Nach 3.000 SM – Der schönste Hafen der Ostsee
Ein Terminus den ich schon ein paar mal benutzt habe. Aber dieses Mal bin ich mir sicher. Mehr geht nun wirklich nicht mehr. Ich habe den schönsten Hafen der Ostsee gefunden.
Stellt euch mal folgendes vor:
Ein Tag beginnt morgens mit einer Motorstunde durch die wunderschönen Sunde bei Orust. Es geht durch eng gewundene Fahrwasser, vorbei an der Museumswerft von Bassholmen. Kurz danach warten dann auch schon offene Gewässer. Die Sonne scheint, die Segel gehen hoch und so geht es an der Küste entlang gen Norden. Meine Wünsche werden erhört und der Wind raumt ein wenig, so dass es auf perfektestem 100° Kurs vorangeht. Keine Wolke am Himmel, knapp über 20 Grad, das Schiff macht für seine Verhältnisse flotte 5,5kn. Alle Fahrwasser hinter mir gelassen geht es außen vor den Schären nach Norden. Nichts liegt im Weg. Könnte es besser vorangehen?
Irgendwann muss man sich ja aber mal Gedanken um das Abendprogramm machen. Ich bin morgens planlos losgefahren. Es gibt an jedem Punkt der schwedischen Westküste ohnehin so viele Ziele, dass man sich einfach abends ein nahegelegenes aussuchen kann. Jetzt in der Nachsaison muss man sich auch keine Sorgen machen einen Liegeplatz zu bekommen. Auch draussen ist es recht leer. Der kleine Sommerort Fjällbacka, eines der Zentren der Westküste liegt in der Nähe. Soll laut Führer auch wirklich schön sein. Aber jetzt erst mal wieder in die Schären reinfahren? Platt vorm Laken? Hm… Da kommt irgendwie keine Begeisterung auf. Ich studiere die Karten und entdecke eine Inselgruppe, weit draussen im Skagerrak, die mir bei jeder Planung bisher entgangen ist. Väderöarna – Die Wetter Inseln. Doch irgendwie erinnere ich mich, dass Jøran mir von diesem Platz vorgeschwärmt hat. Laut den Hafenführern ist das ganze eine alte Lotsenstation weit draußen, mit entsprechend eingeschränkter Versorgung und einem Cafe im Sommer. Naja, das wird wohl schon zu haben, aber eigentlich klingt das doch ganz spannend. Hatte eh mit dem Gedanken einer weiteren Nacht vor Anker gespielt, da macht mir die eingeschränkte Verfügbarkeit von Strom und Duschen jetzt auch nichts aus. Also Kurs auf die Väderöarna!
Schon von Weitem sieht man die Felsenmasse am Horizont, die sich erst beim Näherkommen in zahllose kleine Inseln zerfleddert. Einige aufragende Masten zeigen die grobe Position des Hafens an. Laut Hafenhandbuch ist die Ansteuerung “schwierig”. Das steht dort aber meistens schon wenn eine einzelne Milchkanne im Weg liegt. Heute ist aber wirklich mehr als einmaliges Überprüfen der Position notwendig. Der leichte Strom, einige Felsen direkt vor der Einfahrt und mehrere gut versteckte Leitmarken machen das ganze tatsächlich etwas tricky. Ein netter Schwede am Kai weist mich wie ein Marshal am Flughafen ein. So gelingt alles reibungslos. Später erfahre ich von ihm, dass in der Saison pro Tag sicher 5 Schiffe hier auflaufen, da sie die Leitlinien übersehen. Gut also, dass alles geklappt hat.
Ich bin überrascht. Ich bekomme den letzten Platz am Kai, der Hafen wirkt voll. Allerdings heisst das in diesem Fall, dass nur 7 Schiffe längsseits hintereinander liegen. Es heisst aber auch, dass die Väderöarna kein Geheimtip sind. Deswegen schreibe ich hier auch so freimütig darüber. ;-) Das Hafenbecken ist winzig. Selbst Birkholm in der dänischen Südsee erscheint geräumig dagegen. Das liegt aber auch daran, dass es kein richtiges Hafenbecken, sondern einfach nur ein natürlicher Einschnitt der Felseninsel ist. So können die Boote hier auch nur hintereinander am gewundenen Kai liegen. Wenden ist im Hafen selbst mir nur an einer Stelle möglich. Das Platzangebot erinnert mich sehr an das verlassene Fischerdorf Marviksgrunnar an der Höga Kusten… Das macht den Hafen aber auch so urig. Das schwedische System, dass man tagsüber kostenlos in Häfen liegen kann wird deswegen hier auch nicht praktiziert: Nur Nachtgäste sind erlaubt! Und mein schwedischer Kollege erzählt, dass im Sommer hier bis zu 30 Schiffe reinpassen. Um 10 Uhr wird da per Befehl kollektiv ausgelaufen. Wer bleiben will muss ebenfalls raus, und darf dann als erster wieder rein. Es wird von hinten nach vorne Päckchen gestapelt. Helgolandfeeling extrem. Jetzt in der Nachsaison ist eh kein Hafenmeister da. Da geht das alles entspannter zu.
Ich bin angekommen. Persenning drauf, Festmacherbier auf, Strom an. Moment mal. Strom an? Ja! Offenbar gibt es doch Strom… Klasse! Und jetzt erstmal das Logbuch fertig schreiben. 3.004 NM. Ich habe heute also auch den dritten Tausender vollgemacht. Das muss natürlich gefeiert werden. Erstmal mache ich mich aber auf zur Inselerkundung. Wider Erwarten gibt es Hafen ein gerade neu gebautes Servicehaus mit allen Annehmlichkeiten und sogar Aufenthaltsraum mit Meerblick. Besser kann der Tag doch nun wirklich nicht werden oder?
Mein erster Gang führt dann zum Lotsenausguck. Der wurde restauriert und kann heute bestiegen werden. Der Himmel ist immer noch wolkenlos, und so genieße ich einen herrlichen Blick über die Inselgruppe, die Schifffahrt im Skagerrak und den Horizont, der hier noch weiter als in Kobba Klintar auf den Ålands entfernt scheint. Denn selbst Skagen liegt schon deutlich südlicher. Das nächste Ziel ist hier ja also nicht Dänemark, sondern erst Schottland, oder Island, oder so…
Auf den Rückweg zum Hafen komme ich dann an dem “Cafe” vorbei. Auch das scheint mittlerweile um-/ausgebaut worden zu sein. Väderöarna Värdshus ist ganzjährig geöffnet und bietet ein Restaurant sowie sogar Übernachtungsmöglichkeiten an. Das ganze wirkt aber überhaupt nicht unpassend oder künstlich in dieser traumhaften Umgebung, sondern ist in den alten Wohnhäusern der Lotsen untergebracht. Nur WiFi gibt es auch hier nicht. ;-) Dafür heute abend aber schwedisches Meeresfrüchtebuffet. Perfekt um die 3.000NM zu feiern. Ich bin also auf einer abgelegenen Schäreninsel inklusive traumhafter Natur, mit einem urigen und dennoch perfekt ausgestatteten Hafen. Und ein erstklassiges Restaurant gibt es auch noch. “Könnte es noch besser gehen?” geht mit beim Essen so durch den Kopf. Da fragt mich die blonde Studentenkellnerin ob ich nach dem Essen noch die Sauna benutzen möchte. SAUNA? Hier??? Klar möchte ich, das habe ich seit den Ålands nicht mehr genießen dürfen! Aber ausgerechnet hier? Zufrieden über diese Aussicht mümmel ich zu Ende. Und dann sehe ich es: Die Sauna ist nicht irgendein Holzkasten, sondern eine holzbefeuerte Steinsauna mit bodenhohen Fenstern zum Meer, dem Horizont, und den vorgelagerten Inseln raus. Und weil das alles noch nicht genug ist gibt es auch noch holzbefeuerte Whirlpools, ebenfalls mit Meerblick, auf der Terasse dazu. Bis weit nach Sonnenuntergang nutze ich beides ausgiebig, komme zur Ruhe, und zum Nachdenken: Wo bin ich hier nur gelandet…? Als ich die paar Meter zurück zum Boot gehe, hat der Horizont in der “blauen Stunde” nach Sonnenuntergang eine absolut einmalige Farbgebung bekommen. Mehr geht nun wirklich nicht mehr…
Der Hafentag hier ist also Ehrensache. Und erst beim Frühstück in der Plicht fällt mir auf, wie unglaublich klar das Wasser hier ist. So etwas habe ich die ganzen letzten 5 Monate nicht gesehen. Selbst die Insel Anholt, in der Ostsee berühmt für ihr klares Wasser, oder der Vänernsee sind nichts dagegen. Das Wasser ist so klar wie im Swimmingpool, und schimmert je nach Untergrund mal türkis, mal tiefblau wie auf dem Ozean. Absolut herrlich. Und irgendwas schwirrt dauernd über das Wasser. Erst bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieses etwas aber nicht als Mückenschwarm, sondern als hunderte kleine Fische! Selbst die hüpfen hier durch den Hafen, als gäbs kein Morgen. Die Väderöarna erscheinen mir immer traumhafter. Es gibt unheimlich viel zu entdecken, doch verbringe ich bei bestem Sommerwetter erstmal 2 Stunden damit auf dem höchsten Gipfel der Insel auf den warmen Felsen zu sitzen und einfach nur den Blick schweifen zu lassen, denn der Blick auf die umliegenden Inseln und das Skagerrak fesselt. Und wieder kann ich von den Inseln nur in Superlativen sprechen. Abends an Bord, nach mehreren Stunden Expedition (wofür ich normalerweise viel zu faul bin), lasse ich alles sacken und überschlage mal nüchtern. Ich bin auf einer abgelegenen Schäreninsel. In traumhafter Natur. Der Hafen hat alle Serviceeinrichtungen, dazu noch brandneu. Das Wasser ist so klar wie in der Karibik. Es gibt ein Wirtshaus mit allem denkbaren Komfort und traumhafter Sauna, welches sich perfekt in die Schärenromantik und Abgeschiedenheit einfügt. Die Inseln haben diese gewisse Prise Romantik, die besondere Törnziele ausmacht. Einen schöneren Hafen kann ich mir nicht vorstellen. Es gibt bestimmt viele andere schöne. Schneller zu erreichendere. Welche mit mehr Remmidemmi und Citylife drumherum. Häfen die qua Lage etwas besonderes sind, wie z.B. Töre. Aber einen schöneren Hafen, der mehr von allem hat was ein Segler sich im Urlaub wünscht; das gibt es nicht. Ich bin zufrieden. Zufrieden, nach 3.000NM den wahrhaft schönsten Hafen der Ostsee gefunden und lieben gelernt zu haben.
Und das alles ist nicht ausgedacht, sondern genau so vor einigen Tagen auf den Väderöarna in Westschweden passiert.