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Menschen am Meer: Ankermanöver im Gewitter. Oder: Warum mache ich das alles?


    Wolken, die sich nach oben entwickeln: ein untrügliches Zeichen, dass Gewitter entstehenkönnen.                                     
     Das Foto zeigt die Wolken am Himmel gestern östlich von Marmaris.

Die Türkei im Oktober ist anders, als ich sie von meinen bisherigen Törns im August und im September kenne. Die Sonne geht früh unter. Um halb sieben wirds dunkel. Wenig Wind. Das Wasser ist immer noch sehr warm. Die Luft ist kühl. Und gestern, beim Ablegen in Marmaris, da quoll es am Himmel im Osten fröhlich vor sich hin: Aufsteigende Quellwolken. Wolken höher als breit. Aufziehende Gewitter.

Mein Weg führte mich zunächst fort von den Gewitterwolken, die über dem Festland stehen. Nach Süden, durch die Ausfahrt aus der großen Bucht von Marmaris, zwischen den Inseln Keci und Yildiz hindurch. Und dann langsam nach Osten, parallel zur Bergkette im Norden. Und den darüber munter vor sich hin quellenden Wolken.

Mein Tagesziel ist die Bucht von Ekincik, knapp 20 Meilen von Marmaris entfernt. Ein vier Stunden-Schlag. Ankunft kurz vor Anbruch der Dunkelheit. Jeder kennt Ekincik: ist es doch der Startpunkt für die wunderbaren Ausflüge den Dalyan-Fluß hinauf, durchs Schilfröhricht in vielen Windungen unter den lykischen Königsgräbern entlang.

Ekincik kenne ich. Eine weite Bucht mit gut haltendem Sandgrund. Als Einhand-Segler ist mir manchmal der „G-Faktor“ (darüber schrieb ich früher), der Aufwand, mit der Landleine einfach zu groß. Also eine weite Bucht. Wo man ankern und schwoien kann. Ohne Landleine. Eben Ekincik.

Gegen sechs passieren wir die Einfahrt in die Bucht von Ekincik. Noch zweieinhalb Seemeilen, eine halbe Stunde bis zum Ankerplatz vor dem Dörfchen. Aber der Himmel vor mir sieht mittlerweile bedrohlich aus. Aus dem aufquellenden Weiß ist mittlerweile eine tiefgraue Front geworden, Blitze zucken aus der grauen Masse in die Berggipfel genau vor mir. Ich ziehe meine gelbe Segeljacke an, es sieht nach Platzregen aus, noch bevor wir unseren Ankerplatz erreichen. Ich gebe Levje’s Motor noch mal die Sporen, Levje brummt brav durch die ersten Windböen, die fallen aus Norden, aus dem großen Grau die Berghänge herunter. Gottseidank, dann sind wir hier geschützt. Die Böen nehmen zu. Noch 15 Minuten. Die ersten Tropfen. Fette Wassertropfen, die auf der Haut zerplatzen, groß wie Hagelkörner. Sind aber nur Wassertropfen. Noch 5 Minuten. Gleich da vorne, wo zwei andere Segler liegen. Schlagartig wird der Regen zur Wand. Die Hose ist im Nu nass. Gerade noch kann ich die beiden ankernden Segler kennen, wir gehen zwischendurch, der Regen wird immens, ein Eimer lauwarmen Wassers, der da über Levje und mir ausgekippt wird aus den eiskalten Windböen. Rundherum donnert es. Aber Levje spurt brav, wir gehen in den Wind, Anker fällt, obwohl ich ihn in Donner und rauschendem Regen nicht mehr höre, grelle Blitze zucken durchs Grau, wir ziehen rückwärts, 15 Sekunden, 20 Sekunden, 25 Sekunden: 25 Meter Kette draußen, das sollte reichen. Noch mal richtig rückwärts Gas geben, ob Levje’s Anker auch wirklich hält in den stärker werdenden Böen, jetzt schießt sie hin und her – aber: der Anker hält. Motor aus. Schnell unter Deck gespurtet, die tropfnassen Sachen aus, unter Deck stehe ich schnell in einer Pfütze.

Ich sitze im Niedergang. Beobachte das Wetter. Die Blitze, die jetzt im Sekundentakt rings um Levje durch die graue Wand schmettern, unmittelbar von Donnerschlägen begleitet. Der Regen prasselt auf Levje nieder, manchmal sind Blitz und Donner eins, so nah ist das Unwetter um uns herum, das Boot ruckt hart in den Anker ein. Wahrlich: kein Ort um sich wohlzufühlen. Kein Platz, an dem man gerade jetzt gerne sein möchte. Oder?

Vor vielen Jahren begann mein Freund Anderl einen Roman. Und der begann mit dem bemerkenswerten Satz: „Sehnsuchtsvolle Menschen leben dort, wo ihre Sehnsüchte genährt werden.“ Nicht dass meine Sehnsucht nach den grell um uns herum gleissenden Blitzen ginge: Bewahre. Aber ich fühle mich wohl auf meinem Boot. Mein Sitzplatz auf der Holztreppe, ist vom Motor wunderbar warm. Ich hole mir ein Bier. Schaue hinaus ins rauschende Grau. Die Blitze. Vermisse nichts in diesem Augenblick. Habe Vertrauen zu meinem Boot. Und den Elementen, obwohl sie toben. Alles ist richtig. Und gut so, wie es ist.

Wieder einmal frage ich mich: Warum mache ich das alles? Dazu fiele mir vieles ein. Aber wenig, was den Nagel mitten auf den Kopf träfe. Vielleicht nur dies: Dass das menschliche Herz ein einsamer Jäger ist. Und gut ist für Überraschungen. Nur zuhören muß man ihm, seinem Herzen. Im Getöse des Gewitters. Aber vor allem: im lautlosen Getöse und Gedonner und Gelärme dessen, was wir unseren „Alltag“, unser Leben nennen. Eben das, was wir jeden Tag machen. Und gut machen. Wenn wir dann zuhören: Dann – kommt schon was. 

„Sehnsuchtsvolle Menschen leben dort, wo ihre Sehnsüchte genährt werden.“

Ekincik? Nie gehört! Wo ist das? Genau hier!

Unter Segeln: Im Gewitter.

„Ist es gefährlich, im Gewitter zu Segeln?“, fragte ein Leser die Redaktion der ZEIT am vergangenen Wochenende. Eine gute Frage. Und die Antwort der sonst kompetenten ZEIT-Redaktion zeigt, wie ratlos nicht nur Segler, sondern auch Redakteure dem Phänomen Gewitter gegenüberstehen.
 
Zum einen: Gewitter ist nicht gleich Gewitter. Was nach schwerem Unwetter aussieht entlädt sich manchmal in einem heftigen Platzregen. Manchmal sind es schwere Böen, die dem Segler zu schaffen machen. Wieder andere Unwetter bescheren dem Reisenden auf See stundenlanges Fahren unter Blitz und Donner – auch keine schöne Erfahrung.

Hinzu kommt, dass Naturgewalten auf dem Meer unmittelbarer, beeindruckender wirken als in den eigenen vier Wänden oder im Auto. Und selbst ein Gewitter auf freiem Feld ist oft kein Vergleich zu dem, was derjenige auf See erlebt, dem ein Gewitter begegnet. Lediglich das, was Bergsteiger über Gewitterphänomene in den Bergen berichten, gleicht den vielfältigen Eindrücken und Herausforderungen, vor die ein Gewitter denjenigen stellt, der sich segelnd auf dem Meer herumtreibt.
 

    Kommt  was? Oder kommt nix?

1. Vor dem Sturm: Gewitter erkennen.
Erkennen, wann es gewittrig wird, ist im Umgang mit Unwettern schon die dreiviertel Miete. Bis eine Yacht ganz allein auf der Gewitterreichen Nordadria – wie im Bild oben – einer Gewitterfront ohne Chance auf Entkommen gegenüber steht, vergeht etwas Zeit. Selten kommt ein Gewitter überraschend. Kaum eine Gewitterfront, die von den Wetterdiensten nicht Tage vorher angekündigt wird. Aber vor allen technischen Hilfsmitteln kommt es auf das eigene Beobachten an. Denn meist gibt das Wolkenbild rundherum stundenlang vorher schon guten Aufschluss, ob etwas vor sich geht. 

Meine einfache Faustregel – und sie gilt für Stadt, Land, Meer:

„Sind die Wolken höher als breit:
Schau rundrum. Und sei bereit.“ 


    Wolken in Korfu am späten Vormittag: Sie sind unscheinbar, aber ihre Entwicklung ist eindeutig „höher als breit“. Am frühen Nachmittag desselben Tages hat sich dann dies daraus entwickelt:

    Zwei Gewitterzellen. Jetzt heißt es: beobachten. Die rechte der beiden ist bereits im Begriff, nach oben nach links „auszuwehen“: Das sieht nach „Entwarnung“ aus, ihre Ränder sind nicht mehr „pilzartig“ scharf konturiert wie am rechten Rand der linken Zelle.

Diese Faustregel sagt einfach: sobald sich die Wolkenentwicklung „in die Höhe“ richtet, Wolken „quellen“, sollte man Wetter und Wolken ständig beobachten. Und ständig rundum Ausschau halten. Wo entsteht etwas? Wo bilden sich Quellwolken? Und: entstehen aus einfachen Quellwolken großräumige Gewitterzellen? Und wo bewegen sie sich hin?

Hat sich tatsächlich eine Gewitterzelle gebildet: Zugbahn beobachten: Kommt mir das Ding in die Quere? Und: wenn es meinen Kurs voraussichtlich kreuzt: wird es auf seiner Zugbahn noch stärker („größer“, „dunkler“, „bedrohlicher“)? Oder weht es aus?

2. Gewitter voraus
Hat sich ein Gewitter entwickelt und liegt es auf meinem Kurs, gibt es drei denkbare Verhaltensweisen:

1. „Drum-herum Segeln“.
Immer wieder gerne in solchen Situationen diskutiert. Hat aber noch nie funktioniert. Scheidet als Möglichkeit aus. Gewitter sehen aus Distanz aus wie „lokale Gebilde“, ähnlich Möbelwagen. Sind sie aber nicht. Sondern großräumige Vorgänge in riesigen Dimensionen. Möbelwagen kann man umfahren. Bewegliche Alpen-Bergmassive nicht.

2. Ankern. Abwarten. Vorbei ziehen lassen.
Schon besser. Ist das Gewitter voraus und seine Zugrichtung quer zum Kurs und nicht geradewegs auf das Schiff zu: kann das klappen. Halbwegs geschützte Bucht suchen. Noch besser: Hafen. Anker fallen lassen. Gewitter den Vortritt lassen. Wetter beobachten. Nach zwei, drei Stunden weitersegeln. 
Der Haken: wo ein Gewitter entsteht, entsteht manchmal auch gleich ein zweites. Und: Für dieses Verfahren muss die Zugrichtung ausgeprägt klar erkennbar sein. Und da lehrt ein gewitterreiches Gebiet wie die Nordadria gelegentlich anderes. Erst Gewitterfront von Nord nach Süd. Dann unmittelbar mit dem Schiff mitziehendes Gewitter von Süd nach Nord.
Also: für dieses Verfahren: muss glasklar die Zugrichtung des Gewitters erkennbar sein.

    In diesem Fall funktionierte die Methode „vorbei ziehen lassen“. Aber nur deshalb, weil die Zugbahn des Unwetters klar erkennbar war. Und eindeutig 90 Grad zum eigenen Kurs betrug.

3. „Da fahren wir jetzt einfach durch“.

Irgendwann kommt für den, der sich einem Gewitter nähert, der Punkt, wo man den Dingen ins Auge schauen muss. Und unabänderlich erkennt: 
„Es wird größer. 
Es kommt genau auf uns zu. 
Es ist unabänderlich.
Wir müssen da jetzt durch.“ 



Ich war früher ein großer Verfechter der Methode „Durchfahren“. Segel runter. Alles festbändseln. Schwimmwesten und Lifebelts an. Letzte Position in Seekarte eintragen. Motor an. Geradewegs durch. Manchmal kommt man damit buchstäblich „gut durch“: Ein paar Momente heftige Böen. Ein gewaltiger Guss. Und in 20 Minuten ist alles vorbei. 
Die Unwetterfront auf dem allerersten Bild hat mich da aber anderes gelehrt. Demut, vor allem. Gewitter ist nicht gleich Gewitter. Und Gewitter ist keineswegs nur „hoffentlich schlägt der Blitz nicht in den Mast“. Anderes ist da mindestens ebenso bedrohlich:

– Sicht: Das Juli-Unwetter auf dem allerersten sowie den beiden letzten Fotos währte über eine Stunde. Über eine Stunde „Sicht null“ im dichten Regen. Zeitweise Hagel. Zwei Yachten, vorher auf Parallelkurs zur Küste, waren nicht mehr erkennbar. Bis eine, mitten im Starkregen, ungefähr 20, 30 Meter vor meinem Bug vorbei schoss. Nicht gut.

– Wind: Die Front brachte enorme Windböen mit sich. Sie drehten immer wieder Levjes Bug aus dem Wind – und einfach in die Gegenrichtung, trotz starkem Motor. Ein „Kreise fahren in unsichtigem Wetter“. Nicht gut.

– Hagel: Ruder gehen war zeitweise wegen der Größe der Hagelkörner, die den Verklicker zerstörten, nicht mehr möglich.

– Regen: Starkregen führte zum Ausfall meines Autopiloten: Der Wartungstechniker von RAYMARINE stellte später einen „starken Wassereinbruch“ fest, der die Platine sofort zerstörte.

Spätestens diese Beispiele eines heftigen Unwetters führen vor Augen: Wenn es grell blitzt und laut donnert: Gefahren drohen von ganz unterschiedlicher Seite. Ich spare es mir hier, die guten alten Regeln aus der Segelschule zu wiederholen, die heißen: Keine Eisenteile anfassen.

4. „Ab in den Hafen.“
Am besten: gar nicht erst rausgehen! Schon richtig. Aber: wer chartert, der will seine 14 Tage segeln. Wer sich mühsam eine Woche Urlaub erkämpft hat, auch. Und nicht womöglich aus einem Hafentag drei werden lassen. Oft ist die Situation nicht so eindeutig. Zwischen „Das geht schon!“ und „Wir bleiben lieber im Hafen“ liegen oft nur „Millimeter“. 

    Eine 60-Knoten-Böe: Sie legte selbst große Zweimaster flach aufs Wasser, verdrehte Rollgenuas in Sekundenbruchteilen zu „Sanduhren“. Sie hinterließ: zerfetzte Vorsegel, abgedeckte Hausdächer, im Hafenbecken treibende Dinghis und Cockpitpolster: Die Bilanz des Juli-Unwetters 2010, dessen zweite Hälfte wir im vermeintlich sicheren Hafen von Umag an der Boje abwetterten.

5. Gewitter nachts, vor Anker.
Meistens beschränkt sich meine Aktivität aufs „Auszählen“: Kommt das Gewitter näher – oder zieht es vorbei? Die gute, alte Methode des „Wieviele Sekunden vergehen zwischen Blitz und nachfolgendem Donner?“ hat seit den Kindertagen nichts an Wirksamkeit und Effektivität verloren. Und ist ein untrüglicher Warner. Danach: sehen, was kommt.

6. Technische Hilfsmittel und Wetterberichte
Der kroatische Seewetterbericht hats. DWD oder Poseidon habens nicht: Warnungen vor regionalen Gewittern. Meist ist der Blick in „Wald- und Wiesen“-Wetterberichte wie Wetteronline da schon ganz hilfreich.
Besondere Hilfsmittel sind die Satellitenaufnahmen, wie sie zum Beispiel sat24.com anbieten. Hier eine Satellitenaufnahme mit Blitzhäufigkeit über Südeuropa am heutigen Nachmittag:

Klar erkennbar die beiden „Unwetterzentren“ Norditalien und vor allem: türkische Südküste. Nchteil an Sat24.com: Die Bilder zeigen rückwirkend, wo es geblitzt HAT. Sie zeigen aber nicht, wo es blitzen WIRD. Ein Anhaltspunkt aber ist das schon mal.

Unter Segeln: Vor Antiparos. Oder: Wenn der Meltemi launenhaft wird.

Links im Bild die unbesiedelte Insel Despotiko. Voraus Antiparos. Und rechts dann schon Paros:
Segeln im ablandigen Meltemi.

Stellt man sich die Fläche der Ägäis vor wie ein Wagenrad und die der ägäischen Inselwelt nächstgelegene Festlande – Peloponnes, Attika, die türkische Küste – als äußere Begrenzung des Rades: dann ist Paros praktisch die Nabe dieses Wagenrads und dessen Mitte. Bis zum Peloponnes ist es genauso weit wie bis zur türkischen Küste. Oder bis nach Athen. Und wer nach Norden will, der kommt fast trockenen Fußes über die eng beieinander liegenden Inseln Mykonos, Tinos und Andros in den Hafen der griechischen Hauptstadt.

Auf meinem fast 35 Seemeilen langen Tagesschlag von Kimolos herüber will ich in die Bucht Ormos Despotiko, wie die gleichnamige Insel, westlich von Paros. Schon auf der Karte ein wunderschönes Fleckchen: Groß. Geräumig. Nach Norden gut gegen den Meltemi geschützt. Mit flachen Wassertiefen und weithin gutem Ankergrund. Auf meinem Weg dahin liegen nur Siphnos und eine Handvoll kleiner Eilande: Die Nisos Strongylo, der einsame westlichste Ausläufer von Paros, vor dem auch das Video entstand. Dann Despotiko, mit seiner im Sommer wunderschönen, aber leider überlaufenen Ankerbucht ganz im Süden. Und dann kommen auch schon Antiparos und die zwei Großen: Paros und Naxos – und damit habe ich auch schon die Hälfte der Ägäis durchmessen.

Das Video zeigt fast wie ein Lehrbuch auch einige Wind- und Wellenmuster, wie sie für die Ägäis im Spätsommer typisch sind. Neben dem Ritt im fauchenden Meltemi, wie ich ihn in einem früheren Video aufgenommen habe, gehört zum Segeln in der Ägäis auch dies: Hat man am späteren Nachmittag, wenn der Meltemi auffrischt, die Inseln erreicht und segelt in ihrem Windschatten, dann: ist es ein Segeln wie auf einem See. Die Wellen sind schlagartig weg. Das Wasser ist eben und glatt, wie ein Brett. Das Boot gleitet dahin, nichts unterbricht Levje’s leises Schnüren in den Wellen. Und nur die Böen, die von den Hügeln von Stongylo aufs Wasser fallen und Levje erst beschleunigen, gelegentlich aufs Wasser legen und zuletzt in den Wind drehen lassen: sie erinnern daran, dass der Meltemi ein launenhafter Hausherr ist: immer gut ist für Überraschungen, wenn man ihn, wie ich, „links“ und ablandig liegen läßt.

Wo liegt denn jetzt eigentlich Antiparos? Hier. Und meine Route an diesem Tag ist auch mit eingezeichnet.

Von Menschen und von Schiffen: Das große und das kleine Beiboot. Oder: Wieviel Dinghi braucht der Mensch?

Rudern im Sonnenuntergang vor Antiparos: Nicht jedermanns Sache, zugegeben. Aber mein großes Vergnügen. Und dafür: Braucht man ein Dinghi.

Manche mögen’s groß: Mit PS-starkem Außenborder hat ein richtiges Beiboot unbestreitbar Vorteile: Mal abgesehen vom Komfort, erhöht es die Reichweite ungemein. Man kann damit einfach kilometerweit abgelegene Buchten und Sandstrände ansteuern. Flachgehende Flüsse und Kanäle erkunden. Orte erreichen, die für Yachten unerreichbar sind. Anlanden, wo keiner anlandet. Buchteln, wo keiner buchtelt. Und cool aussehen tut so ein brausendes Ding auch.

Für mich war ein großes Schlauchboot, das die Italiener liebenswerterweise „gommone“, den „großen Gummi“ nennen, nicht erstrebenswert. Erstens muss ich zusehen, dass ich Dinghi und Accessoires wie Bodenbretter, Riemen, Blasebalg auf Levje’s 31 Fuß unauffällig stauen kann. Ich habe nur eine Backskiste. Zweitens rudere ich gern – wahnsinnig gern. Meine Frau liebt mich, wenn ich  sie im Mondschein auf dem Rückweg vom Abendessen über die Bucht rudere. Wenn ihre Hose dabei nass wird, liebt sie mich nicht mehr so arg. 

Mein wichtigstes Argument bei meiner Entscheidung für ein kleines Dinghi ist, was ich den „G-Faktor“ nenne. Das „G“ in „G-Faktor“ steht für das schöne bayrische Wort „Gschiss“. „Gschiss“ kann man übersetzen mit „Aufwand“: „Fui Gschiss“ = „viel Aufwand“. „Koa Gschiss“ = „kaum Aufwand“. Entsprechend bedeutet  „Hoher G-Faktor“: „ich muss viel Zeit & Mittel aufwenden“. „Niedriger G-Faktor“: „ich muss wenig Zeit & Mittel aufwenden“.

Da wir Menschen unser Leben, so erstrebenswert das wäre, nicht nur mit Dingen mit niedrigem „G-Faktor“ wie „Zeitung von gestern lesen“ oder „Banane vom Baum essen“ füllen können: bauen wir in unser Leben Sachen mit „hohem G-Faktor“ ein. Wir gehen ins Kino. Wir essen im Restaurant. Wir fliegen in die Karibik. Wir haben einen tollen, aber stressigen Job. Wird uns alles zuviel: kaufen wir uns ein Buch mit dem Titel „Simplify your Life.“ 

Gelegentlich bauen wir auch Dinge mit sehr, sehr hohem „G-Faktor“ ein: Wir kaufen uns einen englischen Oldtimer, einen netten TR4. Wir bearbeiten & archivieren & retten unersetzliche Kinder- und Urlaubsfotos. Wir Paragliden. Oder Tauchen. Oder gehen Segeln. Oder – um den „G-Faktor“ auf die Spitze zu treiben – wir lachen uns ein Segelboot an. Unendlich hoher „G-Faktor“!

Aber auch ein Segelboot selbst kann man mit „hohem G-Faktor“ oder „niedrigem G-Faktor“ betreiben. Ein richtiges „Gommone“ mit PS-starkem Außenborder bedeutet hohen „G-Faktor“: Das Boot, es ist schwer. Man braucht das Spifall oder gar den Spibaum, um es ins Wasser zu lassen. Manchmal muss man auch Davits dafür montieren. Es dauert, bis es im Wasser ist. Und wieder draußen. Die Jongliererei mit dem Außenborder ist Kraftakt mit höchstem G-Faktor. Manche haben an den Davits ein kleines Kränchen montiert. Der Außenborder muß einmal im Jahr gewartet werden. Meist tuts ja Tausch der Zündkerze. Plus durchspülen. Plus Gaszug abschmieren. „G-Faktor“! 
Ich habe mir deshalb das kleinste Zwei-Mann-geeignete-Dinghi zugelegt, das der Hamburger Versender mit dem A im Angebot hatte. Es hat 1 klitzekleines Packmaß. Es ist in 7 Minuten aufgepumpt. Es ist in 3 Minuten im Wasser und starklar. Und in 4 Minuten aus dem Wasser und fest auf dem Vordeck vertäut. Ich rudere damit, wenn es sein muß, allein auch mal 1, 2 Kilometer über die Bucht. So wie auf dem Bild oben, mit dem mich Berthold von der SY KARO vor ein paar Tagen überraschte, dem ich ganz herzlich dafür danke. Im Sonnenuntergang vor Antiparos, allein rudern: ganz viel Spass; ganz niedriger „G-Faktor“. 

Aber leider: wie jeder Bootsbesitzer träume auch ich von meinem nächsten Boot. Das ist selbstverständlich größer. Selbst vor meinem unschuldigen Zwei-Mann-Dinghi kennen meine Träume kein Erbarmen. Wenn ich könnte wie ich wollte … dann: hätte ich ja gerne wieder von Bruno Maitre das NAUTIRAID CORACLE 190. Das hatten wir mal als Dinghi. Es war Klasse. Meine Frau würde mich lieben, wegen des Mondscheins. Nur der Aufbau, der dauert 20-25 Minuten. Und die dicke 2,10 Meter lange Wurst-Verpackung – wo  kann man die denn stauen? Und alle 3 Jahre muss es lackiert werden, mit Klarlack. Damit der schön hält, 5-6 mal. Nach Zwischenschliff, versteht sich.

Wie gesagt: Der Trend geht im Leben immer zum höheren „G-Faktor“. 

Ich glaub‘, ich lass es. Spaß gibt’s auch einfacher.

Tage wie dieser – 191 Tage später

Es ist vollbracht. Am Sonntag den 05.10.14 um 1457 habe ich  nach 191 Tagen mit der Nonsuch in Kappeln festgemacht. Der Segelsommer ist vorbei, die Ostsee ist bereist.

Aber der Reihe nach. Nach meiner Nacht vor Anker in der Flensburger Förde wollte ich noch einige Tage verbringen bevor ich zur Schlei ziehen würde. Also ging es zunächst noch mal zurück in die dänische Südsee nach Birkholm und von dort nach Laboe. Über diese Tage werde ich erst mal nichts schreiben, denn sie dienten das erste mal ganz nur mir selbst zum Sammeln der Gedanken.

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Außer eine Gegebenheit, die ich euch natürlich nicht vorenthalten kann: Am 03.10 habe ich auf dem Weg nach Laboe nämlich das erste Mal meine Kurslinie aus dem April gekreuzt. Ich segelte bei herrlichen leichten Winden der Kieler Förde entgegen, als auf dem Plotter plötzlich diese rote Linie quer vor mir auftaucht: Meine Kurslinie. Obwohl es herrlicher Sonnenschein ist, ist in meinen Gedanken schlagartig Nacht. Ich denke nämlich zurück an die Nacht, als ich hier im Stockdunklen den Großsschifffahrtsweg kreuzte, wie die Positionslaternen der Frachter wie an einer Perlenschnur entlangzogen, wie ich durch die Hohwachter Bucht Kurs Wismar gesegelt bin. Das Ganze ist 6 Monate her. Aber mir kommt es vor, als wäre es erst gestern gewesen. Aus dem Kopf weiss ich das Wetter und Barometerstand von damals, wie ich mich auf die Fahrt ins Ungewisse gefreut habe, wie ich die kalte Nacht durchgefahren bin. Solche Gedanken kommen mir in den letzten Tagen immer öfter. Ich fühle mich, als wäre ich gerade mal 3 Wochen unterwegs, so lebendig sind alle Erinnerungen. Und doch fühlt es sich an, als würde ich nach einem ganz normalen Wochenendtörn aus Dänemark zurück kommen. Alle Erinnerungen kommen nur hin und wieder mal hoch, doch dann sind sie so klar als wäre es gestern gewesen. Ich frage mich ganz ernsthaft nicht nur einmal, ob ich das letzte halbe Jahr vielleicht geträumt habe.

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Von Laboe geht es dann auf den letzten Einhand-Tag nach Eckernförde. Und noch einmal beschert das Wetter mir einen Segeltag wie man ihn sich besser nicht vorstellen könnte. Schöne 5 Beaufort Halbwind bis Raum, konstant über 6kn auf der Logge, so geht es in die Eckernförder Bucht. Auf einmal ist auch wieder viel auf dem Wasser los. Alle deutschen Segler zieht es zum langen Einheitswochenende noch mal aufs Wasser. So viele Yachten habe ich seit Stockholm vor genau 2 Monaten nicht mehr gesehen. Funfact nebenbei: In 6 Monaten Ostsee wurde auch nie so viel Blödsinn über den UKW-Funk gesendet. “Seemöwe, Seemöwe, hier ist Carpe Diem, bitte kommen. over. – Ja der Skipper ist grad pinkeln, hier ist Ilse, kann ich dir auch weiterhelfen?”. In der Fülle gabs das nirgendwo so, was mir durchaus den Einen oder Anderen kleinen Lacher entlockt. Ich fühle mich wohl.

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Irgendwie freue ich mich aber auch wieder viele deutsche Segler zu sehen. Denn auch wird sich nirgendwo so viel zugewunken unter Sportskameraden. Auch so eine schöne kleine Tradition. Und beim Anblick meiner Gastlandflaggen sind auch immer wieder hochgehobene Daumen, Grölen, Rufe, und sogar einmal klatschen dabei. Ich freue mich. Eigentlich war ich ja nur 6 Monate segeln und habe nichts Besonderes gemacht, aber doch wärmt es einem irgendwie das Herz. Auch in Eckernförde kommen schnell viele Gespräche zusammen.

Ich hab aber erstmal richtig zu tun. Schnell aus dem Ölzeug gepellt (es hat über 20 Grad an diesem 4. Oktober) und die 6-Monats-Jungsellenbude mal feucht – Ach ne, das hat der Westwind schon zur Genüge getan – trocken durchgewischt. Für heute Abend hat sich nämlich der erste Besuch von Segelfreunden aus Kappeln angekündigt.

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“Boah siehst du verlottert aus!” – Diese vertraute Freundlichkeit unter guten Seglerfreunden habe ich ernsthaft und ohne Ironie vermisst. Es ist als wäre ich nie weg gewesen. Vom ersten Moment ist alles wie immer. Wir trinken und lachen zusammen, und tauschen Geschichten des Sommers aus. Wieder frage ich mich, ob ich die letzten 6 Monate nur geträumt habe.

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Doch nun steht er an. Der große Tag. Der Tag an den man seit Monaten immer mal wieder denkt. Von dem man sich immer gefragt hat wie er wohl werden würde. Und, das sei vorweggenommen, ich hätte ihn mir nicht schöner ausmalen können. Neben obigem Spruch wirft mir Frank in Eckernförde auch gleich seinen Schlafsack an die Birne. Er wird mich auf dem letzten Stück nach Kappeln begleiten. Was könnte es Schöneres geben, als diese Heimkehr mit einem guten Segelfreund zu teilen?
Aber diese komische Stimmung hält an. Wir frotzeln, segeln, trinken und lachen wie immer zusammen. Aber doch liegt ja irgendwas in der Luft. Und kurz vor 12 Uhr taucht dann nach 6 Monaten die Mole von Schleimünde wieder vor uns auf. Selbst einige Tage später kann ich immer noch nicht beschreiben was mir in diesem Moment alles durch den Kopf geht. Freude, Trauer über das Ende, hunderte Erinnerungen, Erwartungen an die Zukunft, Gedanken was sich wohl verändert haben mag. Ich bin voll von Adrenalin und alles schlägt in Freude um. Doch erstmal machen wir in Schleimünde fest. Beziehungsweise Frank, denn mir wurde verboten vor Kappeln an Land zu gehen. Wir treffen dort auch die ersten Vereinsboote, die sich uns spontan für die Heimfahrt nach Kappeln als Eskorte anschließen.

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Immer höher wird die Anspannung, immer besonderer wird dieser Tag. Überhaupt, an diesen Tag werde ich wohl mein Leben lang nachdenken. Er steht in einer Reihe mit Graduation, Hochzeit, ähnlichem. Ein einmaliges Erlebnis jedenfalls, und immer mehr wird mir das bewusst. Frank dreht sich zu mir: “Es ist so weit”.

Die letzten 4 Meilen dieser langen Reise stehen an. Noch 8000m bis Kappeln. Und alles spielt zusammen. Sogar der Wind, der immer noch aus Osten kommt, denn dass man die Schlei wirklich reinsegeln kann kommt nicht alle Tage vor. Die Sonne scheint, einen guten Freund dabei, und 6 Monate auf See im Gepäck. Die Stereoanlage brüllt so laut sie kann, und wir singen mit. “Tage wie Diese” von den Toten Hosen, mein Lieblingssong Midnight City, so Klassiker wie “Danger Zone”. Zu unserem Erstaunen ist nichtmal irgendein Entgegenkommer oder Überholer genervt. Jeder hat Verständnid für diese unbändige Freude, für dieses Auskosten des Augenblicks.
Und als ich denke mehr geht nicht, reicht Frank mir das Fernglas: Riesige Vereinsstander wehen weit vor uns im Fahrwasser: Noch mehr Vereinsschiffe und Freunde schließen sich uns an. Gasfanfaren, Nebelhörner, Stereoanlagen, kalte Getränke und Sonne. Das Schleifahrwasser ist eine einzige Party. Mein Zwerchfell vibriert schon vor Freude, was kann jetzt noch kommen? Dabei sind wir noch gar nicht da…

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Aber bald kommt die Kappelner Klappbrücke in Sicht. Noch 10 Minuten, dann ist alles vorbei. Dann sind es noch 5, dann geht die Brücke wie ein Haustür auf. Die Musik, die Hörner, die Touristen am Kai die gar nichts mehr verstehen. Eine einmalige Stimmungen. 5 Minuten des absoluten Glücks an die ich noch in dutzenden Jahren denken werde. Auf dem Kai warten weitere Freunde und Familie. Und nun hält mich nichts mehr. Feuerwerk, Lärm, und sogar ein spontanes Bad noch vor dem Anlegen folgen.

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Ich weiß nicht ob meine Schilderungen hier vielleicht abgehackt klingen, doch genau so unkontrolliert fühlte ich mich in diesen Momenten. Alles zieht wie in einem Film an mir vorbei. Ein Festmacherbier mit Freunden am Steg, ein tolles Abendessen mit der Familie, was könnte es noch besseres geben? Einen schöneren Tag hätte ich mir wirklich nicht vorstellen können.

Doch nun geht es ans ausräumen. Und immer noch bin ich völig überwältigt. Es ist als hätte ich Kappeln nie verlassen. Im positiven Sinne. Und dann tauchen wieder diese Erinnerungen auf… Und ich frage mich, was bleibt. Ich habe das Gefühl, einer der spannendsten Teile der Reise beginnt jetzt erst. Und das ist doch irgendwie auch nicht schlecht…

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Beim ersten Ausräumen und verarbeiten nehme ich mit einigen Anderen zusammen auch die Logbücher das erste Mal näher ins Visier. Die größten Schätze aus 6 Monaten. Eigentlich wollte ich nur 6 Monate segeln gehen. Am Ende aber ist die bisher größte Einhand-Rund-Ostsee Reise daraus geworden. Ich habe in 191 Tagen  10 Länder besucht, 3.765sm hinter mich gebracht, den westlichsten, nördlichsten, südlichsten und östlichsten Punkt der Ostsee besucht. Das gab es in der Fülle so meines Wissens nach nach noch nicht. Vielleicht nur eine kleine Randnotiz, denn eigentlich wollte ich doch nur nach dem Studium segeln gehen, aber für mich irgendwie auch etwas was bleibt.

Und jetzt geht es nachhause nach Hamburg. Mal sehen wie mich das “echte” Leben wohl erwartet. Oder habe ich das doch gerade hinter mir gelassen?

 

Und die Freude kennt keine FGrenzen mehr.
Angekommen!
Manchmal tut Übermut auch ganz gut...
Das kühlt das Mütchen.
Kappeln. Angekommen.
Unzählige Erinnerungen liegen im Kielwasser.
Träumer unter sich.
Als wäre ich nie weg gewesen...
Kontrolliertes Chaos.
Nichts führt mich tiefer zurück als das zusammenpacken von Seekarten für 6 Monate...
Wir sehen uns in ein paar Tagen wieder. Du hast dich toll geschlagen!!!!!

Von Menschen und von Schiffen: Kaiser Franz-Joseph I. und sein Schlachtschiff VIRIBUS UNITIS.


Die große Seemauer an der Einfahrt in den Hafen von Pula: Jeder Kroatien-Segler kennt sie. Aber kaum jemand kennt die vielen Geschichten, die hinter ihr im Hafen von Pula auf dem Meeresgrund ruhen.

Es ist ein kaum bekanntes Kapitel: und doch war Österreich zwischen 1860 und 1918 eine veritable Seemacht. Mit Admirälen, zahllosen Schiffen, ja: einer richtigen Flotte aus über 20 großen Kampfschiffen, die dort stationiert war, wo heute ein beliebtes Segelrevier ist: nördlich des Kvarner im kroatischen Pula.

Von Haus aus war Östereich natürlich Binnenland. Aber mit Napoleons Niederlage 1814 waren die Habsburger Mittelmeer-Anrainer geworden: Venedig war Österreich-Ungarn zugeschlagen worden – und wer heute die Haupteinkaufsmeile von Venedig entlangläuft, wird offenen Auges vor einem Gebäude stehenbleiben mit der Aufschrift „K.K. Festungs- und Stadtkommando“: die alte Kommandantur aus jenen Jahren. Aber mit Venedig wusste Wien wenig anzufangen. Das gesamte Veneto wurde nach 1814 österreichisch, und genauso ganz Istrien bis nach Rijeka. Von 1814 bis etwa 1850 war das alles von sehr untergeordneter Bedeutung für Wien. Irgendwann in den 1830ern hatte man zwar eine kleine Garnison in den Ort Pula gelegt. Aber die kämpfte dort, glaubt man den Quellen, mehr gegen den Hunger als gegen irgendwelche Feinde.

    Kroatisch, vorher jugoslawisch, davor österreichisch: nur wenige Meter entfernt von der
    Durchfahrt liegen die Reste der VIRIBUS UNITIS auf dem Meeresboden.  

Das änderte sich schlagartig mit der industriellen Revolution im deutschsprachigen Raum Mitte des 19. Jahrhunderts. Pula wurde als Flottenstützpunkt ausgebaut, rund um das heute immer noch beeindruckende römische Amphittheater aus dem 1. Jahrhundert nach Christus entstehen Kasernen, Kasematten, Offizierskasinos. Die in dem kleinen Wiener Verlag ALBUM von H. Seemann und Chr. Lunzer herausgegebenen Bücher mit Fotografien aus dieser Zeit dokumentieren die Epoche der Seefahrtsnation Österreich von 1850 bis 1918. Ich habe nicht viele Bücher hier auf Levje, aber die ALBUM-Bücher sind mit dabei. Es sind faszinierende Fotografien, die überwiegend von dem K.K. Marinefotografen Alois Beer stammen, dessen Werk aus der Frühzeit der Fotografie etwa 14.000 Original-Negativ-Glasplatten umfasst.

Die Fotografie oben ist dem bei ALBUM 2011 erschienen Band MARINEBILDER entnommen. Sie zeigt das größte der etwa 20 großen österreichischen Kampfschiffe, die VIRIBUS UNITIS. Die meisten Schiffe dieser Zeit hatten klingende Namen: SZENT ISTVÁN, RADETZKY, TEGETTHOFF. Aber das Schiff oben, um 1910 in Triest gebaut, trägt die Devise von Kaiser Franz Joseph von Österreich: „Viribus Unitis“. Mit vereinten Kräften. Als hätte Franz Joseph auch mit seiner Devise seinem immer auseinander strebenden Vielvölkerstaat eine weitere, wenn auch schwache Klammer hinzufügen wollen. 
Aber etwas ist ungewöhnlich auf dieser alten Fotografie. Die Mannschaften stehen ohne Ordnung an Deck. Keine Parade, kein Jubel. Schweigend, wie es scheint, mit hängenden Köpfen. Die riesige Rot-Weiß-Rote Flagge ist nicht nur auf Halbmast, sondern weit, weit unten. Das Schiff läuft langsam. Der Marinefotograf Alois Beer hat mit seinem Bild ein ungewöhnliches Zeitdokument geschaffen: Die VIRIBUS UNITIS hat die Leichen des wenige Tage zuvor in Sarajewo ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand, des Sohnes von Kaiser Franz-Josef, und seiner Gemahlin an Bord und läuft am 30.6.1914 in Triest ein. Kein Jubel, wie man oft über die Stimmung bei Ausbruch des I. Weltkriegs lesen kann. Kein freudiges Geschrei. Sondern: Bedrückung. Trauer. Sorge. Und drei Monate später herrscht Krieg.

Die VIRIBUS UNITIS wurde um 1910 auf private Initiative von und mit Geldern eines engagierten Privatmannes, des Grafen Montecuccoli begonnen – so weit ging die Liebe zum eigenen Land damals. Sie übersteht den Krieg, der an anderen Orten ausgefochten wird, in Pula fast unbeschadet. Die Adria, das Mittelmeer überhaupt sind – bis auf die Dardanellen, die auf das Konto eines jungen, eigenwillig-hitzigen Lords in der britischen Admiralität namens Winston Churchill gehen – nicht Schauplatz des großen Gemetzels. Die österreichische Flotte liegt in Pula, geschützt durch die große Mauer, die noch heute jeder Segler passieren muß, der hinein will in die istrische Hafenstadt. 

Als Östereich-Ungarn am 31.10.1918, wenige Tage vor seiner Kapitulation, Pula und die Flotte an das in Gründung befindliche „Königreich der Kroaten, Serben und Slowenen“ übergibt, wird die VIRIBUS UNITIS von einem Kommando der Besatzung übernommen. Es sind istrische, kroatische, montenegrinische, später wird man sagen, „jugoslawische“ Offiziere und Matrosen, die das Schiff für ihren neu zu gründenden Staat in Pula in Besitz nehmen. 

Aber das ist wiederum Italien ein Dorn im Auge: der erbittert bekämpfte Erzfeind Österreich hat kapituliert – und jetzt soll gleich eine neue Seemacht entstehen? Und im Osten Italiens zu einer neuen Bedrohung werden? Vor der Seemauer Pula’s setzt ein italienisches Flottenkommando mehrere Einmann-Torpedos aus, die in der Nacht zum 1. November 1918 die schlecht bewachten Sperren überwinden, in den Hafen von Pula eindringen. Und an der Bordwand der VIRIBUS UNITIS detonieren. 

Kaiser Franz Josephs Schiff, die 160-Meter lange VIRIBUS UNITIS, bekommt Schlagseite, kentert und sinkt kieloben, mitten im Hafenbecken von Pula, wo ihre Reste heute immer noch am Grund liegen. Man überfährt sie in Pula auf dem Weg in die Marina – jedenfalls das, was davon in 42 Meter Tiefe heute noch übrig ist.

In Italien herrscht Jubel. Der I. Weltkrieg war für Italien reich an Niederlagen und Verlusten, nicht an Siegen. Es mangelt an Helden. Und so werden die beiden Männer, die ihre Einmann-Torpedos tapfer in die Bordwand der VIRIBUS UNITIS steuerten und sie zerstörten (die beiden Bilder oben) zu Helden. Ihre Geschichte und die letzten Relikte der VIRIBUS UNITIS sind im Marinemuseum in Venedig, direkt vor dem Arsenale, zusammen mit den zu Artefakten verglühten Resten der beiden detonierten Torpedos (unten) ausgestellt.

Flensburg – Westlichster Punkt der Ostsee – N 54° 49,88´ E 009° 23,17´ – Oder: Wenn die Marine 3 mal hupt

Eine Sache gab es noch zu erledigen. Nach Flensburg fahren. Den westlichsten Punkt der Ostsee bei Flensburg-Kupfermühle zu erreichen. Und auch das habe ich nun geschafft.

Ein kalter grauer Morgen in einem Hafen der dänischen Südsee. Beim ersten Weckerklingeln tropft es noch aufs Vorluk, pustet durch den Deckslüfter, und halb Dunkel scheint es auch noch zu sein. Also eigentlich ganz klares Hafentagswetter. Trotzdem schäle ich mich aus meiner Bettdecken-Schlafsack Konsturktion und mache die Nonsuch ablegeklar. Der Wind ist einfach zu gut heute. Südost zu Ost, Bft 4-5, perfekter Wetter für den Schlag in die Flensburger Förde. Die nächsten Tage soll es eher ruhig sein, also muss ich den Wind inklusive Nebenwirkungen mitnehmen.

Warum aber eigentlich Flensburg? Eigentlich ist ein Törn dorthin nichts Besonderes. Ein Ort, der schon zum Kappelner Dunstkreis gehört, eher ein Wochenendziel darstellt, und ja irgendwie schon Deutschland ist. Das wollte ich ja eigentlich so lange wie möglich vermeiden. Flensburg stellt aber auch den westlichsten Punkt der Ostsee dar. Und nachdem ich in diesem Sommer bereits den südlichsten, östlichsten, und nördlichsten Punkt besucht habe kann ich es mir einfach nicht nehmen lassen dort auch noch vorbeizuschauen.
Nonsuch macht schnelle Fahrt, obwohl das Wetter immer ekliger wird. Die Sicht beträgt gerade mal 2km und es nieselt. Die Insel Alsen zieht nur schmenhaft vorbei. Aber gegen Mittag kommt es dann zu einem emotionalen Moment. Aus dem Dunst vor mir taucht der Leuchtturm Kalkgrund auf. Das stählerne Ungetüm markiert den Eingang zur Flensburger Förde. Vor allem aber liegt er in deutschen Gewässern! Es ist also so weit. Nach 6 Monaten bin ich wieder in Deutschland angekommen! Ich sehe kein Land, und auch der “Rote Riese” ist nur schwer im Dunst auszumachen, und trotzdem überkommt mich eine Freude. Das erste Mal bin ich nicht unglücklich darüber, dass die Reise bald zu Ende ist, sondern stolz auf das bisher Erreichte und freudig auf die Rückkehr in die Heimat. Trotzdem eine komische Szenerie. Ich bin komplett allein und von dunklem Nebel umgeben, nur der Leuchtturm und Ich. Fast fühle ich mich wie in einem Traum.

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Die Realität holt mich aber schnell wieder ein: Auf einmal gibt es ohrenbetäubenden Krach. Der Leuchturm verschwindet im Dunst. Er hat sein Nebelhorn angeworfen, die Sicht sinkt auf wenige Dutzend Meter. Na klasse, schon wieder. Mein ständiger Begleiter diesen Sommer. Dazu fängt es an bestialisch zu regnen. Einer dieser Moment in denen man sich fragt, warum man morgens nicht einfach im Bett geblieben ist. Und doch lache ich fast. Den Moment des Glücks und Triumphs lasse ich mir doch nicht von etwas Wasserdampf kaputtmachen.
Zum Glück ist nicht viel los. Die wenigen Segelboote die noch unterwegs sind Ausbildungsschiffe der deutschen Marine. Und die haben alle AIS. So vergeht auch diesel Nebel zum Glück ohne irgendwelchen gefährlichen Situationen. Irgendwann ist dann auch Alles wieder vorbei. Und mit Alles meine ich auch Alles. Es klart auf, der Regen lässt nach, und der Wind ist weg. Und zwar komplett, bis auf dem letzten Fitzel. Die Flensburger Förde liegt spiegelglatt vor mir. Auch egal, wenigstens konnte ich den größten Teil des Tages segeln. Überhaupt lerne ih das Wetter mit allen seinen Facetten in den letzten Tagen dieser Reise erst zu schätzen. Monatelang war es Alltag mit den Elementen zu leben, und wenn es neblig war, kein Wind gab oder geregnet hat, war das einfach nur lästig. Lästiger als wenn es eben in der Hamburger Innenstadt regnet, denn ich lebe ja halb draussen. Jetzt aber, wo man jede Empfindung noch stärker als vorher wahrnimmt, lässt einen auch solches Wetter glücklich werden. Denn obwohl es eigentlich nur Flensburg ist, habe ich mal wieder das Gefühl am Ende der Welt angekommen zu sein. Es ist komplett Windstill und ruhig, die tiefliegenden Wolken und letzten Nebelschwaden ziehen vorbei. Fast wie Mittelerde erscheinen die Ochseninseln, die langsam vorbeiziehen. Stimmungsvoller hätte diese Fahrt doch eigentlich nicht werden können.

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Noch kurz bevor ich dann den westlichsten Punkt erreicht habe, passiert das eigentlich viel größere Highlight des Tages. Flensburg ist mein erster deutschen Hafen. Und nach alter Väter Sitte werden die Gastlandflaggen aller besuchten Länder nach einer großen Reise im ersten Hafen des Heimatlandes, sowie bei Ankunft im Heimathafen gesetzt. Es ist Tradition und Ehre zugleich. Das erste Mal flattern also alle Flaggen unter der Saling. Nur leider ist doch Verkehr auf der Förde. Von hinten kommt ein Marineschiff schnell auf. Ein Minenleger oder so ähnlich, also kein kleines Teil. Typische Reaktion eines Seglers: “Na der überholt mich ja, ich hab also Vorfahrt.” Terrierkomplex nenne ich das immer. Der Minenleger kommt also immer näher und nur langsam dreht er zur Seite weg. Der Kommandant und Ich begaffen uns dabei durchs Fernglas. Wer zuerst blinzelt verliert. Dann aber die Überraschung: Er kommt auf die Brückennock und winkt fröhlich herüber. und hebt den Daumen beim Anblick der Nonsuch. Dann verschwindet er wieder in der Brücke. Sekundenbruchteile später blökt sein Horn auf. Habe ich also doch was falsch gemacht? Nein: Tuuuuut Tuuuuuut Tuuuuuut. Drei Mal lang. Das Grußsignal! Wieder kommt er raus und winkt. Ich freue mich tierisch, und erwidere mit zweimal kurz. Wobei meine Tröte da eher armselig klingt.
Ich kann nicht mal sagen ob Stolz oder Freude in diesem Moment überwiegen. Auf jeden Fall eine mega tolle Geste. Schöner kann ein erster Empfang in der Heimat ja fast nicht ablaufen.

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Und dann ist es so weit. Ich erreiche den westlichsten Punkt der Ostsee, an der kleinen Grenzbrücke bei Flensburg-Kupfermühle, ganz in der letzten Ecke der Flensburger Förde. Eigentlich kein besonderer Platz, aber für mich könnte er gerade nicht wichtiger sein. Zwar ist es natürlich noch etwas Anderes in Töre einzulaufen, aber das Erreichen des westlichsten Punktes komplettiert diese Reise. Ich habe die gesamte Ostsee von Westen nach Osten, von Süden nach Norden bereist. Ein tolles Gefühl. Und wie in einem Film laufen bei mir die ganzen letzten paar Meilen bis Flensburg einzelne Szenen aus dem Sommer ab.

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In Flensburg anzukommen ist dann ein Kontrastprogramm. Wieder einmal der Lärm der Stadt (auch wenn der hier mir irgendwie unsympathischer als zum Beispiel in Göteborg erscheint ;-) ), Leute die einen im Supermarkt auf Deutsch ansprechen, und  überhaupt. Ich verbringe den Abend lieber an Bord mit Blick auf den Museumshafen und dem ersten Döner seit 6 Monaten. Das ist im Ostseeraum nämlich irgendwie noch nicht angekommen. Und ich mache das erste seit Monaten wieder mit Heckpfählen fest. Kleine Randnotiz, aber auch irgendwie ein komisches Gefühl.

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Aber irgendwie zieht es mich doch noch wieder raus. Und nach Dänemark. Anstatt in Flensburg zu bleiben geht es für mich nach Kegnaes, auf der dänischen Seite der Förde. Noch einmal vor Anker liegen. Und wieder ist die Szenerie absolut genial. Obwohl es tagsber genug Wind zum Segeln gab, legt sich jetzt wieder ein Dunstschleier und spiegelglatte See über das Hørup Hav. Ich nutze die Zeit ohne Ablenkung von Land und schwelge in Erinnerungen. Und für einige Sekundenbruchteile bin ich wieder auf See. Im Bottnischen Meerbusen. Im frischen Haff vor Kaliningrad, im Götakanal oder irgendwie hinter einer namenlosen Schäre…
Noch bis Sonntag… Kommt doch auf ein Bier vorbei wenn ihr in der Nähe seid! ;-)

 

Die vergessenen Inseln: Östlich von Milos. Oder: Wenn der Meltemi weht.

Wenn der Meltemi bläst: Das Video zeigt zweieinhalb Minuten Durchfahrt durch die Meerenge zwischen Milos und Kimolos: Ungeschnitten, ohne Musik, Wind und Welle „pur“. Hier klicken.

Unmittelbar östlich von Milos liegt ein kaum bekanntes, vergessenes kleines Inselparadies: zwei große. Und viele kleine Inseln, Inselchen, Felsbänke, Riffe, deren Namen kaum eine Seekarte kennt.
Die beiden Hauptinseln dieser Gruppe heißen Kimolos und Polyegos, und sie sind nicht unbedingt klein: Auf Kimolos leben immerhin fast 1.000 Menschen. Aber die Bedingungen sind hart. Ein bisschen Landwirtschaft. Etwas Fischfang. Ein wenig Tourismus. Es gibt kaum Wasser auf der Insel, mühsam schleppen es Tankschiffe herbei, und nicht selten ist der Mangel im Sommer so groß, dass das Wasser rationiert werden muss. Dann gibt es „Wasseralarm“. Vielleicht ist dies auch der Grund, dass die Inseln – anders als das unmittelbar daneben liegende Milos – „vergessene Inseln“ sind: abseits der großen Ströme. Unentdeckt. Sich selbst, Wind und Zeit überlassen. 
Für den, der segelt, hat die Inselgruppe aber einen ganz besonderen Reiz: Wer hier allein sein will, findet eine Unzahl Meltemi-geschützter Ankerplätze zwischen den Inseln Kimolos, Polyegos, vor Agiou Giorgos oder Agio Efstathios. Die Inselgruppe ist wie ein kleines Binnenrevier, nach Süden offen, aber geschützt vor dem fauchenden Meltemi, fast wie der Drake-Channel auf den British-Virgin-Islands, mit kaum besuchten Sandstränden, über denen nichts als Einsamkeit schwebt.
Als ich gegen Mittag von Milos lossegle und durch den einstigen Vulkankrater nach Norden kreuze, ist sich der Wind uneins. Mal vier von Nord, mal Nichts von Süd. Geklapper im Rigg. Schläge im Tuch. Geschaukel in den Wellen. Gekabbel, von überall her. Aber kaum bin ich aus dem Krater draussen, meldet sich der Meltemi. Und weil es die Zeit ist, in der er wach wird, man kann die Uhr danach stellen, zwischen zwei und drei gehts los: wird er an diesem Tag besonders wach und weht, wie es ihm gefällt, bis in die Dreissiger hinein. 
Weil mir das Gegenan-Bolzen auf Legerwall nördlich Kimolos im auffrischenden Meltemi wenig Lust verheißt, laufe ich mit gerefften Segeln ab, durch die Meerenge von Pollonia, genau zwischen Milos und Kimolos hindurch und hinein in das Binnenrevier. Schlagartig ists vorbei mit der Welle, alles ist glatt und türkis und sandfarben. Nur die Böen, die mit über dreissig Knoten von Kimolos herabfegen, erinnern mich daran: dass Draussen ein anderer Wind weht.

Für alle, für die Segelsaison fast schon vorbei ist: das obige Video zeigt, wie es letzten Sommer war. Und wie es nächsten Sommer sein wird, bei Meltemi, zwischen Milos und Kimolos. Hier klicken.

Da will ich hin! Wo liegen eigentlich Milos und Kimolos?

Wie komme ich da ohne Segelboot hin? Einfach auf dieser Website Ihren Wohnort und Kimolos eintragen. „Rome2Rio“ kennt den kürzesten Weg…

Herbstsegeln und ein Wiedersehen

Nur ein Wetterfenster von einem Tag sollte sich mir bieten um Anholt zu verlassen. Wie so oft im Frühherbst bestimmt das Wetter und nicht mehr das persönliche Gusto die Törnplanung.

Ich verlasse Anholt also nach Abflauen des Sturmes bei erstklassigen Südostwinden. Es geht vorbei an dem gigantischen Windpark,n mitten zwischen Anholt und dem Festland. Irgendwie kann ich mich hier draußen auf offener See nicht wirklich damit anfreunden… Wenigstens legt der Sommer heute noch mal ein kurzes Intermezzo ein. So geht es dann vorbei an Grenaa Richtung Süden. Das Seegebiet zwischen Greena und der Insel Samsø gehört für mich zu den unangenehmsten Teilen der “heimischen” Ostsee. Noch nie habe ich hier wirklich gute Bedingungen angetroffen. Es sind 15 NM zwischen den nächsten Häfen, der Wind kommt irgendwie immer von vorne, die Welle ist kurz, und der immer an der Küste stehende Strom scheint auch immer von vorne zu kommen. Und in mindestens 50% der Fälle am besten alles zusammen. Heute war es am Anfang nur der Strom. Das war mir noch egal. 6 Monate auf See sorgen doch für eine gewisse Grundentspannung und so habe ich mich einfach gefreut länger bei diesen schönen Bedingungen auf See sein zu können. Das änderte sich dann, als der Wind auffrischte und eine eklige kurze Welle auf Land schiebt. Mal wieder sucht sich jedes Teil unter Deck einen neuen Platz. Wenn sogar die 15kg schwere angelaschte Kühlbox von ihrem Platz unter dem Tisch wegdreht, ist wirklich Mixer-Feeling angesagt. Ich wundere mich selber, dass ich immer noch die Ruhe selbst bin, da fängt der Wind an langsam aber stetig auf Südwest zu drehen. Von vorn also. Und weil das noch nicht genug ist, bringt der Südwest dann auch noch dicke Wolken und Schauer mit. Erwähnte ich eigentlich, dass ich diese Ecke nicht mag?

Die Fahrwassertonnen sollte man hier wohl besser ernst nehmen...

Doch etwas Anderes fasziniert mich, denn nach Grenaa verändert auch die dänische Festlandküste ihr Gesicht. Eine neue Küstenform taucht auch. Nach den endlosen Strandküsten des Baltikums, den zerklüfteten Schären Skandinaviens, und den Dünen von Nordschweden, prägen jetzt sanfte grüne Hügel, Wiesen und Felder, unterbrochen von einigen kleinen Lehmkliffkanten das Küstenbild. Die typische Küste der westlichen Ostsee. Das letzte mal habe ich die im April gesehen. So langsam schließt sich der Kreis…

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Ebeltoft ist das Ziel des Tages. Ein netter kleiner Ort in der Nähe von Aarhus. Hier sollte ich dann auch erst mal 2 Tage bleiben. Der Herbst ist mit voller Inbrunst zurück. Der erste Hafentag vergeht mit pausenlosem Regen, der nächste mit guten 30kn Wind. Da fährt man nicht raus wenn man nicht muss. Und noch habe ich ja Zeit. Und in Ebeltoft lässt es sich gut aushalten. Für den kleinen Max gibt es ein mal wieder ein Museumsschiff zu inspizieren. Die Fregatte “Jylland”, eines der letzten erhaltenen hölzernen Kriegsschiffe und Veteran der Schlacht von Helgoland 1864.Obwohl die Dänen den Krieg mit Preußen verloren haben wird dieser im angeschlossenen Museums ausgiebig gedacht. Ähnlich wie in Oscarsborg in Norwegen. Glaube, das hat was mit dem Nationalstolz der kleinen Länder zu tun…
Auch ansonsten kann die Stadt sich sehen lassen. Die Innenstadt ist fast komplett von kleinen, bunten, alten Häusern geprägt, von denen sich selbst Aerösköbing eine Scheibe abschneiden könnte. Und dann gibt es ja noch eine Regel für Hafentage wegen Schlechtwetter: Zur Wahrung der guten Laune wird Essen gegangen. Und so wird dem Bordballast eine große Portion des dänischen Nationalgerichts “Sterneskjud”, einer Art gemischter Fischplatte mit Garnelen, zugeschlagen. :-)

Die Fregatte "Jylland"

Nach 2 Hafentagen reichts mir aber, und ich werde ungeduldig. Oder leichtsinnig?  Der Wind hat zwar nachgelassen, aber mittlerweile auf Südwest gedreht. Aus irgendeiner Vorahnung habe ich am Abend vorher noch das erste Mal die Minifock aufgezogen. Vielleicht war mir aber auch einfach nur langweilig… Die ersten Meilen verlaufen gut und zügig. So lahmarschig Nonsuch mit der riesigen Genua manchmal bei wenig Wind läuft, so perfekt liegt sie bei mehr Wind mit der Kleinen (Sturm)fock auf dem Ruder. Vielleicht muss ich doch mal in eine normale Arbeitsfock investieren… Der Wind dreht jedenfalls immer weiter auf. Am Ende stehen wieder 30kn auf der Uhr. Und das Tagesziel Ballen auf Samsø liegt aufs Grad genau in Luv. Nach dem lauen Sommer bin ich Starkwindsegeln irgendwie nicht mehr gewohnt. Seit Anfang Juli war das fast nie mehr gefragt. Schnell kommen dann die Gedanken, ob auch alles hält, das Schiff die Strapazen auch mit macht. Immerhin hat es schon 3,500sm dieses Jahr runter. Während jede Welle abstoppt (das kommt gefühlt einer Vollbremsung an jeder Ampel gleich), hoffe ich also, dass alles gut geht. Auch wenn man instinktiv irgendwie weiß, dass es für solche Bedenken gar keinen Grund gibt. Aber selbst beim hundertsten Mal ist die Szenerie von Starkwind von vorne von Neuem eindrucksvoll. Auch heute schlägt sich Nonsuch natürlich viel besser als befürchtet. Vor allem die Sturmfock läuft (Oh Wunder!) einfach viel besser als eine eingerollte Genua. Die erste Amtshandlung in Ballen ist also ein Telefonat mit dem Segelmacher meines Vertrauens wegen einer Arbeitsfock für mittlere Winde… Auch in Ballen ist die Saison mehr als vorbei. Aber die Bäckerei im Hafen hat jeden Freitag Pizzaabend! Und heute ist…. Es folgt der perfekte Männerabend. Die Sonne kommt raus, der Wind lässt nach. Ich sitze mit einem kühlen Bier und frischer Pizza im Cockpit, und freue mich über den heute geschafften Teil

In Ballen erst mal Wunden lecken.

Für den nächsten Schlag gen Süden hat der Wind kein Stpck nachgelassen. Aber dafür wenigstens auf West, also genau Halbwind, gedreht. Und heute habe ich mich mal wieder in mein Schiff verliebt. Es war einer dieser Tage, für die man segelt. Anfangs bin ich immer noch vorsichtig. Ich muss mich ja erst mal wieder an die Herbstbedingungen gewöhnen, doch mit jeder Minute, und jedem zehntel Knoten Fahrt den das Schiff aufnimmt, steigt die Freude. Die Wellen im großen Belt rauschen grummelnd von der einen auf die andere Seite des Schiffes, es geht mehrere Meter auf und ab, die Logge erreicht nie geahnte Werte von fast bis zu 8 kn. Das alles mit Sturmfock und dem II. Reff im Groß. Meine Laune ist genau so weit aufgedreht wie die Stereoanlage. Es ist einfach herrlich. 7kn, also ca. 13 km/h reichen aus, um einen Segler in Speedrausch zu versetzen. Schon komisch wie sich die Verhältnisse auf dem Wasser verschieben. Es gibt ein sehr schönes Buch: “Wer Meer hat, braucht weniger”, welches beschreibt wie Segeln die Psyche verändert, zur Langsamkeit und Wertschätzung der kleinen Dinge anregt. Auch auf die Geschwindigkeiten beim Segeln trifft das wohl zu, denn selbst auf dem Fahrrad wären diese Werte, die mir heute das Kreissägengrinsem im Gesicht festtackern, nur für Rentner ´ne Leistung. So langsam kann ich dem Herbst und seinen Eskapaden aber etwas abgewinnen…

Bft. 6-7 1-1.5m Seegang.

Doe Durchfahrt durch die Grosse-Belt-Brücke bleibt das einzig Unangenehme des Tages. Wind und Wellen stoppen vor diesem gigantischen Bauwerk auf und erzeugen eine Wasseroberfläche wie in einem Kochtopf. Die Strömungen zerren alle paar Dutzend Meter wechselnd in sämtliche Himmelsrichtungen. Und sobald ich durch die Brückenpfeiler durch bin, ist für 5 min. nichts. Als ob man durch eine Wand gefahren wäre, befinden sich hinter der Brücke, mitten auf dem Wasser, weder Wind noch Wellen. Ich gehöre zwar eher weniger zu den Ökos, aber wenn man so hautnah erlebt wie solche Bauwerke in die Natur (und meine Freizeitgestaltung ;-) ) eingreifen, kann man schon ins Grübeln kommen…

Glücklich und zufrieden über diesen perfekten Segeltag mache ich in Lundeborg auf Fünen fest. Ein kleiner entspannter Fischereihafen. Kurz dnach mir läuft eine deutsche Yacht ein. Der übliche “Wer-woher-wohin” Stegschnack lässt mich aber erschaudern. Die zwei kommen aus Arnis, einige Kilometer hinter Kappeln gelegen. Die Distanz bis zu meinem Liegeplatz ist jetzt also schon weniger als eine Tagesreise. Im Kontrast dazu steht ein kleines Erlebnis am nächsten Morgen. Ich bereite mir Ham&Eggs, ein klassisches Seglerfrühstück. Ganz klassisch englisch gehört auch Ketchup dazu. Und da fällt mir auf, dass mein Ketchup immer noch aus Polen stammt. Ich denke zurück an die Zeit in Polen. 5 Monate sind es schon, und doch kommt es mir eher vor wie 3 Wochen, als ich Polen Richtung Kaliningrad verließ…

Zünftiges Frühstück mit polnischem Ketchup.

Von hier aus folgt nur ein kurzer Törn. Ich habe mich mit meinen dänischen Freunden aus dem Göta Kanal in ihrem Heimathafen Thurø verabredet. Die beiden haben damals netterweise meine Souvenirschnapsvorräte als Fracht in den Süden an Bord genommen und so vor dem norwegischen Zoll gerettet.  Henrik kommt kurz nach mit im Hafen an. Er hat das Wochenende passenderweise in Kappeln verbracht und kommt kurz nach mir mit Grüßen aus der Heimat an. Es folgt ein langer Abend mit Geschichten aus dem Sommer, Erfahrungen der letzten Wochen, und darüber was Segeln doch für ein generationenübergreifendes Hobby ist. Obwohl der Schönheiteschlaf dem Abend entsprechend spät endet, ist die Umgebung noch in dichten Nebel gehüllt, während oben bereits die Sonne scheint. Das ist allerdings nicht den zuvor gereichten alkoholhaltigen Erfrischungen, sondern der schwindenden Kraft der Sonne und dem anbrechenden Herbst geschuldet. Eine zauberhafte Stimmung. Wer lange genug sucht, findet wohl doch die positiven Seiten am Herbst…
Bevor wir uns für dieses Jahr verabscheiden, bekomme ich noch eine kleine Tour durch Thurø, welches definitv auf meiner Liste für regelmäßige Törnziele landet. Obwohl quasi fast in der Stadt Svendborg gelegen, ist die Stimmung eher dörflich-dänisch. Die Fischer arbeiten direkt neben dem kleinen Segelclub, es gibt viele traditionsreiche Werften (unter anderem auch eine der besten In ganz Europa – ca. die halbe europäische 12mR Flotte bekommt hier ihre Wartung), es hat diese Spur Verschlafenheit die so perfekt zu einem Wochenend-Getaway passt. Ich werde ganz bestimmt wiederkommen.

Der Nebel ist dem Herbst, nicht dem gestrigen Abend geschuldet.

Und nun geht es langsam heimwärts. Nur eine kleine Sache muss ich immer noch erledigen…..

EINLADUNG: Ankunft in KAPPELN – 05.10.14

Moin Moin! Es lässt sich nicht mehr leugnen, die Ankunft steht vor der Tür. Am nächsten Sonntag, am Ende des langen Wochenendes, werde ich in Kappeln eintreffen und das Projekt “Rund Ostsee” beenden. Wer mich auf den letzten Metern begleiten möchte, oder auch nur am Steg auf ein gemeinsames Festmacher vorbeikommen will, darf sich gerne eingeladen fühlen!

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Ich werde ( Stand jetzt) mit der 14:45 Brückenöffnung durch die Kappelner Brücke gehen und gleich dahinter im Hafen meines Vereins, ASC, festmachen. Durch Schleimünde werde ich dementsprechend wohl eine Stunde vorher kommen.

Also, falls ihr in der Nähe seid kommt gerne vorbei und begleitet mich auf den letzten Metern. :-)

7 Tipps für das Segeln in der Türkei: Erforderliche Papiere,Vorschriften, Internet, Wetterdienste.

Die Bucht Ciftlik, wenige Seemeilen südwestlich von Marmaris. Sauberes Wasser, gut gewartete Restaurantstege, an denen man kostenlos liegen kann. Aber alles hat seinen Preis: Die Küstenwache kontrolliert auch dort penibel, ob man seinen Fäkalientank immer ordentlich im Hafen entleert. Und der Restaurantbesitzer erwartet für den kostenlosen Liegeplatz, dass wir unser Abendessen bei ihm und nicht am Nachbarsteg einnehmen.

In der türkischen Ägäis segelnd, folgende 7 Tipps (Stand Oktober 2014):
Da ich diesen Post aktuell halten will, bin ich auf Feedback, Fragen, Kritik, Anregungen angewiesen.  Und bitte Sie in jedem Fall um eine Mail. Auch wenn Sie mir nur sagen wollen: „War alles richtig und brauchbar.“

Unterwegs mit dem eigenen Boot: Einklarieren und erforderliche Permits (Stand September 2014)

Fürs Einklarieren in der Türkei können Sie die in jedem Hafen und jeder Marina ansässigen Agenten beauftragen – einfach beim Hafenmeister oder in der Marina nachfragen. Da deren Preise aber schwanken – ich habe von 20 € bis 100 € für die Erstregistrierung alles erlebt – lohnt sich das nachfragen. Als Charterer erledigt das Transitlog sowieso Ihr örtliches Charterbüro – gegen die oben genannten Gebühren.
Da ich es aber genau wissen wollte: habe ich versucht, ohne Agenten einzuklarieren – was fast klappte. Ganz – so meine Erfahrung – kommt man allerdings ohne einen Agenten nicht aus.

    Das kleine Hafenstädtchen Bozburun auf der Halbinsel Datca lockt mit guten Restaurants und perfektem Lebensmittel-  
     Angebot. Ein Ort zum „Auffüllen“. Richtig nett wirds allerdings ein bis zwei Seemeilen südlich des Hafens: Schwimmen 
      im kristallklaren Wasser – und herrliches Ankern zwischen den Inseln.

1. Das ist wichtig an Dokumenten, Gebühren und Vorschriften: 

1.1 Das Transitlog

Das Tranistlog ist das wichtigste Dokument für Ihren Törn in der Türkei. Es ist ein einfacher, aus mehreren Seiten bestehender Durchschreibsatz, den Sie in der örtlichen Marina erwerben und nacheinander von fünf verschiedenen Stellen/Personen bearbeiten und abstempeln lassen:
1. Ein Agent macht für Sie den Grundeintrag ins türkische Register: sechs, sieben Zeilen mit Bootsnamen, Nationalität. Dies können Sie nicht selber übernehmen, den Systemzugang hat nur der Agent. Gelegentlich macht es wohl ein gutwilliger Hafenmeister oder auch eine örtliche Seefahrtsbehörde.
2. Amtsarzt.
3. Zoll.
4. Passkontrolle.
5. Port Authority.
Das Transitlog wird sowohl in Marinas als auch bei Kontrollen durch die Küstenwache (Sahil Güvenlik) verlangt und eingesehen.

1.1 Die Wahl des Einklarierungshafens
Diese hat ganz erheblichen Einfluß auf die Zeit, die Sie für das Erstellen des Transitlogs einrechnen müssen. Immerhin sind fünf Stationen nacheinander abzuarbeiten: Agent, Amtsarzt, Zoll, Passkontrolle, Port Authority. 
In der Marina Turgutreis sitzen alle fünf Personen praktisch in EINEM Gebäude, dem Fähranleger im Süden der Marina. Mein Zeitaufwand: 2,5 Stunden.
In der Marina Bodrum sitzen die vier Behörden bis zu 40 Minuten Gehweg auseinander: Zeitaufwand eines befreundeten Seglers für dieselbe Prozedur: über 6,5 Stunden
Datca: keine Erfahrungen. Da der Ort nicht groß ist, gehe ich eher von kurzen Distanzen aus. Zudem liefen Gerüchte um, dass Datca als Einklarierungshafen geschlossen worden sei? Also vorher anrufen.
Marmaris: Zumindest die Port Authority sitzt am „anderen Ende“ der Stadt wie die Marina. Also: Zeitaufwand für Gehwege mit einplanen. Und da Marmaris ein großer Charterhafen ist: auch Wartezeiten bei jeder der einzelnen Behörden. Der Agent vor mir in der Marmaris Port Authority hatte die Transitlogs für 100 (!) Yachten dabei. Der Hafenmeister meinte, wir sollten in zwei Stunden wiederkommen… Aber der Agent war wohlwollend. Und ließ uns vor.

1.2 Kosten

Das blanke Transitlog, der Durchschreibsatz, kostete in der Marina Turgutreis 51 €.
Hinzu kam – als Minimalgebühr für das Erfassen meiner „sieben Zeilen“ im türkischen Register – 20 € an den Agenten.

ADAC Bootsschein und Bootsführerschein sowie blauen Versicherungsschein nicht vergessen.

    Der Steg des Restaurants RAFET BABA, diesmal von der anderen Seite. Mattelagen, Sonnenschirme, Stranddusche: wie   
     so oft ist die Türkei perfekt bis ins Detail.   

1.3 Fäkalientank

In der Türkei herrscht Tankpflicht. Das Einleiten von Fäkalien in Buchten wird nicht als Kavaliersdelikt angesehen. Ich kenne den Eigner einer 17-Meter-Yacht, der in Istanbul in einer Marina wegen angeblichen Einleitens von Fäkalien mit einer Forderung von 10.000 € konfrontiert wurde – und nur mit Mühe die Forderung abwenden konnte. „Nie wieder Türkei“, sein Fazit.
Das Positive:  man merkt es eindeutig an der Wasserqualität, die schon beeindruckend ist. Auch in engen Buchten mit fast stehendem Gewässer glasklares Wasser. Da hat sich seit meinem ersten Türkei-Törn 1998 sehr viel getan. Allerdings waren das Problem damals auch weniger die Yachties, sondern vielmehr die türkischen Gülets mit Hunderten ferienfroher Tagesausflügler aus den Hotels von Antalya, nach denen an ein Schwimmen in der Bucht einfach nicht mehr zu denken war.
Zwar gibt es viele ausländische Bootsbesitzer, die nach wie vor ohne Fäkalientank in der Türkei unterwegs sind. Aber wer einen längeren Aufenthalt in türkischen Gewässern einplant, sollte sich einen Tank einbauen lassen – vor allem im Marmaris traf ich auf fixe Bootstechniker mit hervorragendem Know-How zu dem Thema, inklusive individuell für mein Schiff hergestelltem Schwarzwasser-Tank.

    Die Bucht von Bozukale auf der Loryma-Halbinsel, südwestlich von Marmaris.   

1.4 Die „blaue“ Magnetkarte

Ein ernstes Thema: Und dummerweise weist den ankommenden Segler weder bei der Einreise noch beim Einklarieren eine Marina, ein Agent oder Hafenmeister auf Folgendes hin:
Vor einigen Jahren führte die Türkei eine blaue Magnetkarte ein, mit der jeder Eigner nachweisen muss, dass er seine Fakälientanks ordentlich im Hafen hat abpumpen lassen. Bisher galt „Entweder drei Meilen vor der Küste“ oder „im Hafen abpumpen“. Da wird’s nun ganz ernst, denn die Türkei hat die Regelungen zur blauen Karte in diesem Jahr verschärft:
– jeder Bootseigner MUSS eine blaue Karte haben (Ob man einen Tank eingebaut hat, wird nicht kontrolliert. Ob man eine blaue Karte hat: schon.)
– jeder Bootseigner muss auf dem Magnetchip mehrfaches Abpumpen nachweisen (wohlgemerkt: ob man einen Tank eingebaut hat, wird nicht kontrolliert. Lediglich der Nachweis des Abpumpens wird kontrolliert …)
– hat man keine blaue Magnetkarte: drohen wiederum saftige Geldstrafen.
Die Behörden meinen es ziemlich ernst, das haben wir auch vergangene Woche bei der Kontrolle aller Boote in der Bucht Ciftlik durch die SAHIL GÜVENLIK, die Küstenwache, am eigenen Leib gemerkt. Noch vor den Pässen oder dem Tranistlog wird per Smartphone die Eintragung auf der „blauen Karte“ kontrolliert. 
Da zeigt die streng geführte Türkei ihre bürokratischen Zähne. Und in Verbindung mit saftigen Marina-Preisen und manch „cleverem“ Restaurant-Stegbetreiber kommt man dann schon auch an ein „Nie wieder Türkei“ heran.

Die blaue Karte kostet 25 €. Und man kann sie in jedem Hafen und jeder Marina erwerben. Nur dass man sie braucht: DAS sagt einem keiner. Also auch wenn beim Erwerb des Transitlogs niemand davon spricht: gleich mitorganisieren. Die Behörden wollen die blaue Karte sehen.

3. Internet in der Türkei (Stand September 2014):

Schon in Griechenland waren meine Erfahrungen mit COSMOTE sehr gut. In der Türkei habe ich mir von TURKCELL im örtlichen Shop in Turgutreis eine Karte geholt: 10 GB für 3 Monate Laufzeit für 99 TL, also etwa 37 €. Die TURKCELL ist nach VODAFONE in der Türkei der größte Netzbetreiber – entsprechend gut funktionierte das System auch in abgelegenen Gegenden. Arbeiten vom fahrenden Überland-Bus aus kein Problem.
Die Karte erhält man in allen örtlichen Telefonläden. Sie ist innerhalb einer Viertelstunde nach Erwerb freigeschaltet. Pfiffig.

4. Internet-Wetterdienste

Auch in der Türkei arbeite ich mit den Wetterdiensten, die ich in mehreren Wetterartikeln in diesem Blog vorgestellt habe: Im Wesentlichen – da wir vor der Haustüre von Rhodos segeln – sind es griechische: die Windkarten von Poseidon, HNMS für die „Warnings“ sowie Windguru und Meteo Marine.
Gleich vorweg: Solche „dauerhaft stabilen“ Abweichungen bei allen Vorhersagen zwischen Vorhersage und Wirklichkeit habe ich nun über Jahre hinweg in keinem anderen Revier erlebt. Das hat vor allem mit den gebirgigen türkischen Küsten zu tun, die täglich beschliessen, etwas ganz anderes an Wind zu produzieren als sie eigentlich eben noch wollten. Die Hauptrichtung steht von Juni bis Anfang September zwar fest: Meist Nordwest, gelegentlich mehr West oder ein bisschen mehr Nord. In den Windstärke-Angaben liegen die Vorhersagen aber herzhaft daneben.
Beispiel vergangene Woche: Vorhersage Poseidon und Windguru „Nordwest 4 bft“. De facto war das nicht sooooo verkehrt, es waren 4-5 bft., eher 5 bft. ablandig. Bis auf die 26-33 Knoten-Böen, die Levje fünf-, sechs-, siebenmal flach aufs Wasser legten…
Meine Faustregel: Schläft der Meltemi abends pünktlich um 10 Uhr ein, ist für den nächsten Tag wenig zu fürchten. Hält er in der Nacht stark und böig durch: dann kann es am nächsten Tag – ab 15 Uhr, wenn der Meltemi kräftig wird – auch mal mit 35 Knoten und darüber wehen.

5. Revierführer
Obwohl von manchen kritischen Lesern in den Wertungen als „veraltet“, „überholt“ bezeichnet, weil 1994 erstmals erschienen, fand ich das Buch von Andrea Horn/Wyn Hoop: TÜRKISCHE KÜSTE/OSTGRIECHISCHE INSELN immer noch ausgesprochen brauchbar und aktuell. Ich arbeite mit der 5. Auflage und finde die Angaben bislang sehr verlässlich.

    Auf dem Weg nach Bozburun.

Der Vorhang für den Sommer fällt – Anholt

Ich wollte auf der Rückfahrt unbedingt noch auf Anholt vorbeischauen. Die Insel hat mich bei meinem ersten Besuch dort nachhaltig fasziniert. Der Haken dabei: Ich müsste von Albaek wohl durchfahren, denn am nächsten Tag soll ein erster Herbststurm aufziehen. Bis dahin soll der Ostwind aber noch wehen…

Kurzes Nachdenken und dann los! Der erste Teil der Reise verläuft unspektakulär. Die Sonne scheint, der Wind weht leicht aus Ost und so geht es entlang der jütländischen Küste vorbei an Frederikshavn und Laesø. Es ist ein ruhiger Sommertag wie es schon so viele gab. Der Gennacker steht, ich muss kaum was tun außer mal nach dem Kurs oder anderen Schiffen zu tun. Ich habe Zeit über Vieles nachzudenken, ein wenig zu lesen oder ein 1A Mittagessen (Maggi ;-) )zu genießen. Schon den ganzen Tag ist die Sicht aber eher moderat. Vielleicht gerade mal 10km. Und wer meinen Geschichten schon eine Weile folgt, kann sich bestimmt denken was jetzt kommt.

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Ich bin gerade irgendwo im Nirgendwo zwischen der Insel Laesø und Anholt und nach dem letzten Rundumblick vor 5 Minuten eher in mein Buch vertieft, als mir auf einmal buchstäblich ein kalter feuchter Schauer durchs Gesicht fährt. Ich blicke auf und sehe: Nichts. Mal wieder Nebel. Keine 50m Sicht und der Wind schläft innerhalb von Sekunden ein. Nach einigen Minuten wüsten Flüchen (Nebel hatte ich dieses Jahr nun schon wirklich genug) arrangier ich mich halt damit. Hier ist sowieso nichts los, das letzte Schiff habe ich schon vor Stunden gesehen. Außerdem bin ich mitten auf offener See weitab der Schifffahrtsrouten, außer Häfen der sicherste Platz im Nebel. Und nach den Nebelerfahrungen im Frühjahr gehe ich mittlerweile ziemlich locker damit um. “Einfach weiter, passt schon”. Was soll man auch schon anderes machen. Wenn ich einfach liegenbleibe und nichts tue bleiben mir im Zweifel wenn jemand auftaucht nur Sekundenbruchteile mehr um zu reagieren, als wenn ich einfach weitertucker. Das bringts dann auch nicht…
An diesem Nebel ist allerdings etwas ganz Anderes bemerkenswert. Wie ein Theatervorhang schmeißt er den Sommer von der Bühne. Noch vor wenigen Stunden schien die Sonne, es war warm, ein leichter Ostwind wehte. Als der Nebel sich mitten in der Nacht schließlich lichtete, kam der Wind aus Westen und sollte sich innerhalb von 12 Stunden auf Sturmstärke mit Regen und allen Schikanen verstärken. Der Nebel markiert das Ende des Sommers… Auch die fast 4 Wochen andauernde Ostwindphase ist damit vorbei. Schade! Denn die hat stabiles schönes Wetter garantiert. Einen anderen Wind als Ost hatte ich das letzte Mal noch auf dem Vänern…

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Zunächst aber sollte der Nebel noch bis weit in die Nacht anhalten. Selbst als der Wind langsam aus Westen aufkam, hielt er sich noch. Im Dunkeln ist Nebel besonders unangenehm. Die Positionslampen reflektieren sich in der feuchten Luft und blenden einen. “Aber was soll Nachtsicht auch schon bringen? Es gibt ja eh nichts zu sehen”, tröste ich mich. Irgendwann hat das Wetter auch ein Einsehen mit mir. Kurz vor Anholt reisst der Himmel dann auch. Der gigantische Windpark im Westen blitzt regelmäßig aus, und ich kann zu meinem Schrecken auch einige Fischerboote in einiger Entfernung ausmachen. So dicht der Nebel eben noch wahr, so klar ist jetzt der Himmel. Und weit hier draußen, mit kaum Licht um einen herum, sind die Sterne so klar wie seit der Überfahrt nach Polen nicht mehr auszumachen. Sogar die Milchstraße ist klar und deutlich erkennbar. Mit dem Fernglas erkenne ich abertausende dicht zusammengedrängte Sterne. Heute genieße ich diesen Anblick, der in den letzten Monaten schon fast normal geworden ist, ganz besonders. Vielleicht ist es meine letzte Nacht auf See.
Weit nach Mitternacht mache ich dann im Hafen von Anholt fest.

Auch Anholt, im Sommer ein absoluter Hotspot, ist bereits wie ausgestorben. Ganze 3 andere Boote sind außer mir hier. Alle liegen mal wieder längsseits. Normalerweise muss man hier wie auch in Smögen um jeden Zentimeter Steg kämpfen. Doch im Gegensatz zu Smögen, welches leer einfach nur halb so schön ist, entfaltet Anholt  seinen Charme jetzt erst so richtig. Der angekündigte Sturm bläst an diesem Morgen bereits mit guten 7 Beaufort. Eine Fahrt nach Anholt wäre heute also eher schwerlich möglich. Wer jetzt noch ankommt, wird ordentlich auf links gedreht. Am Hafen laufen einige Fischer herum, die Hände tief in die Jackentaschen gestopft. Ansonsten wirkt der Hafen wie ausgestorben. Sämtliche Fischgeschäfte und Imbisse haben ihre Läden bereits verrammelt. Heißt leider auch, dass es keine Internetcoupons für das Hafen WLAN mehr gibt. Das war aber während meines Aufenthaltes hier auch das einzige Manko. Diese Leere während des aufziehenden schlechten Wetters verleiht dem Hafen diesen Eindruck die einzige Verbindung zur Welt an einem abgelegenen Winkel selbiger zu sein. Und das ist er ja irgendwie auch. Er erinnert mich sehr an den Hafen Bensersiel in der Verfilmung von “Das Rätsel der Sandbank”. Mir gefällt diese Stimmung. Im vollbelegten Anholt des Sommer wäre das hier sicher ganz anders.

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Alle Segler haben sich in ihre Boote verkrochen. Nur hin und wieder schaut man mal raus um sicherzustellen, dass man nicht schon weggeflogen ist. Es gibt ja diesen Spruch, wie Männer die in einer Kneipe immer zur selben Zeit zur Toilette gehen, nach dem zweiten Mal dicke Kumpels sind. Und nachdem Hugo und ich immer zur selben Zeit nach dem Wetter schauen, winken wir uns kurz zu und ich bin zum Kaffee auf der “Brigo” aus Bremen eingeladen. Wieder einmal werden viele Erfahrungen des Sommers ausgetauscht.

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Es hilft aber alles nichts, ich bin ja nicht nach Anholt gekommen um nur auf dem Boot herumzusitzen. Also mache ich mich noch auf zu einer kleinen Inselrundfahrt, denn Anholt ist wirklich besonders. Diese kleine Insel ist wie eine Miniaturwelt mitten auf dem Wasser. Es gibt Berge, Täler, Strände, Heidefelder, Dünen die so riesig sind, dass sie wie eine Wüste wirken. Wer mit dem Fahrrad über die Insel fährt, hat in der einen Minute das Gefühl auf Sylt entlangzufahren, und 5 min. später durchs ostwestfälische Bergland. Das kleine Dorf, fast ohne asphaltierte Straßen hat ebenfalls seinen Reiz. Obwohl die Insel vom Tourismus lebt, ist hier nichts herausgeputzt. Außer der geschlossenen Bude am Hafen gibt es sogar nur ein einziges Gasthaus, Touristen dürfen ihre Autos nicht mit auf die Insel nehmen (lohnt sich wohl auch nicht), und kulturelle Sehenswürdigkeiten sind auch spärlich gesät. Ich habe ja zwar für das Internet eine dänische SIM-Karte, aber nicht mal alle dänischen Provider haben hier ein Netz aufgebaut. Wer hier her kommt sucht entweder die Natur oder Ruhe. Der Kro hat jetzt nach Saisonschluss nur 3 Stunden am Tag geöffnet. Ehrensache, dass in dieser Zeit am Sonntag fast das ganze Dorf vorbeischaut. Bei der Einrichtung würde jeder Blindenhund zwar nach Hilfe jaulen, aber diese urige Stimmung macht das wieder wett. Auf Anholt läuft die Zeit einfach in einem ganz anderen Rhythmus. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Ich kann mir glaube ich keinen besseren Ort vorstellen, um mal so richtig den Kopf freizubekommen. Ablenkung gibt es hier fast keine. Anholt in der Nachsaison ist eine echte Offenbarung. Es scheint, als wäre das hier eine ganz andere Insel als imJuli/August.

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Am nächsten Tag tobt dann der erste Herbststurm so richtig. Bis zu 53kn, das ist Windstärke 10 – schwerer Sturm, werden im Hafen gemessen. Heute kommt wohl niemand mehr hier an. Da spare ich mir die Wanderung durch die Dünen ans andere Ende der Insel lieber. Wobei, wäre bestimmt ein klasse Gesichtspeeling. Ein Gang durch das Innere der Insel, wo der Wind deutlich schwächer weht, muss reichen. Trotzdem stellt der ein eindrucksvolles Naturschauspiel dar. Der ganze Strand scheint halb wegzufliegen und die Gischt auf der Brandung an der Leeküste weht in die entgegengesetzte Richtung. Erst am späten Abend beruhigt sich das Wetter wieder ein wenig. Zur Abreise gibt es noch ein kleines Ärgernis. Der Automat am Hafen behält meine Wertkarte, mit der für Wasser und Strom bezahlt wird, einfach ohne Auszahlung des Restguthabens ein. Eigentlich nicht weiter wild, doch passiert mir das hier schon zum Zweiten mal. Auch andere Segler haben mir berichtet, dass das regelmäßig passiere, und der Hafenmeister dann noch gaaaanz lange brauchen würde um Geld per Hand auszuzahlen. Ein Schelm wer Böses denkt….
Tags drauf verlasse ich Anholt dann wieder. Nur ein einziger Tag mit kommodem Wetter, danach ist schon das nächste Herbsttief im anrollen. Der Herbst ist da. Das wird wohl so weitergehen…