Morgenstunden des Mittwoch, wird der auf Nordwest umspringen. Mistral. Mit 8-9 Beaufort aus Nordwest. Raumschots-Kurs. Aber eindeutig zuviel, um mit wirklich gutem Gefühl rauszugehen.

Wieder und wieder diskutieren Marc und ich die Wetterberichte. Wir holen uns drei vier verschiedene Wetterberichte. Jeder. Wie zwei altweise Magier vertraut jeder von uns beiden auf „sein“ System. Marc wartet auf das letzte Update von WINDPREDICT. Ich sehe mir WINDGURU und METEO MARINE an. Frage im Marina Office nach. Den für mich entscheidenden Wetterbericht liefert dann aber Sebastian, Meterologe bei WETTERWELT. Als hätte er’s geahnt, schreibt er mich zum zweiten Mal auf dem Törn an, sein Mail erreicht mich an diesem Abend um 22 Uhr. Ob er uns helfen könne. Sebastian verfolgt Marcs und meinen Blog, weiß, selber Segler, wo wir stehen. Eine Viertelstunde später habe ich seine Wettervorhersage, er hat sich sofort hingesetzt und sie für uns erstellt, in der Hand: Ost-Nord-Ost mit 6-7, später abschwächend auf 4-5. Schauer, die das Portugal-Tief vor sich hertreibt, in jedem Fall. Gewitter eventuell. Marc und ich beschließen: wir gehen raus. Um eins. Danke, Sebastian. Ist schon schön, der Service, den Wetterwelt da individuell für Törns anbietet.

Wieder haben wir uns in zwei Teams eingeteilt. Die zweite Wache – Jo, Andrea, Kameramann Felix, ich – werden um eins den Motor starten. Ablegen. Das Schiff aus dem Hafen von Barcelona hinaussteuern, in der Dunkelheit Richtung Mallorca bringen. Um fünf werden wir Marc, Anna, Hauke, Susanne wecken, die uns dann ablösen werden. Und uns für vier Stunden Schlaf gönnen werden. 20 Stunden rechnen wir für die Reise übers offene Meer. Vier mal werden wir uns ablösen, bis wir vor der Nordostspitze Mallorcas am Abend stehen werden.

Es ist Viertel vor eins. Kurz bevor mich mein Wecker aus kurzem Schlaf holt, ist Andrea an meiner Tür. Es geht los. Sie und Jo stehen schon im Dämmer des Salons. Wer weiß, wie lange sie schlafen konnten. Sie sind in voller Montur. Schwerwetter-Klamotten. Dicke Seestiefel. Schwimmwesten. Lifebelts. Jeder hält eine Tasse Tee in der Hand. Andrea hält mir meine gefüllte Tasse hin, schweigend, im Dämmer der roten Lampe über dem Kartentisch. Wir sitzen einen Moment. Schweigend. Um den Salontisch. Ein guter Moment, jeder in Gedanken.

Als die Tassen leer sind: Nicke ich beiden zu. Wir stellen die Tassen in die Spüle, schauen uns kurz an. Rauf an Deck. Leichter Nieselregen. Es weht böig. Nicht schlimm. Aber wir werden beim Ablegen aufpassen müssen, dass die nächtlichen Böen ROXANNE beim Ablegen nicht vertreiben. Jo baut den Landstrom ab. Dann die Springs. Andrea scheucht unseren Sunnyboy Felix aus dem Schlaf. Er braucht halt immer etwas länger. Ich lege ROXANNEs regennassen Gashebel im Leerlauf nach Vorne. Taste am kalten, regennassen Steuerrad nach dem Zündschlüssel. Der Motor springt an. Ich lausche einen Moment in die Nacht, ob die Wasserpumpe auch ordentlich arbeitet. Als ich das gleichmässige Plätschern auf dem Wasser höre, sind wir bereit.

Felix kommt mit einer Tasse im Cockpit angetanzt. Ich hole meine Crew im Cockpit zusammen. Und sage Ihnen, dass es draussen etwas wehen wird. Dass wir aber trotzdem mal die Nase rausstrecken werden. Und wenn wir uns unwohl fühlen in Wind und Wellen, auch sofort abbrechen und umkehren werden. Wenn wir das Gefühl haben: es geht gar nicht.

Dann erkläre ich, wie das Ablegen in den Böen ablaufen wird. Jo den vorderen Festmacher. Felix den achteren. Aber langsam fieren. Andrea übernimmt es, uns mit laufendem Fender vor dem Nachbarlieger zu schützen. Alle gehen auf ihre Stationen. Machen sich klar. Schauen mich ohne ein Wort an. Warten, dass es losgeht. Mein leises Kommando hören sie sofort. Es klappt wie am Schnürchen. ROXANNE setzt sich langsam in Bewegung, langsam. Nieselregen platscht auf mich, Festmacher platschen im Dunkel ins trübe Hafenwasser. Immer wieder schön, wenn sich 10 Tonnen Schiff bedächtig aus der Box schieben und langsam in die Gasse eindrehen. Die Crew steht in Regenklamotten, baut Festmacher und Fender ab. Als wir in die große Hafengasse einbiegen, übergebe ich Andrea das Ruder. Sie strahlt, als sie das Ruder übernimmt. Jo und Felix stauen Fender und Festmacher. Ich sehe Ihnen, neben Andrea stehend , leise zu. Mache einen Doublecheck, dass sich die Fender auch ja sicher an der Seereling geknotet sind. Weise Andrea darauf hin, ROXANNE mehr auf die Luvseite im Fahrwasser zu bringen. Je näher wir der Ausfahrt kommen, desto mehr pendelt sich der Wind um die 25 Knoten ein. „Nach Luv, nach Luv.“ Sollte jetzt mit dem Motor etwas sein: bleiben uns kostbare Minuten, um Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Kurz vor der Ausfahrt nimmt die Welle deutlich zu. Wir spüren jetzt, dass es draußen weht, dass Wind und Welle herrschen. Weil ich nicht weiß: was uns draußen erwartet, lasse ich Andrea noch im stockdunklen Hafenbecken wenden und in den Wind drehen. Hier ist es ruhig. Noch. Hier können wir, obwohl es jetzt um die 25 bis 30 Knoten weht, in Ruhe das Groß setzen. Ein Reff einbinden. Das Setzen der Genua vorbereiten.

Während Andrea, die erst auf dieser Reise zum ersten Mal an einem Steuer steht, das schwere Schiff genau in den Wind bringt, während uns schlagartig aufgrund dieses Manövers Wind und Nieselregen voll ins Gesicht schlagen, klettert Jo, eingeklinkt ins Strecktau, nach vorne an den Mast. Bedient die Kurbel, mit der er langsam das Groß herausläßt, das Felix vom Cockpit aus nach achtern holt. Weiter, immer weiter. Bis etwa auf ein Drittel. Dann Belegen beide. Beide stehen naß im Gesicht, müde, grinsend, vor mir. Felix dreht sich, immer noch grinsend, sein Zigarettchen. Das erste. Es werden viele werden in diesen 20 Stunden.

Andrea fällt derweil ab. Und steuert die ROXANNE auf das Ende der überhohen Mole zu, das in der Dunkelheit 100, 200 Meter vor uns gähnt. Wir sehen nicht, was uns dahinter erwartet. Wir spüren aber, wie die Wellenhöhe mit jedem Meter zunimmt. Felix und Jo lassen das Genua raus, etwa die Hälfte. Versuchen wirs mal so. Das Ende der Mole kommt näher. Der böige Wind erwischt uns jetzt von Hinten, zunehmender Regen klatscht uns ins Gebick, in den Rücken. Wie gut, dass ich meinen Südwester aufhabe. Das häßlichste. Und das allerpraktischste Kleidungsstück bei diesem Wetter. Ich habe es auf dieser Reise lieben gelernt.

Näher kommt das Ende der Mole. Die ROXANNE schaukelt in der Dunkelheit jetzt beträchtlich. Was kommt da wohl dahinter? Gleich werden wir wissen, wie es da wirklich aussieht. Näher. Und näher. Noch näher. Und dann sind wir da. Die Welle erwischt uns seitlich voll, hebt uns richtig aus. Ich bitte Andrea, sofort nach Backbord zu steuern, hinaus, direkt in die Wellen. Vor lauter Schreck über die aus der Dunkelheit hoch heranrollenden Wellen, dreht sie zu schnell ein, kommt dem Molenkopf zu nahe. Es macht nichts. Ich stehe ja neben ihr. Und kann ihr gleich sagen, dass sie etwas abfallen soll. Gefahr gebannt. „Kurs 150 Grad.“ Unser Kurs für die nächsten 20 Minuten. Salziges Spritzwasser kommt über, platscht auf unsere Regensachen noch zusätzlich zu den Regentropfen drauf. Waren wir vorher noch im Schutz des Hafens, sind wir jetzt voll draussen. Nur noch Dunkelheit um uns. Helligkeit nur von den brechenden Wellenkämmen. Es weht jetzt um die 30 Knoten. Andrea am Ruder flucht, schimpft, jammert. Das Ruder ist schwer. Wind und Welle in der kabbeligen Kreuzsee tun ein übriges, die ROXANNE aus dem Kurs zu bringen. Andrea jammert. Das Schiff will nicht gehorchen. Aber mein 1,62m großer Brocken aus dem Ruhrpott, das kleinste Mitglied meiner Crew, schafft das schon. Ich stehe neben ihr, im prasselnden Regen, passe auf, dass nicht wirklich etwas schief geht. Nach zwei Minuten gewinnt Andrea ihren Kampf. Die ROXANNE läuft durch schwierige Wellen endlich auf Kurs 150 Grad. Andrea ist stolz. Aber wir müssen noch besser werden. „Neuer Kurs: 130 Grad“, sage ich zu Andrea. Genau auf unserem bisherigen Kurs liegt ein ankernder Frachter, besser, schon jetzt Abstand zu halten, sie zu umfahren in der Dunkelheit. Wieder flucht Andrea. Kein Wort der Klage. Nur ein Fluchen. Dass sie die Dinge, das Schiff nicht so hinbekommt, wie sie es sich als Ziel gesetzt hat. Wieder schafft sie es. Ganz allein. Ich stehe neben ihr zwischen den beiden Steuerständen, Und bin stolz auf sie. Unendlich stolz.

Der Wind weht jetzt stabil in den dreißig. Wir laufen mit 7,5 Knoten. Das Vorsegel faucht, Andrea hat zuviel Ruderdruck. Wir müssen am Trimm arbeiten. Gleichzeit kommen Frachter in Sicht. Stehende Peilung 150 Grad. Blöd. Wo wir noch nicht im Dunkel an der blinkenden Gefahrenstelle auf elf Uhr vorbei sind. Wir bleiben erst mal auf Kurs, gehen näher an die beiden Frachter ran, bis wir deren Lichterführung und damit die Fahrtrichting genau ausmachen können. Ich trimme am Vorsegel herum, das in der Dunkelheit faucht. Ändere Hohlepunkt. Fiere auf. Hohle dichter. Immer wieder rufe ich meiner Crew zu: „Augen zu. Ich muss mal das Vorsegel anleuchten“. Damit sie nicht für Minuten in der Dunkelheit geblendet sind. Endlich steht das Vorsegel. Und faucht nur noch ein bisschen. Die Segel stehen jetzt schön, die ROXANNE lässt sich jetzt, bei 28 bis 32 Knoten Wind, mit einem Finger steuern. Schon ein verdammt gutes Schiff, die alte BAVARIA 49.

Wir gewöhnen uns langsam an die Bewegungen. Die Frachter sind näher, immer noch stehende Peilung. Stehende Peilung heißt eigentlich: wir werden kollidieren. Wenn nicht er oder wir den Kurs ändern. Blöd. Ich kann und kann im Schwanken des Decks einfach ihre Lichter nicht klar ausmachen. Nach einer Viertelstunde: immer noch stehende Peilung. Das gibts doch nicht! Ankerlieger? Auf 120 Meter Wassertiefe? Auch unmöglich. Es dauert noch eine ganze Weile, während denen die ROXANNE in die Wellen kracht, bis wir den beiden Frachtern in der Dunkelheit nahe genug gekommen sind. Und ihre Lichter sehen. Und wissen, das wir nicht mit ihnen kollidieren werden. Es sind Langsamfahrer vor dem Hafen. Frachter, Containerschiffe, die vor dem Hafen von Barcelona in der Dunkelheit mit ganz langsamer Fahrt kreuzen, um nicht das teuere Liegegeld im Hafen bezahlen zu müssen. Es ist billiger, ihren Treibstoff, das günstige, giftige Schweröl, Abfallprodukt der Erdöl-Veredlung, dafür zu verbrennen, als im Hafen zu liegen. Selbst bei dem Sauwetter.

Zum ersten Mal läßt jetzt der Regen nach. Unser Regenzeug ist klatschnass, aber wir können die Kapuzen abnehmen. Die Nacht ist stockdunkel. Kein Mond. Kein Stern. Kein Licht. Nur Wind. Nur Wellen. Und wir vier, die wir das Schiff durch die kalte Nacht führen, während die unter Deck schlafen. Ich drehe mich um: die gelben Lichter von Barcelona verschwinden langsam in den hinter uns glitzernden Wellenbergen, voraus: nichts, nichts. Doch: das Rot und Grün unseres Fahrtlichts, im Bug, ganz vorn. Im Dunkel. Der Wind weht stabil. Das Schiff läuft prima. Und plötzlich ruft Felix: „Der Himmel bricht auf“. Tatasächlich: genau über uns schimmern erste Sterne matt durch ein Loch im Schwarzgrau über uns. Das Loch, das sich öffnet, wird langsam größer und größer. Felix sagt: „Ist das geil.“ Andrea jubelt hinterm Steuer. Über die Sterne. Über sich. Dass sie das Schiff steuert, alleine in der Dunkelheit, dass sie die Verantwortung übernimmt. Und ihr gewachsen ist. Wir schauen in die Sterne. Der große Wagen wird hinter uns sichtbar. Der Polarstern. Der kleine Wagen. Die Kassiopeia, die schöne Liegende. Perseus. Wer hätte das gedacht. Andreas Jubel weckt die anderen unter Deck, während wir immer noch bei 30 Knoten Wind mal federleicht und pfeilschnell, mal schwer krachend durch die Wellen rauschen.

Der Wind: er begleitet uns. Bis es langsam zu dämmern beginnt. Es ist Viertel vor Fünf. Unsere Wache ist gleich vorüber. Ich gehe Marc wecken. Und die anderen seiner Crew. Es wird Zeit für uns. Eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. Andrea, Jo, Felix ich gehen nach unten, die andere Wacht hat übernommen und sich kurz eingesteuert. Nachdem ich Marc übergeben habe: raus aus den immer noch regennassen Sachen. Raus aus dem schweren Pullover. Schnell rein, rein, ins warme Bett. Schlafen. Mit Salz im Bart.

Gegen Viertel vor neun weckt mich Marc. Zeit, ihn und seine Crew abzulösen. Acht Stunden sind wir jetzt gefahren,der Wind ist etwas schwächer geworden, fast 50 Seemeilen haben wir zurückgelegt. Als ich an Deck komme, bin ich einfach nur wieder begeistert. Von den Wellen, vom Meer. Lange, lange Wellen, aus Ostsüdost. Vereinzelt Schaumkronen im Bleigrau, die brechen. Die ROXANNE geborgen im Unendlichen, in dem, woraus die Oberfläche unserer Erde eigentlich besteht. Wasser. Unendliches Wasser. 2000 Meter Wasser unter dem Kiel. Zu gerne möchte ich wissen: Was da gerade unter uns schwimmt, im Wasser, drunten, auf 2000 Meter Wassertiefe: wo noch  nie ein Mensch lebend war.

Felix, unser Kameramann, ist ebenfalls fasziniert von den Wellen. Eingepickt in die Lifeline klettert er nach vorne, in den Bugkorb, auf allen Vieren, wird von nasser Salzgischt bespritzt, eine seiner drei GOPROs hat er sich am langen Arm in die Segeljacke gesteckt. Jetzt dreht er, knapp über den Wellen, fährt Aufzug im Bugkorb, in den er sich kauert, im Auf und Ab der Wellen.

Er ist besessen davon, einen guten Film machen zu wollen, über das was er hier gehört hat. Über das Meer. Über die Menschen auf dem Meer. Nicht nur an Geschichten über Krankheit, sondern an bewundernswerten, beneidenswerten Einstellungen dem Leben gegenüber. Er ist erst 24, viel mit seinem Vater gesegelt. Mit 14 eine Band gegründet, mit 16 einen ersten Plattenvertrag, Konzerte in Clubs, dann in der Muffathalle. Dann auf Welttournee. USA. Hongkong. Riesenerfolg, mit 16. „Ich dachte: ich bin der Gitarrengott.“ Aber irgendwann war er genervt davon. Das zweite Album mißglückte, er stieg aus. Ende. Dann Filmhochschule. Ausbildung. Vor zwei jahren gründete er zusammen mit einem Freund eine eigene Filmfirma. Verdient sein eigenes Geld. Sunnyboy Felix. „Ich war so ‚pushy‘ drauf“, ist ein Lieblingswort von ihm. Seinen Jahren ist seine Lebens-Erfahrung weit voraus. Und trotzdem: ist Felix leise nach dieser Woche, was er gesehen, gehört hat von den Mitseglern. Ihn prägt wie mich, was wir erfuhren in dieser Woche. Von den Menschen. Vom Meer.

Währenddessen schläft die Crew, die wachfrei hat. Anna verkriecht sich nach ihren vier Stunden Wache tief, tief in ihren Schlafsack. Ganz tief. Auch Felix fallen nach seiner Kletterei und Action die Augen zu. Da er zur Wache gehört, bitte ich ihn, sich im Salon hinzulegen. Sprungbereit, falls irgend etwas sein sollte.

Die Crew schläft. Von den wachfreien ist nur Hauke mit oben, Anna’s Freund. Unscheinbar war er die ersten Tage, still, in sich gekehrt. Kaum ein Wort kam über die Lippen. Er war einfach nur: still. Aber in den letzten Tagen ist Hauke auf See zu unglaublich großer Form aufgelaufen. Hauke hatte eine leukämie-ähnliche Erkrankung. Sein Tabletten-Beutel beeindruckt noch heute alle, was er täglich schlucken muss an Medikamenten. Unglaublich. Alles mögliche. Davor Chemo und Blutplasma-Austausch. Richtig, richtig schlimm. Nachdem Hauke auftaute in den letzten Tagen, sprechen alle mit Respekt von ihm. „Hauke hat mal wieder Recht“, sagen die anderen, wenn Hauke mit wenigen Worten mal wieder die Dinge auf den Punkte bringt. „Haukie-Waukie“, wenn ihm mal wieder etwas verdammt Kluges entfährt. Respekt: das ist es, was die Mitgleider des Törns sich unglaulicher Weise gegenseitig entgegenbringen. Respekt. Es ist eine ganz besondere Crew, die Crew dieses allerersten Törns der Segelrebellen.


Seit der Therapie ist Hauke äußerst sonnenempfindlich. Er muß sich gut eincremen. Eine große Sonnenbrille tragen. Aber auch das geht. Und es hat ihn nicht abgehalten, mitzukommen. Er hatte Mut. „Ich glaub: ich werd‘ wieder Segeln gehen,“ entfährt es Hauke verträumt nach 14 Stunden Überfahrt plötzlich heraus, als den anderen die lange Überfahrt, das endlose Geschaukel, Geklapper, Hin- und Herfallen in den Wellen zur Last zu werden beginnt.
Ich habe Hauke für mich „den Meister des Worts zum Sonntag“ getauft. Wenn er was sagt, ist nichts hinzuzufügen. Wir freuen uns. Auch das ist ein Ergebnis dieses Törns. Dass Hauke sich traut. Aus sich geht. Sein Lächeln auf dem Bild oben war es wert. Einfach wert, dass ich diesen Törn neben Marc mitgefahren bin. Weiter, Hauke.

Gegen fünf, nach 16 Stunden Überfahrt, sind wir irgendwann alle an Deck. Starren voraus ins lichtlose Grau, jetzt muss doch endlich die Insel in Sicht kommen. Die Insel. Das Ziel unseres Törns. Das Ziel unserer Reise. Mallorca.

Und irgendwann ist es soweit: Cap Formentor, der Leuchtturm, ist voraus in Dunst und Niesel in Sicht. Der Leuchtturm, auf dem ich im Januar diesen Jahres in der Sonne stand, nicht ahnend: wohin mich dieses Jahr, mein Leben führen würde. Der Leuchtturm im Januar, das Meer, auf dem wir jetzt gerade unterwegs sind, von oben in der Sonne:
 

 

Vielleicht dies: 
Es ist unglaublich richtig, öfter mal die Perspektive, den Standpunkt, den Blick aufs Leben zu ändern.

Der Himmel ist immer noch grau in grau, als in Alcudia einlaufen. Nieselregen.

Nieselregen auch: als wir festmachen, im südlichen kleinen Vorhafen. Ein ausgesprochen ruhiges Eck. Der Mistral, für wenige Stunden später: er kann kommen. Wir liegen sicher. Zwar ist auf dem Boot alles nass, alles klamm, alles hundemüde. Aber wir sind glücklich. Und zufrieden, wie man es nur irgend im Leben sein kann.

KEIN GANZ NORMALER TÖRN, Teil 9: Vor der großen Überfahrt. Von Blanesnach Barcelona.

 

Auch wenn es an Bord der ROXANNE meistens fröhlich und ausgelassen zugeht wie auf einem ganz normalen Törn: Beim Frühstück an Bord in Blanes an diesem Morgen: Immer wieder Gespräche über die Krankheit. Über das eigene Erleben dieser Krankheit. Immer wieder Geschichten. 

 

Wie Andrea die Nacht erlebte, nachdem zum zweiten Mal Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert worden war und die Ärzte ihr als einzigen Ausweg: die Chemotherapie vor Augen stellten. Wie sie die Nacht durch weinte. Wie es war, als sie zum ersten Mal nach der Chemo nach Hause durfte, zu ihrem Mann. Und gar nicht wollte. „Was sollte ich da? Eine Tasse aus dem Schrank holen: war echter Hochleistungssport, mit Puls sofort auf 180.“ 
 

Wie Marc – ausgerechnet – auf Mallorca, unserem Reiseziel zum ersten Mal entdeckte: dass er doppelt sieht, dass irgendetwas nicht stimmt mit ihm, irgendetwas, das nicht nur wie ein Kratzen im Hals, wie eine Grippe ist. 

 

Wie Hauke die Chemo erlebte: das „meine Abwehrkraft auf Null setzen.“ Das Einleiten der roten Flüssigkeit an einem langen, langen Schlauch. Damit er auch auf die Toilette konnte. Was Anna über Medikamente denkt, für die die Pharma-Industrie 800 € und mehr pro Spritze verlangt. Wie Susanne froh ist, dass der lange in ihr wuchernde Schilddrüsenkrebs entdeckt und behandelt wurde. Dass sie ihre Erkrankung „als Glücksfall“ erlebt: „Ich habe meine Dankbarkeit wiedergefunden. Dankbarkeit für die ganz kleinen Freuden – nicht für das, was es zu kaufen gibt.“

 

Bruchstücke. Wie Soldaten sie aus einem unvorstellbaren Krieg irgendwo in einem fernen Land erzählen. Aber bei den Soldaten, die hier um den Frühstückstisch sitzen, tobte der Krieg, von dem sie berichten, in ihnen selber. Die Bilder vom Frühstück auf ROXANNE: sie zeigen, wie nahe es den betroffenen Mitseglern immer noch geht: ihre Geschichte zu erzählen. Die Geschichten vom gleichen Leiden anderer betroffen aufzunehmen, weil jeder nachempfinden kann: wie sich der andere fühlt. 

Auch dies ist etwas, wofür man Marc Naumann’s Idee der SEGELREBELLEN nicht genug wertschätzen kann: Einen Ort für Austausch geschaffen zu haben – aber einen anderen Ort, als ihn Psychotherapeuten anbieten. Einen Ort, wo Menschen im Sturm, in extremer Situation zusammengeschweißt werden zu einer Crew, sich nahekommen. Wo Menschen feststellen, was sie zu leisten wieder in der Lage sind. Was sie nicht gedacht hätten. Von sich. Das Meer: mit all seiner Schönheit, seiner Wildheit, seiner Gefährlichkeit, als Ort einer Selbst-Entdeckung. Und eines Stückchens Heilung. „Es ist gut, dass wir hier draußen drüber reden“, sagt Andrea. „In all den Stürmen, der Kälte, da wird sie klein und fern, die Krankheit. Hier kann man drüber reden.“

Als wir aus Blanes ablegen, sind wir nachdenklich. Die Sonne scheint. Zum ersten Mal eine leise, leise Ahnung von T-Shirt-Wetter. Und dass es Sommer werden könnte, hier am Meer, auch wenn er jetzt im März noch unendlich weit weg zu sein scheint. Jeden Tag ist es so, dass einer aus der Crew gesundheitliche Probleme hat. Jo, der sagt: er könne sich nach der Therapie nichts mehr merken. Anna, die zerbrechliche, die über Brennen im Magen klagt nach jeder Mahlzeit. Heute ist es Andrea. Draußen auf dem Meer, im Cockpit, meldet sie plötzlich, dass ihr Kreislauf in den Keller fällt. Wir denken sofort an Seekrankheit. Nein, Seekrankheit ist das bei Andrea heute nicht, nein. Bei dem Thema haben die Krebspatienten dem Rest ein großes Stück voraus: Sie haben kotzen gelernt. Es schockt sie nicht mehr. In der zweiten Nacht auf See, bei der langen, wilden Überfahrt, erbrachen fast alle mit großer Heftigkeit. Aber damit war es dann erledigt. Abgehakt. Für den Rest der Reise. Für alle. Die Seekrankheit war vorbei.
Auch Kotzen kann man erlernen. Das ist eines meiner Learnings dieser Reise.

 

Nein. Bei Andrea ist es der Kreislauf, der heute nicht mitmacht. „Die Woge der Gefühle“, nennt sie es später. Zwar ist immer ein Arzt für uns erreichbar, das hat Marc, ganz großer Bruder, schon so organisiert. Aber: Wir haben keinen Arzt dabei, bewußt. Denn den würde man bei jedem Wehwehchen ja konsultieren. Gerade das, dies wieder Verantwortung abgeben an andere: das will Marc Naumann mit seinen SEGELREBELLEN eben nicht. Genau das Gegenteil. Und so kümmert sich die Crew liebe voll um Andrea. Susanne, die sie in die Schocklage bettet. Jo, der ihr die Beine hochhält. Hauke, der mit ihr spricht.

Nach 10 Minuten grinst Andrea wieder. Und feuert munter ihre Ruhrpott-Slang-Breitseiten in die Runde ab. Dies ist ein zweites Learning für mich: Mit Bordmitteln ist auf einem Schiff mehr als nur Bootstechnik zu reparieren.

 

Als es Abend wird, laufen wir in Barcelona ein, in den Port Vell. Vom ersten Moment an ist Barcelona faszinierend für alle: schön, fesselnd wie ein Filmstar. Man kann nicht wegkucken. Ein Ausbruch an schönem Design, witzigen Ideen. Wie man altes Industriegemäuer verpackt. Und neues aufwertet. Der Bruch, die Herausfordrung unserer Jahre, den Niedergang der Industrien durch Neues auszugleichen: auf den ersten Blick scheint er hier gelungen.

 

Nur schade: dass wir keine Zeit haben. Die nächste Etappe geht von Barcelona nach Mallorca. Und für genau diese Etappe ist ab Mittwoch zwei Uhr Morgen Mistral angesagt. In Stärken von 8-10 Beaufort für die Nordostecke Mallorcas, die wir runden müssen. Wenn wir dem entgehen wollen und wenige Stunden vorher noch eben in den Hafen von Alcudia rutschen wollen: Dann müssen wir aufbrechen. Noch in dieser Nacht.

Und so geht die Crew der ROXANNE jubelnd, pfeiffend, singend noch in Hafennähe Tapas essen, wieder einmal froh um die Wärme eines Restaurants, die Wärme nach gutem Essen in uns. Gegen 22 Uhr klariert die erste Wache (Marc, Hauke, Anna, Susanne) das Schiff an unserem böigen Liegeplatz auf. Kocht Suppe. Bereitet Tee. Während die zweite Wache (Jo, Andrea, Kameramann Felix und ich) schon in ihre Kojen krochen. Für zwei, drei Stunden Schlaf. Denn die wird die ROXANNE um eins aus dem mitternächtlichen Hafen bringen. Und hinaussegeln werden auf die 100 Seemeilen lange Etappe von Barcelona nach Mallorca.

Und davon werde ich morgen erzählen.

With a Lot of Help from My Friends




Das aus der Idee die Musik meiner Reise zu veröffentlichen ein so gewaltiges Projekt werden würde, war mir so nicht bewusst. Hätte ich es sonst sein lassen? Sicherlich nicht! Aber vielleicht hätte ich doch eher den Kopf in den Sand gesteckt, als sofort loszulegen. Doch nun fügte sich Stück für Stück einfach alles zusammen. Recorden werden wir ab nächster Woche im Rooted Music Studio bei Jurik Maretzki direkt bei mir um die Ecke. Ein zum Studio umgebautes Einzelhaus mit viel Atmosphäre. Die Empfehlung eines Freundes, die sich schon bei den ersten zwei Kennenlernterminen als genau richtig erwiesen hat. Aber nun Achtung, und das wurde mir heute selbst erst bewusst, diese sage und schreibe 25 Musiker werden an den Aufnahmen beteiligt sein:

Vocals: Caro Leuzinger

Vocals: John Barron
Vocals: Dara McNamara
Backing Vocals: Kati Reisener
Backing Vocals: Mario Schulmann –Reisener
Backing Vocals: noch offen
Drums: Oliver Steinwede
Drums: noch offen
Percussion: Jochen Topp
Keyboards: Merih Aktoprak
Gitarre: Kai Wiener  
Gitarre: Yorck Mennich
Gitarre: Dara McNamara
Gitarre: Van Wolfen

Gitarre: Jürgen Gleba
Gitarre: Ralf Hartmann

Gitarre: Oliver Terwiehl 
Gitarre: Oliver Sparing
Saxophon: Michael Prott
Flügelhorn: Nicolas Boysen
Posaune: noch offen.
Trompete: noch offen
Cello: noch offen
Akkordeon: Uwe Steger
Pedal Steel: Karen Adolph
Blues Harp: Christian Hönniger
Bass & Kontrabass & Vocals: Me, Myself & I

 

Eine beeindruckende Liste. Jeder der Mädels und Jungs tut mir dabei auf die eine oder andere Art einen Gefallen, denn ansonsten wäre das Projekt für mich, ja ohne finanzielle Unterstützung einer Plattenfirma, nicht realisierbar. Andererseits bin ich natürlich auch froh, das mir niemand in die Produktion hineinredet.  Denn auch wenn alle Songs meine Handschrift tragen, sind sie doch so unterschiedlich, das es aus Plattenfirmensicht schwer sein dürfte die stets nötigen Schubladen zu definieren. Es werden nun zwei Instrumentals, eine Rockabilly-, zwei Blues- und eine Jazznummer. Dann zwei kraftvolle Titel im New-Country-Stil, drei Singer/Songwriter Balladen, ein deutschsprachiger Titel im Bacardi Feeling, eine ebenfalls deutschsprachige, bluesige  Seemannsballade, ein Song im 60er Girl Group Motown Sound und eine weitere sehr klavierlastige Ballade. 




Wie passt das alles zusammen? Schwer zu sagen, aber mein Kopf saugt  offenbar die unterschiedlichsten Musikstile auf wie ein Schwamm, und irgendwann kommen diese dann einfach wieder herausgeplätschert. Das mag für den Zuhörer manchmal schwierig einzuordnen sein, andererseits wird es dadurch aber auch sehr abwechslungsreich und macht mir unglaublichen Spaß. Und darum geht mir am Ende bei allem. Den Spaß an der Musik ist der Grund aus dem wir alle mal angefangen Instrumente zu erlernen. Die Augenblicke im Proberaum, in denen man sich wie ein Rockstar fühlte und gedanklich schon auf Welttournee war. Zumindestens bis man am nächsten Tag die Mitschnitte der Probe gehört hat. Die Freundschaften, die man über die Jahre zu anderen Musikern  entwickelt hat, da man viel Zeit und teils auch Hotelzimmer miteinander geteilt hat. 

Und es macht einfach Spaß Songs so zu komponieren, wie sie einem einfallen. Ohne Gedanken an kommerziellen Erfolg, aktuellen Geschmack der möglichen Zielgruppen oder Radiotauglichkeit. Denn die Zeiten, in denen man mit Musik schnell Geld verdienen konnte sind in Zeiten von Spotify und co. wohl endgültig vorbei. Einerseits schlecht, andererseits muss man sich aus künstlerischer Sicht auch nicht mehr verbiegen. Und thematisch hängen die Songs dann doch alle zusammen. Sind sie doch alle auf See und beim Segeln entstanden oder zumindestens vollendet worden. Und behandeln Themen wie:

Am Sonntag beginnt die Produktion und die Kamera ist dabei, so das ich immer wieder kleine Ausschnitte davon posten werde.

KEIN GANZ NORMALER TÖRN, Teil 8.: Von Porto Roses Richtung Barcelona.

 

Den Samstag Morgen weht es hart über Porto Roses. Beim Aufwachen pfeift der Mistral nur so die Hügel im Nordwesten herunter. Wolken jagen über den Himmel, als ich durch das mit dicken Tropfen beschlagene Luk meiner Kammer hinausschaue. Regen prasselt aufs Deck. Die ROXANNE neigt sich in den Böen, rüttelt an der Vertäuung. Die Persenning will sich losreissen. Schnell raus, noch im Schlafanzug, zusammen mit Marc, das schlagende Tuch zu bändigen.

 

Porto Roses? Einer dieser typischen Orte, die sich an der nördlichen Küste des ganzen Mittelmeeres dahinziehen. Hotels. Hotels. Pensionen. Ferienwohnungen. Immobilienmakler. Mir fällt ein: dass es auf dem Mittelmeer zwei große Völkerwanderungen gibt. Und hier: genau hier in diesen Einheits-Küstenorten, die sich von Spanien bis an die Ostgrenze der Türkei erstrecken: hier treffen die beiden Völkerwanderungen aufeinander.
Die eine: von Süd nach Nord. Menschen die Arbeit, Hoffnung, eine Perspektive suchen aus den Staaten Nord- und Zentralafrikas. Die andere: Von Nord nach Süd, aber genauso mächtig: Menschen, die den Sommer aus dem Norden ans Meer kommen, hier Erholung, Entspannung, Etschleunigung suchen. Porto Roses: Im Sommer 30.000 Einwohner. Im Winter 1.300.
Zwei gewaltige Wellen. Zwei Wogen. Die an diesem Morgen in meinem Kopf eine Kreuzsee bilden.

 

Und doch: hat Porto Roses auch im Winter seine guten Seiten:
Der Hafen ist sicher.
Die Paella gestern war heiß und gut. Der Rotwein köstlich. Genau, was ich wollte. Gegen 21.30 sank mein Kopf im Restaurant auf den Teller. Der Tag war zu lang. Ich war hundemüde vom Steuern, 24 Stunden mit 3 Stunden Schlaf. Wie köstlich, dann ins Bett zu dürfen. Unbezahlbar.
Die Bäckerin im Cafe oben beeilt sich, mir am Morgen ein großes Sandwich mit Serrano zu machen. Nein. Auch in der Trostlosigkeit lässt es sich verdammt gut leben. Vorausgesetzt. Ja vorausgesetzt: Man wendet an, was man beim Segeln lernt. Reduziere! Auf! Die! Einfachen! Freuden!

Und so hart der Mistral noch am früher Morgen hereinpfeifft: am späten Vormittag verliert er an Kraft. Marc meint, dass er sogar ganz einschlafen wird. Die Crew: Sie macht sich fertig zum Auslaufen.

Schwarze Fleece-Teile, Latzhosen, Körperteile, die auf ROXANNE’s engem Raum kurzzeitg kreuz- und quer durcheinandergehen. Zuvor aber ein Highlight. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN, die ich bei der Bäckerin in Porto Roses kaufte, entdecken wir unser Foto. Einen Bericht über uns und unsere Reise. Ein Highlight nach BILD und SÜDDEUTSCHER, die über unseren Törn berichteten.

Gegen halb drei legen wir ab. Sunnyboy Felix macht Aufnahmen mit uns im Hafen, für den Film. Es dauert. Aber alle sind mit Spaß dabei. Verflogen ist die Seekrankheit. Der Stolz überwiegt, etwas Großartiges durchgestanden und zu einem guten Ende gebracht zu haben. Die Crew: sie ist zusammengeschweißt. Fremde, die sich noch vor wenigen Tagen nicht kannten. Sich wahrscheinlich im Büro nicht ansehen würden: Sie sind jetzt ein Team.

Als es am lichtlosen Spätnachmittag zu dunkeln beginnt, übernehme ich von Marc die Wache. Meine Crew ist schon oben, Hauke Susanne kommen dazu. Sie hören in ihren Kojen unsere Gespräche, wollen teilnehmen. Sitzen mit uns, obwohl sie wachfrei haben zusammen. Felix dreht sein Zigarettchen. Filmt. Ulkt. Die Nacht ist unglaublich. Ein steter Wind aus raumschots treibt uns an der spanischen Küste entlang nach Westen, drei Leuchttürme zählen wir, die uns in der Dunkelheit und Kühle der Nacht wie Freunde vorkommen. Als es zehn ist: singen Andrea und Susanne. Beide haben wunderschöne Stimmen. Jeder darf sich ein Lied wünschen. Das sie dann zu zweit singen. Leider kennt nur Susanne mein Lied: THIS IS MY PLAYGROUND von MADONNA. Also singt sie allein. Das Lied kenn ich zwar nicht mehr: aber ihre Stimme in der Nacht, über dem Meer ist schön. Und als uns die Lieder ausgehen: singen wir noch ein WHAT SHALL WE DO WITH THE DRUNKEN SAILOR, bevor wir im Schutz der Nacht gegen halb zwölf in den Hafen von Bandes einlaufen und festmachen.

Das Leben: es ist schön, auf dem Meer.