Vor vielen Jahren schrieb ich über eine Silvesternacht im Hafen von Piran:
„Als ich im Hafen stand gestern Nacht,
kalt, auf der Pier vor den vertäuten Segelbooten,
das warme Licht darin,
war es nicht etwa so, dass ich mir dachte:
„Wie schrecklich!“ Sondern:
„Wie schön müßte das sein, im Winter hier segelnd unterwegs zu sein!
Abends in kleinen Häfen zu liegen.
Mich auf eine heiße Suppe und Licht zu freuen.
Ich habe diese Segler beneidet. Das täte ich gerne.“
Tatsächlich besitzt es großen Reiz, im Winter auf dem Meer zu sein. Tagsüber ein bisschen Sonne zu spüren. Nachts auf dem gemütlichen Boot.
Aber wie ist das nun wirklich, mit Kälte, mit Licht, mit warmen Essen?
Jedes Jahr überwintern im südtürkischen Finike an die 20, 30 Segler. Engländer. Schweden. Franzosen. Kanadier. Deutsche. Ein buntes Häufchen. Meistens Pärchen. Leben den Winter über auf ihren Booten. Sitzen tagsüber in der Sonne lesend in der Plicht. Sind unterwegs mit Fahrrad, um im Ort etwas zu besorgen. Treffen sich zum gemeinsamen Barbecue am Sonntag im PORTHOLE, einem Raum, eher ein Zelt, das die Marina-Leitung für die Segler aufgestellt hat.
Wie ist das wirklich, der Winter auf dem Meer? Hier ein Bericht über das Überwintern auf dem Meer im südtürkischen Finike.
1. Wetter, Wärme, Wind und Wellen.
Antalya, von dem Finike etwa 70 Seemeilen entfernt ist, ist Synonym für Sonne & Wärme. Erstaunliche Erfahrung ist: Soooo anders als im weit nördlicher gelegenen slowenischen Piran oder auf Mallorca ist das mit Sonne & Wärme in Antalya nicht. Für alle drei genannten Orte gilt:
Scheint die Sonne im Januar oder Februar tagsüber, hat es schnell 12 oder gar 15 Grad erreichen. T-Shirt-Wetter. Wenn der Wind nicht bläst. Bläst er, ists oft ganz schnell vorbei. Oder wenn die Sonne den Zenit überschritt. In Izola pflegten meine slowenischen Bootsnachbarn, fast Dauerlieger, im Februar kurz vor 16 Uhr mit Blick auf die Sonne zu sagen: „Noch zehn Minuten. Dann wirds kalt.“ Und so ist es: Gleich ob in Antalya, Mallorca oder Izola: der Wechsel von „T-Shirt auf kalt“: er vollzieht sich in Minuten.
Der schnelle Wechsel: Das gilt auch für den Wind in der Südtürkei. Eben noch preisen Martine & Michel, meine kanadischen Bootsnachbarn, den Tag ob des warmen Sonnenscheins als „journee extraordinaire“, als es keine Minute später eiskalt aus Südwest mit 6bft. pfeift. Und man sich lieber wieder ins warme Bootsinnere verholt und auch gleich das Steckschott einsetzt. Alles ist nur Vorspiel für einen noch kälteren dreitägigen Nord, der selbst in den Hafen Schneeflocken weht und Schauer körnigen Eises treibt.
Leben mit schnellen Wechseln. Und diesen schnellen Wechsel sind auch die Wetterberichte nur bedingt gewachsen. Die Wettervorhersagen von Internet-Seiten, so detailliert sie sich geben, sind oft Makulatur. Erfahrungen und wie es übers Wetter aussieht: tauschen die Segler jeden Morgen um 9 Uhr über den Funk aus.
Hinzu kommen in der Türkei von Januar bis März längere Regenperioden. Zwei, drei, vier Tage mit prasselndem Regen, den der Südwind bringt. Der ist zwar wärmer, erreicht aber ganz gerne auch Sturmstärke. Das Video von Martine & Michel zeigt, wie das Leben des Seglers auf dem Boot auch mal sorgenvoll wird.
Leben im Winter auf dem Boot: Noch mehr als im Sommer ist die Lebenskunst gefragt, anzunehmen, was kommt. Und das Beste daraus zu machen.
2. Der sichere Hafen.
Hafen. Das ist etwas, was der Segler mit Sicherheit verbindet. Gleichgültig, ob beim „Hardstand“ an Land oder beim Liegeplatz im Wasser: Es lohnt sich, vor dem Platz zum Überwintern den Ort seiner Überwinterung etwas genauer anzusehen:
Wie geschützt ist der Hafen bei jeder Windrichtung?
Wie sehr ist die Marinaleitung auf Zack:
• Wie gut ist die Security?
• Sind die Marineros bei Sturm auf der Pier unterwegs? Schauen Sie bei Sturm nach den Festmachern? Belegen sie auch doppelt? Fassen Sie überhaupt Festmacher an?
Nicht in jeder Marina ist das selbstverständlich. Manche Hafenkapitäne lehnen es auch ab, Hand an die Boote zu legen. Weil mancher im Schadensfall ein „Na-Ihr-habt-doch-das-Schiff-zuletzt-vertäut…“ fürchtet.
Danach die Facilities in der Marina: Saubere Wasch- und Toiletten-Anlagen? Warmwasser im Winter? Wo kann man Wäsche waschen? Gepriesen sei in Finike das örtliche Hamam im Winter. Herrliche Stunden in wärmenden Dampfschwaden nach einem kalten Tag an Deck. Geschrubbt von oben bis unten von Hassan, dem Badeknecht.
Auch die Infrastruktur am Ort ist wichtig, fürs Überwintern. Während im sommerlich überlaufenen Mallorca im Winter die Bürgersteige hochgeklappt werden, die Infrastruktur in Häfen wie Alcudia, Pollensa oder Sollér mangels Touristen fast gänzlich eingestellt werden, funktionieren Orte wie Marmaris oder auch das kleine Finike unbeeindruckt weiter. Busse gehen. Restaurants sind geöffnet. Läden ausnahmslos auch. Orte, die funktionieren, weil sie nicht ausschließlich auf Tourismus ausgerichtet sind.
3. Die Kosten.
Für LEVJE’s 31-Fuß kostet der Halbjahres-Winterliegeplatz etwa 1.300 Euro, pro Monat also etwas mehr als 200 Euro. Mit einrechnen muss man aber das Frühjahrsende: Das Kranen (in Finike mit etwa 370 Euro) sowie die „Anschlußzeiten“ nach Auslaufen des Halbjahresvertrages: 14 Tage werden hier dann zum Tages-Liegepreis abgerechnet: noch einmal 350 Euro.
Die Lebenshaltungskosten sind in einer Kleinstadt wie Finike deutlich günstiger als in der 1,6 Millionen-Metropole Antalya. Gehobenes Abendessen mit frischem Fisch, Wein, Dessert zwischen 15 und 25 Euro. Einkauf im Supermarkt oder auf dem Markt: ebenfalls vergleichsweise günstiger.
Kosten für Mobilität: ein kleiner Leihwagen in Finike kostet pro Tag 50 € bis 60 €. Wer sich im Internet umschaut, bekommt am Flugplatz von Antalya fürs selbe Geld denselben Leihwagen: für eine ganze Woche.
Fazit: Derart Reisen ist – je nach Vorlieben – für deutlich unter 1.000 Euro im Monat zu haben.
Neue „Spielsachen“ wie Bootszubehör aus’m Internet nicht eingerechnet.
4.Das Leben im Winter.
Und wie ist es nun, das Leben im Winter auf dem Boot? Mit Kälte, mit Licht, mit warmem Essen?
Tatsache ist: das Leben ist schön trotz mancher Unbill für den, der das Leben auf dem Boot liebt. Und der über tagelanges Geschaukel unter Deck im graukalten Schlechtwetter hinwegsehen kann.
Tagsüber: die Sonne. Das in der Sonne sitzen und sich freuen an den schneebedeckten Bergen im Hintergrund, an den Farben des türkisblauen Meers. Am satten Grün der Wiesen, wenn man durch vergessene antike Stätten wie das Myra des heiligen Nikolaus oder Limyra streunt.
Überhaupt: wem Entdecken und Reisen außerhalb der Saison eine Freude ist, dem ist dieses Leben trotz mancher Entbehrung ein Genuß. Kaum jemand ist unterwegs, egal ob Strand, Museum oder antike Bauwerke: Man genießt den Reiz nicht überlaufener Orte, bewegt sich mit und unter denen, die an diesen Orten leben. In der Antike: Bin ich ganz allein.
Und Abends, wenn es kalt wird, die Steckschotten zugemacht.
Petroleumlampe angezündet.
Linguine a lo scoglio gekocht mit dem, was es heute bei einem der drei Fischhändler auf dem Markt zu kaufen gab. Und hinterher auf dem warmen Boot lesen und Schreiben.
Noch mal kurz raus ins Cockpit, mit einem Bier, einem Whisky in der Hand in den unglaublichen Sternenhimmel schauen.
Und beim Einschlafen den Wellen lauschen, im kalten Wind an der Bordwand glucksen.
Hat schon was.