CHAOS – ST.MAARTEN NED ANTILLES
Über mir erscheint ein Schatten:
„Vas, hat der Generator eigentlich einen Alternator?“
Ich reite bäuchlings den Dieselmotor eines Katamarans und bin dabei seine Kühlwasserpumpe zu überzeugen. Der Schatten gehört meinem direkten Boss. Es ist eine Sie mit der Gestalt von den winzigen Troll-Figuren,die es früher in Überraschungseiern gab.
Ich habe mich immer gewundert wie diese ganzen Haare da rein passen. Die sechzig Zigaretten am Tag verleihen ihrer Stimme eine ernste, bassige Note und lassen ihr nicht viel Zeit für andere Beschäftigungen. Außer Gerüchte gegen den Oberboss an den Tag zu legen. Melanie. Für sie ist die Welt einsilbig, also Mel. Ich krame mich hoch und gucke über den Rand der Motorbilge*. Am Ponton steht auch David und erwartet neugierig meine Antwort. Zwei Pastis und zwei Rotwein relativieren die Neugier.
„Nein“
„Alles klar“, schließt Mel ab und während beide qualmend in Richtung Werkstatt ziehen, erklärt sie: „Er hat Rotor“. David, Entschuldigung, Dav ist einverstanden. „Und Stator“, lispelt er zwischen seinen letzten Zähnen.
Seit sechs Monaten arbeite ich als Mechaniker für eine namhafte Chartergesellschaft. Es ist Hochsaison in der Karibik und die Gäste wollen jede Sekunde ihres teuren, kurzen Urlaubs möglichst ausgiebig genießen. Der Genuss wird unterschiedlich definiert: seltenst das Segeln, für die einen ist es Alkohol, für die anderen Gras oder Schwereres, für die dritten – Sex, alles zusammen, oder, wie für die sechs großwüchsigen Litauer der letzten Woche – das vollständige Demolieren des Bootes. Hat auch was. Wir, das Serviceteam, müssen alles rechtzeitig ausbaden, reparieren, flicken und lächeln. Letzteres fällt mir leicht, weil ich der älteste bin und somit die geneigte Bahn des Lebens in seiner beleidigende Kürze unter meinen Füssen spüre. Weil ich hier nur vorübergehend bin.
Weil abends, wenn mein müder, dreckiger Körper quer durch die Bucht schwimmt, an Bord das strahlende Lächeln von Inga auf mich wartet. Und auch die Lieder, die wir zwei mit der Ukulele runter klimpern.
Mechaniker ist, wie ich hier gelernt habe, ein dehnbarer Begriff.
Am Anfang dachte ich, dass das Kriechen in Motorräumen und unter Toilettentanks sowieso die dreckige Arbeit ist, die alle meiden und ich als „zuletzt“ Angestellter durch ihre Übernahme geprüft werde. Abgesehen davon, dass hier jede Art von Arbeit gemieden wird, hat sich der Umgang mit den Kunden als das Gefürchtetste erwiesen. Sprachbarriere, die Mundfahne, dreckige Fingernägel, aber vor allen Dingen die panische Angst, dass die eigene Inkompetenz ans Tageslicht kommen könnte, diktieren das Kaninchen-artige Verhalten meiner Kollegen, sobald der Kunde-Fuchs auf dem Feld erscheint. Der Kunde-Fuchs ist für sie einzig und allein auf der Suche nach der Tag-Vergütung*. In der Hoffnung, dass der Öl- und Mist-beschmierte Mechaniker ihm nicht schmecken wird, darf er vortreten. Ich mag den Fuchs. Fünfundzwanzig Jahre lang trafen wir einander in diversen Theatersälen der Welt. Der Anblick seine scharfen Zähne sind für mich eher der Beweis für ein breites, herzliches Lachen. Also versuche ich ihn zu zähmen und unterhalten. Bis jetzt habe ich nur ein paar harmlose Bisse davon getragen.
Es ist Samstag morgen. Der ganz normale Wahnsinn. Neun Boote müssen raus. Neun technische Briefings, neun mal viele Crew-Mägen warten vor der einzigen Toilette auf Entleerung. Neunhundert Sonderwünsche hageln rücksichtslos wie Aufwärtshaken von allen Seiten. Wir dürfen keinesfalls die Öffnung der Brücken verpassen. Verpassen, heißt verlorener Tag, weil die nächste Möglichkeit aus der Lagune zu kommen erst am Abend ist. Somit ist „Verpassen“ gleich „Tag-Vergüten“, also gleich „Desaster“. Die Füchse, egal welchen Waldes, wissen das und haben es nicht immer eilig. Brücke, oder nicht, hat ihr Urlaub schon längst begonnen und „Tag-Vergüten“ klingt wie „Lotto-Sechser“. Die Frühstücks-Biere wurden schon zwei, drei mal ausgetrunken und das Matinee mit meiner Nichtigkeit in der Hauptrolle läuft auf vollen Touren.Um die Öffnung der Brücke auf der französischen Seite der Insel zu erwischen, fahre ich mit einer tiefgehenden Sloop* und sechs englischen Kunden drauf, als erstes Boot raus. Beinahe wird es ernst, denn der Wind steht um hundertachtzig Grad anders als gewöhnlich und wir sind so unterbesetzt, dass Paul, einer der Putzmänner, mir mit dem Arbeitsboot aus der Box helfen soll. Er verzettelt sich, der Wind drückt meinen Bug da wo es nur ihm gefällt und wir, die Füchse und ich, schaffen es erst nachdem jeder mit Hand, Fuß oder Bootshaken geschoben hat, nachdem jeder jemandem etwas geschrien hat und nachdem auch die Kielbombe die Lage unter der Mooringleine* gecheckt hat, endlich rückwärts ins Fahrwasser. Meine Autorität als Zeitskipper ist verdampft, aber wir sind bald durch die Brücke und die Natur überpinselt das Malheur schnell mit ihren Karibischen Farben. Wir witzeln ausgiebig, während des Wartens auf Paul, der mich von Bord einsammeln soll. Zum Beispiel:
Warum ist eine Nichtschwimmer-Crew besser als eine Schwimmer? Sie lenzt* schneller!
Nach geraumer Zeit ist klar, ich wurde vergessen, so wie auch das zweite Boot, welches durch die französische Brücke gemusst hätte, weil es, wie wir, zu viel Tiefgang hat um durch die Lagune zu gehen. Später hat man mir erzählt, dass das Geschrei vom Oberboss bis zum Fährterminal zu hören gewesen sei. Irgendwie hat er es doch geschafft, eine weitere Öffnung der Brücke zu erzwingen und wir sahen die andere Sloop mit Sektkorken-Geschwindigkeit aus der Lagune schießen. Ich werde trotzdem nicht abgeholt. Nur durch Ingas freundlichen Dinghy-Service komme ich an Land.
Zurück am Firmendock, muss ich sofort die Crews zweier baugleicher Katamarane in den Umgang mit diversen technischen Kniffen unterrichten. Nur, sprechen sie verschiedene Sprachen und die veraltete Festplatte in meinem Kopf raucht. Die Zeit rast. Es riecht nach Mühe. Irgendwie schaffen es alle Boote aus der Lagune! Im Schlepp an „meinem“ Kat, ist das Arbeitsboot vertaut*, so werde ich jetzt die anderen Kollegen einsammeln und Schluss mit dem Stress, denke ich. Es läuft etwas anders ab. Nico, ruft mich via Funk und ich erfahre, dass die Crew „seines“ Kats, ihr Starter-Paket nicht erhalten hat. Es ist nachvollziehbar, fünfzehntausend Euro für die Woche bezahlt und kein Starter-Paket, das geht nicht. Nico ist blutjung und als Kroate sehr gut in lautstarkem, slawischem Fluchen. Damit er nicht aus der Form kommt, übt er ständig, auch an der Funke. Ich verstehe den Ernst der Sache und düse zurück zur Basis um das vergessene Paket abzuholen. Nicos Funkfluch mit der Bitte um seinen Werkzeugkoffer holt mich dennoch ein. Ich bin froh, denn jetzt hat die zwanzig minütige Fahrt einen Sinn. Das Starter-Paket, ein unentbehrliches navigatorisches Utensil, bestehend aus einer Flasche Rum, zwei Limetten, zwei Rollen Klopapier und zwei Flaschen stilles Wasser sowie der gewünschte Werkzeugkoffer werden bald bei Nico abgeladen. Er muss nochmals die Klo-Pumpe, an der er die letzten zwei Tage gearbeitet hat, prüfen.
Sein slawisches Dankeschön, hallt hinter mir, als ich mich auf dem Weg zum letzten Boot mache. Es ist ein fünfundfünfzig Fuß Kat und David hat ihn aus den BVI’s* hierher gebracht. Da er das Boot somit kennen sollte, durfte er die deutsche Crew einweisen. Er spricht allerdings keine andere Sprache, als sein Letzte-Drei-Zähne-Französisch, dafür verstehen meine Landsfüchse nur Deutsch und gebrochen Englisch. Als ich mich dem Boot von achtern nähere erkenne ich, warum David das Groß schon seit ich vorhin bei Nico eingetroffen war, nicht setzen kann. Das Fall* verläuft außerhalb der Lazyjacks* an Steuerbord. Ich eile zur Hilfe. Wir holen das riesige Tuch runter, ich klettere in den Lazybag* und löse das Fall vom Segelkopf. Offenbar ist die Leine zu kurz. Von da wo ich bin sieht man das Kockpit nicht und ich kann mit jedem dort nur über einen Vermittler, der unten an Deck steht, kommunizieren. In welcher Sprache? Während ich noch um einen Verlängerungs-Tampen* bitte, lässt unten David das Fall von der Klemme ausrauschen und gibt mit seiner ganzen Körperlänge, von gestreckten ein Meter sechzig, Lose*. Geschafft, das Fall ist innerhalb der Jacks, ich klettere runter. Die deutsche Crew ist sehr gut bei Laune, denn wir sind weit aus der Bucht und bolzen unter Motor gegenan in Richtung benachbarte Insel. Glücklicher Weise sieht der Skipper ein, dass David und ich leicht grün anlaufen und kehrt um, damit wir die restliche Arbeit schneller erledigen können. Mit dem Fall sind wir nach etwa einer Stunde fertig. Von der Dick und Doof Einlage, die wir beim mehrfachen Einfädeln der Leine präsentiert haben, werden die Deutschen Omas noch ihren Enkelkindern erzählen, aber damit ist es leider nicht zu Ende. An Bord gibt es keine funktionierende Steckdose und als wir dies der Basis melden wollen, stellt sich heraus, dass die Funke dies nicht will. David drängelt zur Mittagspause, denn es ist schon halb zwei und der Pastis wird offenbar warm. Ich lasse meine eigene Handfunke an Bord und wir fahren. Irgendwann später am Nachmittag, ich habe zwischenzeitlich meinen Werkzeug-Zauber-Koffer geholt, ist das Stromproblem bis auf eine defekte Dose reduziert und die Funke, nach Reprogrammieren, zum Leben erweckt worden. Der deutschen Crew danke ich für ihren Humor und ihre Geduld. Heimatfüchse halt!
Als ich die Basis wieder erreiche, werde ich, nach einmal Wasser lassen, auf die französische Seite raus geschickt. Der Kat, der gestern nach Tortola ausgelaufen ist, hat es nur von der Niederländischen bis zur Französischen Seite der Insel geschafft. Es ist der Kat, welcher als Ersatzboot der gemischten Ostdeutschen Crew angedreht wurde, weil sie ihr Wunsch-Boot, das aus Tortola kommen sollte, nicht rechtzeitig bekommen haben. Dieser Kat also, hat ein Geruchs-Problem. Im Steuerbord-Rumpf riecht es, wie sollen sie es beschreiben, nach… , als wenn der Toilettentank ausgelaufen wäre. War er auch. Verstopft und Übergelaufen. Als nach Stunden alles wieder genießbar ist, können sie endlich los. Sie werden den Katamaran nur bis Tortola segeln. Dort werden sie endlich aufs eigentliche Traumboot umsteigen, welches inzwischen doch hier eingetroffen ist und nach einer kleinen Reparatur schnell wieder nach Tortola überführt wird, um von dort mit den Ostfüchsen wieder hierher zu segeln.
Am Abend gibt es bei uns an Bord Salat und Reis. Die Ukulele spielt „There’s Whiskey in the jar“. Freunde sind zu Besuch, Rosi und Christoph. Wir trinken Rotwein und Christoph meint, dass seine Mutter ihm gesagt habe, Gott liebe ihn auch wenn er nicht singt. Und überhaupt, Sachen, die man nicht kann, solle man lieber lassen, sonst entstünde das ganz normale Chaos*.
*Bilge/Motorbilge – im Schiffs-Rumpf der tiefst liegende Punkt, wo sich z.B. Flüssigkeiten sammeln und ausgepumpt werden können
*Tag-Vergütung – mit „Tag-Vergütung“ wird „refund“ gemeint – die Rückzahlung bei Verschuldung seitens der Vercharterer
*Sloop – Einrumpfboot mit einem Mast
*Mooringleine – im Hafengrund verankerte Leine zum Fest machen von Booten
*lenzen – auspumpen
*Funke (an-funken) – Verbindung über das VHF-Radio herstellen
*vertaut – fest gemacht, angebunden
*British Virgin Islands, zu Deutsch die Britische Jungfenrinseln
*Fall – Leine mit dessen Hilfe die Segel gesetzt werden. Läuft in der Regel über eine, am Masttop befestigte Rolle (Block)
*Lazyjack – aus dünneren Leinen gebundene, am Mast und Baum befestigte Hilfsmittel um das Großsegel einfacher auf den Baum zu bergen
*Lazybag – Tasche, die das Ganze Großsegel fassen kann und zu dem oben-beschriebenen System gehört
*Tampen – dünne Leine
*Lose geben – eine Leine fieren, eine Leine lösen, eine Leine zum Durchziehen spannungsfrei geben
*Chaos – unangenehmer Zustand. Gegensatz von Ordnung
Martinique, den 09.10.2016